Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52020IE1596

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine EU-Strategie für nachhaltigen Konsum“ (Initiativstellungnahme)

    EESC 2020/01596

    ABl. C 429 vom 11.12.2020, p. 51–59 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    11.12.2020   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 429/51


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Eine EU-Strategie für nachhaltigen Konsum“

    (Initiativstellungnahme)

    (2020/C 429/08)

    Berichterstatter:

    Peter SCHMIDT

    Beschluss des Plenums

    20.2.2020

    Rechtsgrundlage

    Artikel 32 Absatz 2 GO

     

    Initiativstellungnahme

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

    Annahme in der Fachgruppe

    8.7.2020

    Verabschiedung im Plenum

    18.9.2020

    Plenartagung Nr.

    554

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    212/2/5

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Durch die COVID-19-Pandemie ist die Anfälligkeit der Lieferketten deutlich zu Tage getreten. Der Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Krise bietet Gelegenheit, unsere Gesellschaft zu überdenken und ein neues Wohlstandsmodell zu entwickeln. Die Verlagerung der Prioritäten auf nachhaltigere Produktions-, Vertriebs- und Konsummuster und die Stärkung der Krisenresilienz aller Akteure in Lieferketten ist nicht mehr Kür, sondern Pflicht. Die Widerstandsfähigkeit von Landwirten, die uns mit Lebensmitteln versorgen, oder von Arbeitern, die unsere Kleidung herstellen, ist ebenso wichtig wie die Widerstandsfähigkeit von Importunternehmen, Herstellern, Großhändlern, KMU oder Einzelhandelsketten in Europa.

    1.2.

    Der EWSA fordert eine umfassende EU-Strategie für nachhaltigen Konsum. Die jeweils nachhaltigste Option sollte auch immer die einfachste Wahl für die Bürgerinnen und Bürger sein. Dazu ist ein systemischer Wandel der Art und Weise, wie wir produzieren und konsumieren, erforderlich. Insbesondere müssen auch die Hersteller (1) stärker in die Verantwortung genommen werden, um gegen nicht nachhaltigen Konsum vorzugehen. Da Marktergebnisse nicht von sich aus nachhaltig sind, wird eine Strategie benötigt, um sowohl für den privaten Sektor (u. a. durch Förderung kreislauf- und nachhaltigkeitsorientierter Geschäftsmodelle) als auch für den öffentlichen Sektor (bspw. über öffentliche Auftragsvergabe) einen geeigneten Regelungsrahmen zu schaffen und die passende strategische Ausrichtung sicherzustellen.

    1.3.

    In der Strategie müssen die soziale, wirtschaftliche und ökologische Dimension umfassend berücksichtigt werden, um die dringend benötigte Politikkohärenz für eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Die EU hat zu lange auf marktbasierte Lösungen gesetzt und dabei die Dimension der Bürger und Arbeitnehmer vernachlässigt. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Mindestlöhne, Sozialschutz, Investitionen in öffentliche Dienstleistungen, inklusive Governance, gerechte Besteuerung usw. sollten auch zu den Nachhaltigkeitskriterien gehören. Dies würde dazu beitragen, unsere Produktions- und Verbrauchssysteme gerechter und langfristig nachhaltiger zu gestalten und die Agenda 2030 der Vereinten Nationen umzusetzen.

    1.4.

    Im Rahmen einer EU-Strategie für nachhaltigen Konsum sollte den Auswirkungen auf gefährdete Bevölkerungsgruppen und einkommensschwache Haushalte besondere Aufmerksamkeit gelten, die von der gegenwärtigen Krise besonders betroffen sind und auch weiter sein werden, sowie auf schutzbedürftige Akteure in den Lieferketten, u. a. Landwirte und Arbeitskräfte. Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen sollten für alle zugänglich und erschwinglich gemacht werden.

    1.5.

    Kurz- und mittelfristig sollten alle einschlägigen politischen Instrumente (wie öffentliche Auftragsvergabe, Kennzeichnung, Besteuerung usw.) besser koordiniert und auf diesen Zukunftsentwurf ausgerichtet werden. Zur Überwindung der aktuellen Zersplitterung und des vorherrschenden Silodenkens ist ein stärker harmonisierter Ansatz erforderlich.

    1.6.

    Mit Blick auf den Wiederaufbau nach der COVID-19-Krise fordert der EWSA die Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten auf, eng mit ihm zusammenzuarbeiten, um ein umfassendes und koordiniertes Programm integrierter strategischer Maßnahmen zu entwerfen. Dieses wird im Einklang mit dem Grundsatz „build back better“ einen besseren Wiederaufbau Europas unterstützen und die Schaffung der Voraussetzungen für eine umfassende EU-Strategie für nachhaltigen Konsum ermöglichen. Der EWSA empfiehlt, folgende spezifische Maßnahmen umzusetzen:

    Einführung von Produktnormen und -verboten, um die Langlebigkeit und Nachhaltigkeit von Produkten zu fördern

    Verbot unlauterer Handelspraktiken

    Verbesserung der Wettbewerbsregeln, um kollektive Initiativen zur Förderung der Nachhaltigkeit in Lieferketten zu ermöglichen

    Durchsetzbarkeit von Sozial- und Umweltklauseln in Handelsabkommen

    Verbesserung der Rechenschaftspflicht und stärkere Sensibilisierung der Unternehmen für ökologische (z. B. über EMAS) und soziale Aspekte

    Verlagerung der Steuerlast von der Arbeit auf die Ressourcennutzung

    Förderung einer fairen und umweltorientierten öffentliche Beschaffung über verbindliche Mindestkriterien

    Verbesserung der Transparenz durch Einführung einer verpflichtenden Kennzeichnung, die Auskunft über die Herkunft, Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit gibt

    Förderung von Bottom-up-Initiativen und Pilotmaßnahmen

    Berücksichtigung von Werbung und Marketing

    Förderung nachhaltigen Konsums über Bildungsmaßnahmen.

