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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62018CC0581

    Schlussanträge des Generalanwalts M. Bobek vom 6. Februar 2020.
    RB gegen TÜV Rheinland LGA Products GmbH und Allianz IARD S.A.
    Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Recht der Europäischen Union – Allgemeine Grundsätze – Art. 18 AEUV – Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit – Anwendbarkeit des Unionsrechts – Fehlerhafte Brustimplantate – Haftpflichtversicherung für die Herstellung von Medizinprodukten – Versicherungsvertrag, der eine geografische Beschränkung des Versicherungsschutzes enthält.
    Rechtssache C-581/18.

    ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2020:77

     SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    MICHAL BOBEK

    vom 6. Februar 2020 ( 1 )

    Rechtssache C‑581/18

    RB

    gegen

    TÜV Rheinland LGA Products GmbH,

    Allianz IARD SA

    (Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main [Deutschland])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Medizinprodukte – Fehlerhafte Brustimplantate – Haftpflichtversicherung für die Verwendung von Medizinprodukten – Territoriale Beschränkung – Rein innerstaatliche Sachverhalte – Art. 18 AEUV – Anwendbarkeit des Unionsrechts“

    I. Einleitung

    1.

    Eine deutsche Patientin ließ sich in Deutschland fehlerhafte Brustimplantate einsetzen, die von der Poly Implant Prothèse SA (im Folgenden: PIP), einem jetzt insolventen französischen Unternehmen, hergestellt wurden. Die Patientin nimmt die Allianz IARD SA, den französischen Versicherer von PIP, vor den deutschen Gerichten auf Ersatz in Anspruch. In Frankreich unterliegen Hersteller von Medizinprodukten einer gesetzlichen Versicherungspflicht für ihre zivilrechtliche Haftung für Schäden, die Dritten aus ihrem Handeln entstehen. Aufgrund dieser Verpflichtung schloss PIP einen Versicherungsvertrag mit Allianz, der eine Territorialklausel enthielt, wonach der Versicherungsschutz ausschließlich auf Schäden beschränkt wurde, die im französischen Hoheitsgebiet entstehen. Somit waren Medizinprodukte von PIP, die in einen anderen Mitgliedstaat ausgeführt und dort verwendet wurden, von dem Versicherungsvertrag nicht umfasst.

    2.

    Vor diesem Hintergrund möchte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Deutschland) wissen, ob der Umstand, dass PIP durch Allianz nur für durch ihre Medizinprodukte im französischen Hoheitsgebiet entstehende, nicht aber für etwaige, in anderen Mitgliedstaaten entstehende Schäden versichert war, mit Art. 18 AEUV und dem darin enthaltenen Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vereinbar ist.

    II. Rechtlicher Rahmen

    A.   Unionsrecht

    3.

    Art. 18 Abs. 1 AEUV bestimmt:

    „Unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge ist in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten.“

    4.

    Art. 34 AEUV bestimmt:

    „Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten.“

    5.

    Art. 35 AEUV bestimmt:

    „Mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung sind zwischen den Mitgliedstaaten verboten.“

    6.

    Art. 56 Abs. 1 AEUV lautet wie folgt:

    „Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen verboten.“

    B.   Französisches Recht

    7.

    Art. L.1142-2 des Code de la santé publique (Gesetzbuch über das öffentliche Gesundheitswesen) ( 2 ) bestimmt:

    „Angehörige der Gesundheitsberufe in privaten Praxen, Gesundheitseinrichtungen, Gesundheitsdienste und ‑einrichtungen im Sinne von Art. L.1142‑1 sowie alle sonstigen Rechtssubjekte, die keine staatlichen Einrichtungen sind und präventive, diagnostische oder gesundheitsdienstliche Leistungen erbringen, sowie Hersteller, Betreiber und Lieferanten von Gesundheitserzeugnissen im fertigen Zustand im Sinne von Art. L.5311‑1 mit Ausnahme von Nummer 5 und vorbehaltlich der Bestimmungen des Art. L.1222‑9 und der Nummern 11, 14 und 15, die im Rahmen solcher Leistungen verwendet werden, sind verpflichtet, für ihre gegenüber Dritten und öffentlich-rechtlich bestehende Haftpflicht aufgrund von Dritten im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit in ihrer Gesamtheit möglicherweise entstehender Personenschäden eine Versicherung zu unterhalten.

    Der für das Gesundheitswesen zuständige Minister kann durch Verordnung eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach Abs. 1 für öffentliche Gesundheitseinrichtungen erteilen, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um für Schäden in einer einer Versicherungsleistung entsprechenden Weise Ersatz zu leisten.

    Die nach Abs. 1 abgeschlossenen Versicherungsverträge können eine Begrenzung ihrer Deckungsbeträge vorsehen. …

    Bei einem Verstoß gegen die Versicherungspflicht nach diesem Artikel kann die zuständige Aufsichtseinrichtung Zwangsmaßnahmen verhängen.“

    8.

    Art. L.252-1 des Code des assurances (Versicherungsgesetz) ( 3 ) bestimmt:

    „Jede der Versicherungspflicht nach Art. L.1142‑2 des Code de la santé publique unterliegende Person, der auf ihr Ansuchen um den Abschluss eines ihr Haftpflichtrisiko gegenüber Dritten nach diesem Artikel abdeckenden Versicherungsvertrags mit einer Versicherungsgesellschaft in Frankreich die Deckung zweimal verweigert worden ist, kann einen Antrag an das Bureau central de tarification [(Zentrales Amt für die Festlegung von Versicherungstarifen, im Folgenden: BCT)] richten; die Modalitäten seiner Errichtung und seine Verfahrensregelungen werden durch Verordnung im Conseil d’État [(Staatsrat)] festgelegt.

    Das Bureau central de tarification hat die ausschließliche Funktion, die Höhe des Versicherungsbeitrags festzulegen, zu dem die betreffende Versicherungsgesellschaft zur Versicherung des ihr angetragenen Risikos verpflichtet ist. Es kann nach den durch Verordnung des Conseil d’État festgelegten Voraussetzungen die Höhe eines vom Versicherungsnehmer zu leistenden erhöhten Versicherungsbeitrags bestimmen.

    Das Bureau central de tarification unterrichtet den Vertreter des Staates im Departement, wenn eine der Versicherungspflicht nach Art. L.1142‑2 des Code de la santé publique unterliegende Person ein außergewöhnlich hohes Versicherungsrisiko aufweist. Es teilt dies dem betreffenden Leistungserbringer mit. In diesem Fall legt es die Höhe des Versicherungsbeitrags für einen Vertrag mit einer Laufzeit von höchstens sechs Monaten fest.

    Vertragsbestimmungen in Rückversicherungsverträgen, wonach bestimmte Risiken der Rückversicherungsdeckung aufgrund der vom Bureau central de tarification festgelegten Höhe des Versicherungsbeitrags ausgeschlossen werden sollen, sind nichtig.“

    III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

    9.

    PIP war ein Hersteller von Brustimplantaten mit Sitz in Frankreich. Diese Implantate wurden von dem niederländischen Unternehmen Rofil Medical Nederland BV (im Folgenden: Rofil) vertrieben. Sie wurden von diesem verpackt und mit einer Packungsbeilage versehen. Die TÜV Rheinland LGA Products GmbH (im Folgenden: TÜV Rheinland) war ab Oktober 1997 in ihrer Eigenschaft als „benannte Stelle“ im Sinne der Richtlinie 93/42/EWG ( 4 ) von PIP mit der Konformitätsbewertung nach deutschen, europäischen und internationalen Normen beauftragt. TÜV Rheinland führte hierzu in der Zeit von 1997 bis 2010 mehrere Überwachungsaudits bei PIP durch.

    10.

    Im Herbst 2006 unterzog sich die Klägerin des Ausgangsverfahrens in Deutschland einer Operation, bei der ihr von Rofil vertriebene Brustimplantate eingesetzt wurden. Es wurde später festgestellt, dass diese Implantate statt des in den Produktunterlagen beschriebenen und im Rahmen der Marktzulassung spezifizierten und freigegebenen Materials „NuSil“ mit nicht zugelassenem Industriesilikon gefüllt waren.

    11.

    Im März 2010 stellten die französischen Gesundheitsbehörden bei einer Inspektion erstmals fest, dass PIP unzulässigerweise Industriesilikon verwendete. Im April 2010 empfahlen die deutschen Behörden Ärzten, die Silikonimplantate von PIP eingesetzt hatten, die betroffenen Patientinnen zu informieren und diese Brustimplantate nicht mehr einzusetzen. Im Jahr 2012 wurde die komplette Entfernung dieser Implantate empfohlen.

    12.

    PIP wurde insolvent und im Jahr 2011 liquidiert. Im Dezember 2013 wurde der Gründer des Unternehmens von einem französischen Gericht wegen der Herstellung und des Vertriebs von gesundheitsgefährdenden Produkten zu vier Jahren Haft verurteilt.

    13.

    Die Klägerin hat gegen den operierenden Arzt sowie gegen TÜV Rheinland und Allianz vor den deutschen Gerichten Klage erhoben.

    14.

    Sie hat vorgebracht, dass ihr gegen Allianz ein Direktanspruch nach französischem Recht zustehe. Nach Art. L.1142‑2 des Gesetzbuchs über das öffentliche Gesundheitswesen unterliegen Hersteller von Medizinprodukten einer Pflicht zum Abschluss eines Versicherungsvertrags bei einem Versicherungsunternehmen (im Folgenden: Versicherungspflicht). Diese Haftpflichtversicherung gewährt geschädigten Dritten einen Direktanspruch gegen das Versicherungsunternehmen.

    15.

    Nach Art. L.252-1 des Versicherungsgesetzes kann jede der Versicherungspflicht unterliegende Person, der auf ihr Ansuchen um den Abschluss eines ihr Haftpflichtrisiko gegenüber Dritten nach diesem Artikel abdeckenden Versicherungsvertrags mit einer Versicherungsgesellschaft in Frankreich die Deckung zweimal verweigert worden ist, das BCT anrufen. Das BCT legt sodann die Höhe des Versicherungsbeitrags fest, zu dem die betreffende Versicherungsgesellschaft zur Versicherung des ihr angetragenen Risikos verpflichtet ist.

    16.

    Im Jahr 2005 verpflichtete das BCT die AGF IARD, die Rechtsvorgängerin von Allianz, PIP Versicherungsschutz zu gewähren. Das BCT legte die Höhe des Versicherungsbeitrags anhand der Umsätze von PIP im französischen Territorium fest. In den besonderen Vertragsbedingungen des Versicherungsvertrags war unter der Überschrift „Geografische Reichweite“ vereinbart, dass der Deckungsschutz ausschließlich für Schadensfälle gilt, die im französischen Mutterland und in den französischen Überseegebieten eintreten (im Folgenden: territoriale Beschränkung). Das BCT beanstandete die territoriale Beschränkung nicht. Ferner war vorgesehen, dass im Fall von Serienschäden die Deckungshöchstsumme pro Schadensfall 3000000,00 Euro und die Deckungshöchstsumme pro Versicherungsjahr 10000000,00 Euro beträgt.

    17.

    Die Klage wurde in erster Instanz abgewiesen. Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main, dem vorlegenden Gericht, ein, mit der sie die Feststellungen des Urteils in Bezug auf TÜV Rheinland und Allianz angreift, nicht jedoch die Entscheidung über die Haftung des operierenden Arztes. Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Urteils in Bezug auf TÜV Rheinland und Allianz. Außerdem beantragt sie, festzustellen, dass TÜV Rheinland und Allianz ihr zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet sind.

    18.

    Nach Ansicht der Klägerin hat das erstinstanzliche Gericht rechtsfehlerhaft darauf erkannt, dass die territoriale Beschränkung des Deckungsschutzes auf das französische Territorium rechtmäßig gewesen sei und ein Verstoß gegen den freien Warenverkehr nicht vorliege.

    19.

    Die Fragen, die das vorlegende Gericht dem Gerichtshof stellt, betreffen ausschließlich die etwaige Haftung von Allianz. Das vorlegende Gericht hält die Vereinbarkeit der in Rede stehenden territorialen Beschränkung mit Art. 18 AEUV für fraglich. Die territoriale Beschränkung weise einen grenzüberschreitenden Bezug auf, der sich verwirkliche, wenn ein Schaden außerhalb Frankreichs eintrete. Art. 18 Abs. 1 AEUV sei anwendbar, weil die in anderen Bestimmungen des AEUV geregelten besonderen Diskriminierungsverbote auf die vorliegende Rechtssache keine Anwendung fänden. Die territoriale Beschränkung stelle eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, weil von ihr üblicherweise ausländische Patienten betroffen seien, wie dies auch bei einer Anknüpfung an den Wohnort der Fall wäre. Art. 18 Abs. 1 AEUV sei auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen privaten Parteien anwendbar. Ferner könne dem BCT vorgeworfen werden, die territoriale Beschränkung nicht beanstandet zu haben.

    20.

    Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:

    1.

    Sind Adressaten des Diskriminierungsverbotes des Art. 18 Abs. 1 AEUV nicht nur die EU-Mitgliedstaaten und die Unionsorgane, sondern auch Private (unmittelbare Drittwirkung des Art. 18 Abs. 1 AEUV)?

    2.

    Sollte Frage 1 zu verneinen und Art. 18 Abs. 1 AEUV im Verhältnis zwischen Privaten unanwendbar sein: Ist Art. 18 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass diese Bestimmung einer Beschränkung des Deckungsschutzes auf Schadensfälle, die im metropolitanen Frankreich und in den französischen Überseegebieten eintreten, deswegen entgegensteht, weil die zuständige französische Behörde, das BCT, die entsprechende Klausel nicht beanstandet hat, obwohl diese Klausel deswegen gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV verstößt, weil sie eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit beinhaltet?

