Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62010CJ0412

    Urteil des Gerichtshofes (Vierte Kammer) vom 17. November 2011.
    Deo Antoine Homawoo gegen GMF Assurances SA.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division - Vereinigtes Königreich.
    Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen - Auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht - Verordnung (EG) Nr. 864/2007 - Zeitlicher Anwendungsbereich.
    Rechtssache C-412/10.

    Sammlung der Rechtsprechung 2011 -00000

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:747

    Rechtssache C‑412/10

    Deo Antoine Homawoo

    gegen

    GMF Assurances SA

    (Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Queen’s Bench Division)

    „Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht – Verordnung (EG) Nr. 864/2007 – Zeitlicher Anwendungsbereich“

    Leitsätze des Urteils

    Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht – Verordnung Nr. 864/2007 – Zeitlicher Geltungsbereich – Unterscheidung zwischen dem Zeitpunkt des Inkrafttretens und dem Zeitpunkt der Anwendung – Umfang

    (Art. 297 AEUV; Verordnung Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 31 und 32)

    Die Art. 31 und 32 der Verordnung Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) in Verbindung mit Art. 297 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, diese Verordnung nur auf schadensbegründende Ereignisse anzuwenden, die ab dem 11. Januar 2009 eingetreten sind, und dass der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, oder der Zeitpunkt der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das angerufene Gericht keinen Einfluss auf die Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Verordnung hat.

    Die Verordnung Nr. 864/2007 enthält nämlich zum einen Art. 31 („Zeitliche Anwendbarkeit“), wonach sie auf schadensbegründende Ereignisse angewandt wird, die nach ihrem Inkrafttreten eintreten, und zum anderen einen Art. 32 („Zeitpunkt des Beginns der Anwendung“), wonach sie grundsätzlich ab dem 11. Januar 2009 gilt. In Ermangelung einer spezifischen Bestimmung, die einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Verordnung festsetzt, ist dieser Zeitpunkt nach der allgemeinen Bestimmung des Art. 297 Abs. 1 Unterabs. 3 AEUV zu bestimmen. Da die Verordnung am 31. Juli 2007 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, ist sie am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung, d. h. am 20. August 2007, in Kraft getreten.

    Unter diesen Umständen muss bei der Auslegung von Art. 31 der Verordnung der durch Art. 32 der Verordnung festgesetzte Anwendungszeitpunkt, der 11. Januar 2009, berücksichtigt werden. Diese Auslegung ist die einzige, die es erlaubt, gemäß den Erwägungsgründen 6, 13, 14 und 16 der Verordnung die vollständige Erreichung von deren Zielen zu gewährleisten, d. h. die Vorhersehbarkeit des Ausgangs von Rechtsstreitigkeiten, die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht und die einheitliche Anwendung dieser Verordnung in allen Mitgliedstaaten. Diese Ziele könnten dagegen gefährdet werden, wenn die Verordnung auf zwischen dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens und dem durch ihren Art. 32 festgesetzten Zeitpunkt eingetretene Ereignisse angewandt würde.

    (vgl. Randnrn. 23, 30, 33-35, 37 und Tenor)







    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

    17. November 2011(*)

    „Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht – Verordnung (EG) Nr. 864/2007 – Zeitlicher Anwendungsbereich“

    In der Rechtssache C‑412/10

    betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division (Vereinigtes Königreich), mit Entscheidung vom 27. Juli 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 2010, in dem Verfahren

    Deo Antoine Homawoo

    gegen

    GMF Assurances SA

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

    unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Richterin A. Prechal, des Richters K. Schiemann, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters E. Jarašiūnas,

    Generalanwalt: P. Mengozzi,

    Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2011,

    unter Berücksichtigung der Erklärungen

    –        von Herrn Homawoo, vertreten durch J. Dingemans, QC, M. Zurbrugg und K. Deal, advocates, sowie durch I. Mitchell, Solicitor,

    –        der GMF Assurances SA, vertreten durch N. Paines, QC, P. Janusz, advocate, sowie S. Ball und P. Thomas, Solicitors,

    –        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch L. Seeboruth als Bevollmächtigten,

    –        der griechischen Regierung, vertreten durch G. Karipsiadis und T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,

    –        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten,

    nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. September 2011

    folgendes

    Urteil

    1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 31 und 32 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) (ABl. L 199, S. 40, im Folgenden: Verordnung) in Verbindung mit Art. 297 AEUV.

