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Document 62008CJ0310

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 23. Februar 2010.
London Borough of Harrow gegen Nimco Hassan Ibrahim und Secretary of State for the Home Department.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) - Vereinigtes Königreich.
Freizügigkeit - Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen, der Ehegatte eines Angehörigen eines Mitgliedstaats ist, und ihrer Kinder, die Angehörige eines Mitgliedstaats sind - Beendigung der unselbständigen Tätigkeit des Angehörigen eines Mitgliedstaats und anschließende Ausreise aus dem Aufnahmemitgliedstaat - Einschreibung der Kinder in einer Bildungseinrichtung - Fehlen von Mitteln zur Bestreitung des Lebensunterhalts - Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 - Art. 12 - Richtlinie 2004/38/EG.
Rechtssache C-310/08.

Sammlung der Rechtsprechung 2010 I-01065

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:80

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C‑310/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) (Vereinigtes Königreich) mit Entscheidung vom 21. April 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Juli 2008, in dem Verfahren

London Borough of Harrow

gegen

Nimco Hassan Ibrahim ,

Secretary of State for the Home Department

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts und J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentin P. Lindh sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, K. Schiemann, P. Kūris, E. Juhász, L. Bay Larsen, T. von Danwitz und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: J. Mazák,

Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– des London Borough of Harrow, vertreten durch K. Rutledge, Barrister,

– von Frau Ibrahim, vertreten durch N. Rogers, Barrister, beauftragt durch S. Morshead, Solicitor,

– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von C. Lewis, QC,

– der dänischen Regierung, vertreten durch R. Holdgaard als Bevollmächtigten,

– von Irland, vertreten durch D. O’Hagan und B. O’Moore als Bevollmächtigte im Beistand von D. Conlan Smyth, Barrister,

– der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,

– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Maidani und M. Wilderspin als Bevollmächtigte,

– der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch N. Fenger, F. Simonetti und I. Hauger als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Oktober 2009

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 (ABl. L 245, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1612/68) und der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt in ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2007, L 204, S. 28).

2. Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem London Borough of Harrow (Gemeinde Harrow in London) einerseits und Frau Ibrahim sowie dem Secretary of State for the Home Department andererseits wegen der Ablehnung des Antrags von Frau Ibrahim auf Gewährung von Wohnhilfe.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3. Der fünfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1612/68 lautet:

„Damit das Recht auf Freizügigkeit nach objektiven Maßstäben in Freiheit und Menschenwürde wahrgenommen werden kann, muss sich die Gleichbehandlung tatsächlich und rechtlich auf alles erstrecken, was mit der eigentlichen Ausübung einer Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis und mit der Beschaffung einer Wohnung im Zusammenhang steht; ferner müssen alle Hindernisse beseitigt werden, die sich der Mobilität der Arbeitnehmer entgegenstellen, insbesondere in Bezug auf das Recht des Arbeitnehmers, seine Familie nachkommen zu lassen, und die Bedingungen für die Integration seiner Familie im Aufnahmeland.“

4. Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmte:

„(1) Bei dem Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, dürfen folgende Personen ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit Wohnung nehmen:

a) sein Ehegatte sowie die Verwandten in absteigender Linie, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen Unterhalt gewährt wird;

b) seine Verwandten und die Verwandten seines Ehegatten in aufsteigender Linie, denen er Unterhalt gewährt.

(2) Die Mitgliedstaaten begünstigen den Zugang aller nicht in Absatz 1 genannten Familienangehörigen, denen der betreffende Arbeitnehmer Unterhalt gewährt oder mit denen er im Herkunftsland in häuslicher Gemeinschaft lebt.

(3) Voraussetzung für die Anwendung der Absätze 1 und 2 ist, dass der Arbeitnehmer für seine Familie über eine Wohnung verfügt, die in dem Gebiet, in dem er beschäftigt ist, den für die inländischen Arbeitnehmer geltenden normalen Anforderungen entspricht; diese Bestimmung darf nicht zu Diskriminierungen zwischen den inländischen Arbeitnehmern und den Arbeitnehmern aus anderen Mitgliedstaaten führen.“

5. Art. 11 der Verordnung Nr. 1612/68 sah vor:

„Der Ehegatte eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis oder eine selbständige Tätigkeit ausübt, sowie die Kinder dieses Staatsangehörigen, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen er Unterhalt gewährt, haben, selbst wenn sie nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen, das Recht, im gesamten Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats irgendeine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis auszuüben.“

6. Die Art. 10 und 11 der Verordnung Nr. 1612/68 wurden durch Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 mit Wirkung vom 30. April 2006 aufgehoben.

