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Document 52007AE0804

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung

ABl. C 175 vom 27.7.2007, p. 57–64 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

27.7.2007   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 175/57


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung“

(2007/C 175/16)

Der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie der Bundesrepublik Deutschland, Herr Michael GLOS, ersuchte in seinem Schreiben vom 26. September 2006 im Zusammenhang mit den Aktivitäten des deutschen Ratsvorsitzes den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer zu folgendem Thema „Herausforderungen und Möglichkeiten für die EU im Zuge der Globalisierung“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 4. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr MALOSSE, Mitberichterstatter war Herr NILSSON.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 436. Plenartagung am 30./31. Mai 2007 (Sitzung vom 31. Mai) einstimmig folgende Stellungnahme:

1.   Zusammenfassung

Für eine gemeinsame Globalisierungsstrategie

Die EU kann als Laboratorium einer globalisierten Welt aufgefasst werden. Sie ist nach demokratischen Grundsätzen und ohne hegemoniale Bestrebungen entstanden und der Vielfalt der Meinungen und Kulturen sowie dem wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt und der Offenheit verpflichtet. Wenngleich die neue Weltordnung nicht dem EU-Modell entsprechen kann, muss die Europäische Union doch ihre Werte und Grundsätze zur Geltung bringen und sich zugleich für eine globale Governance einsetzen, die sich an den maßgeblichen Errungenschaften des europäischen Aufbauwerks orientiert. Die EU ist dann glaubhaft, wenn sie ihre Werte transportiert und ihr Integrationsmodell ohne Arroganz oder hegemoniale Bestrebungen vertritt. Verfügt die EU aber über keine gemeinsamen Visionen oder Vorstellungen in Bezug auf die Herausforderungen und Chancen der Globalisierung, könnten sich die Einwohner Europas im Stich gelassen fühlen und nach dem Nutzen der EU fragen.

1.1   Ein „globaler Rechtsstaat“

Die erste Antwort der EU muss darin bestehen, mehr zur Entstehung eines „Rechtsstaats“ beizutragen, der den nüchternen Realitäten gerecht wird. Für seine Entstehung dürfen aber keine Mühen gescheut werden, um mit allen Mitteln eine menschenwürdige Globalisierung zu fördern, die auf Multilateralismus und nicht auf den Kräfteverhältnissen basiert; auf den Grundrechten des Einzelnen insbesondere hinsichtlich Arbeitsrecht und Arbeitsbedingungen; auf einem verantwortungsbewussten Umgang mit unserem Naturerbe; auf größerer Transparenz der Finanzmärkte; auf einem höheren Niveau des Gesundheitsschutzes und der Lebensmittelsicherheit für alle Bevölkerungsgruppen, insbesondere die schwächsten; auf der kulturellen und sprachlichen Vielfalt sowie auf der Teilung und der allgemeinen Verbreitung von Wissen.

1.2   Als Vorbild fungieren

Zweitens kann und muss die EU regionale Integrationsprozesse fördern. Es ist festzustellen, dass die meisten Länder der Erde — von wenigen Ausnahmen abgesehen — in verschiedene Prozesse der Annäherung eingebunden sind, die von einer einfachen thematischen Zusammenarbeit bis hin zu einem echten, mit dem der EU vergleichbaren Integrationsprozess reichen. Die Globalisierung wäre sicherlich besser zu steuern, wenn die EU häufiger zum Vorbild genommen und wenn mehr aufeinander abgestimmte regionale Gemeinschaften, die ebenfalls auf Pluralismus, der Wahrung der Vielfalt und dem Konsensprinzip basieren, miteinander in Dialog treten, anstatt der Logik der Kräfteverhältnisse verhaftet zu bleiben. Die regionale Integration ist sicherlich auch eines der Schlüsselrezepte für die Zukunft der schwächsten Regionen der Welt, für die die Begrenztheit ihrer Märkte ein unüberwindbares Handicap darstellt und die sich heute kein Gehör verschaffen können.

1.3   Eine ausgewogene und verantwortungsbewusste Öffnung des Handels

Der Ausschuss ist bezüglich der internationalen Handelsbeziehungen der Auffassung, dass bilaterale Ansätze nur als Ergänzung zum multilateralen Konzept der WTO Sinn machen. Er empfiehlt, in Fragen des Marktzugangs, der Gegenseitigkeit sowie der Bekämpfung von Handelsbarrieren und unlauteren Praktiken Fortschritte zu erzielen. Der Ausschuss schlägt vor, einen Dialog über die anderen Aspekte der globalen Governance mit handelsspezifischen Auswirkungen (vor allem soziale Standards und Umwelt) zu eröffnen. Die EU muss auch auf eine Strategie der Teilhabe hinwirken, damit alle Entwicklungsländer, vor allem in Afrika, vom Globalisierungsprozess profitieren.

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Auswirkungen aller neuer Handelszugeständnisse auf Gemeinschaftsebene gründlich zu untersuchen sind, der Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente, insbesondere zum Schutz der Interessen der EU-Hersteller, verbessert und gemeinsame Maßnahmen auf den Außenmärkten gefördert werden müssen. Nach Auffassung des EWSA muss der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung als strategisches beschäftigungsspezifisches Instrument für die von der Globalisierung betroffenen Personen und Regionen eingesetzt und durch einzelstaatliche Fonds ergänzt werden.

1.4   Das Integrationstempo forcieren und die kulturelle Vielfalt erhalten

In dem Maße, in dem Europa seine Kohärenz und Integration steigert, in dem Maße wird es auch an Überzeugungskraft gewinnen und sich mit dem entsprechenden Gewicht für eine multipolare und verantwortungsbewusste globale Governance stark machen können. Die Globalisierung kann heute eine Chance für den europäischen Einigungsprozess darstellen, da sie uns alle zu erhöhtem Tempo zwingt. Derzeit ist ein Wettlauf im Gange. Innovation, allgemeine Verbreitung von Wissen und Demokratisierung könnten die Schlüssel zum Erfolg sein. Es ist allerhöchste Zeit, den Binnenmarkt tatsächlich zu vollenden, die Abschottung der Bildungssysteme und Forschungsnetze zu beseitigen und vor allem in den Bereichen Energie, Umwelt und Forschung neue Gemeinschaftspolitiken zu verwirklichen.