    2.   Einleitung

    2.1.

    Durch die COVID-19-Pandemie sind die Anfälligkeit der Lieferketten und die Notwendigkeit eines raschen systemischen Wandels deutlich zu Tage getreten. Unzureichende Investitionen im Gesundheits- und Pflegesektor, die übermäßige Abhängigkeit von globalen Lieferketten und Wirtschaftssysteme, die auf linearen, mit den Belastungsgrenzen unseres Planeten nicht zu vereinbarenden Produktions- und Konsumprozessen gründen, haben die Fähigkeit der Regierungen beeinträchtigt, rasche und entschiedene Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu ergreifen. Die Verlagerung der Prioritäten auf nachhaltigere Produktions-, Vertriebs- und Konsummuster und die Stärkung der Krisenresilienz aller Akteure in der Lieferkette (2) ist nicht mehr Kür, sondern Pflicht. Die Pandemie hat Sozialschutz, öffentliche Dienstleitungen, gering qualifizierte Arbeitskräfte, Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit in den Medien und der politischen Debatte gerückt.

    2.2.

    Die EU hat sich uneingeschränkt zur Agenda 2030 der Vereinten Nationen und ihren 17 Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDG) bekannt. Doch erweist sich gerade die Verwirklichung von SDG 12 (nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster) in Europa als besonders schwierig (3), obwohl es für die Umsetzung der gesamten Agenda 2030 entscheidend ist. Tatsächlich ist das Konsumverhalten der meisten Menschen heutzutage — hoher, rascher und linearer Konsum mit erheblicher Verschwendung (nehmen-produzieren-wegwerfen) — nicht nachhaltig. Zudem sind die Bürger in erster Linie als einzelne Verbraucher typisiert worden, wodurch ihnen die Verantwortung für ihre Entscheidungen aufgebürdet worden ist, ohne ihnen mögliche und erschwingliche Alternativen zu bieten.

    2.3.

    Der EWSA hat die EU bereits aufgefordert, eine neue Vision des Wohlstands für die Menschen und den Planeten auf der Grundlage der Prinzipien der ökologischen Nachhaltigkeit, des Rechts auf ein würdevolles Leben und des Schutzes der sozialen Werte vorzulegen (4). Einer der Eckpfeiler der strategischen Vision des EWSA für eine nachhaltige Ökonomie des Wohlergehens, in der niemand zurückgelassen wird, ist ein systemischer Ansatz der EU für einen nachhaltigen Konsum.

    2.4.

    Die dynamische politische Entwicklung bietet der EU gute Voraussetzungen für die Verwirklichung dieser Vision. Der europäische Grüne — und Soziale — Deal bietet ein enormes Potenzial für den Wiederaufbau der Wirtschaft nach der COVID-19-Krise auf einer nachhaltigeren Grundlage, für die Schaffung eines neuen Wohlstandsmodells und für die Gewährleistung eines gerechten Übergangs (5).

    2.5.

    Der neue Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft enthält insbesondere eine gezielte Maßnahme zur Stärkung der Position der Verbraucher beim grünen Wandel und verschiedene Initiativen, durch die Regulierungsbehörden und Unternehmen stärker in die Verantwortung genommen werden könnten. Durch diesen Aktionsplan sollte die Reichweite des 2018 aufgelegten Maßnahmenpakets „Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Verbraucher“ erweitert werden, das in erste Linie auf Schutz und Durchsetzung, nicht aber auf die Stärkung der Handlungskompetenz ausgerichtet war. Auch ist die Umsetzung der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ und der Biodiversitätsstrategie umso wichtiger, als es infolge der COVID-19-Krise dringender denn je ist, die Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit der Lebensmittelsysteme in der EU und weltweit zu verbessern. Das anstehende 8. Umweltaktionsprogramm sollte als Gelegenheit genutzt werden, den nachhaltigen Konsum entschlossener anzugehen.

    2.6.

    In dieser Stellungnahme sollen als Beitrag zu den Überlegungen über den Wiederaufbau nach der COVID-19 konkrete Empfehlungen für eine umfassende EU-Strategie für nachhaltigen Konsum im Rahmen des europäischen Grünen Deals und in Ergänzung des neuen Aktionsplans für die Kreislaufwirtschaft unterbreitet werden.

    3.   Herausforderungen — Analyse der aktuellen Situation

    3.1.

    Das Leben in Europa übersteigt die Belastungsgrenzen unseres Planeten immer noch bei Weitem. Zu dieser Schlussfolgerung (6) gelangen auch verschiedene Studien, die anhand unterschiedlicher Methoden die Konsummuster in der EU analysiert haben. So z. B. ein neuer Bericht der Europäischen Umweltagentur (EUA) und des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) der Schweiz (7).

    3.2.

    Der Konsum von Produkten und Dienstleistungen verursacht direkte und indirekte Belastungen in Form von Landnutzungsänderungen, Emissionen und der Freisetzung toxischer Chemikalien in die Umwelt, die sich wiederum in verschiedenartigen Umweltauswirkungen wie u. a. Klimawandel, Verknappung und Verschmutzung von Süßwasser und Verlust der Artenvielfalt niederschlagen. Dieser konsumbedingte ökologische Fußabdruck in Europa ist groß — im weltweiten Vergleich mit am größten. Aus den vorhandenen Daten ist zu schließen, dass nahezu drei Erden notwendig wären, um den Ressourcenverbrauch der Weltbevölkerung nachhaltig zu decken, wenn jeder Erdbewohner so viel verbrauchen würde wie der Durchschnittseuropäer (8)(9).

    3.3.

    Zur Aufrechterhaltung seines hohen Konsumniveaus ist Europa auf andernorts abgebaute Ressourcen angewiesen und exportiert so in zunehmendem Maße die damit verbundenen Umweltbelastungen (10). Insgesamt lässt sich dieses Modell nicht mehr mit einer sicheren und nachhaltigen Zukunft vereinbaren (11).

