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Document 52006AE0588

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten KOM(2005) 649 endg. — 2005/0259 (CNS)

    ABl. C 185 vom 8.8.2006, p. 35–36 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

    8.8.2006   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 185/35


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten“

    KOM(2005) 649 endg. — 2005/0259 (CNS)

    (2006/C 185/07)

    Der Rat beschloss am 13. Februar 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 20. März 2006 an. Berichterstatter war Herr RETUREAU.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 426. Plenartagung am 20./21. April 2006 (Sitzung vom 20. April) mit 133 gegen 3 Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Zusammenfassung der Stellungnahme

    1.1

    Der Verordnungsvorschlag betrifft eine in Artikel 65 EGV genannte Materie, seine Rechtsgrundlage ist Artikel 61 Buchstabe c EGV. Angesichts der Besonderheiten von Unterhaltsforderungen und deren grenzüberschreitender Einziehung entspricht der Vorschlag in angemessener Weise dem Verhältnismäßigkeits- und dem Subsidiaritätsgrundsatz sowohl hinsichtlich der Justizbehörden und der nationalen Rechtsordnungen als auch der Rechtsuchenden.

    1.2

    Die Materie berührt das Familienrecht und die Einziehung von Unterhaltsforderungen; in sozialer Hinsicht beinhaltet sie eine Verarmungsgefahr, der ebenfalls Rechnung getragen werden muss.

    1.3

    Der Vorschlag wird ebenfalls den Ansprüchen an Klarheit und Rechtssicherheit für die jeweiligen Parteien, mitbetroffene Dritte und die zuständigen Verwaltungen gerecht; er schützt gleichermaßen die personenbezogenen Daten vor jedwedem Gebrauch, der weder der Regelung des Streitfalles noch der Erfüllung der Unterhaltspflichten dient.

    1.4

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt die Legislativmaßnahme der Kommission vorbehaltlich einiger besonderer Anmerkungen und begrüßt die Bemühungen um eine gelungene Rechtsetzung vor allem mittels der vorhergehenden Anhörungen und der vorläufigen Folgenabschätzung, die einer hochwertigen juristischen Redaktionsarbeit vorangegangen sind; er befürwortet außerdem die gewählte Form der Verordnung sowie die Rechtsgrundlage, auf die sie sich stützt, die besser in der Lage ist, eine Materie, die eine europäische Komponente aufweist, trotz der Unterschiede, die weiterhin zwischen den nationalen Rechtsordnungen bestehen, zu harmonisieren.

    1.5

    Nur wenige Mitgliedstaaten haben das Haager Übereinkommen über das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die meisten (17 von 25) jedoch das Übereinkommen über die Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen ratifiziert. Nichtsdestotrotz kann es sich angesichts der ausgedrückten Vorbehalte und der Möglichkeit, eine in einem anderen Staat getroffene Entscheidung a priori mit dem Hinweis auf eigene Vorschriften im Bereich der öffentlichen Ordnung abzulehnen, als unmöglich erweisen, eine solche Entscheidung durchzusetzen, auch wenn sie aus einem der anderen Unterzeichnerstaaten stammt. Ein solcher Zustand behindert den freien Verkehr von gerichtlichen Entscheidungen im Gemeinschaftsgebiet und muss daher ein Ende haben.

    1.6

    Der Ausschuss bittet daher den Rat, der Verordnung zuzustimmen, da sie Rechtssicherheit schafft und im Interesse der Europäer(innen) den Unterhaltsberechtigten konkrete Maßnahmen zur grenzüberschreitenden Ausführung von Unterhaltsentscheidungen bietet.

    1.7

    Abschließend bittet der Ausschuss die Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Republik Irland, die Möglichkeit zu erwägen, sich durch diese Verordnung binden zu lassen (opt in), und die Regierung Dänemarks, die Vollstreckung der Entscheidungen in Unterhaltssachen gemäß dem von diesem Land ratifizierten Haager Übereinkommen über die Durchsetzung von Unterhaltspflichten zu erleichtern und zu diesem Zwecke Ad-hoc-Kooperationen mit den anderen Mitgliedstaaten für den Fall vorzusehen, dass ein Antrag an sie gestellt wird.

