Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52013AE5530

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (COM(2013) 451 final — 2013/0218 (COD)) und dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten im Bereich Justiz, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union — COM(2013) 452 final — 2013/0220 (COD)

    ABl. C 67 vom 6.3.2014, p. 104–109 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    6.3.2014   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 67/104


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    (COM(2013) 451 final — 2013/0218 (COD))

    und dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten im Bereich Justiz, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    COM(2013) 452 final — 2013/0220 (COD)

    2014/C 67/21

    Hauptberichterstatter: Jorge PEGADO LIZ

    Der Rat der Europäischen und das Europäische Parlament beschlossen am 16. September 2013 bzw. am 4. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 33, Artikel 43 Absatz 2, Artikel 53 Absatz 1, Artikel 62, Artikel 64 Absatz 2, Artikel 91, Artikel 100 Absatz 2, Artikel 114, Artikel 153 Absatz 2 Buchstabe b), Artikel 168 Absatz 4 Buchstabe b), Artikel 172, Artikel 192 Absatz 1, Artikel 207 und Artikel 338 Absatz 1 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    COM(2013) 451 final — 2013/0218 (COD).

    Das Europäische Parlament beschloss am 4. Juli 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 81 Absatz 2 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Anpassung von Rechtsakten im Bereich Justiz, in denen auf das Regelungsverfahren mit Kontrolle Bezug genommen wird, an Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

    COM(2013) 452 final — 2013/0220 (COD).

    Angesichts der Dringlichkeit der Arbeiten beschloss der Ausschuss auf seiner 493. Plenartagung am 16./17. Oktober 2013 (Sitzung vom 16. Oktober), Jorge PEGADO LIZ zum Hauptberichterstatter zu bestellen, und verabschiedete mit 110 Stimmen bei 6 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Ziel der zwei Verordnungsvorschläge COM(2013) 451 final und COM(2013) 452 final vom 27. Juni 2013, zu denen der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) um seine Stellungnahme ersucht wurde, ist die pauschale Anpassung von 165 Rechtsakten, die bislang unter das Regelungsverfahren mit Kontrolle fallen, an die neue Regelung für delegierte Rechtsakte.

    1.2

    Diese Anpassung wurde vom Europäischen Parlament mit Unterstützung des Rates gefordert und dient der Anpassung der alten Komitologieverfahren an das Verfahren der Befugnisübertragung nach Artikel 290 AEUV.

    1.3

    Der EWSA unterstützt die Initiative der Kommission, die für die Sicherheit der Rechtsquellen der Union erforderlich ist und der Vereinfachung und Erhöhung der Effizienz dient.

    1.4

    Der EWSA verweist darauf, dass er kürzlich einen detaillierten Bericht über das Verfahren der Befugnisübertragung verabschiedet hat, und empfiehlt, diesen für das Verständnis der Stellungnahme heranzuziehen.

    1.5

    Die pauschale Anpassung von 165 Rechtsinstrumenten (Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen) aus zwölf verschiedenen Politikbereichen wirft zahlreiche juristische und praktische Fragen auf.

    1.6

    Einige Aspekte des Verfahrens der Befugnisübertragung sind nach wie vor unklar. So steht eine Definition des Begriffs "nicht wesentliche Vorschriften" noch aus. Auch sollte die Funktionsweise des Verfahrens präzise bewertet werden.

    1.7

    Einige Verordnungsvorschläge enthalten Optionen, die nicht im Einklang mit dem durch den Basisrechtsakt abgesteckten Rahmen stehen, wobei sogar vorgeschlagen wird, dass die Befugnisübertragung auf unbegrenzte Zeit erfolgt oder dass Parlament und Rat nur sehr kurze Fristen für die Kontrolle haben.

    1.8

    Unter Hinweis auf seine allgemeinen und besonderen Bemerkungen empfiehlt der EWSA der Kommission, die von ihr vorgenommene pauschale Anpassung so zu gestalten, dass die Besonderheiten einiger Basisrechtsakte stärker berücksichtigt werden.

