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Document 52008IE1526

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007 — Die Produktivitätsgrenze Europas verschieben

    ABl. C 77 vom 31.3.2009, p. 131–138 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    31.3.2009   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 77/131


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007 — Die Produktivitätsgrenze Europas verschieben“

    (2009/C 77/28)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 17. Januar 2008, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007 — Die Produktivitätsgrenze Europas verschieben“

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 3. Juni 2008 an. Berichterstatter war Herr MORGAN.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 447. Plenartagung am 17./18. September 2008 (Sitzung vom 18. September) mit 108 gegen 4 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Dies ist die jüngste einer Reihe von Stellungnahmen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) zu Fragen der Wirtschaftsführung in der EU. Sie wurde auf der Grundlage der Mitteilung der Kommission „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007 — Die Produktivitätsgrenze Europas verschieben“ (KOM(2007) 721 endg.) erarbeitet.

    1.2

    Zu Beginn der Bilanz 2007 wird festgestellt, dass die Europäische Union zwar zu den fortschrittlichsten und produktivsten Wirtschaftsräumen der Welt gehört, allerdings ihr Lebensstandard — gemessen am BIP — nach wie vor ganz erheblich hinter dem der USA als der fortschrittlichsten Volkswirtschaft der Welt zurückbleibt. Hauptursache ist eine auseinander laufende Produktivitätsentwicklung in mehreren Wirtschaftszweigen und Mitgliedstaaten.

    1.3

    Die Daten aus den USA bilden zwar einen nützlichen Maßstab für die relative Leistungsstärke der Mitgliedstaaten, doch im Mittelpunkt der Stellungnahme steht der Ländervergleich innerhalb der EU. Faktoren wie Sozialmodelle, Arbeitszeit und Erwerbsbeteiligung betreffen zwar den transatlantischen Vergleich, sind aber nicht Gegenstand dieser Stellungnahme. Hier geht es schlicht um die Frage, warum einige Mitgliedstaaten mehr Wohlstand und Beschäftigung schaffen als andere.

    1.4

    Die Grundaussage des Kommissionsberichts lautet, dass die Umsetzung der Lissabon-Agenda den Mitgliedstaaten zugleich helfen wird, die Beschäftigungslage zu verbessern und den Wohlstand zu mehren. Verschiedene zentrale Politikmaßnahmen können in erheblichem Maße dazu beitragen. Diese Maßnahmen sollten auf folgende Ziele ausgerichtet sein:

    mehr Investitionen in FuE;

    Forschungs- und Bildungseinrichtungen von Weltklasseniveau, die in enger Partnerschaft mit der Wirtschaft zusammenarbeiten;

    ein uneingeschränkt funktionierender, offener und wettbewerbsfähiger Binnenmarkt;

    Förderung eines integrierten Ansatzes für größere Sicherheit und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt — wobei der EWSA daran erinnert, dass dieser Ansatz von den Sozialpartnern auszuhandeln ist;

    eine qualitative Verbesserung der öffentlichen Finanzen.

    1.5

    Angesichts der Veränderungen, die die Weltwirtschaft seit dem EU-Gipfel in Lissabon im Jahr 2000 erfahren hat, kommt den vorstehend beschriebenen Maßnahmen noch größere Bedeutung zu. Zu den neuen Herausforderungen zählt nicht nur die derzeitige Finanzkrise, sondern auch das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei fossilen Brennstoffen, die Zeichen des Klimawandels, die zunehmende Lebensmittelknappheit und generell die schnell wachsende Nachfrage nach Rohstoffen. In dieser Hinsicht spielen FuE-Investitionen und Forschungsleistungen von Weltspitze eine noch entscheidendere Rolle. Auf der Hand liegt zudem die Notwendigkeit eines wettbewerbsfähigen Binnenmarktes und, ergänzend dazu, wirksamer Flexicurity-Systeme für den Arbeitsmarkt sowie gesunder und gut verwalteter öffentlicher Finanzen.

    1.6

    Sowohl angebots- als auch nachfrageseitige makroökonomische Faktoren wurden in den in der Einleitung genannten früheren EWSA-Stellungnahmen zur Wirtschaftsführung bereits eingehend behandelt. Der Ausschuss betonte darin, dass neben angebotsseitigen Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ein makroökonomischer Policy-Mix umgesetzt werden muss, welcher Einkommen, Nachfrage und Beschäftigung fördert. In dieser Stellungnahme soll vor allem aufgezeigt werden, dass es ungeachtet nachfrageseitiger Faktoren einen wichtigen Zusammenhang zwischen den in der Lissabon-Agenda enthaltenen angebotsseitigen Reformen und dem BIP-Wachstum gibt.

    1.7

    In der jüngst veröffentlichten Liste mit den Lissabon-Ergebnissen 2007 („Lisbon Scorecard“ (1)) belegen folgende Länder die ersten sieben Plätze: Dänemark*, Schweden*, Österreich*, die Niederlande*, Finnland*, Irland* und das Vereinigte Königreich* (in dieser Reihenfolge), gefolgt von Deutschland und Frankreich (2). Bei den neuen Mitgliedstaaten führen Slowenien* und Estland*. Am Schluss der Liste der EU-15 rangieren Spanien, Griechenland, Portugal und Italien. Insgesamt wurden die Niederlande, Österreich und Estland für die wirksamste Umsetzung der Lissabon-Strategie ausgezeichnet. Griechenland und Italien waren am wenigsten effizient. Wie wirkt sich nun eine führende Position bei der Lissabon-Umsetzung auf die Produktivität und Beschäftigung aus?

    1.8

    Aus der in dieser Stellungnahme vorgenommenen Untersuchung ergibt sich der Schluss, dass es trotz einer Vielzahl anderer relevanter Faktoren in der Tat einen engen Zusammenhang zwischen der Umsetzung der Lissabon-Strategie und Fortschritten bei Wachstum und Beschäftigung sowie beim BIP pro Kopf gibt. Grundsätzlich gilt auch der Umkehrschluss, das heißt, Länder mit schlechter Umsetzung der Lissabon-Reformen erbringen auch hier schlechte Leistungen. Ausgehend von dieser Schlussfolgerung empfiehlt der EWSA den Mitgliedstaaten, möglichst bald das komplette Lissabon-Programm umzusetzen.

