Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52019IE1656

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die neue Rolle der öffentlichen Arbeitsverwaltungen (ÖAV) in Zusammenhang mit der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte“(Initiativstellungnahme)

    EESC 2019/01656

    ABl. C 353 vom 18.10.2019, p. 46–51 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    18.10.2019   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 353/46


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die neue Rolle der öffentlichen Arbeitsverwaltungen (ÖAV) in Zusammenhang mit der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte“

    (Initiativstellungnahme)

    (2019/C 353/08)

    Berichterstatterin: Vladimíra DRBALOVÁ

    Beschluss des Plenums

    20.2.2019

    Rechtsgrundlage

    Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

    Initiativstellungnahme

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    8.7.2019

    Verabschiedung auf der Plenartagung

    17.7.2019

    Plenartagung Nr.

    545

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    156/7/10

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Beitrag des Europäischen Netzwerks der öffentlichen Arbeitsverwaltungen (Europäisches ÖAV-Netzwerk) zur Modernisierung und Stärkung der öffentlichen Arbeitsverwaltungen (ÖAV) und fordert Synergien zwischen der aktualisierten Strategie dieses Netzes für die Zeit nach 2020 und den Grundsätzen der europäischen Säule sozialer Rechte.

    1.2.

    Der EWSA hat bestimmte Bereiche ermittelt, in denen größere gemeinsame Anstrengungen erforderlich sind, um in Zusammenarbeit mit allen Interessenträgern, den Sozialpartnern, den Organisationen der Zivilgesellschaft, den Unternehmen und den privaten Arbeitsvermittlungsdiensten eine bessere Integration von Arbeitsuchenden in den Arbeitsmarkt zu erreichen.

    1.3.

    Damit die ÖAV die nationalen beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen und effektivere Dienstleistungen für Unternehmen innovativ umsetzen bzw. sicherstellen können, müssen sie auf nationaler Ebene mit ausreichenden Kapazitäten, qualifizierten Mitarbeitern, einer für die Digitalisierung der Gesellschaft relevanten IT- und Technikausstattung und finanzieller Hilfe angemessen unterstützt werden.

    1.4.

    Der EWSA fordert, dass die ÖAV und andere Sozial- und Arbeitsmarktdienstleister systematischer und strukturierter zusammenarbeiten, um die vielfältigen Hindernisse für Arbeitsuchende beim Eintritt in den Arbeitsmarkt (in den Bereichen Gesundheit, Wohnraum, Verkehr) anzugehen. Die Modernisierung der ÖAV ist ein komplexer Prozess; mangelnde Koordinierung, Programmplanung, Planung und Aufteilung der Zuständigkeiten auf nationaler und/oder regionaler Ebene führen hier zu einer Fragmentierung. Die aktive und regelmäßige Einbindung der Sozialpartner in die Aktivitäten der ÖAV ist für die Erfassung der Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort und den Abbau des Missverhältnisses zwischen Qualifikationsangebot und -nachfrage unerlässlich.

    1.5.

    Der EWSA fordert stärkere Synergien zwischen den Dienstleistungen der ÖAV, der sozialen Infrastruktur und den Sozialleistungssystemen, damit Arbeitslose bei der Stellensuche besser unterstützt und Arbeitsuchende durch die Wiederaufnahme einer Beschäftigung nicht benachteiligt werden.

    1.6.

    Der EWSA fordert mehr finanzielle Unterstützung für die Mitgliedstaaten und hofft, dass der Europäische Sozialfonds Plus (ESF+), der vor Kurzem als Teil des mehrjährigen Finanzrahmens 2021–2027 eingeführt wurde, dazu dienen wird, in die Menschen zu investieren und die europäische Säule sozialer Rechte umzusetzen.

    1.7.

