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Document 52011AE0526

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbraucher und grenzüberschreitende Möglichkeiten im Binnenmarkt“ (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des ungarischen Ratsvorsitzes)

    ABl. C 132 vom 3.5.2011, p. 3–7 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    3.5.2011   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 132/3


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verbraucher und grenzüberschreitende Möglichkeiten im Binnenmarkt“

    (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des ungarischen Ratsvorsitzes)

    2011/C 132/02

    Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ

    Mit Schreiben vom 15. November 2010 ersuchte Péter GYÖRKÖS im Namen des ungarischen Ratsvorsitzes den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema

    Verbraucher und grenzüberschreitende Möglichkeiten im Binnenmarkt“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 4. März 2011 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 470. Plenartagung am 15./16. März 2011 (Sitzung vom 15. März) mit 175 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen an den ungarischen Ratsvorsitz

    1.1

    Der EWSA dankt dem ungarischen Ratsvorsitz, dass er ihm die Gelegenheit gegeben hat, zu den wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit den Entwicklungen der Möglichkeiten der europäischen Verbraucher im Rahmen des Binnenmarkts Stellung zu nehmen und auf diese Weise zu den Arbeiten des EU-Ratsvorsitzes im ersten Halbjahr 2011 beizutragen.

    1.2

    Der EWSA hält es für unverzichtbar, die Debatte über die Grundlagen eines neuen Ansatzes der Verbraucherpolitik mit Blick auf 2030 wieder aufzugreifen, und hofft, dass der ungarische Ratsvorsitz, die anderen Institutionen und die Sozialpartner daran mitwirken.

    1.3

    Der Ausschuss ist erfreut darüber, dass der Rat am 24. Januar 2011 einen gemeinsamen Ansatz zum Verbraucherrecht genehmigt hat, betrachtet jedoch mit Sorge die darauf folgenden Entwicklungen im Europäischen Parlament und ruft deshalb den ungarischen Ratsvorsitz auf, an dem vom Rat vorgegebenen Weg festzuhalten, damit das Vertrauen der Verbraucher durch das Endergebnis wiederhergestellt werden kann.

    1.4

    In Bezug auf die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken empfiehlt der EWSA dem ungarischen Ratsvorsitz, eingehendere Überlegungen zum Prinzip der vollständigen Harmonisierung anzustellen, und zwar von Beginn der Debatten an, jedoch nach einer Folgenabschätzung und der Berücksichtigung der erheblichen Schwächung des Verbraucherschutzniveaus in denjenigen Mitgliedstaaten, die sie umgesetzt haben.

    1.5

    Bezüglich eines Rechtsinstruments für eine Sammelklage auf EU-Ebene fordert der EWSA den ungarischen Ratsvorsitz auf, politischen Mut zu zeigen, damit es unverzüglich angenommen wird, zumal in zahlreichen Studien bereits die Relevanz und Machbarkeit eines solchen Vorhabens aufgezeigt wurde.

    1.6

    Betreffend die Revision der Richtlinie „Pauschalreisen“ und der Rechtsvorschriften über die Fluggastrechte empfiehlt der EWSA dem ungarischen Ratsvorsitz, diese gemeinsam zu behandeln und die Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeiten im Fall von Konflikten oder mangelhafter Erbringung bzw. Irreführung festzulegen.

    1.7

    Im Rahmen des Binnenmarkts der Privatkunden-Finanzdienstleistungen empfiehlt der EWSA dem ungarischen Ratsvorsitz, folgende Dossiers weiter voranzubringen: Mindestbankdienstleistungen für alle europäischen Bürger, zuverlässiges und in allen Mitgliedstaaten identisches elektronisches Zahlungssystem, strenge Definition der Verantwortung der Banken bei der Kreditvergabe, einheitliches gesamteuropäisches Versicherungssystem, Typologie missbräuchlicher Klauseln und unlauterer Geschäftspraktiken konkret im Bereich der Finanzdienstleistungen, Vergleichbarkeit der Bankgebühren, Einlagensicherung und stärkere Verpflichtung zur Beratung über komplexe Finanzprodukte. Die Verstärkung der Finanzaufsicht ist angesichts der fortdauernden Finanzkrise eine Mindestforderung.

