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Document 62012CC0184

Schlussanträge des Generalanwalts Wahl vom 15. Mai 2013.
United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV gegen Navigation Maritime Bulgare.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Hof van Cassatie - Belgien.
Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht - Art. 3 und 7 Abs. 2 - Wahlfreiheit der Parteien - Grenzen - Zwingende Vorschriften - Richtlinie 86/653/EWG - Selbständige Handelsvertreter - Verträge über den Ver- oder Ankauf von Waren - Beendigung des Handelsvertretervertrags durch den Auftraggeber - Nationale Umsetzungsvorschriften, die einen über die Mindestanforderungen der Richtlinie hinausgehenden Schutz und außerdem einen Schutz der Handelsvertreter im Rahmen von Dienstleistungsverträgen vorsehen.
Rechtssache C-184/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:301

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NILS WAHL

vom 15. Mai 2013 ( 1 )

Rechtssache C‑184/12

United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV

gegen

Navigation Maritime Bulgare

(Vorabentscheidungsersuchen des Hof van Cassatie [Belgien])

„Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht — Grundsatz der Vertragsautonomie — Grenzen — Einwirkung zwingender Vorschriften des Staates des angerufenen Gerichts — Handelsvertretervertrag“

I – Einleitung

1.

Die vorliegende Rechtssache betrifft die Auslegung der Art. 3 und 7 Abs. 2 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom ( 2 ) (im Folgenden: Übereinkommen von Rom) in Verbindung mit der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ( 3 ).

2.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Hof van Cassatie ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der United Antwerp Maritime Agencies (Unamar) NV (im Folgenden: Unamar), einer Gesellschaft nach belgischem Recht, und Navigation Maritime Bulgare (im Folgenden: NMB), einer Gesellschaft nach bulgarischem Recht, betreffend die Zahlung verschiedener Entschädigungen im Anschluss an die Kündigung des bis zu diesem Zeitpunkt zwischen den beiden Gesellschaften bestehenden Handelsvertretervertrags durch NMB. Im Rahmen des Ausgangsverfahrens stellte sich insbesondere die Frage, ob das belgische Gericht auf den Vertrag die zwingenden Bestimmungen der lex fori anwenden kann, obwohl eine Schiedsklausel vorliegt, die die Industrie- und Handelskammer Sofia (Bulgarien) für zuständig erklärt und ausdrücklich die Anwendung bulgarischen Rechts auf den Vertrag vorsieht.

3.

Der Gerichtshof wird insbesondere um Klarstellung gebeten, unter welchen Voraussetzungen das nationale Gericht in Anwendung von Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom die auf den Vertrag nach der Rechtswahl der Parteien anwendbaren Bestimmungen des Rechts eines Mitgliedstaats (lex contractus) zugunsten der zwingenden Bestimmungen der lex fori ausschließen kann. Konkret wird er um Hinweise zu der Frage ersucht, ob das Recht eines Mitgliedstaats der Europäischen Union, das zwar die ordnungsgemäße Umsetzung einer europäischen Richtlinie darstellt, aber über den von dieser gewährten Schutz hinausgeht, diesen umfassenderen Schutz für den Fall vorschreiben kann, dass die lex contractus das Recht eines anderen Mitgliedstaats der Union ist, der diese Richtlinie ebenfalls ordnungsgemäß umgesetzt hat.

II – Rechtlicher Rahmen

A – Das Übereinkommen von Rom

4.

Art. 3 („Freie Rechtswahl“) des Übereinkommens von Rom sieht vor:

„(1)   Der Vertrag unterliegt dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss ausdrücklich sein oder sich mit hinreichender Sicherheit aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil desselben treffen.

…“

5.

Art. 7 („Zwingende Vorschriften“) Abs. 2 dieses Übereinkommens sieht vor, dass „[d]ieses Übereinkommen … nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichts geltenden Bestimmungen [berührt], die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln“.

B – Die Richtlinie 86/653

6.

Nach ihrem zweiten Erwägungsgrund wurde die Richtlinie 86/653 unter Berücksichtigung der Tatsache erlassen, dass „die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen … die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der Gemeinschaft spürbar [beeinflussen] und … den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr [beeinträchtigen] …“.

7.

Art. 1 Abs. 2 der genannten Richtlinie sieht Folgendes vor:

„Handelsvertreter im Sinne dieser Richtlinie ist, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für eine andere Person (im folgenden Unternehmer genannt) den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen.“

8.

Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen dafür, dass der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses Anspruch auf Ausgleich nach Absatz 2 oder Schadensersatz nach Absatz 3 hat.“

C – Belgisches Recht

9.

Das Gesetz vom 13. April 1995 über den Handelsvertretervertrag ( 4 ) (im Folgenden: Gesetz von 1995) bestimmt in Art. 1 insbesondere, dass „[d]er Handelsvertretervertrag … der Vertrag [ist], durch den die eine Partei, der Handelsvertreter, von der anderen Partei, dem Auftraggeber, ohne dessen Weisungsbefugnis zu unterliegen, ständig und gegen Vergütung damit betraut wird, im Namen und für Rechnung des Auftraggebers Geschäfte zu vermitteln und gegebenenfalls Geschäfte abzuschließen“.

10.

In Art. 18 §§ 1 und 3 des Gesetzes von 1995 heißt es:

„§ 1   Ist der Vertretervertrag entweder für unbestimmte Zeit oder für bestimmte Zeit mit Möglichkeit der vorzeitigen Vertragskündigung geschlossen worden, darf jede Partei unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist den Vertrag kündigen.

§ 3   Die Partei, die den Vertrag kündigt, ohne sich auf einen der in Artikel 19 Absatz 1 erwähnten Gründe zu berufen oder ohne die in § 1 Absatz 2 festgelegte Kündigungsfrist einzuhalten, muss der anderen Partei eine Entschädigung zahlen, die der üblichen Vergütung für den Zeitraum der Kündigungsfrist oder des noch verbleibenden Teils dieser Frist entspricht.“

11.

Art. 20 des Gesetzes von 1995 bestimmt:

„Nach Vertragsbeendigung hat der Handelsvertreter Anspruch auf eine Ausgleichsabfindung, wenn er neue Kunden für den Auftraggeber geworben oder die Geschäftsverbindungen mit der bestehenden Kundschaft wesentlich erweitert hat, soweit dies dem Auftraggeber noch erhebliche Vorteile einbringen kann.“

12.

Art. 21 des Gesetzes von 1995 lautet:

„Sofern der Handelsvertreter Anspruch auf die in Artikel 20 erwähnte Ausgleichsabfindung hat und diese Entschädigung den tatsächlich erlittenen Schaden nicht vollständig deckt, kann der Handelsvertreter über diese Entschädigung hinaus Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen dem Betrag des tatsächlich erlittenen Schadens und dem Betrag der besagten Entschädigung erhalten, sofern er den tatsächlichen Umfang des angegebenen Schadens nachweist.“

13.

Art. 27 des Gesetzes von 1995 bestimmt:

„Vorbehaltlich der Anwendung der internationalen Vereinbarungen, bei denen Belgien Partei ist, unterliegt jede Tätigkeit eines Handelsvertreters mit Hauptniederlassung in Belgien dem belgischen Recht und gehört zum Zuständigkeitsbereich der belgischen Gerichte.“

III – Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

14.

