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Document 52016IE0941

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rechte von im Haushalt lebenden Pflegekräften“(Initiativstellungnahme)

    ABl. C 487 vom 28.12.2016, p. 7–13 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    28.12.2016   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 487/7


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rechte von im Haushalt lebenden Pflegekräften“

    (Initiativstellungnahme)

    (2016/C 487/02)

    Berichterstatter:

    Adam ROGALEWSKI

    Beschluss des Plenums

    21.1.2016

    Rechtsgrundlage

    Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

     

    Initiativstellungnahme

    Zuständige Fachgruppe

    Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

    Annahme in der Fachgruppe

    9.9.2016

    Verabschiedung auf der Plenartagung

    21.9.2016

    Plenartagung Nr.

    519

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    168/2/6

    1.   Empfehlungen

    1.1.

    Es muss eine Diskussion über die Einführung einer gemeinsamen Berufsdefinition für die „Pflege durch im Haushalt lebende Fachkräfte“ in Europa und deren Anerkennung als Form der häuslichen Pflege angestoßen werden. Die Definition von häuslicher Pflege durch im Haushalt lebende Fachkräfte sollte die Arbeitsvereinbarungen für (angestellt oder selbstständig tätige) Personen umfassen, die in Privathaushalten leben und deren Arbeit hauptsächlich in der Pflege und Betreuung älterer und behinderter Menschen besteht. Im Haushalt lebende Pflegekräfte sollten ungeachtet ihres Angestellten- oder Selbstständigenstatus als Teil eines Langzeitpflege-Systems betrachtet werden. Die Einführung einer gemeinsamen Berufsdefinition bezweckt die Anerkennung der Existenz von im Haushalt lebenden Pflegekräften auf den europäischen Arbeitsmärkten und die Verbesserung der Qualität der von ihnen erbrachten Langzeitpflege-Dienstleistungen.

    1.2.

    Um eine Informationsgrundlage für die Politikgestaltung zu schaffen, sollte Eurostat entsprechende Daten über im Haushalt lebende Pflegekräfte erheben.

    1.3.

    Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die Situation dieser Arbeitskräfte zu untersuchen, u. a. ihre Anzahl, Staatsangehörigkeit, Migrationsstatus, grenzüberschreitende Mobilität, effektive Integration in Arbeits- und Sozialschutzsysteme, Arbeitsbedingungen und sozialen Umstände sowie ihre Qualifikationen und ihren tatsächlichen und potenziellen Beitrag zu den europäischen Volkswirtschaften.

    1.4.

    Der EWSA unterstreicht, dass im Haushalt lebende Pflegekräfte auf vergleichbare Weise behandelt werden sollten wie andere Pflegekräfte. Das bedeutet, dass sie einen vergleichbaren Schutz genießen sollten, z. B. eine Begrenzung der Arbeitszeit (einschließlich Bereitschaften) und einen Schutz gegen Scheinselbstständigkeit. Im Haushalt lebende angestellte Pflegekräfte dürfen nicht von einschlägigen Beschäftigungsregelungen der EU und der Mitgliedstaaten ausgeklammert werden, z. B. von angemessener Bezahlung, Gesundheitsschutz- und Sicherheitsvorschriften, sozialer Sicherheit und dem Recht auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen.

    1.5.

    Der Fachkräftemangel im Bereich der Langzeitpflege in Europa sollte positiv angegangen werden, indem angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen garantiert, der Mangel an Investitionen behoben, die Grundsätze der Freizügigkeit beachtet, Hindernisse für Arbeitskräfte bei der Wahrnehmung ihrer Arbeitnehmerrechte abgebaut und Möglichkeiten des Zugangs zu einer regulären Beschäftigung für Migrantinnen und Migranten geschaffen werden.

    1.6.

