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Document 52008IE1217

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle der Zivilgesellschaft im Rahmen der EU-Programme für Heranführungshilfe in der Republik Albanien

ABl. C 27 vom 3.2.2009, p. 140–143 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

3.2.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 27/140


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der Zivilgesellschaft im Rahmen der EU-Programme für Heranführungshilfe in der Republik Albanien“

(2009/C 27/28)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007 gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Rolle der Zivilgesellschaft im Rahmen der EU-Programme für Heranführungshilfe in der Republik Albanien“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 12. Juni 2008 an. Berichterstatterin war Frau FLORIO.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 446. Plenartagung am 9./10 Juli 2008 (Sitzung vom 9. Juli) mit 122 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Stabilität, Frieden, Entwicklung und Integration der gesamten westlichen Balkanregion sind für die Gegenwart und Zukunft Europas von grundlegender Bedeutung. Im Laufe der Jahre wurde jedoch immer deutlicher, dass die Europäische Union ihre Politik gegenüber den Ländern dieser Regionen intensivieren muss.

1.2

Albanien sollten sich die EU-Institutionen aufgrund seiner geografischen Lage als Mittelmeeranrainer und seiner Bedeutung für das mitunter labile Gleichgewicht in der Region in besonderem Maße zuwenden. Die Partnerschaft Europa-Mittelmeer bildet seit mehr als 10 Jahren das Kerngerüst für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und ihren Partnern im südlichen Mittelmeerraum mit dem Ziel einer langfristigen Stabilität in dieser Region. Albanien nimmt seit Anfang November 2007 an dieser Partnerschaft teil.

1.3

Die Europäische Union plant eine Reihe von Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen, demokratischen und sozialen Entwicklung der albanischen Institutionen. Auch die Gebietskörperschaften und die Zivilgesellschaft sind Zielgruppe von Programmen zur Förderung der Mitwirkung und Einbeziehung der Bürger in den europäischen Integrationsprozess.

1.4

Der EWSA möchte in dieser Initiativstellungnahme die Rolle der Zivilgesellschaft und die Notwendigkeit einer Beobachtung der erzielten Fortschritte und der Hindernisse verdeutlichen, die in Albanien weiterhin der Stärkung der demokratischen Institutionen und ihrer besseren Verflechtung mit den EU-Politiken im Wege stehen.

1.5

Eine dreiköpfige EWSA-Delegation, in der die 3 Gruppen des Ausschusses vertreten sind, ist am 31. März/1. April zu einem Informationsbesuch nach Tirana in Albanien gereist. Bei dieser Gelegenheit konnte sie zahlreiche Vertreter von Vereinigungen und Organisationen der albanischen Zivilgesellschaft treffen; der Dialog mit ihnen war bemerkenswert konstruktiv und ist in die Ausarbeitung dieser Stellungnahme eingeflossen.

2.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

2.1

Die Rolle der Zivilgesellschaft in allen ihren Ausprägungen ist für die demokratische und bürgerliche Entwicklung jeden Landes von vitaler Bedeutung (1). Dies gilt einmal mehr für ein Land wie das geopolitisch so wichtige Albanien, das in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte bei der Konsolidierung der demokratischen Institutionen und der Integration mit den EU-Institutionen und westlichen Organisationen (NATO) gemacht hat.

2.2

Eine Beobachtung der von den Regierungen ergriffenen politischen Maßnahmen und eine tatkräftige Unterstützung der Bürger für eben diese Maßnahmen sind unverzichtbare Elemente für einen sozialen Fortschritt im Zeichen von Inklusion und Demokratie.

2.3

Der EWSA stellt somit fest, dass das Delegationsbüro der Europäischen Kommission in Albanien den Tätigkeiten der Zivilgesellschaft insgesamt als eine Priorität seiner eigenen Tätigkeit mehr Aufmerksamkeit widmen und Mittel zukommen lassen sollte. Diese Tätigkeit sollte in den ländlichen und weniger entwickelten Gebieten des Landes intensiviert werden.