    3.

    Sollte Frage 1 zu bejahen sein: Unter welchen Voraussetzungen kann in Drittwirkungsfällen eine mittelbare Diskriminierung gerechtfertigt werden? Insbesondere: Kann eine territoriale Begrenzung des Versicherungsschutzes auf Schadensfälle, die innerhalb eines bestimmten EU-Mitgliedstaates auftreten, dann mit dem Argument der Begrenzung der Einstandspflicht des Versicherungsunternehmens und der Prämienhöhe gerechtfertigt werden, wenn zugleich die einschlägigen Versicherungsverträge vorsehen, dass im Falle von Serienschäden die Deckung pro Schadensfall und die Deckung pro Versicherungsjahr summenmäßig begrenzt sind?

    4.

    Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist: Ist Art. 18 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass dem Versicherer dann, wenn dieser unter Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV nur bei Schadensfällen, die im metropolitanen Frankreich und in den französischen Überseegebieten eingetreten sind, in die Regulierung eingetreten ist, der Einwand, eine Zahlung könne nicht erfolgen, weil die Deckungshöchstsumme nunmehr bereits erreicht sei, verwehrt ist, wenn der Schadensfall außerhalb dieser Gebiete eingetreten ist?

    21.

    Schriftliche Erklärungen sind von Allianz (im Folgenden: Beklagte), der dänischen und der finnischen Regierung sowie von der Europäischen Kommission eingereicht worden. Die Beklagte, die französische Regierung und die Kommission haben an der mündlichen Verhandlung vom 8. Oktober 2019 teilgenommen.

    IV. Würdigung

    22.

    Das vorlegende Gericht stellt vier Fragen, die sich auf die rechtlichen Folgen konzentrieren, die sich unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache aus einem Verstoß gegen Art. 18 AEUV ergeben würden. Mit den Fragen 1 und 2 möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Klägerin sich gegen Allianz horizontal bzw. gegen die Französische Republik vertikal (bzw. vielmehr diagonal) unmittelbar auf Art. 18 AEUV stützen kann, soweit das BCT als staatliche Stelle die territoriale Beschränkung des Versicherungsschutzes nicht beanstandet hat. Die Fragen 3 und 4 betreffen die genaue Reichweite von Art. 18 AEUV in einem Fall wie dem vorliegenden, wo der in Rede stehende Vertrag neben der territorialen Beschränkung eine Begrenzung der Deckungshöchstsumme (pro Schadensfall und pro Versicherungsjahr) vorsieht.

    23.

    Alle vier Fragen gehen übereinstimmend von einer unausgesprochenen Annahme aus, nämlich dass die in Rede stehende territoriale Beschränkung nicht nur in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, sondern auch eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit darstellt und gegen Art. 18 AEUV verstößt.

    24.

    Bevor jedoch die Folgen eines Verstoßes erörtert werden, sollten in der Würdigung ein oder vielmehr zwei Schritte zurück gemacht und geklärt werden, ob tatsächlich überhaupt ein Verstoß vorlag. Gegen welche konkrete Verpflichtung oder Bestimmung des Unionsrechts wurde mit der Zulassung einer solchen territorialen Beschränkung des Versicherungsschutzes für etwaige fehlerhafte Medizinprodukte verstoßen? Im Rahmen dieser Frage ist erstens zu prüfen, (i) ob die Rechtssache in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, d. h., ob der Gerichtshof für die Beantwortung der Fragen des vorlegenden Gerichts zuständig ist, und, wenn ja, (ii) welche Bestimmungen des Unionsrechts für die in Rede stehende territoriale Beschränkung zur Feststellung der (Un‑)Vereinbarkeit führen könnten.

    25.

    Anzuerkennen ist, dass in der Rechtsprechung des Gerichtshofs tendenziell keine zwischen (i) und (ii) differenzierte Prüfung vorgenommen wird. Dies ist insofern nachvollziehbar, als aus der Feststellung einer konkreten unionsrechtlichen Verpflichtung im Sinne von (ii) bereits folgt, dass (i) erfüllt ist, ohne dass hierauf konkret eingegangen werden müsste. Die vorliegende Rechtssache ist jedoch etwas ungewöhnlich. Auch wenn die vorliegende Rechtssache im Licht der traditionell eher großzügigen Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten offensichtlich in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen dürfte (A), stellt es sich unabhängig davon durchaus schwierig dar, eine Bestimmung des Unionsrechts zu benennen, die der territorialen Beschränkung der Versicherungspflicht entgegenstehen sollte (B).

    A.   Geltungsbereich des Unionsrechts?

    26.

    Nach Ansicht der Beklagten und der französischen Regierung fällt die vorliegende Rechtssache nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts. Nach Ansicht der Beklagten stellt die vorliegende Rechtssache aus der Sicht einer deutschen Patientin, die sich in Deutschland einer Operation unterzog, einen rein innerstaatlichen Sachverhalt dar. Die Kommission kommt offenbar zum selben Schluss, was insbesondere die Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV angeht. Dagegen ist die finnische Regierung der Ansicht, dass der vorliegende Sachverhalt ungeachtet dessen, dass die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende Versicherung unionsrechtlich nicht konkret geregelt sei, unter das Unionsrecht falle. Denn der Sachverhalt stehe mit dem grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Dienstleistungen in Verbindung, und das sekundäre Unionsrecht regele sowohl Medizinprodukte als auch die Haftung für fehlerhafte Produkte.

    27.

    Ich stimme weitgehend mit der Ansicht der finnischen Regierung überein. Meines Erachtens lässt sich trotz der Unsicherheit in Bezug auf die Anwendung von Art. 18 AEUV – oder irgendeiner anderen Bestimmung des Unionsrechts – in concreto in Anbetracht der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs schlicht nicht die Ansicht vertreten, dass die vorliegende Rechtssache im Sinne der Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts falle.

    28.

    Die Zuständigkeit des Gerichtshofs ist gegeben, wenn ein hinreichend klarer und unmittelbarer Bezug zwischen der vorliegenden Rechtssache und einer der Grundfreiheiten (freier Waren‑, Personen‑, Dienstleistungs- oder Kapitalverkehr) (1) und/oder eine potenziell anwendbare Bestimmung des (sekundären) Unionsrechts vorliegt, die für die vorliegende Rechtssache einer Auslegung bedarf (2).

    1) Grundfreiheiten und Freizügigkeit

    29.

    Im Rahmen der Grundfreiheiten hängt die Anwendbarkeit des Unionsrechts vom konkreten Sachverhalt des Rechtsstreits ab: Es muss ein tatsächlicher grenzüberschreitender Bezug vorliegen, damit das Unionsrecht anwendbar wird. Andernfalls ist der Sachverhalt regelmäßig als „rein innerstaatlich“ anzusehen ( 5 ). Das Unionsrecht der Grundfreiheiten soll keine Anwendung auf einen Sachverhalt finden, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen ( 6 ). Eine Regelung eines Mitgliedstaats, die unterschiedslos auf Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats und Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten anwendbar ist, „kann aber nur dann Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten betreffen, wenn sie auf Sachlagen anwendbar ist, die eine Verbindung zum [Intra-EU-Handel] aufweisen“ ( 7 ).

    30.

    Richtig ist, dass die Rechtsprechung zu den Bestimmungen über die Grundfreiheiten ihren Geltungsbereich über die Jahre weiter ausgedehnt hat. Unter die Rechtsprechung fielen nun nicht mehr nur tatsächliche (im Sinne bereits verwirklichter) Hindernisse, sondern auch, wenn von Freiheiten abgehalten oder ihre Ausübung weniger attraktiv gemacht wurde ( 8 ). Ebenso ist ein bloßes grenzüberschreitendes Potenzial ausreichend, das nicht unbedingt im Einzelfall feststellbar sein muss ( 9 ). Das grenzüberschreitende Potenzial bleibt auf der Ebene einer vernünftig begründbaren Annahme: So reicht im Kontext der Dienstleistungen der Umstand, dass z. B. einige Empfänger einer Dienstleistung wahrscheinlich aus einem anderen Mitgliedstaat kommen, dafür aus, dass die Regelungen des Vertrags über Dienstleistungen anwendbar werden ( 10 ).

    31.

    Diese Arten von Fällen werfen indes natürlich die Frage auf, wie weit der Grundgedanke eines Potenzials weiter dahin ausgeweitet werden kann, dass letztlich sämtliche Fragen in Bezug z. B. auf Waren oder Personen vom Unionsrecht erfasst werden könnten. Für Waren wurde die Antwort im Urteil Keck gegeben ( 11 ). Für die anderen Freiheiten steht die Antwort vielleicht noch aus ( 12 ), eines ist jedoch klar: Die Erörterung konzentriert sich regelmäßig auf die Bewertung der (Un‑)Vereinbarkeit mitgliedstaatlicher Maßnahmen mit dem Unionsrecht, d. h. innerhalb der Zuständigkeit des Gerichtshofs. Es kommt nicht häufig vor, dass der Gerichtshof seine Zuständigkeit verneint, wenn es einen vernünftig begründbaren (und nicht rein hypothetischen) ( 13 ) grenzüberschreitenden Bezug zu einer, eine der vier Freiheiten betreffenden Fallgestaltung gibt.

    32.

    Im Urteil Ullens de Schooten ( 14 ) hat der Gerichtshof vor Kurzem seine Rechtsprechung zum Fehlen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts (rein innerstaatlicher Sachverhalt) gefestigt, das dazu führt, dass die Rechtssache nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt. Dieses Urteil hielt noch einmal fest, dass unabhängig von einem tatsächlichen grenzüberschreitenden Bezug ein bestimmter Sachverhalt in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt, erstens wenn „sich nicht ausschließen lässt, dass in anderen Mitgliedstaaten ansässige Staatsangehörige Interesse daran hatten oder haben, von diesen Freiheiten Gebrauch zu machen, um in dem Mitgliedstaat, der die betreffende nationale Regelung erlassen hat, Tätigkeiten auszuüben“, zweitens wenn „die Entscheidung, die das vorlegende Gericht im Anschluss an das Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs treffen wird, auch in Bezug auf die Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten Wirkungen entfalten wird“, drittens „wenn das nationale Recht dem vorlegenden Gericht vorschreibt, einem Staatsangehörigen des Mitgliedstaats, zu dem dieses Gericht gehört, die gleichen Rechte zuzuerkennen, wie sie einem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats in gleicher Lage aufgrund des Unionsrechts zustünden“, und viertens wenn „die Vorschriften des Unionsrechts durch das nationale Recht, das sich zur Regelung rein innerstaatlicher Sachverhalte, deren Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, nach den im Unionsrecht getroffenen Regelungen richtete, für anwendbar erklärt wurden“ ( 15 ).

    33.

    Es ist gleichwohl eindeutig, dass die im Urteil Ullens de Schooten genannten Fallgestaltungen nicht alle Sachverhalte abschließend erfassen, die in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen können ( 16 ). In jener Rechtssache ging es lediglich um die Behauptung eines grenzüberschreitenden Potenzials im Zusammenhang damit, die Freizügigkeitsregeln des Vertrags im Kontext eines Staatshaftungsanspruchs wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht geltend zu machen. Der Gerichtshof antwortete also im Hinblick auf die geltend gemachten Vertragsbestimmungen.

    34.

    Die weitere, typischerweise in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallende Fallgestaltung ist, dass auch ohne grenzüberschreitenden Bezug der fragliche Bereich durch eine Bestimmung des Unionsrechts geregelt wird.

    2) (Harmonisierungs‑)Maßnahme des (sekundären) Unionsrechts?

    35.

    Gibt es eine Bestimmung des Unionsrechts (typischerweise eine Harmonisierungsbestimmung des sekundären Rechts), die auf die vorliegende Rechtssache anwendbar sein und einer Auslegung bedürfen könnte? Gilt die Bestimmung des Unionsrechts für das Rechtsgebiet, in dem der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens sich abspielt? Enthält diese Bestimmung eine rechtliche Regelung, die dahin ausgelegt werden könnte, dass sie sich auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens bezieht? Wenn ja, fällt die Rechtssache wahrscheinlich in den Geltungsbereich des Unionsrechts, soweit es um die Auslegung dieser Bestimmung geht.

    36.

    Diese Fallgestaltung ist vom Vorliegen eines grenzüberschreitenden Bezugs weitgehend unabhängig. Eine Reihe von Harmonisierungsmaßnahmen des sekundären Unionsrechts findet auf rein innerstaatliche Sachverhalte Anwendung, obwohl ihre Grundlage in den Verträgen in Bestimmungen über die Freizügigkeit und die Errichtung des Binnenmarkts liegt ( 17 ).Es ist daher für die Zuständigkeit des Gerichtshofs unerheblich, ob der Sachverhalt tatsächlich rein innerstaatlich ist, d. h., ob die tatsächlichen Umstände allesamt nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.

    37.

    Soweit ein tatsächlicher oder potenzieller grenzüberschreitender Bezug nicht gegeben ist, kann ein hinreichender Anknüpfungspunkt dafür, dass das Unionsrecht anwendbar wird, auch darin liegen, dass im (sekundären) Unionsrecht einschlägige, potenziell anwendbare rechtliche Regelungen festgelegt sind, die zwischen Tätigkeiten mit ausländischem Bezug und Tätigkeiten ohne einen solchen nicht unterscheiden ( 18 ). Sofern somit der Anwendungsbereich der Maßnahme nicht ausdrücklich auf Fallgestaltungen mit grenzüberschreitender Dimension beschränkt ist, kann darin, dass Harmonisierungsmaßnahmen existieren und diese für die jeweilige Rechtssache einer Auslegung bedürfen, ein hinreichender Anknüpfungspunkt dafür liegen, dass das Unionsrecht anwendbar wird ( 19 ).