    Der EWSA fordert die Europäische Union auf, das Angebot und die Mobilität von im Haushalt lebenden Pflegekräften in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zu koordinieren, und zwar im Rahmen eines Konzepts zur Steigerung der Gesamtkapazität der Branche für die Erbringung hochwertiger Pflegedienstleistungen. Konkrete Maßnahmen sollten unter anderem Folgendes umfassen:

    Verbesserung der Garantien in der Richtlinie über Sanktionen gegen Arbeitgeber (2009/52/EG) zum Schutz der Rechte von Arbeitnehmern ohne gültigen Aufenthaltstitel, um gegen die irreguläre Beschäftigung vorzugehen. Die EU-Opferschutzrichtlinie (2012/29/EU) muss konsequent angewandt werden, um im Haushalt lebenden Pflegekräften, die Opfer von Ausbeutung sind, ungeachtet ihres Migrationsstatus wirksam zu helfen;

    Abstimmung aller relevanter EU-Richtlinien auf das Übereinkommen 189 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die Rechte von Hausangestellten;

    Berücksichtigung der Rechte der im Haushalt lebenden Pflegekräfte und der von ihnen betreuten Personen bei künftigen Überarbeitungen oder Vorschlägen für Rechtsvorschriften der EU und der Mitgliedstaaten;

    vorrangiges Angehen einer Reform der Arbeitsbedingungen von im Haushalt lebenden Pflegekräften im Rahmen der Europäischen Plattform zur Bekämpfung nicht angemeldeter Erwerbstätigkeit — eine Initiative, die vom EWSA begrüßt wird;

    Berücksichtigung der Rechte von im Haushalt lebenden Pflegekräften im Europäischen Semester sowie in den Beratungen im Zusammenhang mit der Initiative „New start to address the challenges of work-life balance“ („Neubeginn zur Bewältigung der Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben“);

    Initiierung einer EU-weiten Informationskampagne über die Rechte von im Haushalt lebenden Pflegekräften, die sich an Nutzer und Anbieter von Pflegedienstleistungen richtet;

    Förderung und Unterstützung der Gründung von Organisationen und Genossenschaften von im Haushalt lebenden Pflegekräften;

    Einführung von Verfahren für die Anerkennung, Harmonisierung und Übertragbarkeit der Qualifikationen und Berufserfahrung von im Haushalt lebenden Pflegekräften unter Rückgriff auf Instrumente zur Anerkennung von Qualifikationen, einschließlich der durch die Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten eingeführten Instrumente (1);

    Umschichtung europäischer Mittel zur Finanzierung von Schulungen für derzeitige und potenzielle im Haushalt lebende Pflegekräfte zur Verbesserung der Pflegequalität;

    Überwachung und Verbesserung der Entsendung von im Haushalt lebenden Pflegekräften durch die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit.

    Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass im Kommissionsvorschlag zur europäischen Säule sozialer Rechte in keiner Weise auf die Situation von im Haushalt lebenden Pflegekräften eingegangen wird. Bei der weiteren Arbeit an dem Vorschlag zur Säule — zu der der EWSA derzeit eine Stellungnahme erarbeitet — sollte erwogen werden, ihre sozialen Rechte zu berücksichtigen.

    1.7.

    Die Mitgliedstaaten sollten den Schutz der Rechte von Pflegebedürftigen und Pflegekräften — einschließlich der im Haushalt lebenden — sicherstellen. Konkrete Maßnahmen sollten unter anderem Folgendes umfassen:

    Ratifizierung und Umsetzung des Übereinkommens Nr. 189 der ILO (2) und Regularisierung des Status von im Haushalt lebenden Pflegekräften ohne gültigen Aufenthaltstitel;

    Einführung unterstützender Maßnahmen, darunter die Vermittlung von Personal, um Pflegebedürftigen bei der Suche nach im Haushalt lebenden Pflegekräften zu helfen;

    Schaffung eines umfassenden Systems der Unterstützung für Pflegeempfänger und ihre Familien, einschließlich steuerlicher Anreize oder Zuschüssen;

    Bereitstellung von Schulungsprogrammen für im Haushalt lebende Pflegekräfte, die bezahlten Urlaub erhalten, um an diesen Programmen teilzunehmen;

    Förderung der Versammlungsfreiheit und der Tarifverhandlungen in der Branche, u. a. durch die Unterstützung der Rechte der im Haushalt lebenden Pflegekräfte und ihrer Arbeitgeber/Auftraggeber, Vereinigungen beizutreten oder zu gründen;

    Bekämpfung von Sozialdumping und Ausbeutung;

    proaktive Regulierung der Langzeitpflege-Branche, insbesondere hinsichtlich der Einhaltung von Arbeitsgesetzen, um den Schutz der Pflegeempfänger und der im Haushalt lebenden Pflegekräfte zu gewährleisten. So ist sicherzustellen, dass die Arbeitsaufsichtsbehörden und andere einschlägige staatliche und nichtstaatliche Organisationen Zugang zu Arbeitsplätzen in Privathaushalten erhalten.