Unamar und NMB schlossen im Jahr 2005 einen Handelsvertretervertrag über den Betrieb eines linienmäßigen Seetransportdienstes mit Containern, die NMB gehörten. Der Vertrag sah die Geltung bulgarischen Rechts und die Beilegung vertraglicher Streitigkeiten durch die Schiedskammer der Industrie- und Handelskammer in Sofia vor.

15.

Dieser Handelsvertretervertrag wurde mit Vertrag vom 22. Dezember 2008 letztmalig bis zum 31. März 2009 verlängert. Unamar war der Auffassung, dass der Handelsvertretervertrag rechtswidrig beendet worden sei, und erhob am 25. Februar 2009 vor der Rechtbank van koophandel te Antwerpen Klage auf Zahlung verschiedener Entschädigungen nach dem Gesetz von 1995.

16.

Am 13. März 2009 verklagte NMB ihrerseits Unamar vor der Rechtbank van koophandel te Antwerpen auf Zahlung rückständiger Frachten in Höhe von 327207,87 Euro.

17.

Nach Verbindung der beiden Rechtssachen entschied die Rechtbank van koophandel te Antwerpen mit Urteil vom 12. Mai 2009, dass die von NMB erhobene Einrede der Unzuständigkeit wegen des Vorliegens einer Schiedsklausel unbegründet sei. Das Gericht nahm im Wesentlichen an, dass es sich, erstens, bei Art. 27 des Gesetzes von 1995 um eine unmittelbar anwendbare einseitige Kollisionsnorm handle, die der Wahl ausländischen Rechts entgegenstehe, zweitens dieses Gesetz angewendet werden müsse, obwohl es nicht zum zwingenden belgischen internationalen Recht gehöre, drittens somit alle Streitigkeiten, die in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes fielen, nicht der Schiedsgerichtsbarkeit unterlägen, es sei denn, im Handelsvertretervertrag werde belgisches oder ein gleichwertiges ausländisches Recht für anwendbar erklärt, sowie schließlich, dass die von NMB erhobenen Unzuständigkeitseinreden nicht durchgriffen, da der streitige Vertrag dem bulgarischen Recht unterliege und nicht ersichtlich sei, dass die Bestimmungen der Richtlinie 86/653 nach diesem Recht auch für Handelsvertreter, die Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen geschlossen hätten, gälten.

18.

NMB legte am 24. Juni 2009 beim Hof van beroep te Antwerpen gegen diese Entscheidung Berufung ein. Mit Urteil vom 23. Dezember 2010 verurteilte dieses Gericht Unamar zur Zahlung des Frachtsaldos von 77207,87 Euro zuzüglich Verzugszinsen und Kosten. Außerdem gab der Hof van beroep te Antwerpen der von NMB erhobenen Einrede der Unzuständigkeit statt und erklärte sich für die Entscheidung über die Schadensersatzklage der Unamar für unzuständig. Nach Auffassung des Gerichts war das Gesetz von 1995 kein zwingendes Recht und gehörte auch nicht zum zwingenden belgischen internationalen Recht. Die zwingenden Sonderbestimmungen dieses Gesetzes seien nach Art. 7 des Übereinkommens von Rom nicht zu berücksichtigen. Das von den Parteien gewählte bulgarische Recht gewähre Unamar als Schiffsagentin von NMB auch den Mindestschutz nach der Richtlinie 86/653. Unter diesen Umständen habe die Vertragsautonomie der Parteien Vorrang vor dem Recht eines anderen Mitgliedstaats der Union, im vorliegenden Fall des Königreichs Belgien.

19.

Am 27. Mai 2011 legte Unamar Kassationsbeschwerde gegen dieses Urteil beim Hof van Cassatie ein, der entschied, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Art. 3 und 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom, gegebenenfalls in Verbindung mit der Richtlinie 86/653, unter Berücksichtigung der Einstufung der Art. 18, 20 und 21 des Gesetzes von 1995 nach belgischem Recht als zwingende Vorschriften im Sinne von Art. 7 Abs. 2 dieses Übereinkommens dahin auszulegen, dass sie die Anwendung der zwingenden Vorschriften des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts, die einen umfassenderen Schutz als den von dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindestschutz gewähren, auf den Vertrag ermöglichen, auch wenn für den Vertrag das Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union gilt, in dem der Mindestschutz nach der genannten Richtlinie ebenfalls umgesetzt wurde?

20.

NMB, die belgische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben. Ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht gestellt worden.

IV – Rechtliche Würdigung

A – Vorbemerkungen

21.

Vor der Prüfung der Vorlagefrage in der Sache möchte ich einige Klarstellungen vornehmen, die ich für erforderlich halte, um den Gegenstand der Untersuchung einzugrenzen und die möglichen Unklarheiten hinsichtlich der Tragweite des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens auszuräumen.

22.

So weise ich darauf hin, dass zwar im Ausgangsverfahren nicht nur die Frage des auf den Vertrag anwendbaren Rechts erörtert wurde, sondern auch die Frage, ob die belgischen Gerichte tatsächlich für die Entscheidung über den Rechtsstreit zwischen Unamar und NMB zuständig sind, der Gerichtshof jedoch nur mit der Frage der Bestimmung des nach dem Übereinkommen von Rom anwendbaren Rechts befasst wurde. Diese Einschränkung der Frage, so überraschend sie auf den ersten Blick sein mag ( 5 ), macht das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen jedoch nicht bedeutungslos ( 6 ), da die Frage der Bestimmung des nach dem Übereinkommen von Rom auf den zwischen Unamar und NMB geschlossenen Handelsvertretervertrag anwendbaren Rechts im Mittelpunkt des Ausgangsrechtsstreits steht.

23.

Im vorliegenden Fall sind die Frage des anwendbaren Rechts und die der Gültigkeit der die Industrie- und Handelskammer Sofia benennenden Schiedsklausel eng miteinander verbunden. So hat sich das vorlegende Gericht auf das am 10. Juni 1958 in New York unterzeichnete Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche ( 7 ) bezogen, das in Art. II Abs. 3 bestimmt, dass „[d]as Gericht eines Vertragsstaates, bei dem ein Rechtsstreit wegen einer Frage anhängig gemacht wird, hinsichtlich deren die Parteien eine Vereinbarung im Sinne des vorliegenden Artikels getroffen haben, diese auf Antrag einer dieser Parteien auf das Schiedsverfahren verweist, es sei denn, es stellt fest, dass die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist“ ( 8 ). Es hat daraus abgeleitet, dass eine nach ausländischem Recht gültige Schiedsklausel auf der Grundlage einer Rechtsvorschrift der lex fori zurückgewiesen werden könne, nach der der Streit nicht der Schiedsgerichtsbarkeit unterworfen werden dürfe. Nach dem vorlegenden Gericht ergibt sich jedoch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes von 1995, dass die Art. 18, 20 und 21 dieses Gesetzes als zwingendes Recht anzusehen seien. Nach seiner Argumentation besteht daher eine enge Verbindung zwischen der Bestimmung des auf den Vertrag anwendbaren Rechts und der Möglichkeit des Richters, die Schiedsklausel zurückzuweisen und so seine Zuständigkeit zu begründen.

