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Document 52021IR1127

Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte aus lokaler und regionaler Perspektive

COR 2021/01127

ABl. C 300 vom 27.7.2021, p. 7–12 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

27.7.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 300/7


Stellungnahme des Europäischen Ausschusses der Regionen — Die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte aus lokaler und regionaler Perspektive

(2021/C 300/03)

Hauptberichterstatterin:

Anne KARJALAINEN (FI/SPE), Mitglied des Stadtrates von Kerava

Referenzdokument:

Befassung durch den portugiesischen Ratsvorsitz

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte

COM(2021) 102 final

POLITISCHE EMPFEHLUNGEN

DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN

Allgemeine Bemerkungen

1.

begrüßt, dass der portugiesische EU-Ratsvorsitz die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte zu einer Priorität seines Programms gemacht hat. Die vorliegende Stellungnahme zur lokalen und regionalen Perspektive dieses Themas wird auf Ersuchen des Ratsvorsitzes für den Sozialgipfel von Porto erarbeitet. Der AdR hält ein klares Bekenntnis auf höchster politischer Ebene, in diesem Jahrzehnt ein starkes soziales Europa und das Wohlergehen der Menschen zu fördern, für wichtig;

2.

begrüßt nachdrücklich den Aktionsplan der Europäischen Kommission zur europäischen Säule sozialer Rechte, in dem die notwendigen langfristigen politischen Maßnahmen und konkreten Instrumente für den Aufbau nachhaltigerer Wirtschafts- und Sozialsysteme für die Zukunft in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union dargelegt werden;

3.

hält es für positiv, dass im Aktionsplan die Bedeutung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in Bezug auf die Entwicklung, die Umsetzung und den Mehrwert der Initiativen anerkannt wird. An den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften führt kein Weg vorbei, wenn es darum geht, die Lebensgrundlagen der Regionen zu stärken und die quantitativen Kernziele für Beschäftigung, Kompetenzen und Sozialschutz bis 2030 zu erreichen — vorausgesetzt freilich, dass ausreichende Mittel für die Umsetzung des Aktionsplans bereitgestellt werden;

4.

betont, dass der Aktionsplan die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in ihren Anstrengungen zur Umsetzung beschäftigungs- und sozialpolitischer Maßnahmen stärken und diese Bemühungen fördern wird. Dabei gilt es, über die derzeitige Krise hinauszublicken und soziale Investitionen zu tätigen, um die soziale Dimension auch im Hinblick auf einen gut funktionierenden Binnenmarkt zu stärken;

5.

betont, dass eine klare, abgestimmte und ehrgeizige Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte dazu beitragen wird, dass die Europäische Union ihre Verpflichtungen im Rahmen der UN-Agenda 2030 und deren 17 Nachhaltigkeitsziele (SDG) sowie des europäischen Grünen Deals in sozial gerechter Weise erfüllen kann;

6.

betont, dass bei der Umsetzung der Säule das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Ebene vorgeben, auf der die EU und die Mitgliedstaaten die vorgeschlagenen Politikinstrumente und Rechtsvorschriften einsetzen;

Schulterschluss in Porto

7.

appelliert an die am Sozialgipfel in Porto teilnehmenden Mitgliedstaaten, Sozialpartner und Zivilgesellschaft, sich gemeinsam zur schnelleren Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte in ihren Zuständigkeitsbereichen zu verpflichten und dabei den Menschen zur Richtschnur ihres Handelns zu machen. Die Instrumente zur Umsetzung der Grundsätze der Säule liegen zum größten Teil in den Händen der Mitgliedstaaten, der regionalen und lokalen Behörden sowie der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft. Eine erfolgreiche Umsetzung erfordert das Engagement und die gemeinsame Verantwortung der verschiedenen Regierungsebenen und Interessenträger und die Unterstützung durch die europäischen Institutionen. Die Regionen und Städte sind bereit, ihren Beitrag zum Aufbau eines starken und resilienten sozialen Europas zu leisten, das für eine gerechte Gestaltung des ökologischen und digitalen Wandels sorgt und die wirtschaftliche und soziale Erholung von der COVID-19-Krise ermöglicht. Für dieses Ziel gibt es auch eine klare Unterstützung der Öffentlichkeit: neun von zehn Europäern halten ein soziales Europa für wichtig; (1)