    Nach Ansicht des EWSA müssen die Dienstleistungen der ÖAV stärker überwacht, evaluiert und miteinander verglichen werden, um zu bewerten, wie wirksam sie Arbeitsuchende beim Eintritt in den Arbeitsmarkt unterstützen. Die Wirksamkeit der ÖAV könnte durch gemeinsame Normen und Leitlinien auf EU-Ebene gefördert werden. Bestehende Datenquellen wie die Arbeitskräfteerhebung sollten stärker genutzt werden, und Agenturen wie Eurofound können zu dieser Überwachung beitragen.

    1.8.

    Der EWSA fordert eine Überprüfung der bestehenden Regelungen zur Messung der Ergebnisse der ÖAV-Arbeitsprogramme, damit die Dienstleistungen allen Personengruppen zugutekommen, insbesondere denjenigen, die mit mehreren Problemen gleichzeitig zu kämpfen haben.

    2.   Einleitung

    2.1.

    Die europäische Säule sozialer Rechte geht auf die interinstitutionelle Proklamation des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission vom 17. November 2017 auf dem EU-Sozialgipfel in Göteburg zurück. Sie soll Beschäftigung und soziale Aspekte stärker in den Vordergrund rücken, dazu beitragen, dass das europäische Sozialmodell für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerüstet ist, und den Prozess der Annäherung unter den Mitgliedstaaten fördern.

    2.2.

    Die 20 wichtigsten Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte sind in drei Kategorien unterteilt: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang, faire Arbeitsbedingungen sowie Sozialschutz und soziale Inklusion. Angesichts der rasanten Veränderungen im sozialen, rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeld lautet die Schlüsselfrage, ob es gelingen wird, diese Grundsätze in Europa auch tatsächlich einzuführen und umzusetzen.

    2.3.

    Dem Jahreswachstumsbericht 2019 zufolge setzt sich das Wachstum der europäischen Wirtschaft nun im sechsten Jahr in Folge fort. Dieses kontinuierliche Wachstum ging mit einem Wiederanziehen der Investitionen, einer kräftigeren Verbrauchernachfrage, verbesserten öffentlichen Finanzen und einem anhaltenden Zuwachs an Arbeitsplätzen einher, wenngleich die einzelnen Länder ein unterschiedliches Tempo vorlegten. Diese Entwicklungen trugen zu wesentlichen Verbesserungen der Arbeitsmarktlage und der sozialen Bedingungen bei. Die Beschäftigungsquote von Menschen im Alter von 20 bis 64 Jahren stieg im zweiten Quartal 2018 auf 73,2 %. Die Arbeitslosenquote sank auf 6,8 % und auch die Langzeit- und die Jugendarbeitslosigkeit sind rückläufig. Allerdings gibt es nach Auffassung des EWSA große Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, die nicht alle das gleiche Wirtschaftswachstum und den gleichen Beschäftigungszuwachs verzeichnen; besondere Aufmerksamkeit sollte einer besseren Qualität der geschaffenen Arbeitsplätze gewidmet werden, vor allem um sozialen Ungleichheiten entgegenzuwirken.

    2.4.

    Dank der verbesserten Arbeitsmarktbedingungen ist die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen (2017: 113 Mio. Menschen) in manchen Ländern zum ersten Mal unter das Vorkrisenniveau gefallen. Die Erwerbsarmut ist jedoch nach wie vor hoch und nimmt in mehreren Mitgliedstaaten sogar zu. Das Armutsrisiko bleibt eine Herausforderung, insbesondere was Kinder, Menschen mit Behinderungen oder mit Migrationshintergrund sowie Arbeitslose anbelangt.

    2.5.

    Im gemeinsamen Beschäftigungsbericht wird festgestellt, dass aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und öffentliche Arbeitsverwaltungen bei der Schaffung gut funktionierender und inklusiver Arbeitsmärkte eine zentrale Rolle spielen. Aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen verbessern die Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und erhöhen die Chancen für Arbeitssuchende, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

    3.   Öffentliche Arbeitsverwaltungen und Arbeit in der Zukunft

    3.1.