    2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem im Vereinigten Königreich wohnhaften Herrn Homawoo, der während eines Aufenthalts in Frankreich Opfer eines Verkehrsunfalls wurde, und der GMF Assurances SA (im Folgenden: GMF), einer in Frankreich gegründeten und dort ansässigen Versicherungsgesellschaft.

     Rechtlicher Rahmen

     Unionsrecht

    3        In den Erwägungsgründen 6, 13, 14 und 16 der Verordnung heißt es:

    „(6)      Um den Ausgang von Rechtsstreitigkeiten vorhersehbarer zu machen und die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht sowie den freien Verkehr gerichtlicher Entscheidungen zu fördern, müssen die in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen im Interesse eines reibungslos funktionierenden Binnenmarkts unabhängig von dem Staat, in dem sich das Gericht befindet, bei dem der Anspruch geltend gemacht wird, dieselben Verweisungen zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts vorsehen.

    (13)      Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zwischen Wettbewerbern aus der Gemeinschaft sind vermeidbar, wenn einheitliche Bestimmungen unabhängig von dem durch sie bezeichneten Recht angewandt werden.

    (14)      Das Erfordernis der Rechtssicherheit und die Notwendigkeit, in jedem Einzelfall Recht zu sprechen, sind wesentliche Anforderungen an einen Rechtsraum. …

    (16)      Einheitliche Bestimmungen sollten die Vorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen verbessern und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Personen, deren Haftung geltend gemacht wird, und Geschädigten gewährleisten. …“

    4        Art. 4 Abs. 1 der Verordnung lautet:

    „Soweit in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind.“

    5        In Art. 15 („Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts“) der Verordnung ist bestimmt:

    „Das nach dieser Verordnung auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für

    c)      das Vorliegen, die Art und die Bemessung des Schadens oder der geforderten Wiedergutmachung;

    …“

    6        Art. 28 („Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen“) der Verordnung lautet:

    „(1)      Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für außervertragliche Schuldverhältnisse enthalten.

    (2)      Diese Verordnung hat jedoch in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkommen, soweit diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind.“

    7        Art. 29 („Verzeichnis der Übereinkommen“) Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

    „Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission [bis] spätestens 11. Juli 2008 die Übereinkommen gemäß Artikel 28 Absatz 1. Kündigen die Mitgliedstaaten nach diesem Stichtag eines dieser Übereinkommen, so setzen sie die Kommission davon in Kenntnis.“

    8        Art. 30 Abs. 2 der Verordnung lautet:

    „Die Kommission legt dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss bis spätestens 31. Dezember 2008 eine Untersuchung zum Bereich des auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung der Privatsphäre oder der Persönlichkeitsrechte anzuwendenden Rechts vor, wobei die Regeln über die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit in den Medien sowie die kollisionsrechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr [(ABl. L 281, S. 31)] zu berücksichtigen sind.“

    9        Art. 31 („Zeitliche Anwendbarkeit“) der Verordnung bestimmt:

    „Diese Verordnung wird auf schadensbegründende Ereignisse angewandt, die nach ihrem Inkrafttreten eintreten.“

    10      Art. 32 („Zeitpunkt des Beginns der Anwendung“) der Verordnung sieht Folgendes vor:

    „Diese Verordnung gilt ab dem 11. Januar 2009, mit Ausnahme des Artikels 29, der ab dem 11. Juli 2008 gilt.“

     Nationales Recht

    11      Im englischen Recht finden sich die Kollisionsnormen für den Bereich der unerlaubten Handlungen, wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, in Teil III des Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 (Gesetz von 1995 über das Internationale Privatrecht [Verschiedene Bestimmungen]); danach ist das Recht des Landes anwendbar, in dem das schadensbegründende Ereignis eintritt. Für Personenschäden bestimmt Art. 11(2)(a) des Gesetzes von 1995, dass das Recht des Ortes anwendbar ist, an dem sich die Person befand, als sie die Schäden erlitt.

