Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62022CJ0109

    Urteil des Gerichtshofs (Sechste Kammer) vom 14. Dezember 2023.
    Europäische Kommission gegen Rumänien.
    Umwelt – Richtlinie 1999/31/EG – Abfalldeponien – Verpflichtung zur Stilllegung von Deponien, die nicht die erforderliche Zulassung erhalten haben – Stilllegungsverfahren – Urteil des Gerichtshofs, mit dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird – Nichtdurchführung – Art. 260 Abs. 2 AEUV – Finanzielle Sanktionen – Zwangsgeld – Pauschalbetrag.
    Rechtssache C-109/22.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:991

     URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

    14. Dezember 2023 ( *1 )

    „Umwelt – Richtlinie 1999/31/EG – Abfalldeponien – Verpflichtung zur Stilllegung von Deponien, die nicht die erforderliche Zulassung erhalten haben – Stilllegungsverfahren – Urteil des Gerichtshofs, mit dem eine Vertragsverletzung festgestellt wird – Nichtdurchführung – Art. 260 Abs. 2 AEUV – Finanzielle Sanktionen – Zwangsgeld – Pauschalbetrag“

    In der Rechtssache C‑109/22

    betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 260 Abs. 2 AEUV, eingelegt am 15. Februar 2022,

    Europäische Kommission, vertreten durch L. Nicolae und E. Sanfrutos Cano als Bevollmächtigte,

    Klägerin,

    gegen

    Rumänien, vertreten durch L.‑E. Baţagoi, E. Gane, O.‑C. Ichim und L. Liţu als Bevollmächtigte,

    Beklagter,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), des Richters P. G. Xuereb und der Richterin I. Ziemele,

    Generalanwältin: J. Kokott,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Mit ihrer Klage beantragt die Europäische Kommission,

    festzustellen, dass Rumänien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 1 AEUV verstoßen hat, dass es nicht alle Maßnahmen ergriffen hat, die erforderlich sind, um dem Urteil vom 18. Oktober 2018, Kommission/Rumänien (C‑301/17, im Folgenden: Urteil Kommission/Rumänien, EU:C:2018:846), nachzukommen,

    gegen Rumänien gemäß Art. 260 Abs. 2 AEUV wegen Verstoßes gegen die Verpflichtung, die sich aus dem Urteil Kommission/Rumänien ergebenden Maßnahmen zu ergreifen, ein Zwangsgeld in Höhe von 29781,30 Euro für jeden Tag des Verzugs ab dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache und bis zum Erlass aller sich aus dem Urteil Kommission/Rumänien ergebenden Maßnahmen zu verhängen,

    Rumänien gemäß Art. 260 Abs. 2 AEUV zur Zahlung eines Pauschalbetrags auf der Grundlage eines Tagessatzes von 3311,50 Euro, multipliziert mit der Zahl der Tage, die vom Tag nach der Verkündung des Urteils Kommission/Rumänien bis zu dem Tag verstrichen sein werden, an dem Rumänien alle sich aus diesem Urteil ergebenden Maßnahmen getroffen haben wird, oder, falls dies nicht eintritt, bis zum Tag der Verkündung des Urteils des Gerichtshofs in der vorliegenden Rechtssache, zu verurteilen, sofern der Mindestpauschalbetrag von 1643000 Euro überschritten wird, und

    Rumänien die Kosten aufzuerlegen.

    Rechtlicher Rahmen

    Richtlinie 1999/31/EG

    2

    Gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 1999/31/EG des Rates vom 26. April 1999 über Abfalldeponien (ABl. 1999, L 182, S. 1) ist es Ziel dieser Richtlinie, durch die Festlegung strenger betriebsbezogener und technischer Anforderungen in Bezug auf Abfalldeponien und Abfälle Maßnahmen, Verfahren und Leitlinien vorzusehen, mit denen während des gesamten Bestehens der Deponie negative Auswirkungen der Ablagerung von Abfällen auf die Umwelt, insbesondere die Verschmutzung von Oberflächenwasser, Grundwasser, Boden und Luft, und auf die globale Umwelt, einschließlich des Treibhauseffekts, sowie alle damit verbundenen Risiken für die menschliche Gesundheit weitestmöglich vermieden oder vermindert werden.

    3

    Art. 2 Buchst. g der Richtlinie bestimmt:

    „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff

    g)

    ‚Deponie‘ eine Abfallbeseitigungsanlage für die Ablagerung von Abfällen oberhalb oder unterhalb der Erdoberfläche (d. h. unter Tage), einschließlich

    betriebsinterner Abfallbeseitigungsanlagen für die Ablagerung der Abfälle (d. h. Deponien, in denen ein Abfallerzeuger selbst die Abfallbeseitigung am Erzeugungsort vornimmt)

    und

    einer auf Dauer angelegten (d. h. für länger als ein Jahr eingerichteten) Anlage, die für die vorübergehende Lagerung von Abfall genutzt wird,

    jedoch ausgenommen

    Anlagen, in denen Abfälle abgeladen werden, damit sie für den Weitertransport zur Verwertung, Behandlung oder Beseitigung an einem anderen Ort vorbereitet werden können,

    sowie

    die in der Regel auf eine Dauer von weniger als drei Jahren begrenzte Lagerung von Abfällen vor der Verwertung oder Behandlung

    oder

    die auf eine Dauer von weniger als einem Jahr begrenzte Lagerung von Abfällen vor der Beseitigung“.

    4

    Art. 8 der Richtlinie legt die Voraussetzungen für die Genehmigung einer Deponie fest. Art. 13 der Richtlinie regelt das Stilllegungs- und Nachsorgeverfahren.

