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Document 61980CC0060
Opinion of Mr Advocate General Reischl delivered on 19 March 1981. # Jacobus Kindermann v Commission of the European Communities. # Official - Re-assignment. # Case 60/80.
Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 19. März 1981.
Jacobus Kindermann gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Beamte - Wiedereinweisung.
Rechtssache 60/80.
Schlussanträge des Generalanwalts Reischl vom 19. März 1981.
Jacobus Kindermann gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Beamte - Wiedereinweisung.
Rechtssache 60/80.
European Court Reports 1981 -01329
ECLI identifier: ECLI:EU:C:1981:72
SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS GERHARD REISCHL
VOM 19. MÄRZ 1981
Herr Präsident,
meine Herren Richter!
In der Rechtssache, in der ich heute meine Schlußanträge vortrage, klagt Herr Jacobus Kindermann gegen die Kommission. Herr Kindermann ist Hauptübersetzer niederländischer Sprache und war vom 1. Februar 1970 bis zum 31. Dezember 1979 im Rahmen der Übersetzergruppe der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (Commission administrative pour la sécurité sociale des travailleurs migrants — CASSTM) tätig, einer in den Artikeln 80 und 81 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 vorgesehenen zwischenstaatlichen Stelle, deren Sekretariatsgeschäfte von der Kommission wahrgenommen werden.
Mit seiner Klage begehrt Herr Kindermann die Aufhebung der Entscheidung, die Herr Tugendhat, seinerzeit für Personal- und Verwaltungsfragen zv ständiges Mitglied der Kommission, am 4. Oktober 1979 getroffen hatte und durch die er mit Wirkung vom 1. Januar 1980 nie it mehr der Abteilung IX-D-3 „Übersetzung: Allgemeine Angelegenheiten“, sondern der Abteilung IX-D-8 „Niederländische Übersetzung“ der Direktion IX-D „Übersetzung, Dokumentation, Vervielfältigung, Bibliothek“ zugewiesen wurde. Diese Klage gehört damit in die Reihe der gegenwärtig recht zahlreichen Verfahren, die sich — in verschiedenem Zusammenhang — aus den Entscheidungen über die Änderung der Verwendung von Beamten der Kommission, mit oder ohne Änderung des Wohnsitzes, ergeben. Sie weist insbesondere eine enge Verbindung zu der Klage auf, die von Frau Elke van Schaik, einer Kollegin von Herrn Kindermann in der Übersetzergruppe der CASSTM, erhoben worden ist und die gegenwärtig vor der Zweiten Kammer (Rechtssache 168/80) anhängig ist; Frau Schaik gegenüber ist ebenfalls am 4. Oktober 1979 eine Entscheidung des Herrn Tugendhat ergangen, mit der sie der deutschsprachigen Abteilung der Direktion IX-D zugewiesen wurde.
I —
1. |
Zum richtigen Verständnis dieser Rechtssache halte ich es für erforderlich, zunächst — gleichzeitig mit der Laufbahn des Klägers — die strukturelle Entwicklung der Übersetzungsdienste der Kommission zu schildern. Nachdem Herr Kindermann am 15. Juni 1959 als Hilfsübersetzer angestellt worden war, wurde er durch Verfügung vom 3. Dezember 1962 mit Wirkung vom 1. Januar 1962 zum Beamten auf Lebenszeit der Besoldungsgruppe LA 6 bei der neu eingerichteten Abteilung „Übersetzung, Vervielfältigung, Verteilung der Dokumente“ ernannt, die zur Direktion „Innere Angelegenheiten“ in der Generaldirektion „Allgemeine Verwaltung“ gehörte. Innerhalb der für Übersetzungen zuständigen Abteilung wurde er speziell der Sektion für niederländische Übersetzung zugewiesen; diese bildete allerdings erst sehr viel später eine eigene Verwaltungseinheit.