    1.9

    Hervorzuheben ist, dass jedes einzelne Element des Programms wichtig ist. Der Ausschuss dringt insbesondere auf eine Anhebung der Investitionen in Wissen, Bildung und FuE. Es besteht kein Zweifel daran, dass Wettbewerb innovationsfördernd wirkt, weshalb sich die EU-Volkswirtschaften dem Wettbewerb stellen müssen, um im Hinblick auf die Globalisierung bestehen zu können. Zur Maximierung der Produktivität der Volkswirtschaften der EU-Mitgliedstaaten müssen Produktionsfaktoren von Industrie- und Wirtschaftszweigen, die sich im Niedergang befinden, hin zu aufstrebenden und dynamischen Industrie- und Wirtschaftszweigen umgeschichtet werden. Dies bedingt wiederum, dass die Mitgliedstaaten Mittel für die Schaffung eines Flexicurity-Systems bereitstellen. Klar ist zudem, dass die Wirtschaftsleistung der Mitgliedstaaten stark von einer guten Verwaltung der öffentlichen Finanzen abhängt.

    1.10

    Die EWSA hat in seiner Stellungnahme an den Europäischen Rat in Lissabon im März 2002 (3) erklärt: „Der Ausschuss ist davon überzeugt, dass Europa über genügend Innovationsfähigkeit, Kreativität, Wissen und Unternehmergeist verfügt, um bei der Realisierung des neuen Konzepts Herausragendes zu leisten. Wir müssen diese Fähigkeiten jedoch freisetzen. Chancen müssen an die Stelle von Hemmnissen, Anreize an die Stelle von Bestrafungen treten. Im letzten Jahrzehnt fand die Liberalisierung der europäischen Industrie statt. Jetzt müssen wir die Energien der Menschen in Europa freisetzen.“ Auch 2008 bleibt noch viel zu tun, doch die Lissabon-Agenda ist der Weg zum Erfolg.

    2.   Einleitung

    2.1

    Dies ist die jüngste einer Reihe von Stellungnahmen des EWSA zu Fragen der Wirtschaftsführung in der EU. Sie wurde als Reaktion auf die Mitteilung der Kommission „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007 — Die Produktivitätsgrenze Europas verschieben“ (KOM(2007) 721 endg.) erarbeitet. Die vorhergehende Stellungnahme vom September 2007 galt dem Thema „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2006 — Wirtschaftspolitische Prioritäten zur Stärkung der Euro-Zone“.

    2.2

    Der EWSA hat mit dieser Stellungnahme den Versuch unternommen, das Beschäftigungswachstum und das BIP pro Kopf zu den in der Mitteilung der Kommission empfohlenen Maßnahmen ins Verhältnis zu setzen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich diese Stellungnahme deutlich von der früheren Stellungnahme zur Wirtschaftsbilanz 2006, in der die jeweilige soziale und wirtschaftliche Situation in den Mitgliedstaaten und die voneinander abweichenden politischen Ziele, die den einzelstaatlichen Maßnahmen zugrunde liegen, erläutert wurden.

    2.3

    Frühere Stellungnahmen vom Oktober 2006 (4) und Februar 2006 (5) beschäftigten sich mit den Gründzügen der Wirtschaftspolitik für den Zeitraum 2005-2008; im März 2004 verabschiedete der Ausschuss zudem eine Stellungnahme zum Thema „Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003-2005“ (6). Der EWSA hat zwar die Empfehlung der Kommission zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik für 2008-2010 erhalten, stellt jedoch fest, dass diese im Vergleich zu den Grundzügen für 2005-2008 unverändert geblieben sind. Aufgrund seiner früheren Arbeiten zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik hat der EWSA daher entschieden, die Mitteilung „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007“ als Grundlage für die Erarbeitung dieser Stellungnahme heranzuziehen.

    2.4

    Im Oktober 2006 untersuchte der EWSA die Vorschriften zu den übergreifenden Zielsetzungen Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung. In der jetzigen Stellungnahme liegt der Schwerpunkt stärker auf den Maßnahmen als auf den Vorschriften. Im Februar 2006 legte der EWSA seine Stellungnahme zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik für 2005-2008 vor. Darin wurde zwar ein breites Spektrum von Fragen behandelt, doch im Wesentlichen die gleiche Politikagenda zugunsten eines Beschäftigungs- und Produktivitätswachstums befürwortet, die auch die Grundlage für vorliegende Stellungnahme bildet. In beiden Stellungnahmen untersuchte der EWSA nachfrageseitige Wirtschaftsfaktoren. In dieser Stellungnahme nun widmet sich der Ausschuss den von der Kommission unterbreiteten Vorschlägen für angebotsseitige Reformen.

    2.5

    Der Ausschuss betont jedoch, dass die angebotsseitigen Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch einen makroökonomischen Policy-mix ergänzt werden müssen, welcher Einkommen, Nachfrage und Beschäftigung fördert. Bezüglich eines angemessenen Policy-mix verweist der Ausschuss auf seine vorstehend genannte Stellungnahme vom März 2004, die nichts an Aktualität verloren hat.

    2.6

    Die von der Kommission herausgegebene Publikation „Europäische Wirtschaft“ Nr. 8/2007 enthält die Mitteilung „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007 — Die Produktivitätsgrenze Europas verschieben“ sowie vier weitere Kapitel auf insgesamt 149 Seiten zu folgenden Fragen:

    1)

    Produktivitätsentwicklung in Europa: Licht am Ende des Tunnels?

    2)

    Bewertung der Produktivität in der Industrie

    3)

    Gibt es einen Zielkonflikt zwischen Produktivität und Beschäftigung?

    4)

    Maßnahmen für eine höhere Produktivität: aus einem anderen Blickwinkel.

    Der Ausschuss stellt mit Bedauern fest, dass sich die Kommission auf angebotsseitige Empfehlungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit beschränkt.

    In dieser Stellungnahme sollen die in Kapitel 4 vorgeschlagenen Maßnahmen evaluiert werden.

    3.   Wesentlicher Inhalt der Kommissionsmitteilung

    3.1

    Zu Beginn der Bilanz 2007 wird festgestellt, dass die Europäische Union zwar zu den fortschrittlichsten und produktivsten Volkswirtschaften der Welt gehört, allerdings ihr Lebensstandard — gemessen am BIP — nach wie vor ganz erheblich hinter dem der USA als der fortschrittlichsten Volkswirtschaft der Welt zurückbleibt. Hauptursache ist eine auseinanderlaufende Produktivitätsentwicklung in mehreren Wirtschaftszweigen und Mitgliedstaaten.

    3.2

    Als die EU im März 2000 die Lissabon-Strategie ins Leben rief, stellte sie die Verbesserung der Produktivitätsentwicklung in Europa zusammen mit einem robusten Beschäftigungswachstum an vorderste Stelle. Die Hauptelemente dieser Strategie waren der Aufbau von Wissen, die Stärkung der Wettbewerbskräfte und die Flexibilisierung.