    1.8

    Im Rahmen der digitalen Agenda wird der ungarische Ratsvorsitz dringende Entscheidungen über eine genaue Definition der Grundrechte der Verbraucher in der digitalen Welt und die Revision der Rahmenrichtlinie über den Schutz von Daten und den Schutz des Urheberrechts im digitalen Raum zu treffen haben.

    1.9

    Bezüglich der Umsetzung der neuen Bestimmungen des Vertrags und der Charta der Grundrechte über die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (DAI) schließlich fordert der EWSA den ungarischen Ratsvorsitz auf, den durch die Schlussfolgerungen des Rates vom 6./7. Dezember 2010 eröffneten Weg weiter zu beschreiten, damit die DAI bei der Umsetzung der Europa-2020-Strategie nicht auf der Strecke bleiben.

    1.10

    Der ungarische Ratsvorsitz hat insbesondere den Fall des grenzüberschreitenden örtlichen oder Nachbarschaftshandels ausgewählt, zu dem bisher keine Studie vorliegt, in der die Auswirkungen auf die Mitgliedstaten bewertet werden. Der EWSA empfiehlt dem ungarischen Ratsvorsitz: erstens die Kommission um eine genaue statistische Analyse dieser Transaktionen zu ersuchen, zweitens diejenigen Studien in Auftrag zu geben, die unerlässlich sind um zu bestimmen, ob diese Art des Handels eine Besonderheit aufweist, die einen rechtlichen Ansatz auf europäischer Ebene rechtfertigt, und drittens die Bedürfnisse der Verbraucher bei dieser Art des Handels einzuschätzen (Information, Vertragssprache, Vergleichbarkeit der Preise, wenn eine der Währungen nicht der Euro ist, Wechselkurse, Bankkommissionen und -gebühren usw.) und die wirksamste Möglichkeit der Erfüllung dieser Bedürfnisse auf lokaler Ebene zu beurteilen.

    2.   Einleitung

    2.1

    Der EWSA ist erfreut darüber, dass ihn der ungarische EU-Ratsvorsitz um eine Sondierungsstellungnahme zu einem seiner am häufigsten wiederkehrenden Vorzugsthemen der letzten zwanzig Jahre ersucht hat. So fasste der EWSA in seiner Initiativstellungnahme zum Thema „Binnenmarkt und Verbraucherschutz: Chancen und Hemmnisse des einheitlichen Marktes“ vom 7. November 1995 (1) alle vorherigen Stellungnahmen zu diesem Thema zusammen. Er ging darin auf diese Problematik sowie die wichtigsten Bedenken in Bezug auf die Hemmnisse und Schwierigkeiten ein, die die Verbraucher daran hindern, umfassend vom Binnenmarkt zu profitieren. Bedauerlicherweise sind die meisten der in jener Stellungnahme aufgeworfenen Fragen auch heute noch aktuell.

    2.2

    Die Verwirklichung des Binnenmarkts, einem der größten strategischen Vorhaben für Europa, das von Jacques Delors mit einem genauen Vollendungsdatum auf den Weg gebracht wurde, ist noch nicht abgeschlossen - und das, obwohl seither schon über 30 Jahre vergangen sind. Die jüngste Veröffentlichung der „Binnenmarktakte“ bezeugt dies. Der Ausschuss hat sich stets für einen Binnenmarkt als „Instrument“ zum Nutzen des Bürgers als Verbraucher eingesetzt. Die Annahme einer klaren, kohärenten und umfassenden europäischen Verbraucherpolitik steht im Übrigen noch immer aus.

    2.3

    Das Ersuchen des ungarischen Ratsvorsitzes, das den EWSA ehrt, ist somit durchaus berechtigt. Es ermöglicht dem Ausschuss, im Einklang mit den von den letzten Ratsvorsitzen (und insbesondere dem belgischen Ratsvorsitz) durchgeführten Arbeiten zu den im Rahmen des Programms der Kommission für das erste Halbjahr 2011 vorgesehenen Maßnahmen beizutragen.