1.5   Engagement der organisierten Zivilgesellschaft für eine Globalisierung mit menschlichem Antlitz

Die Union selbst muss ihre Bürger mehr beteiligen und teilhaben lassen und dabei den weltweiten Dialog zwischen den Zivilisationen fördern. Der Weg über die organisierte Zivilgesellschaft und ihre Einrichtungen wie den EWSA ist eine bislang noch unzureichend erkundete Möglichkeit. In der Frage der Globalisierung ist die organisierte Zivilgesellschaft von besonderer Bedeutung, da die internationalen Beziehungen heute nicht mehr nur die staatliche Ebene betreffen, sondern auch Sache der Medien, der Sozialpartner, der Unternehmen, der Wissenschaft und Kultur, der Verbände und aller anderen Kräfte der Zivilgesellschaft sind.

2.   Die Herausforderungen der Globalisierung mit einem globalen Ansatz verdeutlichen

2.1

Das europäische Aufbauwerk hat sich seit seinen Anfängen im Zuge der Öffnung weiterentwickelt. Durch sukzessive Beseitigung der Binnengrenzen konnte die EU einen großen Binnenmarkt schaffen, ihre Wirtschaft modernisieren, ihre Infrastrukturen ausbauen und einen Spitzenplatz im internationalen Handel einnehmen.

2.2

Die europäische Integration ist weit mehr als nur ein Binnenmarkt. Die Europäische Union verfügt über gemeinsame Vorschriften, über eine eigene Rechtsordnung und Gerichtsbarkeit, über eine Menschenrechtscharta und über gemeinsame Politiken. Besonderer Erwähnung bedarf die Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts, Mittel zur Umsetzung des Grundsatzes der Solidarität zwischen den Ländern und Regionen, die zur Verringerung der — im Zuge der letzten Erweiterung größer gewordenen — Entwicklungsunterschiede beitragen soll.

2.3

Die heutige Herausforderung der Globalisierung steht in einem ganz anderen Kontext und basiert auf völlig anderen Bedingungen. Diese sind insbesondere durch eine noch in den Kinderschuhen steckende globale Governance, durch hegemoniale Bestrebungen sowie wachsende Spannungen zwischen den Industrieländern und den Schwellenländern gekennzeichnet. Diese globalen Ungleichgewichte stellen eine ganz und gar neue Sachlage für die Europäische Union dar.

2.4

Das Projekt Europa war ursprünglich überhaupt nicht „eurozentriert“. Die Väter der Verträge konnten sich bereits die Öffnung der Europäischen Gemeinschaft für alle Völker Europas vorstellen, sobald diese erst einmal von den Diktaturen befreit wären. Es könnte somit auch als Modell für eine neue Weltordnung dienen, die auf Rechtsstaatlichkeit, Offenheit und Vertrauen basiert.

2.5

Die Globalisierung ist daher unter mehreren Gesichtspunkten mit den bereits von den europäischen Ländern bei ihrer gegenseitigen Öffnung verzeichneten positiven Auswirkungen vergleichbar, wie z.B. die Nutzung von komparativen Vorteilen und von Skaleneffekten und die Nutzung neuer Entwicklungsdynamiken und neuer Märkte.

2.6

Die Globalisierung weist aber auch zahlreiche neuartige Herausforderungen auf, die mitunter sehr komplexe Antworten und Anpassungen erforderlich machen, vor allem mit Blick auf die zahlreichen Schwierigkeiten und Verzerrungen beim Zugang zu den Märkten, den Brain Drain, die Erhaltung von Mehrsprachigkeit und kultureller Vielfalt, Migrationsströme, die extremen Unterschiede in puncto Arbeits- und Produktionsbedingungen, insbesondere in Bezug auf die Kosten; die Internationalisierung des Kapitals und der Finanzmärkte von nie zuvor gekanntem Ausmaß; die Bedrohung der sozialen Standards der Industrieländer infolge des globalisierten Wettbewerbs; und schließlich die erhöhten Herausforderungen mit Blick auf den Schutz von Umwelt, Gesundheit und Sicherheit.

2.7

Die Globalisierung hat nicht überall dieselben Auswirkungen. Während sie in einigen Teilen der Welt die wirtschaftliche und soziale Entwicklung fördert, werden wiederum andere geschwächt: Industrieregionen sind stärkerem Wettbewerb ausgesetzt und die Lage benachteiligter Länder verschlechtert sich weiter.

2.8

Will die EU diese Herausforderungen bewältigen, muss sie zeigen, dass sie die Globalisierung zu nutzen weiß und sie nicht einfach passiv über sich ergehen lässt. Sie muss zugleich alle sich bietenden Möglichkeiten ergreifen, aber auch feststellen, auf welche Art und Weise die verschiedenen Regionen, Branchen und Bevölkerungskreise von der Globalisierung betroffen sind, um zusammen mit den Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und anderen betroffenen zivilgesellschaftlichen Akteuren über erforderliche konkrete Maßnahmen für erfolgreiche Anpassungen zu entscheiden.

2.9

Den Herausforderungen der Globalisierung ist nicht nur mit einem rein wirtschaftlichen Ansatz zu begegnen. Politische, soziale, ökologische, aber auch kulturelle Fragen sind mit der Problematik eng verzahnt. Die Antwort der EU muss folglich all diese Themen berücksichtigen, denn sonst läuft sie Gefahr, nicht über die erforderliche Überzeugungskraft zu verfügen.

2.10

Der Ansatz der regionalen Integration, der die EU kennzeichnet, gestattet es ihr, in der WTO im Namen ihrer Mitgliedstaaten zu sprechen. Es gibt weitere Beispiele für regionale Integration in der Welt, aber keines hat ein mit der EU vergleichbares Stadium erreicht. Mit Ausnahme der CARICOM, in der die Karibikstaaten vereint sind, vertreten diese regionalen Zusammenschlüsse in der WTO keine gemeinsamen Positionen. Eine Entwicklung in dieser Richtung könnte aber viel zu einer besser strukturierten und effizienteren globalen Governance beitragen.