    3.3

    Der Aufbau von Wissen erfordert mehr und bessere Investitionen in FuE und Humankapital und ein wirksames und kosteneffizientes Bildungssystem in der gesamten Europäischen Union.

    3.4

    Sowohl für das Produktivitätsniveau als auch das Produktivitätswachstum spielen Wettbewerbsanreize eine zentrale Rolle. Empirische Studien bestätigen die positiven Effekte der Marktöffnung auf Produktivität und Wachstum, aber auch auf die Beschäftigung.

    3.5

    Mehr Flexibilität ist nötig, damit sich die Produktionsstrukturen ohne Spannungen an eine weitere Spezialisierung und Diversifizierung in neue Bereiche mit relativem komparativem Vorteil anpassen können. Die EU-Mitgliedstaaten haben in den letzten Jahren Maßnahmen ergriffen, um Unternehmen und Arbeitskräften die Mobilität zu erleichtern, doch es besteht weiterer Handlungsbedarf auf breiterer Basis.

    3.6

    Die Schlussfolgerung lautet, dass sich die Einstellungen ändern müssen. Verschiedene zentrale Politikmaßnahmen können in erheblichem Maße dazu beitragen. Diese Maßnahmen sollten auf folgende Ziele ausgerichtet sein:

    mehr Investitionen in FuE;

    Forschungs- und Bildungseinrichtungen von Weltklasseniveau, die in enger Partnerschaft mit der Wirtschaft zusammenarbeiten;

    ein uneingeschränkt funktionierender, offener und wettbewerbsfähiger Binnenmarkt;

    Förderung eines integrierten Ansatzes für größere Sicherheit und Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt — wobei der EWSA daran erinnert, dass dieser Ansatz von den Sozialpartnern auszuhandeln ist;

    eine qualitative Verbesserung der öffentlichen Finanzen.

    3.7

    Viele allgemein verbreitete Ansichten wurden widerlegt, beispielsweise dass nur große Länder und Unternehmen Technologieführer sein können und der Handel der wichtigste Weg zur Verbreitung von Technologie ist. Es zeigt sich, dass auch kleine Länder in Spezialbereichen führend sein können, dass neue Technologien häufig von Kleinunternehmen eingeführt werden und dass Technologie vor allem über die internationale Mobilität von Arbeitnehmern und Finanzierungskapital verbreitet wird.

    3.8

    Mittlerweile gibt es einen breiten Konsens darüber, welche Faktoren das Produktivitätswachstum bremsen und welche Maßnahmen erforderlich sind, um es zu steigern. Restriktionen bezüglich der Arbeits- und Produktmärkte, fehlende Offenheit für ausländische Direktinvestitionen, Marktzutrittsschranken sowie Hemmnisse für die Entstehung und Verbreitung neuer Technologien können das Produktivitätswachstum auf längere Sicht erheblich hemmen.

    3.9

    Die Erzielung von Produktivitätszuwächsen wird vom Ausscheiden der unproduktiven Unternehmen aus dem Markt beeinflusst, weshalb die Umschichtung von Ressourcen (Reallokation) durch entsprechende Maßnahmen gefördert werden sollte. Führt die höhere Produktivität zu höheren Einkommen, kann davon ausgegangen werden, dass die Bedürfnisse der Verbraucher sich zunehmend Dienstleistungen zuwenden. Solange viele Dienstleistungsbranchen eine hohe Wertschöpfung und Produktivität aufweisen, kann es sich die Wirtschaft leisten, auch in Sektoren mit einer inhärent niedrigen Produktivität neue Arbeitsplätze zu schaffen.

    4.   Produktivität und Beschäftigung

    4.1

    Das Pro-Kopf-BIP hängt nicht nur von der Lissabon-Agenda ab. Es wird von Faktoren wie der Entwicklung aufstrebender Märkte in Osteuropa und Russland, von den Tendenzen im Energiebereich und bei den Rohstoffpreisen und -märkten, vom technischen Wandel und ganz allgemein von der Globalisierung beeinflusst. Die Binnennachfrage hängt vom Lohn- und Beschäftigungsniveau sowie von der Kaufkraft ab. Die Nachfragesteuerung hängt in großem Maße von der Steuer- und Geldpolitik ab, da die Kreditvergabe zur Ankurbelung der Nachfrage von Unternehmern und Verbrauchern letztlich von den Zentralbanken gesteuert wird. Solange die Finanzmärkte unter dem Einfluss der Krise stehen, werden Kredite voraussichtlich knapp bleiben, und die Nachfrage und das BIP werden beeinträchtigt sein.

    4.2

    Makroökonomische Faktoren wurden in den in der Einleitung genannten früheren EWSA-Stellungnahmen zur Wirtschaftsführung bereits eingehend behandelt. In der vorliegenden Stellungnahme soll vor allem aufgezeigt werden, dass es ungeachtet nachfrageseitiger Faktoren einen wichtigen Zusammenhang zwischen den in der Lissabon-Agenda enthaltenen angebotsseitigen Reformen und dem BIP-Wachstum gibt.

    4.3

    In Tabelle 1 wurden die Vergleichsdaten für das Pro-Kopf-BIP angegeben. Dafür wurden zwei Jahre ausgewählt, nämlich 1999 als Jahr der Einführung des Euro und 2007. Bei den neuen Mitgliedstaaten fällt der EU-Beitritt in diesen Zeitraum. In dem genannten Zeitraum kam es in den USA zu einem Rückgang des BIP von 161,8 % auf 150,9 % bezogen auf die EU-27. Dessen ungeachtet waren die sog. alten Mitgliedstaaten nicht in der Lage, von diesem vergleichweisen Rückgang in den USA zu profitieren. Die EU-15 verzeichnete eine rückläufige Entwicklung von 115,3 auf 111,7 %, und die Eurozone einen Rückgang von 114,5 auf 109,8 %, jeweils bezogen auf den EU-27-Durchschnitt.

    4.4

    Was sagen nun die Beschäftigungsstatistiken bezogen auf diese BIP-Daten aus? In Tabelle 2 sind die Beschäftigungsdaten für die Jahre 1998 (Beginn der Beitrittsverhandlungen mit den ersten neuen Mitgliedstaaten) bis 2006 (letzte verfügbare Daten) aufgeführt. Arbeitslosenziffern werden für den Zeitraum bis 2007 angegeben. Die Beschäftigungsquote in den USA ging im Referenzzeitraum von 73,8 % auf 72 % zurück, während die Arbeitslosigkeit von 4,5 % auf 4,6 % stieg. Gleichzeitig begann die Eurozone, Rückstand aufzuholen, wobei die Beschäftigungsquote von 59,2 % auf 64,8 % stieg und die Arbeitslosigkeit von 10,1 % auf 7,4 % fiel. Die Daten für die EU-15 sehen etwas besser aus als die Daten der Eurozone, während die Ziffern für EU-25 geringfügig schlechter sind.

