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Document 52015IE0722

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Familienbetriebe als Impulsgeber für den Wirtschaftsaufschwung und bessere Arbeitsplätze“ (Initiativstellungnahme)

    ABl. C 13 vom 15.1.2016, p. 8–13 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    15.1.2016   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 13/8


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Familienbetriebe als Impulsgeber für den Wirtschaftsaufschwung und bessere Arbeitsplätze“

    (Initiativstellungnahme)

    (2016/C 013/03)

    Berichterstatter:

    Jan KLIMEK

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 22. Januar 2015 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    „Familienbetriebe als Impulsgeber für den Wirtschaftsaufschwung und bessere Arbeitsplätze“

    (Initiativstellungnahme).

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 14. Juli 2015 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 510. Plenartagung am 16./17. September 2015 (Sitzung vom 17. September 2015) mit 110 Stimmen bei 3 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Familienunternehmen bilden weltweit das Rückgrat vieler Volkswirtschaften und entwickeln sich äußerst dynamisch. Sie schaffen Wachstum und Arbeitsplätze und legen großes Augenmerk auf die Bedingungen auf der regionalen und lokalen Ebene. Die Beweggründe für die Gründung von Familienbetrieben sind unterschiedlich, der gemeinsame Nenner sind jedoch die natürlich entstandenen Wertesysteme, die Bereitschaft zu vollem Einsatz und Verzicht sowie das Verantwortungsgefühl jenen gegenüber, die den Betrieb gegründet haben, und jenen, die ihn übernehmen werden. Familienunternehmen überstehen schwere Zeiten in Phasen der Rezession und Stagnation besser, wobei einer der Hauptgründe für ihre Widerstandskraft in dem persönlichen Verantwortungsgefühl für das Image des Betriebs liegt.

    1.2.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) weist auf den einzigartigen Wert von Familienbetrieben hin und fordert die Europäische Kommission in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des Small Business Act, wonach „die EU und ihre Mitgliedstaaten ein Umfeld schaffen [sollen], in dem sich Unternehmer und Unternehmen in Familienbesitz entfalten können und in dem sich unternehmerische Initiative lohnt“ (1), dazu auf, eine aktive Strategie zur Förderung bewährter Vorgehensweisen im Bereich Familienbetriebe in den EU-Mitgliedstaaten umzusetzen.

    1.3.

    In einem weiteren Schritt könnten ein Rahmen bzw. Rechtsvorschriften zu Familienbetrieben erarbeitet werden. Darin sollte der Begriff „Familienbetrieb“ definiert werden, und es sollten die Bereiche für ein gemeinsames Engagement der Kommission mit den für diese Maßnahmen zuständigen rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen festgelegt werden.

    1.4.

    Konkret fordert der EWSA folgende Maßnahmen:

    Einführung der Kategorie „Familienbetrieb“ in die Eurostat-Statistiken sowie effiziente Sammlung von Daten über Familienbetriebe durch die nationalen Statistikämter;

    Verbesserung der Rechtsvorschriften für die Übergabe von Familienbetrieben innerhalb der Familie, insbesondere in steuerlicher Hinsicht, um das Risiko von Liquiditätsproblemen für Familienbetriebe einzudämmen;

    Förderung einer familiären Unternehmenskultur, die auf langfristige Beschäftigung ausgerichtet ist;

    Förderung der Innovationskraft von Familienbetrieben u. a. durch innovative öffentliche Aufträge;

    mehr Bildungsmaßnahmen und Förderung von Forschungsvorhaben zum Familienunternehmertum;

    Förderung bäuerlicher Familienbetriebe sowie Wiederaufbau des genossenschaftlichen Unternehmensmodells, insbesondere von Genossenschaften, zu denen sich Familienbetriebe zusammenschließen;

    Einführung einer Steuerbefreiung für reinvestierte Gewinne sowie Kapitalisierung von Familienbetrieben ohne Stimmrechtsübertragung;

    aktive Zusammenarbeit mit den Vertretungsorganisationen von Familienbetrieben auf Unionsebene, etwa im Rahmen der Ständigen Sachverständigengruppe.

    2.   Einführung

    2.1.

    Familienbetriebe machen über 60 Prozent aller europäischen Unternehmen — sowohl der großen als auch der kleinen — aus und beschäftigen 40 Prozent bis 50 Prozent aller Arbeitnehmer (2). In den allermeisten Volkswirtschaften überwiegen Mikrounternehmen bzw. kleine und mittlere Unternehmen (KMU), weshalb auch der Großteil der Familienbetriebe zu diesem Sektor gehört.