2.4

Da verschiedene internationale Akteure im Rahmen unterschiedlicher Projekte die Tätigkeit der Zivilgesellschaft in Albanien unterstützen und das soziale Netz in Albanien einige objektive Schwierigkeiten und Besonderheiten aufweist, ist die Art und Weise, wie sich die EU mit den Gegebenheiten vor Ort auseinandersetzt, von erheblicher Bedeutung. Vor allem der Zugang zu Finanzierungen sollte künftig an Anforderungen geknüpft werden, die solche Organisationen besonders begünstigen, die klare zeitliche Zielsetzungen haben, und Vereinigungen, die eine echte Repräsentanz und Repräsentativität der Bürger aufweisen.

2.5

In einer im Wandel befindlichen Gesellschaft ist der soziale Dreiparteiendialog von grundlegender Bedeutung. Begrüßenswert sind die seit 1996 erfolgten Fortschritte, wie z.B. die Einrichtung des Nationalen Rats für Arbeit; gleichwohl gibt es bislang Schwierigkeiten in der Funktionsweise dieses Organs. Vonnöten sind Transparenz, Mitwirkung und Einbeziehung der beteiligten Akteure, die gleichzeitig auch repräsentativ sein sollten und in die Verantwortung genommen werden müssen. Die Treffen des Rates sollten in regelmäßigen Abständen stattfinden, auf seiner Tagesordnung sollten alle für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorrangigen Themen stehen und es sollte Diskussionen geben, die reale Auswirkungen auf das Handeln der Regierung haben.

2.6

Gleichzeitig gilt es, die Rolle des zivilen Dialogs im Rahmen der Stärkung der demokratischen Teilhabe der albanischen Bevölkerung neu anzukurbeln. Die Europäische Union kann bei der beruflichen Ausbildung der zivilgesellschaftlichen Akteure insgesamt eine wichtige Rolle spielen und dabei Organisationen besonders begünstigen, die konkret im sozialen Gefüge Albaniens tätig sind.

2.7

Der EWSA verpflichtet sich, in Anbetracht des raschen Entwicklungsprozesses und unter Bekräftigung der Bedeutung des Landes für die Stabilität der gesamten Region die Beobachtung und Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Albanien weiterzuführen.

2.8

Wie in den Schlussfolgerungen des 2. Forums der westlichen Balkanstaaten (Ljubljana 4./5. Juni 2008) zu lesen ist, könnte auch in Albanien die Einsetzung eines Gemischten Beratenden Ausschusses den Bedürfnissen der Zivilbevölkerung Ausdruck verleihen und gleichzeitig einen starken Bezug zwischen diesen Organisationen und den EU-Institutionen schaffen. Darüber hinaus könnte der EWSA im Zuge seines Wirkens im Balkanraum auch die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den zivilgesellschaftlichen Organisationen in diesen Ländern fördern, indem Albanien vollkommen einbezogen wird.

2.9

Die europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft sind von grundlegender Bedeutung für die Einbeziehung der albanischen Organisationen und ihre Unterrichtung über die gemeinschaftlichen Politiken und Programme.

3.   Die Handlungsinstrumente der Europäischen Union in Albanien

3.1

Der EU-politische Gesamtrahmen gegenüber den Westbalkanländern ist geprägt vom Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess, an dem auch Albanien beteiligt ist.

3.2

Der Europäische Rat hat im Januar 2006 eine Europäische Partnerschaft mit Albanien gebilligt, die eine Reihe aufeinander folgender kurz- und mittelfristiger Prioritäten vorsieht. In der Folge haben die albanischen Behörden im Juli 2006 einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Empfehlungen der Europäischen Partnerschaft verabschiedet. Die Regierung überarbeitet derzeit den Aktionsplan aus dem Jahr 2006, um die Europäische Partnerschaft für 2008 umsetzen zu können. Albanien hat am 12. Juni 2006 ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) unterzeichnet, durch das es in einen Rahmen gemeinsamer Verpflichtungen in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Politik eingebunden ist und das gleichzeitig die regionale Zusammenarbeit fördert.