    38.

    Meines Erachtens fällt eine Frage bereits dann in den Geltungsbereich des Unionsrechts, wenn es Regelungen des sekundären Unionsrechts gibt, die den betreffenden Bereich oder die betreffenden Fragen allgemein regeln. Es ist daher auf der Ebene der Prüfung der Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht erforderlich, eine konkrete unionsrechtliche Regelung oder Verpflichtung eindeutig und unmissverständlich benennen zu können, die auf die Rechtssache Anwendung findet.

    39.

    Dies mag ein neueres Beispiel aus einem anderen Bereich des Unionsrechts veranschaulichen. Das Urteil Moro ( 20 ) betraf die Frage, ob das Unionsrecht einer Bestimmung des italienischen Rechts entgegensteht, wonach die Verhängung einer Strafe im Verständigungsverfahren nach einem Geständnis des Angeklagten nicht beantragt werden kann, nachdem die Hauptverhandlung eröffnet worden ist. Diese Frage stellte sich als solche der Auslegung der Richtlinie 2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren ( 21 ), insbesondere des Art. 6 (Recht auf Unterrichtung über den Tatvorwurf). Es war kaum zweifelhaft, dass die Richtlinie allgemein auf diese Art von Fällen sachlich anwendbar sein konnte. Ob diese Richtlinie im konkreten Kontext des Ausgangsverfahrens konkrete Verpflichtungen der Mitgliedstaaten begründete, war dann eine Frage der Prüfung der Begründetheit der Rechtssache und nicht der Zulässigkeit oder der Zuständigkeit des Gerichtshofs ( 22 ).

    40.

    In meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Moro ( 23 ) habe ich mich ferner bemüht, herauszuarbeiten, welche eher seltsame Folge es hätte, wenn in derartigen Fällen zwischen dem Geltungsbereich des Unionsrechts (und der Zuständigkeit des Gerichtshofs) und der Prüfung, ob eine sich aus seinen Bestimmungen ergebende konkrete Verpflichtung gegeben ist (einer Frage der Begründetheit), nicht eindeutig unterschieden würde. Wenn zugelassen würde, dass diese beiden Fragen miteinander zusammenfallen, dann würde die gesamte Prüfung der Begründetheit der Rechtssache innerhalb der Prüfung der Zuständigkeit des Gerichtshofs stattfinden.

    41.

    Zusammenfassend lehnt der Gerichtshof seine Zuständigkeit ab, wenn der betreffende Sachverhalt, in seinen Merkmalen sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweist ( 24 ) oder wenn offensichtlich keine Vorschrift des Unionsrechts, insbesondere auch nicht diejenigen, um deren Auslegung der Gerichtshof ersucht wird, anwendbar ist ( 25 ). Auch wenn diese beiden Fallgestaltungen sich gelegentlich im Einzelfall überschneiden mögen (z. B. bei Vorliegen eines einen grenzüberschreitenden Sachverhalt regelnden Rechtsakts des sekundären Unionsrechts), sei abschließend darauf hingewiesen, dass sie sich in ihren Grundgedanken unterscheiden. Ob ein grenzüberschreitender Bezug (und kein rein innerstaatlicher Sachverhalt) vorliegt, ist im Wege einer Tatsachenprüfung anhand des Sachverhalts des jeweiligen Einzelfalls zu prüfen. Ob (k)eine Harmonisierungsmaßname des Unionsrechts existiert, ist dagegen eine normative Prüfung eines bestimmten Rechtsgebiets: Gibt es Maßnahmen des Unionsrechts, die auf die jeweilige Rechtssache potenziell anwendbar sein könnten?

    3) Vorliegende Rechtssache

    42.

    Im Licht der soeben skizzierten Erwägungen fällt die vorliegende Rechtssache mindestens unter drei Gesichtspunkten in den Geltungsbereich des Unionsrechts, nämlich wegen i) eines grenzüberschreitenden Bezugs im Kontext des freien Warenverkehrs und der sich daraus ergebenden Folgen für die Haftung, ii) der potenziellen Freiheit, (Versicherungs‑)Dienstleistungen aus einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen, und iii) des normativen Gegenstands der Rechtssache, nämlich der Haftung der Hersteller für fehlerhafte Produkte bzw. für Medizinprodukte als Waren im Binnenmarkt, die beide durch das sekundäre Unionsrecht teilweise harmonisiert sind.

    43.

    Erstens waren die Medizinprodukte, die die Klägerin geschädigt haben sollen, unionsweit auf den Markt gebracht worden: Sie wurden in Frankreich hergestellt und dann in den Niederlanden von einem niederländischen Unternehmen vertrieben, das sie schließlich in Deutschland verkaufte. Die Fragen, die das vorlegende Gericht stellt, beziehen sich zwar auf die eine oder andere Weise auf den späteren Schaden, der einem Bewohner eines Mitgliedstaats innerhalb dieses Mitgliedstaats durch diese offenbar fehlerhaften Waren entstanden ist. Es lässt sich jedoch kaum bestreiten, dass der Schaden in gewisser Weise Folge des Warenhandels innerhalb der Union war. Ebenso wird mit den vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen konkret nach dem Umfang der Haftung eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Herstellers und einer Beteiligung von Behörden an der Haftung und einer Pflichtversicherungsregelung gefragt.

    44.

    Zweitens gibt es, ebenso wie es unzweifelhaft einen vorgelagerten freien Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten gab (da die Waren, die den Schaden verursachten, bewegt worden sind), auch einen nachgelagerten angeblichen potenziell grenzüberschreitenden Bezug. Wenn die Territorialklausel nämlich als mit dem Unionsrecht unvereinbar angesehen würde, könnte die in Deutschland ansässige Klägerin möglicherweise Ersatz von der in Frankreich ansässigen Beklagten verlangen und somit als Geschädigte Ansprüche aus einer grenzüberschreitenden Versicherung geltend machen ( 26 ). Auch wenn dieser Anknüpfungspunkt meines Erachtens zugegebenermaßen im Gegensatz zum ersten eher schwach ist, ist doch ebenso richtig, dass der Gerichtshof in seiner früheren Freizügigkeitsrechtsprechung einen eher großzügigen Ansatz in Bezug darauf verfolgt hat, auch fernliegende Fallgestaltungen unter die vier Grundfreiheiten zu fassen.

    45.

    Drittens berührt der Gegenstand der vorliegenden Rechtssache Fragen, in denen in gewissem Maße eine Harmonisierung erfolgt ist, wie etwa die Haftung für fehlerhafte Waren oder Medizinprodukte. Die Richtlinie 85/374/EWG ( 27 ) begründet den Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung der Hersteller fehlerhafter Produkte. Die Richtlinie 93/42 wiederum harmonisierte die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Patienten und Anwender von Medizinprodukten. Diese Richtlinie regelt das Inverkehrbringen dieser Produkte und legt Normen zum Schutz vor den Risiken im Zusammenhang mit der Auslegung, Herstellung und Verpackung von Medizinprodukten fest.

    46.

    Regeln Bestimmungen dieser sekundärrechtlichen Rechtsakte (gegebenenfalls in ihrer Auslegung für sich oder zusammen betrachtet) den Abschluss einer Haftpflichtversicherung für die Verwendung von Medizinprodukten durch Patienten? Erinnert sei daran, dass es im Rahmen der Prüfung der Zuständigkeit des Gerichtshofs um den Gegenstand der betreffenden Rechtsakte, insbesondere ihren sachlichen Anwendungsbereich, im Vergleich zum Gegenstand des Rechtsstreits geht. Dagegen ist die Frage, ob konkrete Verpflichtungen existieren oder nicht, eine Frage der Auslegung dieser Rechtsakte ( 28 ).

    47.

    Demnach ist im Ergebnis der Gerichtshof für das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zuständig.

    48.

    Dieses Ergebnis gilt unabhängig von dem von der Beklagten und der französischen Regierung wiederholt hervorgehobenen Umstand, dass die Klägerin, die die für die in Rede stehenden Brustimplantate in Frankreich geltende Versicherung für sich in Anspruch nehmen will, von ihrer Freizügigkeit selbst keinen Gebrauch gemacht hat. Sie ist eine deutsche Staatsangehörige, der in Deutschland Brustimplantate eingesetzt wurden. Es gab daher weder einen freien Verkehr von Personen (die Klägerin hat sich nicht fortbewegt) noch einen freien Verkehr von (medizinischen) Dienstleistungen (die Operation wurde an einer in Deutschland ansässigen Person in Deutschland vorgenommen).

    49.

    Diese Punkte sprechen jedoch gewiss nicht gegen die unter den oben genannten drei Gesichtspunkten bereits bejahte Zuständigkeit des Gerichtshofs, sondern sind Ausdruck eines anderen Problems, das die vorliegende Rechtssache aufweist. Das vorlegende Gericht stützt sich in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausschließlich auf Art. 18 AEUV, ohne andere Bestimmungen des Primär- oder Sekundärrechts der Union ausdrücklich anzuführen, gegen die die territoriale Beschränkung der Versicherung verstoßen haben könnte. Es bleibt somit gewissermaßen der Phantasie überlassen, welche der konkreten Freiheiten (Waren‑, Dienstleistungs- oder Personenfreiheit) möglicherweise Anwendung finden könnte, und in welcher konkreten Konstellation, wobei die verschiedenen Beteiligten in der Tat auch zu verschiedenen Grundfreiheiten vortragen. Daraus ergibt sich unmittelbar die eigentliche Frage der vorliegenden Rechtssache: Steht dieser territorialen Beschränkung tatsächlich eine konkrete Bestimmung des Unionsrechts entgegen? Falls nicht, kann Art. 18 AEUV für sich genommen eine solche Bestimmung darstellen?

    B.   Spezielle Bestimmung des Unionsrechts?

    50.

    Mit seinen Fragen stützt das vorlegende Gericht sich allein auf Art. 18 AEUV. Nach dieser Bestimmung ist „[u]nbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge … in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten“. Nach ständiger Rechtsprechung soll Art. 18 AEUV, in dem der allgemeine Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verankert ist, „eigenständig nur bei unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen zur Anwendung kommen, für die der AEU-Vertrag keine besonderen Diskriminierungsverbote vorsieht“ ( 29 ).

    51.

    Art. 18 AEUV hat somit eine Auffangfunktion. Wie Generalanwalt Jacobs es einmal formuliert hat, liegt die Funktion dieser Bestimmung darin, „die Lücken zu füllen, die die spezielleren Vertragsvorschriften lassen“ ( 30 ). Art. 18 AEUV findet nur dann Anwendung, wenn keine speziellere Vorschrift (lex specialis) anwendbar ist, die eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet.

    52.

    Gibt es neben diesem Lückenschluss, der Auffangfunktion, eine eigenständige Funktion für Art. 18 AEUV? Da in Art. 18 AEUV auf andere Bestimmungen Bezug genommen wird („unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge“), sind andere möglicherweise relevante Bestimmungen des Unionsrechts in Betracht zu ziehen, die spezielle Verbote der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit enthalten, auch wenn sie vom vorlegenden Gericht nicht ausdrücklich erwähnt werden ( 31 ), bevor auf Art. 18 AEUV einzugehen ist ( 32 ). Bei der Auswahl der möglicherweise einschlägigen Grundfreiheiten entscheidet der Gerichtshof nicht abstrakt, sondern auf der Grundlage der ihm vorliegenden Rechtssache ( 33 ).

    53.

    Daher werde ich, bevor ich auf den Anwendungsbereich von Art. 18 AEUV als eigenständiger Bestimmung eingehe (4), zunächst prüfen, ob es spezielle Bestimmungen des sekundären Rechts gibt, die einschlägig sind (1), welche Folgen und welche Reichweite die Regelungen über den freien Warenverkehr in der vorliegenden Rechtssache haben (2) und ob in anderen Mitgliedstaaten geschädigte Patienten Versicherungsleistungen in Anspruch nehmen können (3).

    1. Sekundärrecht: Produkthaftung und Medizinprodukte

    54.

    Nach Art. 1 der Richtlinie 85/374 über die Produkthaftung „[haftet d]er Hersteller eines Produkts … für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist“. Wenn einem Verbraucher durch ein fehlerhaftes Produkt ein Schaden entsteht, kann der Hersteller auch ohne Fahrlässigkeit oder Verschulden haften. Die Richtlinie 85/374 sieht zwar eine strenge (oder objektive) Haftungsregelung für Hersteller vor, enthält jedoch keine Regelungen zur Pflichtversicherung. Wie für andere Fragen, die sich möglicherweise aus dieser Richtlinie ergeben könnten, darin jedoch nicht ausdrücklich geregelt sind, bereits geklärt, soll die Richtlinie den Bereich der Haftung für fehlerhafte Produkte nicht über die durch sie ausdrücklich geregelten Bereiche hinaus harmonisieren ( 34 ).

    55.

    Was die Bestimmungen der Richtlinie 93/42 über Medizinprodukte angeht, sind nach Anhang XI Nr. 6 dieser Richtlinie lediglich die benannten Stellen verpflichtet, „eine Haftpflichtversicherung ab[zu]schließen, es sei denn, diese Haftpflicht wird vom Staat aufgrund nationalen Rechts gedeckt oder die Prüfungen werden unmittelbar von dem Mitgliedstaat durchgeführt“. Diese Bestimmung wurde vom Gerichtshof im Urteil Schmitt ( 35 ) ausgelegt, wo der Gerichtshof feststellte, dass es nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts Sache der Mitgliedstaaten ist, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen des Verfahrens der EG-Konformitätserklärung gemäß der Richtlinie 93/42 obliegenden Pflichten die Haftung dieser Stelle gegenüber den Endempfängern der Medizinprodukte begründen kann.