    1.8.

    Der EWSA unterstreicht, dass die finanzielle Unterstützung für Pflegebedürftige, die auf im Haushalt lebende Pflegekräfte angewiesen sind, durch geeignete langfristige und nachhaltige öffentliche Investitionen gewährleistet werden muss.

    1.9.

    Gewerkschaften, Arbeitgeber und zivilgesellschaftliche Organisationen müssen an der Politikgestaltung auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU beteiligt sein. Es sollte der soziale und zivile Dialog mit allen Interessenträgern auf allen Ebenen gefördert werden.

    1.10.

    Der EWSA sollte sich aktiv für die Förderung der Konzeption von EU-Maßnahmen zur Unterstützung von Pflegekräften, Pflegebedürftigen und ihren Familien einsetzen, unter anderem durch die Organisation einer Konferenz zur Zukunft der Pflege durch im Haushalt lebende Fachkräfte.

    2.   Hintergrund

    2.1.

    Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist eine „tickende Zeitbombe“. Der Pflegenotstand dauert an (3), und der Fachkräftemangel wird zunehmen, solange keine entsprechenden politischen Maßnahmen ergriffen werden. Schon 1994 bestimmte die Europäische Kommission die Pflege als strategischen Sektor. 2010 warnte die Europäische Kommission davor, dass im Jahr 2020 zwei Millionen Pflegekräfte fehlen werden (davon bis zu eine Million im Bereich der Langzeitpflege), wenn keine dringenden Abhilfemaßnahmen ergriffen würden (4).

    2.2.

    Im Haushalt lebende Pflegekräfte stellen rein zahlenmäßig einen bedeutsamen, aber kaum beachteten Teil der Arbeitskräfte im Langzeitpflegebereich. Sie sind hochmobil und befinden sich innerhalb der Branche am unteren Ende der Arbeitskräftehierarchie. Bei den Planungen bezüglich der Langzeitpflege-Branche auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene finden im Haushalt lebende Pflegekräfte vielfach keine Berücksichtigung.

    2.3.

    Die genaue Anzahl von im Haushalt lebenden Pflegekräften ist aufgrund fehlender Daten unklar; häufig werden sie in Datenerhebungssystemen übersehen. Als kaum anerkannte und schlecht bezahlte Pflegekräfte sind im Haushalt lebende Pflegekräfte für politische Entscheidungsträger schon viel zu lange „unsichtbar“.

    2.4.

    Im Haushalt lebende Pflegekräfte gibt es in allen Mitgliedstaaten. Viele von ihnen sind Migranten aus Drittländern, andere hingegen EU-Bürger, die in ihrem Heimatland oder im Ausland arbeiten. Einige Migranten ohne gültigen Aufenthaltstitel üben eine irreguläre Arbeit aus, andere befinden sich in zirkulärer oder temporärer Migration. Manche sind unter prekären Arbeitsbedingungen tätig, u. a. als Scheinselbstständige.

    2.5.

    Da es derzeit noch keine Definition für die Beschäftigung von im Haushalt lebenden Pflegekräften gibt, werden sie Hausangestellten gleichgestellt (5). Angaben der ILO zufolge macht Haushaltsarbeit einschließlich Pflege zwischen 5 % und 9 % der Gesamtbeschäftigung in den Industrieländern aus (6).

    2.6.

    Einige Mitgliedstaaten sind bezüglich der Formalisierung und Integration von Migrantinnen und Migranten ohne Aufenthaltstitel, die als Pflegekräfte arbeiten, durch die Unterzeichnung des Übereinkommens Nr. 189 der ILO bereits tätig geworden.

    2.7.

    Der EWSA hat bereits zur Politikgestaltung in Bezug auf die Langzeitpflege und -betreuung durch Stellungnahmen zu Arbeitnehmerrechten von Hausangestellten (7), dem Bedarf an Sozialinvestitionen (8) und Langzeitbetreuung und Deinstitutionalisierung (9) beigetragen. Die vorliegende Stellungnahme beruht auf diesen Positionen, wobei der Schwerpunkt auf der spezifischen Situation von im Haushalt lebenden Pflegekräften liegt.