    2.2.

    Der Hauptvorteil von Familienbetrieben liegt in deren langfristiger Ausrichtung, den spezifischen Werten, die eine einzigartige Unternehmenskultur bilden, sowie im Engagement für die örtliche Gemeinschaft. Die einzigartige Unternehmenskultur beruht auf den von den Interessenträgern der Familienbetriebe vertretenen Werten, wie z. B. dem hohen Vertrauen in das Unternehmen sowie der Hochwertigkeit der angebotenen Dienstleistungen bzw. Waren.

    2.3.

    Die langfristige Ausrichtung von Familienbetrieben impliziert die Knüpfung dauerhafter Bande mit den Interessenträgern des jeweiligen Unternehmens (Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und örtliche Bevölkerung).

    2.4.

    Ein Familienbetrieb zeichnet sich durch die Absicht einer Weitergabe an die nächste Generation sowie das Engagement und Verantwortungsgefühl für die Arbeitnehmer aus. Dieser Aspekt verstärkt das Verantwortungsbewusstsein von Familienbetrieben, in denen Beziehungen auf Vertrauen basieren, noch zusätzlich.

    2.5.

    Im Hinblick auf die Verwirklichung von Zielen ordnen Familienbetriebe die Gewinnmaximierung dem Aufbau eines stabilen, unabhängigen, innovativen und auf Eigenkapital gestützten Unternehmens unter, streben sie doch in erster Linie nach einer Minimalisierung der Risiken, die den Bestand des Betriebs über Generationen hinweg bedrohen könnten. Familienbetriebe peilen langfristige (generationenübergreifende) Ziele an und entwickeln sich ausgewogener.

    3.   Definition des Begriffs „Familienbetrieb“

    3.1.

    Allgemein wird ein Familienbetrieb in Bezug auf die drei folgenden Aspekte charakterisiert: Familie, Unternehmen und Eigentumsstruktur (3). Der Einfluss der Familie auf die beiden anderen Aspekte entscheidet darüber, ob ein Unternehmen als Familienbetrieb einzustufen ist. Aufgrund dieses Einflusses sind Familienbetriebe komplexer als andere Unternehmen und bedürfen daher einer entsprechenden Behandlung.

    3.2.

    In manchen Mitgliedstaaten ist der Begriff „Familienbetrieb“ rechtlich geregelt:

    In Spanien und in Finnland wird er auf Ministerialebene (vom Wirtschafts- respektive vom Handelsministerium) definiert.

    Auch in Italien (Zivilrecht) und in Rumänien ist der Begriff „Familienbetrieb“ rechtlich geregelt.

    In Ungarn gibt es eine Legaldefinition für bäuerliche Familienbetriebe.

    Im dänischen Recht wird auf die Beschäftigung junger Menschen in Familienbetrieben Bezug genommen (Arbejdsmiljølovgivningens anvendelse for elever i erhvervspraktik, VEJ Nr. 60106 vom 1. Februar 1998).

    Im österreichischen Bundesrecht sind in der Ladenöffnungszeitenverordnung flexible Öffnungszeiten für Familienbetriebe vorgesehen, und der Begriff „Familienbetrieb“ wird in den Landwirtschaftsgesetzen der Länder definiert.

    Laut dem Obersten Gerichtshof Litauens gelten in aufrechter Ehe gegründete Unternehmen als Familienbetriebe.

    In Bulgarien und in der Slowakei wird der Familie bei selbstständiger Tätigkeit ein Miteigentumsrecht eingeräumt.

    In Malta wird derzeit das weltweit erste Gesetz zu Familienbetrieben (Family Business Act) erarbeitet.

    3.3.

    Nach Auffassung des EWSA sollten in allen Mitgliedstaaten Gesetzesinitiativen zur Einführung der Kategorie des Familienbetriebs in die nationalen Unternehmensregister ergriffen werden.

    3.4.

    In dem Bericht der Sachverständigengruppe zu Familienbetrieben wird die Annahme folgender Definition des Begriffs „Familienbetrieb“ empfohlen:

    Die Stimmrechtsmehrheit befindet sich im Besitz einer oder mehrerer physischer Personen, die den Betrieb gegründet hat/haben oder Anteile an dem Betrieb erworben hat/haben, oder im Besitz des Ehepartners, der Eltern, Kinder oder direkten Erben der Kinder.

    Die Stimmrechtsmehrheit kann direkt oder indirekt sein.