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2. |
Am 22. August 1979 rief Herr Ciancio, Direktor der Direktion IX-D, die bei der CASSTM tätigen Übersetzer zusammen und teilte ihnen mit, daß diejenigen von ihnen, die dort seit zehn Jahren oder länger beschäftigt waren, in die Übersetzungsabteilung ihrer Sprache „zurückberufen“ würden. Er gab an, daß dieser Grundsatz zunächst für vier Übersetzer und Revisoren, darunter Frau van Schaik und Herrn Kindermann, gelte. Beide befanden sich im Zeitpunkt dieser Zusammenkunft in Urlaub. Im Laufe dieser Versammlung las der Direktor für Übersetzung ein Rundschreiben vor, das jedem Übersetzer, sobald er zehn Jahre bei der CASSTM tätig war, gesandt werden sollte, um ihm die Änderung seiner Verwendung mitzuteilen. Das an den Kläger gerichtete Rundschreiben wurde von Herrn Ciancio am selben Tage unterzeichnet. Der Kläger wurde darin insbesondere aufgefordert, sich, nachdem er Kontakt mit seinem Abteilungsleiter, Herrn Pignot, aufgenommen hatte, am 2. Januar 1980 bei Herrn Dallinga, dem Leiter der niederländischen Übersetzungsabteilung, zu melden. Am 27. August kehrte der Kläger aus dem Urlaub zurück und erhielt durch seine Kollegen Kenntnis von der ihn betreffenden Entscheidung. Diese wurde ihm später, wenn auch indirekt, schriftlich bestätigt, als er die Abschrift einer Mitteilung des Generalsekretärs der CASSTM, Herrn Schneider, an Herrn Ciancio vom 22. August 1979 erhielt, auf die ich noch zurückkommen werde, wenn ich die Begründetheit der Klage untersuche. Das Rundschreiben, seines Direktors erhielt der Kläger schließlich am 4. September 1979 auf dem Dienstwege. Am 17. September richtete der Kläger seinerseits ein Schreiben an Herrn Ciancio, in dem er Vorbehalte hinsichtlich der ihm gegenüber getroffenen Entscheidung geltend machte. Nachdem er vergeblich eine Antwort hierauf abgewartet hatte, legte er am 3. Oktober gegen das Rundschreiben Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts ein. Einige Tage später erhielt er die am 4. Oktober 1979 von Herrn Tugendhat getroffene förmliche Entscheidung, gegen die er am 12. Oktober eine neue Beschwerde einlegte, die im wesentlichen den Inhalt der ersten Beschwerde wiederholte, diese aber auch im Hinblick auf die Rechtsnatur dieser Entscheidung ergänzte. Diese Beschwerden wurden erst am 22. April 1980 ausdrücklich zurückgewiesen, also mehr als zwei Monate nach Ablauf der Frist, mit deren Ende der Erlaß einer stillschweigenden ablehnenden Entscheidung unterstellt wird. In der Zwischenzeit, am 21. Februar, war die Klage von Herrn Kindermann beim Gerichtshof eingegangen. |
II —
Gegen die Klage des Herrn Kindermann hat die Kommission die Einrede der Unzulässigkeit mit der Begründung erhoben, daß die getroffene Entscheidung eine rein innerdienstliche Organisationsmaßnahme sei, die nicht beschweren könne und somit nicht gemäß Artikel 91 des Statuts anfechtbar sei.
Bei näherer Betrachtung scheint mir, daß dieses Vorbringen auf eine doppelte Argumentation gestützt ist.
1. |
Die Kommission beruft sich damit auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach nur solche Handlungen oder Unterlassungen beschweren könnten, die geeignet seien, die im Statut geregelte Rechtsstellung der Beamten zu beeinträchtigen. Da der Kläger weder bewiesen noch überhaupt vorgetragen habe, daß das Niveau der ihm seit dem 1. Januar 1980 übertragenen Aufgaben nicht seiner Besoldungsgruppe und seinem Dienstposten entspreche, deren Beibehaltung ihm durch die Artikel 5 und 7 des Statuts gewährleistet werde, sei seine Klage unzulässig.