    1.9

    Der EWSA empfiehlt ferner dem Rat und dem Parlament, höchste Wachsamkeit an den Tag zu legen und alle Rechtsakte, die von dieser Anpassung betroffen sind, gründlich zu prüfen.

    2.   Einleitung

    2.1

    In dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon wird eine Unterscheidung getroffen zwischen der der Kommission in Artikel 290 AEUV übertragenen Befugnis, Rechtsakte ohne Gesetzescharakter mit allgemeiner Geltung zur Ergänzung oder Änderung bestimmter nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes zu erlassen (Verfahren der Befugnisübertragung), sowie der Befugnis gemäß Artikel 291 AEUV, Durchführungsrechtsakte zu erlassen (Verfahren zur Wahrnehmung von Durchführungsbefugnissen).

    2.2

    Der rechtliche Rahmen ist in beiden Fällen völlig verschieden.

    2.2.1

    Die Befugnisübertragung ist in folgenden nicht verbindlichen Instrumenten vorgesehen:

    Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung von Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (1);

    Vereinbarung über delegierte Rechtsakte zwischen dem Parlament, dem Rat und der Kommission;

    Artikel 87 und 88 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments, geändert durch Beschluss vom 10. Mai 2012 (2).

    2.2.1.1

    Der EWSA hat kürzlich einen ausführlichen Informationsbericht über das Verfahren der Befugnisübertragung verabschiedet, dessen Lektüre zum Verständnis dieser Stellungnahme dringend empfohlen wird (3).

    2.2.2

    Die in Artikel 291 AEUV vorgesehene Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse wird durch rechtsverbindliche Instrumente geregelt:

    Verordnung 182/2011 (4) (im Folgenden "Komitologieverordnung"), in der zwei Verfahren vorgesehen sind, das Beratungsverfahren und das Prüfverfahren;

    Beschluss 1999/468/EG (5) (im Folgenden "Komitologiebeschluss"), zur Stärkung der Kontrollbefugnisse des Parlaments und des Rates 2006 geändert, der das Regelungsverfahren mit Kontrolle vorsieht.

    2.2.3

    Das Regelungsverfahren mit Kontrolle wurde zur Annahme von Durchführungsmaßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Vorschriften eines Gesetzgebungsaktes angewandt. Der Wortlaut von Artikel 5a des Komitologiebeschlusses (6) ähnelt weitgehend der Definition der delegierten Rechtsakte. Ein delegierter Rechtsakt gemäß der Definition von Artikel 290 AEUV ist ein quasi-legislativer Akt, der von der Kommission zur Ergänzung oder Änderung bestimmter "nicht wesentlicher Vorschriften des betreffenden Gesetzgebungsaktes" erlassen wird.

    2.2.4

    Auf Grund dieser Ähnlichkeit bleiben Artikel 5a des Komitologiebeschlusses und das Regelungsverfahren mit Kontrolle zwischen 2009 und 2014 vorläufig gültig, da der Kommission daran gelegen ist, die geltenden Bestimmungen, die ein Regelungsverfahren mit Kontrolle vorsehen, innerhalb dieses begrenzten Zeitraums an die Regelung für delegierte Rechtsakte anzupassen.

    2.2.5

    Als Reaktion auf eine "Forderung" des Europäischen Parlaments (7) hat die Kommission mit Unterstützung des Rates einige Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen angepasst (8).

    Ziel der Vorschläge für "Omnibus"-Verordnungen, zu denen der EWSA um Stellungnahme ersucht wurde, ist eine pauschale Anpassung.

    3.   Vorschläge der Kommission

    3.1

    Die Kommission hat zwei Verordnungsvorschläge vorgelegt:

    Bei dem einen geht es um "Rechtsakte" COM(2013) 451 final,

    beim anderen um "Rechtsakte im Bereich Justiz" COM(2013) 452 final.

    Ein drittes Paket mit Vorschlägen wird derzeit noch erarbeitet und dürfte demnächst vorgelegt werden.