    3.4.

    Der Export des ökologischen Fußabdrucks der EU durch den Handel trägt nicht zur Nachhaltigkeit bei. Allerdings ist zu bedenken, dass der Handel mit der EU einen erheblichen Einfluss auf die sozioökonomische Entwicklung vieler Länder hat, insbesondere der am wenigsten entwickelten Länder, zumal die EU über den Handel aktiv die Nachhaltigkeit weltweit und innerhalb der Handelspartnerstaaten fördert. Deshalb müssen die Grundsätze der Fairness, Kreislauforientierung und eines nachhaltigeren Konsums sorgfältig auf die Erfordernisse des Handels abgestimmt werden, um sowohl für die EU als auch für ihre Handelspartner Vorteile zu bringen (12).

    3.5.

    Die derzeitigen europäischen Konsummuster werfen auch mehrere Fragen in Bezug auf die soziale Gerechtigkeit auf. Während der materialverbrauchsbedingte ökologische Fußabdruck in einigen Regionen Europas weltweit mit am höchsten ist (13), liegt der Lebensstandard in anderen Regionen in Europa unter dem generell als vertretbar geltenden Niveau. Das Ausmaß der materiellen Deprivation wie auch der wirtschaftlichen Belastung ist EU-weit sehr unterschiedlich (14). Der Konsum steht deshalb in engem Zusammenhang mit den politischen Agenden in bspw. den Bereichen Ernährung, Armut und Ungleichheit (15). Ein nachhaltigerer Konsum in ganz Europa kann in einigen Regionen einen Anstieg und in anderen einen Rückgang der Ressourcennutzung bewirken, sprich: insgesamt einen ausgewogeneren Ressourcenzugang und eine bessere Ressourcennutzung (16).

    3.6.

    Nicht nachhaltiger Konsum ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Faktoren. Das vorherrschende Geschäftsmodell ist linear, denn das Wachstum der meisten Unternehmen beruht nach wie vor darauf, dass mehr Menschen mehr kaufen. Die tatsächliche Lebensdauer vieler Konsumgüter wird kürzer (17), während Reparaturen immer schwieriger (gemacht) werden (18). Alternativen zu dem linearen, auf dem Grundsatz nehmen-produzieren-wegwerfen beruhenden Wirtschaftsmodell, die bei Kreislauffähigkeit, Instandhaltung und gemeinsamer Nutzung ansetzen, könnten zu einer Verringerung des Gesamtmaterialverbrauchs beitragen. Sie setzen sich aber bisher nicht durch und können sich unter aktuellen Bedingungen häufig nicht gegenüber linearen Lösungen behaupten (19). Tatsächlich werden wiederverwendete/wiederaufgearbeitete/recycelte Sekundärerzeugnisse häufig zusätzlich zu neuen Primärerzeugnissen verkauft, so dass sowohl durch die Primär- als auch durch die Sekundärproduktion Umweltauswirkungen entstehen (20). Die Förderung der Kreislauffähigkeit ohne einen gleichzeitigen systemischen Wandel in Produktion (insbesondere Produktdesign), Konsum und Abfallvermeidung würde das Problem daher nur zum Teil lösen. Verbraucher sollten ein echtes „Recht auf Reparatur“ in Anspruch nehmen können.

    3.7.

    Einer der wichtigsten Faktoren und Treiber der Nachfrage ist der Preis (21). Solange also der Preis von Produkten und Dienstleistungen nicht genauer den tatsächlichen Kosten entspricht, wird auch eine generelle Umstellung auf nachhaltige Konsummuster ausbleiben. Die wirtschaftlichen Kosten der ökologischen und sozialen externen Effekte von Produktion und Verbrauch werden derzeit gewöhnlich von den Steuerzahlern und den künftigen Generationen getragen und nicht von den Unternehmen, die die betreffenden Produkte und Dienstleistungen vermarkten. Produkte und Dienste, die sich als Alternativen mit geringeren Auswirkungen anbieten, sind häufig immer noch teurer und schwieriger zugänglich, obwohl nachhaltigere Konsumoptionen wie Bio- und Fair-Trade-Produkte erwiesenermaßen weniger negative externe Effekte aufweisen (22).

    3.8.

    Seit der Ökonom Pigou den Begriff der Kosten von „Externalitäten“ einführte (23), sind „echte Kostenrechnungen“ indes verstärkt ins Blickfeld gerückt und unzählige Werke darüber geschrieben worden. Die Kommission veröffentlichte 2008 eine Strategie zur Internalisierung externer Kosten (24), der zufolge die wichtigsten volkswirtschaftlichen Instrumente zur Internalisierung externer Kosten die Besteuerung, Mautgebühren (oder Nutzungsrechte) und unter bestimmten Bedingungen der Emissionshandel sind. Langfristig jedoch geht der Anteil der Umweltsteuereinnahmen an den Gesamteinnahmen aus Steuern zurück (25).

    3.9.

    Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich die derzeit vorherrschende Auslegung des Wettbewerbsrechts auf einen sehr engen Begriff des Verbraucherwohls stützt, bei dem günstige Ladenpreise für die Verbraucher Vorrang vor der Nachhaltigkeit von Produkten und der Art und Weise ihrer Herstellung haben. Im Jahr 2013 entschied die niederländische Wettbewerbsbehörde ACM, dass eine zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften, Umweltorganisationen und anderen Interessenträgern getroffene Energievereinbarung für nachhaltiges Wachstum zur Förderung von Energieeinsparung, erneuerbaren Energieträgern und Beschäftigung nicht mit wettbewerbsrechtlichen Anforderungen vereinbar war. 2014 entschied die ACM, dass die zwischen verschiedenen Interessenträgern getroffene Vereinbarung „Kip van Morgen“ zur Verbesserung des Tierwohls durch weniger Antibiotikaeinsatz und mehr Auslauf und zur Durchführung von Umweltmaßnahmen den Wettbewerb beeinträchtigte.