2.11

In der EU ist je nach Bevölkerungsgruppe und Mitgliedstaat eine unterschiedliche Auffassung der Globalisierung festzustellen. Diese Vielfalt mag eine Bereicherung sein, aber die Beschleunigung und Ausweitung der durch die Globalisierung verursachten Herausforderungen machen heute einen gemeinsamen Ansatz mit konkreten Vorschlägen erforderlich.

3.   Einen Beitrag zu effizienteren weltweiten Regelungen im Sinne einer „Globalisierung mit menschlichem Antlitz“ leisten

3.1

Die dem Projekt Europa zugrunde liegenden Werte (insbesondere Vielfalt und Solidarität, Rechtsstaatlichkeit, Subsidiarität, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wirtschaftlichen und sozialen Fragen sowie nachhaltige Entwicklung) sind heutzutage auf internationaler Ebene nicht ausreichend verbreitet.

3.2

Die ganze Bandbreite des Phänomens der Globalisierung kann heute nicht ausschließlich im Rahmen zwischenstaatlicher Beziehungen angegangen werden, unter anderem mit Blick auf Migrationsbewegungen, Kapitalströme, Umweltverschmutzung und Klimaschäden und Informationsflüsse, vor allem via Internet. Neben den Staaten werden auch folgende Akteure mehr oder weniger stark vom Prozess der Globalisierung erfasst: multinationale Unternehmen, Finanzmärkte, Medien, Wissenschaft, die organisierte Zivilgesellschaft und ihre Einrichtungen, die Sozialpartner, die NGO sowie viele andere Akteure.

3.3

Deshalb ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich die EU weiterhin und noch entschiedener für eine globale Governance einsetzt, d.h. für:

die Wiederaufnahme der Doha-Verhandlungen der WTO im Sinne weiterer Handelserleichterungen, die aber auch mit Bestimmungen für ausgewogenere und gerechtere Handelsbeziehungen einhergehen;

die Weiterentwicklung und effektive Anwendung der übrigen internationalen Regelungen wie z.B. der ILO-Übereinkommen (zum Arbeitsrecht), der Übereinkommen der UNESCO im Kulturbereich (zur Vielfalt), dem Kyoto-Protokoll im Umweltbereich, der Beschlüsse der IAEA in Energiefragen, der Übereinkommen der WIPO im Bereich des geistigen Eigentums, der WHO-Empfehlungen im Bereich der Gesundheit, der UNIDO für industrielle Zusammenarbeit usw.;

die Koordination zwischen den verschiedenen Instanzen der globalen Governance unter der Federführung der Vereinten Nationen zur Redaktion von „Leitlinien der Rechtsstaatlichkeit“ mit entsprechenden Verfahren der Regulierung und Rechtsprechung, die auf der Wahrung des Pluralismus basieren.

3.4

In diesem Zusammenhang muss auf der Ebene der internationalen Handelsregeln vor allem

das WTO-Handelserleichterungsabkommen abgeschlossen werden. Damit sollen Standards angenommen werden im Bereich der Zollregeln und Zollverfahren sowie der Vereinfachung und Straffung der Verfahren, insbesondere mittels Schaffung einer einzigen Anlaufstelle sowie der Förderung wirksamer und transparenter Vorschriften und des Einsatzes von Datenverarbeitungssystemen;

die Annahme, Umsetzung und Einhaltung der Maßnahmen des WTO-Übereinkommens über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS) (Lebensmittelsicherheit, Tiergesundheit und Pflanzenschutz) sichergestellt und der Schutz und das Wohlbefinden von Tieren einbezogen werden;

wirksamer gegen Produkt- und Markenpiraterie vorgegangen werden, die den europäischen Herstellern einen erheblichen und immer größeren Schaden zufügt, insbesondere durch Ausarbeitung einer umfassenden und wirkungsvollen Strategie zum Schutz des geistigen Eigentums durch das TRIPS-Abkommen;

die Fortschritte im Bereich des Handels an die Einhaltung sozialer, ethischer und ökologischer Standards geknüpft werden;

ein Beitrag dazu geleistet werden, die Kapazitäten der Schwellenländer (insbesondere Chinas und Indiens) und der Entwicklungsländer auszubauen.

3.5   Andere Regelungen

3.5.1

Selbst wenn bedeutende Fortschritte in allen Handelsfragen erzielt werden sollten, würden diese alleine nicht ausreichen, um die Bedingungen für eine wahrhaft „nachhaltige Entwicklung“ zu gewährleisten, wenngleich dieses Ziel von der WTO in der Doha-Agenda ausdrücklich anerkannt wurde. Weitere Regelungen sind im Sinne dieses Ziels erforderlich, und die Europäische Union könnte hier ebenfalls Impulse geben. Diese betreffen insbesondere die Themenkomplexe Umwelt, Sicherheit, Grundrechte, Arbeitsbedingungen und kulturelle Vielfalt.

3.5.2

Ein wesentliches Erfordernis ist der Schutz der Umwelt vor wachsenden Bedrohungen (Schutz des Lebensumfelds, Artenschutz, Bekämpfung des Treibhauseffekts und der Umweltverschmutzung usw.). Diese Problematik, die per definitionem keine Grenzen kennt, ist mit dem Phänomen der Globalisierung unauftrennbar verwoben und sollte ein eigenständiger Bestandteil der Handelsverhandlungen werden, der als Querschnittsthema in den verschiedenen Verhandlungsbereichen berücksichtigt wird. Die Europäische Union sollte dieser Erfordernis oberste Priorität einräumen,

indem sie eine Initiative zur Erneuerung der Vereinbarungen von Kyoto bezüglich der Verringerung der Treibhausgasemissionen ergreift mit dem Ziel, alle Länder der Erde daran zu beteiligen, um die globale Erwärmung einzudämmen (siehe den auf internationaler Ebene angenommenen Bericht des zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimafragen (IPCC), der das Ziel der EU bestätigt);

indem sie außerdem gemeinsame Aktivitäten im Bereich der Forschung und der Beherrschung von Umwelttechnologien entfaltet, die mit Blick auf neue weltweite Bedürfnisse Spitzen-Knowhow bezüglich Prozesse, Produkte und Dienstleistungen für unterschiedliche Bereiche (von Landwirtschaft und ländlichem Raum über Wasser, Energie, Industrie und Recycling bis hin zu Wohnungsbau und Urbanistik) anbieten kann.