8.

betont, dass sich Europa in der größten gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Krise der heutigen Generation befindet, in der die europäische Solidarität auf die Probe gestellt wird. Die Folgen der COVID-19-Pandemie für die Beschäftigung, die Armut und das psychische Wohlbefinden der Menschen werden uns noch lange beschäftigen. Sie erfordern Sozial- und Gesundheitsinvestitionen aller Regierungs- und Verwaltungsebenen, einen geeigneten Policy-Mix und angemessene finanzielle Ressourcen. Die aus der Aufbau- und Resilienzfazilität finanzierten Investitionen und Maßnahmen müssen eine starke soziale Dimension aufweisen, d. h. die Sozialschutzsysteme stärken, hochwertige Arbeitsplätze finanzieren, öffentliche Dienstleistungen sichern und verbessern, Armut verringern und die Gleichstellung der Geschlechter fördern. Der Schwerpunkt muss dabei vor allem auf dem Schutz der am stärksten gefährdeten Menschen — Menschen, die von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, Alleinerziehende mit Schwierigkeiten, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, Menschen mit Behinderungen, Migranten, Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt usw. — und auf einer inklusiven und sozial gerechten Gestaltung der Erholung liegen; betont das in diesem Zusammenhang besonders wichtige grundsätzliche Bekenntnis zur wirtschaftlichen Wahlfreiheit öffentlicher Gebietskörperschaften, Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zur Verfügung zu stellen, in Auftrag zu geben und zu finanzieren;

9.

sieht die Europäische Union an einem Wendepunkt, an dem ein Neudenken nicht nur möglich, sondern geradezu unumgänglich ist. Die Sozialsysteme müssen in einer von globalen Megatrends geprägten Welt reformiert werden. Mehr als je zuvor kommt es darauf an, in das Wohlergehen der Menschen zu investieren und die Vorteile der Ökonomie des Wohlergehens zu berücksichtigen. Der Sozialgipfel von Porto ist eine wichtige Gelegenheit, um gemeinsame Ziele zu vereinbaren, die Wohlergehen und Gleichheit in den Mittelpunkt der Politik stellen und die sozialen Fragen in der Europäischen Union zu einer ständigen Priorität machen.

Gemeinsame Ziele, die es in Porto zu bekräftigen gilt

10.

unterstützt die drei im Aktionsplan festgelegten Kernziele für Beschäftigung, Kompetenzen und Sozialschutz, die in Übereinstimmung mit den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung bis zum Ende dieses Jahrzehnts erreicht werden sollen. Die vorgeschlagenen neuen Kernziele sehen vor, dass bis 2030 mindestens 78 % der 20- bis 64-Jährigen einer Beschäftigung nachgehen, mindestens 60 % aller Erwachsenen jedes Jahr an Fortbildungen teilnehmen und die Zahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen um mindestens 15 Millionen verringert wird.

11.

betont, dass es zur Erreichung des Beschäftigungsziels notwendig ist, neue hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, die Beschäftigungsquote von Frauen zu verbessern, allen jungen Menschen zu einer Arbeit zu verhelfen und dabei gerade jene aus benachteiligten Gruppen nicht zu vergessen und die volle Eingliederung unterrepräsentierter Gruppen in den Arbeitsmarkt sicherzustellen; verweist darauf, dass sich die COVID-19-Krise auf die Beschäftigung von Frauen, jungen Menschen, Migranten und Menschen mit Behinderungen ausgewirkt hat; ist der Ansicht, dass überdies auf die Schwierigkeiten von Menschen geachtet werden sollte, die in der Arbeitswelt aus anderen Gründen wie Alter, ethnische Herkunft, Rasse, Religion oder Weltanschauung oder sexuelle Orientierung diskriminiert werden;

12.

teilt die Auffassung, dass die vorgeschlagenen beschäftigungspolitischen Initiativen und umfassende Tarifverhandlungen wichtig sind, um einen besseren Schutz der Arbeitnehmer zu gewährleisten. Neue Formen der Beschäftigung, Arbeitskräftemobilität, Plattformwirtschaft, flexible Arbeitszeitmodelle und Telearbeit erfordern einen gemeinsamen Dialog der Sozialpartner und deren enge Einbindung in die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte; bedauert, dass im Zuge der Bewertung der Erfahrungen mit dem Europäischen Instrument zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) keine Debatte über ein permanentes europäisches Arbeitslosenversicherungssystem vorgesehen ist;