    3.10.

    In den Leitlinien der Kommission zur Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 AEUV heißt es, dass Artikel 101 „den Wettbewerb im Markt schützen [soll], um den Wohlstand der Verbraucher zu fördern und eine effiziente Ressourcenallokation zu gewährleisten“. An keiner Stelle wird erläutert, ob oder wie nichtwirtschaftliche Erwägungen berücksichtigt werden können. Viele Akteure würden ihre Nachhaltigkeitsprojekte gerne ausbauen, können die hohen Investitionen indes nicht allein stemmen. In den wettbewerbsrechtlichen Leitlinien sollten ihnen klar die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit für Nachhaltigkeit aufgezeigt werden.

    3.11.

    Eine neue Studie der Fairtrade Foundation belegt, dass eine unklare Rechtslage die Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit der Marktakteure, um bezüglich der niedrigen Erzeugerpreise Abhilfe zu schaffen, erschwert und dadurch Fortschritte bei einer lieferkettenübergreifenden kollektiven Zusammenarbeit zur Gewährleistung existenzsichernder Löhne und Einkommen behindert. Der Bericht fordert im Interesse des Fortschritts Klarstellungen seitens der Wettbewerbsbehörden, inwieweit eine vorwettbewerbliche Zusammenarbeit zur Lösung des Problems der niedrigen Erzeugerpreise mit dem Wettbewerbsrecht in Einklang gebracht werden kann (26).

    3.12.

    Ein kohärenter Ansatz im Bereich nachhaltiger Konsum wird durch die derzeitige Fragmentierung der EU-Maßnahmen erschwert. Zur Umsetzung der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe (27) bspw. geben diverse Generaldirektionen der Kommission jeweils eigene Leitlinien für die öffentlichen Auftraggeber heraus (so das Handbuch „Umweltorientierte Beschaffung!“ der GD Umwelt (28) und den Leitfaden „Sozialorientierte Beschaffung“ der GD GROW (29) (wird derzeit aktualisiert)). Zudem liegt noch ein weiterer „Leitfaden für eine innovationsfördernde Vergabe öffentlicher Aufträge“ (30) der Kommission vor. Dies kann für öffentliche Auftraggeber, die sich im Einklang mit SDG 12.7 für nachhaltige Beschaffungsverfahren entscheiden, außerordentlich verwirrend sein.

    4.   Zukunftsentwurf — Entwicklung einer umfassenden EU-Strategie für nachhaltigen Konsum

    4.1.

    Strategien für nachhaltige Produktionsprozesse (bspw. Ökodesign), Produkte und Dienstleistungen sowie für die Behandlung von Materialien, die zu Abfall werden, sind seit Langem ein Eckpfeiler der EU-Politik und in einen einigermaßen bewährten politischen Rahmen eingebettet. Dieser Ansatz stößt nun aber an seine Grenzen. Um den erforderlichen umfassenden Wandel innerhalb der noch verfügbaren Zeit herbeizuführen, muss die Bedeutung des Konsums für eine nachhaltige Entwicklung verstärkt ins Blickfeld gerückt werden.

    4.2.

    Der Schwerpunkt konsumspezifischer EU-Maßnahmen lag bisher auf der Rolle der Bürger als Verbraucher und auf dem Einsatz informationsgestützter Politikinstrumente zur Beeinflussung des Verbraucherverhaltens. Als Beispiele wären insbesondere die Umweltkennzeichnung von Produkten, Sensibilisierungskampagnen und freiwillige Kriterien für eine umweltorientierte öffentliche Beschaffung zu nennen.

    4.3.

    Diese Politikinstrumente haben sich kaum zugunsten eines nachhaltigeren Konsums ausgewirkt. Tatsächlich spricht wenig dafür, dass bessere Informationen über die Umweltleistung von Produkten, wie z. B. Umweltzeichen, das reale Kaufverhaltens ändern, geschweige denn im erforderlichen Umfang. Dies ist auf verschiedene Rebound-Effekte, unterbewusste Routinen und Gewohnheiten zurückzuführen (31). Unsere Verbraucherentscheidungen (im Haushalt, in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Sektor) werden weitgehend preis- und komfortorientiert getroffen (32), wobei dies im aktuellen System allerdings nicht an den Verbrauchern, sondern an den Produzenten liegt (33). Die kapitalistische Denkweise und die ungleiche Machtverteilung in der Lieferkette führen zu einem Unterbietungswettbewerb, bei dem die Nachhaltigkeit dem Preisdruck weichen muss.

    4.4.

    Die Bürgerinnen und Bürger können auch nicht wirklich für einen nachhaltigeren Konsum in die Verantwortung genommen werden, solange die echten Kosten der meisten Produkte und Dienstleistungen verdeckt bleiben und Markthebel wie auch gesellschaftliche Hebel einen steigenden Materialverbrauch fördern. Die Verantwortung des privaten und des öffentlichen Sektors bei der Bekämpfung von nicht nachhaltigem Konsum muss deutlicher anerkannt werden. Durch geeignete Instrumente muss in ausgewogener und transparenter Weise sichergestellt werden, dass die gesündere, nachhaltigere und sicherere Wahl auch jeweils die einfachere und erschwinglichere Wahl für die Verbraucher ist. Die Europäische Kommission sollte weiterhin von der Zivilgesellschaft ausgehende europaweite Kampagnen für nachhaltigen Konsum unterstützen und nicht nur individuelle Verbraucherentscheidungen ins Visier nehmen.

    4.5.