    Die Arbeitsmärkte und Gesellschaften entwickeln sich rasant; die Globalisierung, die digitale Revolution, sich wandelnde Arbeitsmodelle und gesellschaftliche und demografische Entwicklungen bringen sowohl neue Chancen als auch neue Herausforderungen mit sich. Die Probleme, z. B. anhaltende Ungleichheiten, Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit oder die Solidarität zwischen den Generationen, sind in den verschiedenen Mitgliedstaaten oft ähnlich gelagert, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt. Die derzeitige technologische Revolution zeichnet sich insbesondere durch das zunehmende Tempo der Veränderungen aus.

    3.2.

    Noch nie war die Arbeitnehmerschaft so heterogen und so gut gebildet. Die Erwerbsbevölkerung des 21. Jahrhunderts ist mannigfaltig, und die Einstellung des Einzelnen zur Arbeit wandelt sich. Sofern sich Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer mehr Freiheit am Arbeitsplatz und größere Entscheidungsfreiheit wünschen und Arbeit in einer Weise suchen, die zu einer Individualisierung der Arbeitsbedingungen führt, sollten diese Arbeitsbedingungen durch einen sozialen Dialog und einen Tarifvertrag geklärt werden. Die Menschen sollten ihr Potenzial durch den Einsatz ihrer Qualifikationen, Fähigkeiten und Kompetenzen voll entfalten und eine anspruchsvolle und produktive Beschäftigung mit angemessenem sozialen Schutz finden können.

    3.3.

    Eine wichtige Rolle spielt das Europäische Netzwerk der öffentlichen Arbeitsverwaltungen, das für den Zeitraum vom 17. Juni 2014 bis zum 31. Dezember 2020 eingerichtet wurde. 2018 wurde eine Evaluierung eingeleitet, um den Beschluss über das ÖAV-Netzwerk im Hinblick auf die Aspekte Relevanz, Effizienz, Effektivität, Kohärenz und europäischer Mehrwert zu bewerten. In seiner Stellungnahme zu den ÖAV (1) befürwortete der EWSA den Vorschlag der Kommission zur Einrichtung eines Europäischen ÖAV-Netzwerks.

    3.4.

    Die Strategie des Europäischen ÖAV-Netzwerks bis 2020 und darüber hinaus (European PES Network Strategy to 2020 and beyond) spiegelt die jüngsten Entwicklungen auf den Arbeitsmärkten wider, etwa die neue Plattform-Ökonomie, neue Beschäftigungsformen, den Arbeitskräftemangel, die Mobilität der Arbeitskräfte, den zunehmend heterogenen Kundenstamm der ÖAV sowie die Notwendigkeit, neue digitale Technologien zu nutzen und Daten systematischer zu sammeln und aufzubereiten.

    3.5.

    Auf nationaler Ebene wurden in Koordination mit dem Europäischen ÖAV-Netzwerk bereits viele positive Schritte unternommen. Die nationalen ÖAV haben in einigen Ländern bei der Umsetzung der EU-Jugendgarantie hervorragende Arbeit geleistet, indem sie jungen Menschen, besonders NEETs (Jugendlichen, die sich weder in Arbeit noch in Ausbildung befinden), geholfen haben, schneller in den Arbeitsmarkt einzusteigen oder ihren Bildungsweg fortzusetzen. Zudem haben die nationalen ÖAV die Maßnahmen der EU-Initiative für eine bessere Wiedereingliederung Langzeitarbeitsloser umgesetzt, indem sie sich für eine Verbesserung der Meldequote und integrierte Arbeitsverträge eingesetzt haben. Seit 2015 steht außerdem die Eingliederung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in den Arbeitsmarkt auf ihrer Agenda.

    3.6.

    Die Erfahrungen des EWSA zeigen jedoch, dass die Effektivität der ÖAV und ihre Fähigkeit, in einem sich wandelnden Umfeld ihre Aufgaben zu erfüllen, die neuen Herausforderungen in der Arbeitswelt anzugehen und Menschen erfolgreich in diese von Veränderung geprägten Arbeitsmärkte einzugliedern, in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich stark ausgeprägt sind. In vielen Fällen und in einigen Mitgliedstaaten wird der Bedarf der ÖAV an personellen, technischen und finanziellen Kapazitäten unterschätzt.

