Agħżel il-karatteristiċi sperimentali li tixtieq tipprova

Dan id-dokument hu mislut mis-sit web tal-EUR-Lex

Dokument 52020IE1715

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „EU und Afrika: Nachhaltigkeit und gemeinsame Werte als Grundlage einer Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2020/01715

ABl. C 429 vom 11.12.2020, p. 105–113 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

11.12.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 429/105


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „EU und Afrika: Nachhaltigkeit und gemeinsame Werte als Grundlage einer Entwicklungspartnerschaft auf Augenhöhe“

(Initiativstellungnahme)

(2020/C 429/15)

Berichterstatter:

Dimitris DIMITRIADIS (EL-I)

Dilyana SLAVOVA (BG-III)

Thomas WAGNSONNER (AT-II)

Befassung

20.2.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 32 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Außenbeziehungen

Annahme in der Fachgruppe

24.2.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

16.9.2020

Plenartagung Nr.

554

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

216/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

In einer sich schnell verändernden Welt mit erheblichen Problemen, aber auch neuen Chancen hat Europa eine Verpflichtung: nämlich sein multikulturelles, institutionelles und sozioökonomisches Erbe dazu zu nutzen, eine globale nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Die Herausforderungen für die Entwicklungsländer in Afrika sind sehr komplex und müssen in einem sensiblen und mehrdimensionalen Ansatz angegangen werden. Wir dürfen nicht nur wohlgemeinte Ratschläge erteilen; vielmehr müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten auch umfangreiche Mittel bereitstellen, die notwendig sind, um Investitionen in Afrika zu tätigen und damit die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) zu erreichen. Dies muss das Hauptanliegen der internationalen Partnerschaften der EU sein. Die Achtung der allgemeinen Menschenrechte, bei denen es sich ja um wesentliche gemeinsame Werte handelt, muss die Grundlage für jedes politische Engagement im Rahmen einer gleichberechtigten Entwicklungspartnerschaft mit Afrika sein.

1.2.

Der EWSA befürwortet im Einklang mit dem neuen europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik die Förderung eines menschenwürdigen Lebens und guter Zukunftsperspektiven, die Schaffung einer Mittelschicht und die Unterstützung gleichberechtigter Partnerschaften durch die Stärkung nachhaltiger, sozialliberaler und demokratischer Strukturen in Afrika im Einklang mit den allgemeinen Menschenrechten (1), einschließlich der grundlegenden Arbeitsrechte (die Erklärung der Internationalen Arbeitsorganisation [IAO] über grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit und die dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik), der unternehmerischen Freiheit und des Rechts auf eine gesunde Umwelt sowie der Nachhaltigkeitsziele. Der EWSA begrüßt die gemeinsame Mitteilung Auf dem Weg zu einer umfassenden Strategie mit Afrika (2) und möchte zur Verbesserung der neuen umfassenden EU-Strategie mit Afrika beitragen.

1.3.

Die aktuelle Situation bringt erhebliche Herausforderungen, aber auch vielversprechende Perspektiven für die Entwicklungszusammenarbeit zwischen der EU und Afrika mit sich. Viele der 20 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt befinden sich in Afrika. Der Kontinent wird bis 2035 das größte Arbeitskräftepotenzial haben. Eine hochrangige Handels- und Investitionspartnerschaft, die auf Menschenrechten und Nachhaltigkeit basiert, ist für beide Seiten unerlässlich. Hierbei muss es vor allem um Entwicklung gehen, anstatt dass Entwicklungsgelder für die Grenzsicherung eingesetzt werden.

1.4.

Der EWSA begrüßt das afrikanische Freihandelsabkommen (AfCFTA), da es den Handel auf dem Kontinent stärkt, Abhängigkeiten verringert und von einem ausschließlich auf Übersee-Exporte ausgerichteten Ansatz abrückt. Es könnte ein erster wesentlicher Schritt in Richtung einer Freihandelszone zwischen der EU und Afrika sein. Der EWSA bekräftigt die wichtige Rolle einer organisierten Zivilgesellschaft im Rahmen des Post-Cotonou-Abkommens.

1.5.

Langfristige Investitionen in die innerafrikanische Infrastruktur zur Förderung der regionalen Wertschöpfungsketten und einer nachhaltigen lokalen Wirtschaft sind wirtschaftlich sinnvoll, ökologisch nachhaltig und sorgen für Produktionskapazitäten einschließlich guter lokaler Arbeitsplätze. Ein ausschließlich auf den Export nach Übersee ausgerichteter Ansatz ist nicht nachhaltig. So sollte insbesondere die interkontinentale wirtschaftliche Zusammenarbeit die lokale Produktion in Afrika begünstigen, deren Hauptsektoren nachhaltige Landwirtschaft, Energie und Kreislaufwirtschaft sowie die traditionellen Bereiche in Bezug auf Rohstoffe und Bauwesen sein sollten, die noch im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen umgestaltet werden müssen. Öffentliche Mittel werden zum Nachteil der konventionellen Entwicklungskooperation nicht notwendigerweise für private Investitionen in Afrika verwendet. Daher sind Überwachungs-, Kontroll- und Evaluierungssysteme, in die die organisierte Zivilgesellschaft stark eingebunden ist, absolut unerlässlich.

1.6.

Zivilgesellschaft, Sozialpartnerschaften, soziale Marktwirtschaften und wohlfahrtsstaatliche Systeme sollten erfolgreiche Modelle zur Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung in Afrika sein, wobei diese Konzepte auf die lokale Kultur und die jeweiligen sozioökonomischen Gegebenheiten zugeschnitten sein müssen. Bei den Prioritäten für die Unterstützung afrikanischer Länder sollten nicht nur Handel und Investitionen, sondern auch und insbesondere die Bereiche Steuerpolitik, Migration, Entwicklung, Umwelt, Bildung, Gesundheit sowie Arbeits- und Lebensbedingungen berücksichtigt werden. Das ist angesichts der aktuellen COVID-19-Krise, unter der Afrika immens leiden wird, umso wichtiger.