    4.5

    In der jüngst veröffentlichten Liste mit den Lissabon-Ergebnissen 2007 („Lisbon Scorecard“) belegen folgende Länder die ersten sieben Plätze: Dänemark*, Schweden*, Österreich*, die Niederlande*, Finnland*, Irland* und das Vereinigte Königreich*, gefolgt von Deutschland und Frankreich. Bei den neuen Mitgliedstaaten führen Slowenien* und Estland*. Am Schluss der Liste der EU-15 rangieren Spanien, Griechenland, Portugal und Italien. Insgesamt wurde die Niederlanden, Österreich und Estland für die wirksamste Umsetzung der Lissabon-Strategie ausgezeichnet. Griechenland und Italien waren am wenigsten effizient. Wie wirkt sich nun eine führende Position bei der Lissabon-Umsetzung auf die Produktivität und Beschäftigung aus?

    4.6

    Beim Pro-Kopf-BIP-Vergleich liegen Luxemburg und Norwegen vor den USA. Mit maximal 20 % Rückstand auf die USA folgen Irland* (mit einem überragenden Ergebnis), die Niederlande*, Österreich*, Schweden*, Dänemark*, Belgien und — ganz knapp — das Vereinigte Königreich* und Finnland*. Von den Nicht-EU-Ländern liegen Island, die Schweiz und Japan innerhalb dieses Rückstands von 20 % auf die USA. Von den neuen Mitgliedstaaten kommen Zypern und Slowenien* dem EU-27-Durchschnitt am nächsten, während Estland die eindrucksvollsten Fortschritte verzeichnet, gefolgt von Lettland, Litauen, Ungarn und der Slowakei.

    4.7

    Auf der Ebene der Beschäftigung gibt es viele Parallelen zur Situation hinsichtlich des BIP. Die Beschäftigungsquote in den USA liegt bei knapp über 70 %. Für alle in der Tabelle aufgeführten Nicht-EU-Länder einschließlich Japan und alle drei nicht der Eurozone angehörenden Länder (Dänemark*, Schweden*, Vereinigtes Königreich*) wird ein Beschäftigungsniveau von über 70 % ausgewiesen. In der Eurozone verzeichnen lediglich die Niederlande* und Österreich* eine Beschäftigungsquote von über 70 %, Irland* und Finnland* sind nicht weit von dieser Schwelle entfernt. Bei den neuen Mitgliedstaaten führen Zypern und Estland* mit Beschäftigungsquoten von nahezu 70 %.

    4.8

    Die Arbeitslosigkeit liegt in den USA bei 4,6 %. Irland*, die Niederlande*, Österreich*, Dänemark*, Zypern und Litauen weisen hier bessere Ziffern auf als die USA, ebenso Norwegen. Luxemburg, das Vereinigte Königreich*, Tschechien, Estland* und Slowenien* liegen innerhalb von einem Prozentpunkt Abstand hinter den USA. Schweden*, Lettland und Malta folgen mit maximal zwei Prozentpunkten Rückstand auf die USA.

    4.9

    Aus dieser Analyse ergibt sich die Notwendigkeit einer näheren Untersuchung der Maßnahmen und Entwicklungen in den auf der Lisbon Scorecard führenden Ländern Dänemark*, Schweden*, Österreich*, Niederlande*, Finnland*, Irland* und Vereinigtes Königreich* und den führenden neuen Mitgliedstaaten Estland* und Slowenien*. Für die Zwecke dieser Stellungnahme wurden daher all diese Länder in eine Beobachtungsliste aufgenommen und mit einem Sternchen gekennzeichnet. Es soll untersucht werden, inwieweit Maßnahmen in den Bereichen Wissen, Wettbewerb, Innovation und öffentliche Finanzen zum relativen Erfolg dieser Länder beigetragen haben. Demgegenüber werden Spanien, Griechenland, Portugal und Italien in einer sog. Kontrollgruppe zusammengefasst und die Maßnahmen dieser Länder ebenfalls beobachtet. Überdies ist es für die EU von großer Bedeutung, welche Maßnahmen und Initiativen die großen Volkswirtschaften Frankreich und Deutschland in diesen Bereichen ergreifen. In beiden Ländern ist die Politik in entgegengesetzte Lager gespalten, was Reformen erschwert hat, obgleich sich mittlerweile erste Ergebnisse einstellen.

    5.   Investitionen in Wissen

    5.1

    Das OECD-Programm zur internationalen Schülerbewertung heißt PISA. Tabelle 3 enthält auszugsweise Ergebnisse der 2006 durchgeführten Untersuchung der Fähigkeiten Fünfzehnjähriger in den Bereichen Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften in den OECD-Ländern und anderen Staaten.

    5.2

    Neben Korea, Japan und der Schweiz bekamen folgende Länder in allen drei Bereichen die Note „A“: Finnland* (der eindeutige Sieger), die Niederlande*, Belgien und Estland*. Länder mit der Note „A“ in zwei Bereichen: Tschechien, Österreich*, Slowenien* und Irland*. Länder mit einem „A“ in einem der drei Bereiche sind Dänemark*, Schweden* und das Vereinigte Königreich*, Deutschland und Polen. Deutschland und das Vereinigte Königreich bekommen ihre Note „A“ im Bereich Naturwissenschaften. Das Vereinigte Königreich* hat nach Slowenien* und Finnland* das drittbeste Ergebnis bei den naturwissenschaftlichen Kompetenzen im Niveau 6. Alle Länder, die auf der Beobachtungsliste stehen, haben „A“-Noten erhalten. Die Länder aus der Kontrollgruppe dagegen rangieren zusammen mit den USA am Ende der Rangliste.

    5.3

    Da die Leistungsfähigkeit der Bildungssysteme und der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten offenbar eng zusammenhängen, hat die Kommission — nach Ansicht des EWSA zu Recht — die Qualität der Bildung zu einer für die EU vorrangigen Aufgabe erklärt.

    5.4

    Die Jiao-Tong-Universität in Shanghai hat ein Verfahren für die Aufstellung einer Rangfolge von Universitäten entwickelt. Es gibt zwar auch andere Verfahren zur Einstufung von Universitäten, doch die Methode der Jiao-Tong-Universität entspricht der Schwerpunktsetzung der EU auf die Bereiche Wissenschaft und Forschung.

