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Document 52018AE0170

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt“ (COM(2017) 660 final — 2017/0294 (COD))

EESC 2018/00170

ABl. C 262 vom 25.7.2018, p. 64–68 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

25.7.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 262/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2009/73/EG über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt“

(COM(2017) 660 final — 2017/0294 (COD))

(2018/C 262/11)

Berichterstatterin:

Baiba MILTOVIČA

Befassungen

Europäisches Parlament, 29.11.2017

Rat der Europäischen Union, 22.11.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 194 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.4.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.4.2018

Plenartagung Nr.

534

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

149/1/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Zivilgesellschaft als solche kann nur gedeihen, wenn rechtsstaatliche Maßgaben beachtet werden. Deshalb unterstützt der EWSA die mit den vorgeschlagenen Änderungen der Gasrichtlinie aus dem Jahr 2009 verfolgte Absicht einer verbesserten Marktintegration und Versorgungssicherheit, auch wenn er nicht in allen Punkten mit der Europäischen Kommission einverstanden ist und bedauert, dass es überhaupt zu diesem Rechtsvakuum kommen konnte, das diese Richtlinie nun beheben soll.

1.2.

Die vorgeschlagenen Änderungen der Gasrichtlinie (1) haben zu ausführlichen Debatten in den Mitgliedstaaten geführt und Meinungsverschiedenheiten zu Tage treten lassen. Nach Meinung des EWSA geht es dabei auch um wichtige Prinzipien und um Solidarität, die keinen Interpretationsspielraum zulassen.

1.3.

Politischen und wirtschaftlichen Empfindsamkeiten muss umfassend Rechnung getragen werden — was bislang nicht der Fall ist —, aber die EU muss sich auch klar darüber werden, ob das Ziel eines zusammenhängenden, nachhaltigen und gerechten Energiemarkts im gegenwärtigen politischen Klima für alle Mitgliedstaaten machbar ist. Auf kurze Sicht sehen sich einige Mitgliedstaaten nun mit der Herausforderung konfrontiert, ihre nationalen Interessen hintenanzustellen und stattdessen die Anwendung klarer und kohärenter regulatorischer Binnenmarktgrundsätze auf die Energieversorgung und Energiesicherheit zu unterstützen. Langfristig stellt sich eine andere Herausforderung — die Gefahr eines Lock-ins in eine teure Infrastruktur für einen fossilen Brennstoff, die eine wachsende Abhängigkeit begünstigt und womöglich die Fähigkeit der EU beeinträchtigt, ihren Klimaverpflichtungen nachzukommen.

1.4.

Der EWSA stellt fest, dass die Beseitigung der Außenabhängigkeit ein langfristiges Vorhaben ist, das es notwendig macht, den Erdgasverbund zwischen den Mitgliedstaaten weiter auszubauen, die Speicherkapazitäten zu verbessern wie auch Kapazitäten für alternative Versorgungsmöglichkeiten wie Flüssigerdgas (LNG) nachzurüsten und die zunehmende Bedeutung der erneuerbaren Energieträger zu berücksichtigen.

1.5.

Der EWSA ist der Meinung, dass Rechtsunsicherheit in einem bestimmten Bereich (bei künftigen Bauvorhaben aufgrund unklarer Verfahrensweisen bei den vorgeschlagenen Ausnahmeregelungen) die Investitionssicherheit gefährdet und den freien Wettbewerb zwischen nationalen und regionalen Behörden um Investitionen behindern kann. Die Auswirkungen auf die erheblichen Verbesserungen auf dem Gasmarkt, die in den letzten zwei Jahrzehnten durch Regulierungsmaßnahmen erreicht worden sind, müssen bewertet werden.

1.6.

In den letzten Jahren hat der EWSA in zahlreichen Stellungnahmen zu energie- und klimapolitischen Themen (2) betont, dass diese heiklen Energieversorgungsfragen nur durch eine klare und wirksame Governance in Verbindung mit einem gehörigen Maß an Pragmatismus und gutem Willen gelöst werden können. Dieser Vorschlag der Europäischen Kommission steht im Einklang mit seinem Standpunkt und sollte zügig weiterbehandelt werden.

1.7.

Der EWSA stellt indes fest, dass die Änderungen Anlass zu diversen rechtlichen Anfechtungen geben können, sicher aber erhebliche politische Differenzen wie auch handelspolitische Bedenken seitens industrieller Interessenträger auslösen werden. Deshalb ist es bedauerlich, dass keine Folgenabschätzung durchgeführt wurde.