B – Antwort auf die Vorlagefrage

24.

Der Gerichtshof wird im Wesentlichen darum gebeten, zu entscheiden, ob ein Gesetz eines Mitgliedstaats der Union, mit dem eine Richtlinie der Union umgesetzt und gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen wird, einen umfassenderen als den nach dieser Richtlinie vorgeschriebenen Schutz zu gewährleisten, diesen umfassenderen Schutz nach Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom auch für den Fall vorschreiben kann, dass die lex contractus das Recht eines anderen EU‑Mitgliedstaats ist, der diese Richtlinie ebenfalls ordnungsgemäß umgesetzt hat.

25.

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen, dass das Königreich Belgien und die Republik Bulgarien beide die Richtlinie 86/653 ordnungsgemäß umgesetzt haben. Im Gegensatz zu den Ausführungen zum Gesetz von 1995 sind zum Inhalt der in Bulgarien erlassenen Umsetzungsmaßnahmen sehr wenige Auskünfte erteilt worden ( 9 ). Die Beteiligten scheinen mir jedoch darin einig zu sein, dass der Schutz nach den belgischen Rechtsvorschriften über den nach dieser Richtlinie hinausgeht, nicht nur deshalb, weil diese Rechtsvorschriften einen umfassenderen Anwendungsbereich haben, sondern auch, weil nach ihnen im Fall der Vertragsbeendigung der Handelsvertreter kumulativ Anspruch auf Ausgleich und auf Ersatz des erlittenen Schadens hat.

26.

Es sind daher Hinweise zu den Bedingungen zu geben, unter denen die Bestimmungen des bulgarischen Rechts, der lex contractus, im Rahmen des Ausgangsverfahrens zugunsten der zwingenden Vorschriften des Gesetzes von 1995 unangewendet gelassen werden können.

27.

Dazu halte ich es zunächst für zweckdienlich, im Licht der Erkenntnisse, die meines Erachtens aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu ziehen sind, einige Klarstellungen zur Tragweite von Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom vorzunehmen. Sodann werde ich prüfen, ob und in welchem Umfang die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften durch das sekundäre Unionsrecht eine Auswirkung auf die Umsetzung dieser Bestimmung haben kann.

1. Tragweite von Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom im Licht der Erkenntnisse aus der Rechtsprechung

28.

Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem sich die Parteien im Vertrag unter den in Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom festgelegten Voraussetzungen für die Anwendung eines bestimmten Rechts entschieden haben, nach dem in diesem Artikel verankerten Grundsatz der Vertragsautonomie der Parteien grundsätzlich dieses Recht anzuwenden ist.

29.

Im Rahmen des vom Übereinkommen von Rom vorgesehenen Mechanismus zur Bestimmung des anwendbaren Rechts kann der Grundsatz der Vertragsautonomie jedoch auf zwei Arten gestört werden: zum einen durch das Aufstellen von Sonderregeln für bestimmte Verträge, bei denen es sich als erforderlich erweist, die schwächere Partei zu schützen (Verbraucherverträge, Arbeitsverträge) – dies betrifft den vorliegenden Fall nicht –, und zum anderen durch die Einwirkung spezieller Mechanismen, die auf Grundsätzen beruhen, die im internationalen Privatrecht, aber auch im Recht der Mitgliedstaaten, traditionell anerkannt sind. Dazu gehört nach der Überschrift ( 10 ) von Art. 7 des Übereinkommens von Rom das Eingreifen zwingender Vorschriften. Dieses Eingreifen stellt sich je nachdem, ob zwingende Bestimmungen ausländischen Rechts, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist (Abs. 1), oder, wie im vorliegenden Fall, zwingende Bestimmungen der lex fori (Abs. 2) in Rede stehen, unterschiedlich dar.

30.

Zu den zwingenden Vorschriften der lex fori weise ich darauf hin, dass nach Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom zwar in funktioneller Hinsicht die zwingenden Vorschriften der lex fori jeder anderen Bestimmung ( 11 ) vorgehen müssen, er aber keine Definition dessen enthält, was unter zwingenden Vorschriften zu verstehen ist. Diese Bestimmung beschränkt sich auf den Hinweis, dass die Anwendung der nach der lex fori geltenden Bestimmungen, „die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln“, unberührt bleibt, ohne weitere Voraussetzungen vorzusehen. Der erläuternde Giuliano-Lagarde-Bericht enthält zu diesem Punkt kaum Hinweise ( 12 ).

31.

Ich bin der Ansicht, dass aus diesen Anhaltspunkten hervorgeht, dass nach den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts die nationalen Behörden bei der Entscheidung, auf welchen Gebieten und aus welchen Gründen einer Bestimmung der lex fori zwingender Charakter beigemessen werden soll, der die Nichtanwendung der einschlägigen Bestimmungen des von den Parteien gewählten Rechts rechtfertigt, über einen weiten Ermessensspielraum verfügen. Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom schließt grundsätzlich jedes Ermessen des Richters in Bezug auf die Angemessenheit der Anwendung der zwingenden Vorschriften der lex fori aus, wenn der Vertrag, über den er befinden muss – auch wenn er einem anderen Recht unterliegt –, in den von den zwingenden Vorschriften selbst festgelegten Anwendungsbereich fällt ( 13 ).

32.

Dieses Ergebnis wird durch die Definition der zwingenden Vorschriften durch den Gerichtshof in der Rechtssache Arblade u. a. ( 14 ) oder in der Rechtssache Kommission/Luxemburg ( 15 ) nicht in Frage gestellt, die zum Großteil in Art. 9 („Eingriffsnormen“) der Rom‑I‑Verordnung ( 16 ) übernommen wurde, der im Wesentlichen Art. 7 des Übereinkommens von Rom entspricht.

33.

Ich weise darauf hin, dass in der Rechtssache Arblade u. a. der Gerichtshof entschieden hat, dass unter dem Begriff „Polizei- und Sicherheitsgesetze“„nationale Vorschriften zu verstehen [sind], deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird, dass ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis vorgeschrieben ist“ ( 17 ). Insoweit stelle ich fest, dass in der Rechtssache Kommission/Luxemburg im Rahmen der Prüfung der Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Ordnung als einer Abweichung vom grundlegenden Prinzip der Dienstleistungsfreiheit der Begriff der Polizei- und Sicherheitsgesetze nach der Rechtssache Arblade u. a. übernommen wurde ( 18 ).

34.

Unterstellt man, dass der Gerichtshof in den angeführten Urteilen einen eigenständigen europäischen Begriff der zwingenden Vorschriften entwickeln wollte, was meines Erachtens entgegen den Zweifeln, die insoweit geäußert werden konnten ( 19 ), nunmehr durch die Definition der Eingriffsnormen in der Rom‑I‑Verordnung bestätigt wird, ändert dies nichts daran, dass die Einstufung einer bestimmten nationalen Bestimmung als zwingende Vorschrift im Einzelfall und je nach den im Allgemeininteresse liegenden Gründen, die zu ihrem Erlass geführt haben, vorgenommen werden muss.

35.

