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Document 52022AE1682

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozialer Dialog im Rahmen des grünen Wandels“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes)

    EESC 2022/01682

    ABl. C 486 vom 21.12.2022, p. 95–101 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    21.12.2022   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 486/95


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Sozialer Dialog im Rahmen des grünen Wandels“

    (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes)

    (2022/C 486/14)

    Berichterstatterin:

    Lucie STUDNIČNÁ

    Befassung

    Tschechischer Ratsvorsitz, 26.1.2022

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

    Annahme in der Fachgruppe

    5.9.2022

    Verabschiedung im Plenum

    21.9.2022

    Plenartagung Nr.

    572

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    162/1/7

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Die Bewältigung des Klimanotstands ist zu einer der obersten politischen Prioritäten geworden. Das seit der industriellen Revolution bestehende Wirtschaftsmodell bedarf einer grundlegenden Überarbeitung. Die gewaltige Umstellung auf eine digitalisierte klimaneutrale Kreislaufwirtschaft erfordert erhebliche Anpassungsbemühungen. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht diese Umstellung noch dringender erforderlich, bringt jedoch zugleich enorme Kosten und Belastungen für die Gesellschaft mit sich.

    1.2.

    Als integraler Bestandteil des europäischen Sozialmodells und als Quelle der europäischen Wettbewerbsfähigkeit muss der soziale Dialog auf allen Ebenen, also auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene sowie in den einzelnen Branchen und auf betrieblicher Ebene, ein maßgebliches Instrument sein. Die Mitgliedstaaten sollten den Wert des sozialen Dialogs anerkennen, also die Tatsache, dass er von erheblichem Nutzen ist und einen wesentlichen Teil des Beschlussfassungsprozesses bildet. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) betont, dass der soziale Dialog gestärkt und gezielt gefördert werden sollte. Dies bedeutet auch, dass die Sozialpartner mit angemessenen Kompetenzen ausgestattet werden und auch Zugang zu Unterstützung durch Fachleute haben müssen.

    1.3.

    Der gesamte klimaschutzpolitische Rahmen muss deshalb eine starke Beteiligung der Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen durch einen gut etablierten sozialen Dialog und die Einbeziehung der Zivilgesellschaft umfassen. Die Mitgliedstaaten müssen größere Anstrengungen unternehmen, um die Arbeitnehmer einzubeziehen und für ihre Unterstützung auf dem Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft zu sorgen. Dies gilt nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für die Institutionen der EU.

    1.4.

    Gewerkschaften spielen bei der Vorbereitung und Vertretung der Arbeitnehmer im Prozess des sozialen und ökologischen Wandels eine Schlüsselrolle; deshalb muss mit einem aktiven und kohärenten sozialen Dialog sichergestellt werden, dass die Klimaschutzmaßnahmen den Arbeitnehmern etwas bringen, der Übergang gerecht gestaltet wird und wirklich niemand zurückbleibt.

    1.5.

    Der soziale Dialog muss mit einem ständigen und tragfähigen zivilen Dialog, insbesondere mit der organisierten Zivilgesellschaft, und der Beteiligung der Interessenträger einhergehen. Für eine gerechte Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft ist es wichtig, fairere Gesellschaften aufzubauen, Armut zu beseitigen und die Anpassungsprobleme anzugehen, die mit dem grünen Wandel einhergehen. Die Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten Millionen von Menschen in gefährdeten Situationen sowie systematisch ausgegrenzte Menschen und sind deshalb eine wichtige Stimme, die in die Entscheidungen bezüglich des Wandels einbezogen werden muss. Durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Ausschuss der Regionen in dieser Frage würde zudem der regionalen Dimension Rechnung getragen.

    1.6.

    Der sozialen Gerechtigkeit und der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte muss oberste Priorität eingeräumt werden. Zudem muss die EU auch Tarifverhandlungen fördern und aktiv unterstützen, damit die Arbeitnehmer nachhaltige sowie ökologische, wettbewerbsfähige und gute Arbeitsplätze gestalten können. So wird die EU nicht nur gerechter und stärker von Gleichheit geprägt, sondern auch wettbewerbsfähiger und resilienter.

    1.7.

