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Document 52016AE0255

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Erweiterungsstrategie der EU“ [COM(2015) 611 final]

ABl. C 133 vom 14.4.2016, p. 31–36 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

14.4.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 133/31


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Erweiterungsstrategie der EU“

[COM(2015) 611 final]

(2016/C 133/07)

Berichterstatter:

Ionuţ SIBIAN

Die Europäische Kommission beschloss am 10. November 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Erweiterungsstrategie der EU

[COM(2015) 611 final].

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 29. Januar 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 514. Plenartagung am 17./18. Februar 2016 (Sitzung vom 18. Februar) mit 170 gegen 14 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt, dass die Kommission besonderen Nachdruck auf das „Wesentliche“ im Beitrittsprozess legt, und betont, dass die Beitrittsländer gefordert sind, den Schwerpunkt bei ihren Reformen auf die Rechtsstaatlichkeit, die Grundrechte, die Arbeitsweise demokratischer Institutionen (einschließlich der Reform des Wahlsystems und der öffentlichen Verwaltung), die wirtschaftliche Entwicklung und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu legen. Bei der Beobachtung der Fortschritte sollte besonderes Augenmerk auf die Warnungen der Zivilgesellschaft vor politischen Maßnahmen und Entwicklungen gelegt werden, durch die Rechtsstaatlichkeit und demokratische Standards ausgehöhlt werden.

1.2.

Der EWSA bestärkt die Kommission nachdrücklich darin, die Qualität der partizipativen Demokratie auch weiterhin als eines der grundlegenden politischen Bewertungskriterien zu betrachten. Es sollte weiterhin entschlossen darauf hingearbeitet werden, einen systematischen Aufbau wirksamer und uneingeschränkt funktionsfähiger Institutionen mit einer echten Beteiligung der zivilgesellschaftlichen Organisationen zu gewährleisten. Dies wird hilfreich sein, um der Gefahr entgegenzuwirken, dass der Staat zum Spielball politischer Interessen wird, und das Bewusstsein dafür schärfen, dass alle Beteiligen rechenschaftspflichtig sind. Zudem wird sichergestellt, dass die Reform- und Verhandlungsprozesse insgesamt inklusiver und transparenter verlaufen.

1.3.

Die für die Berichterstattung eingesetzte harmonisierte Bewertungsskala sowie die Tatsache, dass das Hauptaugenmerk sowohl auf den aktuellen Stand als auch auf die Fortschritte in den einzelnen Ländern gelegt wird, führen zu mehr Transparenz, ermöglichen die gezielte Schwerpunktsetzung auf prioritäre Bereiche und dürften dazu beitragen, die Aufmerksamkeit für den Beitrittsprozess zu steigern. Sie bilden zudem mit Blick auf das breite Spektrum der zu prüfenden Themen den Rahmen für eine engere Zusammenarbeit mit jedem Land. Die damit verbundene Gefahr, dass die Aufmerksamkeit von konkreten Problemen der Länder abgelenkt wird, muss abgeschätzt und ausgeräumt werden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang Kohärenz, Regelmäßigkeit und Reichweite der existierenden Kommunikationswege und Konsultationsverfahren zwischen den EU-Organen und den Beitrittsländern.

1.4.

Der EWSA begrüßt die klare Botschaft der Kommission, dass eine starke Zivilgesellschaft eine wesentliche Komponente jedes demokratischen Systems ist, und würdigt ihre politische Unterstützung für die Stärkung der Rolle zivilgesellschaftlicher Organisationen und die Schaffung eines für deren Entwicklung förderlichen Umfelds, einschließlich echter Konsultationen der Zivilgesellschaft im Rahmen der Politikgestaltung. Dies ist eine entscheidende Komponente für die zufriedenstellende Erfüllung der politischen Kriterien und könnte auch ein Gradmesser bei den Beitrittsverhandlungen sein.

1.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kommission, der Rat und das Europäische Parlament ihre Bemühungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit verstärken sollten, um den Unionsbürgern die Vorteile und Herausforderungen der Erweiterungspolitik darzulegen; die Sozialpartner und die Organisationen der Zivilgesellschaft sollten in diesem Zusammenhang als enge Partner, auch in Kommunikationsfragen, betrachtet werden.

1.6.