1.8.

Der EWSA unterstützt die vorgeschlagenen Änderungen der Gasrichtlinie, mit denen sichergestellt werden soll, dass die wesentlichen Grundsätze des EU-Energierechts, u. a. die Bestimmungen über den Zugang Dritter, die Entgeltregulierung, die eigentumsrechtliche Entflechtung und Transparenz, innerhalb des EU-Gebiets auf Verbindungsleitungen zwischen der EU und Drittländern angewandt werden. Nach Auffassung des EWSA sollten die diesbezüglich notwendigen Änderungen der Gasrichtlinie unverzüglich angenommen werden, wobei jedwede Rechtsunsicherheit hinsichtlich der vollumfänglichen Anwendbarkeit der EU-Rechtsvorschriften auf bestehende und geplante Verbindungsleitungen auszuräumen ist.

1.9.

Nach Meinung des EWSA sollten mögliche Ausnahmen von den wesentlichen Vorschriften der Gasrichtlinie strikt eingeschränkt und zeitlich begrenzt (auf bspw. maximal zehn Jahre) werden. Sie sollten nur in Sonderfällen gewährt werden und nach umfassender Prüfung durch die Europäische Kommission, um sicherzustellen, dass Ausnahmeregelungen nicht den Zielen der Energieunion zuwiderlaufen und den Wettbewerb und das wirksame Funktionieren des Erdgasbinnenmarkts oder die Gasversorgungssicherheit der EU beeinträchtigen.

2.   Einleitung

2.1.

Erdgas ist für die EU nach wie vor eine der wichtigsten Primärenergiequellen, und ein gut funktionierender Erdgasbinnenmarkt spielt eine wichtige Rolle für die Wirtschaft und die Energiesicherheit vieler EU-Mitgliedstaaten. Generell hat die Einfuhrabhängigkeit der EU bei allen Arten von Energieträgern über die letzten 25 Jahre hinweg stetig zugenommen und ist von 44 % im Jahr 1990 auf 53 % im Jahr 2015 gestiegen. Nahezu 70 % des in der EU verbrauchten Erdgases müssen importiert werden, wovon wiederum 90 % über Rohrleitungen aus Drittländern in die EU gelangen. Auf Russland als größten Lieferanten entfallen an die 40 % der EU-Einfuhren, wobei dieser Anteil in einigen osteuropäischen Ländern wesentlich höher liegt.

2.2.

Da diese Abhängigkeit Krisenanfälligkeit begünstigen kann, wird über die Gasrichtlinie u. a. vor allem angestrebt, den Erdgasverbund zwischen den Mitgliedstaaten weiter auszubauen, die Speicherkapazitäten zu verbessern wie auch Kapazitäten für alternative Versorgungsmöglichkeiten wie Flüssigerdgas (LNG) nachzurüsten. Ziel der Energieunion ist und bleibt es, die Resilienz innerhalb der EU zu verbessern, wobei die Beseitigung der Außenabhängigkeit ein langfristiges Unterfangen ist.

2.3.

Mit der sogenannten Gasrichtlinie wurden gemeinsame Vorschriften für die Fernleitung, die Verteilung, die Lieferung und die Speicherung von Erdgas für die EU-Mitgliedstaaten aufgestellt, die jedoch nicht für Rohrleitungen zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern gelten. Durch verschiedene vorgeschlagene Änderungen dieser Richtlinie sollen die Grundsätze der Gasrichtlinie auf bestehende und künftige Rohrleitungen bis zur Grenze des EU-Gebiets angewendet werden. Für einige Rohrleitungen, bspw. aus der Energiegemeinschaft, gelten die Vorschriften der Gasrichtlinie bereits, andere bestehende Rohrleitungen in die EU aus Norwegen, Algerien, Libyen, Tunesien, Marokko und Russland sowie nach dem Brexit womöglich auch Verbindungsleitungen zwischen dem Vereinigten Königreich und EU-Mitgliedstaaten werden von diesem Vorschlag betroffen sein.

2.4.