    3.2

    Im ersten Vorschlag geht es darum, bei 160 Rechtsakten (Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen) vom Regelungsverfahren mit Kontrolle en bloc zum Verfahren der Befugnisübertragung überzugehen. Diese Rechtsakte betreffen elf verschiedene Politikbereiche:

    Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien

    Beschäftigung, Soziales und Integration

    Klimapolitik

    Energie

    Unternehmen und Industrie

    Umwelt

    Statistik

    Binnenmarkt und Dienstleistungen

    Mobilität und Verkehr

    Gesundheit und Verbraucher

    Steuern und Zollunion.

    3.2.1

    Der Vorschlag umfasst eine Begründung, den eigentlichen Verordnungsvorschlag und einen Anhang, in dem die Rechtsakte aufgeführt sind, bei denen statt des Regelungsverfahrens mit Kontrolle das Verfahren der Befugnisübertragung angewandt werden soll.

    3.3

    Der Vorschlag "zur Anpassung von Rechtsakten im Bereich Justiz" ist Gegenstand einer getrennten Vorlage, weil deren Rechtsgrundlage in Titel V des AEUV liegt und sie nicht alle Mitgliedstaaten betreffen. Gemäß den Artikeln 1 und 2 des Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks im Anhang zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ist Dänemark nicht durch die Verordnung gebunden.

    3.3.1

    Der Verordnungsvorschlag zur Anpassung von Rechtsakten im Bereich Justiz an Artikel 290 AEUV betrifft fünf Verordnungen zu folgenden Themen:

    Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen;

    europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen;

    europäisches Mahnverfahren;

    europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen;

    Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten.

    4.   Allgemeine Bemerkungen

    4.1

    Statt eines Verordnungsvorschlags für jeden einzelnen Rechtsakt schlägt die Kommission "Omnibus"-Verordnungen zur pauschalen Anpassung mehrerer Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen vor.

    4.1.1

    Diese Vorgehensweise hat sie bereits 2006 bei der Einführung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle gewählt. Sie veröffentlichte damals eine Mitteilung zur Anpassung von 25 Verordnungen und Richtlinien, darunter vor allem der Richtlinie 2005/1/EG vom 9. März 2005 zur Schaffung einer neuen Ausschussstruktur im Finanzdienstleistungsbereich (9). Zu nennen ist auch die Mitteilung der Kommission von 2007 zur Anpassung einer Reihe von in vier Anhängen genannten Rechtsakten an das Regelungsverfahren mit Kontrolle (10). Der EWSA hat dazu Bemerkungen und Empfehlungen abgegeben (11).

    4.1.2

    Eine Anpassung dieses Ausmaßes hat die Kommission jedoch bislang noch nicht vorgenommen.

    4.1.3

    Der EWSA stellt fest, dass die Verordnungsvorschläge den Umfang der Befugnisse der Kommission deutlich machen, da in ihnen Tragweite, Ausmaß sowie Fristen möglicher Einwände durch Rat oder Parlament vorgesehen sind.

    4.1.4

    Dies soll der Vereinfachung und der Beschleunigung der Verfahren dienen, wirft jedoch zahlreiche Fragen auf.

    a)   Übertragung für einen unbefristeten Zeitraum

    4.2

    In Artikel 2 der beiden Verordnungsvorschläge ist festgelegt, dass die Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte mit diesem Verfahren "für einen unbefristeten Zeitraum übertragen" wird.

    4.2.1

    Der EWSA verweist darauf, dass die Dauer der Befugnisübertragung nach Artikel 290 AEUV in den betreffenden Gesetzgebungsakten ausdrücklich festzulegen ist und die Übertragung bisher, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, grundsätzlich für einen festgelegten Zeitraum erfolgte, der gegebenenfalls nach Vorlage eines Berichts über die Ausübung der Befugnisübertragung verlängert werden kann.