    56.

    An dieser Rechtslage dürfte sich auch durch die jüngsten Rechtsvorschriften in Form der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte nicht viel geändert haben ( 36 ). Auch wenn sie natürlich auf die vorliegende Rechtssache zeitlich nicht anwendbar ist, mag gleichwohl erwähnenswert sein, dass die weiteren Anforderungen in dieser Verordnung, obwohl sie im Anschluss an den PIP-Skandal erlassen wurde ( 37 ), nur die Haftung der benannten Stelle betreffen ( 38 ). Sie enthält keine Regelungen zu den Versicherungspflichten von Herstellern. Nach Art. 10 Abs. 16 der Verordnung 2017/745 sind Hersteller lediglich verpflichtet, „eine ausreichende finanzielle Deckung ihrer potenziellen Haftung gemäß der Richtlinie 85/374/EWG zu gewährleisten, unbeschadet strengerer Schutzmaßnahmen nach nationalem Recht“. Diese Bestimmung sieht weiter vor, dass „[n]atürliche oder juristische Personen … für einen Schaden, der durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht wurde, gemäß dem geltenden Unionsrecht und dem geltenden nationalen Recht Schadensersatz verlangen [können]“.

    57.

    Auch wenn Art. 10 Abs. 16 vielleicht expansiv dahin ausgelegt werden könnte, dass darunter potenziell auch eine Haftpflichtversicherung fällt, gibt es andere Wege, um zu gewährleisten, dass Hersteller über „eine ausreichende finanzielle Deckung ihrer potenziellen Haftung“ verfügen, als eine Versicherungspflicht. Ferner wird durch den Verweis auf das nationale Recht in Art. 10 Abs. 16 verdeutlicht, dass der Unionsgesetzgeber hierfür keine harmonisierte Lösung vorsehen wollte, wie etwa eine Haftpflichtversicherung, die von allen Herstellern von Medizinprodukten abzuschließen wäre.

    58.

    In keiner dieser Richtlinien sind somit spezielle Vorschriften über die Haftpflichtversicherung für Schäden, die dem Endverbraucher der Medizinprodukte zugefügt werden, enthalten, die Gegenstand der in der vorliegenden Rechtssache konkret aufgeworfenen Frage ist. Anders als z. B. im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung ( 39 ), wo eine Versicherungspflicht für Fahrzeuge für das gesamte Unionsgebiet festgelegt wurde, wollte der Unionsgesetzgeber die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Haftpflichtversicherung für die Verwendung von Medizinprodukten offenkundig nicht harmonisieren. Da diese Frage daher durch das sekundäre Unionsrecht bewusst nicht geregelt wurde, ist die vorliegende Rechtssache anhand des primären Unionsrechts zu beurteilen ( 40 ).

    2. Freier Warenverkehr

    59.

    In der Rechtsprechung zum freien Warenverkehr hat der Gerichtshof nicht gezögert, nationale Maßnahmen als Beschränkungen der Freizügigkeit im Sinne von Art. 34 AEUV ( 41 ) (oder Art. 35 AEUV) anzusehen.Selbst bei diesem expansiven Ansatz zur Qualifizierung von Regelungen, die den freien Verkehr von Waren zwischen den Mitgliedstaaten behindern könnten (1), kann jedoch meines Erachtens eine nationale Regelung des Ursprungs- oder Herkunftsmitgliedstaats (in diesem Fall Frankreich), die nicht den Warenverkehr in einem herkömmlichen Sinne, sondern die Modalitäten der späteren Verwendung betrifft, nicht als eine den freien Verkehr dieser Waren behindernde Maßnahme qualifiziert werden (2).

    1) Austritt, Eintritt und Zugang: der freie Verkehr von Waren in der Union

    60.

    Was Austrittsschranken angeht, die typischerweise Regelungen des Herkunftsmitgliedstaats betreffen werden, hat der Gerichtshof entschieden, dass eine für alle im Inland tätigen Wirtschaftsteilnehmer geltende nationale Maßnahme, die tatsächlich die Ausfuhren, d. h., wenn die Waren den Markt des Ausfuhrmitgliedstaats verlassen, stärker betrifft als den Absatz der Waren auf dem inländischen Markt, unter das Verbot des Art. 35 AEUV fällt ( 42 ).

    61.

    Was Eintrittsschranken betrifft, die typischerweise durch Regelungen des Aufnahmemitgliedstaats aufgestellt werden, erfasst Art. 34 AEUV eine große Bandbreite von Maßnahmen von diskriminierenden Hindernissen ( 43 ) bis zu physischen Handelsschranken ( 44 ) und Produktanforderungen (wie etwa hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer Zusammensetzung, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung), auch wenn diese Anforderungen unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten und nicht bezwecken, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu regeln ( 45 ).

    62.

    Die aktuellste Bestätigung der letzteren Rechtsprechung erfolgte durch die Urteile Kommission/Italien und Mickelsson und Roos ( 46 ) für nationale Maßnahmen in Bezug auf die Verwendung von Produkten im Aufnahmemitgliedstaat. Der Gerichtshof stellte fest, dass neben Maßnahmen, mit denen bezweckt oder bewirkt wird, Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten weniger günstig zu behandeln, auch alle sonstigen Maßnahmen, die den Zugang zum Markt eines Mitgliedstaats für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten behindern, unter Art. 34 AEUV fallen, da „die Beschränkung der Verwendung eines Erzeugnisses, die sie im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats auferlegt, je nach ihrer Tragweite erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher haben [kann], das sich wiederum auf den Zugang des Erzeugnisses zum Markt des Mitgliedstaats auswirken kann“ ( 47 ).

    63.

    Den roten Faden in der umfangreichen Rechtsprechung des Gerichtshofs zum freien Warenverkehr auszumachen, ist keine leichte Aufgabe ( 48 ). Für die vorliegende Rechtssache sind indes drei Aspekte hervorhebenswert.

    64.

    Erstens betrifft der freie Warenverkehr grenzüberschreitende Bewegungen und Regelungen, die den Austritt oder Eintritt verhindern. Es geht somit um die Mobilität oder den freien Verkehr von Waren, typischerweise im Hinblick darauf, ob die Waren in den Markt des Aufnahmemitgliedstaats gelangen können. Unter die Art. 34 und 35 AEUV fallen nationale Bestimmungen, die den Eintritt oder den Austritt eines Erzeugnisses behindern.

    65.

    Die Verkehrsfreiheitsregelungen sind jedoch nicht dazu bestimmt, die spätere Verwendung oder den späteren Verbrauch der Waren im Aufnahmemitgliedstaat zu regeln. Wenn somit Waren einen Mitgliedstaat verlassen und einen anderen erreicht haben, hat ein „grenzüberschreitender Verkehr“ stattgefunden. Auch wenn diese Waren sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats im freien Verkehr befinden, müssen sie im Rahmen der Ausübung der Regulierungsautonomie dieses Mitgliedstaats dessen Regelungen entsprechen.

    66.

    Zweitens ist zuzugestehen, dass die Regelungen über den freien Warenverkehr, auch wenn sie nicht dazu bestimmt sind, die spätere Verwendung im Aufnahmemitgliedstaat zu regeln, in gewissem Maße eine überschießende Wirkung haben. Von der Rechtsprechung zum freien Warenverkehr werden eindeutig bestimmte Modalitäten der Verwendung, des Verbrauchs oder sonstige einschlägige nationale Regelungen des Aufnahmemitgliedstaats berührt. Diese Fälle einer überschießenden Wirkung betreffen allerdings meines Erachtens richtigerweise nur entweder völlige Verbote bestimmter Tätigkeiten oder Praktiken, die die Verwendung und Vermarktung bestimmter Waren oder ihren tatsächlichen Marktzugang (nahezu) vollständig verhindern ( 49 ).

    67.

    Drittens kam es, gerade um eine solche unerwünschte überschießende Wirkung zu begrenzen, zum Urteil Keck ( 50 ) und zur Begrenzung der Reichweite der Art. 34 und 35 AEUV durch das Näheerfordernis.

    68.

    Zum einen begrenzte der Gerichtshof die Reichweite von Art. 34 AEUV, indem er bestimmte Verkaufsmodalitäten von seinem Anwendungsbereich ausnahm. Nach der Keck-Rechtsprechung ( 51 ) sind nationale Bestimmungen, die Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nicht geeignet, den Handel innerhalb der Union zu behindern, sofern sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.

    69.

    Zum anderen begrenzt der Gerichtshof die Reichweite der Art. 34 und 35 AEUV mit einem Kriterium der Entferntheit. Nach ständiger Rechtsprechung erfassen diese Artikel nicht eine Maßnahme, die ohne Unterschied gilt, die nicht den Warenhandel mit anderen Mitgliedstaaten regeln soll und deren beschränkende Wirkungen, die sie für den freien Warenverkehr haben könnte, zu ungewiss und zu mittelbar sind, als dass die in ihr aufgestellte Verpflichtung als geeignet angesehen werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern ( 52 ).

    70.

    Auch wenn sie unter verschiedenen Überschriften genannt sind, liegt dem Urteil Keck und dem Erfordernis der Nähe (bzw. dem Ausschluss der Entferntheit) der gleiche Grundgedanke zugrunde: Sie nehmen von der Reichweite von Art. 34 AEUV insbesondere sämtliche nationalen Regelungen aus, die nicht entweder den Warenverkehr oder unmittelbar nachfolgende oder damit zusammenhängende Schritte betreffen, die eine eindeutige Wirkung auf den Zugang haben und somit den Zugang selbst behindern.

    2) Fehlender Versicherungsschutz und „erheblicher Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher“

    71.

    Mit diesem Prüfungsrahmen im Blick dürften die Regelungen über den freien Warenverkehr keine Grundlage dafür liefern, das Fehlen von Regelungen über eine Versicherungspflicht für die Haftung von Herstellern von Medizinprodukten im Aufnahmemitgliedstaat letztlich dadurch ausgleichen zu wollen, dass derartige Regelungen, die im Herkunftsmitgliedstaat, aus dem die Waren stammen, existieren, importiert werden.

    72.

    Diese Schlussfolgerung wird durch zwei besondere Merkmale der vorliegenden Rechtssache noch weiter unterstrichen.

    73.

    Erstens wurde das vorliegende Verfahren nicht von einer Person eingeleitet, die üblicherweise Kläger in derartigen Rechtsstreitigkeiten wäre: einem Hersteller der betreffenden Waren, einem Importeur oder einem Wirtschaftsteilnehmer. Es wird auch nicht von einem Hersteller von Medizinprodukten vorgetragen, dass die betreffende Versicherungspflicht eine Austrittsschranke (für französische Hersteller) oder eine Eintrittsschranke (für ausländische Hersteller) darstelle ( 53 ). Dies wird natürlich auch von der Klägerin nicht vorgetragen. Sie macht nicht geltend, dass die betreffenden Regelungen den Austritt von in Frankreich hergestellten Medizinprodukten behinderten und sich hierdurch auf (deutsche) Anwender dieser Produkte auswirkten. Es ist vielmehr so, dass durch die Produkte, nachdem sie von Frankreich über die Niederlande nach Deutschland verbracht waren, der Klägerin als Patientin, d. h. als Endverbraucherin des Produkts, ein Schaden entstand.

    74.

    Zweitens ist das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache ein Gericht des Aufnahmemitgliedstaats (Deutschland), das nach den Rechtsvorschriften des Herkunftsmitgliedstaats (Frankreich) fragt, was im Kontext der Regelungen des freien Warenverkehrs ungewöhnlich ist ( 54 ). Üblicherweise werden in diesem Kontext unabhängig davon, ob es um angebliche Eintritts- oder Austrittsschranken geht, Maßnahmen des Herkunftsstaats (die angeblich den Austritt behindern) vor den Gerichten des Herkunftsstaats angefochten, während Maßnahmen des Aufnahmestaats (die angeblich den Eintritt behindern) vor den Gerichten des Aufnahmestaats angefochten werden. Dementsprechend wäre dann, wenn die vorliegende Rechtssache ein „übliches“ Verfahren über Verkehrsfreiheiten wäre, das vorlegende Gericht entweder ein französisches Gericht, das darüber zu befinden hätte, ob die französischen Regelungen eine Austrittsschranke darstellen, oder das (deutsche) vorlegende Gericht würde Fragen nach der Vereinbarkeit des deutschen Rechts mit dem Unionsrecht stellen.

    75.

    Demgegenüber ersucht in der vorliegenden Rechtssache allerdings ein deutsches Gericht um Hinweise des Gerichtshofs zu einer Frage, die französische Regelungen betrifft, und in einem Verfahren, das vom Endverbraucher der Waren eingeleitet wurde. Im Sinne der Grundgedanken der Regelungen über den freien Warenverkehr ist die Frage dann im Wesentlichen, ob der Umstand, dass die an die in Frankreich hergestellten Medizinprodukte geknüpfte Pflichtversicherung mit diesen Waren nicht „mitreist“, aus der Sicht eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Endverbrauchers eine Schranke für die Freizügigkeit darstellt.

    76.

    Auf diese Frage wäre meine Antwort ein klares „Nein“. Dass die Versicherung mit den Waren nicht „mitreist“, obwohl sie im Herkunftsmitgliedstaat für die spätere Verwendung dieser Waren in diesem Mitgliedstaat verpflichtend ist, ist keine Frage, die unter Art. 34 oder Art. 35 AEUV fällt.

    77.