3.3

Im Zeitraum 2001 bis 2007 wurde die Zusammenarbeit mit Albanien von der Europäischen Kommission hauptsächlich aus dem Programm CARDS (Community Assistance for Reconstruction, Development and Stabilisation) finanziert, das fünf Hauptaktionsbereiche vorsah:

Demokratische Stabilisierung: Durch Mikroprojekte wird die Entwicklung der Zivilgesellschaft und der NRO unterstützt, die sich für die Achtung der Menschenrechte, Sozialrechte und politischen Rechte einsetzen; vorgesehen sind auch Maßnahmen zur Stärkung der Wahlsystems;

Justiz und Inneres: Unterstützung der Reformen des Rechts-, Verwaltungs- und Polizeisystems. Angestrebt wird die integrierte Verwaltung der See- und Landgrenzen durch Unterstützung der Grenzpolizei;

Capacity buiding: in der Verwaltung durch Programme zur Reform des Steuer- und Abgabensystems, für die öffentliche Auftragsvergabe, die Erhebung und Verwaltung statistischer Daten;

wirtschaftliche und soziale Entwicklung: Erleichterung des Handels und Entwicklung lokaler Gemeinschaften. Unterstützt werden ferner das Tempus-Programm und die Förderprogramme für die Ausbildung und höhere Bildung;

Umwelt und natürliche Ressourcen: Unterstützungsmaßnahmen für Umweltvorschriften in der Stadt- und Regionalplanung. Außerdem werden die Programme für Wasser- und Luftqualität und Abfallentsorgung gefördert.

Schwerpunkt des CARDS-Programms war zunächst der materielle Wiederaufbau, während es sich später auf eine bessere Funktionsweise der öffentlichen Verwaltung konzentrierte, um die Prioritäten der Europäischen Partnerschaft und die Anforderungen für die Umsetzung des SAA zu erfüllen. Im Zeitraum 2001-2006 wurden für Albanien im Rahmen von CARDS insgesamt 282,1 Millionen Euro bereit gestellt (2).

3.4

Im Januar 2007 wurde das CARDS-Programm in Folge der Reform der EU-Beihilferegelungen und der entsprechenden Änderungen durch das neue Instrument für Heranführungsbeihilfe (IPA — Instrument for Pre-Accession Assistance) ersetzt; dieses Instrument soll in erster Linie die Beihilfeinstrumente für die Kandidatenländer und potenziellen Kandidatenländer in einem einzigen Programm zusammenfassen. Im Mai 2007 wurde im Rahmen der IPA das Multiannual Indicative Planning Document 2007-2009 (MIPD — indikatives Mehrjahresplanungsdokument) für Albanien angenommen, das dem Land insgesamt 212,9 Mio. EUR zur Verfügung stellt.

3.5

Ein Abkommen über die Erleichterung der Visumsregelungen wurde im September 2007 zwischen der EU und Albanien unterzeichnet und dürfte bis Mitte 2008 in Kraft treten, sobald alle Voraussetzungen erfüllt sein werden. Dadurch dürfte der albanischen Bevölkerung das Reisen in der Union erleichtert werden.

3.6

Die Teilnahme Albaniens an dem Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen (CEFTA) und am Stabilitätspakt für Südosteuropa und die Beteiligung der Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und der Europäischen Investitionsbank (EIB) tragen zur Schaffung eines Netzes von Maßnahmen unterschiedlicher Größenordnung für die Heranführung Albaniens an europäische Standards bei.

4.   Bemerkungen zur politischen und wirtschaftlichen Lage in Albanien

4.1

Das Wirtschaftswachstum ist in Albanien in Folge der dortigen Energiekrise unlängst leicht zurückgegangen. Der wichtigste Faktor zur Unterstützung der albanischen Wirtschaft sind nach wie vor die Überweisungen der vor allem nach Italien und Griechenland ausgewanderten Albaner. Auf die Landwirtschaft entfällt ein Drittel des BIP und die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei 13,46 %, wobei die Schattenwirtschaft weiterhin schwer ins Gewicht fällt.

4.2

Die Diskrepanz zwischen den ärmeren und rückständigen ländlichen Gebieten im Norden und den städtischen Gebieten im Süden besteht weiterhin und prägt die Lage des Landes maßgeblich. Für diese Kluft gibt es auch ganz aktuelle Gründe, die in erster Linie mit den Balkan-Konflikten und den negativen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen (inklusive Embargos) im Zusammenhang stehen, von denen die Länder direkt oder indirekt betroffen waren.