1.7.

Es sollte eine Infrastruktur für die Qualitätssicherung aufgebaut werden, damit afrikanische Güter die Standards ihrer Zielmärkte erfüllen können. Es sollte auf die Einhaltung der Gesetze geachtet werden, die den Nachhaltigkeitszielen Rechnung tragen. Gleichermaßen wären Verfahren zu Erfüllung der Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte einschließlich EU-Vorschriften sehr hilfreich (3).

1.8.

Erasmus+ sollte erweitert werden, um die Kooperation zwischen der EU und Afrika zu stärken. Die Entwicklungspartnerschaft zwischen der EU und Afrika muss die Schaffung lokaler öffentlicher Bildungssysteme von der Kleinkindbetreuung bis hin zur Universitätsebene und die berufliche Aus- und Fortbildung sowie die Systeme des lebenslangen Lernens stärker unterstützen. Eine Talentflucht von Afrika in die EU sollte vermieden werden. Insbesondere die durchgängige Berücksichtigung der Geschlechtergleichstellung und die Stärkung der Position der Frau in der Gesellschaft spielen eine zentrale Rolle bei der Verwirklichung einer nachhaltigen Entwicklung.

1.9.

Die Stärkung der Position der Frauen in Afrika ist eine Priorität des EWSA, der die Institutionen und die Zivilgesellschaft nachdrücklich auffordert, sich aktiv und kontinuierlich für eine vollständige Gleichstellung der Geschlechter auf den verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Ebenen einzusetzen.

1.10.

Eine Kehrtwende bei der Migration ist in vielerlei Hinsicht ein maßgebliches Thema. Schließlich wirkt nur eine wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung den Ursachen einer unfreiwilligen Migration entgegen.

1.11.

Eine internationale Finanzierungsgesellschaft der afrikanischen Diaspora könnte eine ideale Plattform zur Kanalisierung von Investitionen sein, die von afrikanischen Gremien verwaltet und für den afrikanischen Bedarf mobilisiert werden. Dies könnte auch eine Möglichkeit für europäische Investoren sein.

1.12.

Afrika ist in den letzten zehn Jahren immens gewachsen. So wird davon ausgegangen, dass sich der Energiebedarf des Kontinents bis 2050 verdoppeln wird, die Armutsraten jedoch auf hohem Niveau stagnieren. Hierdurch würden die Probleme in Bezug auf die ökologische und sozioökonomische Nachhaltigkeit nicht nur andauern, sondern möglicherweise sogar verschärft werden.

1.13.

Dennoch könnten sich Chancen ergeben: a) Afrikanische Länder können eine führende Rolle bei der Umwandlung von Solarenergie in Strom mittels Fotovoltaik spielen. Hieraus kann sich auch eine großflächige Produktion synthetischer Kraftstoffe ergeben. b) Spezifische Möglichkeiten für gemeinsame Projekte, Geschäftstätigkeiten und Richtlinien könnten für einen neuen sozioökologischen marktwirtschaftlichen Ansatz sorgen.

1.14.

Die Agrar- und Lebensmittelindustrie in Afrika sollte unterstützt werden, um die Anbaumethoden zu verbessern, Ernteverluste zu reduzieren und Qualitätsstandards anzuheben. Weitere Ziele im Agrar- und Lebensmittelbereich sind die Entwicklung neuer Vermarktungs- und Produktionsmethoden, die Förderung der genossenschaftlichen Selbstorganisation der Bauern, Ernährungssicherheit und die Steigerung des Handels innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette. Der ESWA tritt insbesondere der Landnahme („Land Grabbing“) in Afrika entgegen.

1.15.

Die EU- und afrikanischen Interessenvertreter sollten zusammenarbeiten, um den Grünen Deal Wirklichkeit werden zu lassen, die Erde zu bewahren und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Wir könnten mit der institutionalisierten Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft ganz leicht Selbstreflexion praktizieren und Fehler der Vergangenheit mit neuen Mitteln vermeiden. Nachhaltige Entwicklung kann nur erzielt werden, wenn sie von dem Land selbst ausgeht und angetrieben wird.

1.16.

Die Annahme eines von den allgemeinen Menschenrechten ausgehenden Ansatzes, die Entwicklung demokratischer Governance-Strukturen, die Verbesserung der wirtschafts- und finanzpolitischen Steuerung durch eine transparente Verwaltung der öffentlichen Finanzen und die Schaffung eines glaubwürdigen Systems zur Korruptionsbekämpfung auf Grundlage einer unabhängigen Justiz tragen dazu bei, starke, eigenständige und stabile Partner in Wirtschaft und Entwicklung aufzubauen.

2.   Hintergrund und Hauptpunkte der Stellungnahme

2.1.

Die EU-27 ist Afrikas größter Handels- und Investitionspartner. Der EWSA begrüßt die Gemeinsame Mitteilung Auf dem Weg zu einer umfassenden Strategie mit Afrika (4), in der Partnerschaften in Bezug auf den ökologischen Wandel und den Zugang zu Energie, den digitalen Wandel, nachhaltiges Wachstum und Arbeitsplätze sowie Frieden und Governance vorgeschlagen werden.

2.2.

Zweiundfünfzig afrikanische Länder haben in der ein oder anderen Form Handelsabkommen mit der EU geschlossen. Es gibt Assoziierungsabkommen mit vier nordafrikanischen Ländern. Darüber hinaus laufen Verhandlungen mit Marokko und Tunesien über eine vertiefte und umfassende Freihandelszone. Die EU hat fünf Wirtschaftspartnerabkommen (WPA) mit regionalen afrikanischen Organisationen ausgehandelt. Sie basieren auf dem Cotonou-Abkommen und auf dessen Ziel, die Handelsbeziehungen zwischen der EU und den afrikanischen, karibischen und pazifischen Ländern bezüglich der Vorschriften der Welthandelsorganisation auszubauen.