    Richtig ist, dass eine recht lange hypothetische Kausalitätskette heraufbeschworen werden könnte, um solche nationalen Regelungen (bzw. vielmehr das Fehlen solcher Regelungen) unter dem Gesichtspunkt des freien Warenverkehrs problematisch erscheinen zu lassen. Ausgehend z. B. vom Urteil Mickelsson und Roos könnte die Ansicht vertreten werden, dass der Umstand, dass die Versicherung ausschließlich auf das Hoheitsgebiet des Herkunftsmitgliedstaats begrenzt ist, „erheblichen Einfluss auf das Verhalten der Verbraucher“ im Aufnahmemitgliedstaat haben und somit als Hindernis für den Marktzugang wirken könnte ( 55 ). Natürlich sind Medizinprodukte keine gewöhnlichen Waren. Die Verbraucher werden wahrscheinlich eingehend recherchieren, bevor sie ein Medizinprodukt erwerben und es in ihren Körper einsetzen lassen. Es könnte somit die Ansicht vertreten werden, dass eine deutsche Verbraucherin Kenntnis davon erlangen könnte, dass der Hersteller dieser konkreten Medizinprodukte für seine Haftpflicht nur im französischen Hoheitsgebiet versichert ist, und dass sie, wenn die Medizinprodukte fehlerhaft wären und wenn der Hersteller insolvent würde, Kenntnis davon hätte, dass sie keinen Ersatz erhalten könnte, weil der Vertrag des französischen Herstellers mit seinem Versicherer in Frankreich eine territoriale Beschränkungsklausel vorsieht. In einer solchen Fallgestaltung mit vollständiger, an Vorhersehung grenzender Kenntnis könnte ein deutscher Verbraucher daher potenziell davon abgehalten werden, ein solches Produkt aus Frankreich zu erwerben, so dass der grenzüberschreitende Warenverkehr tatsächlich beeinträchtigt würde.

    78.

    Die Anzahl der „Wenns“ in diesen Annahmen verdeutlicht jedoch, warum eine solche Fallgestaltung zu entfernt und hypothetisch ist, um noch etwas mit den Regelungen über den freien Warenverkehr zu tun zu haben. Würde dieser Logik gefolgt, was hier nicht der Fall ist, könnte potenziell jedwede nationale Regelung des Herkunftsmitgliedstaats – zumindest aber solche, die günstiger sind als diejenigen des Aufnahmemitgliedstaats – eine Rolle spielen.

    79.

    In gewisser Weise ist der vorliegende Sachverhalt im Hinblick auf den Zugang zu einem Markt des Aufnahmemitgliedstaats (oder gar den Austritt aus dem Herkunftsmarkt) sogar noch entfernter und hypothetischer als die berühmt(‑berüchtigte) Rechtsprechung zur Frage des „Verkaufs an Sonntagen“ ( 56 ), die dem Urteil Keck zugrunde lag. In den Fällen des Verkaufs an Sonntagen hatte ein allgemeingültiges Verbot für Geschäfte, am Sonntag zu öffnen, eindeutige Auswirkungen auf das Gesamtvolumen des Absatzes, einschließlich des Absatzes von Waren aus anderen Mitgliedstaaten. In der vorliegenden Rechtssache ist die Kette der „Wenns“ erheblich länger.

    80.

    Die Regelungen des Vertrags über den freien Warenverkehr sind folglich auf die Modalitäten der späteren Verwendung der Waren im Herkunftsmitgliedstaat nicht anwendbar, sofern diese Modalitäten den Zugang zum Markt dieses Mitgliedstaats nicht direkt und unmittelbar behindern. Vom Standpunkt des Endverbrauchers betrifft eine Verpflichtung des Herstellers zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung für fehlerhafte Produkte oder das Fehlen einer solchen Verpflichtung ausschließlich die Modalitäten der späteren Verwendung der Waren im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats und betrifft weder direkt noch unmittelbar den Austritt der Waren aus dem Herkunftsmitgliedstaat noch den Zugang zum Markt des Aufnahmemitgliedstaats.

    3. Freiheit der Inanspruchnahme von (Versicherungs‑)Dienstleistungen aus einem anderen Mitgliedstaat

    81.

    Die Freiheit der Erbringung von Dienstleistungen ist in der vorliegenden Rechtssache offenbar nicht relevant. Erstens ist sie in tatsächlicher Hinsicht nicht Gegenstand des Ausgangsverfahrens, da die Klägerin die Endverbraucherin eines Medizinprodukts und nicht Erbringerin von Dienstleistungen ist. Zweitens berühren die in Rede stehenden Regelungen nicht die Freiheit der Erbringung von Dienstleistungen, seien es medizinische Dienstleistungen oder Versicherungsdienstleistungen. Was die Freiheit der Erbringung von Versicherungsdienstleistungen angeht, hindert, wie von der französischen Regierung vorgetragen, die territoriale Beschränkung der in Rede stehenden Versicherungspflicht Versicherungsunternehmen nicht daran, Medizinprodukte, die in Frankreich hergestellt, aber in einem anderen Mitgliedstaat verwendet werden, zu versichern. Hersteller und Versicherungsunternehmen können nämlich im Rahmen der Ausübung ihrer Vertragsfreiheit über den territorialen Geltungsbereich des Versicherungsvertrags entscheiden und über das nach französischem Recht erforderliche gesetzliche Minimum, nämlich den Versicherungsschutz auf französischem Hoheitsgebiet, hinausgehen.

    82.

    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs umfasst die Freiheit der Erbringung von Dienstleistungen jedoch auch die Freiheit der Empfänger, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, um eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin könnte hypothetisch betrachtet zwei Arten von Dienstleistungen in Anspruch genommen haben: medizinische Dienstleistungen und Versicherungsdienstleistungen. Der Gerichtshof hat bereits bestätigt, dass Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen, als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen sind ( 57 ).

    83.

    Die Klägerin nahm medizinische Dienstleistungen jedoch in Deutschland und nicht in Frankreich in Anspruch. Sofern nicht die Rechtsprechung zu Dienstleistungsempfängern dahin umzudeuten wäre, dass sie auch „ein Reisen ohne Fortbewegung“ einschließt, gab es schlicht keinen grenzüberschreitenden Bezug.

    84.

    Die einzig verbleibende Fallgestaltung wäre, die Rechtsstellung der Klägerin als diejenige einer potenziellen Empfängerin von Versicherungsdienstleistungen aufzufassen. Diese Dienstleistungen hätten nämlich grenzüberschreitenden Charakter in dem Sinne, dass eine in Deutschland ansässige Person als Geschädigte in Frankreich von einem französischen Versicherer Ersatz verlangt. Das Bestehen der territorialen Beschränkung würde somit ein Hindernis für die freie Inanspruchnahme von Versicherungsdienstleistungen aus dem Ausland darstellen.

    85.

    Eine solche Konstruktion wirft eine Reihe von Problemen auf. Zusammen betrachtet, würden diese Probleme die Freiheit der Inanspruchnahme von Dienstleistungen über ihre logischen Grenzen hinaus ausdehnen.

    86.

    Zugestandenermaßen ist auf das Urteil Cowan hinzuweisen ( 58 ). Jene Rechtssache betraf einen britischen Staatsangehörigen, der vom französischen Staat Schadensersatz wegen eines Überfalls verlangte, der auf ihn während eines Aufenthalts als Tourist in Paris verübt wurde. Nach den französischen Rechtsvorschriften war der Schadensersatz auf französische Staatsangehörige und ausländische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Frankreich beschränkt. Der Gerichtshof entschied, dass, „[wenn] das Gemeinschaftsrecht einer natürlichen Person die Freiheit [garantiert], sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, [es] zwingende Folge dieser Freizügigkeit [ist], dass Leib und Leben dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat in gleicher Weise geschützt sind, wie dies bei den eigenen Staatsangehörigen und den in diesem Staat wohnhaften Personen der Fall ist. Daraus folgt, dass das Diskriminierungsverbot gegenüber Dienstleistungsempfängern im Sinne des EWG-Vertrags gilt, soweit es um den Schutz vor möglichen Gewalttaten und, falls eine Gewalttat verübt wird, um den im nationalen Recht vorgesehenen Anspruch auf Geldersatz geht.“ ( 59 )

    87.

    Es gibt aber wesentliche Unterschiede. Erstens hatte nämlich Herr Cowan von der Freizügigkeit (aus dem Vereinigten Königreich nach Frankreich) Gebrauch gemacht, wenn auch lediglich als Tourist. Der Gerichtshof stellte ausdrücklich fest, dass es „zwingende Folge“ dieser Freizügigkeit war, dass Herr Cowan Anspruch darauf hatte, Dienstleistungen in dem ihn aufnehmenden Mitgliedstaat in Anspruch zu nehmen. Er konnte die Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats daher vor einem Gericht dieses Aufnahmemitgliedstaats erfolgreich anfechten. Zweitens lag der dem Urteil Cowan zugrunde liegende Grundgedanke zu einer Zeit, als es eine Unionsbürgerschaft nicht gab ( 60 ), darin, zu gewährleisten, dass „ein reisender Verbraucher“ dieselben Vorteile und Leistungen im Aufnahmemitgliedstaat in Anspruch nehmen konnte wie ein Staatsangehöriger dieses Staates oder eine dort ansässige Person.

    88.

    Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich hiervon. Erstens hat die Klägerin sich nicht fortbewegt. Zweitens wendet sie sich nicht gegen die Rechtsvorschriften ihres Mitgliedstaats (Deutschland), sondern (mittelbar) gegen diejenigen Frankreichs, und zwar vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats.

    89.

    Ferner ist die gedankliche Schwierigkeit, die sich mit einer solchen Konstruktion verbindet, wiederum ihr entferntes und hypothetisches Verhältnis zu einer eindeutigen Regelung des Unionsrechts. Der Blickwinkel der Dienstleistungsfreiheit lässt das eigentliche Problem der vorliegenden Rechtssache in klaren Konturen erscheinen: das Fehlen einer eindeutigen Regelung des Unionsrechts, die der in Rede stehenden territorialen Beschränkung entgegensteht, und die sich daraus ergebenden zahlreichen Hypothesen und Szenarien, wie eine solche Regelung im Nachhinein zu schaffen sein könnte. Dass dieses Vorbringen das Pferd von hinten aufzäumt, wird noch deutlicher im Hinblick auf die potenzielle Erbringung von Dienstleistungen: Weil die Klägerin potenziell eine Entschädigung von der Beklagten verlangen könnte, wenn die territoriale Beschränkungsklausel aus dem Versicherungsvertrag wegfiele, und sie dann Versicherungsdienstleistungen als Geschädigte in Anspruch nehmen könnte, muss die territoriale Beschränkung des Versicherungsschutzes mit dem Unionsrecht unvereinbar sein. Würde dieser Argumentation gefolgt, würde zugelassen, dass sich die Prüfung nach dem (gewünschten) Ergebnis richtet, auch wenn keine Regelung des Unionsrechts einschlägig ist.

    90.

    Meines Erachtens kann einem solchen Ansatz nicht gefolgt werden. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die Klägerin sich unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache auf die Dienstleistungsfreiheit nicht berufen kann.

    4. Art. 18 AEUV

    91.

    In den vorstehenden Teilen der vorliegenden Schlussanträge kam es mir darauf an, auf alle sonstigen materiellen Bestimmungen des Vertrags oder des sekundären Rechts im Einzelnen einzugehen, die potenziell ein auf die vorliegende Rechtssache anwendbares Verbot enthalten könnten. Es gibt aber offenbar keine sonstige Bestimmung des Unionsrechts, jedenfalls aber keine dem Gerichtshof im Laufe des vorliegenden Verfahrens vorgetragene Bestimmung, die einer territorialen Beschränkung in einem von einem Hersteller von Medizinprodukten geschlossenen Versicherungsvertrag entgegenstehen könnte, soweit sie von einer Patientin geltend gemacht wird, die in einem anderen Mitgliedstaat geschädigt wurde.

    92.

    Diese eingehende Erörterung sonstiger potenziell einschlägiger Regelungen des Unionsrechts, insbesondere derjenigen über die Freizügigkeit, war nicht nur dem relativen, subsidiären Charakter von Art. 18 AEUV ( 61 ) geschuldet, sondern auch für ein umfassendes Verständnis dessen erforderlich, wie weit Art. 18 AEUV reichen könnte, wenn er dahin ausgelegt wird, dass er für sich genommen ein allgemeines, eigenständiges Verbot der Diskriminierung im Geltungsbereich der Verträge begründet.

    93.

    Im vorliegenden abschließenden Abschnitt werde ich zunächst erörtern, warum der Gerichtshof Art. 18 AEUV in seiner jüngeren Rechtsprechung (größtenteils) nicht so weit reichend ausgelegt hat (1). Dann werde ich darlegen, inwieweit Art. 18 AEUV im Kontext der vorliegenden Rechtssache tatsächlich als eigenständige Vorschrift verstanden und angewendet werden könnte, die von anderen Bestimmungen des Unionsrechts unabhängige durchsetzbare Verpflichtungen begründet (2). Abschließend werde ich erläutern, warum, auch wenn ich für den Vortrag der Klägerin ein hohes Maß an moralischem Verständnis habe, es meines Erachtens systematisch hochgradig problematisch wäre, Art. 18 AEUV in dieser Weise auszulegen. Damit würde Art. 18 AEUV zu einer unbegrenzten Harmonisierungsbestimmung mit der Folge, dass die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten aufgehoben und problematische Konflikte zwischen rechtlichen Regelungen innerhalb des Binnenmarkts geschaffen würden (3).

    1) Art. 18 AEUV und der Fall eines von der Freizügigkeit Gebrauch machenden Unionsbürgers

    94.