Ich bin der Auffassung, dass es in großem Umfang dem Wunsch des nationalen Gesetzgebers überlassen ist, den innerstaatlichen Bestimmungen zwingenden Charakter zu verleihen: Es handelt sich dabei um die Bestimmungen, die der Staat mit dem erklärten oder nicht erklärten Ziel erlässt, die von ihm als wesentlich angesehenen Interessen zu wahren. Mit anderen Worten bleiben die Mitgliedstaaten dafür zuständig, konkret festzulegen, wann öffentliche Interessen ‐ im weiten Sinne ( 20 ) ‐ betroffen sind, die es rechtfertigen, bestimmten Rechtsvorschriften zwingenden Charakter beizumessen. Der nationale Richter hat für die Einstufung einer innerstaatlichen Bestimmung als zwingende Vorschrift sowohl den Wortlaut als auch die Systematik des Gesetzes, zu dem sie gehört, zu berücksichtigen ( 21 ).

36.

Im Hinblick auf die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist jedoch die Möglichkeit der nationalen Behörden, die lex contractus zugunsten der lex fori nach Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom unangewandt zu lassen, nicht grenzenlos.

37.

Meines Erachtens ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die Berufung auf zwingende Vorschriften der lex fori gemäß Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom die Mitgliedstaaten nicht von ihrer Verpflichtung befreien kann, die Bestimmungen des Vertrags einzuhalten, da sonst der Vorrang und die einheitliche Anwendung des Unionsrechts missachtet würden ( 22 ). Insbesondere dürfen diese Vorschriften nicht zu einer ungerechtfertigten Beeinträchtigung der Rechte und Freiheiten aus den Verträgen führen.

2. Prüfung der Auswirkung der Harmonisierung der Rechtsvorschriften durch den Erlass der Richtlinie 86/653 auf die Möglichkeit nach Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom, die zwingenden Vorschriften des Staates des angerufenen Gerichts anzuwenden

38.

Wie im vorigen Abschnitt erwähnt, verfügen die nationalen Behörden vorbehaltlich des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts über einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung, aus welchen Gründen und auf welchen Gebieten sie bestimmte Regeln mit zwingendem Charakter ausstatten möchten, der es rechtfertigt, dass sie das angerufene Gericht nach Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom unabhängig davon anwenden kann, welches Recht im Übrigen auf den Vertrag anwendbar ist.

39.

Dennoch stellt sich die Frage, ob die Harmonisierung der Rechtsvorschriften durch eine Richtlinie der Union geeignet ist, sich auf die Wirksamkeit der zwingenden Vorschriften der lex fori im Verhältnis zum Recht anderer Mitgliedstaaten auszuwirken, wenn, wie im vorliegenden Fall, innerstaatliche Rechtsvorschriften in Rede stehen, die erlassen wurden, um diese Richtlinie umzusetzen.

40.

Ich bin der Ansicht, dass die Antwort auf diese Frage je nachdem, ob die fragliche Harmonisierung eine Mindest- oder eine Vollharmonisierung ist, nicht notwendigerweise dieselbe sein wird.

41.

Für den Fall, dass die Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften durch die Richtlinie einen Mindestschutz bewirkt, steht es den Mitgliedstaaten frei, auf diesem Gebiet strengere Vorschriften beizubehalten oder zu erlassen ( 23 ). Die nationalen Behörden sind daher angesichts des ihnen überlassenen Ermessensspielraums in der Lage, sowohl den Anwendungsbereich als auch den in der genannten Richtlinie verankerten Schutz auszudehnen, um die von ihnen als wesentlich angesehenen Interessen zu schützen. Unter diesen Umständen können erhebliche Unterschiede zwischen den zur Umsetzung der Unionsrichtlinie erlassenen nationalen Vorschriften bestehen. Meines Erachtens dürfte nicht ausgeschlossen werden, dass den innerstaatlichen Bestimmungen, die den Anwendungsbereich und den in der Richtlinie verankerten Mindestschutz ausdehnen, zwingender Charakter zuerkannt wird und sie somit gemäß Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom die Bestimmungen des von den Parteien gewählten Rechts verdrängen können, und zwar selbst dann, wenn das gewählte Recht das eines Mitgliedstaats wäre, der die Richtlinie ordnungsgemäß umgesetzt hat. Wie erwähnt, belässt nämlich das Übereinkommen von Rom den Mitgliedstaaten zunächst, natürlich vorbehaltlich der Beachtung des Vorrangs des Unionsrechts, einen weiten Ermessensspielraum bei der Festlegung der Bestimmungen ihres jeweiligen Rechts, die als zwingend einzustufen sind.

42.

Bewirkt die Richtlinie hingegen eine vollständige Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften, muss sie zum Erlass innerstaatlicher Rechtsvorschriften führen, deren Schutzbereich und ‑niveau identisch oder zumindest gleichwertig sind. Eine solche Harmonisierung setzt naturgemäß voraus, dass die vom Richter zu entscheidenden Situationen allein anhand der vom Unionsgesetzgeber aufgestellten Kriterien zu beurteilen sind ( 24 ). Unter diesen Umständen wäre daher auszuschließen, dass die zwingenden Vorschriften eines Mitgliedstaats das Recht eines anderen Mitgliedstaats nach Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom verdrängen können.

43.

Außerdem kann unter dem Blickwinkel der anerkannten Grundsätze des internationalen Privatrechts angenommen werden, dass der Schutzzweck der zwingenden Vorschrift letztlich durch die vollständige Harmonisierung durch die Unionsrichtlinie abgedeckt wird. Wie oben ausgeführt, ist nämlich die Möglichkeit der zuständigen Behörden, gemäß Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom, im Licht insbesondere des Urteils Arblade u. a. und der in Art. 9 Abs. 1 der Rom‑I‑Verordnung übernommenen Definition die Vorschriften der lex fori anzuwenden, in großem Umfang durch den Willen des nationalen Gesetzgebers bedingt, Belange zu schützen, die er für wichtig hält. Im Fall innerstaatlicher Rechtsvorschriften, die eine Richtlinie umsetzen, die zu einer vollständigen Harmonisierung führt, sind jedoch die Interessen, deren Schutz verfolgt wird, in gewisser Hinsicht durch die sich aus der Richtlinie ergebende Harmonisierung der Rechtsvorschriften abgedeckt. Unter solchen Umständen sollte die lex contractus daher grundsätzlich nicht zugunsten der lex fori verdrängt werden können.

44.

Wie ich im Folgenden darlegen werde, bewirkt die Richtlinie 86/653 eine Mindestharmonisierung ( 25 ) der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die insbesondere die im Bereich der Dienstleistungen tätigen selbständigen Handelsvertreter aus ihrem Anwendungsbereich ausschließt und den Handelsvertretern für den Fall der Beendigung des Vertragsverhältnisses nur einen Mindestschutz gewährt (a). Daraus folgt, dass es in dem Fall, dass die vom Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen innerstaatlichen Bestimmungen über den Anwendungsbereich dieser Richtlinie und den von ihr vorgesehenen Mindestschutz hinausgehen – ein Fall, der dem des Ausgangsverfahrens zu entsprechen scheint –, möglich ist, dass sie anstelle des von den Vertragsparteien gewählten Rechts eines anderen Mitgliedstaats angewandt werden (b).

a) Die Richtlinie 86/653 bewirkt eine Mindestharmonisierung, die zum einen u. a. die im Bereich der Dienstleistungen tätigen selbständigen Handelsvertreter aus ihrem Anwendungsbereich ausschließt und zum anderen einen Mindestschutz für Handelsvertreter im Fall der Beendigung des Vertragsverhältnisses vorsieht

45.