    Bei allen Arbeitsplätzen, die im Rahmen des Übergangs geschaffen werden, ist die Erklärung der IAO über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit zu achten. Dazu gehören das Recht auf menschenwürdige Beschäftigung, Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Tarifverhandlungen, ein Diskriminierungsverbot, ein Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit sowie von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz.

    1.8.

    Der EWSA schlägt eine systematische Erfassung der Funktionsweise des sozialen Dialogs auf Ebene der Mitgliedstaaten vor. Weitere vergleichende Studien müssen durchgeführt werden, um die Rolle des sozialen Dialogs in nationalen Energie- und Klimaplänen, wie in den NARP, zu untersuchen.

    1.9.

    Im Rahmen der allgemeinen Bemühungen um die Stärkung der sozialen Dimension des europäischen Grünen Deals müssen die Strukturen des sozialen Dialogs durch Anreize und finanzielle Förderung aktiv unterstützt und ausgebaut werden. Dabei muss den Mitgliedstaaten und Branchen, in denen diese Strukturen nur schwach ausgeprägt sind, besondere Aufmerksamkeit gelten.

    1.10.

    Im Einklang mit der nicht bindenden Empfehlung des Rates zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität betont der EWSA, dass den Mitgliedstaaten Leitlinien dazu an die Hand gegeben werden sollten, wie die sozialen Folgen des Übergangs und seine Auswirkungen auf die Beschäftigung bewältigt werden können. Dabei sollten Vorschläge in Erwägung gezogen werden wie die in der EWSA-Stellungnahme „‚Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität — Umsetzung des EU-Klimaziels für 2030“ (1) formulierte Empfehlung, die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Ausschüssen für einen gerechten Übergang zu veranlassen.

    1.11.

    Der EWSA betont die Bedeutung der rechtzeitigen Unterrichtung und Anhörung während des Umstrukturierungsprozesses. Das Recht der Arbeitnehmer auf Unterrichtung, Anhörung und Mitbestimmung muss gemäß der einschlägigen Richtlinie (2) auf allen Ebenen der europäischen, nationalen und lokalen Verwaltung gestärkt werden. Entscheidungen ohne Anhörung sollten vermieden und die Bereitstellung von Informationen im Voraus sollte verbindlich vorgeschrieben werden.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    Hintergrund

    2.1.

    Diese Sondierungsstellungnahme wird auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes im Rahmen der Bewertung der sozialen Dimension des europäischen Grünen Deals und insbesondere der Rolle des sozialen Dialogs erarbeitet.

    2.2.

    Die Bewältigung des Klimanotstands ist zu einer der obersten politischen Prioritäten geworden. Das gesamte Produktions- und Verbrauchssystem muss grundlegend umgestaltet werden. Die Umstellung auf eine digitalisierte klimaneutrale Kreislaufwirtschaft bietet unbestreitbar Vorteile, erfordert jedoch auch erhebliche Anpassungsbemühungen und geht mit beträchtlichen Kosten für die Gesellschaft einher.

    2.3.

    Der grundlegende Umstrukturierungsprozess, den unsere Volkswirtschaften in wenigen Jahrzehnten durchlaufen müssen, um klimaneutral zu werden, ist ein politischer Prozess, der sich auf Menschen mit unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Hintergründen sowie auf Unternehmen und insbesondere KMU nicht in gleicher Weise auswirken wird. Die politischen Entscheidungsträger tragen eine große Verantwortung für die Bewältigung dieser Auswirkungen.

    2.4.

    Durch den Klimawandel entstehen zweifellos neue Ungleichheiten; Eindämmungs- und Anpassungsmaßnahmen könnten Gewinner und Verlierer hervorbringen, wenn sie nicht mit einer Politik des gerechten Übergangs einhergehen. In Anbetracht dessen wurde zusammen mit der Ankündigung des europäischen Grünen Deals im Jahr 2019 die Verpflichtung eingegangen, „niemanden zurückzulassen“.

    2.5.

    Der laufende Übergangsprozess wurde durch zwei außergewöhnliche Ereignisse weiter erschwert: die COVID-19-Krise und die grundlegende Veränderung der geopolitischen Lage Europas durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Beides führt kurzfristig zu höheren Belastungen für die Gesellschaft, kann aber gleichzeitig auch zur Beschleunigung des Wandels beitragen.

    Sozialer Dialog

    2.6.