Der EWSA bekräftigt, dass die Transparenz und der inklusive Charakter des gesamten Beitrittsprozesses gesteigert werden müssen (1). Die Kommission sollte Vorbild sein, indem sie den Zugang zu den Verhandlungsunterlagen weiter erleichtert. Dies betrifft Berichte über Informationsreisen, Expertengutachten über nationale Rechtsvorschriften, die TAIEX-Berichte (Informationsaustausch und technische Unterstützung) sowie die Bekanntmachung der Erfolge und Ergebnisse EU-finanzierter Projekte in der Region. Auf diese Weise kann eine Sensibilisierung für die Wirkung der EU-Hilfe ins Werk gesetzt und auf bereits in der Region gewonnenen Erfahrungen aufgebaut werden.

1.7.

Die Kommission sollte für eine deutliche Anhebung der finanziellen Unterstützung Sorge tragen, auch aus Projekten im Rahmen der Fazilität zur Förderung der Zivilgesellschaft, mit denen die Kapazitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen (einschließlich des Ausbaus der Fachkenntnisse und der Unterstützung zur Förderung der Kapazitäten für die Kontrolle) gestärkt und Professionalität und Unabhängigkeit der Medien gefördert werden sollen. Die regionale Zusammenarbeit und die Vernetzung sollten weiter gefördert werden, unter Nutzung der in der Region gesammelten guten Erfahrungen, einschließlich der Instrumente zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Arbeit der Nichtregierungsorganisationen und der Sozialpartner (einschließlich der Unternehmensverbände) und auf der Grundlage von Bürgerdialog und Lernprozessen.

1.8.

Ein vorrangiges Ziel der EU-Hilfsprogramme sollte es sein, die Möglichkeiten der Sozialpartner zu stärken, sich aktiv am sozialen Dialog zu beteiligen. Sie müssen beim Ausbau ihres Zugangs zu Finanzierungsmöglichkeiten sowie ihrer Fähigkeit zur wirksamen Teilnahme an sämtlichen wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Fragen, darunter auch den EU-Beitrittsverhandlungen, unbedingt unterstützt werden. Ihre Organisationsstrukturen, die interne Kommunikation und die Fähigkeit, ihre Mitglieder zu unterstützen, sollten gestärkt werden.

1.9.

Der EWSA plädiert für eine Stärkung der Rolle der Gemischten Beratenden Ausschüsse der Zivilgesellschaft (GBA). Die GBA sollten Nischen, die nicht von anderen Verhandlungsgremien besetzt sind, einnehmen und sich auf einige ausgewählte Bereiche konzentrieren. In diesem Zusammenhang fordert der EWSA einen besseren Austausch von Informationen zwischen den GBA und der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament.

1.10.

Der EWSA fordert zudem die Regierungen in der Region auf, die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Organisationen gleichermaßen zu unterstützen und sie eng in ihre nationalen Strategien und Maßnahmen für den EU-Beitritt sowie in die Verhandlungsstrukturen und die Planung und Umsetzung EU-finanzierter Projekte einzubinden. Bei der Vorbereitung der nationalen Verhandlungspositionen und der rechtlichen Harmonisierung sollten Folgenabschätzungen für neue Rechtsvorschriften vorgenommen werden, um Anpassungsrisiken zu ermitteln. Dabei ist die Einbindung nichtstaatlicher Akteure, einschließlich Unternehmen, Gewerkschaften und Vertretern der sozialen Gruppen, entscheidend.

1.11.

Alle Länder der Region sollten nationale Räte für europäische Integration einrichten, in denen hochrangige politische Entscheidungsträger und wichtige zivilgesellschaftliche Organisationen regelmäßig zusammenkommen, um den Prozess der Integration in die EU transparenter und in der Öffentlichkeit bekannter zu machen.

1.12.

Die positiven Schritte, die in einigen Ländern in Bezug auf den Rahmen und die Verfahren des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen Regierung und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu verzeichnen sind, reichen nicht aus. Die nationalen Regierungen sollten anerkennen, dass eine wirksame Durchsetzung der Rechtsvorschriften, Transparenz und kohärente Konsultationsverfahren von vorrangiger Bedeutung sind, und die Fortschritte sollten entsprechend verfolgt werden.

1.13.