7. Art. 12 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1612/68 bestimmt:

„Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.“

8. Die Erwägungsgründe 3 und 16 der Richtlinie 2004/38 lauten:

„(3) Die Unionsbürgerschaft sollte der grundsätzliche Status der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sein, wenn sie ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt wahrnehmen. Daher müssen die bestehenden Gemeinschaftsinstrumente, die Arbeitnehmer und Selbständige sowie Studierende und andere beschäftigungslose Personen getrennt behandeln, kodifiziert und überarbeitet werden, um das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken.

(16) Solange die Aufenthaltsberechtigten die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen, sollte keine Ausweisung erfolgen. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen sollte daher nicht automatisch zu einer Ausweisung führen. Der Aufnahmemitgliedstaat sollte prüfen, ob es sich bei dem betreffenden Fall um vorübergehende Schwierigkeiten handelt, und die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen Umstände und den gewährten Sozialhilfebetrag berücksichtigen, um zu beurteilen, ob der Leistungsempfänger die Sozialhilfeleistungen unangemessen in Anspruch genommen hat, und in diesem Fall seine Ausweisung zu veranlassen. In keinem Fall sollte eine Ausweisungsmaßnahme gegen Arbeitnehmer, Selbständige oder Arbeitssuchende in dem vom Gerichtshof definierten Sinne erlassen werden, außer aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit.“

9. Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie sieht vor:

„(1) Jeder Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er

a) Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder

b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder

c) – bei einer privaten oder öffentlichen Einrichtung, die von dem Aufnahmemitgliedstaat aufgrund seiner Rechtsvorschriften oder seiner Verwaltungspraxis anerkannt oder finanziert wird, zur Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung als Hauptzweck eingeschrieben ist und

– über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und der zuständigen nationalen Behörde durch eine Erklärung oder durch jedes andere gleichwertige Mittel seiner Wahl glaubhaft macht, dass er für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, oder

d) ein Familienangehöriger ist, der den Unionsbürger, der die Voraussetzungen des Buchstabens a), b) oder c) erfüllt, begleitet oder ihm nachzieht.

(2) Das Aufenthaltsrecht nach Absatz 1 gilt auch für Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die den Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat begleiten oder ihm nachziehen, sofern der Unionsbürger die Voraussetzungen des Absatzes 1 Buchstabe a), b) oder c) erfüllt.“

10. Art. 12 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts der Familienangehörigen bei Tod oder Wegzug des Unionsbürgers“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt in Abs. 3:

„Der Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat oder sein Tod führt weder für seine Kinder noch für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, bis zum Abschluss der Ausbildung zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn sich die Kinder im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und in einer Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken eingeschrieben sind.“

11. Art. 24 („Gleichbehandlung“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 vor:

„Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im [EG-]Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.“

Nationales Recht

12. Nach Art. 6 der Verordnung über die Zuwanderung in das Vereinigte Königreich (Europäischer Wirtschaftsraum) von 2006 (Immigration [European Economic Area] Regulations 2006) ist eine „berechtigte Person“ im Sinne dieser Verordnung definiert als ein Angehöriger eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraums, der sich als Arbeitsuchender, Arbeitnehmer, Selbständiger, wirtschaftlich unabhängige Person oder Student im Vereinigten Königreich aufhält.

13. Nach Art. 19 Abs. 3 Buchst. a dieser Verordnung kann aus dem Vereinigten Königreich ausgewiesen werden, wer nicht oder nicht mehr im Sinne dieser Verordnung berechtigt ist.

14. Nach dem Wohnungsgesetz von 1996 (Housing Act 1996) und der Verordnung über Wohnungszuweisung und Obdachlosigkeit (Anspruchsvoraussetzungen) von 2006 (Allocation of Housing and Homelessness [Eligibility] Regulations 2006) kann Wohnhilfe nur beanspruchen, wer ein durch das Unionsrecht vermitteltes Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich hat.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15. Frau Ibrahim ist eine somalische Staatsangehörige, die mit einem dänischen Staatsbürger, Herrn Yusuf, verheiratet ist.