    12      Art. 15A des Gesetzes von 1995, der durch die Law applicable to Non-Contractual Obligations (England and Wales and Northern Ireland) (Auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbares Recht [England, Wales und Nordirland]) Regulations 2008, SI 2008, Nr. 2986, eingefügt wurde, sieht vor, dass keine Bestimmung in Teil III des Gesetzes von 1995 „für die Entscheidung von Fragen in Bezug auf unerlaubte Handlungen gilt, die nach der [Verordnung] zu entscheiden sind“.

    13      In Bezug auf die Bemessung des Schadens gilt nach der nationalen Rechtsprechung, insbesondere der Entscheidung des House of Lords in der Rechtssache Harding v Wealands ([2007] 2 AC 1), dass die Bemessung der Schadenspositionen, die Anspruch auf Schadensersatz eröffnen, eine Verfahrensfrage ist, die sich nach englischem Recht als der lex fori richtet.

     Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

    14      Während eines Aufenthalts in Frankreich erlitt Herr Homawoo am 29. August 2007 einen Unfall, der durch ein Fahrzeug verursacht wurde, dessen Fahrer bei der GMF versichert war.

    15      Am 8. Januar 2009 erhob Herr Homawoo beim High Court of Justice u. a. gegen GMF Klage auf Ersatz von körperlichen Schäden und Folgeschäden.

    16      Vor dem vorlegenden Gericht machte der Kläger des Ausgangsverfahrens geltend, dass sich die Bemessung der Schäden nach englischem Recht richte, das das Recht sei, das nach den auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Kollisionsnormen der lex fori bestimmt sei. Die Verordnung sei nämlich in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar, denn sie werde nach ihren Art. 31 und 32 nicht auf schadensbegründende Ereignisse angewandt, die, wie im Ausgangsverfahren, vor dem 11. Januar 2009, dem für ihr Inkrafttreten festgesetzten Zeitpunkt, eingetreten seien. Hilfsweise machte er geltend, die Verordnung sei unabhängig vom Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht anwendbar, wenn das betreffende Verfahren vor dem genannten Datum eingeleitet worden sei.

    17      GMF bestritt die Begründetheit der Schadensersatzklage nicht, machte jedoch geltend, dass sich die Bemessung der Schäden nach den Kollisionsnormen der Verordnung nach dem französischen Recht bestimmen müsse. Die Verordnung sei nämlich nach Art. 297 AEUV am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft getreten. Infolgedessen sei sie im Ausgangsverfahren anwendbar, da das die Schäden begründende Ereignis nach diesem Zeitpunkt eingetreten sei, und das nationale Gericht habe das nach dem 11. Januar 2009 anwendbare Recht zu bestimmen.

    18      Der High Court of Justice ist erstens der Auffassung, dass sich Art. 32 der Verordnung nicht auf den Zeitpunkt der Erhebung einer Klage oder des Erlasses einer gerichtlichen Entscheidung beziehe und es daher keine Rechtfertigung dafür gebe, diese Bestimmung dahin auszulegen, dass die Verordnung auf jede nach dem in dieser Bestimmung festgesetzten Zeitpunkt erhobene Klage anwendbar sei. Zweitens führt er aus, eine Auslegung, wonach die Verordnung auf schadensbegründende Ereignisse Anwendung finde, die ab dem 11. Januar 2009 eingetreten seien, würde es erlauben, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, denn sie würde einen festen Zeitpunkt darstellen, der nicht mit der Einleitung gerichtlicher Verfahren in Zusammenhang stehe. In Anbetracht des Wortlauts von Art. 31 der Verordnung habe er jedoch Zweifel, ob eine solche Auslegung zugrunde gelegt werden könne.

    19      Der High Court of Justice (England & Wales), Queen’s Bench Division, hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1.      Sind die Art. 31 und 32 der Verordnung in Verbindung mit Art. 297 AEUV dahin gehend auszulegen, dass ein nationales Gericht diese Verordnung, insbesondere Art. 15 Buchst. c, in einem Fall anzuwenden hat, in dem das schadensbegründende Ereignis am 29. August 2007 eingetreten ist?

    2.      Wird die Antwort auf Frage 1 durch einen der folgenden Umstände berührt:

    a)      den Umstand, dass das Verfahren, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, am 8. Januar 2009 eingeleitet worden ist;

    b)      den Umstand, dass das nationale Gericht bis zum 11. Januar 2009 nicht bestimmt hat, welches Recht anwendbar ist?