Der EWSA fordert die Regierungen auf, bei der Einführung von Reformen und der Umsetzung von Rechtsvorschriften in wichtigen Fragen mit den Organisationen der Zivilgesellschaft zusammenzuarbeiten, so etwa bei der Behandlung mit Korruptionsfällen auf hoher Ebene, der besseren Überwachung öffentlicher Ausschreibungen sowie der Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Parteienfinanzierung. Auch fordert er die Länder der Region auf, die Regeln über den freien Zugang zu Informationen und deren praktische Anwendung zu verbessern, Gesetze über die Meldung mutmaßlicher Missstände (whistle blowing) zu erlassen und durchzusetzen und das Verfahren zum Schutz von Hinweisgebern in der praktischen Umsetzung wirksamer zu gestalten. Die Öffentlichkeit sollte stärker für die Möglichkeit der Meldung von Korruptionsfällen sensibilisiert werden, und die Organisationen der Zivilgesellschaft können dabei ein verlässlicher Partner sein. Zudem wäre es wünschenswert, mit Zustimmung aller beteiligten Seiten den dreigliedrigen sozialen Dialog für die Umsetzung künftiger Vereinbarungen zu regeln.

1.14.

Die politischen Entscheidungsträger in den Ländern der Region sollten sich für die Einrichtung starker und unabhängiger Regulierungsbehörden und insbesondere Bürgerbeauftragten-Stellen nach dem Vorbild Albaniens und Serbiens einsetzen und die Ernennung von Beauftragten für den freien Zugang zu Informationen und für den Schutz der Privatsphäre sowie die Schaffung von Antikorruptionsbehörden, staatlichen Rechnungsprüfungsbehörden und Wahlkommissionen und deren Arbeit unterstützen. Der EWSA betont, dass Bürgerbeauftragte einen entscheidenden Beitrag leisten und die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen auf dem Gebiet der Grundrechte und insbesondere des Minderheitenschutzes ergänzen können.

1.15.

Angesichts der sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit im Westbalkanraum empfiehlt der EWSA, die Jugendgarantie auf die Beitrittsstaaten dieser Region auszuweiten. Die Mittel dafür sollten aus den jeweiligen EU-Fonds bereitgestellt werden. In Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern sollte ein System der dualen Ausbildung geschaffen werden, wobei auch Industrie- und Handelskammern und weitere Unternehmensverbände einzubinden wären.

1.16.

Zwar ist die EU bestrebt, die Rolle der Regierungen bei der Verteilung der EU-Mittel zu stärken, doch sollte die Finanzierung der Zivilgesellschaft nicht in erster Linie durch die Regierungen gesteuert werden, da dies zu Interessenkonflikten führen kann. Die EU sollte die Schaffung weiterer unabhängiger Finanzierungssysteme unterstützen. Unabhängige Stiftungen/Fonds für die Förderung der Zivilgesellschaft könnten ein besseres Konzept für die Verteilung der EU-Mittel darstellen. Grundlegende Anforderungen, die unbedingt zu beachten sind, wären etwa: Transparenz bei der Zuweisung und Verwendung der Mittel, Gleichbehandlung und Vermeidung von Interessenkonflikten und/oder politischer Einflussnahme auf die Zuweisung jeglicher öffentlicher Mittel.

1.17.

Zu den Finanzierungsprioritäten der Kommission und der nationalen Stellen sollten weiterhin der Aufbau der nationalen Kapazitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen (in Form von Ressourcenzentren, Unterstützung für Koalitionen, Programmen zur Entwicklung von Fachwissen usw.), eine stärkere Reichweite der Unterstützung (insbesondere außerhalb der Hauptstädte bis hin zu Basisorganisationen) sowie die Förderung der Beteiligung der Organisationen der Zivilgesellschaft nach dem Beispiel des EWSA gehören.

2.   Gesamtbewertung der Erweiterungsagenda und Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Organisationen

2.1.

Der EWSA stellt fest, dass die EU-Erweiterungspolitik wesentlich für den Erhalt von Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa ist. Die Erweiterungsagenda 2015 bietet zum ersten Mal eine mittelfristige Perspektive für diese Politik. Trotz der einmütigen Aussage, dass keines der Erweiterungsländer in der Lage sein wird, bis zum Ende des Mandats der derzeitigen Kommission der EU beizutreten, muss den Westbalkanländern weiterhin eine klare Perspektive für eine EU-Mitgliedschaft geboten werden und müssen ihre Fortschritte und Bemühungen bewertet, verfolgt und unterstützt werden, und zwar auf der Grundlage klarer und zukunftsgerichteter Kriterien, was die Länder erreichen wollen und müssen.

2.2.