16. Herr Yusuf reiste im Herbst 2002 in das Vereinigte Königreich ein und arbeitete dort von Oktober 2002 bis Mai 2003. Von Juni 2003 bis März 2004 bezog er Leistungen wegen Arbeitsunfähigkeit. Als er danach für arbeitsfähig erklärt wurde, verließ Herr Yusuf das Vereinigte Königreich, kehrte aber im Dezember 2006 wieder dorthin zurück.

17. Es ist unstreitig, dass Herr Yusuf von dem Zeitpunkt, zu dem er aufgehört hat zu arbeiten, bis zu seiner Ausreise aus dem Vereinigten Königreich keine „berechtigte Person“ im Sinne von Art. 6 der Verordnung über die Zuwanderung aus dem Europäischen Wirtschaftsraum von 2006 war. Mit seiner Rückkehr in das Vereinigte Königreich hat Herr Yusuf den Status einer „Person, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt“ und nach dem Unionsrecht aufenthaltsberechtigt ist, nicht wiedererlangt.

18. Frau Ibrahim reiste im Februar 2003 mit Erlaubnis der Zuwanderungsbehörden in das Vereinigte Königreich ein, um ihrem Ehemann nachzuziehen.

19. Das Ehepaar hat vier Kinder dänischer Staatsangehörigkeit im Alter von 1 bis 9 Jahren. Die drei älteren Kinder sind mit ihrer Mutter in das Vereinigte Königreich eingereist, das jüngste Kind ist dort geboren. Die beiden Ältesten besuchen seit ihrer Ankunft im Vereinigten Königreich eine öffentliche Schule.

20. Nach dem Wegzug ihres Ehemanns aus dem Vereinigten Königreich im Jahr 2004 trennte sich Frau Ibrahim von ihm. Sie war zu keiner Zeit wirtschaftlich unabhängig. Sie geht keiner Erwerbstätigkeit nach und ist zur Bestreitung ihrer Lebenshaltungs- und Unterbringungskosten in vollem Umfang auf Sozialleistungen angewiesen. Sie besitzt keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz und ist auf den National Health Service (Staatlicher Gesundheitsdienst) angewiesen.

21. Im Januar 2007 beantragte Frau Ibrahim Obdachlosenhilfe für sich und ihre Kinder. Mit Entscheidung vom 1. Februar 2007 lehnte der zuständige Beamte des London Borough of Harrow diesen Antrag ab. Er vertrat die Auffassung, dass weder Frau Ibrahim noch ihr Ehemann sich auf der Grundlage des Unionsrechts im Vereinigten Königreich aufhielten. Am 29. März 2007 wurde diese Entscheidung von der für Widersprüche gegen die Ablehnung von Obdachlosenhilfeanträgen zuständigen Sachbearbeiterin bestätigt.

22. Frau Ibrahim focht diese Entscheidungen beim Clerkenwell and Shoreditch County Court (Gericht erster Instanz von Clerkenwell und Shoreditch) an, der der Klage mit Entscheidung vom 18. Oktober 2007 mit der Begründung stattgab, dass Frau Ibrahim als Mutter von Kindern, für die sie die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehme, nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 aufenthaltsberechtigt sei, da die Kinder die Schule besuchten und ihr Ehemann Unionsbürger sei, der in diesem Mitgliedstaat gearbeitet habe.

23. Der London Borough of Harrow legte gegen diese Entscheidung Berufung beim vorlegenden Gericht ein.

24. Unter diesen Umständen hat der Court of Appeal (England & Wales) (Civil Division) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Wenn

– eine Ehefrau mit der Staatsangehörigkeit eines Drittstaats mit ihren Kindern, die Unionsbürger sind, einen Unionsbürger begleitet hat, der in das Vereinigte Königreich eingereist ist,

– der Unionsbürger sich im Vereinigten Königreich als Arbeitnehmer aufgehalten hat,

– der Unionsbürger in der Folgezeit kein Arbeitnehmer mehr war und anschließend das Vereinigte Königreich verlassen hat,