     Zu den Vorlagefragen

    20      Mit seinen Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob die Art. 31 und 32 der Verordnung in Verbindung mit Art. 297 AEUV dahin auszulegen sind, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, die Verordnung nur auf schadensbegründende Ereignisse anzuwenden, die ab dem 11. Januar 2009 eingetreten sind, und ob der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, und der Zeitpunkt der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das angerufene Gericht einen Einfluss auf die Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Verordnung haben.

    21      Damit die Fragen des vorlegenden Gerichts beantwortet werden können, sind in der vorliegenden Rechtssache die beiden Vorschriften der Verordnung zu prüfen, um festzustellen, welches der Zeitpunkt des Inkrafttretens ist und ab welchem Zeitpunkt diese Verordnung anwendbar wird.

    22      In Bezug auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung ist zu beachten, dass nach Art. 297 Abs. 1 Unterabs. 3 AEUV Gesetzgebungsakte zu dem durch sie festgelegten Zeitpunkt oder anderenfalls am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft treten.

    23      Im vorliegenden Fall legt die Verordnung zwar nicht ausdrücklich einen Zeitpunkt des Inkrafttretens fest, doch enthält sie zum einen einen Art. 31 mit der Überschrift „Zeitliche Anwendbarkeit“, wonach sie auf schadensbegründende Ereignisse angewandt wird, die nach ihrem Inkrafttreten eintreten, und zum anderen einen Art. 32 mit der Überschrift „Zeitpunkt des Beginns der Anwendung“, wonach sie mit Ausnahme eines Artikels, um den es im Ausgangsverfahren nicht geht, ab dem 11. Januar 2009 gilt.

    24      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber den Zeitpunkt des Inkrafttretens vom Zeitpunkt des Beginns der Anwendung der Regelung, die er erlässt, unterscheiden darf, indem er den letztgenannten Zeitpunkt gegenüber dem erstgenannten hinausschiebt. Eine solche Vorgehensweise kann es insbesondere, sobald der Rechtsakt in Kraft getreten und damit Teil der Rechtsordnung der Union geworden ist, den Mitgliedstaaten oder den Organen der Union ermöglichen, auf der Grundlage dieses Rechtsakts die ihnen obliegenden vorab bestehenden Verpflichtungen zu erfüllen, die sich als unerlässlich für dessen spätere vollständige Anwendung auf sämtliche Rechtssubjekte, für die er gilt, erweisen.

    25      Wie der Generalanwalt in Nr. 21 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist der Gesetzgeber in mehreren Rechtsakten, die im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen erlassen worden sind, wie insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177, S. 6), so vorgegangen.

    26      In Bezug auf die Verordnung steht fest, dass der Zeitpunkt ihres Inkrafttretens weder durch ihren Art. 31 noch durch ihren Art. 32 festgesetzt wird.

    27      Zwar verweisen drei Sprachfassungen der Überschrift von Art. 32 der Verordnung („Inwerkingtreding“, „Data intrării în vigoare“ und „Entrada en vigor“) auf den Begriff des Inkrafttretens. Auch in diesen drei Fassungen wird jedoch in diesem Artikel der 11. Januar 2009 als Zeitpunkt des Beginns der Anwendung der Verordnung genannt.

    28      Wie der Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, darf nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Bestimmung wegen der Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts im Zweifelsfall nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss unter Berücksichtigung ihrer Fassungen in den anderen Amtssprachen ausgelegt werden (vgl. insbesondere Urteile vom 12. Juli 1979 in der Rechtssache 9/79, Koschniske, Slg. 1979, 2717, Randnr. 6, und vom 10. September 2009, Eschig, C‑199/08, Slg. 2009, I‑8295, Randnr. 54).

    29      Im vorliegenden Fall ist in Anbetracht des Inhalts der Vorschrift, der in allen Sprachfassungen übereinstimmt, festzustellen, dass Art. 32 der Verordnung nicht den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung, sondern den Zeitpunkt des Beginns ihrer Anwendung festsetzt.

    30      Somit ist in Ermangelung einer spezifischen Bestimmung, die einen Zeitpunkt für das Inkrafttreten der Verordnung festsetzt, dieser Zeitpunkt nach der allgemeinen Bestimmung des Art. 297 Abs. 1 Unterabs. 3 AEUV zu bestimmen. Da die Verordnung am 31. Juli 2007 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, ist sie am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung, d. h. am 20. August 2007, in Kraft getreten.