    5

    In Art. 14 („Vorhandene Deponien“) der Richtlinie heißt es:

    „Die Mitgliedstaaten ergreifen Maßnahmen, die sicherstellen, dass Deponien, die zum Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie über eine Zulassung verfügen oder in Betrieb sind, nur dann weiterbetrieben werden können, wenn so bald wie möglich und spätestens binnen acht Jahren nach dem in Artikel 18 Absatz 1 genannten Zeitpunkt nachstehende Schritte durchgeführt werden:

    b)

    Nach Vorlage des Nachrüstprogramms trifft die zuständige Behörde eine endgültige Entscheidung auf der Grundlage des Nachrüstprogramms und der Bestimmungen dieser Richtlinie darüber, ob der Betrieb fortgesetzt werden kann. Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, damit Deponien, die keine Zulassung nach Artikel 8 für den Weiterbetrieb erhalten haben, gemäß Artikel 7 Buchstabe g) und Artikel 13 so bald wie möglich stillgelegt werden.

    c)

    Auf der Grundlage des autorisierten Nachrüstprogramms genehmigt die zuständige Behörde die notwendigen Arbeiten und legt eine Übergangsfrist für die Durchführung dieses Programms fest. Alle vorhandenen Deponien müssen binnen acht Jahren nach dem in Artikel 18 Absatz 1 genannten Zeitpunkt die Anforderungen dieser Richtlinie mit Ausnahme der Anforderungen in Anhang I Nummer 1 erfüllen.

    …“

    6

    Art. 18 („Umsetzung“) Abs. 1 der Richtlinie 1999/31 sieht vor:

    „Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten nachzukommen. Sie setzen die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis.

    …“

    7

    Art. 19 („Inkrafttreten“) der Richtlinie lautet:

    „Diese Richtlinie tritt am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft.“

    Beitrittsakte von 2005

    8

    Gemäß Art. 52 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Bulgarischen Republik und Rumäniens und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ABl. 2005, L 157, S. 203) „[gelten] [d]ie Richtlinien und Entscheidungen im Sinne des Artikels 249 des EG-Vertrags und des Artikels 161 des EAG-Vertrags … vom Tag des Beitritts an als an … Rumänien gerichtet, sofern diese Richtlinien und Entscheidungen an alle derzeitigen Mitgliedstaaten gerichtet wurden.“

    9

    Nach Art. 53 Abs. 1 dieser Akte setzt Rumänien die erforderlichen Maßnahmen in Kraft, um den Richtlinien und Entscheidungen im Sinne des Art. 249 des EG‐Vertrags und des Art. 161 des EAG‐Vertrags am Tag seines Beitritts zur Union nachzukommen, sofern in dieser Akte nicht eine andere Frist vorgesehen ist.

    10

    Gemäß Anhang VII Abschnitt 9 Teil B Nr. 3 Buchst. a dieser Akte wurde für 101 in Rumänien bestehende kommunale Deponien bis zum 16. Juli 2017 eine Ausnahme von Art. 14 Buchst. c sowie von Anhang I Nrn. 2 bis 4 und 6 der Richtlinie 1999/31 vorgesehen.

    Urteil Kommission/Rumänien

    11

    Mit dem Urteil Kommission/Rumänien hat der Gerichtshof entschieden, dass Rumänien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 14 Buchst. b in Verbindung mit Art. 13 der Richtlinie 1999/31 verstoßen hat, dass es in Bezug auf die 68 von der Klage der Kommission erfassten Abfalldeponien seiner Verpflichtung nicht nachgekommen ist, alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, damit Standorte, die keine Zulassung für den Weiterbetrieb nach Art. 8 dieser Richtlinie erhalten haben, gemäß Art. 7 Buchst. g und Art. 13 dieser Richtlinie so bald wie möglich stillgelegt werden.

    Vorverfahren und Verfahren vor dem Gerichtshof

    12

    Nach der Verkündung des Urteils Kommission/Rumänien ersuchte die Kommission Rumänien mit Schreiben vom 25. Oktober 2018 um Informationen über die von ihm zur Durchführung dieses Urteils getroffenen Maßnahmen.

    13

    In seiner Antwort vom 14. Januar 2019 teilte Rumänien mit, dass nur 19 der 68 betroffenen Deponien stillgelegt worden seien.

    14

    Mit Schreiben vom 1. April 2019 forderte die Kommission Rumänien auf, ihr einen Zeitplan für die Stilllegung der 49 verbleibenden Deponien und für die entsprechenden Nachweise vorzulegen.

    15

    Mit Schreiben vom 28. Mai 2019 informierte Rumänien die Kommission über die Stilllegung einer weiteren Deponie. Mit Schreiben vom 9. Januar 2020 teilte Rumänien der Kommission mit, dass die Zahl der zu diesem Zeitpunkt nicht stillgelegten Deponien 48 betrage.

    16

    Am 14. Mai 2020 richtete die Kommission ein Aufforderungsschreiben gemäß Art. 260 AEUV an Rumänien. Darin führte sie aus, dass Rumänien nicht alle sich aus dem Urteil Kommission/Rumänien ergebenden Maßnahmen getroffen habe, da 48 der 68 von diesem Urteil betroffenen Deponien noch nicht im Sinne der Richtlinie 1999/31 stillgelegt worden seien. Sie forderte Rumänien zudem auf, innerhalb einer Frist von vier Monaten ab Zugang dieses Schreibens Stellung zu nehmen. Diese Frist wurde später bis zum 30. September 2020 verlängert.