13.

weist darauf hin, dass neue Strategien für Industrie, Kreislaufwirtschaft und KMU sowie die Sozialwirtschaft das Entstehen hochwertiger Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit unterstützen. Diese Strategien müssen auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede bei der Beschäftigung in den Bereichen erneuerbare Energien und grüne Wirtschaft verringern;

14.

verweist im Hinblick auf die Vergabe öffentlicher Aufträge auf die bereits vorhandenen Kriterien für die soziale Verantwortung der Unternehmen und den Schutz, den diese Kriterien vor Sozialdumping bieten. Öffentliche Aufträge sollten demnach stärker von der Einhaltung fairer Lohnbedingungen und sonstiger gesetzlich und/oder tarifvertraglich festgelegter Beschäftigungsbedingungen abhängig gemacht werden, was auch die Unterauftragsnehmer einschließen sollte;

15.

fordert die Gewährleistung der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und des besseren Arbeitsmarktzugangs von Frauen, die den überwältigenden Teil der familiären Betreuungsaufgaben wahrnehmen. Besondere Aufmerksamkeit muss dabei Alleinerziehenden und kinderreichen Familien gelten. Die Anhebung der Beschäftigungsquote von Frauen und die Verringerung der Einkommensunterschiede werden zugleich für Frauen das Rentenniveau verbessern und das Armutsrisiko im Rentenalter verringern;

16.

fordert, die Jugendgarantie rasch umzusetzen. Im Rahmen ihrer Maßnahmen ist besonderes Augenmerk auf die Situation junger Menschen im Alter zwischen 15 und 29 Jahren zu legen, die weder eine Arbeit haben noch eine Ausbildung absolvieren. Die Modernisierung der Berufsausbildung und verbesserte Praktika würden junge Menschen die Chance geben, rasch eine Beschäftigung in Wachstumsbranchen zu finden, zumal in einer Zeit, in der die Jugendarbeitslosigkeit in ganz Europa aufgrund der COVID-19-Krise stark angestiegen ist; fordert außerdem Maßnahmen, die sicherstellen, dass Regelungen zur Beschäftigungsförderung junger Menschen nicht zu prekären Beschäftigungsverhältnissen führen;

17.

betont, dass sich die Erholung von der COVID-19-Krise, der ökologische und digitale Wandel und der demografische Wandel in den einzelnen Regionen und Branchen in Europa unterschiedlich stark bemerkbar machen, was eine Neuausrichtung und umfassende Umschulung der Arbeitskräfte erfordert; fordert die Mitgliedstaaten, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften und die Sozialpartner auf, Lösungen für den Zugang Erwachsener —insbesondere älterer Erwerbsloser — zu Weiterbildung und Umschulung zu finden und sich dabei auf bewährte Verfahren und das EASE-System (2) zu stützen;

18.

schlägt vor, die Bildungs- und Kompetenzziele nicht nur mit der Vollendung des europäischen Bildungsraums, sondern auch mit der Umsetzung des Europäischen Forschungsraums und der europäischen Kompetenzagenda zu verknüpfen. Im Zuge des ökologischen und digitalen Wandels darf niemand zurückgelassen werden;

19.

weist darauf hin, dass den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften eine zentrale Rolle bei der Entwicklung kompetenzbildender Maßnahmen und bei der Aus- und Weiterbildung zukommt; fordert die Nutzung der Möglichkeiten für Ausbildungsverträge im Rahmen von EASE (3) und im Europäischen Rahmen für die Lehrlingsausbildung (4), damit insbesondere KMU jungen Menschen Ausbildungsplätze anbieten können und die Arbeitsmarktlage unterrepräsentierter Gruppen verbessert werden kann;

20.

betont, wie wichtig die wirksame Umsetzung der EU-Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter ist. Dabei sollte das Augenmerk insbesondere auf die Inklusion von Frauen in prekären Situationen (Opfer geschlechtsbezogener Gewalt, alleinerziehende Mütter usw.) gelegt werden. Geschlechtergleichstellung und die Anerkennung der Vielfalt müssen bei der Umsetzung der Säule durchgängig berücksichtigt werden;