    2.   Der Vorschlag der Kommission

    2.1   Ausgangspunkt und internationale Bedeutung des Vorschlags

    2.1.1

    In dem am 30. November 2000 verabschiedeten Maßnahmenprogramm für die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen wird die Abschaffung des Exequaturverfahrens für Unterhaltsberechtigte gefordert, für die die Verordnung „Brüssel I“ (1) über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen gilt. Dieses Programm sieht überdies vor, dass es erforderlich sein kann, im Rahmen der Harmonisierung der Verfahren eine Reihe von gemeinsamen Verfahrensvorschriften festzulegen, die auf eine hohe Wirksamkeit der Vollstreckung der im Ausland ergangenen gerichtlichen Entscheidungen im ersuchten Mitgliedstaat abzielen, vor allem durch die Feststellung der Vermögenswerte des Unterhaltspflichtigen.

    2.1.2

    Die gegenseitige Anerkennung muss im Rahmen einer Zusammenarbeit der Justizbehörden zwischen den Mitgliedstaaten und mittels einer Harmonisierung der Kollisionsnormen erfolgen.

    2.1.3

    Die Haager Konferenz über Internationales Privatrecht bereitet eine Aktualisierung der bestehenden Übereinkommen vor. Laut Kommission ergänzen sich der europäische und der internationale Ansatz gegenseitig; die Haager Initiative wird die zukünftige Entwicklung einer Zusammenarbeit mit Drittländern erlauben und könnte Ergebnisse hervorbringen, die später auf die EU übertragen werden können.

    2.2   Ziele des Verordnungsvorschlags

    2.2.1

    Mit dem Vorschlag sollen alle Hindernisse beseitigt werden, die der Durchsetzung von Unterhaltsforderungen in einem Mitgliedstaat der Union durch einen Unterhaltsberechtigten mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat entgegenstehen.

    2.2.2

    Der Unterhaltsberechtigte soll kostenfrei einen Vollstreckungstitel erhalten, der im europäischen Rechtsraum unmittelbar vollstreckbar ist und der es ihm ermöglicht, regelmäßige Unterhaltszahlungen zu erhalten.

    2.2.3

    Ein einziges, ehrgeiziges Instrument, das alle Bereiche zivilrechtlicher Zusammenarbeit abdeckt, hat sich auf diesem Gebiet als unentbehrlich erwiesen, da keine einheitlichen Regelungen bestehen. Die Konzepte von Unterhaltspflicht und Unterhaltsberechtigten sind von Land zu Land unterschiedlich; etwaiger Widerstand gegen die Vollstreckung einer Entscheidung gründet sich auf Vorbehalte aus dem Haager Übereinkommen von 1973 (Artikel 26), das gegenwärtig Vorrang vor dem Gemeinschaftsrecht besitzt. Es wird vorgeschlagen, diese in Artikel 71 der Verordnung „Brüssel I“ vorgesehene Ausnahme mit Hilfe des Ad-hoc-Instruments zur Durchsetzung von Unterhaltsforderungen abzuschaffen.

    2.3   Inhalt des Verordnungsvorschlags

    2.3.1

    Harmonisierung des Kollisionsrechts; durch eine Festlegung des anwendbaren Rechts mittels harmonisierter Regelungen wird die grenzüberschreitende Verbreitung einer Unterhaltsentscheidung erleichtert, da sie somit einer Rechtsordnung entspricht, die in einem ausreichenden und unbestreitbaren Zusammenhang mit der familiären Situation sowohl des Unterhaltsberechtigten wie des Unterhaltspflichtigen steht.

    2.3.2

    Anerkennung und unmittelbare Vollstreckbarkeit der Entscheidung im gesamten Gebiet der Europäischen Union.