    Der bisherige EU-Ansatz wird natürlich auch durch die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten bestimmt. Politische Instrumente, die zur Nachfragesteuerung eingesetzt werden können, wie bspw. Steuern, fallen weitgehend in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die EU hat indes maßgebend dafür zu sorgen, dass Europa innerhalb der Belastungsgrenzen des Planeten lebt, und verfügt über verschiedene Möglichkeiten, gegen einen nicht nachhaltigen Konsum vorzugehen. Für einige Mitgliedstaaten könnte auch eine weitergehende Orientierung seitens der EU mittels eines Toolkits vorteilhaft sein.

    4.6.

    Auf Fairness oder Kreislauffähigkeit ausgerichtete Einzelstrategien sind notwendig, aber nicht hinreichend, um Nachhaltigkeit zu erreichen. Zudem besteht die Gefahr, dass nicht auf einander abgestimmte politische Maßnahmen für nachhaltigeren Konsum im weiteren Verlauf zu unvorhergesehenen Problemen führen. Es muss ein systemischer und koordinierter Ansatz entwickelt werden, der der komplexen Sachlage gerecht wird und in den kohärente Beiträge verschiedener Politikbereiche, von der Forschungs- und Innovationspolitik über die sektor- und branchenbezogene Politik bis hin zur Bildungs-, Sozial-, Handels- und Beschäftigungspolitik, einfließen (34). Insbesondere muss eine EU-Strategie ehrgeizige, ggf. erforderliche regulatorische Maßnahmen ergänzen und darf sie nicht aushebeln.

    4.7.

    Eine EU-Strategie für nachhaltigen Konsum sollte den Mitgliedstaaten und der Privatwirtschaft einen ehrgeizigen Rahmen für die Steuerung des Konsums der privaten Haushalte und des öffentlichen Sektors bieten. Die Märkte sind nicht von selbst nachhaltigkeitsorientiert. Es muss eine Strategie aufgelegt werden, um den rechtlichen Rahmen und die strategische Ausrichtung zu schaffen, die ehrgeizige Vorreiter-Initiativen unterstützen, und zwar sowohl für Produkte als auch für Dienstleistungen (denn die Dienstleistungswirtschaft ist nicht unbedingt nachhaltig).

    4.8.

    Eine EU-Strategie würde auch den Forderungen der europäischen Verbraucher an die EU gerecht, einen Strukturwandel und die Schaffung neuer Infrastrukturen im Hinblick auf eine nachhaltigere Lebensweise sicherzustellen (35).

    4.9.

    Die bereichsübergreifende Berücksichtigung des Konsums auf EU-Ebene kann auch zur Vermeidung von Rebound-Effekten und anderen unvorhergesehenen Auswirkungen überarbeiteter und/oder neuer Maßnahmen beitragen und einen längerfristigen kulturellen Wandel hinsichtlich der Einstellung zu Suffizienz und Konsum bei der Umsetzung der Agenda 2030 unterstützen.

    4.10.

    Eine EU-Strategie für nachhaltigen Konsum sollte Ziele für die Verringerung des Materialfußabdrucks des europäischen Konsums in absoluten Zahlen beinhalten. EU-Ziele können sowohl anderen Regierungs- und Verwaltungsebenen als auch privaten und öffentlichen Innovatoren Orientierung geben und für die erforderliche Dynamik und Kohärenz sorgen, um die Ökonomie des Wohlergehens (36) zu schaffen.

    4.11.

    Ferner ist der zentrale Aspekt der Ressourcengerechtigkeit in der EU-Politik lange vernachlässigt worden (37). Eine Strategie für nachhaltigen Konsum muss die Menschen in den Mittelpunkt stellen und darauf abzielen, nachhaltige Verbraucherentscheidungen für alle möglich, erschwinglich und attraktiv zu machen, wobei insbesondere die Auswirkungen auf schutzbedürftige Gruppen und einkommensschwache Haushalte zu berücksichtigen sind. Auch ausgabefreudige gesellschaftliche Gruppen müssen angemessen berücksichtigt werden.

    4.12.

    Arbeitnehmern und Landwirten kommt bei der Förderung eines nachhaltigen Konsums eine Schlüsselrolle zu. Denn sie sind sowohl Verbraucher am Ende der Kette als auch Erzeuger am Anfang der Lieferkette. Daher ist es von wesentlicher Bedeutung, dass Maßnahmen für einen nachhaltigen Konsum auch eine ausgewogene Verteilung der Wertschöpfung in und entlang der Wertschöpfungskette umfassen. Dazu gehört z. B. die Förderung existenzsichernder Löhne für Arbeitskräfte und existenzsichernde Einkommen für Bauern sowohl in der EU als auch im Globalen Süden, anstatt lediglich auf kurzfristig günstige Verbraucherpreise abzuzielen. Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Bauernverbände und Organisationen der Zivilgesellschaft können auch eine maßgebende Rolle bei der Überwachung der Einhaltung von Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsstandards in globalen Wertschöpfungsketten übernehmen.

    4.13.

    Der Einzelhandel kann ebenfalls einen großen Beitrag zur Förderung eines nachhaltigen Konsums leisten und die Verbraucher zu gesünderen und nachhaltigeren Entscheidungen motivieren. In diesem Bereich ist insbesondere das Geschäftsmodell der Konsumgenossenschaft hervorzuheben. Bei diesem speziellen unternehmerischen Konzept stehen die Verbraucher, die Mitglieder sind, im Mittelpunkt der Geschäftsstruktur und der demokratischen Lenkungsstruktur.

    4.14.