    3.   Arbeitskräftemangel, Sparmaßnahmen, Migration und im Haushalt lebende Pflegekräfte

    3.1.

    Die schnelle Zunahme der häuslichen Pflege wird durch den zunehmenden Wunsch nach Betreuung in den eigenen vier Wänden, die für viele Menschen zu hohen Kosten einer Heimunterbringung sowie unzureichende Investitionen in die Infrastruktur im Pflegebereich beeinflusst.

    3.2.

    Die in den meisten Mitgliedstaaten ergriffenen Sparmaßnahmen haben die bereits begrenzte Infrastruktur im Bereich der Langzeitpflege noch weiter eingeschränkt und den diesbezüglichen Fachkräftemangel verschärft. Nach Auffassung des EWSA sollten Investitionen in die Langzeitpflege positiv gesehen werden, und zwar als wirtschaftliche Chance und als Schwerpunktbereich für die Schaffung von Arbeitsplätzen, die soziale Unterstützung für Familien und die Gleichstellung der Geschlechter. Investitionen in die Pflege stärken die Erwerbsbeteiligung und schaffen einen möglichen Ausweg aus der Wirtschaftskrise (10).

    3.3.

    In zahlreichen Mitgliedstaaten fehlt es an Pflegefachkräften. Durch die Beschäftigung von im Haushalt lebenden regulären Pflegkräften wie auch von solchen ohne Aufenthaltstitel wird der Mangel im Langzeitpflegebereich verringert. Insbesondere die Pflegesysteme in Südeuropa sind in großem Maße von im Haushalt lebenden Pflegekräften abhängig. In Italien machen aus dem Ausland stammende, im Haushalt lebende Pflegekräfte ca. 75 % der in der häuslichen Pflege Beschäftigten aus (11).

    3.4.

    Mittel- und osteuropäische Länder (MOEL) sind vom Fachkräftemangel im Pflegebereich ebenso betroffen wie vom wachsenden Pflegebedarf in Westeuropa. Beispielsweise arbeiten zahlreiche Polen als im Haushalt lebende Pflegekräfte im Ausland, obwohl es in Polen selbst an Pflegekräften mangelt. Dieser Mangel wird durch Arbeitskräfte aus der Ukraine und anderen Drittstaaten ausgeglichen.

    3.5.

    Trotz des wachsenden Bewusstseins für die Bedeutung der Pflegebranche für den Wohlstand ist der Beitrag der von im Haushalt lebenden Pflegekräften geleisteten Arbeit nicht erfasst und sollte europaweit untersucht werden.

    3.6.

    Viele Europäerinnen zählen zur „Sandwich-Generation“, d. h., von ihnen wird erwartet, dass sie sich um ihre Eltern wie um ihre Kinder kümmern. Sie greifen dafür zunehmend auf bezahlte Pflegekräfte zurück. In einer Welt mit globalisierten Pflegedienstleistungen führt dies zu weltweiten Pflegeketten (12). In der Pflege beschäftigte Migrantinnen und Migranten, die aus Erwerbsgründen auswandern, müssen häufig für ihre eigenen Familienangehörigen Pflegekräfte finden und Personen aus anderen — häufig ärmeren — Verhältnissen einstellen.

    4.   Arbeitsbedingungen von im Haushalt lebenden Pflegekräften

    4.1.

    Der geringe Status von im Haushalt lebenden Pflegekräften ist die Folge der geschlechtsspezifischen Denkweise, dass Pflege gering qualifizierte „Frauenarbeit“ ist. Verstärkt wird dies auch durch die strukturelle Ausgrenzung von Migrantinnen. In verschiedenen Arbeitskräfteerhebungen werden Hausangestellte als gering qualifiziert oder unqualifiziert eingestuft. Ein nicht unerheblicher Anteil der im Haushalt lebenden Pflegekräfte verfügt jedoch über Kompetenzen und Qualifikationen, die aus jahrelanger Erfahrung oder aus nicht anerkannten formellen Ausbildungs- und Zertifizierungsprogrammen resultieren. Im Haushalt lebende Pflegekräfte müssen häufig ihre Erfahrung im Pflegebereich und Qualifikationen nachweisen, bevor sie eingestellt werden; diese Anforderungen spiegeln sich aber nicht in ihren Arbeitsbedingungen wider.