    5.5

    Die nach den PISA-Kriterien gemessene Leistungsfähigkeit des Schulsystems in den USA ist äußerst mittelmäßig. Auf dem Niveau der Hochschulbildung jedoch behalten die USA ihren Wettbewerbsvorteil. Tabelle 4 gibt auszugsweise die von der Jiao-Tong-Universität aufgestellte Rangliste wieder. Unter den 20 Spitzenuniversitäten gibt es 17 amerikanische, zwei britische und eine japanische Universität. Das Vereinigte Königreich hat 10 Einträge auf der Rangliste der 100 besten Universitäten und steht auf der Beobachtungsliste. Ebenfalls in diesem Ranking vertreten sind die Nicht-EU-Länder Japan (6 Einträge), Kanada (4), Australien (2), die Schweiz (3), Norwegen (1) und Israel (1). Fünf Länder von der Beobachtungsliste erscheinen auf der Rangliste der 100 besten Universitäten: Vereinigtes Königreich*, die Niederlande* (2), Dänemark* (1), Schweden* (4) und Finnland* (1). Aus der Kontrollgruppe ist kein Land vertreten. Es ist an der Zeit, dass Bologna, Salamanca und Coimbra wieder an ihre Blütezeiten anknüpfen. Darüber hinaus gibt es in dieser Rangliste sechs Einträge für Deutschland und vier für Frankreich.

    5.6

    Neben dem Vereinigten Königreich stehen gerade sechs EU-Länder auf der Liste der 100 besten Universitäten, das heißt 20 Mitgliedstaaten sind in diesem Ranking überhaupt nicht vertreten. Die Politik der Kommission zielt offenbar darauf ab, diese Lücke mit dem Europäischen Technologieinstitut zu schließen. Obgleich der EWSA dieses Projekt unterstützt, ist nicht erkennbar, wie es gedeihen kann, ohne die Präsenz von EU-Ländern auf der Liste der 100 besten Universitäten zu schwächen. Die Alternative wäre, dass die Mitgliedstaaten ihre Strategien zur Entwicklung ihrer Spitzenuniversitäten überprüfen und überarbeiten. Am dringendsten gebraucht wird eine engere Partnerschaft zwischen Universität und Wirtschaft, um Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten so zu entwickeln, dass die Wissenschaft und Technik des 21. Jahrhunderts für mehr Wohlstand und Beschäftigung genutzt werden können.

    5.7

    Eine weitere Messgröße für Hochschulbildung der Mitgliedstaaten ist die von Eurostat erhobene Anzahl der Hochschulabsolventen in naturwissenschaftlichen und technischen Studien pro 1 000 Einwohner in der Altersgruppe 20 bis 29. Die Zahl liegt in den USA bei 10,6. Die Mitgliedstaaten mit maximal einem Prozentpunkt Rückstand auf die USA sind Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien, Lettland, Österreich*, Polen, Rumänien, Slowenien* und die Slowakei. Mitgliedstaaten mit einem weitaus höheren Ergebnis sind Dänemark* (14,7), Irland* (24,5), Frankreich (22,5), Litauen* (18,9), Finnland* (17,7), Schweden* (14,4) und das Vereinigte Königreich* (18,4). Alle mit einem Sternchen (*) gekennzeichneten Länder stehen auf der Beobachtungsliste. Italien und Griechenland sind die einzigen Länder aus der Kontrollgruppe, die in diesem Bereich punkten. Die Ausbildung von mehr Absolventen in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern muss ein Schwerpunkt für die sekundäre Schulbildung und die Hochschulbildung der Mitgliedstaaten sein.

    5.8

    Eines der Lissabon-Ziele lautet, die FuE-Ausgaben in der EU auf 3 % des BIP anzuheben. 2 % sollten dabei aus der Privatwirtschaft kommen. Zwei Länder von der Beobachtungsliste — Schweden* und Finnland* — gaben mehr als 3 % ihres BIP für FuE aus. Zwei weitere auf dieser Liste stehende Länder, nämlich Dänemark* und Österreich*, gaben zwischen 2 % und 3 % aus; in dieser Größenordnung lagen auch die FuE-Ausgaben von Deutschland und Frankreich. Die Länder, die zwischen 1 % und 2 % für FuE ausgaben, sind Belgien, Tschechien, Estland*, Irland*, die Niederlande*, Slowenien* und das Vereinigte Königreich* und stehen zumeist auf der Beobachtungsliste. Mit Ausnahme von Ungarn und Italien (beide 1 %) beliefen sich die FuE-Ausgaben in allen anderen Mitgliedstaaten — davon Italien und Spanien aus der Kontrollgruppe — auf weniger als 1 % des BIP. Um diese Lücke zu schließen, kann von den Regierungen durchaus ein Beitrag zu den FuE-Ausgaben in Höhe von 1 % des PIB erwartet werden. Im Idealfall sollten diese Gelder in Universitäten und Forschungseinrichtungen fließen, um deren Renommee und globale Präsenz in Wissenschaftskreisen zu verbessern. Gegenwärtig geben die Regierungen der EU-15 zwischen 0,30 % und 0,40 % für FuE aus, während sich dieser Anteil in den neuen Mitgliedstaaten auf 0,50 % bis 0,60 % beläuft. Es könnte und sollte hier mehr getan werden, nicht zuletzt im Hinblick auf die notwendige wissenschaftliche Entwicklung bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Umweltverschmutzung.

    5.9

    Zur Frage von Steuervergünstigungen für die Privatwirtschaft im Zusammenhang mit Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten hat der EWSA der Kommission bereits seine Stellungnahme vorgelegt (7). Davon ausgehend sollten alle Mitgliedstaaten beispielhafte Verfahren übernehmen und steuerliche Anreize für privatwirtschaftliche FuE-Investitionen insbesondere durch KMU einführen.

    5.10

    Zwischen Bildung, Forschung, Innovation, technischem Wissen und Beschäftigungstrends gibt es eine Art Kreislauf. In einem positiven Kreislauf ziehen die Wissens- und Ausbildungsbasis eines Landes Investitionen von außen, Wissentransfer und Einwanderer an. Ohne diese Basis sind Fachkräfte versucht, nach einem anderen Wissensumfeld zu suchen, in dem ihre Fähigkeiten hoch im Kurs stehen. Das kann zu einem negativen Kreislauf mit Auswanderung und Braindrain führen.

    5.11

    Die Schlussfolgerungen für Maßnahmen auf dem Gebiet der Forschung und Bildung lauten, dass viele Mitgliedstaaten ihre Systeme weiterführender Schulen und Hochschulen modernisieren und mehr für FuE ausgeben sollten. Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Wirksamkeit von Maßnahmen auf diesem Gebiet und der Beschäftigung und Produktivität, was sowohl die Beobachtungsliste als auch die Kontrollgruppe gezeigt haben.