    Mindestens ein Familienmitglied oder Verwandter ist in der Leitung bzw. Verwaltung des Betriebs tätig.

    Ein börsennotiertes Unternehmen ist dann als Familienbetrieb einzustufen, wenn es von der Familie gegründet wurde oder die Familie Anteile daran erworben hat oder die Nachfahren über 25 Prozent der Stimmrechtsanteile aus dem Kapitalbesitz verfügen.

    3.5.

    Diese Definition ist jedoch zu breit gefasst. Sie sollte eingeengt werden, um den Familiencharakter des Betriebs und insbesondere die Absicht, diesen generationenübergreifend zu führen, hervorzuheben.

    3.6.

    Eine Einigung der Länder Europas auf eine solche Definition würde die Sammlung quantitativer Daten ermöglichen, die in der Folge aggregiert und zur Erstellung von Statistiken über diese Art von Unternehmen genutzt werden könnten. Diese Daten würden insbesondere eine Analyse der Familienbetriebe in den neuen Mitgliedstaaten ermöglichen, in denen dieser Unternehmenstypus eine bedeutende Rolle spielt. Diese Aufgabe könnte Eurostat übernehmen.

    3.7.

    Auf nationaler Ebene wird versucht, die Zahl der Familienbetriebe zu quantifizieren. Erfahrungen damit hat z. B. Irland gemacht, dessen statistisches Zentralamt die Publikation „Family Business in Ireland — Services Sector 2005“ vorgelegt hat. Der Verband European Family Businesses erstellt in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen KPMG den Europäischen Familienbetriebe-Anzeiger. In Polen hat die staatliche Agentur für die Entwicklung des Unternehmertums (Polska Agencja Rozwoju Przedsiębiorczości) im Jahr 2008 eine komplexe quantitativ-qualitative Studie durchgeführt.

    3.8.

    Eine Einbindung von Eurostat würde der Erreichung zweier wichtiger Ziele dienen: der Vereinheitlichung der Definition des Begriffs „Familienbetrieb“ sowie der darauf beruhenden Sammlung statistischer Daten über diesen Unternehmenstypus.

    4.   Herausforderungen für Familienbetriebe

    4.1.

    Die Herausforderungen, mit denen Familienbetriebe konfrontiert sind, lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Herausforderungen für alle Unternehmen sowie spezifische Herausforderungen für Familienbetriebe. Zur ersten Kategorie sind alle Faktoren zu zählen, die Einfluss auf die Konjunktur in einem Land haben, wie Binnennachfrage, Demografie und die sozioökonomische Lage. In der vorliegenden Stellungnahme sollen die Herausforderungen behandelt werden, die in die zweite Kategorie fallen, also die spezifischen Herausforderungen für Familienbetriebe, die entscheidend für deren Entwicklung bzw. Wachstum sind.

    4.2.

    Eigentum ist in einem Familienbetrieb nicht als liquides Vermögen zu betrachten, sondern als etwas, das innerhalb der Familie über Generationen hinweg aufgebaut wird und Werte, Traditionen und Fachwissen umfasst (4). Deshalb stellt die Übertragung des Unternehmens von einer Generation auf die nächste die größtmögliche Herausforderung für einen Familienbetrieb dar.

    4.2.1.

    Die komplexe Planung der Nachfolge ist sicherlich eine wichtige Tätigkeit für Familienbetriebe, beabsichtigen deren Eigentümer doch, das Unternehmen in gutem Zustand an die nächste Generation weiterzugeben.

    4.2.2.

    Jedes Jahr stehen etwa 450 000 Familienbetriebe mit rund zwei Millionen Beschäftigten vor dieser Herausforderung. Pro Jahr stellen ca. 150 000 Familienbetriebe aufgrund einer misslungenen Nachfolgeregelung ihre Tätigkeit ein, was zum Verlust von 600 000 Arbeitsplätzen führt (5).

    4.2.3.

    Im Zusammenhang mit der Nachfolgeplanung sollten die Hauptursachen für das Scheitern dieses Prozesses analysiert und Erleichterungen für die Unternehmensweitergabe unterstützt werden, etwa im Bereich des Erbschaftsrechts oder durch Steueranreize für die Unternehmensübertragung.

    4.2.4.

    Der Umfang und das Ausmaß der verschiedenen Herangehensweisen an Erbschaften und Vermögenssteuern in der EU machen deutlich, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen in diesem Bereich immer noch verbessert werden können (6).

    4.2.5.