2.3.

Der EWSA bekräftigt seinen Ansatz: Er möchte ein menschenwürdiges Leben und gute Zukunftsperspektiven für alle Menschen gewährleisten, eine Mittelschicht (unter Berücksichtigung der Wechselbeziehung zwischen Migration und Einkommen) schaffen und gleichberechtigte Partnerschaften durch die Stärkung nachhaltiger, sozialliberaler und demokratischer Strukturen unterstützen. Bestehende lokale Traditionen und bewährte Praktiken sollten jedoch geachtet und berücksichtigt werden. Der EWSA hat sich für eine Entwicklungspolitik eingesetzt, die gute Zukunftsperspektiven, Strukturen und wirtschaftliche Chancen für alle Menschen in Afrika schafft.

2.4.

Investitionen von außerhalb Afrikas nehmen stetig zu. So investiert beispielsweise China im Rahmen seines Forums für die Zusammenarbeit zwischen China und Afrika (FOCAC) und der „Neuen Seidenstraße“. Andere, weniger umfangreiche Initiativen sind die US-amerikanisch-afrikanische Partnerschaftsstation und der Russland-Afrika-Gipfel 2019.

2.5.

Bei den allgemeinen Menschenrechten — einschließlich der grundlegenden Arbeitsrechte, der unternehmerischen Freiheit, des Rechts auf eine gesunde Umwelt und der Rechtsstaatlichkeit — handelt es sich um wesentliche gemeinsame Werte. Sie stellen zusammen mit den Nachhaltigkeitszielen einen international vereinbarten Mindeststandard für Entwicklungsprogramme sowie die Grundlage für eine gleichberechtigte Entwicklungspartnerschaft dar.

2.6.

Diese Werte stehen im Einklang mit dem neuen europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik, mit dem ebenfalls angestrebt wird, die Einflüsse anderer Politikbereiche auf die Entwicklung durch Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung zu berücksichtigen.

2.7.

In dieser Stellungnahme werden zentrale Aspekte einer ernsthaften und gleichberechtigten Entwicklungspartnerschaft sowie die aktuelle Situation und die Herausforderungen in Bezug auf die Beziehungen zwischen der EU und Afrika analysiert.

3.   Aktuelle Herausforderungen

Ein menschenwürdiges Leben, ökologische Verantwortung und gute Zukunftsperspektiven sind für unser Überleben entscheidend. Wir müssen den Klimawandel eindämmen und verantwortungsbewusster und kooperativer denken. Der traditionelle Ansatz von Industriepolitik und Wachstum ist ein veraltetes Entwicklungsmodell, das den Planeten zerstören und immense gesellschaftliche Kosten verursachen wird. Besonders in Afrika müssen die Menschen nicht nur aus der extremen Armut herausgeholt werden, sondern sie sollten auch in der Lage sein, aktiv an der Gesellschaft teilzuhaben (Wohnraum, Lebensmittel, Gesundheit, Bildung). Im Weltrisikobericht 2017 des Weltwirtschaftsforums wurde das Problem einer weltweiten Ungleichheit als die größte Ursache für Risiken im Zusammenhang mit den aktuellen politischen Herausforderungen hervorgehoben. Frauen und schutzbedürftige Gruppen sind noch stärker betroffen und infolge fehlender Chancen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen.

3.1.   Wirtschaftliche Aspekte

3.1.1.

Viele der 20 am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt befinden sich in Afrika. Der Kontinent wird bis 2035 das größte Arbeitskräftepotenzial haben. Hier bilden sich die globalen Märkte, Kunden und Arbeitnehmer der Zukunft heraus. Daher kann die Mehrheit der aktuellen globalen Herausforderungen nur zusammen mit starken afrikanischen Partnern angegangen werden. Es bedarf einer gleichberechtigten Handels- und Investitionspartnerschaft auf Grundlage der Menschenrechte und der Nachhaltigkeit. Für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele sind in Afrika jährlich 600 Milliarden Euro erforderlich (5). Daher sieht der EWSA einen enormen Bedarf an privaten Investitionen.

3.1.2.

Die Handelspolitik sollte die Kohärenz für Entwicklung insbesondere im Hinblick auf Zölle, Beschaffung und Steuern berücksichtigen, vorhandene Asymmetrien insbesondere in Bezug auf WPA (6) beachten, die regionale Integration unterstützen, Bereiche von Nachhaltigkeit umfassen, die verbindlich und sanktionsfähig sind, und den Investitionsschutz ändern, damit sämtliche Menschenrechte geachtet werden.

3.1.3.

Der EWSA begrüßt das afrikanische Freihandelsabkommen (AfCFTA), da es den Handel auf dem Kontinent stärkt, Abhängigkeiten verringert und von einem ausschließlich auf Übersee-Exporte ausgerichteten Ansatz abrückt. Er befürwortet eine Freihandelszone zwischen der EU und der Afrikanischen Union (AU) im Rahmen eines einzigen Abkommens, in dem die Vielfalt und die wirtschaftlichen Stärken der einzelnen afrikanischen Staaten berücksichtigt werden müssen.

3.1.4.

Zunehmend werden Mittel, die traditionell für die Entwicklung vorgesehen waren, zur Förderung privater Investitionen verwendet. Dies darf nicht zulasten der traditionellen Entwicklungskooperation gehen. Sogenannte „grüne Anleihen“, die speziell auf nachhaltige Projekte ausgerichtet sind, könnten eine gute Möglichkeit für die Kanalisierung privater Investitionen in Afrika sein. Sämtliche Investitionen, sowohl öffentliche als auch private, müssen unbedingt unter Einbeziehung von Organisationen der Zivilgesellschaft überwacht, überprüft und bewertet werden, damit gewährleistet ist, dass sie im Einklang mit den Nachhaltigkeits- und den Entwicklungszielen sowie unter Achtung der Menschenrechte verwendet werden. Gleichzeitig hat der EWSA zur Kenntnis genommen, dass europäische Entwicklungsgelder dazu verwendet wurden, die schlechten Arbeitsbedingungen in Afrika abzumildern (7).