    6.   Wettbewerbsfähigkeit und Innovation

    6.1

    In der Mitteilung der Kommission werden drei Maßnahmenbereiche zur Förderung des Wettbewerbs genannt. Dabei handelt es sich um die Liberalisierung und Regulierung der netzgebundenen Wirtschaftszweige, die Wettbewerbspolitik und die Nutzung der Vorteile des Binnenmarkts.

    6.2

    Zu den Vorteilen des Binnenmarkts gehören die Förderung der Innovation (die Unternehmen sind in stärkerem Maße dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt), Skalenerträge bei Produktion, Vertrieb und Marketing (größerer Markt) und der Technologietransfer (größere Offenheit gegenüber ausländischen Investitionen).

    6.3

    Die EU-Mitgliedstaaten sind nicht in gleicher Weise für ausländische Direktinvestitionen attraktiv. Hinsichtlich des Technologietransfers, der Managementmethoden, der Marktpräsenz und der Kapitalinvestitionen wird das für Mitgliedstaaten, die keinen ausländischen Direktinvestitionen erhalten haben, ein Nachteil sein. Von der Firma Ernst & Young erhobene Daten über die ausländischen Direktinvestitionen im Zeitraum 1997-2006 zeigen folgende Rangfolge der Empfänger dieser Investitionen nach der Anzahl der Projekte:

    Vereinigtes Königreich

    5539

    Frankreich

    3867

    Deutschland

    1818

    Spanien

    1315

    Belgien

    1190

    Polen

    1046

    Ungarn

    1026

    Irland

    884

    Tschechien

    849

    Russland

    843

    6.4

    Ausländische Direktinvestitionen waren auch von größter Bedeutung für das Wirtschaftswachstum in den neuen Mitgliedstaaten. Da die neuen Mitgliedstaaten immer stärker mit anderen Ländern der Welt (u.a. Indien und China) um ausländische Direktinvestitionen konkurrieren, müssen sie die wissensbasierte Wirtschaft übernehmen, um Wachstum und Beschäftigung zu sichern. Asiatische Länder stechen bei den PISA-Tests hervor und bilden an ihren Universitäten hunderttausende Absolventen mit Hochschulabschlüssen und Master-Abschlüssen in naturwissenschaftlichen und technischen Studien aus.

    6.5

    Die Liberalisierung und Regulierung der netzgebundenen Wirtschaftszweige kann erheblich zur Einsparung von Kosten und zur Verbesserung der Produktivität in der gesamten Wirtschaft beitragen. Dieser Maßnahmenbereich unterteilt sich in drei Phasen: zunächst Privatisierung, dann Regulierung, damit neue Mitbewerber die etablierten Unternehmen herausfordern können, und schließlich Trennung des Eigentums am Trägernetz von den Netzdienstleistungen. In ihrem Bericht über die Fortschritte bei der Schaffung des Erdgas- und Elektrizitätsbinnenmarktes  (8) nennt die Kommission den Wechsel des Versorgers durch den Kunden als Maßnahme für einen wirksamen Wettbewerb. Die folgende Tabelle veranschaulicht dies:

    Versorgerwechsel in %

     

     

    Strom

    Gas

    Deutschland

    Großunternehmen

    41

     (9)

     

    KMU

    7

     (9)

     

    Private Haushalte

    5

     (9)

    Frankreich

    Großunternehmen

    15

    14

     

    Private Haushalte

    0

    0

    Spanien

    Großunternehmen

    25

    60

     

    KMU

    22

    60

     

    Private Haushalte

    19

    2

    Ver. Königreich

    Großunternehmen

    50+

    85+

     

    KMU

    50+

    75+

     

    Private Haushalte

    48

    47

    Der Wettbewerb ist in einigen Ländern von der Beobachtungsliste am stärksten ausgeprägt, obgleich hier auch Italien und Spanien Fortschritte gemacht haben.

    6.6

    Bei der Umsetzung der Wettbewerbspolitik sollen Effizienz und Produktivität zum Vorteil des Verbrauchers gefördert werden. Diese Politik steht nachhaltig im Einklang mit dem Interessenausgleich, den der EWSA zwischen seinen einzelnen Interessengruppen anstrebt.

    6.7

    In der Mitteilung wird abschließend festgestellt, dass der Wettbewerb sowohl für das Produktivitätsniveau als auch das Produktivitätswachstum eine zentrale Rolle spielt. Es ist auffällig, dass die Länder auf der Beobachtungsliste die Volkswirtschaften mit der größten Offenheit in der EU sind. Sie verzeichnen die höchste Produktivität, die höchsten Beschäftigungsquoten und die größte Fähigkeit zur Aufnahme von Arbeitsmigranten. Mitgliedstaaten, die aus Angst vor dem Wettbewerb versuchen, einen Wall um ihre Volkswirtschaften zu errichten, sind auf dem falschen Weg.

    7.   Maßnahmen zur Umschichtung von Ressourcen (Reallokation)

    7.1

    Unter Reallokation versteht die Kommission die Umschichtung von Produktionsfaktoren aus niedergehenden Branchen und Sektoren in aufstrebende und florierende Wirtschaftszweige.

    7.2

    Die Kernaussage der Mitteilung lautet, dass insofern das Wirtschaftswachstum auf der Weiterentwicklung der Spitzentechnologien beruht, die Wirtschaft einem Strukturwandel ausgesetzt sein wird. Neue Spitzentechnologiebranchen können Marktanteile von schrumpfenden Branchen erobern. Neue Unternehmen können zu wichtigen Akteuren werden und etablierte Firmen können sich zu Anpassungen gezwungen sehen oder ganz vom Markt verdrängt werden.

    7.3

    Da aber die Wirtschaft auf jeden Fall einem Strukturwandel ausgesetzt sein wird, ist ihre Anpassungsfähigkeit von zentraler Bedeutung, um möglichst umfassend vom technischen Wandel und der Mobilität der Wissensbasis zu profitieren. Nach Ansicht der Kommission sind die Mitgliedstaaten nur begrenzt in der Lage, die notwendigen Anpassungen vorzunehmen, was mit der von Institutionen und Rechtsvorschriften vorgegebenen geringen Arbeitsmarktflexibilität zusammenhängt.

    7.4

    In der Mitteilung werden vier zentrale Politikmaßnahmen für eine bessere Ressourcenreallokation vorgeschlagen: Erleichterung des Marktzugangs, Verringerung des Verwaltungsaufwands, Arbeitsmarktregulierung und Finanzmarktintegration.