3.5.3

Die Sicherheitsbedürfnisse haben ebenfalls eine gesteigerte und vielfältige Bedeutung erlangt. Verwiesen sei hier auf den Gesundheitsschutz, insbesondere den Schutz vor Pandemien, die Verbrechensbekämpfung, die Atomaufsicht, den Schutz des elektronischen Datenaustauschs, die Produkt- und insbesondere die Lebensmittelsicherheit. Die Globalisierung darf unter keinen Umständen mit größerer Unsicherheit einhergehen. Folglich müssen wirksame Regelungen gefunden werden, die einen sichereren Rahmen sowohl für die Entwicklung des Handels als auch für die grundlegenden staatlichen Aufgaben und die Lebensbedingungen gewährleisten. Dieser Fortschritt muss ebenfalls mit Verbesserungen im Bereich der Regierungsführung sowie der Bekämpfung der Korruption und sonstiger Bedrohungen einhergehen.

3.5.4

Die soziale Dimension der Globalisierung und vor allem die entsprechenden Arbeitsnormen, die auf den ILO-Übereinkommen (1) basieren, müssen weltweit wirkungsvoll Anwendung finden. Die EU kann in Partnerschaft mit der ILO mittels der Konzepte der menschenwürdigen Arbeit, aber auch des fairen und ethischen Handels ein Fundament von Werten und vorbildlichen Verfahren erarbeiten. Es stellt sich die Frage nach der effektiven Anwendung der ILO-Normen, die auch die Schaffung einer entsprechenden Jurisdiktion einschließt.

3.5.5

Nichtstaatliche Akteure, Unternehmen und Sozialpartner haben in den Entwicklungsländern zahlreiche Erfolg versprechende soziale Initiativen ergriffen. Genannt seien die von zahlreichen europäischen Unternehmen — auf der Grundlage der im Rahmen der OECD vereinbarten Leitprinzipien und der sozialen Standards der ILO — entwickelten Maßnahmen. Insbesondere erwähnt werden sollten die Initiativen nichtstaatlicher Akteure in den Bereichen Beschäftigung, Ausbildung, Gesundheit und Lebens- und Arbeitsbedingungen, auch im Rahmen eines regionalen, nationale Grenzen überwindenden sozialen Dialogs. Die Unterstützung der EU für solche Initiativen, vor allem in den AKP-Ländern, sollte ausgebaut werden. Die Hilfe der Europäischen Union sollte in größerem Maße auf Programme zugeschnitten sein, die sich durch eine aktive Teilhabe zivilgesellschaftlicher Akteure — auch und vor allem auf regionaler Ebene — auszeichnen.

3.5.6

Angesichts der zunehmenden Internationalisierung der Finanzmärkte muss die EU mit einer Stimme sprechen, damit der Internationale Währungsfonds wirklich eine stabilisierende Funktion haben kann. Die Euroländer sollten sich für die Zusammenlegung zu einer einzigen Stimmrechtsgruppe entscheiden, um das Gewicht Europas zu stärken. Gleichzeitig sollte Europa die globale Governance im Bereich der Bekämpfung von Geldwäsche und Betrug nach Maßgabe der OECD-Konventionen fördern.

3.5.7

Der Bereich der Bildung und des Wissenstransfers ist unter dem Aspekt einer globalen Governance im Dienst der Bürger von zentraler Bedeutung. Es gilt, die Projekte der UNESCO zu fördern und Netzwerke zu unterstützen, mit denen im Rahmen eines pluralistischen und interkulturellen Dialogs einem möglichst umfassenden Personenkreis Wissen und Kenntnisse zur Verfügung gestellt werden können. Bei dem Ansatz der EU für eine bessere globale Governance muss auch die Frage der kulturellen und sprachlichen Vielfalt berücksichtigt werden. Dies sind — heute allerdings bedrohte — Stärken Europas.

3.5.8

Schließlich muss sich die EU im Bereich der Grundrechte einvernehmlich dafür einsetzen, die Wirksamkeit der verschiedenen Bestimmungen der VN-Menschenrechtserklärung — unter Wahrung der Vielfalt der Kulturen — zu steigern und die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofs auszubauen.

3.6   Die Besonderheit des Beitrags der EU

3.6.1

Im Hinblick auf eine verstärkte globale Governance kann die EU im Sinne einer möglichst breiten Akzeptanz auch auf ihre Erfahrungen in folgenden Schlüsselbereichen zurückgreifen:

Subsidiarität, die eine adäquate Zuordnung der Befugnisse ermöglicht und folglich den Staaten, Regionen sowie den Akteuren der Zivilgesellschaft realen Handlungsspielraum gibt;

Erfahrungen beim Komplexitätsmanagement, das von unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der Anerkennung kultureller Vielfalt ausgeht;

Konsultation und Teilhabe der wirtschaftlichen und sozialen Akteure am Entscheidungsprozess.

3.6.2

Die Europäische Union sollte also einen regionalen Ansatz für die politischen, wirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen zu ihren Partnern wählen, wo immer dies möglich erscheint — und wie dies auch bereits in den Beziehungen zu den AKP-Ländern praktiziert wird. Die Entwicklung solcher wechselseitiger Beziehungen zwischen der EU und anderen regionalen Zusammenschlüssen im Sinne eines positiven Wettbewerbs und gegenseitiger Öffnung würde allen Betroffenen zum Vorteil gereichen und dabei in sicherlich entscheidendem Maße zur Vervollständigung und Stärkung des multilateralen Handlungsrahmens der WTO beitragen.