    3.7.

    Es sollte eine spezielle Berufsgruppe von Berufsberatern effektiver gefördert und die Datenbankintegration für eine wirksame Zusammenführung von Unternehmen und Arbeitnehmern entwickelt werden. In manchen Ländern werden die ÖAV durch private Arbeitsvermittlungsagenturen und Berufsberater ergänzt bzw. ersetzt. Die Zusammenarbeit mit den Unternehmen ist wesentlich, ebenso wie die aktive Beteiligung der Sozialpartner auch auf der lokalen Ebene, um die Beschäftigungsmöglichkeiten auf nationaler wie auch auf regionaler und lokaler Ebene zu erfassen. Die Erfolgsrate der ÖAV-Dienstleistungen sollte auch aus Sicht der Arbeitgeber bewertet werden.

    4.   Die öffentlichen Arbeitsverwaltungen vor dem Hintergrund der europäischen Säule sozialer Rechte

    4.1.

    Seit der Proklamation der europäischen Säule sozialer Rechte sollen die nationalen ÖAV und das Europäische ÖAV-Netzwerk die Ziele der europäischen Säule sozialer Rechte und ihre wichtigsten Grundsätze innovativer unterstützen und umsetzen.

    4.2.

    2017 leistete das Europäische ÖAV-Netzwerk einen formellen Beitrag zum Konsultationsverfahren der Europäischen Kommission, das bezüglich der europäischen Säule sozialer Rechte durchgeführt wurde. 2018 verfasste es sein Arbeitsdokument zur Arbeit der Zukunft. Diese Tätigkeit bot dem Netzwerk Gelegenheit, über die mögliche Weiterentwicklung der ÖAV-Strategie 2020 nachzudenken, damit die ÖAV auch noch in einer durch die neuen Herausforderungen eines sich rasant verändernden Arbeitsmarktes geprägten Welt ihre Aufgaben erfüllen und zu veritablen Berufsberatungsagenturen werden. Die ÖAV arbeiten an der Modernisierung ihrer Organisation, mit dem Ziel, den Kunden Dienstleistungen der „Triple-A-Klasse“ (ability, agility, accountability — Kompetenz, Flexibilität, Verantwortung) anzubieten, um so zur Schaffung eines nachhaltigeren und inklusiveren Arbeitsmarkts beizutragen.

    5.   Die neue Rolle der ÖAV aus Sicht des EWSA

    5.1.

    Der EWSA begrüßt die im Arbeitsprogramm des Europäischen ÖAV-Netzwerks für 2019 festgehaltenen Prioritäten und fordert eine stärkere Verknüpfung zwischen den Grundsätzen der europäischen Säule sozialer Rechte und den Instrumenten des Netzwerks für Benchmarking und gegenseitiges Lernen. Dies könnte sowohl zu besser integrierten Dienstleistungen der ÖAV als auch zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte beitragen.

    5.2.

    Im November 2018 organisierte die Arbeitsmarktbeobachtungsstelle des EWSA eine Konferenz zum Thema Öffentliche Arbeitsverwaltungen und Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte. Die dort angeführten Beispiele bestätigten, dass öffentliche und private Arbeitsvermittlungsdienste einander ergänzen müssen, und verdeutlichten die konkreten Vorteile einer guten Zusammenarbeit zwischen ÖAV und Sozialpartnern. Die proaktive Tätigkeit der ÖAV, die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle für Unternehmen, gemeinsame Schulungen durch ÖAV und Unternehmen erwiesen sich dabei als Schlüssel, um Arbeitssuchende in nachhaltige Beschäftigungen zu vermitteln.

    5.2.1.