    7.5

    Maßnahmen zur Erleichterung des Marktzugangs beinhalten eine Reihe von Initiativen, zu denen der EWSA bereits Stellungnahmen abgegeben hat. Dazu gehören die Verringerung des Verwaltungsaufwands bei Unternehmensgründungen, eine Reihe von Fördermaßnahmen für KMU-Neugründungen und Änderungen in den Rechtsvorschriften über Insolvenzen. Der Zugang zu Kapital und wettbewerbspolitische Maßnahmen zur Gewährleistung stärker umkämpfter Märkte sind wichtige Bestandteile jeder auf Unternehmensneugründungen basierenden Reallokationsstrategie.

    7.6

    Verwaltungskosten betreffen große wie kleine Unternehmen, doch für kleinere Firmen ist diese Belastung aufgrund ihrer geringen Größe viel erheblicher. Der Abbau des Verwaltungsaufwands ist eines der fünf Hauptziele auf der EU-Agenda, doch ist, wie in der Mitteilung eingeräumt wird, die Reduzierung von Rechtsvorschriften und Verwaltungsaufwand schwierig, da die meisten dieser Maßnahmen aus besonderen Gründen eingeführt wurden. Sie dienten dazu, Marktversagen zu korrigieren, Marktteilnehmer zu schützen oder politische Entscheidungsträger mit Informationen zu versorgen (10). Viele Interessengruppen in der EU würden argumentieren, dass der durch diese Rechtsvorschriften getragene Sozialschutz ein Kernelement des Aquis ist. Dennoch schlagen sich diese Vorschriften insgesamt in einem erheblichen finanziellen Aufwand nieder.

    7.7

    Diese Kosten können sich laut der britischen Taskforce „Bessere Rechtsetzung“ auf bis zu 3 % bis 4 % des Bruttoinlandsprodukts (11) belaufen, was vom niederländischen Central Planning Bureau (CPB) bestätigt wurde. Nach Schätzungen würde sich eine Verringerung der Verwaltungskosten in der EU um 25 % unmittelbar in einem Wachstum des realen BIP um 1 % niederschlagen. Die langfristigen Auswirkungen wären sogar noch stärker. Eine Verminderung dieser Kostenlast wäre sehr zu wünschen, doch deutet bisher nichts darauf hin, dass solche Bestrebungen von Erfolg gekrönt sein werden. Die EU ist auf der Ebene ihrer Institutionen zu stark auf ein mögliches Marktversagen fixiert, weshalb solche Verbesserungen eher unwahrscheinlich sind. Zudem ist es dem EWSA ein Anliegen, den Marktteilnehmern den größtmöglichen Schutz zu gewähren, weshalb er eine wesentliche Reduzierung des Verwaltungsaufwands wahrscheinlich nicht unterstützen würde.

    7.8

    Die Arbeitsmarktstrukturen haben einen großen Einfluss auf die Umschichtung der Arbeitskräfte. Marktreformen schlagen bei flexiblen Arbeitsmärkten stärker auf die Produktivität und Beschäftigung durch. Auch wenn es keine verlässlichen Untersuchungen der Arbeitsmarktflexibilität gibt, ist das Beschäftigungsniveau in den einzelnen Ländern der Beobachtungsliste sicher ein Maßstab für den Erfolg ihrer arbeitsmarktpolitischen Vorschriften bei der Bewältigung des Wandels.

    7.9

    Die in der EU bestehenden Beschäftigungsschutzvorschriften sind verständlicherweise umstritten. Anstatt den Kündigungsschutz bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen zu ändern, haben viele Mitgliedstaaten parallel dazu befristete Arbeitsverträge eingeführt. Auf diese befristeten Arbeitsverträge ist ein Großteil des in Ziffer 4 angesprochenen Beschäftigungswachstums zurückzuführen. Auch wenn die Daten den tatsächlichen Anteil an Vollzeitbeschäftigten nicht erkennen lassen, ist der Umfang des Beschäftigungswachstums ermutigend, und die strukturelle Arbeitslosigkeit ist im Rückgang.

    7.10

    Natürlich ist es notwendig, Unternehmensschließungen abzufedern, wenn die arbeitsrechtlichen Bestimmungen flexibel genug sind, um eine optimale Ressourcen-Reallokation zu erzielen. Daher sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, gleichzeitig flankierende Maßnahmen einzuführen. Flexicurity-Systemen kommt bei diesem Prozess entscheidende Bedeutung zu. Es müssen Ressourcen bereit gestellt werden, damit durch lebenslanges Lernen die Anpassungs- und Beschäftigungsfähigkeit verbessert werden kann und die sozialen Sicherungssysteme Anreize für die Teilnahme am Erwerbsleben bieten und die Umschichtung von Arbeitskräften fördern können, während arbeitsmarktpolitische Maßnahmen den Menschen helfen sollten, die mit dem Übergang zu einer neuen, sicheren Beschäftigung verbundenen Probleme des Wandels und der Arbeitslosigkeit zu bewältigen. Solche Maßnahmen sind bei gelockerten Beschäftigungsschutzbestimmungen unbedingt erforderlich.

    7.11

    Finanzmarktintegration ist die letzte Reallokationsmaßnahme. Das fragmentierte Finanzsystem in der EU könnte man als eine Produktivitäts- und Beschäftigungsbremse sehen, insbesondere für Unternehmensneugründungen. Abhilfe sollen hier die neuen Richtlinien über Finanzdienstleistungen schaffen. Zeitgleich mit dieser Stellungnahme arbeitet der EWSA an einer Stellungnahme über grenzüberschreitende Investitionen von Risikokapitalfonds (12). Die Bedeutung eines effizienten Finanzsystems für den Strukturwandel wird vor allem bei der Finanzierung von Unternehmensneugründungen deutlich.

    8.   Verbesserung der öffentlichen Finanzen

    8.1

    In Tabelle 5 sind die Eurostat-Daten zu den öffentlichen Finanzen der Mitgliedstaaten aufgeführt. Die durchschnittliche Staatsverschuldung in der Eurozone-12 liegt bei 68,8 % des BIP und damit über dem WWU-Konvergenzziel von 60 % und auch über den Durchschnittswerten der EU-15 (63 %) und der EU-25 (61,9 %). Im Allgemeinen liegt die Staatsverschuldung in den Ländern auf der Beobachtungsliste unter 50 % des BIP, in vielen Fällen sogar weit darunter. Eine Ausnahme bildet Österreich* (61,7 %). Zudem haben alle Länder auf der Beobachtungsliste ihre Staatsverschuldung im Zeitraum von 1999 bis 2006 abgebaut. Ein besonders bemerkenswerter Abbau der Verschuldung wurde in Irland*, den Niederlanden* und Schweden* erreicht. Von den Ländern der Kontrollgruppe weist nur Spanien eine Staatsverschuldung von unter 50 % BIP auf, nachdem das Land seine Schulden in diesem Zeitraum drastisch abbauen konnte. Schlusslichter sind Italien (106,8 %) und Griechenland (95,3 %).