EU-Rechtsvorschriften gelten zwar nur auf EU-Gebiet und nicht in Drittländern, doch wird durch diese Änderungen sichergestellt, dass sie auf alle rechtlichen und vertraglichen Vereinbarungen zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittland ab dem Eintrittspunkt einer Rohrleitung in das Gebiet der Union angewendet werden. Die einzelnen Mitgliedstaaten, die entsprechende Vereinbarungen mit Lieferanten aus Drittländern treffen, könnten indes für bestehende Rohrleitungen Ausnahmen von zahlreichen wesentlichen Vorschriften der Gasrichtlinie gewähren. Für neue, zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie geplante oder im Bau befindliche Rohrleitungen würden sämtliche Auflagen des Erdgasbinnenmarkts gelten. Wenn die nationalen Behörden und die Europäische Kommission einen Antrag auf Ausnahme als begründet einstufen würden, könnte jedoch ein projektspezifischer Rechtsrahmen genehmigt werden. In der Praxis würde der Europäischen Kommission dadurch bei jedem Abkommen über eine neue Rohrleitung eine wichtige, womöglich entscheidende Rolle bei der Festlegung des Rechtsrahmens und der Marktzugangsbedingungen zukommen. Diese Befugnisse können als wesentlicher Mechanismus zur Überwachung der Regelkonformität im Rahmen der Gestaltung des allgemeinen Energieversorgungsmarkts und im Hinblick auf die Gewährleistung des Ausgleichs von Erschwinglichkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit betrachtet werden. Nach Meinung des EWSA steht dieser Ansatz im Einklang mit dem Governancerahmen und den übergeordneten Zielen der Energieunion.

3.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

3.1.

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Gasrichtlinie ist wichtig, da bei der Schaffung eines EU-Binnenmarkts für Erdgas berücksichtigt werden muss, dass Erdgasfernleitungsnetze natürlichen Monopolen vergleichbar sind. Der enorme Investitionsaufwand für den Bau eines so gewaltigen Infrastrukturvorhabens stellt für andere Marktteilnehmer eine außerordentlich hohe Markteintrittsschwelle dar. Daher sind Maßnahmen erforderlich, um das System des Netzzugangs Dritter verpflichtend einzuführen sowie durch Entflechtung die Erzeugung und den Vertrieb von Erdgas vom Übertragungsnetzbetrieb zu trennen. Ferner muss es Aufgabe der nationalen Regulierungsbehörden sein, nichtdiskriminierende und kostenorientierte Tarife für die Nutzung der Übertragungssysteme festzulegen oder zu genehmigen.

3.2.

Es werden eine Reihe Änderungen der Gasrichtlinie vorgeschlagen, die sich in vier Themenbereiche untergliedern lassen:

Erweiterung des Anwendungsbereichs: Die Definition des Begriffs „Verbindungsleitung“ wird auf Rohrleitungen aus und nach Drittländern erweitert;

Entflechtungsvorschriften: Die Anwendung anderer Entflechtungsmodelle wird erleichtert;

Konsultationsanforderungen: Die Regulierungsbehörden der EU müssen die zuständigen Behörden der Drittländer hinsichtlich der Anwendung der Gasrichtlinie bis zur Grenze des Gebiets der Union konsultieren;

Ausnahmen: Ein Mitgliedstaat kann eine Ausnahme von der Anwendung der Bestimmungen einiger Artikel der Gasrichtlinie für bestehende Rohrleitungen nach und aus Drittländern gewähren.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Es ist zu bedenken, dass mit diesem Vorschlag zwar vor allem das mittel- bis langfristige Funktionieren des Energiebinnenmarkts verbessert werden soll, die vorgesehenen Änderungen in der Praxis aber kurzfristig ein gewisses Maß an Rechtsunsicherheit bewirken können, da die Mitgliedstaaten eventuell für bestehende Rohrleitungen diverse Ausnahmen von einigen Bestimmungen der Gasrichtlinie gewähren werden. Letztendlich würde diese Rechtsunsicherheit jedoch durch die umfassende und konsequente Anwendung der Bestimmungen der Gasrichtlinie, einschl. der wesentlichen Grundsätze dieser Richtlinie, d. h. Entflechtung, Zugang Dritter und Entgelte, in denen sämtliche Bau- und Betriebskosten berücksichtigt sind, beseitigt.

4.2.