    In den letzten Jahrzehnten haben enorme Veränderungen bei den Produktionsmitteln häufig Probleme in Bezug auf die Anpassung und den Wandel aufgeworfen, insbesondere dann, wenn diese Veränderungen zu unsichereren und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen führen und bewirken, dass viele Menschen, wie Frauen oder benachteiligte Gruppen, keinen Zugang zu guter Arbeit haben. Deshalb muss eine Reihe von Problemen im Zusammenhang mit dem Wandel wie vertragliche Vereinbarungen, prekäre Arbeitsformen, Privatisierung und Umstrukturierung angegangen werden, um eine gerechte Wirtschaft zu schaffen, in der es keine Armut mehr gibt. Dieses Problem wird auch in der Empfehlung des Rates zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität behandelt, die auf der Tagung des Rates (Soziale Angelegenheiten) am 16. Juni 2022 angenommen wurde.

    2.7.

    Die Förderung des sozialen Dialogs ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgeschrieben. Mit der Initiative „Neubeginn für den sozialen Dialog“ (2016) wurde die Bedeutung des sozialen Dialogs für Aufschwung und Wettbewerbsfähigkeit anerkannt. Der EWSA hat die Bedeutung des sozialen Dialogs in den einschlägigen Transformationsprozessen jüngst in mehreren Stellungnahmen (3) und in einer Entschließung (4) hervorgehoben.

    2.8.

    Der soziale Dialog kann erwiesenermaßen einen positiven Beitrag zu einer erfolgreichen Umstrukturierung leisten. Unternehmen mit einem gut funktionierenden Dialog sind leistungsfähiger, wettbewerbsfähiger und resilienter und zahlen höhere Löhne und Gehälter.

    2.9.

    Der EWSA betont, dass alle Ebenen des sozialen Dialogs auf europäischer, nationaler, sektoraler, regionaler und betrieblicher Ebene entscheidende, aber unterschiedliche Aufgaben bei der Bewältigung und Förderung des grünen Wandels haben. Die Strukturen und Einrichtungen auf diesen Ebenen haben jedoch sehr unterschiedliche Stärken.

    2.10.

    Der soziale Dialog muss mit einem ständigen und tragfähigen zivilen Dialog, insbesondere mit der organisierten Zivilgesellschaft, und der Beteiligung der Interessenträger einhergehen. Für eine gerechte Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft ist es wichtig, fairere Gesellschaften aufzubauen, Armut zu beseitigen und die Anpassungsprobleme anzugehen, die mit dem grünen Wandel einhergehen. Die Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten Millionen von Menschen in gefährdeten Situationen sowie systematisch ausgegrenzte Menschen und sind deshalb eine wichtige Stimme, die in die Entscheidungen bezüglich des Wandels einbezogen werden muss. Durch eine enge Zusammenarbeit mit dem Ausschuss der Regionen in dieser Frage würde zudem der regionalen Dimension Rechnung getragen.

    2.11.

    In den einzelnen Mitgliedstaaten haben die Einrichtungen und Akteure des sozialen Dialogs unterschiedliche Kapazitäten und Einflussmöglichkeiten, was zum Teil auf die unterschiedlichen Modelle der sozialen Beziehungen und der Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den Mitgliedstaaten zurückzuführen ist, doch haben in einigen Fällen die Dezentralisierungsmaßnahmen und -empfehlungen im Anschluss an die Finanzkrise und die Krise im Euro-Währungsgebiet aktiv zu ihrer Schwächung beigetragen. Der EWSA betont, dass ein gut funktionierender sozialer Dialog ein wichtiges Merkmal der europäischen sozialen Marktwirtschaft ist, und begrüßt, dass die Europäische Kommission diese Tatsache anerkannt hat, so zuletzt in den Empfehlungen an den Rat.

    2.12.

    Im Rahmen der allgemeinen Bemühungen um die Stärkung der sozialen Dimension des europäischen Grünen Deals müssen die Strukturen des sozialen Dialogs aktiv unterstützt und ausgebaut werden. Dabei muss den Mitgliedstaaten und Branchen, in denen diese Einrichtungen nur schwach ausgeprägt sind, besondere Aufmerksamkeit gelten.

    Gerechter Übergang

    2.13.