4.   Entwicklung einer gemeinsamen Welthandelsstrategie der EU

4.1   Multilateralismus oder Bilateralismus?

Dieser Ansatz wird von der Europäischen Kommission im Rahmen der Mitteilung „Das globale Europa — im Wettbewerb mit der Welt“ vom 4. Oktober 2006 skizziert.

4.1.1

Die Europäische Union muss aufgrund der Schwierigkeiten der WTO, bei der Doha-Agenda Fortschritte zu erzielen, sowie aufgrund der Begrenztheit dieser Agenda neue Initiativen ergreifen. Der Ausschuss begrüßt, dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung vom Oktober 2006 die Empfehlung ausgesprochen hat, eine neue Handelsstrategie zu konzipieren, die sowohl auf bilateralen als auch auf multilateralen Ansätzen beruht.

4.1.2

Der multilaterale Ansatz zur Bewältigung der mit der Globalisierung verbundenen Probleme ist vorzuziehen, da ausgewogene und nachhaltige Ergebnisse so besser gewährleistet werden. Der Ausschuss begrüßt folglich die von der Kommission bekräftigte Unterstützung für die eigentlichen Vorteile des Multilateralismus und der WTO. Ziel bleibt es, die Doha-Agenda in einem übergreifenden Rahmen, der alle teilnehmenden Länder zur Beachtung der gemeinsamen Regeln verpflichtet, zum Erfolg zu führen.

4.1.3

Der Ausschuss betont, dass die Vorschläge der Kommission, denen zufolge die EU angesichts anhaltender Schwierigkeiten der im Rahmen der WTO geführten Verhandlungen nun verstärkt andere, ergänzende Ansätze insbesondere bilateraler Natur zu sondieren habe, besser eingegrenzt werden müssen. Dabei ginge es um eine Vertiefung der Gespräche mit den durch hohe Wachstumsraten gekennzeichneten Schwellenwirtschaften (China, Indien, Asean-Staaten, Mercosur-Staaten und Golfstaaten), aber auch um die Stärkung unserer strategischen Verbindungen zu den Volkswirtschaften der Nachbarregionen (Russland, Ukraine, Moldawien und Mittelmeerraum) sowie die erfolgreiche Erneuerung unserer Beziehungen zu den AKP-Staaten (Afrika, Karibik und Pazifik) mittels der regionalen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die gerade ausgehandelt werden.

4.1.4

Der Ausschuss betont, dass eine solche Neuausrichtung der internationalen Strategie der EU unter bilateralen Gesichtspunkten nicht den multilateralen Ansatz ersetzen darf. Dieser muss das Hauptziel bleiben, weil er den europäischen Werten entspricht.

4.1.5

Es ist nicht nur darauf zu achten, dass ein solcher Ansatz mit den von der Kommission deutlich betonten Verpflichtungen im Rahmen der WTO vereinbar ist, sondern auch darauf, dass

die Chancen eines Vorankommens der multilateralen Verhandlungen nicht konterkariert werden;

diese im Gegenteil letztlich durch eine Vertiefung der Gespräche und eine Annährung der Standpunkte im Rahmen der bilateralen Ansätze erleichtert werden.

4.1.6

Jedweder bilaterale Ansatz der EU sollte folglich auf die Funktion der Ergänzung des multilateralen Ansatzes beschränkt sein und folgende Zielsetzungen haben:

das Terrain für multilaterale Verhandlungen vorzubereiten und insbesondere die für die EU wichtigsten Punkte hervorzuheben (Desiderata der Doha-Runde, Handelspraktiken, Bekämpfung der Markenpiraterie, öffentliches Auftragswesen etc.);

auf bilateralem Wege Fortschritte in den anderen Bereichen der globalen Governance zu erzielen: Politik, Soziales, Umwelt, Kulturpolitik und Energie.

4.1.7

Zahlreiche Präzisierungen und Anpassungen sind noch erforderlich. Sie betreffen insbesondere die Modalitäten für die Anwendung der Kriterien sowie die gegenüber bestimmten Ländern — in erster Linie gegenüber China, Korea, Indien und auch Russland — zu verfolgende Politik.

4.2   Ausbau der nachbarschaftlichen Beziehungen und der privilegierten Beziehungen

4.2.1

Die Nachbarländer (vor allem Russland, Ukraine, Belarus, Moldawien und die Mittelmeerländer) sollten mittels privilegierter Partnerschaften im Rahmen einer kohärenten Nachbarschaftsstrategie und von Interessensgemeinschaften besondere Beachtung finden.

4.2.2

Die EU und die USA sollten im Rahmen des transatlantischen Dialogs zu einer Annäherung ihrer Auffassungen der Globalisierung gelangen und einen stabilen Rahmen für ihre Zusammenarbeit und ihren Handelsaustausch schaffen.

4.2.3

Die EU muss im Rahmen ihrer bilateralen Kontakte weiterhin die Entwicklung regionaler Zusammenschlüsse in anderen Kontinenten fördern (z.B. AKP-Länder, Mercosur, ASEAN usw.), die eine bessere Strukturierung und Austarierung des Welthandels ermöglichen, sowie auf Fortschritte bei den WTO-Verhandlungen hinwirken. Die im Zuge der europäischen Integration gemachten Erfahrungen sollten — unbeschadet der Besonderheiten dieses Phänomens — auch weiterhin Impulse für regionale Zusammenschlüsse geben und diese unterstützen, denn diese sind für eine durch Nachhaltigkeit gekennzeichnete und strukturierte Globalisierung unabdingbar. Dieser Ansatz ist besonders wertvoll für die Beziehungen zu den Entwicklungsländern, z.B. den AKP-Ländern. Die Aushandlung von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) muss einhergehen mit der Förderung regionaler Integrationsprozesse, die zweifellos einen entscheidenden Beitrag dazu leisten können, dass diese Länder nicht Globalisierungsverlierer bleiben. Das positive Beispiel der CARICOM ist diesbezüglich sehr bedeutsam und gibt Anlass zu Hoffnung. Die EU muss in diesem Zusammenhang sowohl den Auf- und Ausbau der Verwaltungskapazitäten für regionale Integrationsprozesse als auch Zusammenschlüsse zivilgesellschaftlicher Akteure fördern.