    In Bezug auf die Übertragung von Unternehmen sind etwa die Niederlande zu nennen, wo das Wirtschaftsministerium das sogenannte Nachfolgepaket (Overdrachtspakket) eingeführt hat. Mit der Vollendung des 55. Lebensjahres erhält ein Unternehmer das Nachfolgepaket, in dem er auf die Bedeutung der Planung der Unternehmensübertragung hingewiesen wird und ihm eine Reihe von Instrumenten zur Unterstützung dieses Prozesses zur Verfügung gestellt werden. In Belgien hat das Institut für Familienbetriebe (Instituut voor het Familiebedrijf) eine Charta für die Nachfolgeregelung in drei Sprachen veröffentlicht: auf Niederländisch (Scorecard Opvolging), Französisch (Scorecard Transmission) und Englisch (Succession Scorecard). Ein weiteres Beispiel stammt aus Slowenien, wo die Kammer für Handwerk und kleine Unternehmen (Obrtno-podjetniška zbornica Slovenije) Seminare und Schulungen zu allen Fragen im Zusammenhang mit der Nachfolge anbietet. In Finnland wiederum gibt es ein eigenes Nachfolge-Programm (ViestinVaihto-ohjelma). In Österreich besteht ein Recht auf Fortbetrieb des Unternehmens durch ein Familienmitglied im Falle des Ablebens des Firmenchefs (Gesamte Rechtsvorschrift für Gewerbeordnung, 1994). Eine ähnliche Regelung gibt es in Frankreich (successions et des libéralités) und in Luxemburg. Die Polnische Agentur für die Entwicklung des Unternehmertums hat in Zusammenarbeit mit dem Institut für Familienunternehmen ein Nachfolge-Paket für Familienbetriebe erarbeitet. Im Rahmen dieses Pakets erhalten Familienbetriebe einen Ratgeber zu Nachfolgefragen und können kostenlos Instrumente zur Unterstützung dieses Prozesses nutzen und praxisbezogene Schulungen besuchen.

    4.3.

    Die Familienbetriebe sind um die dauerhafte Schaffung von Arbeitsplätzen bemüht, was zur Entstehung einer familiären Unternehmenskultur beiträgt. Aus diesem Grund kann ein Arbeitsplatz in Familienunternehmen z. B. für Mütter besonders erstrebenswert sein. Das familiäre Betriebsklima, das einen Wettbewerbsvorteil darstellen kann, sollte gefördert werden.

    4.4.

    Die Ehepartner bzw. Lebensgefährten von Unternehmern spielen häufig eine wichtige Rolle im Familienbetrieb, obwohl ihr Status aus verschiedenen Gründen nicht abgesichert ist. Dies kann zu rechtlichen und finanziellen Schwierigkeiten führen, z. B. im Fall einer Scheidung bzw. Trennung. Eine stärkere Formalisierung des Status dieser Personen sowie der anderen Familienmitglieder, die auf informeller Basis im Betrieb tätig sind, könnte zur Vermeidung schwieriger Situationen im Falle familiärer Probleme beitragen.

    4.5.

    Im Hinblick auf ihre Innovationskraft sollten Familienbetriebe ihre Tätigkeit nicht nur nach den traditionellen Märkten und Produkten ausrichten, sondern auch auf neue innovative Lösungen.

    4.5.1.

    Die Innovationskraft von Familienbetrieben kann durch eine innovative öffentliche Auftragsvergabe gestärkt werden, bei der der Preis nicht das einzige Kriterium für die Auswahl des Auftragnehmers sein sollte. Familienbetriebe zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Wettbewerb aufgrund der von ihnen gebotenen hohen Qualität und ihres Kundenservices bestehen, wofür u. a. das familiäre Markenzeichen steht (oftmals der Nachname des Eigentümers bzw. der Gründerfamilie). Aus diesem Grund beteiligen sich Familienbetriebe oftmals nicht an öffentlichen Ausschreibungen, bei denen das einzige Kriterium der Preis ist. Es wird vorgeschlagen, das Kriterium des wirtschaftlich besten Angebots (MEAT — Most Economically Advantegous Tender) (7) zur Bewertung von Angeboten heranzuziehen und Familienbetriebe entsprechend zu informieren.

    4.6.

    Die Globalisierung zwingt Unternehmen zur Öffnung für neue Märkte, Technologien und Kompetenzen. Diesen Aspekten sollten Familienbetriebe in ihrer Entwicklungsstrategie Rechnung tragen. Dies kann bedeuten, dass sie sich — auch auf der Führungsebene — für neue Arbeitnehmer öffnen müssen.