Derzeit werden eine Reihe neuer Pipelineprojekte entwickelt. Diesbezüglich stößt vor allem die geplante Nord-Stream-2-Gaspipeline auf erheblichen Widerstand einiger EU-Mitgliedstaaten. Diese neue regulatorische Unwägbarkeit könnte Bauvorhaben beeinträchtigen und zu Verzögerungen führen. Es wird auch geltend gemacht, dass die Änderungen den freien Wettbewerb zwischen nationalen und regionalen Behörden um ausländische Investitionen behindern würden. Im Zuge der Schaffung des Binnenmarkts ist jedoch häufig im kollektiven Interesse der EU-Bürger Verzicht auf nationale Kontrolle geübt worden, in der Erkenntnis, dass solidarisches Handeln umfangreiche Vorteile bringt.

4.3.

Hochdruck-Ferntransportleitungen sind eine komplexe und kostspielige Infrastruktur, die sich erst nach vielen Jahren amortisiert. Zwar können derartige Anlagen eventuell für den Transport von innovativem kohlenstoffarmem Gas (Biogas, Wasserstoff) genutzt werden, doch besteht die erhebliche Gefahr eines Lock-ins in eine teure Infrastruktur für einen fossilen Brennstoff, die eine wachsende Abhängigkeit begünstigt und womöglich die Fähigkeit der EU beeinträchtigt, ihren Klimaverpflichtungen nachzukommen.

4.4.

Einige Mitgliedstaaten könnten die Änderungen womöglich als eine gewisse Beschränkung ihrer Hoheitsgewalt ansehen, denn es wird ihnen nicht möglich sein, durch ein bilateral ausgehandeltes zwischenstaatliches Abkommen in dem durch die Gasrichtlinie geregelten Bereich, der zuvor nicht von der EU geregelt wurde, vom EU-Recht abzuweichen. Der EWSA stimmt zu, dass dieses Rechtsvakuum konsequenterweise behoben werden muss.

4.5.

Angesichts dieser Vorbehalte kann der EWSA nicht nachvollziehen, dass die Europäische Kommission eine Folgenabschätzung als nicht notwendig erachtet hat. Es liegt auf der Hand, dass die vorgeschlagenen Änderungen in dieser politisch heiklen und wirtschaftlich relevanten Materie mit Fakten begründet werden müssen. Einige dieser Fakten werden in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen oder in eingehenden Analysen der Kommission wie der Folgenabschätzung für die Gasrichtlinie genannt.

4.6.

Die europäische Kommission sollte auch eingehender darlegen, inwieweit die Änderungen für den Binnenmarkt vorteilhaft sind. Die Umsetzung des dritten Energiepakets ist in einigen Mitgliedstaaten immer noch lückenhaft, doch ist nicht klar, wie diese Änderungen dem abhelfen sollen.

4.7.

Mit dem Vorschlag soll jedoch unzweifelhaft die Möglichkeit eingeräumt werden, dass im Bedarfsfall und im Einklang mit den vereinbarten EU-politischen Vorgaben eingegriffen werden kann, um eine noch stärkere Abhängigkeit von russischem Erdgas zu verhindern und dadurch zur Diversifizierung der Energieversorgung beizutragen. Nach Meinung des EWSA liegt dies im Interesse der EU.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Dieser Vorschlag sollte als Teil des Programms zur Förderung von Kohärenz, Solidarität, Sicherheit, Wettbewerbsfähigkeit und Marktregelung in der EU-Energiepolitik, sprich: der Energieunion, begriffen werden. In diesem Zusammenhang wird mittelfristig das Ziel verfolgt, die Abhängigkeit von einem marktbeherrschenden Gasanbieter durch die verstärkte Nutzung einheimischer Gasquellen im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und von LNG-Terminals, die Verbesserung der Energieeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energieträger zu verringern. Kurzfristig besteht begrenzte Aussicht auf die Ersetzung von Erdgas in einigen Bereichen der Stromerzeugung wie Kraft-Wärme-Kopplung. Besonders wichtig ist es für Fernwärmesysteme. Schnell regelbare Gaskraftwerke und KWK-Anlagen werden ebenfalls zum Ausgleich der natürlichen Schwankungen bei den erneuerbaren Energien herangezogen und tragen somit erheblich zur Versorgungssicherheit im Strom- und im Wärmesektor bei. Es gibt kaum Spielraum für die Ersetzung von Erdgas im Wohnungs- und im Gewerbesektor, da die Vorhaltung alternativer Ausrüstungen/Infrastrukturen unrealistisch ist.

5.2.