4.2.4

Man könnte auch versuchen, Lehren aus den guten bzw. weniger guten Verfahrensweisen anderer Länder oder regionaler Zusammenschlüsse (Mercosur, Asean etc.) zu ziehen. Die EU muss weiterhin die regionalen Zusammenschlüsse, die — mit unterschiedlicher Dynamik und Zielsetzung — einen ähnlichen Weg wie die EU gehen, unterstützen und bevorzugt behandeln.

4.2.5

Die Rolle und die Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Akteure im Rahmen dieses bilateralen Ansatzes dürfen nicht unterschätzt werden. Die Beteiligung des EWSA an dem von der Kommission eingerichteten zivilgesellschaftlichen Dialog im Rahmen der WTO sowie die strategische Bedeutung der vom Ausschuss — mittels der verschiedenen dafür geschaffenen Gremien — durchgeführten Aktivitäten sollten deutlich wahrgenommen und bekannt gemacht werden.

4.3   Eine verantwortungsbewusstere Öffnung für den Handel

4.3.1

Es sollte sichergestellt sein, dass die Folgenabschätzungen, die mit Blick auf Vorteile, Zwänge und Zugeständnisse eines jeden Übereinkommens durchgeführt wurden, die wirtschaftlichen und sozialen Folgen, insbesondere auf Branchenebene (einschließlich Agrarsektor und arbeitsintensive Industriezweige) berücksichtigen. An diesen Untersuchungen, die auf Initiative der Kommission bei jeder neuen Verhandlung durchgeführt werden, sollten mehr lokale Sachverständige und Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt werden. Ferner müsste auch die von der Kommission in ihrer Mitteilung angeschnittene Strategie des Risikomanagements vertieft werden.

4.3.2

Der Ausschuss hat sich für die Errichtung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung ausgesprochen. Er ist der Auffassung, dass dieser als strategisches beschäftigungsspezifisches Instrument für von der Globalisierung betroffene Personen und Regionen eingesetzt werden sollte. Dieser Fonds sollte, wenngleich er die nationale Finanzierung lediglich ergänzt, sichtbar sein und eine kritische Finanzmasse bilden. Der Ausschuss setzt sich — in Analogie zum Europäischen Sozialfonds — mit Nachdruck für eine Verwaltung des Fonds durch einen dreigliedrigen Ausschuss ein, an dem auch die Sozialpartner beteiligt sind.

4.3.3

Der Agrarsektor bedarf in diesem Zusammenhang besonderer Aufmerksamkeit. Über die landwirtschaftliche Erzeugung im eigentlichen Sinne hinaus muss auch die Agrarnahrungsmittelindustrie berücksichtigt werden, die für 14 % der Wertschöpfung in der EU verantwortlich ist und die 4 Mio. Beschäftigte zählt. Um ein Einverständnis im Rahmen der WTO zu ermöglichen, wurde 2003 eine grundlegende Reform der GAP eingeleitet, was für die betroffenen Berufskategorien erhebliche Opfer bedeutete. Ein künftiges Übereinkommen der WTO setzt folglich Gegenseitigkeit beim Zugang zu den Märkten und eine äquivalente und deutliche Senkung der Beihilfen für die amerikanischen Erzeuger voraus.

4.4   Gemeinsame Aktionen auf den Außenmärkten

4.4.1

Die EU-Mitgliedstaaten sollten sich schließlich mehr mit den Zielen und Mitteln einer echten gemeinsamen Strategie für den Zugang zu den Weltmärkten beschäftigen, um insbesondere folgenden drei Missständen abzuhelfen:

4.4.2

Die Exportkreditversicherungssysteme sind immer noch vorwiegend national strukturiert, trotz der politischen, wirtschaftlichen und — im Rahmen des Euro — auch monetären Integration Europas. Die EU sollte diese einzelstaatlichen Systeme unterstützen, um sie für alle europäischen Unternehmen, vor allem KMU, zu koordinieren und harmonisieren.

4.4.3

An unsere großen Handelspartner treten regelmäßig Handelsmissionen heran, die vorwiegend nationalen Charakter haben und miteinander im Wettbewerb stehen. Es geht nicht darum, bilaterale Ansätze, die oft auf historisch gewachsenen Beziehungen basieren, in Frage zu stellen. Diese sollen vielmehr, sofern wirtschaftlich gerechtfertigt, durch Missionen zur sektorialen Wirtschaftsförderung mit europäischem Zuschnitt, die unsere gemeinsame Identität betonen, aufgewertet werden.

4.4.4

Die handelspolitischen Schutzmaßnahmen (insbesondere Antidumping) sollten besser bekannt und besser genutzt werden, wofür die Kommission mehr Ressourcen bereitstellen muss.

5.   Verstärkte Integration, damit die Globalisierung für die Unionsbürger zu einer Chance wird

Die EU muss den Herausforderungen der Globalisierung begegnen, indem sie sich auf ihre wirtschaftliche Integration, Solidarität und ihr permanentes Streben nach Steigerung der Produktivität als zentralem Bestandteil der Lissabon-Strategie stützt. Nur eine gestärkte Europäische Union ist in der Lage, im Globalisierungsprozess gegenüber Handelsmächten von kontinentalen Ausmaßen zu bestehen.

5.1   Die Attraktivität des Standorts Europa steigern

5.1.1

In erster Linie müssen wir uns auf einen in ausreichendem Maße integrierten, effizienten und leistungsfähigen Binnenmarkt stützen können. Wir können schlecht von unseren Handelspartnern in der Welt Zugeständnisse einfordern, die wir uns gegenseitig in Europa kaum gewähren wollen. Hier ist noch viel zu tun.