4.3

Bei der Bekämpfung der in zahlreichen Wirtschafts- und Verwaltungsbereichen weit immer noch verbreiteten Korruption sind deutlichere Fortschritte erforderlich.

4.4

Alle im Parlament vertretenen Parteien sind sich einig, dass Anstrengungen unternommen werden müssen, um den europäischen Integrationsprozess zu beschleunigen, aber im Grunde gibt es keine effiziente Zusammenarbeit zwischen Mehrheit und Opposition bei der Durchführung der erforderlichen Reformen.

4.5

Im Rahmen des SAA-Interimsabkommens wurden in letzter Zeit bescheidene Forschritte im Justizsystem erzielt (die auch in der jüngsten Mitteilung der Europäischen Kommission zum westlichen Balkan erwähnt wurden (3)); gleichwohl sind dringend Maßnahmen im Bereich der Mediengesetzgebung und der Bekämpfung von Schwarzarbeit, Korruption, organisierter Kriminalität und Armut erforderlich. Die Kluft, die häufig zwischen den gesetzgeberischen Reformen und ihrer Umsetzung klafft, muss unbedingt beobachtet werden.

4.6

2009 finden allgemeine Wahlen statt. Es ist zu wünschen, dass das Wahlsystem und auch die für demokratische Wahlen erforderlichen Infrastrukturen bis dahin konsolidiert werden, wie etwa das Verzeichnis der Wahlberechtigten.

4.7

Die Tatsache, dass Albanien auf dem NATO-Gipfel in Bukarest vom 2. bis 4. April d.J. offiziell die NATO-Mitgliedschaft angeboten wurde, ist ein wichtiges Element im geopolitischen Rahmen und für den Prozess der Annäherung des Landes an die westlichen Institutionen.

5.   Die Rolle der Zivilgesellschaft auf dem Weg zur europäischen Integration

5.1

Die EU hat eine Strategie gestartet, die im Rahmen eines partizipativen Prozesses die Zivilgesellschaft, die lokalen Entscheidungsträger und die Geberländer einbeziehen möchte. Zu diesem Zweck wurde ein partizipativer Aktionsplan aufgestellt, der die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Erarbeitung des Mittelfristigen Ausgabenprogramms vorsieht, anhand dessen die Gewährung der Mittel in den einzelnen Sektoren entschieden wird.

5.2

Darüber hinaus wurden Gruppen zur Anhörung der Zivilgesellschaft in vier Schlüsselbereichen eingesetzt: Landwirtschaft, Bildung, Gesundheitswesen sowie Sozialfragen und Beschäftigung. Außerdem gibt es eine nationale Beratungsgruppe und ein technisches Sekretariat im Finanzministerium. Von großer Bedeutung sind die Projekte zur institutionellen Stärkung der lokalen Regierungsebenen, damit ihre Prozessteilnahme gefördert werden kann.

5.3

Die Einbeziehung der lokalen Gebietskörperschaften und der verschiedenen Akteure vor Ort ist für die Konsolidierung der Demokratie und die Kontrolle der Bürger über die Tätigkeit der öffentlichen Verwaltung von grundlegender Bedeutung. Und dies umso mehr in einem Land wie Albanien, das sich um Annäherung an europäische Parameter im Hinblick auf eine künftige EU-Vollmitgliedschaft bemüht.

5.4

Die Aktionen der albanischen Zivilgesellschaft werden durch eine begrenzte partizipative Demokratie erschwert. Die Rolle der internationalen Organisationen und jeweiligen Entwicklungshilfeprogramme ist ausschlaggebend für die Finanzierung der Tätigkeiten der zivilgesellschaftlichen Organisationen und Vereinigungen: diesem Aspekt muss bei der Annäherung an eine Gesellschaft, die Schritt um Schritt demokratische Institutionen aufbaut und stärkt, als allererstes Rechnung getragen werden. In diesem Zusammenhang ist wichtig, dass auch die USA, insbesondere mit Hilfe der Agentur USAID, in der albanischen Bevölkerung in Form von Entwicklungshilfeprogrammen sehr präsent sind.