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2. |
Zu prüfen ist nun nur noch, ob die Entscheidung über die Änderung der Verwendung des Klägers tatsächlich diesen Charakter hatte oder ob sich ihre Bedeutung auf die Mitteilung an ihn, daß er der CASSTM nicht länger zur Verfügung gestellt werde, beschränkte. Die Kommission räumt zwar ein, daß die Entscheidung vom 4. Oktober 1979 formal gesehen, wie aus ihrem Wortlaut hervorgehe, eine Änderung der Verwendung darstelle. Dies sei jedoch weder in funktioneller noch in organisatorischer Hinsicht der Fall. In funktioneller Hinsicht nicht, da der Kläger nicht von den Übersetzungsdiensten der Kommission zur CASSTM abgeordnet, sondern dieser lediglich zur Verfügung gestellt worden sei; daher habe die Entscheidung, mit der er in die Übersetzungsdienste zurückberufen worden sei, nur eine solche über die Beendigung der Zurverfügungstellung sein können. Desgleichen habe in organisatorischer Hinsicht die angefochtene Entscheidung die Verwendung des Klägers nicht geändert, da seine Zuweisung zur niederländischen Übersetzungssektion, die nach seiner Zurverfügungstellung in den Rang einer Abteilung erhoben worden sei, weiter fortbestanden habe. Daß die umstrittene Entscheidung von dem für Personalfragen zuständigen Mitglied der Kommission und nicht, wie dies normalerweise für eine Beendigung der Zurverfügungstellung der Fall gewesen wäre, vom Vorgesetzten des Klägers, dem Leiter der Abteilung IX-D-3 „Übersetzung: Allgemeine Angelegenheiten“, getroffen worden sei, liege an der nach der Zurverfügungstellung des Klägers erfolgten Neuorganisation der Übersetzungsdienste. Das sonst in diesem Zusammenhang ungewöhnliche Verfahren stütze sich auf Artikel 3 des Beschlusses der Kommission vom 5. Oktober 1977 über die Ausübung der Befugnisse, die der Anstellungsbehörde im Statut übertragen sind. Diese Argumentation vermag mich nicht zu überzeugen. Zwar ergibt sich, wie ich in meinen Schlußanträgen in der Rechtssache List (a. a.O., S. 2516) ausgeführt habe, aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß „bei der Ermittlung der Natur eines Rechtsaktes nicht auf das formelle Kriterium des äußeren Erscheinungsbildes oder gar auf die Qualifikation durch den Urheber oder einen Dritten abzustellen [ist], sondern lediglich auf den objektiven Inhalt und die wahre Bedeutung des Rechtsaktes“. Doch bin ich im vorliegenden Fall davon überzeugt, daß die äußere Natur der fraglichen Maßnahme ihrer wirklichen Natur entspricht. Meiner Ansicht nach wäre der These der Kommission nur dann zu folgen, wenn der Kläger ununterbrochen der niederländischen Übersetzungsabteilung angehört hätte; dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar kam der Kläger im Jahr 1970, als er der CASSTM zur Verfügung gestellt wurde, von der niederländischen Sektion der — damals einzigen — Übersetzungsabteilung und wurde im Jahr 1980 in die niederländische Übersetzungsabteilung zurückberufen. Diese Feststellungen berücksichtigen aber gerade nicht die im Jahre 1973 durchgeführte Neuorganisation der Übersetzungsdienste. Es steht fest, daß seit der Umänderung der niederländischen Übersetzungssektion in eine Abteilung bis zum 1. Januar 1980 die der CASSTM zur Verfügung gestellten Übersetzer dem Leiter der Abteilung IX-D-3 „Übersetzung: Allgemeine Angelegenheiten“ als ihrem Dienstvorgesetzten unterstellt waren, dabei aber weiterhin vom Generalsekretär und vom Leiter der Übersetzergruppe dieser Einrichtung abhängig waren, was die Beurteilung ihrer Arbeit anging. Unter diesen Umständen frage ich mich, welche Rolle für sie die linguistischen Abteilungen — wie die Abteilung IX-D-8 „Niederländische Übersetzung“ für den Kläger — noch hätten spielen können. Hieraus folgt, daß die umstrittene Entscheidung eine echte Entscheidung über die Änderung der Verwendung ist, weshalb sie auch in ganz normaler Anwendung des Artikels 3 des erwähnten Beschlusses vom 5. Oktober 1977 von dem für Personalfragen zuständigen Mitglied der Kommission getroffen wurde und nicht infolge einer Neuorganisation der Dienststellen, eine Möglichkeit, die in diesem Artikel 3 nicht vorgesehen ist. Die gegen die Entscheidung gerichtete Klage ist also als zulässig anzusehen. |
III —
Zur Begründetheit hat der Kläger verschiedene Argumente vorgetragen, die er bis zum Abschluß seiner Erklärungen nur sehr partiell aufrechterhalten hat.
Zunächst hat er in seiner Erwiderung den Klagegrund aufgegeben, den er in seiner Klageschrift hauptsächlich geltend gemacht hatte und der auf den Verstoß gegen den Beschluß der Kommission vom 24. November 1976 über das Mobilitätsverfahren gestützt war.