    Der EWSA regt an, sich darum zu bemühen, dass auf Stellengesuche und -angebote besser eingegangen wird, mehr Anreize für Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer geschaffen werden (indem z. B. Arbeitnehmer, die Niedriglöhne erhalten, weiterhin manche der bei Arbeitslosigkeit vorgesehenen Sozialleistungen beziehen können) und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Arbeitsplatzsicherheit und damit für langfristigere Beschäftigungsverträge gesorgt wird. Europa ist immer noch weit davon entfernt, das volle Potenzial der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte auszuschöpfen. Europa muss nachhaltige Unternehmen fördern, damit diese insbesondere mehr hochwertige und produktive Arbeitsplätze schaffen können.

    5.2.2.

    In seiner Stellungnahme (2) bezeichnet der EWSA den Zugang zu Sozialschutzsystemen als Schlüsselfaktor für gerechtere Gesellschaften und grundlegende Komponente für produktive, gesunde und aktive Arbeitskräfte. Die EU sollte die Art und Weise verbessern, in der die bestehende offene Methode der Koordinierung die Mitgliedstaaten dabei unterstützt, erzielte Reformfortschritte zu überwachen und die Leistung ihrer beschäftigungspolitischen Maßnahmen und ihrer nationalen Sozialschutzsysteme zu verbessern. Es sollte für stärkere Synergien zwischen den Dienstleistungen der ÖAV, der sozialen Infrastruktur und den Sozialleistungssystemen gesorgt werden, damit Arbeitslose bei der Stellensuche besser unterstützt und Arbeitsuchende durch die Wiederaufnahme einer Beschäftigung nicht benachteiligt werden.

    5.2.3.

    Mobilität: Nach Meinung des EWSA bleibt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auf der Grundlage der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung sowie des Abbaus bestehender Mobilitätshemmnisse auch in Zukunft eine der Prioritäten der EU. In seiner Stellungnahme zum EURES-Netz (3) fordert der EWSA die Umwandlung von EURES in ein echtes Instrument für die Abstimmung von Angebot und Nachfrage auf dem europäischen Arbeitsmarkt; dies sollte in enger Zusammenarbeit mit den öffentlichen Arbeitsverwaltungen erfolgen. Die EU-weite Mobilität der Arbeitnehmer ist verbunden mit den kontinuierlichen Bemühungen, die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit zu modernisieren und für alle Mitgliedstaaten gerechter zu gestalten. Insbesondere im Falle des Arbeitslosengelds von grenzüberschreitend erwerbstätigen Personen sollte, sofern zwischen den Mitgliedstaaten nichts anderes vereinbart wurde, der Grundsatz des lex loci laboris angewendet werden, wenn es darum geht, den zuständigen Mitgliedstaat zu bestimmen.

    5.2.4.

    Arbeitsmarktrelevante Kompetenzen: Im ersten Grundsatz der europäischen Säule sozialer Rechte wird die soziale Dimension von Bildung verdeutlicht. Danach hat jede Person das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form. Hinzu kommt, dass der in ganz Europa zunehmende Arbeitskräftemangel eine Gefahr für das künftige Wachstum darstellt. ÖAV, Sozialpartner, Unternehmen, regionale Beschäftigungs- und Kompetenzräte und andere einschlägige regionale Strukturen sollten bei geteilter Verantwortung der verschiedenen Akteure enger zusammenarbeiten, um regionale Unterschiede zu überwinden und sowohl Arbeitssuchenden als auch von Arbeitslosigkeit bedrohten Menschen angemessene berufliche Beratung und Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung und Umschulung sowie zur beruflichen Neuorientierung anbieten zu können. Hierzu gehört auch, Menschen zu ermutigen, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen.

    5.2.5.

    Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern: Bei der Ausarbeitung der EU-Sozialpolitik muss den Sozialpartnern — unter uneingeschränkter Wahrung ihrer Autonomie — mehr Raum gegeben werden. Als Schlüsselakteure am Arbeitsmarkt können sie — in Zusammenarbeit mit den nationalen ÖAV — wesentlich dazu beitragen, die Beschäftigungsmöglichkeiten auch vor Ort zu erfassen, und den Menschen den Einstieg in den Arbeitsmarkt oder eine Umorientierung auf dem Arbeitsmarkt zu erleichtern. Konkret bedeutet dies, Arbeitssuchende bei ihrer Suche nach einem Arbeitsplatz und Unternehmen bei ihrer Suche nach Humanressourcen zu unterstützen und jungen Menschen und Erwachsenen dabei zu helfen, die am besten geeigneten Qualifizierungswege zu wählen (ADEM in Luxemburg).