    Eine EU-Strategie sollte Initiativen zur Gewährleistung eines transparenten und zuverlässigen Informationsflusses zur Förderung eines nachhaltigen Konsums umfassen, wobei das Potenzial neuer und künftiger digitaler Lösungen genutzt werden sollte. Dies könnte auch zur Unterstützung von Unternehmen beitragen, die zu Innovationen bereit sind, aber derzeit über keine Parameter und Daten für eine zuverlässige Bewertung der ökologischen und sozialen Auswirkungen des Alltagskonsums verfügen. Besonders KMU, Start-ups und Genossenschaften als potenzielle Innovatoren auf Pilotplattformen stehen vor diesem Problem. Der EU fällt im Übrigen auch eine wichtige Aufgabe hinsichtlich der Harmonisierung und Überprüfung von Umweltaussagen im Binnenmarkt zu. Derzeit stiftet die Unmenge an unterschiedlich gut belegten Umweltaussagen nur Verwirrung und untergräbt womöglich das Vertrauen der Verbraucher in ihre Rechtmäßigkeit. Der EWSA begrüßt daher die Absicht der Kommission, im Zuge der Durchführung des neuen Kreislaufwirtschaftsaktionsplans einen Legislativvorschlag vorzulegen, um sicherzustellen, dass Unternehmen ihre Umweltaussagen belegen.

    4.15.

    Eine EU-Strategie für nachhaltigen Konsum sollte Synergien mit anderen Politikbereichen berücksichtigen und fördern. Bspw. gehen 45 % der CO2-Gesamtemissionen in Europa darauf zurück, wie wir Produkte herstellen und verwenden und wie wir Lebensmittel herstellen (38). Werden Lebensmittel anders angebaut, verarbeitet und konsumiert, können Lebensmittelsysteme auch gesundheitsfördernd wirken und die Widerstandsfähigkeit stärken. Dies heißt ganz klar, dass landwirtschaftliche Nutztiere artgerecht gefüttert werden und die Verbraucher sich ausgewogener ernähren und weniger Fleisch essen sollten — zum Vorteil von Klima und Gesundheit (39). Konsum und Nachfrage haben einen entscheidenden Einfluss darauf, ob es uns gelingen wird, den Klimagasausstoß zu senken. Die größte Herausforderung, wenn wir dem Verlust der Artenvielfalt und der Zerstörung der Ökosysteme in Europa Einhalt gebieten wollen, besteht dementsprechend in der Änderung unserer Lebensweise, die die Belastungsgrenzen unserer einen Erde sprengt (40). Der EWSA bekräftigt auch seine Forderung, die Rechte der Natur anzuerkennen, um ihre Gleichwertigkeit mit den Rechten der Personen und der Unternehmen zu gewährleisten (41).

    5.   Vom Zukunftsentwurf zur Umsetzung — mögliche Maßnahmen auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten

    5.1.

    Mit Blick auf den Wiederaufbau nach der COVID-19-Krise fordert der EWSA die Kommission, das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten auf, eng mit ihm zusammenzuarbeiten, um ein umfassendes und koordiniertes Programm integrierter strategischer Maßnahmen zu entwerfen. Dieses wird im Einklang mit dem Grundsatz „build back better“ einen besseren Wiederaufbau Europas unterstützen und die Schaffung der Voraussetzungen für eine umfassende EU-Strategie für nachhaltigen Konsum ermöglichen. Grüne Konjunkturprogramme sollten dem notwendigen systemischen Wandel in den Bereichen Mobilität, Ernährung, Wohnungswesen, Freizeit, Energiesysteme und Produktgruppen mit hohen Umweltauswirkungen (42) zum Durchbruch verhelfen und dabei den Auswirkungen des Konsums der EU sowohl in der EU als auch im Globalen Süden Rechnung tragen. Die folgenden Vorschläge sollen hierfür als Ausgangspunkt dienen.

    5.2.    Rechts- oder Regulierungsinstrumente

    5.2.1.

    Einführung von Produktnormen (Vorschriften) und Verboten von Produkten (Sperren) zur Förderung der Nachhaltigkeit bzw. der Langlebigkeit von Produkten. Der EWSA bewies Weitsicht und forderte bereits 2013 in seiner Stellungnahme zum Thema Produktlebensdauer und Verbraucherinformation (43) und auch in späteren Stellungnahmen ein vollständiges Verbot der geplanten Obsoleszenz. Er bezeichnete es als sinnvoll, ein System einzurichten, das eine Mindestlebensdauer für erworbene Produkte gewährleistet. Ein jüngst vom IMCO-Ausschuss des EP erstellter Bericht geht ganz in diese Richtung (44). In diesem Zusammenhang sollten auch die Auswirkungen des zunehmenden elektronischen Geschäftsverkehrs, z. B. während der COVID-Krise, untersucht werden.

    5.2.2.

    Verbot unlauterer Handelspraktiken, nicht nur in den Lebensmittelversorgungsketten über die neue einschlägige Richtlinie (45), sondern auch in anderen Branchen wie bspw. der Textilindustrie, wo unlautere Handelspraktiken infolge der COVID-19-Krise überhand nehmen (46). Der EWSA fordert eine ausgewogene Umsetzung der Richtlinie über unlautere Handelspraktiken. Große Markenhersteller, die ihre Verhandlungsmacht zum Erzielen großer Gewinnspannen missbrauchen, dürfen nicht geschützt werden.

    5.2.3.

    Wettbewerbsrecht: Ermöglichung kollektiver Verhandlungen zwischen Lieferanten und Käufern über den Preis (und die Lieferbedingungen) grundlegender Konsumgüter, insbesondere an den Schnittstellen mit großen Unterschieden im Konzentrationsgrad aufeinanderfolgender Stufen der Wertschöpfungskette (z. B. Fragmentierung der Lieferanten gegenüber einer Konzentration der Käufer). Anlässlich der laufenden Überarbeitung der Leitlinien für Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit durch die Europäische Kommission sollte erneut ein Absatz über sektorale Nachhaltigkeitsvereinbarungen nach dem Vorbild des Absatzes über Umweltschutzvereinbarungen in den früheren Leitlinien von 2001 (47) aufgenommen werden, unter Anpassung an den derzeitigen Kontext und Berücksichtigung des europäischen Grünen Deals, des Übereinkommens von Paris sowie von SDG 12.