21.

stellt fest, dass es trotz aller Anstrengungen nicht gelungen ist, Armut und soziale Ausgrenzung in Europa zu beseitigten, und dass die COVID-19-Pandemie die Lage voraussichtlich weiter verschlechtern wird. Bei der Armutsbekämpfung sollte man sich mehr vornehmen, insbesondere angesichts der durch die Pandemie verursachten sozialen Schäden. Dass mindestens 15 Millionen Menschen, davon mindestens ein Drittel Kinder, aus der Armut geholt werden, muss das wichtigste Ziel für dieses Jahrzehnt sein. Dazu ist es erforderlich, die Ursachen der Armut gezielt zu beheben und dazu wirksame Maßnahmen mit einem Gesamtkonzept in den am stärksten benachteiligten Gebieten auf den Weg zu bringen. Nationale Systeme zur Einkommenssicherung und die damit verbundenen Unterstützungsleistungen sind das letzte Mittel, um ein menschenwürdiges Dasein zu gewährleisten;

22.

weist auf die wesentliche Rolle der öffentlichen lokalen und regionalen Sozialdienste bei der Umsetzung der wichtigsten Grundsätze der sozialen Rechte hin, um die negativen sozialen Folgen der Pandemie abzumildern. Sie sind entscheidend für eine gerechte und sozial inklusive wirtschaftliche Erholung, indem sie die Beschäftigung, die Gesundheit und die soziale Inklusion der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen unterstützen;

23.

hält es für wichtig, die Europäische Kindergarantie und -strategie wirksam umzusetzen, um Chancengleichheit für alle Kinder durch nationale Kinderbetreuungspläne zu fördern und so den Kreislauf zu durchbrechen, in dem Benachteiligung von Generation zu Generation weitergegeben werden. Dazu muss für von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohte Kinder der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen sichergestellt werden. Alle Kinder müssen eine hochwertige Betreuung, frühkindliche Erziehung und Vorschulbildung, gesunde Ernährung und nachschulische Aktivitäten bekommen können. Besondere Aufmerksamkeit verdienen Kinder in prekären Verhältnissen (u. a. obdachlose Kinder und Kinder ohne elterliche Fürsorge), die eine Betreuung durch die Gemeinschaft bzw. in der Familie bekommen sollten. Es ist sicherzustellen, dass kein Kind zurückgelassen wird. Die Verhütung und Bekämpfung aller Formen von Gewalt und Diskriminierung, eine am Kindeswohl orientierte Justiz und die Stärkung der Teilhabe von Kindern an der Gesellschaft sind ebenfalls wichtige Prioritäten, die auch in der neuen, umfassenden EU-Kinderrechtsstrategie klar zum Ausdruck kommen. Die Rechte des Kindes müssen auch in der digitalen Welt geschützt werden;

24.

betont, dass den Bedürfnissen einer zunehmend älteren Bevölkerung wirksam entsprochen werden muss. Es muss für die Lebensqualität älterer Mitmenschen gesorgt werden, indem ihr Recht auf hochwertige Sozialfürsorge, Tagesbetreuung und Langzeitpflege verwirklicht wird. Dabei handelt es sich um Bereiche, die von der Pandemie stark betroffen sind und unter einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften leiden;

25.

weist darauf hin, dass die Kommunen und Regionen maßgebliche Erbringer öffentlicher Dienstleistungen sind, und ihnen für diese wichtige Aufgabe ausreichende Finanzmittel zur Verfügung stehen müssen. Investitionen in grüne, digitale und soziale Infrastruktur verringern das regionale Gefälle und verbessern den Zugang zu erschwinglichen öffentlichen Dienstleistungen auf dem Lande, in benachteiligten Stadtteilen sowie in Gebieten, die vom Strukturwandel betroffen sind oder aufgrund natürlicher oder demografischer Gegebenheiten mit schweren dauerhaften Nachteilen konfrontiert sind, wie entlegene Regionen oder Gebiete in Randlage, in denen der Zugang zu digitalen Ressourcen häufig eingeschränkt ist;

26.