Die Aufgabe dieses ersten Klagegrundes ist in gewisser Weise dadurch ausgeglichen worden, daß, ebenfalls in der Erwiderung, die folgenden drei Klagegründe vorgebracht wurden: Verletzung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung, der Fürsorgepflicht und der Rechte der Verteidigung. Da es sich um neue Angriffsmittel handelt, die nach unserer Verfahrensordnung im Laufe des Verfahrens grundsätzlich nicht mehr vorgebracht werden dürfen, hätte ich sie nur äußerst hilfsweise geprüft. Da der Anwalt des Klägers sie aber in seinem Schlußvortrag nicht mehr erwähnt hat, habe ich keine Bedenken, sie völlig unberücksichtigt zu lassen.
Somit bestehen noch zwei Klagegründe, die miteinander im Zusammenhang stehen: der Verstoß gegen Artikel 7 Absatz 1 des Statuts, soweit dieser vorschreibt, daß Versetzungen ausschließlich im dienstlichen Interesse erfolgen dürfen, und der Ermessensmißbrauch. Dabei kommt dem auf Ermessensmißbrauch gestützten Klagegrund gegenüber dem Klagegrund der Verletzung des dienstlichen Interesses nur subsidiäre Bedeutung zu. Nur wenn erwiesen ist, daß die angegriffene Entscheidung nicht im dienstlichen Interesse getroffen wurde, wird es nämlich erforderlich, ihre wirklichen Gründe anderweitig zu suchen. Wenn dagegen die getroffene Entscheidung durch das dienstliche Interesse gerechtfertigt werden kann, ist es überflüssig zu prüfen, ob tatsächlich ein Ermessensmißbrauch vorliegt.
1. |
Nach Auffassung des Klägers wurde Artikel 7 Absatz 1 des Statuts durch die Entscheidung über die Änderung seiner Verwendung in zweierlei Hinsicht verletzt. Erstens habe die Kommission nicht das für den Fall der Versetzung vorgesehene Verfahren eingehalten; zweitens sei die fragliche Entscheidung nicht ausschließlich im dienstlichen Interesse erfolgt. Hinsichtlich des ersten Gesichtspunkts brauche ich nur zu wiederholen, daß die angefochtene Entscheidung keine Versetzung im Sinne des Statuts darstellte, so daß kein Grund bestand, die für einen solchen Fall vorgesehenen Formalitäten zu beachten. Es ist jedoch ersichtlich die Verletzung des dienstlichen Interesses, der in den Augen des Klägers die größte Bedeutung zukommt.
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2. |
Da der Kläger somit nicht nachweisen konnte, daß die ihm gegenüber ergangene Entscheidung nicht ausschließlich im dienstlichen Interesse getroffen worden sei, braucht nicht geprüft zu werden, ob die Beklagte bei Erlaß der angefochtenen Entscheidung einen Ermessensmißbrauch begangen hat. |
IV —
Mir bleibt daher nur noch, meine Anträge zu stellen.
Zuvor möchte ich jedoch, wie es auch Generalanwalt Capotorti kürzlich in seinen Schlußanträgen in der Rechtssache 148/79 (Korter/Rat, Schlußanträge vom 29. Januar 1981, noch nicht veröffentlicht, S. 12 des hektographierten Textes) getan hat, noch ein Anliegen äußern. Ich habe den Eindruck, daß dieser Rechtsstreit hätte vermieden werden können. Wie sein Anwalt in der mündlichen Verhandlung erwähnt hat, hat der Kläger die vorliegende Klage zweifellos nicht deswegen erhoben, weil er um jeden Preis bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand bei der CASSTM weiterarbeiten möchte, sondern weil er bestürzt war über die Bedingungen, unter denen die Entscheidung über die Änderung seiner Verwendung ergangen war, und über die Tatsache, daß die Verwaltung sich zum alleinigen Richter über seine Berufsinteressen machen wollte. In dieser Hinsicht kann man nur bestätigen, daß es ein zumindest unelegantes Vorgehen war, das den vertrauensvollen Beziehungen, die zwischen einer Behörde und ihren Beamten bestehen sollen, abträglich war, wenn die Entscheidung über die Änderung der Verwendung des Klägers in seiner Abwesenheit öffentlich bekanntgegeben wurde, ohne ihn vorher unterrichtet oder ihm Gelegenheit gegeben zu haben, hierzu Stellung zu nehmen, und ohne die rechtliche Grundlage hierfür in aller notwendigen Klarheit anzugeben.
Gleichwohl kann ich Ihnen nur vorschlagen, die Klage abzuweisen und jeder Partei gemäß Artikel 69 § 2 und 70 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.