    4.2.

    Viele m Haushalt lebende Pflegekräfte sind mit ungeregelten Arbeitsbedingungen konfrontiert, und viele von ihnen arbeiten irregulär. Sie haben oft keine Möglichkeit, ihre Arbeitnehmerrechte wahrzunehmen, und werden ausgebeutet. Die Arbeitsbedingungen grenzen mitunter an moderne Sklaverei: Manchmal werden die Arbeitskräfte isoliert, Opfer von Gewalt oder Missbrauch oder gezwungen, rund um die Uhr zu arbeiten, ohne ein Mindestmaß an Lebensstandard, wie etwa ein eigenes Zimmer. Andere arbeiten als Scheinselbstständige. In vielen Fällen haben Arbeits- und sonstige staatliche Aufsichtsbehörden oder Gewerkschaften keinen Zugang zu den Arbeitsplätzen der Pflegekräfte (d. h. Privatwohnungen).

    4.3.

    Maßnahmen zur Regularisierung und Legalisierung von im Haushalt lebenden Pflegekräften müssen gefördert werden, um den legalen Zugang zur Pflegebranche sicherzustellen. Für einen solchen Ansatz gibt es durchaus Präzedenzfälle: In Spanien und Italien wurden seit 2002 ungefähr 500 000 Hausangestellte ohne Aufenthaltstitel regularisiert (13). Es müssen Maßnahmen auf dem Gebiet der Arbeitsmigration entwickelt werden, die es Drittstaatsangehörigen ermöglichen, regulär im Pflegesektor zu arbeiten, dabei die gleiche Behandlung zu genießen und den Arbeitgeber wechseln zu können.

    4.4.

    Im Haushalt lebende Pflegekräfte zählen zu den mobilsten Arbeitskräften im Langzeitpflegebereich. Viele im Haushalt lebende Pflegekräfte stammen aus mittel- und osteuropäischen Ländern, sind Frauen mittleren Alters und haben eigene familiäre Verpflichtungen (14). Üblicherweise arbeiten Pflegekräfte aus Mittel- und Osteuropa bis zu drei Monaten am Stück in westeuropäischen Ländern, bevor sie in ihre Heimat zurückkehren.

    4.5.

    Durch die Migration von qualifizierten im Haushalt lebenden Pflegekräften in die Aufnahmeländer fällt in den Herkunftsländern eine erhebliche Zahl an Arbeitskräften aus. Werden die Qualifikationen der Arbeitskräfte in den Aufnahmeländern nicht anerkannt, bedeutet dies einen sozialen und wirtschaftlichen Verlust in Zeiten eines generellen Fachkräftemangels im europäischen und weltweiten Pflegesektor.

    4.6.

    Alle diese Umstände spiegeln die Tatsache wider, dass die Rechte der im Haushalt lebenden Pflegekräfte durch den europäischen und einzelstaatlichen Rechtsrahmen nicht angemessen geschützt sind.

    4.7.

    Im Haushalt lebende Pflegekräfte sollten von den Mitgliedstaaten unterstützt und gefördert werden, um ihrer irregulären Beschäftigung vorzubeugen.

    5.   Die Rolle der Pflegebedürftigen und ihrer Familien

    5.1.

    Pflegebedürftige und ihre Familien finden schwer eine entsprechende Fachkraft. In den meisten Fällen werden Pflegekräfte über informelle Netzwerke innerhalb der Familie oder unter Freunden gefunden. Bei Pflegekräften, die unter diesen Umständen eingestellt werden, gibt es kaum eine Garantie für die Qualität der Pflege. Familien fehlt es häufig an klaren Leitlinien für die legale Beschäftigung von Pflegekräften.

    5.2.

    Pflegebedürftige und ihre Familien sollten vom Staat entsprechend unterstützt werden. Auf kurze Sicht sollte dies auch eine Informationskampagne und fortlaufende Unterstützung bei Fragen der Beschäftigung und der Sozialversicherung von im Haushalt lebenden Pflegekräften umfassen. Auf lange Sicht sollten die Mitgliedstaaten durch entsprechende Schritte eine Aufsicht und das Vorhandensein von Vermittlungsstellen sicherstellen, um Pflegebedürftige bei der Suche nach im Haushalt lebenden Pflegekräften zu unterstützen.