5.1.2

Zahlreiche alte Hindernisse bestehen unverändert fort und die europäischen Unternehmen haben kaum Mittel und Möglichkeiten, sich als solche zu empfinden. Die Märkte für Dienstleistungen, die zwei Drittel des BIP ausmachen, sind immer noch weitgehend voneinander abgeschottet, und was das öffentliche Auftragswesen der Mitgliedstaaten anbelangt — sowohl in Bezug auf Lieferungen, Dienstleistungen, Bauaufträge oder den gesamten Verteidigungsbereich —, so deuten zuletzt in diesem Bereich durchgeführte Untersuchungen, die bereits zehn Jahre zurückliegen, darauf hin, dass mehr als 90 % der Aufträge in diesem Sektor nationalen Anbietern erteilt werden.

5.1.3

Es muss darauf geachtet werden, dass der gemeinschaftliche Besitzstand nicht durch einen sinnlosen Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten bedroht wird, der mit folgenden Phänomenen einhergeht: Dumping, Subventionen, Politik nationaler „Platzhirsche“, neue Schranken und Hemmnisse. Die Entwicklung einer europäischen Industriepolitik, die auch den Verteidigungssektor umfasst, könnte erheblich zur Stärkung der EU im Globalisierungsprozess in puncto Wirtschaft und Technologie beitragen. Es ist ferner unerlässlich, die gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik auszubauen, einen transparenten finanzpolitischen und sozialen Rahmen in der EU zu finden und die Doppelbesteuerung, die eklatantesten Wettbewerbsverzerrungen und den innergemeinschaftlichen Mehrwertsteuerbetrug zu bekämpfen.

5.1.4

Die Fähigkeit Europas, optimale Investitionsmöglichkeiten für den immer noch größten Markt der Welt zu bieten, wird derzeit durch unzureichende Infrastrukturen von wirklich europäischer Dimension (in den Bereichen Verkehr, Energie, neue Technologien, Technologieparks, Forschungszentren usw.) beeinträchtigt.

5.2

Entwicklung von Qualifikationen und Ausbildung der Europäer im Sinne einer innovativen Gesellschaft, die allen den Zugang zu Wissen gewährleistet

5.2.1

Europa ist rohstoffarm und kann nicht mit dem Rest der Welt mithilfe von Sozial—, Umwelt- oder Steuerdumping konkurrieren. Europa kann auch nicht zum „Supermarkt der Welt“ werden und Asien die Rolle der „Fabrik der Welt“ überlassen. Europas Zukunft hängt vor allem von der Innovationsfähigkeit, dem Unternehmergeist sowie von den Fähigkeiten seiner Bürgerinnen und Bürger ab. Langfristige Investitionen in lebenslanges Lernen bieten den Schlüssel für eine ausgeglichene Entwicklung. Folglich sollten nicht nur alle Bereiche der Bildung und Ausbildung gefördert werden, sondern auch eine ausgewählte Mobilität innerhalb der EU, die durch Mehrsprachigkeit und eine entsprechende Laufbahngestaltung — auch im öffentlichen Dienst — mit einer europäischen und internationalen Dimension unterstützt werden.

5.2.2

Europa ist noch zu stark in Einzelmärkte unterteilt. Der EWSA plädiert für umfassende Projekte mit folgenden Charakteristika: Entwicklung effektiver Mehrsprachigkeit in der Schule; Mobilitätsprogramme für Jugendliche — sowohl während der Schulzeit, als auch in der Ausbildung sowie für junge Arbeitnehmer; europäische Universitäten; europäische Wege für das lebenslange Lernen und einen gemeinsamen Rahmen für die Anerkennung aller Abschlüsse.

5.2.3

Europa bedarf folglich einer umfassenden europäischen Initiative in den Bereichen Bildung, Ausbildung und Wissensverbreitung. Besondere Beachtung sollte den Personen und Gebieten geschenkt werden, die Opfer von Umstrukturierungen und Betriebsverlagerungen sind, indem Weiterbildungsmaßnahmen organisiert und neue Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen werden.

5.3   Die EU sollte über entsprechende Mittel verfügen, um die Herausforderungen der Globalisierung meistern zu können

5.3.1

Die Herausforderung der Globalisierung macht es erforderlich, dass die EU die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen erhöht. Die wirtschaftlichen Interessen der EU sind nicht nur sehr umfangreich, sondern auch ausgesprochen vielfältig. Damit die EU weiterhin die Nummer 1 im Welthandel bleiben kann, muss sie insbesondere ihre Positionen ausbauen: sowohl im Bereich qualitativ anspruchsvoller Produkte und Dienstleistungen — die der Hälfte der EU-Exporte und einem Drittel der weltweiten Nachfrage entsprechen —, als auch im Bereich anderer Kategorien von Erzeugnissen und Dienstleistungen, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden.

5.3.2

Eine europäische Politik zur Unterstützung der unternehmerischen Tätigkeit und der Innovation sollte zusammen mit Bildung, Ausbildung und Wissensverbreitung im Rahmen einer neuen europäischen „Post-Lissabon-Strategie“ in den kommenden Jahren maßgebliche Priorität erlangen. Der Ausschuss schlägt vor, einen Fahrplan für diese Bereiche zu erarbeiten, bei dem die Anstrengungen der Mitgliedstaaten und der EU sowie die öffentlichen und privaten Finanzierungen miteinander verknüpft werden.

5.3.3

Wenngleich es nicht mehr möglich ist, die EU mit einem besseren Haushalt für den Zeitraum 2007-2013 auszustatten, so können diese Mittel doch optimal eingesetzt werden, insbesondere mittels

Gewährleistung einer angemessenen Finanzierung der prioritären transeuropäischen Netze mithilfe öffentlich-privater Partnerschaften;

Ausbau der Kapazitäten für Kredite und Versicherungen der EU und Konzipierung einer innovativeren Steuerung der Strukturfondsmittel, die derzeit zu sehr den Charakter von Subventionen haben.

5.3.4

Der Euro stellt heute für Europa einen großen Vorteil dar, denn er wurde nicht nur zur Einheitswährung von 13 Mitgliedstaaten, sondern ist überdies eine große internationale Reserve- und Handelswährung. Der Euro ist heute für eine wachsende Zahl von Ländern eine glaubhafte Alternative zum Dollar. Er erleichtert den Abschluss und die finanzielle Absicherung der Handelsverträge unserer Unternehmen. Er veranschaulicht sowohl nach innen als auch nach außen ein wirkliches Zusammengehörigkeitsgefühl. Nach wie vor fehlt ein wirtschaftspolitisches Entscheidungszentrum für den Euro, weshalb er hinter den Erwartungen zurückbleibt.