    17

    Am 29. September 2020 antwortete Rumänien auf dieses Schreiben und berichtete über die Stilllegung einer weiteren Deponie. Des Weiteren übermittelte es der Kommission einen Zeitplan für die Erreichung der Übereinstimmung mit dieser Richtlinie, nach dem die Stilllegungsarbeiten für die meisten Deponien für gefährliche und nicht gefährliche Industrieabfälle im Dezember 2023 abgeschlossen werden sollten.

    18

    Im Anschluss an ein bilaterales Treffen am 8. Februar 2021, bei dem es um diesen Zeitplan ging, wurde die Kommission über die Stilllegung von drei weiteren Deponien informiert.

    19

    Mit Schreiben vom 20. August 2021 teilte Rumänien der Kommission mit, dass die verbleibenden 44 Deponien noch immer nicht stillgelegt worden seien. Des Weiteren hätten sich die diagnostischen Analysen für die Stilllegung verzögert, so dass der Zeitplan nicht eingehalten werde.

    20

    Die Kommission war der Ansicht, dass Rumänien die sich aus dem Urteil Kommission/Rumänien ergebenden Maßnahmen in Bezug auf diese 44 Deponien nicht getroffen habe und die in seinem eigenen Zeitplan für die Erreichung der Übereinstimmung festgelegten Fristen nicht wahren werde, so dass sie die vorliegende Klage erhoben hat.

    21

    Mit Schreiben vom 14. September 2023 hat die Kommission dem Gerichtshof mitgeteilt, dass Rumänien zwischen der Erhebung der Klage und dem 14. September 2023 dem Urteil Kommission/Rumänien in Bezug auf 13 weitere Deponien nachgekommen sei.

    Zur Zulässigkeit der Klage

    Vorbringen der Parteien

    22

    Rumänien macht geltend, dass die Klage unzulässig sei. Erstens habe die Kommission Rumänien keine angemessene Frist eingeräumt, um seinen Verpflichtungen aus Art. 14 der Richtlinie 1999/31 nachzukommen. Das Vorverfahren zu der vorliegenden Rechtssache sei mit der Covid‑19-Pandemie zusammengefallen, die Rumänien zwar nicht daran gehindert habe, diesen Verpflichtungen nachzukommen, jedoch das Verfahren zur Erreichung der Übereinstimmung mit der Richtlinie verzögert habe.

    23

    Zweitens beanstandet Rumänien, die Kommission habe gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, indem sie Rumänien eine Frist zur Erreichung der Übereinstimmung mit der Richtlinie gesetzt habe, die kürzer gewesen sei als die Frist, die anderen Mitgliedstaaten in vergleichbaren Situationen gewährt worden sei.

    24

    Die Kommission tritt dem Vorbringen Rumäniens entgegen und hält die vorliegende Klage für zulässig.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    25

    Zum Vorbringen Rumäniens, die Kommission habe ihm keine angemessene Frist eingeräumt, um seinen Verpflichtungen aus Art. 14 der Richtlinie 1999/31 nachzukommen, ist darauf hinzuweisen, dass das Vorverfahren nach ständiger Rechtsprechung dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit geben soll, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und sich gegen die Rügen der Kommission wirksam zu verteidigen. Dieses doppelte Ziel gebietet es der Kommission, den Mitgliedstaaten eine angemessene Frist einzuräumen, um auf das Aufforderungsschreiben zu antworten und einer mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen oder um gegebenenfalls ihre Verteidigung vorzubereiten. Bei der Beurteilung der Angemessenheit der festgesetzten Frist sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (Urteil Kommission/Rumänien, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    26

    Die Mitgliedstaaten waren nach Art. 14 der Richtlinie 1999/31 verpflichtet, die in diesem Artikel genannten Maßnahmen so bald wie möglich und spätestens binnen acht Jahren nach dem in Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie genannten Zeitpunkt zu ergreifen. Nach der letztgenannten Bestimmung mussten die Mitgliedstaaten die Richtlinie spätestens zwei Jahre nach ihrem Inkrafttreten in ihre jeweiligen Rechtsordnungen umsetzen. Da die Richtlinie 1999/31 gemäß ihrem Art. 19 am 16. Juli 1999 in Kraft getreten ist, lief die in ihrem Art. 14 bestimmte Frist folglich am 16. Juli 2009 ab (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Rumänien, Rn. 23 und 29).

    27

    Folglich war Rumänien vorliegend zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kommission ihr Aufforderungsschreiben an Rumänien richtete, d. h. am 14. Mai 2020, bereits seit über zehn Jahren verpflichtet, seinen Verpflichtungen aus Art. 14 der Richtlinie 1999/31 nachzukommen, und Beklagter eines Vertragsverletzungsverfahrens, das in das am 18. Oktober 2018 verkündete Urteil Kommission/Rumänien mündete. Des Weiteren gewährte die Kommission Rumänien mit der Verlängerung der Frist für die Beantwortung dieses Schreibens bis zum 30. September 2020 eine Frist von mehr als vier Monaten ab Zugang dieses Schreibens, um diesen Verpflichtungen nachzukommen und sich wirksam zu verteidigen. Ferner hat die Kommission die vorliegende Klage erst am 15. Februar 2022 erhoben, d. h. ein Jahr und neun Monate nach Übersendung dieses Schreibens.

    28

    Unter diesen Umständen hat Rumänien nicht nachgewiesen, dass es nicht über eine angemessene Frist im Sinne der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung verfügte. In diesem Kontext ist auch dem Vorbringen Rumäniens zu den Auswirkungen der Covid‑19-Pandemie auf die Erfüllung dieser Verpflichtungen nicht zu folgen. Die Unzulänglichkeit der Maßnahmen, die seit dem 16. Juli 2009 hätten erlassen und umgesetzt werden müssen, kann nämlich nicht mit einer 2020 aufgetretenen Pandemie gerechtfertigt werden (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juni 2023, Kommission/Portugal [Grenzwerte – NO2], C‑220/22, EU:C:2023:521, Rn. 101).