    Ein gerechter Übergang bedeutet, dass die Maßnahmen zur Bewältigung der Beschäftigungs- und Verteilungseffekte der Umstellung auf eine klimaneutrale Wirtschaft als wesentlicher Bestandteil der Klimaschutzpolitik (beispielsweise des Pakets „Fit für 55“) und nicht nur als ergänzende Korrekturmaßnahmen betrachtet werden sollten. Hier sind viele Dimensionen zu berücksichtigen, so die Verteilungseffekte der Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen, Arbeitsplatzverluste und Beschäftigungsübergänge, der Schutz der grundlegenden sozialen Rechte sowie die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger und der organisierten Zivilgesellschaft in die Entscheidungsfindung.

    2.14.

    Der Fonds für einen gerechten Übergang und der vorgeschlagene Klima-Sozialfonds im Rahmen des Pakets „Fit für 55“ gehören zu den wichtigsten Maßnahmen der EU, die bislang angekündigt wurden, um die Auswirkungen des Übergangs für die am stärksten betroffenen Regionen sowie schutzbedürftige Personen und Unternehmen abzufedern. Der EWSA begrüßt, dass die Kommission ferner eine Empfehlung des Rates zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität vorgeschlagen hat, um den Mitgliedstaaten Orientierungshilfen zur Bewältigung der sozialen und beschäftigungsbezogenen Folgen des Übergangs an die Hand zu geben.

    2.15.

    Der Prüfstein für einen gerechten Übergang muss die Effizienz bei der Bewältigung der Anpassungsprobleme von Unternehmen, Beschäftigten und Bürgern sein, indem also beispielsweise die Umstrukturierung von Geschäftstätigkeiten, die Umschulung und Weiterbildung von Beschäftigten sowie die Verhinderung von Energie- und Mobilitätsarmut gefördert werden, damit niemand zurückgelassen wird, insbesondere die Frage inwieweit die Frauen und Männer, deren Arbeitsplätze wegfallen, an Bedeutung verlieren oder anderweitig bedroht sind, einbezogen werden, ihnen eine sinnvolle, erfüllende und sichere Zukunft mit einer hochwertigen Beschäftigung zugesichert wird und sie bei ihrer eigenen Weiterentwicklung unterstützt werden, um diese Aufgaben wahrnehmen zu können.

    2.16.

    Das Ausmaß der Herausforderung darf hierbei nicht unterschätzt werden. Dazu gehört auch die Entwicklung gut durchdachter, integrierter, mittel- und langfristiger wirtschaftlicher und sozialer Ziele zur Sicherstellung von Produktivität und Inklusion unter angemessener Berücksichtigung der Besonderheiten der verschiedenen Mitgliedstaaten und unter Einbeziehung der Sozialpartner auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene in alle Phasen der Politikgestaltung, gegebenenfalls auch durch sozialen Dialog und Tarifverhandlungen. Diese gehen mit einer gezielten und bewussten Umschichtung der Mittel auf nationaler und zentraler Ebene auf die betroffenen Bereiche und Regionen einher. Neben Anreizen für neue Investitionen durch Zuschüsse, Darlehen und die Bereitstellung von Fachwissen sowie der Hilfe für KKMU können Start-ups durch Kapitalbeteiligung unterstützt werden, und es können neue öffentliche Unternehmen geschaffen werden. Außer der Bereitstellung öffentlicher Mittel wird es auch nötig sein, die Vorschriften über staatliche Beihilfen flexibler zu gestalten und unter bestimmten Umständen sogar auszusetzen.

    2.17.

    Die umfassende Umstrukturierung, zu der die Umwandlung von Dutzenden Millionen Arbeitsplätzen in Europa gehört, muss in ausgewogener und kontrollierter Weise erfolgen und zukunftsorientiert sein. Dabei ist ein gut funktionierender sozialer Dialog von entscheidender Bedeutung. Der Fonds für einen gerechten Übergang zur Unterstützung von Arbeitnehmern beim Übergang in eine neue Beschäftigung sollte im Hinblick auf die Mittel und den Geltungsbereich ausgeweitet werden und sektorspezifische Maßnahmen umfassen.

    2.18.

    Die drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung, Wirtschaft, Soziales und Umwelt, sind eng miteinander verknüpft und müssen durch die Anwendung eines umfassenden und kohärenten politischen Rahmens berücksichtigt werden. Die Leitlinien der IAO für einen gerechten Übergang aus dem Jahre 2015 enthalten eine Reihe praktischer Instrumente zur Steuerung dieses Transformationsprozesses für Regierungen und Sozialpartner.