    2.4

    Diese Sondierungsstellungnahme wird dem EWSA auch Gelegenheit bieten, das ehemalige EWSA-Mitglied István Garai, Leiter einer angesehenen ungarischen Verbraucherschutzorganisation, zu ehren - einen großen Verfechter der Interessen und Rechte der Verbraucher und Berichterstatter für wichtige Stellungnahmen zu diesem Thema, der 2008 in Ausübung seines Amtes verstarb.

    3.   Ein wichtiges Ziel

    3.1

    Die Dauer eines einzigen EU-Ratsvorsitzes ist zu kurz, um die transparente und partizipative Erarbeitung der Leitlinien eines Politikbereichs, die Ex-ante-Bewertung ihrer Auswirkungen, ihre demokratische Verabschiedung durch die EU-Institutionen, ihre Umsetzung durch die Mitgliedstaaten und ihre Ex-post-Bewertung zu ermöglichen.

    3.2

    Auch die strategischen Fünfjahresprogramme (im Übrigen zumeist von rein konjunkturbedingten Erwägungen beeinflusst) sind unzureichend, wenn sie nicht einer politischen Vision folgen. Die Strategie 2007/2013, die am 13. Juli 2007 verabschiedet wurde und sich derzeit in der Ausführung befindet, ist ein gutes Beispiel für den vom EWSA bereits angeprangerten Missstand.

    3.3

    Auch die Europa-2020-Strategie selbst sollte zum Hauptziel die Förderung und den Schutz der Verbraucher haben, was jedoch nicht der Fall ist.

    3.4

    Die einzige Skizzierung eines politischen Ansatzes dieser Art geht auf das Jahr 1985 zurück - der sog. „neue Impuls“, der von Jacques Delors ins Leben gerufen und vom damaligen Kommissionsmitglied Emma Bonino (1995/1999) aufgegriffen und weiterentwickelt wurde. Aufgrund mangelnden politischen Willens wurden die anvisierten Ziele mit Ausnahme einiger emblematischer Vorhaben jedoch leider nicht erreicht.

    3.5

    Eine der wichtigsten Aufgaben eines EU-Ratsvorsitzes wäre es gerade, Grundlagen und Leitlinien für eine Politik zur Förderung und zum Schutz der Verbraucher mit Blick auf 2030 nach dem Beispiel des González-Berichts zu schaffen, wohl wissend, dass gegenüber anderen strategischen Initiativen (Europa-2020-Strategie, Binnenmarktakte, intelligente Regulierung usw.) schon jetzt Verzug besteht.

    3.6

    Die Schwerpunkte dieser mittel- und langfristigen Politik lägen insbesondere darin,

    a)

    daranzugehen, die im Vertrag vorgesehene Rechtsgrundlage in Frage zu stellen und neu zu definieren (Artikel 169 mit Blick auf Artikel 12 AEUV) (2);

    b)

    die Verbraucherpolitik als eine Politik für die Bürger wieder in den Mittelpunkt der EU-Politik zu rücken und sie zum Kernstück und letztendlichen Endzweck aller anderen Politikbereiche zu machen;

    c)

    die Rechte der Verbraucher vor dem Hintergrund dieser Rückzentrierung unter systematischem Verweis auf die Verträge und die Charta der Grundrechte neu zu definieren;

    d)

    den Schwerpunkt auf den Querschnittscharakter der Verbraucherpolitik zu legen und daraus alle Konsequenzen zu ziehen, die die Wirksamkeit dieses Querschnittscharakters gewährleisten, sei es in den internen Dienststellen der Kommission oder in ihren Beziehungen zu den anderen Institutionen sowie auf sämtlichen Ebenen der Mitgliedstaaten;

    e)

    eine echte Kodifizierung des Verbraucherrechts der EU unter Nutzung der ausgezeichneten wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen des Gemeinsamen Referenzrahmens in Angriff zu nehmen und daraus nach einem proaktiven Rechtsansatz alle Konsequenzen (einschließlich einer vernünftigen und angemessenen Anwendung der fakultativen Regelungen) zu ziehen;

    f)

    den instrumentellen Charakter und die subsidiäre Rolle der Binnenmarktpolitik klar und eindeutig zu vertreten und sie unmissverständlich in den Dienst der Bürger als Verbraucher, an die sie sich letztendlich richtet, zu stellen;

    g)

    die gemeinsamen Grundsätze für die Organisation und partizipative Vertretung der Verbraucher in der EU als unverzichtbaren und entscheidenden Faktor für die Durchführung der sie betreffenden Maßnahmen festzulegen.