    29

    Dem Vorbringen Rumäniens zufolge hat die Kommission gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, indem sie Rumänien eine Frist zur Erreichung der Übereinstimmung mit der Richtlinie 1999/31 gesetzt habe, die kürzer gewesen sei als die Frist, die anderen Mitgliedstaaten in vergleichbaren Situationen gewährt worden sei. Hierzu ist auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, wonach die Kommission bei der Entscheidung darüber, ob ein Einschreiten gegen einen Mitgliedstaat zweckmäßig ist, bei der Benennung der ihrer Ansicht nach verletzten Bestimmungen und bei der Wahl des Zeitpunkts für die Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens über ein Ermessen verfügt, wobei die Erwägungen, die für diese Wahl bestimmend sind, die Zulässigkeit der Klage nicht beeinflussen. So hat der Gerichtshof entschieden, dass es in Anbetracht dieses Beurteilungsspielraums für die Zulässigkeit der gegen einen Mitgliedstaat erhobenen Vertragsverletzungsklage ohne Bedeutung ist, dass gegen einen anderen Mitgliedstaat keine derartige Klage erhoben wurde (Urteil vom 2. April 2020, Kommission/Polen, Ungarn und Tschechische Republik [Vorübergehender Umsiedlungsmechanismus für internationalen Schutz beantragende Personen], C‑715/17, C‑718/17 und C‑719/17, EU:C:2020:257, Rn. 75 und 76 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

    30

    Vorliegend hat Rumänien nicht nachgewiesen, dass die Kommission die Grenzen des in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils genannten Beurteilungsspielraums überschritten hat. Die Kommission hat sich zur Erhebung der vorliegenden Klage entschieden, als sich abzeichnete, dass Rumänien die Frist nicht einhalten würde, die in dem in Rn. 17 des vorliegenden Urteils genannten Zeitplan für die Erreichung der Übereinstimmung vorgesehen war, nämlich Dezember 2023 und damit mehr als fünf Jahre nach der Verkündung des Urteils Kommission/Rumänien.

    31

    Das Vorgehen der Kommission beruhte somit auf dem neutralen und objektiven Kriterium des Fortdauerns der Rumänien zur Last gelegten Vertragsverletzung (vgl. entsprechend Urteil vom 2. April 2020, Kommission/Polen, Ungarn und Tschechische Republik [Vorübergehender Umsiedlungsmechanismus für internationalen Schutz beantragende Personen], C‑715/17, C‑718/17 und C‑719/17, EU:C:2020:257, Rn. 81).

    32

    Daher kann der Vortrag, dass anderen Mitgliedstaaten als Rumänien in ähnlichen Situationen zwischen dem Zeitpunkt des Aufforderungsschreibens und dem Zeitpunkt der Anrufung des Gerichtshofs ein längerer Zeitraum zur Verfügung gestanden habe, die Zulässigkeit der vorliegenden Klage nicht beeinträchtigen.

    33

    Folglich ist die von der Kommission erhobene Klage zulässig.

    Zur Vertragsverletzung

    Vorbringen der Parteien

    34

    Im Hinblick auf den Tenor des Urteils Kommission/Rumänien macht die Kommission geltend, dass Rumänien nach Art. 260 Abs. 1 AEUV verpflichtet gewesen sei, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit die 68 Deponien, die Gegenstand dieses Urteils seien, so bald wie möglich stillgelegt würden.

    35

    Rumänien räumt ein, dass es bei Ablauf der im Aufforderungsschreiben gesetzten und später bis 30. September 2020 verlängerten Frist nicht alle Maßnahmen ergriffen gehabt habe, die erforderlich gewesen seien, um dem Urteil in Bezug auf die Stilllegung der betreffenden 47 Deponien nachzukommen.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    36

    Hat ein Mitgliedstaat die Maßnahmen, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben, nach Auffassung der Kommission nicht getroffen, so kann die Kommission gemäß Art. 260 Abs. 2 AEUV den Gerichtshof anrufen, nachdem sie diesem Mitgliedstaat zuvor Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Hierbei benennt sie die Höhe des von dem betreffenden Mitgliedstaat zu zahlenden Pauschalbetrags oder Zwangsgelds, die sie den Umständen nach für angemessen hält.

    37

    Insoweit ist als maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens einer Vertragsverletzung nach Art. 260 Abs. 2 AEUV auf den des Ablaufs der Frist abzustellen, die in dem nach dieser Bestimmung versandten Aufforderungsschreiben gesetzt wurde (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. November 2020, Kommission/Belgien [Einkünfte aus ausländischen Immobilien], C‑842/19, EU:C:2020:915, Rn. 12, und vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    38

    Wie Rumänien in seiner Klagebeantwortung und in seiner Gegenerwiderung eingeräumt hat, steht vorliegend fest, dass es bei Ablauf der im Aufforderungsschreiben gesetzten und später bis 30. September 2020 verlängerten Frist nicht alle Maßnahmen ergriffen hatte, die erforderlich waren, um dem Urteil Kommission/Rumänien in Bezug auf die Stilllegung von 47 der 68 Deponien, die Gegenstand dieses Urteils waren, nachzukommen.

    39

    Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass Rumänien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 1 AEUV verstoßen hat, dass es nicht die Maßnahmen getroffen hat, die sich aus dem Urteil Kommission/Rumänien ergeben.