    5.2.4.

    Handelsregeln: Die Durchsetzbarkeit von Sozial- und Umweltklauseln in Handelsabkommen über Sanktionen bei Nichteinhaltung sicherstellen (z. B. gezielte Zollerhöhungen für strategische Sektoren, ausgenommen Sektoren, in denen die Erhebung von Zöllen zu einer Zunahme der Armut in den am wenigsten entwickelten Ländern führen könnte).

    5.2.5.

    Rechenschaftspflicht von Unternehmen: Verbindliche Sorgfaltspflicht für Käufer für Nachhaltigkeit entlang ihrer gesamten Lieferkette (Einführung einer Verpflichtung) als Teil der Unternehmensverantwortung. Anstatt eine „Checkliste“ abzuhaken, sollten die Unternehmen laut OECD lieber ihre Einkaufspraktiken überprüfen (48). Auch sollte Lobbyarbeit an strengere gesetzliche Auflagen gebunden werden. Es sollten Maßnahmen gegen grünen Etikettenschwindel ergriffen werden.

    5.2.6.

    Verpflichtende Nutzung eines Standardinstruments zur Verfolgung und Rückverfolgung von Informationen über die in der Wertschöpfungskette durchgeführten Tätigkeiten — wer, wann, wo, unter welchen sozialen und ökologischen Bedingungen (Bereitstellung der technischen Mittel zur Erfüllung der Verpflichtung). Die Zivilgesellschaft und die Gewerkschaften sollten in die Entwicklung und Überwachung von Umwelt- und Sozialstandards einbezogen werden.

    5.3.    Wirtschafts-und Finanzinstrumente

    5.3.1.

    Verlagerung der Steuerlast von der Arbeit auf die Ressourcennutzung: Nutzung der laufenden Überarbeitung der MwSt-Verordnung, um klare Kriterien dafür festzulegen, wie die Mitgliedstaaten ermäßigte Mehrwertsteuersätze für nachhaltig hergestellte Produkte sowie auch für Dienstleistungen einführen können, die die Negativfolgen des Konsums eindämmen, wie bspw. Reparaturdienste und Sharing Services (gemeinsame Nutzung von Diensten). Förderung von Maßnahmen zur Vorbeugung gegen Steuerwettbewerb unter den Mitgliedstaaten und einer daraus entstehenden Abwärtsspirale sowie eine gerechtere Besteuerung der profitabelsten Sektoren und des Kapitals.

    5.3.2.

    Verursacherprinzip: Die Europäische Kommission nimmt den Ansatz der Internalisierung externer Effekte mittlerweile ernster und räumt beispielsweise ein, dass erneuerbare Energien benachteiligt werden, solange sich die externen Kosten fossiler Ressourcen nicht vollständig in der Marktpreisgestaltung niederschlagen, oder ist bemüht, das Verursacherprinzip im Verkehrssektor anzuwenden. Allerdings muss bedacht werden, dass bei diesen Ansätzen die ökologische mit der ökonomischen Dimension der Nachhaltigkeit in Einklang gebracht wird, die soziale Dimension aber außen vor bleibt (49).

    5.3.3.

    Faire und umweltorientierte öffentliche Beschaffung: In SDG 12.7 wird auf die Notwendigkeit nationaler Aktionspläne für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung verwiesen. Zahlreiche nationale Aktionspläne zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gehen auf die öffentliche Beschaffung ein, und auf nationaler Ebene gibt es mehrere bewährte Verfahren. So hat Dänemark beispielsweise in seinen öffentlichen Kantinen auf einen hohen Anteil an ökologischen/biologischen Erzeugnissen umgestellt, wobei Haushaltsvorgaben Rechnung getragen wird. Lokale Gebietskörperschaften für Nachhaltigkeit (ICLEI) engagiert sich derzeit in einer Initiative für eine verpflichtende, schrittweise Einführung einer nachhaltigen Lebensmittelbeschaffung in allen europäischen Schulen und Kindergärten. In ihrem neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft kündigt die Kommission an, dass öffentliche Auftraggeber zur Teilnahme an der Initiative „Öffentliche Auftraggeber für Klima und Umwelt“ ermuntert werden, die den Austausch zwischen Auftraggebern, denen an einer umweltorientierten öffentlichen Beschaffung gelegen ist, erleichtern wird. Der EWSA fordert die Kommission auf, umfassendere Nachhaltigkeitskriterien, bspw. soziale oder Fairtrade-Erwägungen, einzubeziehen. Er begrüßt ferner die Absicht der Kommission, in sektorspezifischen Rechtsvorschriften verbindliche Mindestkriterien und Zielvorgaben für die umweltorientierte öffentliche Beschaffung vorzuschlagen und schrittweise eine obligatorische Berichterstattung einzuführen‚ um die Verbreitung der umweltorientierten öffentlichen Beschaffung zu überwachen.

    5.3.4.

    Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit zur Unterstützung von landwirtschaftlichen Kleinbetrieben, KMU und Konsumgenossenschaften.

    5.4.    Freiwilliges oder informationsgestütztes Instrument

    5.4.1.

    Produktkennzeichnungen können die Nachhaltigkeitsbemühungen bestimmter Unternehmen stärken, aber sie sollten niemals als Vorwand für eine Nicht-Regulierung inakzeptabler Verhaltensweisen und Praktiken dienen. So ist beispielsweise eine der Optionen, die die Kommission als Folgemaßnahme zu der Mitteilung über die Intensivierung der EU-Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung der Wälder in der Welt in Erwägung zieht, die Einführung eines Gütesiegels für entwaldungsfreie Lieferketten. Allerdings könnte dadurch der falsche Eindruck entstehen, dass die EU Produkte auf ihrem Binnenmarkt toleriert, die nicht waldfreundlich sind, und zu Verwirrung führen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, die bestehenden Umweltzeichen, die die gesamte Umweltbilanz erfassen, wie das EU-Umweltzeichen, weiterzuentwickeln und um die soziale Dimension zu erweitern. Insbesondere eine Kennzeichnung, die eine klare Auskunft über den Ursprung und die Produktionsverfahren gibt, würde den Verbrauchern die Auswahl erleichtern (50).