5.5

Aus politischer Sicht muss die Unterstützung der Europäischen Union und der anderen internationalen Einrichtungen für die Erreichung der Standards im Hinblick auf eine vollständige Mitgliedschaft begleitet werden von dem konkreten und eigenständigen politischen Wunsch des albanischen Volkes und seiner Vertreter nach Reformen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage des Landes. In diesem Zusammenhang ist begrüßenswert, dass die albanische Regierung im jüngsten Haushaltsgesetz beschlossen hat, der Zivilgesellschaft 1 Mio. EUR zur Verfügung zu stellen. Es ist wünschenswert, dass die (bislang noch nicht beschlossenen) Funktionsweisen und Zuweisungsmodalitäten für diese Gelder wirklich transparent sind und wirksam überwacht werden.

5.6

Damit die Zivilgesellschaft ihre Rolle weiterentwickeln kann, muss der Dialog zwischen ihr und der Regierung, der immer noch zu dürftig und unfruchtbar ist, ausgebaut werden. Die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen in die legislativen Prozesse, und zwar sowohl in die Konzeption als auch in die Überwachung, ist mit Blick auf die Effizienz der Reformen und ihrer gesellschaftlichen Tragfähigkeit sinnvoll.

5.7

In Albanien sind viele Nichtregierungsorganisationen in verschiedenen Bereichen tätig: von den Rechten der Frauen, über die Verteidigung der Demokratie, die Förderung von Transparenz und des Leistungsprinzips in den Institutionen, bis hin zu den Forschungszentren, Verbraucherschutzorganisationen etc. Ihre Schwächen bestehen darin, dass die Meisten von ihnen in Tirana tätig sind, ohne dass sie das gesamte Landesgebiet abdecken, und dass ihr Einsatzgebiet mitunter zu groß ist, als dass man von wirklich effizientem Handeln und einer „professionellen“ Auffassung der Tätigkeit ausgehen könnte.

5.8

Während ihrer Informationsreise nach Albanien haben die EWSA-Mitglieder in der albanischen Zivilgesellschaft Phänomene beobachten können, die leider auch in vielen, Albanien in gewisser Hinsicht ähnlichen Ländern anzutreffen sind; so etwa die Gründung von Organisationen mit häufig sehr wenigen Mitgliedern und die überzogene „Professionalisierung“ der zivilgesellschaftlichen Akteure, die so weit geht, dass die Zivilgesellschaft den Marktregeln unterworfen wird.

5.9

Der Agrarsektor, auf den bislang ein Großteil des nationalen BIP entfällt und der immer noch viele Beschäftigte hat, muss immer noch den Preis der Privatisierungen (nach dem Programm der Weltbank) in den 90er Jahren zahlen, in deren Folge unzählige landwirtschaftliche Mikrobetriebe entstanden sind, die sich nur schwerlich organisieren, um gemeinsam für ihre Interesse einzutreten. Deshalb haben die Bauernverbände uns zugesagt, dass sie sich für eine Modernisierung des Wirtschafts- und Produktionssystems der albanischen Landwirtschaft stark machen.

6.   Der soziale Dialog

6.1

In Albanien sind der soziale Dialog und die Repräsentativität der Sozialpartner nicht so entwickelt wie in den Ländern der Europäischen Union. In den letzten Jahren war die Aufnahme eines konsolidierten sozialen Dialogs aufgrund der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lage nicht möglich.

6.2

Einer Normalisierung der Beziehungen zwischen Regierung und Sozialpartnern (vor allem den Gewerkschaften) stehen noch viele Hindernisse im Wege, die ihren Höhepunkt im August 2007 gefunden hatten, als Justizbeamte in Begleitung von Polizeikräften die zwei Gewerkschaftsbunde aufgefordert haben, ihre seinerzeit angemieteten Räume zu verlassen. Die Gewerkschaften machen die Regierung für diese Entscheidung verantwortlich. Nach Ansicht des EWSA sollte in dieser Angelegenheit eine einvernehmliche Lösung gefunden werden in dem Bemühen, so bald wie möglich die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften und der Regierung zu verbessern und darauf hinzuwirken, dass sich jede Seite effizienter ihren Aufgaben widmet.