    5.2.6.

    Zivilgesellschaft: Der EWSA vertritt eine Vielzahl von Organisationen der Zivilgesellschaft, die bereits zahlreiche Stellungnahmen abgegeben haben, in denen sie auf die Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte eingehen. Der Mehrwert der Organisationen der Zivilgesellschaft besteht darin, dass sie die Situation vor Ort genau kennen und mit den Bedürfnissen verschiedener Gruppen (Migranten, Menschen mit Behinderungen, junge Menschen, Frauen) vertraut sind. Dadurch können sie wirksam zu einer gezielteren Arbeitsweise der ÖAV beitragen (man denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Rolle der Berufsberater in Italien).

    5.2.7.

    Zusammenarbeit mit privaten Arbeitsverwaltungen: Die Erfahrung zeigt, dass die gleichberechtigte Beteiligung und Integration öffentlicher und privater Dienste zu wirksamen und positiven Ergebnissen in Form eines wahrhaft inklusiven und nachhaltigen Arbeitsmarktes führen kann. Diese Komplementarität muss gefördert werden. Es ist immer sehr schwierig, Arbeitsmarktprognosen abzugeben. Die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts ändern sich rasant. Zuverlässige Daten sind von größter Bedeutung. Die inklusiven Arbeitsmärkte, die wir fordern, setzen jedoch voraus, dass alle Menschen einbezogen werden.

    6.   Anhaltende Unzulänglichkeiten in der gezielten Unterstützung durch die ÖAV

    6.1.

    Der EWSA ist erfreut darüber, dass sowohl im Arbeitsprogramm des Europäischen ÖAV-Netzwerks als auch in den Arbeitsprogrammen der nationalen ÖAV auf die wichtigsten Zielgruppen eingegangen wird. Er betont jedoch, dass es nach wie vor Unzulänglichkeiten gibt und dass die ÖAV den Grundsatz der Diversität und der Nichtdiskriminierung in ihrer täglichen Arbeit stärker beachten müssen. Die Anstrengungen müssen fortgesetzt oder verstärkt werden, insbesondere im Hinblick auf

    6.1.1.

    Jugendliche: Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass die finanziellen Mittel für die Umsetzung der Jugendgarantie verdoppelt wurden. Die ÖAV sollten in einen langfristigen Ansatz für die Erbringung von Dienstleistungen für junge Arbeitsuchende investieren — darunter auch die bessere Nutzung von IKT und Internettools —, um die Dienstleistungen für die schutzbedürftigsten Gruppen junger Menschen zu stärken. Die ÖAV sollten junge Menschen noch stärker individuell unterstützen, mit ihren Familien zusammenarbeiten und sie angemessen über die Lage auf dem Arbeitsmarkt informieren.

    6.1.2.

    Erwachsene: Die alternde Bevölkerung in Europa, die höhere Lebenserwartung der Menschen und die Notwendigkeit, die Zusammenarbeit zwischen den Generationen zu fördern, die immer rasanteren Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt, neue Formen der Arbeit und die Ausbreitung der digitalen Technologien in allen Aspekten des täglichen Lebens haben zu einer steigenden Nachfrage nach neuen Kompetenzen und einem höheren Niveau von Fähigkeiten, Kenntnissen und Kompetenzen geführt; dies macht es immer dringender, Weiterbildungs- oder Umschulungsmöglichkeiten für all jene Menschen anzubieten, die über keine Grundkompetenzen verfügen oder die keine Qualifikation erworben haben, um ihre Beschäftigungsfähigkeit und ihr bürgerschaftliches Engagement zu gewährleisten.