– der Unionsbürger, die mit ihm verheiratete Drittstaatsangehörige und die Kinder wirtschaftlich nicht unabhängig sind und im Vereinigten Königreich auf Sozialhilfe angewiesen sind,

– die Kinder kurz nach ihrer Einreise in das Vereinigte Königreich dort eine Grundschulausbildung begonnen haben, als der Unionsbürger noch Arbeitnehmer war,

1. steht dann der Ehefrau und den Kindern ein Recht auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich nur zu, wenn sie die in der Richtlinie 2004/38 genannten Voraussetzungen erfüllen,

oder

2. a) steht ihnen dann ein Aufenthaltsrecht aus Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 in der Auslegung des Gerichtshofs zu, ohne dass sie die in der Richtlinie 2004/38 genannten Voraussetzungen zu erfüllen brauchen, und

b) müssen sie, wenn dies der Fall ist, Zugang zu ausreichenden Existenzmitteln haben, so dass sie während ihres geplanten Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen, und müssen sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen;

3. ist, falls Frage 1 bejaht wird, die Rechtslage anders, wenn wie im vorliegenden Fall die Kinder die Grundschulausbildung begonnen haben und der Arbeitnehmer mit Unionsbürgerschaft seine Erwerbstätigkeit einstellt, bevor die Richtlinie 2004/38 von den Mitgliedstaaten umzusetzen war?

Zu den Vorlagefragen

Zu den Fragen 1 und 2

25. Mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob den Kindern und dem Elternteil, der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnimmt, unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage allein von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 zusteht, ohne dass sie die in der Richtlinie 2004/38 festgelegten Voraussetzungen erfüllen müssen, oder ob ihnen ein Aufenthaltsrecht nur dann zuerkannt werden kann, wenn sie diese Voraussetzungen erfüllen. Für den Fall, dass sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 ergeben sollte, möchte das vorlegende Gericht außerdem wissen, ob die Kinder und der Elternteil, der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnimmt, über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen müssen.

26. Nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 können die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.

27. Nach Art. 10 der Verordnung Nr. 1612/68 waren der Ehegatte und Verwandte in absteigender Linie eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist, berechtigt, bei ihm in diesem Mitgliedstaat Wohnung zu nehmen.

28. Aus Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und d und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 ergibt sich, dass die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, ohne dort eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit auszuüben, ihn ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit begleiten oder ihm nachziehen dürfen, sofern der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügt.

29. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Kinder eines Unionsbürgers, die in einem Mitgliedstaat seit einem Zeitpunkt wohnen, zu dem dieser Bürger dort als Wanderarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht hatte, zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat berechtigt sind, um dort gemäß Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 weiterhin am allgemeinen Unterricht teilzunehmen. Dass die Eltern dieser Kinder inzwischen geschieden sind, dass nur einer von ihnen Unionsbürger und nicht mehr Wanderarbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist, ist dabei ohne Belang (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. September 2002, Baumbast und R, C‑413/99, Slg. 2002, I‑7091, Randnr. 63).

30. Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass, wenn die Kinder nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 zur Fortsetzung ihrer Schulausbildung im Aufnahmemitgliedstaat berechtigt sind, während die Eltern, die die elterliche Sorge für sie wahrnehmen, ihre Aufenthaltsrechte zu verlieren drohen, die Kinder das Recht, das ihnen der Unionsgesetzgeber zuerkannt hat, ebenfalls verlieren könnten, wenn den Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Ausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben (vgl. in diesem Sinne Urteil Baumbast und R, Randnr. 71).

31. Nachdem der Gerichtshof in Randnr. 72 des Urteils Baumbast und R darauf hingewiesen hatte, dass die Verordnung Nr. 1612/68 im Licht des Rechts auf Achtung des Familienlebens in Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen ist, hat er in Randnr. 73 dieses Urteils festgestellt, dass das dem Kind eines Wanderarbeitnehmers in Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 zuerkannte Recht, im Aufnahmemitgliedstaat weiterhin unter den bestmöglichen Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen, notwendig impliziert, dass das Kind das Recht hat, dass sich die die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Person bei ihm aufhält, und dass es demgemäß dieser Person ermöglicht wird, während der Ausbildung des Kindes mit diesem zusammen in dem betreffenden Mitgliedstaat zu wohnen.

32. Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob das Urteil Baumbast und R auf der Anwendung der Art. 10 und 12 der Verordnung Nr. 1612/68 gemeinsam oder nur der letztgenannten Vorschrift beruht. Im Einzelnen möchte es wissen, ob sich das Aufenthaltsrecht der Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat arbeitet oder gearbeitet hat, und dasjenige der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmenden Person stillschweigend aus Art. 12 ergeben.

33. Erstens steht das Recht der Kinder von Wanderarbeitnehmern auf Gleichbehandlung beim Zugang zur Ausbildung nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 nur Kindern zu, die im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem einer ihrer Elternteile beschäftigt ist oder gewesen ist, „wohnen“.

34. Der Zugang zur Ausbildung hängt somit davon ab, dass das Kind vorher seinen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat hatte.

35. Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68, wie ihn der Gerichtshof im Urteil Baumbast und R ausgelegt hat, erlaubt es, dem Kind im Zusammenhang mit seinem Recht auf Zugang zur Ausbildung ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zuzuerkennen. Insbesondere setzte die Ausübung des Rechts auf Zugang zur Ausbildung nicht voraus, dass das Kind während der gesamten Dauer seiner Ausbildung ein spezifisches Aufenthaltsrecht nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung, als diese Vorschrift noch in Kraft war, behielt.

36. In den Randnrn. 21 bis 24 des Urteils vom 4. Mai 1995, Gaal (C‑7/94, Slg. 1995, I‑1031), hat der Gerichtshof das Vorbringen der deutschen Regierung ausdrücklich zurückgewiesen, dass zwischen den Art. 10 und 11 der Verordnung Nr. 1612/68 einerseits und Art. 12 der Verordnung andererseits ein enger Zusammenhang bestehe, so dass die letztgenannte Bestimmung das Recht auf Gleichbehandlung beim Zugang zur Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat nur solchen Kindern einräume, die die Voraussetzungen der Art. 10 und 11 erfüllten. In Randnr. 23 des Urteils Gaal hat der Gerichtshof ausdrücklich festgestellt, dass Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 keine Bezugnahme auf die Art. 10 und 11 der Verordnung enthält.

37. Es widerspräche nämlich dem Regelungszusammenhang und der Zielsetzung von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68, die Ausübung des Rechts auf Zugang zur Ausbildung vom Bestehen einer gesonderten Aufenthaltsberechtigung des Kindes nach anderen Bestimmungen der Verordnung abhängig zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil Gaal, Randnr. 25).

38. Ist das Recht auf Zugang zur Ausbildung, das dem Kind nach Art. 12 dieser Verordnung wegen seiner Wohnsitznahme im Aufnahmemitgliedstaat zusteht, einmal erworben, bleibt es demnach dem Kind erhalten und kann nicht mehr wegen der Nichterfüllung der Voraussetzungen, die in Art. 10 der Verordnung enthalten waren, in Frage gestellt werden.

39. Zweitens ist das Recht auf Gleichbehandlung in Bezug auf den Zugang zur Ausbildung nach dem Wortlaut des Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 nicht auf die Kinder von Wanderarbeitnehmern beschränkt. Es gilt auch für die Kinder ehemaliger Wanderarbeitnehmer.

40. Das Recht, das den Kindern nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 zusteht, ist darüber hinaus nicht vom Recht ihrer Eltern auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat abhängig. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt Art. 12 nur, dass das Kind mit seinen Eltern oder einem Elternteil in der Zeit in einem Mitgliedstaat lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte (Urteile vom 21. Juni 1988, Brown, 197/86, Slg. 1988, 3205, Randnr. 30, und Gaal, Randnr. 27).

41. Kindern ehemaliger Wanderarbeitnehmer zuzuerkennen, dass sie ihre Ausbildung im Aufnahmemitgliedstaat fortsetzen können, obwohl ihre Eltern dort nicht mehr wohnen, ist gleichbedeutend damit, ihnen ein Aufenthaltsrecht zuzuerkennen, das von demjenigen ihrer Eltern unabhängig ist und auf Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 beruht.

42. Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 ist daher autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln. Diese Autonomie von Art. 12 gegenüber Art. 10 dieser Verordnung lag der in den Randnrn. 29 bis 31 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs zugrunde und muss auch im Verhältnis zu den Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 gelten.