3.1.5.

Die Landwirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftssektor in Afrika (über 60 % der Afrikaner arbeiten in der Landwirtschaft und dort meist in kleinen Subsistenzbetrieben). In den Volkswirtschaften der Industrie- und Schwellenländer gibt es einen Wettlauf um die Sicherung von Ackerland in Afrika (8). Das Fehlen amtlicher oder genauer Grundbücher begünstigt die Aneignung von Agrarland („Land Grabbing“) und hindert junge Afrikaner am Landerwerb. Die weltweit meisten Investitionen in Land werden in Afrika getätigt, und zwar auch durch großflächige Investitionen aus der EU. Entwicklungsfachleute warnen davor, dass in der Guinea-Savanne bis zu 4 Millionen Quadratkilometer an Ackerland zur Zielscheibe internationaler (auch europäischer) Agrarkonzerne werden (9). Die weltweite Lebensmittelproduktion muss bis 2050 um 70 % gesteigert werden (10), wozu in den Entwicklungsländern eine Steigerung von 97 % erforderlich ist, während gleichzeitig Ackerland verstärkt für die Produktion von Öko-Kraftstoffen und Rohstoffen für die Chemieindustrie verwendet wird. Die Ernährungssicherheit ist aufgrund der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie noch wichtiger.

3.2.   Soziale Aspekte

3.2.1.

Die Konzepte der Zivilgesellschaft, der Sozialpartnerschaften und einer sozialen Marktwirtschaft haben in Europa sehr gut funktioniert.

3.2.2.

Projekte der Europäischen Investitionsbank (EIB) scheinen umfassendere Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen und einen besseren Entwicklungsansatz zu verfolgen. Das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und Organisationen der Zivilgesellschaft haben jedoch Bedenken hinsichtlich der Tätigkeiten der EIB geäußert. Sie haben betont, dass die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte im Rahmen ihrer Tätigkeiten verbessert werden muss. Dies ist von größter Bedeutung, wenn sie glaubwürdige Unterstützung anbieten will (11).

3.2.3.

Bestimmungen, die es Europäern erlauben, Gesetze anzufechten, die den Nachhaltigkeitszielen Rechnung tragen, schaden unserer Glaubwürdigkeit:

Menschenwürdige Arbeit beinhaltet einen existenzsichernden Lohn. Dies zu bestreiten, steht nicht im Einklang mit dem Entwicklungsansatz, den wir verfolgen müssen (vgl. den Fall Veolia gegen Ägypten).

EU-Investitionen sollten geschützt werden. Aber wir müssen auch für die Einhaltung des Arbeitsrechts sorgen und den Umwelt- und Verbraucherschutz sicherstellen.

3.2.4.

Unsere Entwicklungspartnerschaft muss die Schaffung lokaler öffentlicher Bildungssysteme von der Kleinkindpädagogik bis hin zur Universitätsebene stärker unterstützen. Hierbei sollte ein Hauptaugenmerk auf der beruflichen Bildung einschließlich praxisnaher Ausbildung und der Systeme des lebenslangen Lernens liegen. Europas Erfahrungswerte können bei der Entwicklung von Bildungssystemen in Afrika hilfreich sein.

3.2.5.

Die Kosten für den Handel in Afrika sind oftmals sehr hoch. Darüber hinaus erfüllen viele Länder bislang nicht die internationalen Qualitäts-, Sicherheits- und Umweltstandards. Es sollte eine Infrastruktur zur Qualitätssicherung aufgebaut werden, damit afrikanische Güter die Standards ihrer Zielmärkte, auch in Afrika, erfüllen können. So sollte die Unterstützung für afrikanische Länder insbesondere auf Umwelt-, Gesundheits- und Arbeitsbedingungen sowie auf Schutzstrukturen ausgerichtet sein.

3.2.6.

Die europäischen Sozialstaatssysteme haben sich ausgehend von Solidarität und verwurzelt in den von allen großen politischen Bewegungen geteilten Grundwerten erfolgreich entwickelt. Sozialversicherungssysteme, Kooperationsmodelle und öffentliche Dienstleistungen haben es den Menschen ermöglicht, Wohlstand zu erlangen und die Marktkräfte zu kanalisieren, um nicht nur die Armut zu verringern und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, sondern auch um partizipative Demokratien zu fördern.

3.2.7.

Das ist angesichts der Herausforderungen der COVID-19-Krise, unter der Afrika immens leiden wird, umso wichtiger. Nach UN-Angaben trägt Afrika 24 % der globalen Belastung durch Krankheiten (wobei insbesondere Malaria ein Problem ist), verfügt aber nur über 3 % des weltweiten Gesundheitspersonals. Es ist ja bekannt, dass Länder, die Gesundheitspersonal ausbilden, finanzielle Verluste erleiden, wenn diese Fachkräfte in Industrieländer abwandern (12).

3.2.8.

Schließlich wirkt nur eine wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklung den Ursachen einer unfreiwilligen Migration entgegen. Wir müssen die allgemeinen Menschenrechte in unsere Politik einbeziehen, um die Art von Gesellschaften in Afrika zu fördern, die viele afrikanische Migranten aufgrund der Perspektivlosigkeit bei sich zuhause in der EU suchen.

3.2.9.

Eine Kehrtwende bei der Migration ist ein wichtiges Thema: So weist der EWSA zum Beispiel auf Berichte (13) über die Abwanderung von Fachkräften aus Tunesien hin, wo sich die politischen Entscheidungsträger mit der Tatsache auseinandersetzen müssen, dass rund ein Drittel der IT-Fachleute, die mithilfe von EU-Mitteln ausgebildet wurden, das Land verlässt und Arbeit in der EU sucht.

3.3.   Nachhaltigkeitsaspekte

3.3.1.