    4.2.2

    Er stellt fest, dass der Wunsch der Kommission nach zeitlich unbefristeter Befugnisübertragung (12) vom Parlament nicht geteilt wird (13). Darüber hinaus wird durch die "Omnibus"-Verordnung die Verpflichtung zur regelmäßigen Vorlage von Berichten über die Ergreifung der im Basisrechtsakt vorgesehenen Maßnahmen abgeschafft (14).

    4.2.3

    Der EWSA fragt sich daher, ob in den von der Kommission zur Anpassung vorgeschlagenen Verordnungen sogar festgelegt werden kann, dass die Befugnisübertragung in allen Fällen, unabhängig vom Politikbereich, für unbegrenzte Dauer erfolgt.

    b)   Kontrolle durch EP und Rat

    4.3

    Wie der EWSA in seinem Informationsbericht über delegierte Rechtsakte bereits dargelegt hat, wird die Befugnisübertragung von Rat und Parlament kontrolliert, die diese jederzeit widerrufen, grundsätzlich innerhalb von zwei Monaten nach Übermittlung des delegierten Rechtsakts an Rat und Parlament Einwände gegen den von der Kommission erlassenen delegierten Rechtsakt erheben oder der Kommission innerhalb dieses Zeitraums mitteilen können, dass sie keine Einwände erheben werden. Dieser grundsätzlich festgelegte Zeitraum von zwei Monaten kann auf Initiative des Parlaments oder des Rates um zwei Monate verlängert werden.

    4.3.1

    In Artikel 5a Absätze 3 bis 6 des Komitologiebeschlusses ist eine komplexe Regelung mit unterschiedlichen Fristen vorgesehen, abhängig davon, ob die von der Kommission beabsichtigten Maßnahmen mit der Stellungnahme des Ausschusses im Einklang stehen oder nicht. Je nachdem, ob es um den Rat oder das Europäische Parlament geht, betragen die Fristen zwischen vier und zwei Monaten.

    In Abweichung von dem beschriebenen Regelfall ist in Artikel 5a Absatz 5 Buchstabe b) festgelegt, dass diese Fristen "in wohlbegründeten Ausnahmefällen" "aus Gründen der Effizienz" verkürzt werden können, ohne dass jedoch konkrete Fristen angegeben werden.

    Darüber hinaus ist in Absatz 6 eine Sonderregelung mit einer Frist von einem Monat vorgesehen, die jedoch im Basisrechtsakt bereits festgelegt sein muss. Diese Frist gilt für ganz konkrete Fälle, in denen das normale Verfahren "in Fällen äußerster Dringlichkeit" nicht eingehalten werden kann.

    4.3.2

    In Artikel 2 Absatz 6 des Vorschlags für eine Verordnung zur Anpassung von Rechtsakten an Artikel 290 AEUV wird eine solche Ausnahme zugelassen. Allerdings ist nur vorgesehen, dass die normale Frist, die Rat und Parlament zur Erhebung von Einwänden zur Verfügung steht, in ordnungsgemäß begründeten Ausnahmefällen auf einen Monat verkürzt werden kann (15).

    4.3.3

    Durch die vorgeschlagene neue Regelung wird der Spielraum, den Rat und Parlament zur Ausübung ihrer Kontrollbefugnisse haben, offenbar eingeschränkt.

    4.3.4

    Der EWSA wirft daher insbesondere die Frage auf, inwieweit Rat und Parlament noch die Möglichkeit haben, ihre Kontrollbefugnisse bei 165 delegierten Rechtsakten innerhalb so kurzer Fristen wahrzunehmen.

    c)   Nicht wesentliche Bestimmungen

    4.4

    Wie in dem Informationsbericht bereits betont, verweist der EWSA darauf, dass es beim Verfahren der Befugnisübertragung um den Erlass delegierter Rechtsakte bezüglich nicht wesentlicher Vorschriften des gemeinsam von Rat und Parlament angenommenen Gesetzgebungsakts geht.

    4.4.1

    Die Verordnungsvorschläge der Kommission betreffen zwölf verschiedene Politikbereiche.