    2.19.

    In den Leitlinien heißt es, dass ein starker sozialer Konsens über das Ziel der Nachhaltigkeit und die zu ihr führenden Wege unerlässlich ist. Der soziale Dialog muss ein wesentlicher Bestandteil des institutionellen Rahmens für die Politikgestaltung und Umsetzung auf allen Ebenen sein. Es sollte eine angemessene, fundierte und kontinuierliche Konsultation aller einschlägigen Interessenträger stattfinden.

    Sozialer Dialog im Rahmen des grünen Wandels

    2.20.

    Der soziale Dialog darf keine bloße Formalität sein, sondern muss auf allen Ebenen, also auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene sowie in den einzelnen Branchen und auf betrieblicher Ebene, ein maßgebliches Instrument sein. Dies bedeutet auch, dass die Sozialpartner mit angemessenen Kompetenzen ausgestattet werden und auch Zugang zu Unterstützung durch Fachleute haben müssen.

    2.21.

    Der EWSA stellt fest, dass sich die Einrichtungen des sozialen Dialogs in der EU aufgrund der unterschiedlichen nationalen Modelle und Traditionen der Beziehungen zwischen den Sozialpartnern in den einzelnen Mitgliedstaaten stark unterscheiden.

    2.22.

    Der EWSA schlägt eine systematische Erfassung und Überwachung der Funktionsweise des sozialen Dialogs auf Ebene der Mitgliedstaaten vor (5) und hält weitere vergleichende Untersuchungen für notwendig, um die Rolle des sozialen Dialogs in den nationalen Energie- und Klimaplänen, wie in den NARP, auszuloten.

    2.23.

    Nach Ansicht des EWSA sind die bestehenden Initiativen zur Bewältigung der sozialen Herausforderungen des grünen Wandels Stückwerk geblieben. Der Mechanismus für einen gerechten Übergang hat einen begrenzten Umfang und deckt nur einen kleinen Teil des Übergangsprozesses ab. Der vorgeschlagene Klima-Sozialfonds wird einen begrenzten Geltungsbereich und Zweck haben und vor allem die regressiven Verteilungseffekte eines geplanten EHS 2 für Verkehr und Gebäude ausgleichen (siehe insbesondere die Stellungnahme zum Klima-Sozialfonds (6)). Der EWSA begrüßt zwar die Empfehlung des Rates zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität, stellt jedoch fest, dass diese unverbindliche Empfehlung nicht die umfassende politische Plattform bietet, die die EU braucht, um die Folgen des Übergangs für die betroffenen Arbeitnehmer, Regionen und sozial schwachen Menschen zu bewältigen.

    2.24.

    Der EWSA betont, dass die EU einen starken Rahmen zur Sicherstellung gleicher Bedingungen für die Steuerung des Übergangs benötigt. Ein solcher solider EU-Rahmen für einen gerechten Übergang sollte unter anderem die Antizipation und Bewältigung der Veränderungen im Rahmen des grünen Wandels mittels einer sinnvollen Beteiligung der Arbeitnehmer und Unternehmen sowie auch der Bürger angehen.

    2.25.

    Der EWSA betont die Bedeutung der rechtzeitigen Unterrichtung und Anhörung während des Umstrukturierungsprozesses. Entscheidungen ohne Anhörung sollten vermieden und die Bereitstellung von Informationen im Voraus sollte verbindlich vorgeschrieben werden.

    2.26.

    Der EWSA fordert, den sozialen Dialog und die Einbeziehung der Interessenträger auf allen Ebenen zu fördern. Es muss dafür gesorgt werden, dass neue grüne Arbeitsplätze gute Arbeitsplätze im Einklang mit der Agenda der IAO für menschenwürdige Arbeit und der europäischen Säule sozialer Rechte sind. Der EWSA stellt gemäß dem Geist der Empfehlung des Rates zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität und unter Verweis auf seine einschlägige Stellungnahme fest, dass der Klima-Sozialfonds mit gezielten Maßnahmen zur Bekämpfung von Energie- und Verkehrsarmut einer Vielzahl von Verteilungseffekten der Klimapolitik Rechnung tragen und die Erschwinglichkeit und Zugänglichkeit CO2-armer Technologien für Haushalte mit geringem Einkommen unterstützen und erleichtern sollte.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1.