Die afrikanische Wirtschaft ist in den letzten zehn Jahren immens gewachsen. Die Lebensbedingungen haben sich spürbar verbessert, während die Armutsraten jedoch auf hohem Niveau stagnieren. Der Kontinent muss angesichts seiner begrenzten wirtschaftlichen Diversifizierung, der anhaltenden Ungleichheiten, der hohen Arbeitslosigkeit und der Schädigung der Umwelt dringender denn je den Weg hin zur nachhaltigen Entwicklung einschlagen, mit dem ein menschenwürdiges Leben für jeden erzielt werden kann.

3.3.2.

Der Energiebedarf in Afrika dürfte sich bis 2050 verdoppeln. Dieser erhöhte Bedarf sollte durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien gedeckt werden. Die Umsetzung der Energiewende von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energiequellen ist für eine Eindämmung des Klimawandels unverzichtbar. Afrikanische Länder können bei der Umwandlung von Sonnenenergie in Strom mittels Fotovoltaik eine führende Rolle einnehmen. Große Fotovoltaikparks liefern nicht nur elektrische Energie für den lokalen Bedarf, sondern können auch zur Produktion von E-Kraftstoffen genutzt werden (14). Die lokale Bevölkerung sollte an den Gewinnen teilhaben können. Methanol und andere synthetische Kraftstoffe scheinen Alternativen zu fossilen Brennstoffen für die Luftfahrt zu sein. Sie könnten aber auch den Einsatz von Verbrennungsmotoren in Straßenfahrzeugen verlängern.

4.   Politische Empfehlungen

4.1.   Allgemeine Aspekte

4.1.1.

Eine faire und gleichberechtigte Handelsbeziehung mit afrikanischen Staaten sollte menschenwürdige Arbeit fördern und öffentliche Dienste stützen. So muss die Handelspolitik insbesondere gewährleisten, das die Menschenrechte, die Umwelt und das Recht auf ein menschenwürdiges Leben uneingeschränkt respektiert werden. Auch müssen die Bedürfnisse der weniger entwickelten Länder berücksichtigt werden. Ein Abkommen für die Post-Cotonou-Ära wird nur dann eine große Chance sein, wenn es gute Arbeitsplätze schafft, ein nachhaltiges Wachstum ankurbelt und die Einbeziehung der organisierten Zivilgesellschaft gewährleistet. Namhafte Fachleute für Entwicklungspolitik sind der Ansicht, dass sich die Entwicklungspolitik der EU am demokratischen Regionalismus orientieren sollte, der für Afrika und die dortigen Gesellschaften aufgrund spezifischer lokaler Gegebenheiten besonders relevant ist (15).

4.1.2.

Zeitgenössische, progressive Partnerschaften sollten den Bedarf an einer neuen Form der Kooperation zwischen Industrie- und Entwicklungsländern widerspiegeln. Der Aufbau dieser Reformpartnerschaften erfordert insbesondere bessere Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Aktivitäten und die verstärkte Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze mit einem angemessenen Einkommen, um der jungen Bevölkerung Afrikas ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dies ist von wesentlicher Bedeutung, um junge Menschen davon abzuhalten, auf der Suche nach einer besseren Zukunft aus Afrika abzuwandern (16). In diesem Zusammenhang weist der EWSA auf seine Kontakte in Tunesien und auf seine Unterstützung für die Demokratisierung des Landes hin. Im Rahmen des vertieften und umfassenden Freihandelsabkommens, über das derzeit verhandelt wird, sollte erwogen werden, das bisher Erreichte zu erhalten, indem sichergestellt wird, dass die tunesische Wirtschaft den Bürgerinnen und Bürgern Chancen und Perspektiven bieten kann.

4.1.3.

Zur Stärkung und Unterstützung der notwendigen Reformen in Afrika könnte eine Reflexionsgruppe eingerichtet werden, deren Schwerpunkt auf dem Engagement der Zivilgesellschaft, Überlegungen zu Wirtschafts- und Strukturreformen und den Zielen für eine nachhaltige Entwicklung liegt. Sie könnte die Entwicklung von Wissen und Kompetenzen in Afrika fördern und den Austausch zwischen der Zivilgesellschaft in Afrika und Europa erleichtern.

4.2.   Wirtschaftliche Entwicklung

4.2.1.

Im Hinblick auf den europäischen Grünen Deal sollten Innovationen und ein sozial-ökologischer Wandel die Triebkräfte für wirtschaftliche Entwicklung sein. Der Fokus muss auf einer gerechten Verteilung des Wohlstands und der Schaffung sozialstaatlicher Strukturen liegen. Zu den Prioritäten sollten nicht nur Handel und Investitionen, sondern auch eine internationale Kooperation in anderen Angelegenheiten wie z. B. Steuerpolitik, Migration, Entwicklung, Umwelt, Bildung, Gesundheit sowie Arbeits-, Lebens- und Gesundheitsbedingungen (insbesondere nach COVID-19) gehören. Eine Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft wird in dieser Hinsicht entscheidend sein.

4.2.2.

Um regionale Wertschöpfungsketten und eine nachhaltige lokale Wirtschaft zu fördern, sind langfristige Investitionen in die innerafrikanische Infrastruktur (im Gegensatz zur Infrastruktur zur Erleichterung von Exporten ins Ausland) erforderlich. Das ist wirtschaftlich sinnvoll und ökologisch nachhaltig und sorgt für Produktionskapazitäten einschließlich guter lokaler Arbeitsplätze. Das Paradigma der vom Übersee-Export angetriebenen Wirtschaft ist in Afrika nach wie vor signifikant, da Rohstoffe für große Volkswirtschaften (einschließlich der EU und ihrer Mitgliedstaaten) von strategischer Bedeutung sind. Die EU-Investitionen müssen einen anderen Ansatz verfolgen, der auf einer wirklich gleichberechtigten Partnerschaft beruht, um zu gewährleisten, dass alle davon profitieren, und um insbesondere eine nachhaltige Entwicklung in Afrika zu fördern.