Sowohl aus der Vorlageentscheidung als auch aus den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ergibt sich, dass der Handelsvertretervertrag im Ausgangsverfahren ein zwischen Unamar und NMB geschlossener Vertrag ist, der Seetransportumsätze mit Containern von NMB, d. h. die Erbringung von Dienstleistungen betraf. Ferner hatte nach der Vorlageentscheidung der Ausgangsrechtsstreit die Beendigung des Handelsvertretervertrags zwischen den beiden Gesellschaften und die anschließende Klage von Unamar auf Gewährung der Entschädigungen nach dem Gesetz von 1995 als Ausgangspunkt.

46.

Was erstens den Tätigkeitsbereich angeht, der von dem den Handelsvertretern von der Richtlinie 86/653 gewährten Schutz umfasst ist, weise ich darauf hin, dass die belgische Regierung, ohne die Anwendbarkeit dieser Richtlinie auf den vorliegenden Fall, der einen Handelsvertretervertrag im Hinblick auf den Betrieb eines Seetransportdienstes betrifft, formell zu bestreiten, geltend gemacht hat, dass das Gesetz von 1995 einen weiteren Anwendungsbereich als die Richtlinie 86/653 habe, da Letztere nach ihrem Art. 1 Abs. 2 nur Tätigkeiten der Vermittlung im Bereich des Verkaufs oder des Ankaufs von Waren betreffe.

47.

Ebenfalls in diesem Sinne hat die Kommission erwähnt, dass sich der belgische Gesetzgeber entschieden habe, die in dieser Richtlinie vorgesehene Schutzregelung für selbständige Handelsvertreter nicht nur auf die selbständigen Gewerbetreibenden anzuwenden, die mit „de[m] Verkauf oder de[m] Ankauf von Waren“ betraut sind (Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 86/653), sondern auch auf selbständige Handelsvertreter, die damit betraut werden, Geschäfte zu vermitteln und gegebenenfalls Geschäfte abzuschließen (Art. 1 des Gesetzes von 1995), was Dienstleistungen umfassen könne. Höchstwahrscheinlich sei die bulgarische Regelung auf Dienstleistungen nicht anwendbar. Die Kommission ist jedoch der Ansicht, dass die Vorlageentscheidung keinen endgültigen Schluss über die Natur des vorliegenden Vertrags zulasse und sie davon ausgegangen sei, dass er grundsätzlich die Vermittlung des Verkaufs und des Ankaufs von Waren betreffe.

48.

Meines Erachtens geht das Gesetz von 1995 über eine bloße Umsetzung der Richtlinie 86/653 hinaus. Eine vergleichende Prüfung ihrer Bestimmungen zeigt klar, dass der belgische Gesetzgeber den Schutz dieser Richtlinie auf alle selbständigen Handelsvertreter einschließlich derer ausdehnen wollte, die im Zusammenhang mit Umsätzen tätig werden, die Dienstleistungen betreffen ( 26 ). Dieser Wunsch nach einer Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Schutzes nach der Richtlinie 86/653 erklärt sich wahrscheinlich durch die Tatsache, dass der belgische Gesetzgeber über die Umsetzung dieser Richtlinie hinaus einen relativ umfassenden Status des selbständigen Handelsvertreters ausarbeiten wollte und sich dabei an die Benelux-Übereinkunft und diejenigen Vorschriften anlehnte, die bis dahin auf den angestellten Handelsvertreter anwendbar gewesen waren ( 27 ).

49.

Meines Erachtens besteht kein Zweifel, dass die Richtlinie 86/653 dahin auszulegen ist, dass ihr Anwendungsbereich die Gewerbetreibenden, die mit der Vermittlung von Dienstleistungsverträgen betraut sind, nicht umfasst. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, umschreibt die Richtlinie in Art. 1 Abs. 2 den Begriff des Handelsvertreters präzis und beschränkt ihn auf genau umrissene Situationen ( 28 ). Diese Bestimmung erkennt nämlich demjenigen die Eigenschaft als Handelsvertreter zu, der ständig damit betraut ist, für eine andere Person den Verkauf oder den Ankauf von Waren zu vermitteln oder diese Geschäfte im Namen und für Rechnung des Unternehmers abzuschließen. Diese Richtlinie umfasst daher keine selbständigen Gewerbetreibenden, die mit der Vermittlung von Dienstleistungsverträgen betraut sind. Im Übrigen weise ich, wie auch der Gerichtshof ( 29 ), darauf hin, dass auf die von den Handelsvertreterverträgen betroffenen „Waren“ auch in Art. 4 Abs. 2 Buchst. a, Art. 6 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 86/653 Bezug genommen wird.

50.

Diese Auslegung aufgrund des Wortlauts der Richtlinie 86/653 wird durch die Prüfung der Materialien zu ihr bestätigt. Der erste Vorschlag der Kommission einer Richtlinie auf diesem Gebiet ( 30 ) umfasste nämlich alle „Geschäfte“, d. h. Waren und Dienstleistungen (vgl. die Art. 2, 7 Abs. 1 und 2, 8 und 10 Abs. 2 dieses Vorschlags). Aus dem Vergleich dieses Richtlinienvorschlags mit dem Wortlaut der schließlich vom Rat erlassenen Richtlinie 86/653 ergibt sich deutlich, dass wesentliche Änderungen vorgenommen wurden, die darin bestanden, die Tätigkeiten der betreffenden Vertreter auf den Ver- oder Ankauf von Waren zu beschränken, indem insbesondere alle Bezugnahmen auf Dienstleistungen gestrichen wurden ( 31 ).

51.

Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie 86/653 durch innerstaatliche Rechtsvorschriften, im vorliegenden Fall das Gesetz von 1995, auf Vertreter, die im Dienstleistungsbereich tätig sind, hat meines Erachtens eine wichtige Folge. Die innerstaatliche Bestimmung kann, da sie den Anwendungsbereich der Richtlinie auf den Bereich der Dienstleistungen ausdehnt, nicht mehr als reine Umsetzungsmaßnahme angesehen werden, sondern wird zu einer rein innerstaatlichen Bestimmung ( 32 ). Nur soweit der Anwendungsbereich der Richtlinie mit dem der innerstaatlichen Rechtsvorschriften übereinstimmt, können Letztere als Umsetzungsmaßnahme angesehen werden.

52.