    Zu den finanziellen Sanktionen

    Zum Zwangsgeld

    Vorbringen der Parteien

    40

    Die Kommission trägt vor, dass die Rumänien vorgeworfene Vertragsverletzung zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof andauere, und schlägt vor, die Nichtdurchführung des Urteils Kommission/Rumänien mit der Verhängung eines Zwangsgelds gegen Rumänien zu ahnden. Hierbei stützt sie sich u. a. auf ihre Mitteilung SEK(2005) 1658 vom 12. Dezember 2005 mit dem Titel „Anwendung von [Art. 260 AEUV]“ (im Folgenden: Mitteilung von 2005) und ihre Mitteilung mit dem Titel „Anpassung der Berechnung der von der Kommission im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgeschlagenen Pauschalbeträge und Zwangsgelder nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs“ (ABl. 2021, C 129, S. 1). Nach der in der Mitteilung von 2005 festgelegten Formel entspreche der Tagessatz für das Zwangsgeld dem einheitlichen Grundbetrag, multipliziert mit einem Schwerekoeffizienten, einem Dauerkoeffizienten und einem Faktor „n“, der u. a. die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats berücksichtige.

    41

    Zum Schwerekoeffizienten führt die Kommission aus, dass zwar jeder Verstoß, der sich daraus ergebe, dass einem Urteil des Gerichtshofs nicht nachgekommen werde, an sich eine gewisse Schwere aufweise, doch der Verstoß gegen die Verpflichtung, Abfälle ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit und ohne Schädigung der Umwelt zu beseitigen, besonders schwer wiege. Zu der Frage, ob mildernde oder erschwerende Umstände vorliegen, weist die Kommission zum einen darauf hin, dass die Kooperation Rumäniens im Rahmen des Verfahrens nach Art. 260 AEUV sowie die Fortschritte, die Rumänien bei der Verringerung der Zahl der stillzulegenden Deponien und beim Erlass interner Regelungen zur Erleichterung der Enteignung von diesen Deponien erzielt habe, mildernde Umstände darstellen könnten. Zum anderen stelle es einen erschwerenden Umstand dar, dass Rumänien seit dem 16. Juli 2009 den Anforderungen der Richtlinie 1999/31 nicht nachkomme. Die Kommission schlägt somit vor, auf der von 1 bis 20 reichenden Skala, die in der Mitteilung von 2005 genannt sei, einen Schwerekoeffizienten von 5 anzuwenden.

    42

    Die Kommission regt an, den Dauerkoeffizienten auf den in der Mitteilung von 2005 vorgesehenen höchsten Wert, d. h. – auf einer Skala von 1 bis 3 – auf 3 festzusetzen, da von der Verkündung des Urteils Kommission/Rumänien bis zur Entscheidung der Kommission, den Gerichtshof anzurufen, mehr als 36 Monate vergangen seien.

    43

    Was schließlich den Faktor „n“ angehe, nehme die Kommission zwar die Feststellungen aus dem Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland (Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel) (C‑51/20, EU:C:2022:36), zur Kenntnis, aus dem sich ergebe, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des betreffenden Mitgliedstaats den vorrangigen Faktor darstelle, wohingegen es nicht unerlässlich sei, dessen institutionelles Gewicht zu berücksichtigen. Dennoch stütze sie ihren Antrag auf die Gesichtspunkte, die in den in Rn. 40 des vorliegenden Urteils genannten Mitteilungen dargelegt seien und die im Anschluss an das Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland (Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel) (C‑51/20, EU:C:2022:36), noch nicht angepasst worden seien. In diesem Kontext schlägt die Kommission vor, den Faktor „n“ für Rumänien auf 0,74 festzusetzen.

    44

    Nach Ansicht der Kommission beläuft sich der einheitliche Grundbetrag auf 2683 Euro, so dass die Höhe des Zwangsgelds 29781,30 Euro pro Tag betragen müsste. Um eine schrittweise Verringerung dieses Betrags entsprechend den von Rumänien bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen erzielten Fortschritten zu gewährleisten, schlägt die Kommission vor, degressive Zwangsgelder festzusetzen, indem dieser Betrag durch die in der Klageschrift genannte Zahl der Deponien, nämlich 44, geteilt werde, so dass der so ermittelte Betrag in Höhe von 676,85 Euro pro Tag für jede Deponie, für die Rumänien die Maßnahmen erlassen haben werde, die erforderlich seien, um dem Urteil Kommission/Rumänien nachzukommen, von dem Betrag des Tagessatzes für das Zwangsgeld abgezogen werde.

    45

    Rumänien beantragt, den Antrag der Kommission auf Verhängung eines Zwangsgelds zurückzuweisen oder, hilfsweise, das Zwangsgeld unter Berücksichtigung der Fortschritte herabzusetzen, die Rumänien in seinem Prozess zur Erreichung der Übereinstimmung mit der Richtlinie 1999/31 erzielt habe.

    46

    In Bezug auf den Schwerekoeffizienten macht Rumänien geltend, dass nicht jeder Verstoß gegen die Richtlinie 1999/31 besonders schwerwiegend sei und insoweit die Fortschritte bei der Stilllegung der betreffenden Deponien zu berücksichtigen seien.

    47

    Neben den von der Kommission festgestellten mildernden Umständen sei die Tatsache, dass Rumänien noch nie wegen der Nichtdurchführung eines Urteils des Gerichtshofs verurteilt worden sei, ebenfalls ein mildernder Umstand. Des Weiteren könne die Dauer des Verstoßes nicht als erschwerender Umstand berücksichtigt werden.