    6.1.3.

    Frauen: Der EWSA begrüßt die Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (4), die Eltern und betreuenden Personen, insbesondere Frauen, dabei hilft, ihre Arbeit und ihre täglichen Pflichten besser miteinander in Einklang zu bringen. Notwendig sind zudem Investitionen in die soziale Infrastruktur, z. B. für die Betreuung von Kindern und älteren Menschen usw. Dazu gehört auch die wirksame Unterstützung von Frauen bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt durch die nationalen ÖAV, bei der die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben gebührend zu berücksichtigen ist.

    6.1.4.

    Menschen mit Behinderungen: Menschen mit Behinderungen machen etwa ein Sechstel der gesamten EU-Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter aus, doch ist ihre Beschäftigungsquote vergleichsweise gering. Dies ist das wichtigste Ergebnis der EWSA-Anhörung im Jahr 2017. Insbesondere Frauen und Mädchen mit Behinderungen (5) sind nach wie vor mit mehrfachen und sich überschneidenden Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung konfrontiert. Sie sind nur zu oft unter anderem von inklusiver allgemeiner und beruflicher Bildung, Beschäftigung, Zugang zu Armutsbekämpfungsprogrammen, angemessenem Wohnraum und der Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben ausgeschlossen. Sie benötigen besondere Hilfe und müssen von den ÖAV individuell unterstützt werden.

    6.1.5.

    Migration: Die legale Migration kann für die positive Entwicklung der Arbeitsmärkte eine wichtige Rolle spielen. In seiner Stellungnahme (6) hat der EWSA die Bedeutung einer kohärenten Migrationspolitik und eines gut ausgestalteten rechtlichen Rahmens hervorgehoben und konstatiert, dass das europäische Wirtschafts- und Sozialmodell ohne Migration in Gefahr ist. Es wird weiterhin wichtig sein, Flüchtlinge, die das Recht auf einen Verbleib in Europa haben, in Ausbildung, Arbeit und in die Gesellschaft im Allgemeinen zu integrieren. In vielen Ländern haben die ÖAV bereits zahlreiche Initiativen ergriffen, um dazu einen Beitrag zu leisten.

    6.1.6.

    Roma: Der EWSA ist sehr engagiert, was Fragen in Verbindung mit den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Roma angeht, und setzt sich für eine bessere Integration der Roma ein (7). Der EWSA hält Synergien zwischen der Umsetzung des in der europäischen Säule sozialer Rechte verankerten Grundsatzes des gleichen Zugangs und weiteren Schritten für eine erfolgreichere Integration der Roma für möglich. Besonders der Unterstützung von Roma-Frauen sollten die ÖAV Priorität einräumen.

    6.1.7.

    Die nicht erwerbstätige Bevölkerung gehört nicht zu den traditionellen Zielgruppen der ÖAV, wenngleich ein wesentlicher Anteil nicht erwerbstätiger Personen gerne arbeiten würde. Das Europäische ÖAV-Netzwerk hat eine Studie zur Rolle der ÖAV bei der Einbindung der nicht erwerbstätigen Bevölkerung (The role of PES in outreach to the inactive population) veröffentlicht, die einen Überblick über Maßnahmen zur Einbeziehung der Nichterwerbsbevölkerung unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der ÖAV bietet. Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die auf diese Bevölkerungsgruppe gerichteten Reaktivierungsmaßnahmen neu zu gestalten.

    7.   Eine umfassende Unterstützung für die nationalen öffentlichen Arbeitsverwaltungen

    7.1.

    Nach den europäischen beschäftigungspolitischen Leitlinien von 2019 (Leitlinie 7) sind die Mitgliedstaaten angehalten, die Wirksamkeit ihrer aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu erhöhen. Die Mitgliedstaaten sollten darauf hinwirken, die Wirksamkeit der öffentlichen Arbeitsverwaltungen zu steigern, indem sie Arbeitsuchenden frühzeitig maßgeschneiderte Hilfsangebote bereitstellen, die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt stimulieren und leistungsorientiertes Management umsetzen.