    2.3.3

    Ergreifung konkreter Vollstreckungsmaßnahmen durch den Staat, in dem der Unterhaltspflichtige seinen Wohnsitz hat, einschließlich des Zugangs zu Informationen über dessen wirtschaftliche Situation und der Schaffung von rechtlichen Instrumenten, die einen direkten Zugriff auf Gehaltszahlungen oder Bankkonto gestatten.

    2.3.4

    Stärkung der Vorrangigkeit von Unterhaltsforderungen; Stärkung der zivilrechtlichen Zusammenarbeit: hierzu sind der Verordnung einheitliche Vordrucke beigefügt.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1

    Der Ausschuss erkennt die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des Vorschlags einer spezifischen Verordnung über den grenzüberschreitenden Einzug von Unterhaltsforderungen an. Als lex specialis hat sie Vorrang vor den anderen, allgemeinen Bestimmungen der Zusammenarbeit in Zivilsachen; sie stellt den Vorrang des Gemeinschaftsrechts in einem Bereich her, der bisher nach dem Willen der Mitgliedstaaten davon ausgenommen war, ohne jedoch die interne Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu ändern.

    3.2

    Die vorgesehenen Verfahren zur Feststellung der Vermögenswerte des Unterhaltspflichtigen und zum Forderungseinzug gewährleisten die Wahrung des Rechts auf Privatsphäre und die Vertraulichkeit der Daten. Der Unterhaltspflichtige muss den Unterhaltsberechtigten und die Justizbehörden des Ursprungslandes jedoch über jeglichen Wechsel des Arbeitgebers oder des Bankkontos benachrichtigen.

    3.3

    Die Verordnung löst die Probleme, denen Unterhaltsberechtigte bisher ausgesetzt sind, ohne das Recht des Unterhaltspflichtigen zu übergehen, bei den Justizbehörden des Ursprungslandes Einspruch gegen die Forderung einzulegen oder einen Antrag auf Überprüfung der Höhe der Forderung zu stellen; der Antrag auf Überprüfung geht mit einem Aufschub der Vollstreckungsmaßnahmen einher.

    3.4

    Die Vollstreckung erfolgt gemäß dem Verfahren des ausführenden Staates, ungeachtet dessen, in welchem Staat die Entscheidung getroffen wurde.

    3.5

    Die vorherige Herausgabe eines Grünbuchs (2), die Organisation von Konsultationen und Sachverständigensitzungen sowie eine Studie über die Situation in jedem einzelnen Mitgliedstaat haben die Ausarbeitung eines kohärenten, klaren und praxistauglichen Vorschlags ermöglicht, mittels dessen sich die anhaltenden Hindernisse für die grenzüberschreitende Durchsetzung von Unterhaltsforderungen beseitigen lassen sollten.

    4.   Besondere Bemerkungen

    4.1   Artikel 3

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass das erste Definitionskriterium für die gerichtliche Zuständigkeit der Ort, an dem der Unterhaltsberechtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sein muss, und empfiehlt deshalb die Umkehrung der Absätze a) und b).

    4.2   Artikel 15

    Nach Auffassung des Ausschusses muss der Unterhaltsberechtigte seinen gesetzlichen Anspruch stets wahrnehmen können, sodass die Anwendung anderer Rechtsvorschriften, die diesem Anspruch entgegenstehen, unzulässig ist, es sei denn, die vorliegende Verordnung nimmt etwaige unabdingbare Gründe der öffentlichen Ordnung hiervon aus.

    4.3   Artikel 35

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Anordnung einer Kontensperrung nicht das gesamte Guthaben betreffen darf, sondern auf den zur Erfüllung der Unterhaltspflicht erforderlichen Betrag beschränkt sein muss, da sonst dem Kontoinhaber die zum Überleben notwendigen Mittel auf unbestimmte Zeit vorenthalten werden, bis eine Sachentscheidung getroffen wurde (was offenkundig im Missverhältnis zum angestrebten Ziel steht).

    Brüssel, den 20. April 2006

    Die Präsidentin

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Anne-Marie SIGMUND


    (1)  Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen.

    (2)  KOM(2004) 254 endg.


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