4.2.3.

Eine internationale Finanzierungsgesellschaft der afrikanischen Diaspora könnte die Nutzung der Ressourcen der afrikanischen Diaspora für eine inklusive Entwicklung und Investitionen in sozial verantwortliche Unternehmen und Programme (17) in Afrika koordinieren. Sie könnte nicht nur eine ideale Plattform zur Kanalisierung von Investitionen, die von afrikanischen Gremien verwaltet und für afrikanische Anliegen genutzt werden, sondern auch eine Option für europäische Investoren sein. Die Investitionen, die erforderlich sind, um die Nachhaltigkeitsziele in Afrika zu erreichen, übersteigen deutlich die geschätzten jährlichen Ersparnisse afrikanischer Migranten. Daher sollten mehr Wege (geschäftlicher) Kooperation mithilfe von Diaspora-Organisationen beschritten werden.

4.2.4.

Neben dem Export von Rohstoffen, die andernorts weiterverarbeitet werden, sollten afrikanische Länder dazu ermutigt und dabei unterstützt werden, nachhaltige einheimische Industrien aufzubauen, damit die mit der Verarbeitung von Rohstoffen erwirtschafteten Gewinne im Land bleiben. Die Einnahmen aus dem Rohstoffsektor sollten in die Infrastruktur und soziale Dienste investiert werden und somit tatsächlich der Bevölkerung zugutekommen.

4.2.5.

Die Stärkung der öffentlichen Sicherheit zur Bekämpfung des Terrorismus muss weiterhin Priorität haben. Fragen der Grenzsicherung und der Lieferung von Waffen müssen jedoch mit großer Umsicht angegangen werden. Statt Entwicklungsgelder dafür einzusetzen, die unfreiwillige Migration zu stoppen und Sicherheitskräfte zu bewaffnen, sollte die Entwicklung im Fokus stehen: Die zunehmende Tendenz der „Absicherung“ im Bereich der Entwicklungspolitik trägt möglicherweise zur Verstärkung der eigentlichen Migrationsursachen bei.

4.2.6.

Der EWSA fordert EU-Vorschriften zur Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte (18). Er hat die EU bereits zuvor aufgefordert, die Sorgfaltspflicht im Bereich der Menschenrechte insbesondere in internationalen Wertschöpfungsketten verbindlich umzusetzen (19). Ausgehend von bestehenden Maßnahmen und EWSA-Konzepten (z. B. einer Ratingagentur) wäre ein verbindliches Sorgfaltspflichtsystem für eine nachhaltige Entwicklung insbesondere in Afrika sehr hilfreich und würde die Bemühungen der EU um die Schaffung einer gleichberechtigten Entwicklungspartnerschaft stärken.

4.2.7.

Die Verdienste der KMU-Entwicklung und der Kooperation zwischen afrikanischen und europäischen KMU können kaum hoch genug eingeschätzt werden. Multinationale Unternehmen sind meist in der Lage, die mit der geschäftlichen Tätigkeit in Afrika verbundenen Risiken zu handhaben. KMU brauchen, um das Potenzial von KMU in einer gleichberechtigten Entwicklungspartnerschaft nutzen zu können, verlässliche Strukturen und institutionelle Unterstützung. Die Mehrheit der Arbeitsplätze in Afrika wird von KMU bereitgestellt. Finanzdienstleistungen — wie z. B. Kredite, Kredite in lokalen Währungen und Risikomanagement — müssen insbesondere auf kooperativer Basis verbessert und (in Fällen, in denen es diese nicht gibt) entwickelt werden, um den Bedarf der KMU zu decken.

4.2.8.

Der Mangel an Fachkräften ist ein Haupthindernis für Unternehmen in afrikanischen Ländern. Die Förderung von Berufsausbildungen ist daher eine Angelegenheit von höchster Priorität.

4.2.9.

„Da Fragen der Besteuerung mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung verknüpft sind, sollten Unternehmen Steuern ordnungsgemäß dort entrichten, wo Gewinne durch Wertschöpfung (z. B. Produktion, Abbau von Rohstoffen oder ähnliche Tätigkeiten) entstehen“ (20). Dieser Grundsatz ist von elementarer Bedeutung für eine gleichberechtigte Entwicklungspartnerschaft. Darüber hinaus hat sich der EWSA für Folgenabschätzungen zu bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen durch die EU ausgesprochen, wenn die Gefahr besteht, dass die EU-Entwicklungspolitik konterkariert wird (21).

Neben privaten Investitionen spielen auch die Steuereinnahmen bei der Finanzierung einer nachhaltigen Entwicklung eine wichtige Rolle. Den afrikanischen Ländern fehlen Steuereinnahmen in zweifacher Höhe des Betrags der gesamten Entwicklungsfinanzierung, die sie pro Jahr erhalten. Maßnahmen gegen Steuervermeidung und Korruption sowie Kampagnen zur Erhöhung der inländischen Einnahmen der afrikanischen Länder sind unerlässlich und müssen mit Schulungen für Beamte der Steuerbehörden, Rechnungshöfe und Finanzministerien einhergehen. Steuerparadiese in afrikanischen Staaten oder in der EU behindern eine nachhaltige Entwicklung.

4.2.10.

Es bedarf einer Infrastruktur, um Unternehmen bei der Suche nach Finanzierungs- und Unterstützungsmechanismen und beim Aufbau von Kontakten vor Ort zu unterstützen. Auch müssen sie in den Phasen der Projektplanung beraten werden.

4.2.11.

Die Agrar- und Lebensmittelindustrie in afrikanischen Ländern sollte unterstützt werden, damit Verfahren zur Verbesserung der Anbaumethoden entwickelt, Ernteverluste reduziert, Entwaldung gestoppt und Qualitätsstandards verbessert werden. Darüber hinaus sollte der Agrar- und Lebensmittelsektor neue Vermarktungsmethoden und moderne Anbau- und Verarbeitungsverfahren entwickeln, die Selbstorganisation der Landwirte — insbesondere in Genossenschaften — fördern und den Handel in der gesamten Wertschöpfungskette steigern.