Die Aufnahme der Zivilgesellschaft in einem gesonderten Absatz im Rahmen der politischen Kriterien der Länderberichte und bis zu einem gewissen Grade die weitere Einbeziehung der Rolle der Zivilgesellschaft in die Verhandlungskapitel ist eine positive Entwicklung. Bei der Überwachung der Fortschritte und der Bewertung des aktuellen Stands der Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft sollte die Kommission aufmerksam prüfen, inwieweit ihre Leitlinien für die EU-Unterstützung der Zivilgesellschaft in den Erweiterungsländern einbezogen werden. Die Leitlinien sollten zudem Referenz und Leitfaden für die Beitrittsländer selbst werden.

2.3.

Der EWSA bekräftigt, dass der soziale Dialog von entscheidender Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Westbalkans und der EU ist. Die konkreten Herausforderungen, denen die Sozialpartner gegenüberstehen, sollten in den Bewertungen und Länderberichten systematischer und detaillierter geprüft werden. Besondere Aufmerksamkeit sollte dem Schutz der Arbeitnehmer- und Sozialversicherungsrechte gelten.

2.4.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission, bei den bevorstehenden Arbeiten zu den Wirtschaftsreformprogrammen, die die Erweiterungsländer ausgearbeitet haben, mehr Gewicht auf Beschäftigung und soziale Fragen zu legen. Die Organisationen der Zivilgesellschaft sollten an diesem Prozess teilnehmen, und ihre Stellungnahmen und ihr Fachwissen sollten sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene berücksichtigt werden. So ließe sich vermeiden, dass zivilgesellschaftliche Organisationen lediglich über bereits beschlossene Strategien und Aktionspläne informiert sind. Die nationalen Stellen sollten verpflichtet werden, eine wirksame Einbeziehung der Zivilgesellschaft zu gewährleisten.

2.5.

Die Teilhabe der Zivilgesellschaft am Beitrittsprozess besteht in (1) der unmittelbaren Beteiligung an den eigentlichen Verhandlungen (d. h. Screening, Vorbereitung der nationalen Standpunkte, Übersicht über die Fortschritte), (2) dem sozialen und zivilen Dialog im Zusammenhang mit der Politikgestaltung und der Angleichung der Rechtsvorschriften an den gemeinsamen Besitzstand, (3) der Programmierung der Heranführungshilfe, (4) der unabhängigen Überwachung der Fortschritte und sozialen Auswirkungen der Reformprozesse. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erfordert eine angemessene finanzielle Unterstützung durch die nationalen Regierungen und die EU-Heranführungshilfe.

2.6.

Die stärkere Sensibilisierung für die Rolle der Zivilgesellschaft und die Einbeziehung der Sozialpartner in den Beitrittsprozess ist sowohl eine Aufgabe als auch eine Herausforderung für den EWSA. In einigen Ländern hegen die Regierungen noch immer Vorbehalte gegenüber der Zivilgesellschaft, sodass die Empfehlungen der GBA nur geringe Resonanz gefunden haben. Allerdings haben die GBA Möglichkeiten für den unmittelbaren Austausch zwischen Zivilgesellschaft sowie Politikern und Vertretern der EU- und nationalen Ebene geschaffen, wenngleich mit nur geringem Einfluss auf die Regierungspolitik. Angesichts dessen würden die GBA in hohem Maße von einer stärkeren Unterstützung durch und einer engeren Zusammenarbeit mit Kommission, Rat und EP profitieren und es ermöglichen, dass die wichtigsten Bedenken hinsichtlich der nationalen Aspekte des Beitritts im Rahmen des zivilen und sozialen Dialogs in den Ländern auf sämtlichen relevanten politischen Schauplätzen Berücksichtigung finden.

2.7.

Genau wie die Kommission betont auch der EWSA die Bedeutung der regionalen Zusammenarbeit und der Förderung der regionalen Wirtschaftsentwicklung und der Konnektivität als wesentliches Element der Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen und des Erweiterungsprozesses. Mit der Unterzeichnung der Vereinbarung über das „Chambers’ Investment Forum“ (2) ist bei der regionalen Kooperation zwischen zivilgesellschaftlichen Unternehmensverbänden eine positive Entwicklung zu erkennen. Dieses Forum soll dazu dienen, die Unternehmen der Region mittels der Kammern in die Umsetzung von Projekten einzubeziehen, die für den wirtschaftlichen Wohlstand des Westbalkans von Bedeutung sind. Dies entspricht den Prioritäten des Berliner Prozesses.