    5.3.

    Pflegebedürftige und ihre Familien sollten auf ein ihren Bedürfnissen entsprechendes breites Angebot an Unterstützungsleistungen zurückgreifen können, einschließlich häuslicher Pflegedienste auf Teilzeit- oder Vollzeitbasis. Bei sämtlichen Pflegevereinbarungen müssen angemessene Bedingungen für die angestellt oder selbstständig Tätigen sichergestellt sein.

    5.4.

    Pflegebedürftige und ihre Familien sollten auch für die Bedürfnisse der im Haushalt lebenden Pflegekräfte sensibilisiert werden und diese als Arbeitskräfte behandeln, die Respekt verdienen und Rechte besitzen. Die Pflege ist eine sowohl körperlich als auch psychisch äußerst anspruchsvolle Arbeit. Im Haushalt lebende Pflegekräfte sollten adäquat untergebracht werden und ein eigenes Zimmer haben; und im Falle angestellter Pflegekräfte müssen ihre Arbeitszeiten (einschließlich Bereitschaften) eingehalten werden.

    5.5.

    Gleichzeitig muss das Recht des Pflegebedürftigen auf eine angemessene Pflege geachtet werden. Dies gilt insbesondere für schutzbedürftige Gruppen und Personen mit besonderen Bedürfnissen, wie etwa Demenzkranke.

    6.   Die Rolle der Arbeitgeber

    6.1.

    Eine Vielzahl kleiner Unternehmen (einschließlich Leiharbeitsfirmen) ist zunehmend aktiv im Sektor der im Haushalt lebenden Pflegekräfte; parallel dazu besteht jedoch auch ein nahezu völlig unregulierter informeller Sektor.

    6.2.

    Die Pflegebranche kann zur Schaffung angemessener Arbeitsplätze und zum Wirtschaftswachstum in Europa beitragen. Nur hochwertige Arbeitsplätze können die Qualität der geleisteten Pflege garantieren.

    6.3.

    Fehlende Bestimmungen für die grenzüberschreitende Beschäftigung von im Haushalt lebenden Pflegekräften ermöglichen es einigen Unternehmen, niedrigere Löhne für die gleiche Arbeit anzubieten, was zum Sozialdumping beiträgt. Besonders auffällig ist dies bei polnischen und slowakischen Agenturen und Unternehmen, die im Haushalt lebende Pflegekräfte nach Deutschland entsenden (15). Dieser anhaltende unlautere Wettbewerb schadet den Arbeitnehmern, den Arbeitgebern und der europäischen Wirtschaft.

    7.

    Die Rolle der Zivilgesellschaft

    7.1.

    Gemeindenahe Organisationen und Glaubensgemeinschaften (16) spielen neben öffentlichen und privaten Arbeitgebern eine zentrale Rolle bei der Erbringung von Pflegedienstleistungen auf unterschiedlichen Ebenen. Viele gemeindenahe Organisationen haben zur Regularisierung von aus dem Ausland stammenden und im Haushalt lebenden Pflegekräften beigetragen (17).

    7.2.

    Allerdings wird die Pflege in vielen Mitgliedstaaten nicht angemessen unterstützt. Die jüngste Wirtschaftskrise hat zu einer Unterfinanzierung der Pflegedienste in ganz Europa geführt, was sich u. a. durch eine Verschlechterung der Pflegequalität und der Arbeitsbedingungen negativ ausgewirkt hat.

    7.3.

    Pflegedienstleister-Organisationen sollten angemessen finanziert werden, um dem wachsenden Pflegebedarf gerecht zu werden. Aufgrund ihrer Erfahrung müssen sie wirksam am sozialen und zivilen Dialog beteiligt werden, der in branchenspezifischen Regelungen für die Organisation und Erbringung der Pflege münden sollte.

    8.   Die Rolle der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union

    8.1.