    Der EWSA hält es für äußerst wichtig, die Komplementarität von Klima-, Umwelt- und Sozialpolitik anzuerkennen. Die soziale Dimension sollte ein wesentlicher Teil einer umfassenden Klimaschutzpolitik von der Gestaltung bis zur Umsetzung sein. Dazu gehören der gesamte europäische Grüne Deal und alle konkreten Umsetzungsmaßnahmen im Rahmen des Pakets „Fit für 55“.

    3.2.

    Der EWSA stellt ebenfalls fest, dass dieser Umstrukturierungsprozess enorme Folgen für Arbeitsplätze, die Beziehungen zwischen den Sozialpartnern und die Einkommensverteilung haben wird. Alle Ebenen der Gesellschaft und der Wirtschaft, von der transnationalen bis zur betrieblichen Ebene, werden betroffen sein, und der soziale Dialog sollte eine entscheidende Rolle bei einer zukunftsweisenden Steuerung dieses Prozesses spielen.

    3.3.

    Der EWSA begrüßt die starke und ehrgeizige Klimaschutzpolitik, die die Europäische Kommission mit dem europäischen Grünen Deal geschaffen hat und die durch entsprechende Legislativmaßnahmen unterstützt wird. Er betont jedoch, dass ihre soziale Dimension trotz aller positiven Erklärungen noch nicht ausreichend entwickelt ist.

    3.4.

    Für die soziale Dimension des europäischen Grünen Deals sind weiterhin in erster Linie die Mitgliedstaaten und die nationalen Sozialpartner zuständig, da sie die Situation am besten kennen und Maßnahmen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene vorschlagen können. Die sozialen und beschäftigungsbezogenen Herausforderungen des grünen Wandels haben jedoch viele Dimensionen, zu denen der Wegfall von Arbeitsplätzen und Beschäftigungsübergänge, Umschulung und Weiterbildung der Arbeitnehmer, Verteilungseffekte von Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen sowie der Schutz sozialer Rechte und die Beteiligung der Bürger gehören. Erforderlich sind deshalb koordinierte Maßnahmen auf EU-Ebene zur Begleitung und Unterstützung der nationalen Initiative. Wenn nicht auf geeigneter Ebene angesetzt wird, werden soziale Ungleichheiten durch Klimaschutzmaßnahmen voraussichtlich zunehmen und sich verschärfen.

    Einen gerechten Übergang verwirklichen — politische Steuerung und Regulierungsanforderungen zur Stärkung des sozialen Dialogs

    3.5.

    Arbeitsmarktübergänge, Sozialpläne und Wege hin zu nachhaltigen und guten neuen Arbeitsplätzen mit einer langfristigen Verpflichtung zur regionalen und kommunalen Entwicklung sind wesentliche Aspekte eines Fahrplans für den gerechten Übergang.

    3.6.

    Ausbildungs- und Schulungsprogramme, die auf die individuellen Bedürfnisse sowie die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts zugeschnitten sind und von speziellen Zentren für den Übergang in die Beschäftigung durchgeführt werden, sollten gefördert werden. Dazu muss ein proaktiver sozialer Dialog auf kommunaler und regionaler Ebene in Zusammenarbeit mit allen Interessenträgern geführt werden. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber sollten gemeinsam Programme für den beruflichen Übergang unterstützen.

    3.7.

    Die sozialen Elemente des Pakets „Fit für 55“ haben im Gegensatz zu den weitreichenden und abgestimmten, verbindlichen Umweltmaßnahmen fragmentarischen Charakter, der Vorschlag für eine Empfehlung des Rates hat keine rechtlich bindende Wirkung.

    3.8.

    Diese Aspekte müssen verstärkt werden, und der soziale Dialog muss ein verbindlicher Bestandteil wichtiger nationaler Maßnahmen sein, die zur Verwirklichung der klimapolitischen Ziele bis 2050, einschließlich nationaler Klima- und Energiepläne, nationaler Aufbau- und Resilienzpläne und Pläne für den gerechten Übergang, vorgesehen werden.

    3.9.