    3.7

    Dieser letzte Punkt hat besondere Überlegungen verdient, da er auf europäischer Ebene bisher noch nicht systematisch angegangen wurde. Die Festlegung allgemeiner Grundsätze und Leitlinien für die Organisation und partizipative Vertretung der Verbraucher wird denn auch seit langem gefordert, sei es von den mit dem Schutz der Verbraucher befassten Behörden der Mitgliedstaaten oder von Verbraucherschutzorganisationen und -verbänden. Eine systematische Einteilung für die Vertretung der Verbraucher nach einheitlichen Grundsätzen in allen Mitgliedstaaten, insbesondere in den Regulierungsbehörden der verschiedenen Branchen, würde sowohl zur Glaubwürdigkeit der betreffenden Organisationen als auch der Effizienz des Verbraucherschutzes beitragen.

    4.   Aktuelle Fragen im Bereich der Verbraucherschutzpolitik

    4.1

    In einem erfolgreich vollendeten Binnenmarkt sollte der Verbraucher die ihm im Rahmen des „Acquis communautaire“ zuerkannten Rechte in vollem Umfang ausüben können - egal, wo in der EU er sich befindet, und unter denselben Bedingungen wie in seinem eigenen Land. Doch weder die verschiedenen Verbraucherschutzmaßnahmen noch die laufenden Initiativen können die legitimen Erwartungen der Verbraucher auf zufriedenstellende Weise erfüllen.

    4.2

    Die politische Agenda des ungarischen Ratsvorsitzes umfasst wichtige Ziele, von denen einige natürlich während der kommenden Ratsvorsitze weiterverfolgt werden.

    4.3

    Bezüglich des RichtlinienvorschlagsVerbraucherrechte“ hatte der EWSA argumentiert (3), er sollte dahingehend umformuliert werden, dass er sich nur auf bestimmte Grundprinzipien bezüglich des Rechts auf Information und des Widerrufsrechts bei außerhalb von Geschäftsräumen getätigten Verkäufen und Fernverkäufen beschränkt und die Abschnitte zu den missbräuchlichen Klauseln und dem Verkauf von Gütern und den Garantien für Güter gestrichen werden.

    4.4

    Unter Berücksichtigung der Entwicklung der Denkweise der Kommission, die sich an den jüngsten öffentlichen Auftritten von Kommissarin Reding zeigt, nimmt der EWSA zur Kenntnis, dass der Rat am 24. Januar 2011 einen Standpunkt annahm, der genau seiner Stellungnahme entspricht, was er begrüßt. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in dieser Frage auf Ebene des Europäischen Parlaments, der widersprüchlichen Positionen des Ausschusses Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) und des Rechtsausschusses (JURI) sowie der für die nächsten Monate erwarteten Ergebnisse fordert der EWSA den ungarischen Ratsvorsitz jedoch eindringlich dazu auf, an dem vom Rat AGRI vorgegebenen Weg entschlossen festzuhalten und diesen in realistischer Weise mit dem künftigen Gemeinsamen Referenzrahmen für ein europäisches Vertragsrecht zu verbinden, wie der Ausschuss in seiner Stellungnahme vorschlug (4).

    4.5

    Zur Revision der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken stellt der EWSA fest, dass in den meisten Mitgliedstaaten ihre verspätete Umsetzung zu beklagen war, wie er dies in seiner Stellungnahme vorhergesagt hatte (5). Auch der Gerichtshof hat sich in diesem Sinne geäußert.

    4.6

    Der EWSA empfiehlt dem ungarischen Ratsvorsitz deshalb, auf der Grundlage derjenigen Studien, aus denen die erhebliche Schwächung des Verbraucherschutzniveaus und die wettbewerbsspezifischen Folgen für die Mitgliedstaaten, die die Richtlinie über unlauteren Wettbewerb umgesetzt haben, hervorgehen, eingehendere Überlegungen zum Prinzip der vollständigen Harmonisierung anzustellen, und zwar von Beginn der Debatten über die Revision dieser Richtlinie an.