    4.4.2

    Da die genaue rechtliche Natur der delegierten Rechtsakte relativ unklar ist und die von den Verordnungsvorschlägen betroffenen Politikbereiche ebenso umfassend wie sensibel sind, ließe sich, wie weiter unten ausgeführt wird, nach der "nicht wesentlichen" Natur bestimmter Maßnahmen fragen.

    4.4.3

    Darüber hinaus wird die Formulierung "nicht wesentliche Maßnahme" vom Gerichtshof je nach Politikbereich unterschiedlich ausgelegt. So hat die Große Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union am 5. September 2012 festgestellt, dass das Gebiet der Grundrechte des Einzelnen Vorrecht des Gesetzgebers bleibt und nicht Gegenstand einer Befugnisübertragung an die Kommission sein darf (16).

    4.4.4

    Im Übrigen hatte der Gerichtshof der Europäischen Union noch keine Gelegenheit, Position zur Ausübung übertragener Befugnisse durch die Kommission an sich zu beziehen. Er wurde erst kürzlich von der Kommission erstmalig mit einer Nichtigkeitsklage gegen Artikel 80 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten befasst (17).

    Die Klage wurde am 19. September 2012 eingereicht, und der Gerichtshof wird frühestens Ende 2013/Anfang 2014 entscheiden, nachdem er die Schlussfolgerungen des Generalanwalts gehört hat.

    5.   Besondere Bemerkungen

    5.1

    Bei der Mehrzahl der in dieser Stellungnahme geprüften Vorschläge passt die Kommission das Regelungsverfahren mit Kontrolle in angemessener und vernünftiger Form an die Regelung für delegierte Rechtsakte nach Artikel 290 AEUV an. Einige Fälle werfen jedoch Fragen auf und bringen besondere Schwierigkeiten mit sich.

    a)   Ungenauigkeiten der Regelung

    5.2

    Die meisten betroffenen Rechtsakte enthalten einen ausdrücklichen Verweis auf Artikel 5a des Beschlusses des Rates vom 17. Juli 2006 (18), des Komitologiebeschlusses, mit dem das Regelungsverfahren mit Kontrolle eingeführt wurde und in dem festgelegt ist, dass bei Maßnahmen von allgemeiner Tragweite zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen eines Rechtsakts auf dieses Verfahren zurückzugreifen ist. Diese Änderung der Regelung, die mit Beschluss vom 28. Juni 1999 eingeführt wurde, trat erst am 24. Juli 2006 in Kraft.

    5.2.1

    So ist in keinem der von der Anpassung betroffenen Rechtsakte vor diesem Zeitpunkt angegeben, welche Maßnahmen dem Regelungsverfahren mit Kontrolle unterliegen. Erst mit dem Beschluss vom Juli 2006 wird in Artikel 2 des Beschlusses vom Juni 1999 ein neuer Absatz 2 eingeführt. Darin ist erstmals vorgesehen, dass Maßnahmen von allgemeiner Tragweite angenommen werden, die eine Änderung von nicht wesentlichen Bestimmungen des Basisrechtsakts bewirken.

    5.2.2

    All diese Rechtsakte enthalten deshalb nur Formulierungen (19) wie: "Die zur Durchführung dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen sollten gemäß dem Beschluss 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 beschlossen werden.", "Die Kommission wird von einem Ausschuss unterstützt." und "Wird auf diesen Absatz Bezug genommen, so gelten die Artikel 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG unter Beachtung von dessen Artikel 8."

    5.2.3

    Der EWSA verweist darauf, dass die Ablösung des Regelungsverfahrens mit Kontrolle durch das Verfahren der Befugnisübertragung dazu führt, dass die Stellungnahmen der im Rahmen des Regelungsverfahrens mit Kontrolle vorgesehenen Ausschüsse entfallen. Im Rahmen der Durchführungsmaßnahmen nach Artikel 291 AEUV werden solche Stellungnahmen jedoch weiterhin abgegeben.