    Art. 18 AEUV ist „in allen Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen“, anwendbar. Als eine dieser „Situationen, die in den sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen“, hat der Gerichtshof insbesondere „die Situation eines Unionsbürgers, der von seiner Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, [als] in den Anwendungsbereich von Art. 18 AEUV, in dem der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verankert ist“, fallend angesehen ( 62 ).

    95.

    Zwar ist der Gerichtshof im Kontext der Anwendung von Art. 18 AEUV nicht sehr streng in seiner Beurteilung, ob tatsächlich eine Verkehrsbewegung gegeben ist. Es gibt bestimmte, insbesondere jüngere, die Unionsbürgerschaft betreffende Linien der Rechtsprechung, in denen die tatsächliche Ausübung der Freizügigkeit durch die betreffende Partei nicht ohne Weiteres offenkundig ist ( 63 ). Im Allgemeinen jedoch ist irgendeine Form von Bewegung eines Unionsbürgers, bzw. in einer Reihe von Fällen von mit einem Unionsbürger eng verbundenen Personen, weiterhin erforderlich. Die bloße Ansässigkeit in einem Mitgliedstaat ist für die Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV nicht ausreichend ( 64 ). Nur Personen, die sich tatsächlich fortbewegt haben, können diese Bestimmung für sich in Anspruch nehmen ( 65 ).

    96.

    Außerhalb der Unionsbürgerschaft, in deren Kontext Art. 18 AEUV tendenziell am häufigsten geltend gemacht wird, hat der Gerichtshof in wenigen Fällen auch anerkannt, dass Art. 18 AEUV anwendbar werden kann, wenn der jeweilige Sachverhalt eine nationale Maßnahme betrifft, durch die ein Rechtsakt des sekundären Unionsrechts umgesetzt wird ( 66 ), oder im Hinblick auf die Wirkungen des Gegenstands auf den Handel mit Waren und Dienstleistungen innerhalb der Union, soweit es um die Gewerbefreiheit geht ( 67 ), oder wenn der Fall durch Harmonisierungsmaßnahmen der Union besonders geregelt ist, wie z. B. im Urteil International Jet Management ( 68 ).

    97.

    Das letztere Urteil, wonach Art. 18 AEUV durch bestehende Harmonisierungsmaßnahmen des Unionsrechts anwendbar wird, muss jedoch im Zusammenhang betrachtet werden. Im Gegensatz zu der lockeren und weit definierten gegenstandsbezogenen Prüfung des sekundären Unionsrechts bei der Entscheidung über die Zuständigkeit des Gerichtshofs ( 69 ) muss für die Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV als materielle und durchsetzbare Verpflichtung die betreffende Frage (oder der Gegenstand im engeren Sinne) speziell harmonisiert worden sein, so dass er in den materiellen Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt und Art. 18 AEUV somit anwendbar wird.

    2) Art. 18 AEUV als unabhängige Grundlage einer materiellen Verpflichtung

    98.

    Art. 18 Abs. 1 AEUV nennt drei Voraussetzungen für seine Anwendung im jeweiligen Einzelfall: i) Die Situation muss in den Geltungsbereich der Verträge fallen, ii) für sie dürfen keine besonderen Vorschriften der Verträge gelten, und iii) es muss eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vorliegen.

    99.

    Was die erste Voraussetzung angeht, kann ausgehend von dem großzügigen Ansatz zur Freizügigkeit in der Rechtsprechung davon ausgegangen werden, dass die vorliegende Rechtssache in den Geltungsbereich des Unionsrechts fällt ( 70 ). Es könnte jedoch auch die Ansicht vertreten werden, dass, wenn sich nach eingehender Prüfung des primären und sekundären Unionsrechts herausstellt, dass es in der Tat keine spezielle Bestimmung des Unionsrechts gibt, nach der Hersteller von Medizinprodukten über eine Pflichtversicherung für die Haftpflicht verfügen müssen, und im Rahmen der vorliegenden Rechtssache eine solche Verpflichtung auch nicht aus einer der Grundfreiheiten abzuleiten ist, die Rechtssache überhaupt nicht in den Geltungsbereich des Unionsrechts und in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt. Die logische Geradlinigkeit einer solchen Konstruktion erscheint meines Erachtens zweifelhaft ( 71 ), auch wenn sie in ihren Auswirkungen auf die Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV selbst auch verlockend sein mag.

    100.

    Was die zweite Voraussetzung angeht, gibt es keine speziellen Vorschriften zum konkreten Gegenstand der Versicherungspflicht und ihrem Umfang, weder in den Verträgen noch im sekundären Recht.

    101.

    Was die dritte Voraussetzung angeht, könnte der Umstand, dass in Bezug auf die Haftung der Hersteller in einigen Mitgliedstaaten günstigere Voraussetzungen bestehen und in anderen nicht, kursorisch betrachtet ein Lehrbuchfall einer mittelbaren Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sein. Natürlich betrifft die fragliche Diskriminierung nicht den Zugang zu medizinischen Dienstleistungen: Wie von der französischen Regierung wiederholt zu Recht vorgetragen, wären auch deutsche Frauen, wenn sie sich der medizinischen Behandlung in Frankreich unterzögen, von dem Versicherungsschutz der Pflichtversicherung erfasst.

    102.

    Der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen ist nicht Gegenstand der vorliegenden Rechtssache. Es wäre vielmehr davon auszugehen, dass die Diskriminierung in der unterschiedlichen Behandlung beim Zugang zu einer Entschädigung aus dem Versicherungsvertrag läge. Obwohl der Schaden durch dieselben in der Union frei im Verkehr befindlichen fehlerhaften Waren verursacht wurde, unterscheidet sich der Zugang zu einer Entschädigung je nachdem, wo die fragliche Patientin sich der Operation unterzog. Zweifellos werden die meisten französischen Staatsangehörigen sich der Operation in Frankreich und die meisten deutschen in Deutschland unterziehen. Die deutschen Patientinnen haben somit weit weniger gute Aussichten darauf, aus der Versicherung eine Entschädigung zu erhalten.

    103.

    Zudem könnte Frankreich auch vorgeworfen werden, durch die mittelbare Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit mittelbar die Erbringung medizinischer Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet zu fördern, indem es Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten erschwert, in den Genuss der Versicherung zu kommen, da sie hierzu nach Frankreich reisen müssten, um sich dort operieren zu lassen. Dagegen könnten französische Frauen leichter eine Entschädigung aus der Versicherung erhalten, da es wahrscheinlicher ist, dass sie sich im französischen Hoheitsgebiet operieren lassen ( 72 ).

    104.

    Man könnte also möglicherweise zu der Ansicht kommen, dass alle drei Voraussetzungen für die Anwendbarkeit von Art. 18 AEUV offenbar gegeben seien. Es gibt drei weitere Argumente, die dafür angeführt werden könnten, dass Art. 18 AEUV in einer Rechtssache wie der vorliegenden anwendbar wird.

    105.

    Erstens ließe sich, wenn das Unionsrecht den freien Verkehr von Waren vorsieht und durchsetzt, die Ansicht vertreten, dass es ebenso auch eine gleiche Verantwortung und Haftung in Fällen, in denen sich diese Waren als fehlerhaft erweisen, vorsehen und durchsetzen muss. Mit Waren sind häufig Gefahren verbunden, und der freie Handel bringt die Möglichkeit mit sich, dass diese Gefahren sich im Verkehr befinden und potenziell überall Schäden verursachen können. Es erschiene nicht mehr und nicht weniger als angemessen, dass alle Patienten, überall in der Union, denen aus in einem Mitgliedstaat hergestellten fehlerhaften Produkten Nachteile entstehen, die Möglichkeit haben sollten, eine angemessene Entschädigung zu erhalten.

    106.

    Zweitens, und teils auch in Verbindung mit Punkt eins, nimmt der Verbraucherschutz in der Festlegung der Politik der Union der letzten Jahre eine vorrangige Stelle ein. Aufgrund von Art. 12 AEUV sind die Anforderungen des Verbraucherschutzes übergreifend anwendbar geworden und bei der Festlegung und Umsetzung anderer Unionspolitiken zu berücksichtigen. Der freie Verkehr muss somit ein hohes Verbraucherschutzniveau widerspiegeln, wie es in Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verbürgt ist, und dieses anstreben.

    107.

    Drittens ist die Unionsbürgerschaft zu nennen. In gewisser Weise könnte die ältere Rechtsprechung zu Art. 18 AEUV, jedenfalls diejenige zum freien Personenverkehr ( 73 ), als Vorläufer der Unionsbürgerschaft betrachtet werden. Die Einführung der Unionsbürgerschaft, die zwangsläufig mit der Gleichheit der Würde im Unionsrecht (Art. 1 und 20 der Charta) verbunden ist, macht Spitzfindigkeiten im Hinblick darauf überflüssig, wer genau wohin und für wie lange von der Freizügigkeit Gebraucht gemacht hat oder wer von wem abhängig sein könnte.

    108.

    Alle diese Argumente zusammen betrachtet könnten in Verbindung mit den unbezweifelbar schrecklichen Folgen, die die in Rede stehenden fehlerhaften Produkte für die Klägerin hatten, zu der Annahme führen, dass das Gebot des gleichen Schutzes aller europäischen Bürger/Verbraucher einer nationalen Regelung entgegenstünde, die letztlich den Versicherungsschutz auf Personen begrenzt, die sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats einer Operation unterziehen, und die somit mittelbar den Schutz auf Bürger dieses Mitgliedstaats beschränkt.

    3) Wahrung der regulatorischen Logik des Binnenmarkts

    109.

    Auch wenn eine solche Ansicht im konkreten Kontext des vorliegenden Einzelfalls moralisch betrachtet völlig verständlich sein könnte, wäre sie systematisch betrachtet jedoch völlig falsch. Damit würde aus Art. 18 AEUV eine unbegrenzte Bestimmung, durch die jedwede Frage, gleich wie entfernt sie mit einer Bestimmung des Unionsrechts in Verbindung steht, auf gerichtlichem Wege harmonisiert werden könnte. Ferner würden die regulatorische Zuständigkeit im Binnenmarkt auf den Kopf gestellt und unüberbrückbare künftige Zuständigkeitskonflikte zwischen den Mitgliedstaaten geschaffen.

    110.

    Der Ausgangsgrundsatz für die Regulierung des Binnenmarkts ist die Wahrung der regulatorischen Diversität in Fragen, die nicht ausdrücklich durch das Unionsrecht harmonisiert sind. Eine implizite Harmonisierung kann nämlich bisweilen in diesen Bereich hineinreichen. Bestimmte, bisher nicht durch Rechtsvorschriften harmonisierte Regelungen der Mitgliedstaaten könnten für mit einer der vier Grundfreiheiten unvereinbar erklärt werden.

    111.

    Der Erörterung der Freiheit des Warenverkehrs ( 74 ) und der Dienstleistungen ( 75 ) ist eindeutig zu entnehmen, dass der Geltungsbereich dieser Freiheiten bereits erheblich ist. Ebenso eindeutig geht aus der Erörterung der vorliegenden Rechtssache jedoch hervor, dass, wenn zugelassen würde, dass Art. 18 AEUV als eigenständige materielle Verpflichtung in der vom vorlegenden Gericht in seinen Fragen nahelegten Weise Anwendung findet, er eine Reichweite hätte, die über alles hinausginge, was in der Freizügigkeits-Rechtsprechung, einschließlich der Waren-Rechtsprechung vor dem Urteil Keck, bisher jemals in Betracht gezogen wurde. Bei einer solchen Auslegung gäbe es für den Anwendungsbereich von Art. 18 AEUV keine Grenze; diese Bestimmung würde zu einer gedopten Dassonville-Formel. In der heutigen miteinander verknüpften Welt gibt es früher oder später unvermeidlich irgendeine Art von Interaktion mit Waren, Dienstleistungen oder Personen aus anderen Mitgliedstaaten. Wenn das dafür ausreichen würde, dass Art. 18 AEUV eigenständig anwendbar wird, würde jede einzelne Regelung in einem Mitgliedstaat von dieser Bestimmung erfasst.

    112.

    Um nur ein Beispiel zu nehmen ( 76 ): Stellen wir uns vor, dass ich bei der Erstellung der vorliegenden Schlussanträge – hoffentlich nicht zu schwer – verletzt werde, weil der Computer, an dem ich schreibe, explodiert. Die verschiedenen Teile des Computers oder das ganze Gerät werden wahrscheinlich in einem anderen Mitgliedstaat als Luxemburg hergestellt worden sein, im Zeitalter integrierter Lieferketten noch wahrscheinlicher in mehreren Mitgliedstaaten, wenn nicht auch in Drittstaaten. Mangels besonderer vertraglicher Regelungen zum anwendbaren Recht und zum Gerichtsstand zwischen mir und dem Hersteller dieses Computers wäre daher ausgehend von der Geltung des gewöhnlichen Deliktsrechts das auf eine Schadensersatzforderung anwendbare Recht wahrscheinlich das Recht Luxemburgs als das Recht des Staates, in dem sich der Unfall ereignet hat. Sollte ich dann, wenn mir das luxemburgische Recht für meine Schadensersatzforderung unbefriedigend erscheint, die Möglichkeit haben, mich auf Art. 18 AEUV zu berufen und das Recht des Ortes der Herstellung des Computers oder vielleicht sogar des Ortes der Herstellung einer der Komponenten des Computers geltend zu machen und dieses durch ein luxemburgisches Gericht durchsetzen zu lassen?

    113.