    5.4.2.

    Bottom-up-Initiativen und Multi-Level-Governance: Über einen dezentralen, vor Ort von bürgernahen Akteuren wie Kommunalverwaltungen und Verbänden vertretenen Ansatz können wirksam lokale Maßnahmen unter enger und konstruktiver Einbindung der Bürger konzipiert werden. Immer mehr Kommunen entwickeln weitreichende Nachhaltigkeitsstrategien, was seitens der Kommission durch Auszeichnungen wie „Grüne Hauptstadt Europas“ oder „EU-Städte für fairen und ethischen Handel“ sowie die „Vereinbarung für Grüne Städte“ gefördert wird. Die aktuellen Reaktionen auf die COVID-19-Krise dürften sich auch auf diese Muster und Tendenzen auswirken. Pilotmaßnahmen in einem realen Umfeld können einen sehr wichtigen Beitrag zur Gestaltung und Durchführung der EU-Strategie für nachhaltigen Konsum leisten und sollten deshalb unterstützt werden.

    5.4.3.

    Werbung und Marketing: Auch die Rolle von Werbung und Marketing sollte thematisiert werden, um ihren Schwerpunkt von der Konsumförderung auf die Haltbarkeit und neue Verwendungsmöglichkeiten von Produkten zu verlagern, wobei irreführende Werbung zu untersagen ist.

    5.4.4.

    Bildung: Es sollten Vorschläge unterbreitet werden, die Erziehung zu nachhaltigem Konsum so früh wie möglich in die schulischen Lehrpläne aufzunehmen und private Bildungsinitiativen (z. B. seitens Verbrauchergenossenschaften) anzuregen. Es gilt, die Bürgerbeteiligung und einen kulturellen Wandel zu fördern.

    Brüssel, den 18. September 2020

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Luca JAHIER


    (1)  Die Verantwortung der Hersteller/Erzeuger gilt sektorübergreifend, doch muss der besonderen Situation der Landwirte Rechnung getragen werden.

    (2)  Entschließung des EWSA zu Wiederaufbau und wirtschaftlicher Erholung nach der COVID-19-Krise.

    (3)  Eurostat, Sustainable development in the EU, 2020.

    (4)  ABl. C 106 vom 31.3.2020, S. 1.

    (5)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 30.

    (6)  EUA, Die Umwelt in Europa — Zustand und Ausblick 2020 (SOER 2020).

    (7)  EUA.

    (8)  Global Footprint Network.

    (9)  Vandermaesen, T. et al. (2019) EU overshoot day — Living beyond nature's limits. WWF.

    (10)  SOER 2020.

    (11)  Steffen, W. et al., 2015.

    (12)  Kettunen, M., Gionfra, S., und Monteville, M. (2019). EU circular economy and trade, IEEP Brussels/London.

    (13)  EUA.

    (14)  Eurostat.

    (15)  UNECE (2018).

    (16)  Rijnhout, L., Stoczkiewicz, M., Bolger, M. (2018). Necessities for a Resource Efficient Europe.

    (17)  EUA (2018) Waste prevention in Europe.

    (18)  EUB (2019) Coolproducts don’t cost the earth.

    (19)  OECD (2019).

    (20)  Zink, T., und Geyer, R. (2017).

    (21)  Eurobarometer-Umfrage zur Lebensmittelsicherheit, Juni 2019.

    (22)  The external costs of banana production.

    (23)  Pigou, A. C. (1920). The Economics of Welfare.

    (24)  Mitteilung der Kommission über die Strategie zur Internalisierung externer Kosten (KOM(2008) 435 endg.).

    (25)  Eurostat.

    (26)  Competition Policy and Sustainability: A study of industry attitudes towards multi-stakeholder collaboration in the UK grocery sector — Fairtrade Foundation. London, UK; April 2019.

    (27)  Richtlinie 2014/24/EU.

    (28)  Handbuch zur umweltorientierten Beschaffung.

    (29)  Sozialorientierte Beschaffung.

    (30)  Mitteilung der Kommission — Leitfaden für eine innovationsfördernde Vergabe öffentlicher Aufträge (2018).

    (31)  D. h. konkrete Verhaltensänderungen gegenüber der erklärten Bereitschaft zu Verhaltensänderungen (siehe die Zusammenfassung einschlägiger Forschungsarbeiten durch LE Europe et al. (2018).

    (32)  LE Europe, VVA Europe, Ipsos, ConPolicy and Trinomics (2018).

    (33)  Siehe Fußnote 1.

    (34)  EUA.

    (35)  BEUC (2020).

    (36)  ABl. C 106 vom 31.3.2020, S. 1.

    (37)  Rijnhout, Stoczkiewicz, Bolger (2018).

    (38)  Ellen-MacArthur-Stiftung (2019).

    (39)  ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 9.

    (40)  Gerritsen, E., und Underwood, E. (2019) What the Green Deal means for Europe’s biodiversity. Allen, B., und Charveriat, C. (2018)

    A meaty challenge. IEEP, Brussels.

    (41)  ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 22.

    (42)  IEEP & FEPS.

    (43)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 23.

    (44)  IMCO-Bericht.

    (45)  ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 165.

    (46)  Berichte von OECD, der Zivilgesellschaft und Gewerkschaften.

    (47)  ABl. C 3 vom 6.1.2001, S. 2.

    (48)  OECD-Leitfaden für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für Verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln (Bekleidung und Schuhwaren).

    (49)  ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 30.

    (50)  ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 9.


    Top