Die Regierungen der Mitgliedstaaten behaupten regelmäßig, dass durch Verbundnetze (Integration mit Nachbarn, Errichtung eines gemeinsamen Erdgasmarkts, Entwicklung regionaler Erdgasinfrastrukturen wie der Balticconnector usw.) die Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb zwischen den Gasversorgern, eine bessere Dienstqualität und eine größere Auswahl für die Erdgasverbraucher geschaffen werden. Auf Märkten, wo der Erdgasverbrauch jedes Jahr weiter sinkt, sind nur wenige Versorger daran interessiert, Haushalte zu bedienen.

5.3.

In der anhaltenden Debatte über die Erdgasversorgung der EU wird der Begriff „Energiesicherheit“ auf zweierlei Weise interpretiert. Der einen Auslegung zufolge wird der Ausbau der Ferngasleitungen nach Europa zur Energieunabhängigkeit beitragen, da mit Hilfe von zusätzlichen Erdgaslieferungen Ausfälle aufgrund des kontinuierlichen Produktionsrückgangs bei allen fossilen Energieträgern in Europa (Kohle, Öl und Erdgas) überbrückt werden können. Es kann auch zum Ausgleich der schwankenden Einspeisung erneuerbarer Energie genutzt werden und eine wichtige Rolle in der Energiewende spielen. Erdgas, das unter den fossilen Energieträgern die beste Umweltbilanz aufweist, ist eindeutig eine vorrangige Option, wenn erneuerbare Energieträger oder Kernenergie ungeeignet sind oder nicht zur Verfügung stehen.

5.4.

Bei der anderen Auslegung wird dagegen gehalten, dass die Anfälligkeit Europas steigen könnte, wenn der Erdgaskapazitätsausbau auf der Abhängigkeit von einem Lieferland (Russland) gründet, das womöglich völlig andere Interessen als die EU verfolgt und die Gasversorgung als Druckmittel in wirtschafts- und außenpolitischen Verhandlungen einsetzt. Die Mitgliedstaaten verfolgen diesbezüglich abweichende wirtschaftliche und politische Interessen, und es ist schwer vorstellbar, wie diese beiden Interpretationen kurz- bis mittelfristig miteinander vereinbart werden können.

5.5.

Alles in allem ist der EWSA der Auffassung, wie er es auch in zahlreichen Stellungnahmen in den letzten Jahren, insbesondere in Verbindung mit der Errichtung und Funktionsweise der Energieunion, dargelegt hat, dass die vereinbarten Klimaschutz- und Energiesicherheitsziele der EU nur über einen wirksamen und abgestimmten Governancemechanismus erreicht werden können. Dazu gehört auch die Minderung des Risikos einer zu starken Abhängigkeit von einem Energielieferanten.

5.6.

Ziel dieser Richtlinie ist es, eine rechtliche Grauzone zu beseitigen bzw. ein Rechtsvakuum durch die Anwendung der EU-Binnenmarktvorschriften und -grundsätze auszufüllen und die Europäische Kommission enger in die Prüfung von Fragen von gemeinsamem Interesse einzubeziehen.

5.7.

Mit den Änderungen der Gasrichtlinie soll sichergestellt werden, dass die wesentlichen Grundsätze des EU-Energierechts, u. a. die Bestimmungen über den Zugang Dritter, die Entgeltregulierung, die eigentumsrechtliche Entflechtung und Transparenz, innerhalb des EU-Gebiets auf Verbindungsleitungen zwischen der EU und Drittländern angewandt werden. Nach Auffassung des EWSA sollten die diesbezüglich notwendigen Änderungen der Gasrichtlinie unverzüglich angenommen werden, wobei jedwede Rechtsunsicherheit hinsichtlich der vollumfänglichen Anwendbarkeit der EU-Rechtsvorschriften auf bestehende und geplante Verbindungsleitungen auszuräumen ist.

5.8.

Nach Meinung des EWSA sollten mögliche Ausnahmen von den wesentlichen Vorschriften der Gasrichtlinie strikt eingeschränkt und zeitlich begrenzt (auf bspw. maximal zehn Jahre) werden. Sie sollten nur in Sonderfällen gewährt werden und nach umfassender Prüfung durch die Europäische Kommission, um sicherzustellen, dass Ausnahmeregelungen nicht den Zielen der Energieunion zuwiderlaufen und den Wettbewerb und das wirksame Funktionieren des Erdgasbinnenmarkts oder die Gasversorgungssicherheit der EU beeinträchtigen.

Brüssel, den 19. April 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. L 211 vom 14.8.2009, S. 94.

(2)  ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 70; ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 81; ABl. C 246 vom 28.7.2017, S. 34.


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