    Diese Fallgestaltung hebt den roten Faden hervor, der sich bereits aus der Erörterung der potenziellen Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs ergibt; die Regelungen über den freien Verkehr gelten ebenso wie Art. 18 AEUV logischerweise nur für den grenzüberschreitenden freien Verkehr von Waren oder Dienstleistungen, einschließlich des Aus- und Eintritts. Soweit sie nicht vom Unionsgesetzgeber ausdrücklich harmonisiert wurden, sind die Regelungen über ihre spätere Verwendung Sache der Mitgliedstaaten, in denen sie verwendet werden. Hierzu gehören auch potenzielle Haftungsfragen, einschließlich Fragen der Pflichtversicherung, wiederum soweit sie nicht bereits ausdrücklich harmonisiert sind ( 77 ).

    114.

    Mit anderen Worten ist der Umstand, dass Waren zu irgendeinem Zeitpunkt aus einem anderen Mitgliedstaat gekommen sind, keine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass jede diese Waren später betreffende Frage vom Unionsrecht erfasst wird. Würde dieser Logik gefolgt, würde durch eine fragliche Auslegung von Art. 18 AEUV der Warenverkehr in Europa (wieder) an den mittelalterlichen rechtlichen Partikularismus erinnern ( 78 ), in dem jedes Produkt, ebenso wie eine Person, ihre eigenen Gesetze mit sich trüge. Waren würden wie Schnecken ihre eigenen Häuser in Gestalt der Rechtsvorschriften ihrer Herkunftsländer mit sich tragen, die für sie von ihrer Herstellung bis zu ihrer Vernichtung gelten würden.

    115.

    Diese Folge würde nicht nur jede (gewöhnliche) Territorialität der Anwendung der Gesetze verdrängen, sondern auch zu Konflikten regulatorischer Regelungen zwischen den Mitgliedstaaten führen. Bei einer solchen expansiven Auslegung von Art. 18 AEUV könnten nämlich Rechtsvorschriften jedweder Mitgliedstaaten potenziell auf dasselbe Gebiet anwendbar werden, ohne dass eindeutige und objektive Kriterien dafür gelten würden, welche Rechtsvorschriften in einem bestimmten Streitfall Vorrang haben sollten, während der Geschädigte die Möglichkeit hätte, sich das günstigste Recht auszuwählen ( 79 ).

    116.

    In diesem Kontext ist der Hinweis auf eine weitere Besonderheit der vorliegenden Rechtssache hilfreich, nämlich dass zwar der Staat des Ursprungs der Waren oder der Herkunftsmitgliedstaat (Frankreich) Regelungen für ihre spätere Verwendung in seinem Hoheitsgebiet erlassen hat (Pflichtversicherung für in seinem Hoheitsgebiet durchgeführte Operationen), der Staat, in dem die Waren verwendet wurden, also der Aufnahmemitgliedstaat (Deutschland), hierfür jedoch offenbar keine Regelungen erlassen hat ( 80 ).

    117.

    Was wäre indes, wenn zu dieser Frage in Deutschland eine Regelung erlassen worden wäre? In diesem Fall dürfte niemand daran gezweifelt haben, dass die deutsche Regelung auf eine mögliche Schädigung, die im deutschen Hoheitsgebiet eintritt, umfassend und ausschließlich Anwendung findet. Es ist unwahrscheinlich, dass irgendjemand die deutsche Regelung in dieser Sache, die keine Verbindung zum französischen Recht aufweist, durch die potenziell günstigere französische Regelung würde ersetzen wollen.

    118.

    Dies unterstreicht noch einmal, warum Art. 18 AEUV nicht dahin ausgelegt werden kann, dass er der Begrenzung der Versicherungspflicht für die Haftpflicht für die Verwendung von Medizinprodukten auf das inländische Hoheitsgebiet entgegensteht. Erst recht kann diese Bestimmung nicht dahin ausgelegt werden, dass die Beklagte oder die Französische Republik danach verpflichtet wäre, der Klägerin aufgrund einer unmittelbaren Wirkung eine Entschädigung zu leisten.

    119.

    Zusammenfassend kann Art. 18 AEUV nicht dahin ausgelegt werden, dass er für sich genommen eine eigenständige, unabhängige materielle Verpflichtung schafft, die nicht bereits durch eine der vier Freiheiten oder konkret in einem sonstigen Rechtsakt des Unionsrechts vorgesehen wäre. Insbesondere sollte diese Bestimmung sicherlich nicht in einer Weise angewendet werden, die über die bereits recht umfassende Reichweite der vier Verkehrsfreiheiten noch hinausgeht.

    120.

    Im Ergebnis stelle ich fest, dass die vorliegende Rechtssache Ausdruck der Folgen ist, die sich daraus ergeben, dass das Unionsrecht den Abschluss einer Haftpflichtversicherung für die Verwendung von Medizinprodukten nicht harmonisiert hat und das deutsche Recht offenbar eine entsprechende Regelung nicht enthält. Erinnert sei daran, dass der Gerichtshof in einem nicht ganz unähnlichen Kontext im Urteil Schmitt bereits entschieden hat, dass es Sache des nationalen Rechts ist, die Voraussetzungen für die Haftung der benannten Stellen gegenüber Endempfängern von Medizinprodukten zu regeln ( 81 ). Ebenso ist es nach dem gegenwärtigen Stand des Unionsrechts Sache der Mitgliedstaaten, die Versicherungsverträge zu regeln, die für auf ihrem Hoheitsgebiet verwendete Medizinprodukte gelten, auch wenn diese Produkte aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführt werden.

    121.

    Insoweit steht es den Mitgliedstaaten sicherlich frei, sich mangels einer Harmonisierung für die Einführung eines höheren Schutzes der Patienten und Anwender von Medizinprodukten durch auf ihrem Hoheitsgebiet geltende günstigere Versicherungsverträge zu entscheiden ( 82 ). Die in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehende territoriale Beschränkung war somit eine legitime gesetzgeberische Wahlentscheidung Frankreichs ( 83 ). Diese Tatsache kann dann kaum in Abrede gestellt oder vielmehr diesem Mitgliedstaat vorwerfbar sein, indem die Ansicht vertreten würde, dass diese gesetzgeberische Wahlentscheidung dann auf das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ausgedehnt werden müsste, der keine ähnlichen Regelungen erlassen hat.

    V. Ergebnis

    122.

    Ich schlage dem Gerichtshof vor, die Fragen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

    Art. 18 AEUV steht für sich genommen der Beschränkung einer Pflicht zur Versicherung der Haftpflicht für die Verwendung von Medizinprodukten auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nicht entgegen.


    ( 1 ) Originalsprache: Englisch.

    ( 2 ) In der durch das Gesetz Nr. 2002-1577 vom 30. Dezember 2002 geänderten Fassung.

    ( 3 ) Eingeführt durch das Gesetz Nr. 2002-303 vom 4. März 2002.

    ( 4 ) Richtlinie des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, S. 1).

    ( 5 ) Vgl. z. B. bereits Urteil vom 28. März 1979, Saunders (175/78, EU:C:1979:88, Rn. 11).

    ( 6 ) Vgl. z. B. Urteil vom 30. Juni 2016, Admiral Casinos & Entertainment (C‑464/15, EU:C:2016:500, Rn. 21).

    ( 7 ) Vgl. z. B. Urteile vom 11. September 2003, Anomar u. a. (C‑6/01, EU:C:2003:446, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 19. Juli 2012, Garkalns (C‑470/11, EU:C:2012:505, Rn. 21), und vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a. (C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 24). Hervorhebung nur hier.

    ( 8 ) Vgl. z. B. Urteil vom 30. November 1995, Gebhard u. a. (C‑55/94, EU:C:1995:411, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 9 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 10. Mai 1995, Alpine Investments (C‑384/93, EU:C:1995:126, Rn. 23 bis 28), vom 15. Dezember 1995, Bosman (C‑415/93, EU:C:1995:463, Rn. 88 bis 91), vom 9. September 2004, Carbonati Apuani (C‑72/03, EU:C:2004:506, Rn. 22 bis 26), und vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien (C‑110/05, EU:C:2009:66, Rn. 58).

    ( 10 ) Vgl. z. B. Urteil vom 11. Juni 2015, Berlington Hungary u. a. (C‑98/14, EU:C:2015:386, Rn. 27), oder mit einem ähnlichen Grundgedanken im Kontext der Freizügigkeit der Arbeitnehmer z. B. jüngst Urteil vom 10. Oktober 2019, Krah (C‑703/17, EU:C:2019:850, Rn. 42 bis 54).

    ( 11 ) Urteil vom 24. November 1993, Keck und Mithouard (C‑267/91 und C‑268/91, EU:C:1993:905).

    ( 12 ) Für eine kritische Betrachtung vgl. im Kontext der Arbeitnehmer meine Schlussanträge in der Rechtssache Krah (C‑703/17, EU:C:2019:450) und im Kontext der Niederlassung jene in der Rechtssache Hornbach-Baumarkt (C‑382/16, EU:C:2017:974).

    ( 13 ) Vgl. in diesem Sinne im Kontext der Dienstleistungen Beschluss vom 4. Juni 2019, Pólus Vegas (C‑665/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:477, Rn. 16 bis 24).

    ( 14 ) Urteil vom 15. November 2016 (C‑268/15, EU:C:2016:874).

    ( 15 ) Ebd. (Rn. 50 bis 53) (mit Nachweis der verschiedenen Rechtsprechungslinien, die das Urteil zusammenfügte).

    ( 16 ) Vgl. zu kritischen Ansichten zum Urteil Ullens de Schooten und allgemeiner zur Kategorie der „rein innerstaatlichen Sachverhalte“ z. B. Dubout, É., „Voyage en eaux troubles: vers une épuration des situations ‚purement‘ internes? CJUE, gde ch., 15 novembre 2016, Ullens de Schooten, aff. C‑268/15, ECLI:EU:C:2016:874“, Revue des affaires européennes, 4, 2016, S. 679, und Iglesias Sánchez, S., „Purely Internal Situations and the Limits of EU Law: A Consolidated Case-Law or a Notion to be Abandoned“, European Constitutional Law Review, Bd. 14, 2018, Issue 1, S. 7.

    ( 17 ) Vgl. z. B. Urteil vom 20. Mai 2003, Österreichischer Rundfunk u. a. (C‑465/00, C‑138/01 und C‑139/01, EU:C:2003:294, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie Urteil vom 6. November 2003, Lindqvist (C‑101/01, EU:C:2003:596, Rn. 40 und 41).

    ( 18 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteil vom 30. Januar 2018, X und Visser (C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2018:44, Rn. 98 bis 110).

    ( 19 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Juni 2019, Moro (C‑646/17, EU:C:2019:489, Rn. 29 bis 37).

    ( 20 ) Urteil vom 13. Juni 2019 (C‑646/17, EU:C:2019:489).

    ( 21 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2012, L 142, S. 1).

    ( 22 ) Urteil vom 13. Juni 2019, Moro (C‑646/17, EU:C:2019:4897, Rn. 29 bis 37).

    ( 23 ) C‑646/17, EU:C:2019:95, Nrn. 29 und 76 bis 81, einschließlich Fn. 29.

    ( 24 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon (C‑212/06, EU:C:2008:178, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 25 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Juni 2016, Admiral Casinos & Entertainment (C‑464/15, EU:C:2016:500, Rn. 19 bis 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 26 ) In den schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung kam auch zur Sprache, dass die Klägerin weder Versicherer noch Versicherungsnehmer und somit eigentlich nicht Partei des Versicherungsvertrags sei, so dass sie an Versicherungsdienstleistungen nicht beteiligt sei. Ich halte dieses Argument letztlich nicht für überzeugend, da Versicherungsfragen, ungeachtet ihrer dogmatischen Konstruktion, von vornherein stets mehr Beteiligte betreffen als nur den Versicherer und den Versicherungsnehmer, etwa (bzw. vor allem) den Geschädigten oder den Begünstigten oder den Vertragsinhaber (wenn es sich um verschiedene Personen handelt) – vgl. entsprechend z. B. Art. 13 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

    ( 27 ) Richtlinie des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. 1985, L 210, S. 29).

    ( 28 ) Siehe oben, Nrn. 35 bis 40.

    ( 29 ) Vgl. z. B. Urteile vom 18. Juli 2017, Erzberger (C‑566/15, EU:C:2017:562, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 26. Oktober 2017, I (C‑195/16, EU:C:2017:815, Rn. 70), und vom 18. Juni 2019, Österreich/Deutschland (C‑591/17, EU:C:2019:504, Rn. 39). Hervorhebung nur hier.

    ( 30 ) Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in den verbundenen Rechtssachen Phil Collins u. a. (C‑92/92 und C‑326/92, EU:C:1993:276, Nr. 12).

    ( 31 ) Was selbst unabhängig vom besonderen Kontext der Auslegung von Art. 18 AEUV tatsächlich unproblematisch wäre – vgl. z. B. Urteil vom 29. Oktober 2015, Nagy (C‑583/14, EU:C:2015:737, Rn. 20).

    ( 32 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Juli 1994, Peralta (C‑379/92, EU:C:1994:296, Rn. 18).

    ( 33 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 22. Juni 1999, ED (C‑412/97, EU:C:1999:324, Rn. 13 bis 14), und vom 21. Juni 2016, New Valmar (C‑15/15, EU:C:2016:464, Rn. 31).

    ( 34 ) Urteile vom 20. November 2014, Novo Nordisk Pharma (C‑310/13, EU:C:2014:2385, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 21. Juni 2017, W u. a. (C‑621/15, EU:C:2017:484, Rn. 21).

    ( 35 ) Urteil vom 16. Februar 2017 (C‑219/15, EU:C:2017:128, Rn. 56 und 59).

    ( 36 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42 des Rates (ABl. 2017, L 117, S. 1).

    ( 37 ) Vgl. Kommissionsvorschlag für eine Verordnung über Medizinprodukte (COM[2012] 0542 final). Vgl. ferner Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Juni 2012 zu mangelhaften mit Silikongel gefüllten Brustimplantaten der französischen Firma PIP (2012/2621[RSP]).