43. Die gegenteilige Lösung könnte das im fünften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1612/68 angesprochene Ziel der Integration der Familie des Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat beeinträchtigen. Nach ständiger Rechtsprechung kann diese Integration nur dann gelingen, wenn das Kind eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, die Möglichkeit hat, im Aufnahmemitgliedstaat die Schule zu besuchen und eine Ausbildung zu absolvieren und seine Ausbildung gegebenenfalls erfolgreich abzuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 1989, Echternach und Moritz, 389/87 und 390/87, Slg. 1989, 723, Randnr. 21, sowie Baumbast und R, Randnr. 69).

44. Der London Borough of Harrow, die Regierung des Vereinigten Königreichs, die dänische Regierung und Irland tragen vor, dass die Richtlinie 2004/38 seit ihrem Inkrafttreten die alleinige Grundlage der für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in den Mitgliedstaaten für die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen geltenden Voraussetzungen sei und dass folglich nunmehr aus Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 kein Aufenthaltsrecht mehr hergeleitet werden könne.

45. In dieser Hinsicht gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie 2004/38 die Tragweite von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68, wie er vom Gerichtshof ausgelegt wurde, ändern wollte, um dessen Regelungsgehalt fortan auf ein bloßes Recht auf Zugang zur Ausbildung zu beschränken.

46. Dafür spricht auch, dass mit der Richtlinie 2004/38 die Art. 10 und 11, nicht aber Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 aufgehoben wurden. Dem lässt sich nur die Absicht des Unionsgesetzgebers entnehmen, den Anwendungsbereich dieses Artikels in der Auslegung durch den Gerichtshof nicht zu beschränken.

47. Die in der vorstehenden Randnummer vorgenommene Auslegung wird dadurch bestätigt, dass die Richtlinie 2004/38, wie sich aus den entsprechenden Vorarbeiten ergibt, so ausgestaltet wurde, dass sie mit dem Urteil Baumbast und R im Einklang steht (KOM[2003] 199 endg., S. 7).

48. Hätte sich Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 darauf beschränkt, das Recht auf Gleichbehandlung in Bezug auf den Zugang zur Ausbildung zu gewähren, ohne für die Kinder der Wanderarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht vorzusehen, wäre er seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38 überflüssig. Deren Art. 24 Abs. 1 sieht nämlich vor, dass jeder Unionsbürger, der sich im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats genießt, wobei es keinem Zweifel unterliegt, dass der Zugang zum Schulunterricht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt (vgl. insbesondere Urteil vom 13. Februar 1985, Gravier, 293/83, Slg. 1985, 593, Randnr. 19).

49. Im Übrigen bezweckt die Richtlinie 2004/38 nach ihrem dritten Erwägungsgrund u. a., das Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht aller Unionsbürger zu vereinfachen und zu verstärken (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2008, Metock u. a., C‑127/08, Slg. 2008, I‑6241, Randnr. 59). Die Anwendung der Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 sowie 7 Abs. 1 Buchst. b und d und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 auf die Kinder von Wanderarbeitnehmern hätte jedoch zur Folge, dass das Recht dieser Kinder auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat, um dort ihre Ausbildung aufzunehmen oder fortzusetzen, strengeren Voraussetzungen unterläge, als sie vor dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/38 für sie galten.

50. Daraus folgt, dass den Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat arbeitet oder gearbeitet hat, ebenso wie dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat auf der Grundlage allein von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 zusteht, ohne dass sie die in der Richtlinie 2004/38 aufgestellten Voraussetzungen erfüllen müssen.

51. Es bleibt zu klären, ob die Ausübung dieses Aufenthaltsrechts voraussetzt, dass die Beteiligten über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen.

52. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 keine solche Voraussetzung enthält und, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, nicht eng ausgelegt und keinesfalls seiner praktischen Wirksamkeit beraubt werden darf (Urteil Baumbast und R, Randnr. 74).

53. Dass die Mitglieder der Familie eines Wanderarbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, wirtschaftlich eigenständig sein und im Aufnahmemitgliedstaat über einen Krankenversicherungsschutz verfügen müssen, ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs.