4.3.   Sozialpolitik

4.3.1.

Die Einbeziehung der Zivilgesellschaft durch Sozialpartnerschaften auf Betriebs- und Branchenebene in den institutionellen Aufbau der europäischen Staaten gereichte der EU zum Vorteil. Die organisierte Zivilgesellschaft sollte stark in die gleichberechtigte Entwicklungspartnerschaft einbezogen werden, da dies stabile Strukturen für sämtliche, insbesondere geschäftliche EU-Aktivitäten schaffen wird. Damit würden sich unsere Bemühungen nicht nur auf Gewinne, sondern auch auf eine nachhaltige Entwicklung in Afrika konzentrieren, um so langfristige Partnerschaften auf Grundlage von Vertrauen und Gleichberechtigung zu schaffen.

4.3.2.

Erasmus+ sollte erweitert werden, um die Kooperation zwischen der EU und den afrikanischen Staaten zu stärken. Die beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse afrikanischer Hochschulabsolventen müssen der nachhaltigen Entwicklung in ihren Herkunftsländern zugutekommen. Eine Talentflucht von Afrika in die EU sollte vermieden werden. Bildung ist ein maßgeblicher Faktor für die Verbesserung der Bedingungen insbesondere für Frauen und schutzbedürftige Gruppen — und genau darauf sollte unsere Unterstützung abzielen.

4.3.3.

Durch COVID-19 sind die Herausforderungen noch größer. Viele Gesundheitssysteme sind aktuell überfordert. Wir müssen die afrikanischen Staaten noch mehr unterstützen, damit sie starke Gesundheitssysteme aufbauen können, die für Herausforderungen wie COVID-19 auf bio- und sozialmedizinischer Ebene gewappnet sind. Eine gute Gesundheitsversorgung darf nicht von einer schwachen Wirtschaft, einem Mangel an Governance, schlechter Zugänglichkeit oder einem Mangel an ausgebildetem Personal behindert werden. Gut entwickelte Wohlfahrtsstaaten in Europa haben sich angesichts der aktuellen Herausforderung weitgehend bewährt und könnten als Vorbild für die Verbesserung der Gesundheitssysteme insbesondere in Afrika dienen.

4.3.4.

Die Organisationen der afrikanischen Diaspora in der EU müssen in die Schaffung einer gleichberechtigten Partnerschaft zwischen der EU und den afrikanischen Staaten eingebunden werden. Sie können Finanzierungen und Know-how bieten und deutlich machen, dass ein von den allgemeinen Menschenrechten ausgehender Ansatz die afrikanischen Strukturen, die für stabile Unternehmen, soziales Engagement und eine gesunde Umwelt erforderlich sind, stärken wird. Sie sind über die Umsetzung der Menschenrechte in der EU informiert, wissen, wie innerhalb der EU-Rahmen vorzugehen ist und könnten daher als Brücke für das Handeln der EU in ihren Herkunftsländern dienen.

4.4.   Nachhaltige Entwicklung

4.4.1.

Nachhaltige Entwicklung kann nur erzielt werden, wenn sie von dem Land selbst ausgeht und angetrieben wird. Afrikas eigene Entwicklungskapazitäten müssen unterstützt werden, damit Reformen durchgeführt werden können, jeder eine menschenwürdige Perspektive erhält und sich sowohl private als auch öffentliche Investitionen auf dem Kontinent auszahlen können.

4.4.2.

Afrika braucht einen neuen Ansatz in der Industriepolitik, der branchenspezifisch organisiert und international koordiniert wird, um größere Märkte und stärkere Anreize für nachhaltige Industrien zu schaffen, insbesondere für die Branchen, die sich nicht auf fossile Brennstoffe stützen (22).

4.4.3.

Wenn es um die Produktion synthetischer Kraftstoffe mittels Fotovoltaik geht, spielt der Standort unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Effizienz (23) eine Rolle, wobei der „Sonnengürtel“ des Äquators das ideale Gebiet zu sein scheint (24). Diese Branche könnte ebenfalls einen günstigen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung afrikanischer Länder haben und ihnen die Teilnahme an internationalen Energieprojekten ermöglichen. Jegliche Entwicklungshilfe in diesem Sektor könnte nicht nur positive Auswirkungen auf die Empfängerländer, sondern auch auf die Stromverbraucher in entwickelten Ländern haben (25).

4.4.4.

Die Nachhaltigkeitsziele stellen eine Beziehung zwischen der EU und ihren afrikanischen Partnern auf Grundlage der Menschenrechte mit dem Ziel her, im Sinne des Grünen Deals zusammenzuarbeiten, um die Erde zu bewahren und ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Wir könnten mit der institutionalisierten Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft ganz leicht Selbstreflexion praktizieren und Fehler der Vergangenheit mit neuen Mitteln vermeiden.

4.4.5.

Sämtliche Beteiligten einschließlich der Sozialpartner und anderer Organisationen der Zivilgesellschaft müssen auf Projekte, Geschäftsaktivitäten und Richtlinien drängen, die einen neuen sozio-ökologischen und marktwirtschaftlichen Ansatz schaffen. Darüber hinaus müssen wirtschaftliche Aspekte, grundlegende soziale und biophysikalische Fragen (wie der Klimawandel) stärker berücksichtigt werden. Daher müssen neben den rein wirtschaftlichen Indikatoren auch solche geprüft werden, die in Bezug auf die nachhaltige Entwicklung (26) in einer gleichberechtigten Entwicklungspartnerschaft auf ganzheitliche Aspekte des Wohlbefindens für alle abzielen.

4.4.6.