    4.7.

    Auf nationaler Ebene gilt es, die Bedeutung von Familienbetrieben für die jeweilige Volkswirtschaft anzuerkennen und in der Folge für diese günstige steuerliche und unternehmensrechtliche Bedingungen (ohne ein Gesetz über Familienbetriebe auszuschließen) zu schaffen oder auch Bildungsmaßnahmen für Familienunternehmer zu fördern. Bei diesen Bildungsmaßnahmen muss den Eigenheiten von Familienbetrieben, wie z. B. der Nachfolgefrage, der Familienaufsicht usw., Rechnung getragen werden.

    4.8.

    Beispiele für Bildungsmaßnahmen für Eigentümer von Familienbetrieben gibt es in Zypern (Akademie für Familienbetriebe des Cyprus International Institute of Management), Frankreich (Master 2 professionnel: Gouvernance des entreprises familiales et patrimoniales — M2 GEFP der Universität Bordeaux) und Finnland (Omistajuus ja hallitustyöskentely — valmennusohjelma jatkajille — „Eigentumsstruktur und Unternehmensmanagement“ — Schulungsprogramm für Betriebsnachfolger) (8). Auch Organisationen, die Familienbetriebe unterstützen, veranstalten Schulungen für Familienunternehmer, so bietet z. B. der schwedische Ableger von Family Business Network (FBN) eine Family-Business-Network-Akademie an, und das spanische Instituto de la Empresa Familiar veranstaltet Schulungsprogramme.

    4.9.

    Die Anerkennung der Rolle von Familienbetrieben für die Volkswirtschaften der EU-Mitgliedstaaten sowie ihre Unterstützung könnten zum Wiederaufbau der familiären Handwerkstradition beitragen. Ein erheblicher Teil der kleinen Familienbetriebe ist Mitglied einer Handwerksgilde, in der die Weiterführung des Handwerks gepflegt wird, weshalb eine Unterstützung derartiger Betriebe wichtig ist.

    4.10.

    Kleinere Familienbetriebe sind Risiken ausgesetzt, die zu ihrem Verschwinden vom Markt führen können; deshalb sollten entsprechende rechtliche und steuerliche Unterstützungsmaßnahmen für diese Betriebe ergriffen werden, um ihre Weiterentwicklung zu fördern. Große, internationale Familienbetriebe wiederum würden von einer institutionellen Unterstützung sowie von Maßnahmen zur Förderung örtlicher Zulieferer und der lokalen Wirtschaft profitieren.

    4.11.

    Eine gesonderte Kategorie bilden die bäuerlichen Familienbetriebe. Neben den für Familienbetriebe insgesamt typischen Herausforderungen sind sie zusätzlich mit den Herausforderungen für die ländlichen Gebiete konfrontiert.

    4.11.1.

    Besonders alarmierend ist in diesem Zusammenhang das Problem des Massenaufkaufs landwirtschaftlicher Flächen, der zu einer nicht rückgängig zu machenden Zerstörung der wirtschaftlichen Struktur der ländlichen Gebiete sowie zu einer gesellschaftlich unerwünschten Industrialisierung der Landwirtschaft führt. In seiner im Januar 2015 verabschiedeten Stellungnahme (9) fordert der EWSA die Ergreifung entsprechender Maßnahmen, um EU-weit ein auf Familienbetrieben beruhendes Landwirtschaftsmodell zu bewahren.

    4.11.2.

    Bäuerliche Familienbetriebe schließen sich oftmals in Genossenschaften zusammen, um Skaleneffekte zu erzielen und ihre Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt zu verbessern (10). Genossenschaften weisen ähnliche Merkmale wie Familienbetriebe auf — sie sind z. B. auf langfristiges Wirtschaften ausgerichtet, und nicht auf die kurzfristige Erzielung von Gewinnen. In der letzten Zeit haben die Genossenschaften jedoch an Dynamik eingebüßt, und ein Teil davon hat sogar seine Tätigkeit eingestellt, weshalb es Maßnahmen zur Belebung dieser Art von Wirtschaftstätigkeit zu ergreifen gilt.

    4.12.

    Bei einer langfristigen Kapitalakkumulation zur Entwicklung eines Familienbetriebs spricht man von „geduldigem Kapital“ (englisch patient capital) (11). Bei der Übertragung eines Familienbetriebs wird das Kapital einschließlich der sozialen und kulturellen Dimension übertragen, und der Investor erwirbt bei seiner Investition bzw. beim Firmenkauf das über Generationen hinweg aufgebaute Wissen, die (Familien-)kultur sowie die Verpflichtungen gegenüber der (örtlichen) Gemeinschaft.