    4.7

    In Bezug auf ein Rechtsinstrument für eine Sammelklage auf EU-Ebene nimmt der EWSA die Absicht der Kommission zur Kenntnis, die Debatte mittels einer neuerlichen Konsultation der Beteiligten wieder in Gang zu bringen. Er fragt sich jedoch, inwiefern echter politischer Wille besteht, zu einem konkreten Ergebnis zu gelangen - nach rund dreißig Jahren Debatten, Konsultationen, Berichten, Stellungnahmen, Grün- und Weißbüchern, Mitteilungen und Entschließungen, Studien, Konferenzen und Symposien jeglicher Art.

    4.8

    Der EWSA hat sich in mehreren älteren und neueren Stellungnahmen ganz klar zugunsten eines europäischen Rechtsinstruments ausgesprochen, das es Verbrauchern, die sich als Opfer einer kollektiven Schädigung erachten, ermöglicht, gemeinsam eine Klage auf Schadenersatz einzureichen. Es würde sich nahtlos in das europäische Prozessrecht einfügen und müsste einen effektiven Ersatz der den Verbrauchern gleich welchen Mitgliedstaats entstandenen kollektiven materiellen und/oder moralischen Schäden (Opt-out-System) unter identischen Bedingungen ermöglichen. Würde der ungarische Ratsvorsitz diesen Standpunkt annehmen, so würden die Verbraucher, aber auch andere Inhaber kollektiver Rechte erheblich davon profitieren. Dies würde auch der Verwirklichung des Binnenmarkts und einem lauteren Wettbewerb zugutekommen.

    4.9

    Zur Revision der RichtliniePauschalreisen“ wurde der EWSA noch nicht um Stellungnahme ersucht. Die Kommission beabsichtigt, Anfang 2011 einen Vorschlag vorzulegen, und hat bereits mit der Sammlung von Ideen für die mögliche Revision der Rechtsvorschriften über Fluggastrechte begonnen.

    4.10

    Ohne seinen Stellungnahmen zu diesen beiden Themen vorgreifen zu wollen, empfiehlt der Ausschuss dem ungarischen Ratsvorsitz, sie gemeinsam zu behandeln, um einen kohärenten Ansatz zu gewährleisten, den Anwendungsbereich der Richtlinie auf Verträge für kollektive oder individuelle Verkehrsdienstleistungen (mit oder ohne zugehörige Dienstleistungen) auszuweiten sowie die Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeiten im Fall von Konflikten oder mangelhafter oder irreführender Erbringung festzulegen. Die für diese Branche spezifischen missbräuchlichen Klauseln und unlauteren Geschäftspraktiken haben zudem besondere Aufmerksamkeit verdient. Auch die Folgen eines Bankrotts von Reiseagenturen, Reiseveranstaltern und Fluggesellschaften sollten in einen sehr strengen Regelungsrahmen eingebettet werden.

    4.11

    Die Verwirklichung des Binnenmarkts der Finanzdienstleistungen im Privatkundengeschäft hat einige Fortschritte erzielt - man denke an die SEPA-Richtlinie nach der Einführung des Euro, die MiFID-Richtlinie, die CAD-Richtlinie sowie die jüngsten Vorschläge der Kommission vom 12. Juli 2010 über Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungssysteme (6) - doch gibt es noch einiges zu tun: Es fehlt an einer politischen Gesamtorientierung, die den Verbrauchern und den KMU im Binnenmarkt auch wirklichen Nutzen bringen kann. Die Kommission selbst hat die Privatkunden-Finanzdienstleistungen charakterisiert als eine Branche, in der die Verbraucher mit einer erheblichen Anzahl von Problemen konfrontiert sind  (7).