    ( 38 ) Anhang VII Nr. 1.4.2. der Verordnung 2017/745 lautet: „Umfang und Gesamtdeckungssumme der Haftpflichtversicherung entsprechen dem Ausmaß und der geografischen Reichweite der Tätigkeiten der Benannten Stelle sowie dem Risikoprofil der von der Benannten Stelle zertifizierten Produkte.“

    ( 39 ) Art. 3 und 6 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. 2009, L 263, S. 11).

    ( 40 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 11. Juli 2002, Carpenter (C‑60/00, EU:C:2002:434, Rn. 36), vom 10. Juli 2014, Kommission/Belgien (C‑421/12, EU:C:2014:2064, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 14. Juli 2016, Promoimpresa u. a. (C‑458/14 und C‑67/15, EU:C:2016:558, Rn. 59 bis 62).

    ( 41 ) Beginnend mit der umfassenden Reichweite „jede[r] Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern …“. Urteil vom 11. Juli 1974, Dassonville (8/74, EU:C:1974:82, Rn. 5).

    ( 42 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 16. Dezember 2008, Gysbrechts und Santurel Inter (C‑205/07, EU:C:2008:730, Rn. 40 bis 43), und vom 21. Juni 2016, New Valmar (C‑15/15, EU:C:2016:464, Rn. 36).

    ( 43 ) Vgl. z. B. Urteil vom 24. November 1982, Kommission/Irland (249/81, EU:C:1982:402, Rn. 28 bis 29).

    ( 44 ) Z. B. das Erfordernis einer vom Ausfuhrmitgliedstaat ausgestellten Echtheitsbescheinigung, bereits mit Urteil vom 11. Juli 1974, Dassonville (8/74, EU:C:1974:82).

    ( 45 ) Vgl. z. B. Urteil vom 14. Februar 2008, Dynamic Medien (C‑244/06, EU:C:2008:85, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    ( 46 ) Urteil vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien (C‑110/05, EU:C:2009:66), zu einem Verbot der Verwendung eines Kradfahrzeugs zusammen mit einem Anhänger in Italien, und Urteil vom 4. Juni 2009, Mickelsson und Roos (C‑142/05, EU:C:2009:336), zu schwedischen Rechtsvorschriften, die die Benutzung von Wassermotorrädern in Schweden beschränkten.

    ( 47 ) Urteil vom 10. Februar 2009, Kommission/Italien (C‑110/05, EU:C:2009:66, Rn. 37 und 56), und Urteil vom 4. Juni 2009, Mickelsson und Roos (C‑142/05, EU:C:2009:336, Rn. 24 und 26).

    ( 48 ) Vgl. z. B. Barnard, C., „Fitting the Remaining Pieces into the Goods and Persons Jigsaw?“European Law Review, Bd. 26, 2001, S. 35; Snell, J., „The Notion of Market Access: A Concept or A Slogan?“, Common Market Law Review, Bd. 47, 2010, S. 437; Ritleng, D., „L’accès au marché est-il le critère de l’entrave aux libertés de circulation?“, in Dubout, É., Maitrot de la Motte, A. (Hrsg.), L’unité des libertés de circulation. In varietate concordia, Coll. Droit de l’Union européenne, Bruylant, Brüssel, 2013, S. 159 bis 183; Nic Shuibhne, N., The Coherence of EU Free Movement Law, Studies in European Law, Oxford University Press, Oxford, 2013, S. 210 bis 256.

    ( 49 ) Bekannte Beispiele dieser Kategorie sind ein völliges Verbot der Werbung für alkoholische Getränke, Urteil vom 8. März 2001, Gourmet International Products (C‑405/98, EU:C:2001:135, Rn. 21 und 25), oder das Verbot des Vertriebs von Kontaktlinsen außerhalb von Fachgeschäften für Medizinprodukte, insbesondere über das Internet, Urteil vom 2. Dezember 2010, Ker-Optika (C‑108/09, EU:C:2010:725, Rn. 54 und 55). Vgl. auch Urteil vom 14. Februar 2008, Dynamic Medien (C‑244/06, EU:C:2008:85, Rn. 31 bis 34).

    ( 50 ) Urteil vom 24. November 1993, Keck und Mithouard (C‑267/91 und C‑268/91, EU:C:1993:905).

    ( 51 ) Urteil vom 24. November 1993, Keck und Mithouard (C‑267/91 und C‑268/91, EU:C:1993:905, Rn. 16). Vgl. auch Urteile vom 15. Dezember 1993, Hünermund u. a. (C‑292/92, EU:C:1993:932, Rn. 21), vom 28. September 2006, Ahokainen und Leppik (C‑434/04, EU:C:2006:609, Rn. 19), und vom 14. Februar 2008, Dynamic Medien (C‑244/06, EU:C:2008:85, Rn. 29).

    ( 52 ) Vgl. z. B. Urteile vom 7. März 1990, Krantz (C‑69/88, EU:C:1990:97, Rn. 11), vom 13. Oktober 1993, CMC Motorradcenter (C‑93/92, EU:C:1993:838, Rn. 12), und vom 14. Juli 1994, Peralta (C‑379/92, EU:C:1994:296, Rn. 24). Vgl. aber Urteil vom 21. Juni 2016, New Valmar (C‑15/15, EU:C:2016:464, Rn. 45 bis 46).

    ( 53 ) Wenn z. B. ein Wirtschaftsteilnehmer sich gegen eine Regelung des Aufnahmemitgliedstaats wenden würde, wonach die Einfuhr von Waren von einer Pflichtversicherung abhängig gemacht würde, wäre dies ein völlig anderer Sachverhalt, der wahrscheinlich ohne Weiteres unter Art. 34 AEUV fiele.

    ( 54 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Dezember 1981, Foglia (244/80, EU:C:1981:302, Rn. 30), wo der Gerichtshof feststellte, dass „der Gerichtshof … zu besonderer Wachsamkeit aufgerufen ist, wenn ihm im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privatpersonen eine Frage vorgelegt wird, deren Beantwortung es dem Gericht ermöglichen soll, Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats auf ihre Vereinbarkeit mit dem [Unions]recht hin zu beurteilen“. Vgl. auch Urteil vom 21. Januar 2003, Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins (C‑318/00, EU:C:2003:41).

    ( 55 ) Siehe oben, Nr. 62 der vorliegenden Schlussanträge.

    ( 56 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 16. Dezember 1992, B & Q (C‑169/91, EU:C:1992:519, Rn. 9 bis 10). Vgl. aus jüngerer Zeit Urteil vom 23. Februar 2006, A-Punkt Schmuckhandel (C‑441/04, EU:C:2006:141, Rn. 21), wo der Gerichtshof das Verbot des Haustürgeschäft-Verkaufs nicht als Maßnahme gleicher Wirkung ansah, auch wenn es das Gesamtvolumen des Absatzes der betreffenden Produkte im betreffenden Mitgliedstaat wahrscheinlich begrenzt und somit das Volumen des Absatzes dieser Produkte aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.

    ( 57 ) Vgl. Urteil vom 31. Januar 1984, Luisi und Carbone (286/82 und 26/83, EU:C:1984:35, Rn. 16), wo der Gerichtshof Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen, ausdrücklich zu Dienstleistungsempfängern zählte.

    ( 58 ) Urteil vom 2. Februar 1989 (186/87, EU:C:1989:47).

    ( 59 ) Ebd. (Rn. 17).

    ( 60 ) Heute wäre es für Fallgestaltungen wie die im Urteil Cowan naheliegender, dass sie unter die Unionsbürgerschaft fallen. Vgl. z. B. Urteil vom 26. Oktober 2017, I (C‑195/16, EU:C:2017:815, Rn. 69 bis 72). Vgl. auch meine Schlussanträge in jener Rechtssache (EU:C:2017:374, Nrn. 64 bis 75).

    ( 61 ) Wie oben in den Nrn. 50 bis 52 der vorliegenden Schlussanträge skizziert.

    ( 62 ) Vgl. z. B. Urteile vom 24. November 1998, Bickel und Franz (C‑274/96, EU:C:1998:563, Rn. 26), vom 10. April 2018, Pisciotti (C‑191/16, EU:C:2018:222, Rn. 34), vom 13. November 2018, Raugevicius (C‑247/17, EU:C:2018:898, Rn. 27), und vom 13. Juni 2019, TopFit und Biffi (C‑22/18, EU:C:2019:497, Rn. 29). Hervorhebung nur hier.

    ( 63 ) Vgl. in diesem Sinne z. B. Urteile vom 2. Oktober 2003, Garcia Avello (C‑148/02, EU:C:2003:539), vom 19. Oktober 2004, Zhu und Chen (C‑200/02, EU:C:2004:639), und vom 2. März 2010, Rottmann (C‑135/08, EU:C:2010:104), wonach Art. 18 AEUV auch dann anwendbar ist, wenn die Bewegung diejenige eines anderen Familienangehörigen ist, etwa der Eltern, wenn die Unionsbürger Kinder sind.

    ( 64 ) Vgl. mit kritischer Ansicht hierzu Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Ruiz Zambrano (C‑34/09, EU:C:2010:560, Nrn. 77 bis 90).

    ( 65 ) Dies gilt ebenso für Art. 45 AEUV, der „nicht auf Arbeitnehmer anwendbar [ist], die nie von ihrer Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch gemacht haben oder Gebrauch machen wollen“. Urteil vom 18. Juli 2017, Erzberger (C‑566/15, EU:C:2017:562, Rn. 28).

    ( 66 ) Vgl. z. B. Urteil vom 5. September 2012, Lopes Da Silva Jorge (C‑42/11, EU:C:2012:517, Rn. 39).

    ( 67 ) Urteil vom 20. Oktober 1993, Phil Collins u. a. (C‑92/92 und C‑326/92, EU:C:1993:847, Rn. 24). In den Rn. 17 bis 28 jenes Urteils war der Gerichtshof offenbar bereit, die Anwendbarkeit des damaligen Art. 7 EWG auf eine abstrakte Annahme zu stützen, wofür eine Reihe von Vertragsbestimmungen ausreichend war, nach denen die Frage des Schutzes literarischen und künstlerischen Eigentums, obwohl er durch das EWG-Recht nicht harmonisiert war, in Betracht kommen konnte.

    ( 68 ) Vgl. z. B. Urteil vom 18. März 2014 (C‑628/11, EU:C:2014:171, Rn. 34 bis 62), in dem der Gerichtshof insbesondere entschied, dass „Flugdienste, die zwischen einem Drittstaat und einem Mitgliedstaat von einem Luftfahrtunternehmen mit einer von einem anderen Mitgliedstaat erteilten Betriebsgenehmigung durchgeführt werden, Gegenstand einer Regelung des abgeleiteten Rechts sind“.

    ( 69 ) Wie oben in den Nrn. 35 bis 41 erörtert.

    ( 70 ) Siehe oben, Nrn. 28 bis 49.

    ( 71 ) Siehe oben, Nr. 40.

    ( 72 ) Vgl. z. B. Urteil vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon (C‑212/06, EU:C:2008:178, Rn. 49 bis 50 und die dort angeführte Rechtsprechung), zu Wohnsitzerfordernissen.

    ( 73 ) Urteil vom 2. Februar 1989, Cowan (186/87, EU:C:1989:47).

    ( 74 ) Siehe oben, Nrn. 59 bis 80.

    ( 75 ) Siehe oben, Nrn. 81 bis 90.

    ( 76 ) Natürlich rein fiktiv und vereinfacht, ohne auf Fragen des anwendbaren Rechts nach Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. 2007, L 199, S. 40) eingehen zu wollen.

    ( 77 ) Siehe oben, Nrn. 54 bis 58.

    ( 78 ) Das moderne Recht konnte die territoriale Ausschließlichkeit gegen den mittelalterlichen rechtlichen Partikularismus nur schrittweise behaupten – vgl. z. B. Lesaffer, R., European Legal History: A Cultural and Political Perspective, Cambridge University Press, Cambridge, 2009, S. 168–169, 269 ff. und 277 ff., oder Romano, S., L’Ordre juridique, Dalloz, 1975, S. 77 ff.

    ( 79 ) Womit einer Regelung, die im Hinblick auf die Wahl des für den Verbraucher anwendbaren Rechts und Gerichtsstands ohnehin kein Beispiel großer Klarheit ist, noch eine weitere Ebene der Komplexität und (Un‑)Vorhersehbarkeit hinzugefügt wird – vgl. zur jüngsten Auseinandersetzung hiermit z. B. Russo, G., „Product liability and protection of EU consumers: is it time for a serious reassessment?“, Journal of Private International Law, Bd. 15, 2019, Issue 1, S. 210.

    ( 80 ) Oder jedenfalls diese dem Gerichtshof nicht zur Kenntnis gebracht worden sind, da das vorlegende Gericht hierzu keine Angaben gemacht und die deutsche Regierung in der vorliegenden Rechtssache keine Erklärungen eingereicht hat.

    ( 81 ) Urteil vom 16. Februar 2017 (C‑219/15, EU:C:2017:128).

    ( 82 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 13. Februar 1969, Wilhelm u. a. (14/68, EU:C:1969:4, Rn. 13), vom 14. Juli 1981, Oebel (C‑155/80, EU:C:1981:177, Rn. 9), und vom 14. Juli 1994, Peralta (C‑379/92, EU:C:1994:296, Rn. 48 und 52).

    ( 83 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 18. Juli 2017, Erzberger (C‑566/15, EU:C:2017:562, Rn. 36 und 40), zur Begrenzung der deutschen Rechtsvorschriften über das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat eines Unternehmens auf das Inland.

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