    5.2.4

    Ein Schritt, bei dem geprüft wird, ob es sich wirklich um "nicht wesentliche Vorschriften" eines Gesetzgebungsakts handelt, wird also abgeschafft.

    5.2.5

    Die Liste im Anhang zum Verordnungsvorschlag der Kommission enthält insbesondere vor dem Komitologiebeschluss erlassene Rechtsakte. Da diese Rechtsakte veröffentlicht wurden, bevor das Komitologieverfahren systematisch griff, sind die Verweise auf die Maßnahmen ausgesprochen vage, beispielsweise "Anpassung an den technischen Fortschritt" (Richtlinie vom 20. Mai 1975 über Aerosolpackungen) (20).

    b)   Bestimmung des Anwendungsbereichs

    5.3

    Die Bestimmung des Anwendungsbereichs von Artikel 5a auf "nicht wesentliche Bestimmungen" von Gesetzgebungsakten lässt bisweilen zu wünschen übrig. So ist beispielsweise die allgemeine Formulierung "Maßnahmen zur Änderung nicht wesentlicher Bestimmungen dieser Verordnung" in der Verordnung (EG) 661/2009 über die allgemeine Sicherheit von Kraftfahrzeugen ohne weitere Präzisierung nicht zufriedenstellend.

    5.3.1

    Bisweilen wird Artikel 5a auf Bestimmungen angewandt, bei denen mehr als zweifelhaft ist, ob sie wirklich "nicht wesentlicher" Natur sind. Dies betrifft beispielsweise

    die Verordnung (EG) Nr. 715/2009 über die Bedingungen für den Zugang zu den Erdgasfernleitungsnetzen (Artikel 23);

    die Verordnung (EG) Nr. 714/2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel;

    die Artikel 23 Absätze 1 und 4 sowie 40 Absatz 3 der Richtlinie 2006/123 vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, nach denen festgestellt wird, ob eine Berufshaftpflichtversicherung im Hinblick auf die Art und den Umfang des Risikos angemessen ist;

    die Artikel 12, 34 Absatz 1 und 35 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 vom 23. Oktober 2007, in denen die Haftpflichtversicherung für die Fahrgäste im Eisenbahnverkehr geregelt ist.

    c)   Politikbereiche im Zusammenhang mit den Grundrechten

    5.4

    Auf den ersten Blick "nicht wesentliche" Maßnahmen wie die Anpassung des Anhangs einer Richtlinie können dennoch Fragen in Bezug auf ihre Auswirkungen auf den Schutz bestimmter Grundrechte aufwerfen.

    5.4.1

    Zu nennen wären hier beispielsweise

    die Anhänge der Verordnung (EG) Nr. 1338/2008 vom 16. Dezember 2008 zu Gemeinschaftsstatistiken über öffentliche Gesundheit und über Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz (Artikel 9 und Artikel 10 Absatz 2);

    Fragen im Zusammenhang mit Volks- und Wohnungszählungen (Verordnung (EG) Nr. 763/2008 vom 9. Juli 2008);

    die Anhänge der Richtlinie 2006/126/EG vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein;

    die Abweichungen von den Anhängen der Verordnung (EG) Nr. 183/2005 vom 12. Januar 2005 mit Vorschriften für die Futtermittelhygiene (Artikel 28 und Artikel 31 Absatz 2);

    die Anhänge der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 vom 29. April 2004 über Lebensmittelhygiene (Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 14);

    die Änderung der Anhänge mit Formblättern zur Wahrnehmung bestimmter Rechte, beispielsweise im Falle des europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21. April 2004), des europäischen Mahnverfahrens (Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 vom 12. Dezember 2006), des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (Verordnung (EG) Nr. 861/2007 vom 11. Juli 2007) und der Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke (Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 vom 13. November 2007).