Zweitens verpflichtet hinsichtlich des Niveaus des dem Handelsvertreter im Fall der Beendigung des Vertrags mit dem Unternehmer gewährten Schutzes Art. 17 der Richtlinie 86/653 die Mitgliedstaaten insbesondere, eine Regelung für die Entschädigung der Handelsvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einzurichten. Diese Bestimmung gibt den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen einer Ausgleichsregelung für Kunden und einer Schadensersatzregelung. Dieser Mechanismus soll nur gewährleisten, dass der Handelsvertreter eine Mindestentschädigung erhält, und hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, in ihren Rechtsvorschriften zusätzliche Ausgleichsleistungen vorzusehen. Zwar hat das Königreich Belgien, wie die meisten anderen Mitgliedstaaten ( 33 ), bei der Umsetzung der Richtlinie 86/653 eine Präferenz für das System des Ausgleichs für Kunden gezeigt, der in den Art. 20 bis 23 des Gesetzes von 1995 als „Ausgleichsabfindung“ bezeichnet wird, doch schließt Art. 21 dieses Gesetzes nicht aus, dass der Vertreter unter bestimmten Umständen Schadensersatz erhalten kann, wenn die Entschädigung nicht den gesamten erlittenen Schaden abdeckt.

b) Den innerstaatlichen Umsetzungsbestimmungen, die den Schutzbereich und/oder das Schutzniveau, das sich aus einer Richtlinie ergibt, ausdehnen, kann zwingender Charakter zuerkannt werden

53.

In Bezug auf eine lex fori, die, wie dies im Ausgangsverfahren der Fall zu sein scheint, nicht nur den Anwendungsbereich, sondern auch den Umfang des dem Vertreter nach der Richtlinie 86/653 gewährten Schutzes ausdehnt, bin ich der Ansicht, dass sie der Richter grundsätzlich gemäß Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom anstelle des von den Vertragsparteien gewählten ausländischen Rechts anwenden kann.

54.

Es ist zwar letztlich allein Sache des angerufenen Gerichts, zu entscheiden, welchen Bestimmungen seines Rechts im Hinblick auf die Systematik und den Wortlaut des Rechtsakts, dem sie angehören, zwingender Charakter beizumessen ist, doch sind meines Erachtens die Voraussetzungen für die Anwendung der zwingenden Vorschriften des Staates des angerufenen Gerichts in einem Fall wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen erfüllt.

55.

Zum einen weise ich zur Beurteilung des zwingenden Charakters einer Rechtsvorschrift darauf hin, dass diese anhand ihres Wortlauts und der allgemeinen Systematik des Gesetzes, dem sie angehört, durchzuführen ist ( 34 ). Der Richter kann daher einer Bestimmung zwingenden Charakter zuerkennen, indem er sich auf den Willen des Gesetzgebers ( 35 ) sowie auf den Inhalt der fraglichen Bestimmung ( 36 ) stützt.

56.

Wie sich aus Art. 27 des Gesetzes von 1995 ergibt, hat der belgische Gesetzgeber jedoch über den Bereich der Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 86/653 hinaus, denen der Gerichtshof, wie bereits ausgeführt, zwingenden Charakter zuerkannt hat ( 37 ), ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „[v]orbehaltlich der Anwendung der internationalen Vereinbarungen, bei denen Belgien Partei ist, … jede Tätigkeit eines Handelsvertreters mit Hauptniederlassung in Belgien dem belgischen Recht [unterliegt] und … zum Zuständigkeitsbereich der belgischen Gerichte [gehört]“. Das Gesetz von 1995 kann außerdem insgesamt als Ausdruck des Schutzes eines bedeutenden Interesses durch den belgischen Gesetzgeber angesehen werden.

57.

Zum anderen scheint es mir in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die lex fori den von der Richtlinie 86/653 vorgesehenen Anwendungsbereich und den Umfang des den selbständigen Handelsvertretern gewährten Schutzes ausdehnt, schwierig, eine Beschränkung oder eine Beeinträchtigung der Rechte und Freiheiten aus den Verträgen festzustellen, die eine Verwässerung der Verpflichtung der Mitgliedstaaten darstellen könnte, die Bestimmungen des Vertrags einzuhalten. Insbesondere zu der Entschädigung, die für den Fall der Beendigung des Handelsvertretervertrags vorgesehen ist, weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof zwar betont hat, dass die durch Art. 17 der Richtlinie 86/653 geschaffene Regelung zwingenden Charakter aufweist, jedoch entschieden hat, dass sie nur ein Mindestschutzniveau einführt. Daher können durch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften zwar keine Regeln eingeführt werden, die dazu führen, dass den Handelsvertretern ein niedrigeres Entschädigungsniveau gewährt wird als nach diesem Artikel vorgesehen, doch dürfte es nicht untersagt sein, dass diese Rechtsvorschriften ein höheres Entschädigungsniveau vorsehen ( 38 ). Der nationale Richter ist somit grundsätzlich in der Lage, die zwingenden Vorschriften der lex fori anstelle des von den Vertragsparteien gewählten Rechts eines anderen Mitgliedstaats anzuwenden.

58.

Aus alledem ergibt sich meines Erachtens, dass es in dem Fall, dass die Mitgliedstaaten entschieden haben, innerstaatliche Rechtsvorschriften einzuführen, deren Anwendungsbereich und Schutzniveau über die Richtlinie 86/653 hinausgehen, wie dies im Ausgangsverfahren der Fall zu sein scheint, möglich ist, gemäß Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom zwingende Vorschriften der lex fori anstelle des ausländischen Rechts anzuwenden.

59.

Dieser Schluss scheint mir außerdem mit der Lösung in der Rechtssache Ingmar im Einklang zu stehen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass diese Rechtssache einen Rechtsstreit betraf, in dem sich die Parteien ausdrücklich dafür entschieden hatten, den zwischen ihnen geschlossenen Handelsvertretervertrag dem Recht eines Drittstaats und nicht den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 86/653 zu unterstellen ( 39 ). In diesem Zusammenhang wurde die Abweichung vom Grundsatz der Vertragsautonomie mit dem Erfordernis gerechtfertigt, den Vertrag den Bestimmungen zum Schutz des Handelsvertreters nach dieser Richtlinie zu unterwerfen. Der Gerichtshof hat nämlich darauf hingewiesen, dass „es für die gemeinschaftliche Rechtsordnung von grundlegender Bedeutung [ist], dass ein Unternehmer mit Sitz in einem Drittstaat, dessen Handelsvertreter seine Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausübt, diese Bestimmungen nicht schlicht durch eine Rechtswahlklausel umgehen kann. Der Zweck dieser Bestimmungen erfordert nämlich, dass sie unabhängig davon, welchem Recht der Vertrag nach dem Willen der Parteien unterliegen soll, anwendbar sind, wenn der Sachverhalt einen starken Gemeinschaftsbezug aufweist, etwa weil der Handelsvertreter seine Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt.“ ( 40 )

60.

Zwar war der für diese Rechtssache maßgebliche Sachverhalt, worauf die Kommission und NMB in ihren Erklärungen hingewiesen haben, deutlich anders gelagert, da er eine Situation betraf, in der die Parteien des Handelsvertretervertrags das Recht eines Drittstaats gewählt hatten, in dem definitionsgemäß die Schutzregelung zugunsten des Handelsvertreters nach der Richtlinie 86/653 nicht anwendbar war, doch wurde die Vorlagefrage im Rahmen einer erheblichen Meinungsverschiedenheit in Bezug auf die Voraussetzungen gestellt, unter denen eine Rechtsnorm als zwingende Vorschrift im Sinne des internationalen Privatrechts angesehen werden kann ( 41 ). Der Gerichtshof stützte seine Antwort auf die im Rahmen der Prüfung der Zwecke und des Wortlauts des fraglichen Rechtsakts getroffene Feststellung, dass die einschlägigen Bestimmungen für die Verwirklichung der Ziele des Vertrags unerlässlich erschienen ( 42 ), aber auch auf die Tatsache, dass der Rechtsakt den Schutz des Handelsvertreters bezweckte ( 43 ). Daraus kann man entsprechend ableiten, dass zur Einstufung einer Bestimmung als zwingend der Schutzzweck einer bestimmten Vorschrift nicht nur im Hinblick auf rein öffentliche Interessen berücksichtigt werden kann, sondern auch im Hinblick auf das Erfordernis, die besondere Situation einer Gruppe von Personen zu berücksichtigen.