    48

    In Bezug auf den Dauerkoeffizienten macht Rumänien u. a. geltend, dass sich die Kommission, indem sie auf den Zeitpunkt abstelle, zu dem sie die Anrufung des Gerichtshofs beschlossen habe, auf einen Gesichtspunkt stütze, der nicht vom Willen des betreffenden Mitgliedstaats abhänge, sondern von der Methode und der Arbeitsbelastung ihrer eigenen Dienststellen.

    49

    Was schließlich den Faktor „n“ angehe, stehe die Bezugnahme auf das institutionelle Gewicht des betreffenden Mitgliedstaats nicht im Einklang mit der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung. Rumänien ersucht den Gerichtshof ferner, die Entwicklung seines BIP im Zeitraum von 2020 bis 2022 zu berücksichtigen.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    50

    Zunächst ist festzustellen, dass das Verfahren nach Art. 260 Abs. 2 AEUV einen säumigen Mitgliedstaat veranlassen soll, ein Vertragsverletzungsurteil durchzuführen, und folglich die wirksame Anwendung des Unionsrechts gewährleisten soll; die in dieser Bestimmung vorgesehenen Maßnahmen – das Zwangsgeld und der Pauschalbetrag – dienen beide diesem Zweck (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    51

    Ferner ist es Sache des Gerichtshofs, in jeder Rechtssache und anhand der Umstände des Einzelfalls, mit dem er befasst ist, sowie nach Maßgabe des ihm erforderlich erscheinenden Grades an Überzeugungs- und Abschreckungswirkung die angemessenen finanziellen Sanktionen zu bestimmen, um insbesondere die Wiederholung ähnlicher Verstöße gegen das Unionsrecht zu verhindern (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    52

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Verhängung eines Zwangsgelds grundsätzlich nur insoweit gerechtfertigt, als die Vertragsverletzung, die sich aus der Nichtdurchführung eines früheren Urteils ergibt, bis zur Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof andauert (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    53

    Um feststellen zu können, ob die dem Beklagten vorgeworfene Vertragsverletzung bis zur Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof angedauert hat, sind die Maßnahmen zu beurteilen, die nach den Angaben des Beklagten nach Ablauf der im Aufforderungsschreiben gesetzten Frist ergriffen wurden (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    54

    Vorliegend steht fest, dass Rumänien in Anbetracht der in Rn. 21 des vorliegenden Urteils genannten Umstände das Urteil Kommission/Rumänien in Bezug auf 31 Deponien noch immer nicht durchgeführt hat, so dass die Rumänien vorgeworfene Vertragsverletzung bis zur Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof angedauert hat.

    55

    Unter diesen Umständen ist die Verurteilung Rumäniens zur Zahlung eines Zwangsgelds ein angemessenes finanzielles Mittel, um diesen Mitgliedstaat zu veranlassen, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die festgestellte Vertragsverletzung zu beenden und die vollständige Durchführung des Urteils Kommission/Rumänien zu gewährleisten (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 92).

    56

    Insoweit ist nach ständiger Rechtsprechung das Zwangsgeld nach Maßgabe des Überzeugungsdrucks festzusetzen, der erforderlich ist, damit der betroffene Mitgliedstaat sein Verhalten ändert und das gerügte Verhalten beendet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    57

    Bei der Ausübung seines Ermessens auf diesem Gebiet hat der Gerichtshof das Zwangsgeld so festzusetzen, dass es zum einen den Umständen angepasst ist und zum anderen in einem angemessenen Verhältnis zur festgestellten Vertragsverletzung und zur Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats steht (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    58

    Die Vorschläge der Kommission zur Höhe des Zwangsgelds können den Gerichtshof nicht binden und stellen lediglich einen nützlichen Bezugspunkt dar. Dem Gerichtshof muss es freistehen, das verhängte Zwangsgeld in der Höhe und in der Form festzusetzen, die er für angemessen hält, um den betroffenen Mitgliedstaat dazu zu bringen, die Nichterfüllung der sich aus Unionsrecht ergebenden Verpflichtungen zu beenden (Urteil vom 12. November 2020, Kommission/Belgien [Einkünfte aus ausländischen Immobilien], C‑842/19, EU:C:2020:915, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    59

    Bei der Festsetzung der Höhe des Zwangsgelds sind zur Gewährleistung des Charakters des Zwangsgelds als Druckmittel im Hinblick auf eine einheitliche und wirksame Anwendung des Unionsrechts grundsätzlich die Schwere des Verstoßes, seine Dauer und die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats als Grundkriterien heranzuziehen. Bei der Anwendung dieser Kriterien ist insbesondere zu berücksichtigen, welche Folgen die Nichtdurchführung für die privaten und die öffentlichen Interessen hat und wie dringend es ist, dass der betreffende Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen nachkommt (Urteile vom 12. November 2020, Kommission/Belgien [Einkünfte aus ausländischen Immobilien], C‑842/19, EU:C:2020:915, Rn. 65, und vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    60

    Zur Schwere des Verstoßes ist festzustellen, dass die Richtlinie 1999/31 nach ihrem Art. 1 Abs. 1 u. a. bezweckt, dass negative Auswirkungen der Ablagerung von Abfällen auf die Umwelt sowie alle damit verbundenen Risiken für die menschliche Gesundheit weitestmöglich vermieden oder vermindert werden.

    61

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wiegen ein Verstoß und insbesondere die Nichtdurchführung eines Urteils des Gerichtshofs besonders schwer, wenn sie der Umwelt Schaden zufügen und die menschliche Gesundheit in Gefahr bringen können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Dezember 2008, Kommission/Frankreich, C‑121/07, EU:C:2008:695, Rn. 77, und vom 22. Februar 2018, Kommission/Griechenland, C‑328/16, EU:C:2018:98, Rn. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    62

    Wie sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten ergibt, führt vorliegend die unvollständige Durchführung des Urteils Kommission/Rumänien zu einem erheblichen Risiko der Verschmutzung und zu schwerwiegenden Folgen für die menschliche Gesundheit, u. a. durch die Freisetzung schädlicher chemischer Stoffe in den Boden, die Luft und das Wasser. Dies gilt insbesondere für noch nicht stillgelegte Deponien für gefährliche Industrieabfälle.