    4.12

    Der EWSA hat sich zu dieser Frage bereits mehrmals geäußert, entweder aufgrund von Befassungen und/oder in Initiativstellungnahmen. Dauerhafte, praktische und wirksame Lösungen stehen jedoch noch aus. Zur Erinnerung seien erwähnt: verantwortlicher Kredit und Überschuldung (8), auf die die Richtlinie „Verbraucherkredit“ keine Antwort finden konnte; das Scheitern der Vorschläge zum Hypothekarkredit, obgleich die Idee der Harmonisierung schon seit Jahren besteht; die Anfälligkeit von Bestimmungen über grenzüberschreitende Zahlungen und die Verwendung von Debit-/Kreditkarten; das Fehlen einer echten Mobilität von Bankkonten und universellen Mindestbankdienstleistungen; die Schwäche der Regelungen zur Bewältigung von Finanzkrisen und die Gewährleistung einer unmittelbaren Ausgleichs der Verluste und Schäden von Bankkunden.

    4.13

    Die Wirtschafts- und Finanzkrise hat nach wie vor gravierende Auswirkungen auf Verbraucher und Kleinanleger. Ins Auge gefasst werden könnten auch die Erarbeitung von praktischen Maßnahmen wie die Schaffung eines universellen Bankkontos, Mindestbankdienstleistungen für alle europäischen Bürger, ein zuverlässiges und in allen Mitgliedstaaten identisches elektronisches Zahlungssystem und eine strenge Definition der Verantwortung der Banken bei der Kreditvergabe, ebenso wie ein einheitliches gesamteuropäisches Versicherungssystem, eine Typologie missbräuchlicher Klauseln und unlauterer Geschäftspraktiken konkret im Bereich der Finanzdienstleistungen, die Vergleichbarkeit der Bankgebühren und die stärkere Verpflichtung zur Beratung über komplexe Finanzprodukte. Ferner sollte die Bankaufsicht auf die Bedürfnisse der Verbraucher ausgerichtet werden, und es sollten wirksame Streitbeilegungs- und Ausgleichsmechanismen im Fall von Verlust oder Schaden aufgrund von Mängeln der Finanzsysteme (Banken und Versicherungen) eingerichtet werden.

    4.14

    Der EWSA begrüßt den Ansatz der Kommission bezüglich der Rechte der Verbraucher im digitalen Umfeld, wie er durch die „Digitale Agenda“ im Rahmen der Strategie 2020 veranschaulicht wird (9), auch wenn noch einiges zu tun ist, um jedem Einzelnen die Nutzung eines universellen Telekommunikations- und Informationsdienstes zu ermöglichen; die rasche Verabschiedung einer neuen Mitteilung der Kommission wäre zu begrüßen und würde dem ungarischen Ratsvorsitz die Gelegenheit geben, einen dezidierten Standpunkt zur Neutralität des Internets und zur Aufnahme der „Hochgeschwindigkeitsverbindungen“ in den Rahmen der Universaldienste zu formulieren, wie dies der EWSA bereits in der Vergangenheit forderte.

    4.15

    Der EWSA schenkt der Anerkennung und dem Schutz der Verbraucherrechte in einem digitalen Umfeld insgesamt (und nicht nur im Rahmen des elektronischen Handels) besondere Aufmerksamkeit. Es sollte daher nicht nur schleunigst an eine Revision der Richtlinie über rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs gedacht, sondern auch eine Lösung für die schleppende Entwicklung des E-Handels gefunden werden.

    4.16

    Der ungarische Ratsvorsitz wird zudem dringende Entscheidungen über eine genaue Definition der Grundrechte der Verbraucher in der digitalen Welt und die Revision der Rahmenrichtlinie über den Datenschutz und den Schutz des Urheberrechts im digitalen Raum zu treffen haben.

    4.17

    Schließlich fordert der EWSA den ungarischen Ratsvorsitz eindringlich auf, an die Schlussfolgerungen des Rates (Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz (EPSCO)) vom 6./7. Dezember 2010 zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse anzuknüpfen, sodass die Empfehlungen des am 26./27. Oktober vom belgischen Ratsvorsitz organisierten dritten Forums der Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse (SDAI) umfassend berücksichtigt werden und so zur Umsetzung der neuen Bestimmungen des Lissabon-Vertrags und der Charta der Grundrechte zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse beitragen.