    Schweden ist ein gutes Beispiel für eine hochwertige Pflege unter Beteiligung sämtlicher Interessenträger. Das System basiert auf einem hohen Anteil öffentlicher und steuerfinanzierter Unterstützung (18). Dienstleistungsschecksysteme wie die in Frankreich und Belgien haben zur Formalisierung der Hausarbeit beigetragen und in einigen Fällen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Personen geführt, die Dienstleistungen im Haushalt erbringen. Im Falle Belgiens ist die Pflege von diesem System ausgeschlossen (19).

    8.2.

    Österreich hat ein System im Haushalt lebender Pflegekräfte mit Selbstständigenstatus entwickelt, um den Bedarf an Langzeitpflege zu decken und die rechtlichen Anforderungen an Qualität und Rahmenbedingungen für die Dienstleistungserbringung festgelegt. 2015 wurden weitere Verbesserungen bei den Qualitätsstandards und der Transparenz vorgenommen. Dieses System wird von der österreichischen Bevölkerung ausgiebig genutzt; österreichische Gewerkschaften kritisieren jedoch, dass dadurch Beschäftigungsstandards ausgehöhlt werden.

    8.3.

    Da die Modelle bewährter Verfahren für hochwertige Pflegedienstleistungen nicht immer 1:1 auf alle Mitgliedstaaten übertragbar sind, sollte auf allen Stufen ein ganzheitliches Konzept, das alle Interessenträger einbezieht, auf europäischer Ebene koordiniert werden.

    8.4.

    Der EWSA ist der Überzeugung, dass die Europäische Union das Angebot und die Mobilität von im Haushalt lebenden Pflegekräften innerhalb Europas sorgfältig beobachten sollte, und spricht sich für Konzepte aus, die die Gesamtkapazität der Pflegebranche für die Erbringung von Qualitätsdienstleistungen steigern und angemessene Arbeitsplätze schaffen.

    8.5.

    Die Frage des Arbeitskräftemangels in der europäischen Pflegebranche muss auf der politischen Agenda der EU Priorität erhalten. Die im Haushalt lebenden Pflegekräfte, die von der Politik bislang weitgehend übersehen wurden, müssen die gebührende Aufmerksamkeit erhalten.

    Brüssel, den 21. September 2016

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Georges DASSIS


    (1)  KOM(2010) 682 endgültig: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0682&from=DE

    (2)  Das Übereinkommen 189 der ILO trat am 5. September 2013 in Kraft und wurde bislang von Belgien, Deutschland, Finnland, Irland, Italien, Portugal und der Schweiz sowie von 14 außereuropäischen Ländern ratifiziert.

    (3)  UNI Europa UNICARE (2016).

    (4)  Europäische Kommission (2013).

    (5)  Beschäftigung im Haushalt umfasst laut der Definition von Eurostat Tätigkeiten von Privathaushalten und Hauspersonal wie Dienstmädchen, Köchen, Servicekräften, Dienern, Wäscherinnen, Gärtnern, Hausverwaltern, Erzieherinnen, Babysittern, Hauslehrern, Sekretären usw.

    (6)  Internationale Arbeitsorganisation (2012).

    (7)  ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 39, ABl. C 12 vom 15.1.2015, S. 16, ABl. C 242 vom 23.7.2015, S. 9.

    (8)  ABl. C 271 vom 19.9.2013, S. 91, ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21.

    (9)  ABl. C 332 vom 8.10 2015, S. 1.

    (10)  ABl. C 226 vom 16.7.2014, S. 21.

    (11)  Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments (2016).

    (12)  Hochschild, A. R. (2000) „Global Care Chains and Emotional Surplus Value“ in Hutton, W. und Giddens, A. (Hrsg.) On The Edge: Living with Global Capitalism, London.

    (13)  Platform for International Cooperation on Undocumented Migrants (2013).

    (14)  Aussage der „live-in“-Pflegekraft Alina Badowska (2016) bei der öffentlichen Anhörung zu SOC/535.

    (15)  Erfahrungen des Projekts „Faire Mobilität“ des DGB: www.faire-mobilitaet.de.

    (16)  In Deutschland spielen insbesondere die Caritas und die Diakonie eine wichtige Rolle bei der Unterstützung von im Haushalt lebenden Pflegekräften sowie von Pflegebedürftigen.

    (17)  Z. B.: www.gfambh.com.

    (18)  Sweden.se (2016).

    (19)  Internationale Arbeitsorganisation (2013).


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