2.8.

Der EWSA hat ernste Bedenken angesichts der gravierenden Rückschritte in einigen Ländern bei der Vereinigungs-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie der Unabhängigkeit der Medien (3) (insbesondere in Montenegro, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien und der Türkei, aber auch in Serbien, was den rechtlichen Rahmen für die Versammlungsfreiheit anbelangt), die Voraussetzungen für den Aufbau stabiler Demokratien und die Entwicklung einer lebendigen Zivilgesellschaft sind. In diesem Zusammenhang wird die lückenlose Umsetzung der Leitlinien der GD Erweiterung für die Entwicklung der Zivilgesellschaft in den Beitrittsländern 2014-2020 sowie der Leitlinien der GD Erweiterung für die Förderung der Medienfreiheit und -integrität in den Beitrittsländern 2014-2020 durch die EU ausdrücklich befürwortet. Allerdings stellt sich weiterhin das Problem, wie über die Medien die Zielgruppen in der EU erreicht werden können, die auch über die Bedeutung und Entwicklung der Erweiterungspolitik angemessen informiert werden müssen.

2.9.

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen spielen eine entscheidende Rolle bei der Ausgestaltung und Überwachung der Maßnahmen sowie allgemein bei der Gewährleistung einer funktionierenden Demokratie. Erhebliche Sorge bereiten die Angriffe 2015 auf die Legitimität und die Zuständigkeiten zivilgesellschaftlicher Organisationen (insbesondere Beobachtungsorganisationen sowie unabhängige Journalistenverbände, die wichtige politische Prozesse aufmerksam verfolgen und Wahlbetrug und politische Korruption anprangern) in einigen Erweiterungsländern. Nach Auffassung des EWSA ist es deshalb nötig, die Kommunikation und den Dialog in allen Verfahren zu fördern und insbesondere die Bürger sowohl in der EU als auch in den Erweiterungsländern anzusprechen.

2.10.

Im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte muss mehr Gewicht auf gefährdete und benachteiligte Gruppen sowie Minderheiten, vor allem Roma, gelegt werden. Hier müssen klare Ergebnisse und weitere Fortschritte im Verhältnis zwischen den Volksgruppen sowie beim Schutz von Minderheiten und Minderheitenrechten erreicht werden (Bildung, Zugang zu Medien, Verwendung von Minderheitensprachen in der öffentlichen Verwaltung usw.).

2.11.

Der EWSA hat den Vorschlag der Kommission für eine Liste sicherer Herkunftsländer in seiner Stellungnahme vom 10. Dezember 2015 (4) geprüft und verweist auf die in der Stellungnahme niedergelegten Prinzipien. Der Aufnahme in die Liste sicherer Herkunftsländer muss eine gründliche Prüfung vorausgehen. Angesichts der aktuellen Medienberichte über die fragwürdige Rückführung von Flüchtlingen in Krisenregionen ist ein verantwortungsvoller Umgang mit den Menschenrechten dieser Flüchtlinge auch in der Frage der sicheren Drittstaaten von Bedeutung.

2.12.

Die EU-Bürger müssen im Rahmen der Erweiterungspolitik umfassend darüber informiert werden, welche Bedeutung diese Politik grundsätzlich für Sicherheit und Wohlstand des gesamten Kontinents hat. Dies könnte auch die Ängste vor einer weiteren Erweiterung zerstreuen, die zusammen mit anderen Formen der Fremdenfeindlichkeit gerade in Zeiten der Wirtschafts- und Flüchtlingskrise auftreten können.

2.13.

Um Daten über die Fortschritte bei beitrittsbezogenen Reformen zu sammeln, haben die EU-Institutionen verschiedene Kanäle für die Konsultation der Zivilgesellschaft bereitgestellt, einschließlich Online-Korrespondenz, jährlicher Anhörungen der Zivilgesellschaft in Brüssel, Sitzungen in den Ländern, Unterrichtungen und öffentliche Veranstaltungen im Rahmen der Besuche von EU-Vertretern. Die Kommission war darüber hinaus offen für unabhängige Überwachungsberichte zivilgesellschaftlicher Organisationen. Allerdings ist sie zugegebenermaßen viel mehr auf Nichtregierungsorganisationen zugegangen als auf Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände. Der EWSA fordert die Kommission deshalb auf, im Einklang mit den Empfehlungen der EWSA-Stellungnahme „Mehr Transparenz und Teilhabe im EU-Beitrittsprozess“ (REX/401) ihren Ansatz zu verbessern und weitere Maßnahmen zu ergreifen.