    Damit der soziale Dialog zu Ergebnissen führt, die für alle Beteiligten von Nutzen sind, sind gegenseitiges Vertrauen und ein gemeinsames Ziel wichtig.

    3.10.

    In einigen Mitgliedstaaten gibt es diese Art des sozialen Dialogs bereits, in anderen nicht. In letzterem Fall sollte der soziale Dialog aktiv unterstützt werden, beispielsweise indem ein rechtzeitiger Austausch bestimmter Informationen vorgeschrieben wird und der soziale Dialog als Mittel zur Lösung etwa verwaltungs- und arbeitsrechtlicher Fragen, zur Erleichterung des Zugangs zu Finanzmitteln, zur Vereinfachung von Planungsentscheidungen sowie Baugenehmigungen angeboten wird. Um eine missbräuchliche Verwendung zu verhindern, sollten diese Vergünstigungen an eine Ergebnisverpflichtung geknüpft werden.

    3.11.

    Der EWSA ist sich bewusst, dass dies in einigen Mitgliedstaaten einen Kulturwandel mit sich bringen und es einige Zeit dauern wird, dies zu erreichen. Der EWSA ist jedoch überzeugt, dass sich die investierte Zeit und Anstrengungen in hohem Maße lohnen werden.

    3.12.

    Die soziale Dimension des europäischen Grünen Deals muss mit der europäischen Säule sozialer Rechte verknüpf werden und im Prozess des Europäischen Semesters zum Ausdruck kommen.

    3.13.

    Die Kommission hat im Februar 2021 einen Bericht (7) über die Stärkung des sozialen Dialogs veröffentlicht, der in den Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte, der im März 2021 vorgelegt wurde, eingeflossen ist. Der Aktionsplan sieht vor, dass die Europäische Kommission im Jahr 2022 eine Initiative zur Unterstützung des sozialen Dialogs auf EU- und nationaler Ebene unterbreitet. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass diese künftigen Empfehlungen der Kommission einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung dieses Ziels leisten werden.

    Brüssel, den 21. September 2022

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  ABl. C 275 vom 18.7.2022, S. 101.

    (2)  ABl. L 80 vom 23.3.2002, S. 29.

    (3)  Stellungnahme „Umstellung auf eine grüne und digitale Wirtschaft in Europa: nötige rechtliche Vorgaben und die Rolle der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft“ (ABl. C 56 vom 16.2.2021, S. 10); Stellungnahme „Kein Grüner Deal ohne sozialen Deal“ (ABl. C 341 vom 24.8.2021, S. 23). Stellungnahme „Sozialer Dialog als wichtiger Pfeiler wirtschaftlicher Nachhaltigkeit und Resilienz von Volkswirtschaften“ (ABl. C 10 vom 11.1.2021, S. 14).

    (4)  Entschließung mit den Vorschlägen des EWSA für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Krise: „Die EU muss sich von dem Grundsatz leiten lassen, dass sie eine Schicksalsgemeinschaft bildet“ auf der Grundlage der Arbeit des Unterausschusses „Wirtschaftliche Erholung und Wiederaufbau nach der COVID-19-Krise“ (ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 1)

    (5)  Entschließung (ABl. C 155 vom 30.4.2021, S. 1); Stellungnahme (ABl. C 220 vom 9.6.2021, S. 38).

    (6)  ABl. C 152 vom 6.4.2022, S. 158.

    (7)  Bericht über die Stärkung des sozialen Dialogs von Andrea Nahles.


    ANHANG

    Der folgende abgelehnte Änderungsantrag erhielt mindestens ein Viertel der Stimmen:

    Ziffer 2.25

    Ändern:

    Stellungnahme der Fachgruppe

    Änderung

    Der EWSA betont die Bedeutung der rechtzeitigen Unterrichtung und Anhörung während des Umstrukturierungsprozesses. Entscheidungen ohne Anhörung sollten vermieden und die Bereitstellung von Informationen im Voraus sollte verbindlich vorgeschrieben werden.

    Der EWSA betont die Bedeutung der rechtzeitigen Unterrichtung und Anhörung während des Umstrukturierungsprozesses. Entscheidungen ohne Anhörung sollten vermieden und die Bereitstellung von Informationen im Voraus sollte übliche Praxis gemäß der vorgenannten Empfehlung des Rates werden.

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    55/95/0


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