    31      Für dieses Ergebnis spricht, dass die Verordnung ab diesem Datum den Mitgliedstaaten und der Kommission Verpflichtungen auferlegt. So waren die Mitgliedstaaten nach Art. 29 verpflichtet, vor dem Zeitpunkt des Beginns der Anwendung, konkret bis zum 11. Juli 2008, der Kommission die einschlägigen internationalen Übereinkommen mitzuteilen, denen sie angehörten, und die Kommission hatte das Verzeichnis dieser Übereinkommen im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen.

    32      Ferner musste die Kommission nach Art. 30 Abs. 2 der Verordnung bis spätestens 31. Dezember 2008 dem Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss eine Untersuchung zum Bereich des auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts vorlegen. Diese Verpflichtungen mussten somit vor dem 11. Januar 2009, dem in Art. 32 der Verordnung vorgesehenen Zeitpunkt für den Beginn von deren Anwendung auf sämtliche Rechtssubjekte, erfüllt werden.

    33      Unter diesen Umständen muss bei der Auslegung von Art. 31 der Verordnung, der sich nach seiner Überschrift auf die „zeitliche Anwendbarkeit“ bezieht, der durch Art. 32 der Verordnung festgesetzte Anwendungszeitpunkt, der 11. Januar 2009, berücksichtigt werden. Daher ist davon auszugehen, dass die Verordnung nach ihrem Art. 31 auf schadensbegründende Ereignisse angewandt wird, die von diesem Zeitpunkt an eintreten.

    34      Diese Auslegung ist die einzige, die es erlaubt, gemäß den Erwägungsgründen 6, 13, 14 und 16 der Verordnung die vollständige Erreichung von deren Zielen zu gewährleisten, d. h. die Vorhersehbarkeit des Ausgangs von Rechtsstreitigkeiten, die Sicherheit in Bezug auf das anzuwendende Recht und die einheitliche Anwendung dieser Verordnung in allen Mitgliedstaaten.

    35      Diese Ziele könnten dagegen gefährdet werden, wenn die Verordnung auf zwischen dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens und dem durch ihren Art. 32 festgesetzten Zeitpunkt eingetretene Ereignisse angewandt würde. Wie nämlich der Kläger des Ausgangsverfahrens, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission ausgeführt haben, ist es nicht ausgeschlossen, dass sich zwei am selben Tag vor dem 11. Januar 2009 eingetretene Ereignisse je nach dem Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, oder dem Zeitpunkt der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das angerufene Gericht nach unterschiedlichen Rechtsordnungen richten würden. Zudem könnten sich die aus einem Ereignis, durch das an ein und demselben Ort mehrere Personen geschädigt wurden, ergebenden Verpflichtungen je nach dem Ergebnis der verschiedenen Gerichtsverfahren nach unterschiedlichen Rechtsordnungen richten.

    36      Daher sind weder der Zeitpunkt der Einleitung noch der Zeitpunkt der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das nationale Gericht für die Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Verordnung relevant. Wie sich aus deren Art. 31 ergibt, ist der einzige zu berücksichtigende Zeitpunkt derjenige des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses.

    37      Daher ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass die Art. 31 und 32 der Verordnung in Verbindung mit Art. 297 AEUV dahin auszulegen sind, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, diese Verordnung nur auf schadensbegründende Ereignisse anzuwenden, die ab dem 11. Januar 2009 eingetreten sind, und dass der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, oder der Zeitpunkt der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das angerufene Gericht keinen Einfluss auf die Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Verordnung haben.

     Kosten

    38      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

    Die Art. 31 und 32 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“) in Verbindung mit Art. 297 AEUV sind dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, diese Verordnung nur auf schadensbegründende Ereignisse anzuwenden, die ab dem 11. Januar 2009 eingetreten sind, und dass der Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, mit dem Schadensersatz eingeklagt wird, oder der Zeitpunkt der Bestimmung des anwendbaren Rechts durch das angerufene Gericht keinen Einfluss auf die Festlegung des zeitlichen Anwendungsbereichs dieser Verordnung haben.

    Unterschriften


    * Verfahrenssprache: Englisch.

    Top