2.14.

Die Organisationen der Zivilgesellschaft im Westbalkan sind bemüht, ihre finanzielle Tragfähigkeit sicherzustellen. Sie stützen sich nach wie vor allem auf Hilfen aus dem Ausland und aus dem Staatshaushalt, darunter auch Lottoeinnahmen, während andere Finanzierungsquellen nur selten genutzt werden. Die finanzielle und sonstige staatliche Unterstützung wird zu oft über intransparente Verfahren verteilt und ist nach wie vor unzureichend. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen stehen deshalb auch künftig vor der Aufgabe, ihre Finanzierungsquellen zu diversifizieren, um ihre finanzielle Unabhängigkeit und Nachhaltigkeit zu sichern. Wenn sie sich nur auf ein oder zwei Finanzierungsquellen stützen, sind sie in zu hohem Maße von diesen abhängig und verfügen nicht über eine ausreichende finanzielle Sicherheit und Selbstständigkeit.

2.15.

Eine Anerkennung des wirtschaftlichen Werts der Organisationen der Zivilgesellschaft in den Erweiterungsländern erfordert die Erfassung relevanter Daten und erst recht Maßnahmen zur Förderung und Sensibilisierung für ihre Bedeutung. Offizielle Daten und Statistiken über die Anzahl der Personen, die bei zivilgesellschaftlichen Organisationen im Westbalkan angestellt sind oder dort einen Freiwilligendienst absolvieren, liegen nur in begrenztem Maße vor. Arbeitsrechtlich werden diese Organisationen genauso behandelt wie andere Arbeitgeber, bei beschäftigungspolitischen Maßnahmen, durch die Anreize für potenzielle Arbeitgeber geschaffen werden, werden sie hingegen nicht ausreichend bedacht. Diese Diskriminierung hat ihre Ursache in der fehlenden staatlichen Anerkennung der Zivilgesellschaft als einer der Bereiche, in denen Arbeitsplätze entstehen. Die nationalen Stellen und die Kommission sollten die jüngsten Bemühungen zivilgesellschaftlicher Organisationen um die Erfassung von Daten und die Ermittlung konkreter Hürden in jedem Land (5) gebührend berücksichtigen, wenn sie Prioritäten im Bereich der Statistik festlegen.

Brüssel, den 18. Februar 2016

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Detaillierte Empfehlungen finden sich in der Stellungnahme des EWSA „Mehr Transparenz und Teilhabe im EU-Beitrittsprozess“ von 2014 (ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 39).

(2)  Das „Chambers’ Investment Forum“ ist eine gemeinnützige Organisation der nationalen Industrie- und Handelskammern der Länder des Westbalkans sowie Sloweniens und Kroatiens und wurde am Rande der Westbalkankonferenz im August 2015 in Wien eingerichtet.

(3)  Netz für die Entwicklung der Zivilgesellschaft auf dem Balkan: „Enabling Environment for Civil Society Development & Progress Reports and Enlargement Strategy 2015 Background Analysis“, http://www.balkancsd.net/novo/wp-content/uploads/2015/11/202-1-BCSDN-2015-Enlargement-Package-Background-Analysis.pdf, Human Rights Watch: „A Dangerous Profession: MEDIA Under Threat“, 15. Juli 2015, https://www.hrw.org/node/279063, Reporter ohne Grenzen zu Mazedonien http://en.rsf.org/macedonia.html.

(4)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Erstellung einer gemeinsamen EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten für die Zwecke der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und zur Änderung der Richtlinie 2013/32/EU“ [COM(2015) 452 final] (ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 82).

(5)  Die Studie Economic Value of the Non-Profit Sector in the Countries of the Western Balkans & Turkey (Wirtschaftlicher Wert des gemeinnützigen Sektors in den Westbalkanländern und der Türkei) von Dubravka Velat, veröffentlicht im Dezember 2015 vom BCSDN (Balkan Civil Society Development Network — Netz für die Entwicklung der Zivilgesellschaft auf dem Balkan) ist abrufbar unter: http://www.balkancsd.net/economic-value-of-the-non-profit-sector-in-the-western-balkans-and-turkey/63-12-report-on-the-economic-value-of-the-non-profit-sector-in-the-wbt_final/.


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