6.3

Die albanischen Gewerkschaften (4) fordern mehr Mitwirkung bei heiklen Themen, wie etwa die gegen die Preiserhöhungen zu ergreifenden Maßnahmen, die Bekämpfung der Korruption und der Schattenwirtschaft, die Reform des Energie- und des Erdölsmarktes und ihre Auswirkungen auf die Beschäftigung.

6.4

Die Unternehmensverbände sind zwar zersplittert und bislang wenig kooperativ, aber sie beklagen alle einen Mangel an Transparenz, Mitwirkung und Einbeziehung in den Gesetzgebungsprozess, insbesondere bei Maßnahmen, die die Wirtschaftstätigkeit betreffen. Von allen Akteuren des Dreiparteiendialogs wird die Einhaltung der Regeln und eine effektive Repräsentativität gefordert.

6.5

Das höchste Organ des Dreiparteiendialogs in Albanien ist der 1996 gegründete Nationale Rat für Arbeit. Diese Institution bemüht sich um die Harmonisierung der Interessen der verschiedenen Wirtschaftsakteure, um die Konflikte zu reduzieren und den sozialen Frieden zu wahren (5).

6.6

Im Laufe der letzten Jahre hat der Rat im Rahmen seiner Tätigkeit den Sozialpartnern Legitimität zuerkannt und auch auf einige wichtige Entscheidungen, vor allem im Bereich der Lohnpolitik, gewissen Einfluss nehmen können. Bei der Bewertung der Tätigkeit des Nationalen Rats für Arbeit muss auch der politischen Instabilität in Albanien, insbesondere Ende der 90er Jahre, Rechnung getragen werden, die sich in einem häufigen Wechsel der Arbeitsminister niedergeschlagen hat.

6.7

Die Arbeitnehmervertreter ebenso wie die Arbeitgebervertreter beklagen die Funktionsweise des Nationalen Rats für Arbeit, der ihres Erachtens keine kontinuierliche Arbeit macht und nicht das Recht hat, sich zu grundlegenden politischen Fragen zu äußern, wie etwa die Privatisierungs- und Finanzgesetze.

6.8

Der EWSA erachtet den Nationalen Rat für Arbeit als ein ausgesprochen wichtiges Organ für die Entwicklung des sozialen Dialogs in Albanien. Er sollte ein Ort echter Diskussion und Vermittlung sein, wo Themen von nationaler Bedeutung behandelt werden. Die Repräsentativität der teilnehmenden Akteure, die Fristen und die Regelmäßigkeit der Treffen sind grundlegende Faktoren für ein reibungsloses Funktionieren der Institution.

6.9

In Albanien wurde ein Gesetz zur Gründung einer Arbeitsaufsichtsbehörde verabschiedet. Die Leistungs- und Handlungsfähigkeit dieser Behörde ist vor Ort noch ziemlich begrenzt, und es bestehen weiterhin Probleme, weil es wenige Rechtsvorschriften zum Schutz von Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gibt und ihre Umsetzung dürftig ist.

Brüssel, den 9. Juli 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Auch die Europäische Kommission unterstrich die Bedeutung und Probleme der Zivilgesellschaft in den Westbalkanländern in ihrer Mitteilung „Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen 2007-2008“, KOM (2007) 663 endg.

(2)  Europäische Kommission,

http://ec.europa.eu/enlargement/albania/eu_relations_en.htm

(3)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat „Westlicher Balkan: Stärkung der europäischen Perspektive“, KOM (2008) 127 endg.

(4)  Es gibt zwei große Gewerkschaften in Albanien: Die Vereinigung der Unabhängigen Gewerkschaften Albaniens (BSPSH) und der albanische Gewerkschaftsbund (KSSH). Beide wurden 1992 gegründet.

(5)  Die Tätigkeit des Nationalen Rats für Arbeit wird in Artikel 200 des albanischen Arbeitsrechts geregelt (Geetz 7961 vom 12.7.1995 und nachfolgende Änderungen).


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