54. Zu der Frage, ob Kinder, die in dem Mitgliedstaat wohnten, in dem ihr Vater, der die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besaß, eine unselbständige Tätigkeit ausgeübt hatte, bevor er in seinen Herkunftsmitgliedstaat zurückgekehrt war, nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 einen Anspruch auf staatliche Beihilfen zur Deckung der Ausbildungskosten, ihres Lebensunterhalts und desjenigen der ihnen gegenüber unterhaltsberechtigten Personen sowie der Kosten einer Krankenversicherung hatten, hat der Gerichtshof, ohne sich zur wirtschaftlichen Lage der betroffenen Studenten zu äußern, entschieden, dass die Rechtsstellung als Kinder eines Arbeitnehmers, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 insbesondere zur Folge hat, dass diese Kinder aufgrund des Unionsrechts in den Genuss staatlicher Ausbildungsbeihilfen kommen müssen, damit sie in das soziale Leben des Aufnahmemitgliedstaats integriert werden können, und dass dies vor allem dann geboten ist, wenn es sich bei dem durch die Bestimmungen dieser Verordnung begünstigten Personenkreis um Studenten handelt, die noch vor dem schulpflichtigen Alter in diesen Mitgliedstaat gekommen sind (Urteil Echternach und Moritz, Randnr. 35).

55. In der Rechtssache Baumbast und R verfügte Herr Baumbast, der Vater der Kinder, um deren Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat nach Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 es ging, zwar über Existenzmittel, die ihn und seine Familie von der Sozialhilfe unabhängig machten. Die Antworten auf die Vorlagefragen, die das Aufenthaltsrecht der Kinder und ihrer die elterliche Sorge wahrnehmenden Mutter betrafen, wurden jedoch nicht auf deren wirtschaftliche Unabhängigkeit gestützt, sondern darauf, dass das Ziel der Verordnung Nr. 1612/68, nämlich die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, bestmögliche Bedingungen für die Integration der Familie des Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat erfordert und dass die Kinder das ihnen vom Unionsgesetzgeber zuerkannte Recht verlieren könnten, wenn den die elterliche Sorge für sie wahrnehmenden Eltern die Möglichkeit versagt würde, während der Schulausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben (Urteil Baumbast und R, Randnrn. 50 und 71).

56. Die Richtlinie 2004/38 macht das Recht der in Ausbildung befindlichen Kinder und des die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmenden Elternteils auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat auch nicht in bestimmten Situationen davon abhängig, dass diese über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen.

57. Die Auslegung, wonach das Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat von Kindern, die dort eine Ausbildung absolvieren, und des Elternteils, der die elterliche Sorge für sie tatsächlich wahrnimmt, nicht davon abhängt, dass ausreichende Existenzmittel zur Verfügung stehen und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht, wird durch Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 bestätigt, der bestimmt, dass, wenn sich die Kinder des Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und in einer Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken eingeschrieben sind, der Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat oder sein Tod bis zum Abschluss der Ausbildung weder für seine Kinder noch für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit zum Verlust des Aufenthaltsrechts führt.

58. Auch wenn diese Bestimmung nicht auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist, veranschaulicht sie die besondere Bedeutung, die die Richtlinie 2004/38 der Lage der Kinder, die im Aufnahmemitgliedstaat eine Ausbildung absolvieren, und der die elterliche Sorge für sie wahrnehmenden Eltern beimisst.

59. Nach alledem ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens den Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat beschäftigt ist oder gewesen ist, und dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Recht auf Aufenthalt in diesem Staat auf der Grundlage allein von Art. 12 der Verordnung Nr. 1612/68 zusteht, ohne dass dieses Recht davon abhängig ist, dass sie über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz in diesem Staat verfügen.

Zur dritten Frage

60. In Anbetracht der Antwort auf die ersten beiden Fragen ist die dritte Frage nicht zu beantworten.

Kosten

61. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

Unter den Umständen des Ausgangsverfahrens steht den Kindern eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Aufnahmemitgliedstaat beschäftigt ist oder gewesen ist, und dem Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein Recht auf Aufenthalt in diesem Staat auf der Grundlage allein von Art. 12 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2434/92 des Rates vom 27. Juli 1992 geänderten Fassung zu, ohne dass dieses Recht davon abhängig ist, dass sie über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz in diesem Staat verfügen.

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