5.3.5

Der Zusammenhalt der Europäischen Union basiert auf den Gemeinschaftspolitiken. Wenngleich Kohle und Stahl heute nicht mehr als die Grundlagen des Zusammenhalts aufgefasst werden, so hegen die wirtschaftlichen und sozialen Akteure doch sehr große Erwartungen bezüglich einer gestiegenen Verantwortung der EU in den Bereichen Energiepolitik (Ressourcenerhaltung, Versorgungssicherheit, neue Investitionen in saubere Energieträger, Wirtschaftlichkeit und Energieeinsparung) und Umweltschutz. In diesen beiden Bereichen ist heute eine stärkere Rolle Europas mit einer echten gemeinsamen Politik erforderlich.

5.3.6

Die Union braucht auch eine umfassendere und kohärentere Migrationspolitik. Diese sollte koordinierte Maßnahmen für Aufnahme und Integration vorsehen, die mit der europäischen Grundrechtecharta und der Genfer Flüchtlingskonvention in Einklang stehen, gleichzeitig aber auch eine wirksamere gemeinsame Bekämpfung der illegalen Einwanderung ermöglichen. Die EU sollte auch die Schaffung qualifizierter Beschäftigung in den Entwicklungsländern stärker fördern, indem sie regionale Integrationsprozesse unterstützt, die unter Umständen neue Möglichkeiten im Hinblick auf Mobilität, Weiterbildung und Austausch eröffnen.

5.4   Der Globalisierung ein menschliches Antlitz geben

5.4.1

Die Europäische Union kann im Rahmen einer Strategie zur Bewältigung der Globalisierung die Unionsbürger wieder für das europäische Integrationsprojekt mobilisieren.

5.4.2

Der Ausschuss betont generell, dass die Sozialpartner und die verschiedenen Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft voll und ganz an dem neuen, von ihm zur Bewältigung der Herausforderungen der Globalisierung empfohlenen globalen Ansatz beteiligt werden müssen. Der Rat und die Kommission sollten für ein transparenteres Vorgehen sorgen, auch im Bereich der Handelsverhandlungen. Der Ausschuss würde es besonders begrüßen, wenn er zusammen mit seinen zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen in Drittländern an den sowohl auf multilateraler als auch auf bilateraler Ebene ergriffenen Maßnahmen beteiligt würde.

5.4.3

Der Ausschuss empfiehlt ganz konkret, die Sozialpartner und andere zivilgesellschaftliche Akteure an folgenden Maßnahmen zu beteiligen:

an den von den Organisationen der Zivilgesellschaft organisierten europäischen Informationskampagnen und Debatten über die Bedeutung der Globalisierung;

an den regelmäßigen Informationssitzungen und der Anhörung in Bezug auf die von der Kommission und dem Rat angestrebte neue internationale Strategie, wie sie der EWSA im Rahmen des Europäischen Konvents veranstaltet hatte;

an den Folgenabschätzungen in Bezug auf die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen neuer Handelsabkommen und an der Verwaltung des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung;

an den verschiedenen Maßnahmen, die zur Stärkung der Politiken der EU (Binnenmarkt, Strategien der Zusammenarbeit, Kohäsion, Euro usw.) erforderlich sind;

an der Unterstützung für die Entwicklung eines wirksamen sozialen Dialogs über die verschiedenen Aspekte der in der EU, den Mitgliedstaaten und Regionen — auch auf transnationaler Ebene — erforderlichen Anpassungen und Reformen;

an der Beobachtung der bilateralen Verhandlungen mit regionalen Zusammenschlüssen wie z.B. den WPA mit den AKP-Regionen, zu denen der EWSA sein Fachwissen und das seiner Partnerorganisationen in den Drittländern beisteuern kann.

5.4.4

Der Ausschuss plädiert für eine über die einfache Zusammenarbeit hinausgehende gemeinsame Wahrnehmung staatlicher Aufgaben auf europäischer Ebene, was integrierte Ressourcen in den Bereichen wirtschaftliche Sicherheit, Zivil- und Umweltschutz, Zollkontrollen an den Außengrenzen, Polizei und selbst Verteidigung erforderlich macht, anstatt ein solches Konzept ausschließlich nationalen Interessenlagen zu überlassen, die weiteren europäischen Integrationserfolgen entgegenstehen.

5.4.5

Der Ausschuss unterstützt auch eine stärker partizipativ ausgerichtete Konzeption des Binnenmarkts, indem Initiativen von Vereinigungen, der soziale Dialog, die soziale Verantwortung der Unternehmen und die sozioökonomische Selbst- und Ko-Regulierung der wirtschaftlichen und sozialen Akteure (insbesondere bezüglich Dienstleistungen, Handel, Finanzmärkte, Umwelt, Energie, soziale Aspekte und Verbraucherrechte) unterstützt werden.

5.4.6

Die Akteure der organisierten Zivilgesellschaft haben eine unmittelbare und eigenständige Rolle zu spielen beim Knüpfen der Kontakte zu analogen Akteuren der Länder und Regionalgruppierungen, die Handelspartner der EU sind.

5.4.7

Die menschliche Dimension der Globalisierung — wie der europäischen Integration — ist Sache der Bürger und der organisierten Zivilgesellschaft. Werden die Bürger besser informiert und konsultiert, dann unterstützen sie auch eine Strategie, die sie selbst mit entschieden haben und die sie sich zu eigen machen können.

Brüssel, den 31. Mai 2007.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ILO-Übereinkommen: Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes; Nr. 98 über das Recht auf kollektive Organisierung und Tarifverhandlungen; Nr. 29 über Zwangs- und Pflichtarbeit; Nr. 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit; Nr. 138 über das Mindestalter; Nr. 182 über die schlimmsten Formen der Kinderarbeit; Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts, Nr. 111 über Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf).


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