    7.2.

    Um einen wirksamen Beitrag zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte zu leisten, benötigen die nationalen ÖAV stärkere Unterstützung und geeignete Bedingungen:

    7.2.1.

    Ausreichende Humanressourcen. Die Komplexität der von den ÖAV erbrachten Dienstleistungen (Suche nach und Auswahl von Personal, Outplacement, Beratung und Hilfe bei Anträgen auf Einkommensunterstützung, Vermittlung von Ausbildungsplätzen) erfordert geschultes Personal, das spezielle Kompetenzen besitzt, unter nachhaltigen Bedingungen arbeitet und mit Berufsberatern und privaten Arbeitsvermittlungsagenturen zusammenarbeitet.

    7.2.2.

    Anpassung an die technologische Entwicklung. Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft bringt neue Instrumente hervor, die — sofern sie richtig gehandhabt werden — die ÖAV bei ihrer Aufgabe unterstützen können, etwa indem sie von den ÖAV bei der Ausbildung der eigenen Mitarbeiter oder bei der Integration von Datenbanken eingesetzt werden. Letztere würde ein wirksames Zusammenführen von Unternehmen und Arbeitnehmern ermöglichen, die ihrerseits beide an der Entwicklung der Kompetenzen und Aufgaben im neuen digitalen Zeitalter beteiligt sind.

    7.3.

    Am 2. Mai 2018 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für den mehrjährigen Finanzrahmen für 2021–2027 angenommen. Dieser Vorschlag ist auf die aktuelle soziale und wirtschaftliche Lage abgestimmt und geht konkret auf die Forderung der europäischen Öffentlichkeit ein, ein sozialeres Europa zu schaffen und mehr in die Menschen in der Europäischen Union zu investieren. Der Europäische Sozialfonds Plus (ESF+) ist ein Schlüsselinstrument der EU, wenn es darum geht, in die Menschen zu investieren und die europäische Säule sozialer Rechte umzusetzen. Die ÖAV sollen durch die Komponente Beschäftigung und soziale Innovation des Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) finanziert werden.

    7.4.

    Die neuen Aufgaben der ÖAV — insbesondere im Rahmen der aktiven Beschäftigungspolitik — müssen in entsprechenden Kapazitäten und ausreichender finanzieller Unterstützung ihren Niederschlag finden.

    7.5.

    Der EWSA fordert, dass die ÖAV und andere Sozial- und Arbeitsmarktdienstleister systematischer und strukturierter zusammenarbeiten, um die vielfältigen Hindernisse für Arbeitsuchende beim Eintritt in den Arbeitsmarkt (in den Bereichen Gesundheit, Wohnraum, Verkehr) anzugehen. Die Modernisierung der ÖAV ist ein komplexer Prozess; mangelnde Koordinierung, Programmplanung, Planung und Aufteilung der Zuständigkeiten auf nationaler und/oder regionaler Ebene führen hier zu einer Fragmentierung.

    7.6.

    Nach Ansicht des EWSA müssen die Dienstleistungen der ÖAV stärker überwacht, evaluiert und miteinander verglichen werden, um zu bewerten, wie wirksam sie Arbeitsuchende beim Eintritt in den Arbeitsmarkt unterstützen. Gemeinsame Normen und Leitlinien auf EU-Ebene könnten dazu beitragen, die Wirksamkeit der ÖAV und die Synergie-Effekte zwischen den Ländern zu verbessern. Bestehende Datenquellen wie die Arbeitskräfteerhebung sollten stärker genutzt werden, und Agenturen wie Eurofound können zu dieser Überwachung beitragen.

    Brüssel, den 17. Juli 2019

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Luca JAHIER


    (1)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 116.

    (2)  ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 135.

    (3)  ABl. C 424 vom 26.11.2014, S. 27.

    (4)  ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 44.

    (5)  ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 20.

    (6)  ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 1.

    (7)  ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 88.


    Top