    5.4.2

    Auch ist auf heiklere Fälle hinzuweisen, beispielsweise wenn ein grundlegender Teil der Verordnung über einen bestimmten Gegenstand durch delegierte Rechtsakte geregelt wird. Dies betrifft unter anderem

    das Verfahren für Beschwerden gegen "den Schutz vor Schädigung der Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft durch Subventionierung und unlautere Preisbildungspraktiken bei der Erbringung von Flugverkehrsdiensten von Ländern, die nicht Mitglied der Europäischen Gemeinschaft sind", das in der Verordnung 868/2004 vom 21. April 2004 vorgesehen ist,

    und die Definition der Elemente zur Ermittlung des effektiven Jahreszinses bei Verbraucherkreditverträgen (Richtlinie 2008/48/EG vom 23. April 2008, Artikel 19 Absatz 5 und Artikel 25 Absatz 2).

    Brüssel, den 16. Oktober 2013

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Henri MALOSSE


    (1)  COM(2009) 673 final vom 9.12.2009.

    (2)  Dok. A7-0072/2012.

    (3)  Informationsbericht zum Thema "Bessere Rechtsetzung: Durchführungsrechtsakte und delegierte Rechtsakte" http://www.eesc.europa.eu/?i=portal.en.int-opinions&itemCode=24245.

    (4)  ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13.

    (5)  ABl. L 184 vom 17.7.1999, S. 23.

    (6)  Beschluss des Rates vom 17. Juli 2006 (ABl. L 200 vom 22.7.2006, S. 11).

    (7)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5. Mai 2010 (P7-TA (2010) 0127), Ziffer 18.

    (8)  Erklärungen der Kommission ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 19.

    (9)  COM(2006) 900 bis 926 final.

    (10)  COM(2007) 740 final, COM(2007) 741 final, COM(2007) 824 final, COM(2007) 822 final und COM(2008) 71 final.

    (11)  ABl. C 161 von 13.7.2007, S. 45 und ABl. C 224 vom 30.8.2008, S. 35.

    (12)  COM(2009) 673 final vom 9.12.2009, Ziffer 3.2.

    (13)  Vereinbarung über delegierte Rechtsakte, Abschnitt IV.

    (14)  Drei Jahre beispielsweise im Fall der Richtlinie 2006/21/EG vom 15. März 2006 über die Bewirtschaftung von Abfällen aus der mineralgewinnenden Industrie.

    (15)  In dem Verordnungsvorschlag zur Anpassung von Rechtsakten im Bereich Justiz an Artikel 290 AEUV ist diese Möglichkeit dagegen nicht vorgesehen.

    (16)  Rechtssache C-355/10, Europäisches Parlament gegen Rat der Europäischen Union, Überwachung der Seeaußengrenzen und Befugnis der Grenzschutzbeamten, Zuwanderer in den Drittstaat auszuschiffen, von dem aus das Schiff mit den Personen in See gestochen ist.

    (17)  Rechtssache C-427/12, Europäische Kommission/Europäisches Parlament gegen Rat der Europäischen Union. Dabei geht es um die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten, wobei der Erlass einer Durchführungsverordnung über die an die Europäische Chemikalienagentur zu entrichtenden Gebühren nach Artikel 291 AEUV anstelle eines delegierten Rechtsakts nach Artikel 290 AEUV vorgesehen ist. Nach Auffassung der Kommission müsste der Rechtsakt, den sie nach Artikel 80 Absatz 1 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 annehmen soll, ein delegierter Rechtsakt im Sinne von Artikel 290 AEUV sein, da damit bestimmte nicht wesentliche Vorschriften des Gesetzgebungsakts ergänzt werden.

    (18)  ABl. L 200 vom 22.7.2006, S. 11.

    (19)  Siehe beispielsweise die Richtlinien 2006/25/EG, 89/391/EWG und 2003/10/EG.

    (20)  Korrekte Verweise auf den "technischen und wissenschaftlichen Fortschritt" finden sich in der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 vom 16. Dezember 2008 über die Kennzeichnung und Verpackung oder auch in der Richtlinie 2008/56/EG vom 17. Juni 2008 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt.


    Top