V – Ergebnis

61.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage des Hof van Cassatie wie folgt zu antworten:

Die Art. 3 und 7 Abs. 2 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom, in Verbindung mit der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter sind dahin auszulegen, dass sie die Anwendung der zwingenden Vorschriften des Rechts des Staates des angerufenen Gerichts, die dem Handelsvertreter aufgrund des besonderen Interesses, das der Mitgliedstaat diesen Bestimmungen beimisst, einen umfassenderen als den nach dieser Richtlinie vorgeschriebenen Schutz gewähren, auf den Vertrag gestatten, auch wenn für den Vertrag das Recht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union gilt, in dem dieser Mindestschutz nach der genannten Richtlinie umgesetzt worden ist.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 1980, L 266, S. 1. Nach Art. 1 des Ersten Protokolls vom 19. Dezember 1988 betreffend die Auslegung des Übereinkommens von 1980 durch den Gerichtshof (ABl. 1998, C 27, S. 47), das am 1. August 2004 in Kraft getreten ist, ist der Gerichtshof für die Entscheidung über Vorabentscheidungsersuchen zuständig, die die Auslegung dieses Übereinkommens betreffen. Außerdem ist nach Art. 2 Buchst. a des Ersten Protokolls der Hof van Cassatie (Belgien) befugt, eine Frage, die in einem bei ihm anhängigen Verfahren aufgeworfen wird und sich auf die Auslegung des Übereinkommens bezieht, dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen. Zur zeitlichen Anwendbarkeit des Übereinkommens von Rom genügt der Hinweis, dass die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177, S. 6, im Folgenden: Rom‑I‑Verordnung), die das Übereinkommen von Rom ersetzt hat, nur auf Verträge anwendbar ist, die ab dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden (vgl. Art. 28 dieser Verordnung). Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich aber klar, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag im Laufe des Jahres 2005 geschlossen und zum letzten Mal am 22. Dezember 2008 verlängert wurde.

( 3 ) ABl. L 382, S. 17.

( 4 ) Belgisch Staatsblad vom 2. Juni 1995, S. 15621.

( 5 ) Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich nämlich, dass die Frage der Zuständigkeit der belgischen Gerichte für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits zwischen den Parteien sehr umstritten war. Konkret waren die Gültigkeit und die Wirksamkeit der im streitigen Handelsvertretervertrag enthaltenen Schiedsklausel fraglich.

( 6 ) Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts nur zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. u. a. Urteile vom 29. März 2012, Belvedere Costruzioni, C‑500/10, Randnr. 16, und SAG ELV Slovensko u. a., C‑599/10, Randnr. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 7 ) United Nations Treaty Series, Bd. 330, S. 3.

( 8 ) Hervorhebung nur hier.

( 9 ) Die Hinweise in den Erklärungen nehmen nicht genau auf diese Bestimmungen Bezug. Nach meinen Informationen erfolgte diese Umsetzung durch einen im Laufe des Jahres 2006 erlassenen und veröffentlichten Rechtsakt, dessen Inkrafttreten für den 1. Januar 2007 festgelegt wurde.

( 10 ) Der Begriff der zwingenden Vorschriften, der die zwingenden Bestimmungen sowohl des ausländischen Rechts als auch der lex fori bezeichnen kann, kommt nur in der Überschrift von Art. 7 des Übereinkommens von Rom vor und wird als solcher in der Bestimmung selbst nicht verwendet.

( 11 ) Angesichts des Wortlauts von Art. 7 des Übereinkommens von Rom ist die Einwirkung zwingender Vorschriften der lex fori im Gegensatz zu zwingenden Vorschriften eines ausländischen Rechts zunächst unbedingt. Für zwingende Vorschriften ausländischen Rechts sieht Art. 7 Abs. 1 dieses Übereinkommens nämlich vor, dass sie nur unter genau definierten Voraussetzungen eingreifen können. Nach dieser Bestimmung „kann den zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt. Bei der Entscheidung, ob diesen zwingenden Bestimmungen Wirkung zu verleihen ist, sind ihre Natur und ihr Gegenstand sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder ihrer Nichtanwendung ergeben würden.“

( 12 ) Im Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht von Mario Giuliano, Professor an der Universität Mailand, und Paul Lagarde, Professor an der Universität Paris I (ABl. 1980, C 282, S. 1, insbesondere S. 27 f.), wird nämlich einfach darauf hingewiesen, dass „[d]ieser Absatz … auf den Wunsch einiger Delegationen zurückzuführen [ist], die Anwendung jener Bestimmungen des Rechts des Staates des angerufenen Gerichtes sicherzustellen, die den Sachverhalt ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht zwingend regeln (vor allem auf den Gebieten des Kartell- und Wettbewerbsrechts, des Rechts zur Bekämpfung wettbewerbsbeschränkender Praktiken, des Verbraucherschutzrechts und des Beförderungsrechts). Absatz 2 macht daher die Auswirkung von zwingenden Vorschriften (unmittelbar anwendbares Recht, leggi di applicazione necessaria usw.) lediglich unter einem anderen Aspekt als dem des Absatzes 1 deutlich.“

( 13 ) Vgl. P. Lagarde, „Convention de Rome“, Répertoire de droit communautaire, Dalloz, Randnr. 106.

( 14 ) Urteil vom 23. November 1999 (C-369/96 und C-376/96, Slg. 1999, I-8453).

( 15 ) Urteil vom 19. Juni 2008 (C-319/06, Slg. 2008, I-4323).

( 16 ) Aus dem von der Kommission am 15. Dezember 2005 vorgelegten Verordnungsvorschlag (KOM[2005] 650 endgültig) ergibt sich nämlich, dass sich die Definition der schließlich in Art. 9 der Rom‑I‑Verordnung geregelten Eingriffsnormen an das Urteil Arblade u. a. anlehnt. Nach Abs. 1 dieses Artikels „[ist e]ine Eingriffsnorm … eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“.

( 17 ) Urteil Arblade u. a. (Randnr. 30).

( 18 ) Vgl. Urteil Kommission/Luxemburg (Randnr. 29).

( 19 ) Es konnte nämlich berechtigterweise die Auffassung vertreten werden, dass der Gerichtshof nur in Bezug auf die Beurteilung des Vorliegens von „Polizei- und Sicherheitsgesetzen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des belgischen Code civil vorweg (vgl. Randnr. 30 des Urteils Arblade u. a.) die Bedeutung dieses Begriffs darlegen wollte (vgl. u. a. J.-J. Kuipers und S.Migliorini, „Qu’est-ce que sont les lois de police? une querelle franco-allemande après la communautarisation de la Convention de Rome“, European Review of Private Law, 2-2011, S. 199).