    8.2

    Bezüglich der Haushaltsbilanz in der EU-15 konnten Belgien, Irland*, Spanien, Luxemburg, die Niederlande*, Finnland*, Dänemark* und Schweden* auf positive Haushaltssalden verweisen. Die übrigen Länder hatten um bis zu 3 % defizitäre Haushalte, nur in Italien (-4.4 %) und Portugal (-3.9 %) war das Defizit noch höher. Von den neuen Mitgliedstaaten konnten Bulgarien und Estland* positive Haushaltssalden vorweisen, während Ungarn, Polen und die Slowakei Haushaltsdefizite von über 3 % verzeichneten. Mit einem geringen Defizit von 1,2 % heben sich Zypern und Slowenien* ab. Von den Ländern auf der Beobachtungsliste ist das Vereinigte Königreich mit einem Defizit von 2,7 % von seinem Kurs abgekommen. Das Land hat es versäumt, in den Jahren günstiger Wirtschaftskonjunktur den Haushalt auszugleichen, so dass sein Platz in der Spitzengruppe jetzt gefährdet ist. Von den Ländern der Kontrollgruppe sticht vor allem das Ergebnis Spaniens positiv hervor, während Italien und Portugal ihre allgemein schlechten Platzierungen bestätigen.

    8.3

    In seinen jährlichen Stellungnahmen zur Wirtschaft in der EU hat der EWSA für solide öffentliche Finanzen plädiert. Die diesbezüglichen Ergebnisse der Länder der Beobachtungsliste und der Kontrollgruppe zeigen, dass solide öffentliche Finanzen ein wichtiger Faktor für die Beschäftigung und Produktivität in den Mitgliedstaaten sind.

    8.4

    Bei der Untersuchung der Ergebnisse, die in den Ländern der Beobachtungsliste und der Kontrollgruppe diesbezüglich erreicht wurden, stellt sich die Frage der Auswirkung der Besteuerung. Der Eurostat-Bericht über die Besteuerung in der EU im Jahr 2005 weist einen durchschnittlichen Steuersatz (in Prozent vom BIP) in Höhe von 39,6 % in der EU-27 aus. Das sind ungefähr dreizehn Prozentpunkte mehr als der Steuersatz in den USA und Japan. Von allen der OECD angehörenden Drittländern hat nur Neuseeland einen effektiven Steuersatz von über 35 %. Nach früheren Versuchen der Mitgliedstaaten, die Steuerlast zu verringern, geht der Trend jetzt wieder in die andere Richtung, wobei der durchschnittliche Steuersatz das Niveau von 1995 erreicht hat.

    8.5

    Schweden*, Dänemark* und Finnland* gehören neben Belgien und Frankreich zu den fünf Ländern mit der höchsten Steuerlast. Österreich* und Slowenien* sowie Italien befinden sich in der Gruppe der fünf darauf folgenden Länder. Die Niederlande* und das Vereinigte Königreich* liegen auf Platz 12 bzw. 13. Nur Estland* (Rang 22) und Irland* (Rang 23) erfreuen sich eines relativ geringen Steuerdrucks. Von den Ländern aus der Kontrollgruppe ist Italien mit einer Steuerlast zu nennen, die geringer oder ebenso hoch ist wie die von fünf Ländern auf der Beobachtungsliste. Die Steuerlast in Spanien, Portugal und Griechenland liegt unter der sämtlicher Länder auf der Beobachtungsliste, ausgenommen Irland und Estland. Es lässt sich nicht wirklich behaupten, die Länder der Kontrollgruppe hätten eine zu hohe Steuerlast.

    8.6

    Die EU verzeichnet eine höhere Besteuerung als die mit ihr konkurrierenden Wirtschaftsräume. In einigen Mitgliedstaaten wird der steuerpolitische Kurs stark durch die Höhe der Aufwendungen für den Sozialschutz beeinflusst. Aus einer reinen EU-Perspektive kann wohl kaum für Steuersenkungen argumentiert werden, solange die führenden Volkswirtschaften der EU die höchsten Steuersätze haben. Aus einer globalen Perspektive muss jedoch gesagt werden, dass konkurrierende Wirtschaftsräume ein niedrigeres Steuerniveau haben, und wahrscheinlich trägt dies zu dem hohen Maß an Innovation und Unternehmungsgeist in diesen Ländern bei.

    Brüssel, den 18. September 2008

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  Centre for European Reform: The Lisbon Scorecard VIII, Is Europe ready for an economic storm? (Februar 2008).

    (2)  Die mit einem Sternchen (*) gekennzeichneten Mitgliedstaaten wurden wie in Ziffer 4.9 erläutert auf eine Beobachtungsliste der Länder mit den besten Ergebnissen gesetzt.

    (3)  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer ZusammenhaltFür ein Europa der Innovation und des Wissens (Gipfel von Lissabon — März 2000), ABl. C 117 vom 26.4.2000, S. 62, Ziffer 2.16.

    (4)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die „Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Economic Governance — Bedingungen für eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitiken in Europa“; ABl. C 324 vom 30.12.2006, S. 49.

    (5)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Grundzüge der Wirtschaftspolitik (2005-2008)“; ABl C 88 vom 11.4.2006, S. 76.

    (6)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003-2005“, ABl. C 80 vom 30.3.2004, S.120.

    (7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Wege zu einer wirksameren steuerlichen Förderung von FuE“, ABl. C 10 vom 15.1.2008, S. 83.

    (8)  Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament: Bericht über die Fortschritte bei der Schaffung des Erdgas- und Elektrizitätsbinnenmarktes — KOM(2005) 568 endg. vom 15.11.2005.

    (9)  Keine Daten zum Gasmarkt in Deutschland verfügbar.

    (10)  Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007 — Die Produktivitätsgrenze Europas verschieben, Europäische Kommission, Generaldirektion Wirtschaftliche und finanzielle Angelegenheiten; S. 136.

    (11)  Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2007 — Die Produktivitätsgrenze Europas verschieben, Europäische Kommission, Generaldirektion Wirtschaftliche und finanzielle Angelegenheiten; S. 137.

    (12)  Abbau von Hindernissen für grenzüberschreitende Investitionen von Risikokapitalfond (INT/404).


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