    5.   Sonderfall: grenzüberschreitender örtlicher Handel

    5.1

    Der ungarische Ratsvorsitz hat den EWSA um Stellungnahme zu einer Frage ersucht, die trotz ihrer Bedeutung auf europäischer Ebene noch nicht eingehend untersucht wurde. Es handelt sich dabei um den grenzüberschreitenden örtlichen oder Nachbarschaftshandel, d.h. den Erwerb von Gütern und Dienstleistungen durch Verbraucher auf beiden Seiten der Staatsgrenze ihres Landes, entweder zwischen EU-Mitgliedstaaten oder mit Drittstaaten.

    5.2

    Einige Mitgliedstaaten waren diesem Phänomen sogar schon vor Einführung des Euro nachgegangen, um die Art des Handels, den Devisenfluss, die Preise, die Auswirkungen der Preise auf die Grenzregionen und den Wettbewerb usw. zu untersuchen.

    5.3

    Auf europäischer Ebene liegt jedoch keine Studie vor, die es ermöglicht, das Volumen und die Auswirkungen des interregionalen grenzüberschreitenden Handels auf die Mitgliedstaaten zu bewerten. Diese Art des Geschäftsverkehrs wird weder in der Mitteilung der Kommission von 1991 (10) noch im Grünbuch über den Handel von 1996 (11) noch im Weißbuch von 1999 (12) erwähnt. An erster Stelle müsste die Kommission daher um eine genaue Topografie und statistische Analyse dieser Transaktionen ersucht werden.

    5.4

    Anfang der 90er Jahre hatten die Kommission und ausgewählte regionale Verbraucherverbände ein Netz von Informations- und Beratungszentren gegründet, um die Verbraucher bei Schwierigkeiten mit dem grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr zu unterstützen: die europäischen Verbraucherberatungsstellen („Euroguichets“). Sie konzentrierten sich vor allem auf die Information der Verbraucher und waren in Grenzstädten angesiedelt.

    5.5

    2001 eröffnete die Kommission das Europäische Netz für die außergerichtliche Streitbeilegung (EEJ-Net). Damals waren elf Euroguichets in neun Mitgliedstaaten neben ihren herkömmlichen Zuständigkeiten auch damit beauftragt, den Verbrauchern Rechtsbeistand zu leisten.

    5.6

    2005 wurde aus der Verschmelzung von EEJ Net und Euroguichets das heutige Netz der Europäischen Verbraucherzentren (EEC Net) geschaffen.

    5.7

    Die Verschmelzung der beiden Netze war die logische Folge der Einführung des Euro und der erwarteten Weiterentwicklung von elektronischem Handel und Fernverkäufen. Diese Fusion hat jedoch dazu geführt, dass die regionale Ansiedlung der Euroguichets und ihre Aufgaben im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden lokalen Handel entfielen.

    5.8

    Es stellt sich auch die Frage, ob diese Art des Handels heute noch eine Besonderheit aufweist, die Sondermaßnahmen der Union rechtfertigt.

    5.9

    Es stellt sich ebenfalls die Frage nach den Bedürfnissen der Verbraucher bei dieser Art des Geschäftsverkehrs (Information, Vertragssprache, Vergleichbarkeit der Preise, wenn eine der Währungen nicht der Euro ist, Wechselkurs, Bankkommissionen und -gebühren usw.) und nach der wirksamsten Möglichkeit, diese auf lokaler Ebene zu erfüllen.

    Brüssel, den 15. März 2011

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Staffan NILSSON


    (1)  ABl. C 39 vom 12.2.1996, S. 55.

    (2)  ABl. C 185 vom 8.8.2006, S. 71.

    (3)  ABl. C 317 vom 23.12.2009, S. 9.

    (4)  Stellungnahme ABl. C 84 vom 17.3.2011, S. 1.

    (5)  ABl. C 108 vom 30.4.2004, S. 81.

    (6)  KOM(2010) 368 endg.

    (7)  SEC(2009) 1251 fin vom 22.9.2009.

    (8)  ABl. C 149 vom 21.6.2002, S. 1-4.

    (9)  ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58.

    (10)  KOM 1991/0041 endg. vom 11. März 1991.

    (11)  KOM(96) 530 endg. vom 20. November 1996.

    (12)  KOM(1999) 6 endg. vom 27. Januar 1999.


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