( 20 ) Diese Interessen müssen sich meines Erachtens nicht nur auf reine Staatsinteressen beschränken, sondern können jede Rechtsvorschrift abdecken, die als wesentlich für die Wahrung der sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird. Insoweit weise ich darauf hin, dass der zwingende Charakter der nationalen Bestimmungen zur Umsetzung der Richtlinie 86/653 im Urteil vom 9. November 2000, Ingmar (C-381/98, Slg. 2000, I-9305, Randnr. 23), aus den Zielen der Richtlinie abgeleitet wurde, nämlich denen „der Aufhebung der Beschränkungen der Ausübung des Handelsvertreterberufs, der Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen innerhalb der Gemeinschaft und der Stärkung der Sicherheit im Handelsverkehr“.

( 21 ) Vgl. in diesem Sinne Nr. 73 der Schlussanträge des Generalanwalts Léger in der Rechtssache Ingmar.

( 22 ) Urteil Arblade u. a. (Randnr. 31).

( 23 ) Vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil vom 1. März 2012, Akyüz (C‑467/10, Randnr. 53).

( 24 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 8. April 2003, Pippig Augenoptik (C-44/01, Slg. 2003, I-3095, Randnr. 44), und vom 18. November 2010, Lidl (C-159/09, Slg. 2010, I-11761, Randnr. 22).

( 25 ) Die Beurteilung des Umfangs der durch eine Richtlinie bewirkten Harmonisierung muss sich auf den Wortlaut sowie den Sinn und Zweck der relevanten Bestimmungen stützen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. April 2002, Kommission/Frankreich, C-52/00, Slg. 2002, I-3827, Randnr. 16, und vom 14. Juli 2005, Lagardère Active Broadcast, C-192/04, Slg. 2005, I-7199, Randnr. 46).

( 26 ) Eine ähnliche Feststellung wurde zur Umsetzung dieser Richtlinie in niederländisches Recht im Rahmen der Rechtssache getroffen, über die mit Urteil vom 16. März 2006, Poseidon Chartering (C-3/04, Slg. 2006, I-2505), entschieden wurde (Randnrn. 6 und 12 des Urteils sowie Nrn. 5, 11 und 12 der Schlussanträge des Generalanwalts Geelhoed in dieser Rechtssache). Diese Ausdehnung soll auch in zahlreichen Mitgliedstaaten vorgenommen worden sein, u. a. im belgischen, deutschen, spanischen, französischen, italienischen, österreichischen, luxemburgischen, niederländischen und portugiesischen Recht. Hingegen war der Gegenstand des Handelsvertretervertrags im dänischen, griechischen, irischen, finnischen, schwedischen und britischen Recht zunächst auf den Ver- oder Ankauf von Waren beschränkt (zu einer Untersuchung in dieser Hinsicht vgl. T. Steinmann, P. Kenel und I. Billotte, „Le contrat d’agence commerciale en Europe“, LGDJ, 2005, insbesondere S. 22 bis 54).

( 27 ) Vgl. insbesondere C. Verbraeken und A. Schoutheete, „La loi du 13 avril 1995 relative au contrat d’agence commerciale“, Journal des tribunaux, Nr. 5764 (1995), S. 461-469. Diese Autoren weisen darauf hin, dass durch die Aussage, der Handelsvertreter vermittle und schließe „Geschäfte“, „der Gesetzgeber bewusst [eine] ungenaue Bezeichnung verwendet hat …, um dem Gesetz den weitest möglichen Anwendungsbereich zu geben und um die Parallelität zum Status des angestellten Handelsvertreters aufrechtzuerhalten [vgl. insbesondere parlamentarische Materialien, ordentliche Sitzungsperiode, 1994-1995, 1750-2, S. 2 f.]. Während die Richtlinie nur auf den Ver- oder Ankauf von Waren abzielte, ist das Gesetz auch auf den Ver- und Ankauf und die Vermietung von Gebäuden, auf Dienstleistungen und auf bestimmte Unternehmensverträge anwendbar“. Es ist zu bemerken, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes von 1995 Gegenstand zweier weiterer Erweiterungen in den Jahren 1999 (zur Abdeckung der Sektoren Versicherungswesen, Kreditinstitute und geregelte Wertpapiermärkte) und 2005 (zum Schutz der Kandidaten und Mitglieder paritätischer Konzertierungsorgane) war.

( 28 ) Vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 10. Februar 2004, Mavrona (C-85/03, Slg. 2004, I-1573, Randnr. 15).

( 29 ) Vgl. Beschluss vom 6. März 2003, Abbey Life Assurance (C‑449/01, Randnrn. 4 und 14).

( 30 ) ABl. 1977, C 13, S. 2.

( 31 ) Vgl. Beschluss Abbey Life Assurance (Randnr. 15).

( 32 ) Vgl. in diesem Sinne J.-S. Bergé, „Au-delà du droit communautaire, le droit national“, Revue des contrats, 2006, S. 873 bis 878. Der Autor kommentiert das Urteil Poseidon, wirft Fragen zur Rechtsnatur der innerstaatlichen Rechtsvorschrift auf, die den Anwendungsbereich einer Unionsrichtlinie ausdehnt, und ist der Auffassung, dass eine innerstaatliche Bestimmung, die ihrerseits eine Rechtsvorschrift der Union außerhalb ihres Anwendungsbereichs übernehme, eine rein innerstaatliche Bestimmung bleibe. Diese Bestimmung sei daher nicht mit einer klassischen Umsetzungsbestimmung vergleichbar, die ihrerseits eine Doppelnatur aufweise: formal innerstaatlich und dem Gegenstand nach gemeinschaftlich. Nur im Anwendungsbereich der Richtlinie sei daher die innerstaatliche Bestimmung als nationale Umsetzungsmaßnahme anzusehen.

( 33 ) Vgl. T. Steinmann, P. Kenel und I. Billotte, „Le contrat d’agence commerciale en Europe“, S. 566 bis 611.

( 34 ) Vgl. oben, Nr. 35.

( 35 ) In Bezug auf das Gesetz von 1995 wurde dieser Wille deutlich in den Materialien ausgedrückt. So wurde angemerkt, dass „[d]ie Arbeitsgruppe daher zu dem Ergebnis gelangt, dass sämtliche Bestimmungen zwingend sind, ausgenommen diejenigen, bei denen ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass Abweichungen möglich sind“ (vgl. Materialien, Senat, 355–3, S.E. 1991‑1992, 14).

( 36 ) Vgl. insbesondere die Art. 18, 20 und 21 des Gesetzes von 1995.

( 37 ) Vgl. Urteile Ingmar (Randnrn. 20 bis 25) und vom 23. März 2006, Honyvem Informazioni Commerciali (C-465/04, Slg. 2006, I-2879, Randnr. 22).

( 38 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil Honyvem Informazioni Commerciali (Randnr. 28).

( 39 ) Vgl. Urteil Ingmar (Randnr. 10).

( 40 ) Ebd. (Randnr. 25).

( 41 ) Ebd. (insbesondere Randnrn. 16 bis 19).

( 42 ) Ebd. (Randnrn. 23 bis 25).

( 43 ) Ebd. (Randnr. 20).

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