Viele landwirtschaftliche Investitionen haben zweifelhafte Auswirkungen auf die Betroffenen vor Ort. Es gibt regelmäßig Berichte über Menschenrechtsverletzungen und über — auch europäische — Investoren, die sich nicht an Vereinbarungen zum Bau von Infrastrukturen oder zur Schaffung von Arbeitsplätzen für die lokale Bevölkerung halten. Der EWSA spricht sich insbesondere gegen die Landnahme („Land Grabbing“) in Afrika aus. Folgeabschätzungen, die unter Einbindung der organisierten Zivilgesellschaft durchgeführt werden, müssen strenger sein und Konsequenzen für Investoren haben, die die Menschenrechte nicht einhalten und den Nachhaltigkeitszielen nicht Rechnung tragen. Eine Möglichkeit besteht darin, die Erstellung von Grundbüchern und die Organisation der ansässigen Bauern zu unterstützen, um genossenschaftliche Unternehmen zu schaffen, die auf den internationalen Märkten stärker sind. Das hilft der EU und Afrika, ihre gemeinsamen Ziele zu erreichen, da Strukturen geschaffen werden, die gleiche Wettbewerbsbedingungen mit den afrikanischen Partnern ermöglichen und diese anderen wichtigen Wirtschaftsakteuren gegenüber stärken.

4.5.   Kooperation und Stärkung der Zivilgesellschaft in afrikanischen Staaten auf Grundlage der Menschenrechte und der Nachhaltigkeitsziele — der Weg der EU zu einer erfolgreichen gleichberechtigten Entwicklungspartnerschaft

4.5.1.

Die Annahme eines von den allgemeinen Menschenrechten ausgehenden Ansatzes, die Entwicklung demokratischer Governance-Strukturen, die Verbesserung der wirtschafts- und finanzpolitischen Steuerung durch eine transparente Verwaltung der öffentlichen Finanzen und die Schaffung eines glaubwürdigen Systems zur Korruptionsbekämpfung auf Grundlage einer unabhängigen Justiz tragen dazu bei, starke, eigenständige und stabile Partner in Wirtschaft und Entwicklung aufzubauen. Organisierte Bürgerbeteiligung könnte definitiv sicherstellen, dass sämtliche Maßnahmen umgesetzt werden.

4.5.2.

Die Versprechen der EU müssen zu greifbaren Ergebnissen führen. Nur wenn wir die Menschenrechte einhalten und die Nachhaltigkeitsziele erreichen, können wir uns von Abhängigkeiten befreien und gleichberechtigte Entwicklungspartner werden.

Brüssel, den 16. September 2020

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  So wie in den neun grundlegenden Menschenrechtspakten und -übereinkommen der Vereinten Nationen festgelegt.

(2)  JOIN(2020) 4 final.

(3)  EP-Studie Access to legal remedies for victims of corporate human rights abuses in third countries (Zugang zu Rechtsmitteln für Opfer von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen in Drittländern, nur auf EN verfügbar), Brüssel 2019.

(4)  JOIN(2020) 4 final.

(5)  Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung: Afrika und Europa — Neue Partnerschaft für Entwicklung, Frieden und Zukunft (2017).

(6)  Die Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung weist in ihrem Bericht „The economic and social Effects of the Economic Partnership Agreements on selected African Countries“ (2018) auf nachteilige Auswirkungen eines WPA auf die ECOWAS hin; Zollsenkungen könnten unsere Partnerländer Milliarden kosten, so dass öffentliche Einnahmen für nachhaltige Entwicklung verloren gehen (ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 18, Ziffer 5.5).

(7)  Hierbei stützt er sich auf einen mündlichen Bericht von EWSA-Mitglied Jaroslaw Mulewicz im Anschluss an einen Besuch während einer EWSA-Mission im Industriepark Bole Lemi in Äthiopien, in dem asiatische Textilunternehmen ansässig sind. Über den Nothilfe-Treuhandfonds der EU für Afrika (EUTF Afrika) müssen jedoch nachhaltige und akzeptable Beschäftigungsbedingungen gefördert werden (bislang waren die Ergebnisse in dieser Hinsicht gemischt).

(8)  Umweltbundesamt: Globale Landflächen und Biomasse (2013).

(9)  Gebauer, Trojanow, Hilfe? Hilfe! — Wege aus der globalen Krise, (2018).

(10)  Siehe Fußnote 8.

(11)  Entschließung des EP vom 17. Januar 2019 — 2018/2151(INI), Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen SWD(2019) 333 final.

(12)  Kingsley Ighobor in Africa Renewal, Dez. 2016-März 2017, Diagnosing Africa’s medical brain drain.

(13)  Mündlicher Bericht von Kais Sellami, CEO von Discovery Informatique, auf der Euromed-Konferenz in Barcelona im Oktober 2019.

(14)  COM(2018) 773 — Ein sauberer Planet für alle — Eine europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft.

(15)  So äußerte sich zum Beispiel Werner Raza, Direktor der Österreichischen Stiftung für Entwicklungsforschung, auf der Konferenz: Gutes Leben für alle braucht eine andere Globalisierung‚ März 2020, Wien.

(16)  Studien zeigen, dass eine bestimmte Mindestlohnhöhe den Migrationsdruck verringert, z. B. Clemens: Does Development Reduce Migration? (2014).

(17)  GK Partners (2019): Strategic, Business and Operational Framework for an African Diaspora Finance Corporation.

(18)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 38, Ziffer 1.5.3.

(19)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 38, und ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 9.

(20)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 29, Ziffer 1.9.

(21)  Ebenda, Ziffer 1.7.

(22)  Victor, Geels, Sharpe (2019), Accelerating the Transitions.

(23)  Janina Scheelhaase et al., Transportation Research Procedia 43 (2019) 21-30.

(24)  Prognos (2018), Importance of liquid energy sources for the energy transition.

(25)  Radermacher F.-J. (2019), Die internationale Energie- und Klimakrise überwinden.

(26)  Stiglitz, Joseph; Sen, Amartya; Fitoussi, Jean (2009): Bericht der Kommission über die Messung der Wirtschaftsleistung und des sozialen Fortschritts (CMEPSP).


Fuq