    4.12.1.

    Im Zusammenhang mit der Definition von „geduldigem Kapital“ sollte die Einführung einer Steuerabsetzbarkeit für reinvestierte Gewinne erwogen werden. Es sollten Vergünstigungen für Familienbetriebe (aber nicht ausschließlich für diese) angedacht werden, die Gewinne reinvestieren, und damit der Eigenkapitaldeckung den Vorzug gegenüber einer Deckung mit Fremdkapital geben.

    4.12.2.

    Die Absetzbarkeit von Kreditzinsen stellt für die Unternehmen einen zusätzlichen Anreiz zur Aufnahme von Schulden dar und führt dazu, dass die Kosten der Verschuldung in Wirklichkeit geringer sind. Für Eigenkapital fehlen solche Vergünstigungen hingegen.

    4.12.3.

    Natürlich verbleiben Steuerfragen in der Kompetenz der einzelnen Mitgliedstaaten, aber die Europäische Union sollte für bewährte Vorgehensweisen im Umgang mit Familienbetrieben werben.

    4.13.

    Angedacht werden sollte eine Kapitalisierung von Familienbetrieben durch die Einrichtung eines eigenen nationalen Kapitalfonds für Familienbetriebe. Dessen Besonderheit läge darin, dass er Familienbetrieben Kapital ohne Stimmrechtsübertragung an die Investoren bereitstellt, wie dies beim norwegischen Aksjeloven oder dem spanischen Ley de Sociedades de Responsabilidad Limitada der Fall ist.

    4.14.

    Maßnahmen zur Förderung des Familienunternehmertums können auch von nationalen bzw. lokalen Organisationen zur Förderung von Familienbetrieben (staatliche Stellen wie Ministerien, Arbeitgeberorganisationen, Handwerkskammern usw.) sowie von supranationalen Organisationen ergriffen werden, zu deren wichtigsten Vertretern European Family Businesses, FBN International sowie Les Hénokiens zu zählen sind.

    4.14.1.

    Diesen Organisationen kommt eine wichtige Rolle bei der Belebung des Sektors der Familienbetriebe zu. Sie bieten eine Plattform für den Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Familienunternehmern und veröffentlichen Berichte zu Familienbetrieben, durch die einschlägiges Wissen verbreitet wird. Darüber hinaus können Organisationen zur Unterstützung von Familienbetrieben Lobbyarbeit für konkrete Lösungen leisten.

    Brüssel, den 17. September 2015.

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Henri MALOSSE


    (1)  KOM(2008) 394 endgültig.

    (2)  Abschlussbericht der Sachverständigengruppe: Overview of family-business-relevant issues: research, networks, policy measures and existing studies, Europäische Kommission, November 2009.

    (3)  Siehe Tagiuri R., Davis J.A., Bivalent Attributes of the Family Firm, Arbeitspapier, Harvard Business School, 1982.

    (4)  Aktionsplan Unternehmertum 2020 — Den Unternehmergeist in Europa neu entfachen, COM(2012) 795 final.

    (5)  „Business Dynamics: Start-ups, Business Transfers and Bankruptcy“ (2011) http://ec.europa.eu/enterprise/policies/sme/business-environment/files/business_dynamics_final_report_en.pdf

    (6)  COM(2012) 795 final.

    (7)  Guide on dealing with innovative solutions in public procurement — 10 elements of good practice, SEC(2007) 280.

    (8)  Irene Mandl, Overview of Family Business Relevant Issues. KMU Forschung Austria, 2008.

    (9)  EWSA-Stellungnahme „Jagd nach Agrarland — ein Alarmsignal für Europa und eine Bedrohung für bäuerliche Familienbetriebe“ (ABl. C 242 vom 23.7.2015, S. 15).

    (10)  Family farming in Europe: Challenges and prospects, In-depth analysis. Europäisches Parlament, 2014.

    (11)  Geduldiges Kapital ist Eigenkapital, das von den Eigentümern eines Familienbetriebs bereitgestellt wird, die eine Balance zwischen laufender Kapitalrendite und der entsprechend definierten langfristigen Unternehmensstrategie sowie dem Erhalt der Familientradition und des Familienerbes anstreben. Quelle: De Visscher F.M., Aronoff C.E., Ward J.L. (2011), Financing Transitions. Managing Capital and Liquidity in the Family Business, Palgrave Macmillan.


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