    63

    Insoweit sind zwar die Kooperation Rumäniens im Rahmen des Verfahrens nach Art. 260 AEUV sowie die Fortschritte, die Rumänien bei der Verringerung der Zahl der stillzulegenden Deponien und beim Erlass interner Regelungen zur Erleichterung der Enteignung von stillzulegenden Deponien erzielt hat, als mildernde Umstände zu berücksichtigen. Ebenso als mildernder Umstand zu berücksichtigen ist, dass Rumänien zuvor noch nie versäumt hat, ein nach Art. 258 AEUV ergangenes Urteil des Gerichtshofs durchzuführen (vgl. entsprechend Urteil vom 30. Mai 2013, Kommission/Schweden, C‑270/11, EU:C:2013:339, Rn. 55).

    64

    Als erschwerender Umstand ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass Rumänien bis Dezember 2023, d. h. mehr als 14 Jahre nach Ablauf der in Rn. 26 des vorliegenden Urteils genannten Frist, nicht geplant hat, die sich aus der Richtlinie 1999/31 ergebenden Anforderungen vollständig zu erfüllen, so dass die Nichterfüllung dieser Anforderungen von besonders langer Dauer ist (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Juni 2016, Kommission/Portugal, C‑557/14, EU:C:2016:471, Rn. 74).

    65

    Hinsichtlich der Dauer des Verstoßes ist auf den Zeitraum zwischen der Verkündung des Urteils, mit dem die erste Vertragsverletzung festgestellt wird, und dem Zeitpunkt, zu dem der Gerichtshof den Sachverhalt würdigt, abzustellen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. November 2020, Kommission/Belgien [Einkünfte aus ausländischen Immobilien], C‑842/19, EU:C:2020:915, Rn. 56, und vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 105 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    66

    Vorliegend steht fest, dass die Vertragsverletzung mehr als vier Jahre nach der Verkündung des Urteils Kommission/Rumänien fortbesteht; dies stellt eine erhebliche Dauer dar (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 106).

    67

    Obwohl Art. 260 Abs. 1 AEUV die Frist, innerhalb deren die Durchführung eines Urteils erfolgen muss, nicht präzisiert, verlangt nämlich nach ständiger Rechtsprechung das Interesse an einer sofortigen und einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, dass diese Durchführung sofort in Angriff genommen werden und innerhalb kürzestmöglicher Frist abgeschlossen sein muss (Urteil vom 12. November 2019, Kommission/Irland [Windfarm Derrybrien], C‑261/18, EU:C:2019:955, Rn. 123 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    68

    Insoweit genügt zum Vorbringen Rumäniens, die Dauer des von der Kommission gerügten Verstoßes hänge von der Methode oder der Arbeitsbelastung ihrer eigenen Dienststellen ab, die Feststellung, dass diese Dauer allein dem Verhalten des betreffenden Mitgliedstaats zuzurechnen ist, der das betreffende Urteil nicht vollständig umgesetzt hat, so dass diesem Vorbringen nicht zu folgen ist.

    69

    Hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedstaats ist auf dessen BIP als vorrangigen Faktor abzustellen, ohne sein institutionelles Gewicht zu berücksichtigen. Hierbei ist auch die jüngste Entwicklung des BIP dieses Mitgliedstaats zu berücksichtigen, wie sie sich zum Zeitpunkt der Prüfung des Sachverhalts durch den Gerichtshof darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 107 und 116).

    70

    Was schließlich die Periodizität des Zwangsgelds betrifft, hält es der Gerichtshof im Einklang mit dem Vorschlag der Kommission für angemessen, einen Betrag für jede Deponie und für jeden Tag des Verzugs festzusetzen, damit die Fortschritte Rumäniens bei der Stilllegung der betreffenden Deponien berücksichtigt werden können.

    71

    Nach alledem und angesichts des dem Gerichtshof durch Art. 260 Abs. 2 AEUV eingeräumten Ermessens ist Rumänien zu verurteilen, an die Kommission ein Zwangsgeld in Höhe von 600 Euro für jede Deponie und für jeden Tag zu zahlen, um den sich die Durchführung der Maßnahmen verzögert, die erforderlich sind, um dem Urteil Kommission/Rumänien nachzukommen, beginnend mit dem Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils und bis zum Tag der vollständigen Durchführung des Urteils Kommission/Rumänien.

    Zum Pauschalbetrag

    Vorbringen der Parteien

    72

    Wenn ein Mitgliedstaat längere Zeit einem Urteil des Gerichtshofs nicht nachkommt, ist dies nach Auffassung der Kommission an sich bereits ein schwerer Verstoß gegen das Legalitätsprinzip und die Rechtssicherheit in einer Rechtsgemeinschaft.

    73

    Vorliegend sei, wie die Kommission vorbringt, die Verurteilung Rumäniens zur Zahlung eines Pauschalbetrags durch die Gefahr gerechtfertigt, die die betreffenden Deponien für die Umwelt und die menschliche Gesundheit darstellten, sowie durch die Notwendigkeit, die Wiederholung ähnlicher Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam zu verhindern.

    74

    Hinsichtlich der Höhe des Pauschalbetrags schlägt die Kommission vor, auf den einheitlichen Grundbetrag von 895 Euro, der in den in Rn. 40 des vorliegenden Urteils genannten Mitteilungen vorgesehen sei, denselben Schwerekoeffizienten und denselben Faktor „n“ wie für die Berechnung des Zwangsgelds anzuwenden und der Dauer des Verstoßes dadurch Rechnung zu tragen, dass ein Tagessatz festgelegt werde, der mit der Zahl der Tage, an denen die Vertragsverletzung fortbestehe, multipliziert werde.

    75

    Die Kommission beantragt somit, Rumänien zur Zahlung eines täglichen Pauschalbetrags von 3311,50 Euro zu verurteilen, multipliziert mit der Zahl der Tage, die vom Tag nach der Verkündung des Urteils Kommission/Rumänien bis zu dem Zeitpunkt verstrichen sein werden, an dem Rumänien die sich aus diesem Urteil ergebenden Maßnahmen getroffen haben wird, oder, falls dies nicht eintritt, bis zum Tag der Verkündung des Urteils des Gerichtshofs in der vorliegenden Rechtssache, sofern ein Mindestpauschalbetrag von 1643000 Euro überschritten wird. Die Festsetzung eines Mindestpauschalbetrags sei durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, jede fortdauernde Missachtung eines Urteils des Gerichtshofs mit einer echten und abschreckenden Sanktion zu ahnden.

    76

    Rumänien ist im Wesentlichen aus den gleichen Gründen wie denen, die es in Bezug auf den Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgelds angeführt hat, der Ansicht, dass die Höhe des von der Kommission beantragten Pauschalbetrags herabzusetzen sei. Zudem sei der Antrag auf Festsetzung eines Mindestpauschalbetrags zurückzuweisen, da dieser Betrag den Besonderheiten des geahndeten Verstoßes nicht Rechnung trage.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    77

    Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Ausübung seines Ermessens auf dem betreffenden Gebiet kumulativ ein Zwangsgeld und einen Pauschalbetrag verhängen darf (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 128 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    78

    Die Verurteilung zur Zahlung eines Pauschalbetrags und die gegebenenfalls erfolgende Festsetzung seiner Höhe muss in jedem Einzelfall von der Gesamtheit der maßgeblichen Elemente abhängig gemacht werden, die sich sowohl auf die Merkmale der festgestellten Vertragsverletzung als auch auf die Haltung beziehen, die der Mitgliedstaat eingenommen hat, der von dem auf der Grundlage von Art. 260 AEUV eingeleiteten Verfahren betroffen ist. Insoweit gewährt diese Bestimmung dem Gerichtshof ein weites Ermessen bei der Entscheidung darüber, ob es einen Grund für die Verhängung einer derartigen Sanktion gibt, und gegebenenfalls bei der Bemessung ihrer Höhe (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 129 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    79

    Vorliegend rechtfertigen, wie die Kommission ausgeführt hat, die Gesichtspunkte, aus denen sich die mit dem vorliegenden Urteil festgestellte Vertragsverletzung ergibt, in Anbetracht dessen, dass sie eine Gefahr für die Umwelt und die menschliche Gesundheit darstellen, und im Hinblick auf die Notwendigkeit, künftige ähnliche Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam zu vermeiden, den Erlass einer abschreckenden Maßnahme wie die Verurteilung zur Zahlung eines Pauschalbetrags (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juli 2018, Kommission/Slowakei, C‑626/16, EU:C:2018:525, Rn. 99).

    80

    Unter diesen Umständen ist es Sache des Gerichtshofs, in Ausübung seines Ermessens diesen Pauschalbetrag so festzusetzen, dass er zum einen den Umständen angepasst ist und zum anderen in angemessenem Verhältnis zu dem begangenen Verstoß steht (Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 131 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    81

    Die zu berücksichtigenden Umstände gehen u. a. aus den in den Rn. 59 bis 69 des vorliegenden Urteils dargelegten Erwägungen zur Schwere und Dauer des Verstoßes sowie zur Zahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaats hervor (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Januar 2022, Kommission/Griechenland [Rückforderung von staatlichen Beihilfen – Ferronickel], C‑51/20, EU:C:2022:36, Rn. 133 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    82

    Nach alledem erachtet der Gerichtshof die Verhängung eines Pauschalbetrags in Höhe von 1500000 Euro für angemessen.

    83

    Folglich ist Rumänien zu verurteilen, an die Kommission einen Pauschalbetrag von 1500000 Euro zu zahlen.

    Kosten

    84

    Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung Rumäniens beantragt hat und die Vertragsverletzung festgestellt worden ist, sind Rumänien die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

     

    1.

    Rumänien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 1 AEUV verstoßen, dass es nicht die Maßnahmen ergriffen hat, die sich aus dem Urteil vom 18. Oktober 2018, Kommission/Rumänien (C‑301/17, EU:C:2018:846), ergeben.

     

    2.

    Rumänien wird verurteilt, an die Europäische Kommission ein Zwangsgeld in Höhe von 600 Euro für jede Deponie und für jeden Tag zu zahlen, um den sich die Durchführung der Maßnahmen verzögert, die erforderlich sind, um dem Urteil vom 18. Oktober 2018, Kommission/Rumänien (C‑301/17, EU:C:2018:846), nachzukommen, beginnend mit dem Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils und bis zum Tag der vollständigen Durchführung des Urteils vom 18. Oktober 2018, Kommission/Rumänien (C‑301/17, EU:C:2018:846).

     

    3.

    Rumänien wird verurteilt, an die Europäische Kommission einen Pauschalbetrag von 1500000 Euro zu zahlen.

     

    4.

    Rumänien trägt die Kosten.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Rumänisch.

    Top