weist darauf hin, dass die Gemeinden und Städte eine wichtige Rolle bei der Stadtplanung und der Bereitstellung öffentlichen bzw. genossenschaftlichen, nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraums spielen. Es muss verstärkt geeigneter Wohnraum bedarfsgerecht für alle Bürger bereitgestellt werden, wie etwa für Senioren und Menschen mit Behinderungen, um ihnen ein unabhängiges Leben zu ermöglichen und zu verhindern, dass sie in Einrichtungen untergebracht werden müssen. Gedacht werden muss auch an Großfamilien, Ein-Eltern-Familien, Opfer von geschlechterspezifischer Gewalt und Minderjährige in Obhut. Wohnraumlösungen müssen in lokale Entwicklungspläne eingebettet werden, die auf die Schaffung lebenswerter Stadtviertel abzielen. Integrative, schützende und partizipative Ansätze sollten nicht nur mittels der EU-Initiative „Renovierungswelle“ verwirklicht werden, sondern auch über ein starkes Engagement der EU und der Mitgliedstaaten, auch zur Förderung langfristiger Mietverträge. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften müssen in die Lage versetzt werden, verschiedene Finanzierungsquellen besser zu kombinieren und nachhaltigen Wohnraum zu bauen. Für das Problem der Obdachlosigkeit müssen integrierte und umfassende Lösungen gefunden werden, wobei der Schwerpunkt auf der Verbesserung der Netze für Gesundheitsfürsorge und soziale Unterstützung für Obdachlose liegen muss. Mit dem Konzept „Housing First“ konnte beispielsweise die Langzeitobdachlosigkeit erfolgreich verringert werden. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sollten daher an der „Europäischen Plattform zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit“ teilnehmen; bedauert, dass im Aktionsplan kein quantitatives Ziel für die Bekämpfung der Obdachlosigkeit festgelegt ist;

27.

betont, dass die lokalen und regionalen Akteure erheblichen Einfluss auf die Emissionen nehmen können, die in den kommenden Jahrzehnten freigesetzt werden, und zwar dadurch, dass sie bei Energieerzeugung, Bau und Verkehr nachhaltig planen und investieren. Maßnahmen im Rahmen der Renovierungswelle für den Gebäudebestand in der EU können zur Schaffung von Arbeitsplätzen, zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Bekämpfung der Energiearmut durch Förderung von Investitionen in Energieeffizienz zugunsten einkommensschwacher Haushalte beitragen. Um die Rechte der Mieter zu schützen und die Gentrifizierung zu vermeiden, sollte bei öffentlichen Fördermitteln im Rahmen der Renovierungswelle die Wohnkostenneutralität (einschließlich u. a. Miet-, Energie- und Betriebskosten) gelten;

28.

weist darauf hin, dass die COVID-19-Pandemie die digitale Kluft weiter vertieft hat; schlägt vor, den „digitalen Zusammenhalt“ als Ziel der Europäischen Union zu fördern, um eine geeignete digitale Infrastruktur zu schaffen und elektronische Dienste und digitale Bildung für alle zugänglich zu machen. Vor allem muss für den Zugang benachteiligter und schutzbedürftiger Gruppen zu digitalen Werkzeugen Sorge getragen werden;

Sozialpolitisches Scoreboard

29.

weist darauf hin, dass nationale Durchschnitte der sozialen Indikatoren keine umfassenden Aussagen über die sozialen Probleme in der Europäischen Union zulassen. Sie können zu irreführenden Ergebnissen führen, wobei die häufig innerhalb der Mitgliedstaaten bestehenden sozialen und regionalen Unterschiede verschleiert werden. Ein regionales sozialpolitisches Scoreboard kann dazu beitragen, eine stringente regionale Überwachung zu entwickeln, die sicherstellt, dass die soziale Säule auf allen Ebenen umgesetzt wird und die regionalen Investitionen auf die Verwirklichung der Grundsätze der Säule ausgerichtet sind. Bei der regionalen Überwachung sollten bereits erhobene Daten genutzt werden. Für die Regionen darf daraus kein Verwaltungsaufwand entstehen;

30.

hält eine entschiedene, wirksame und klare gemeinsame europäische Politik zur angemessenen Steuerung der Migrationsströme für notwendig, die von den Mitgliedstaaten und Regionen uneingeschränkt geteilt wird; wiederholt seine feste Auffassung, dass die Ziele des Migrations- und Asylpakets — insbesondere die Verwirklichung mitgliedstaatlicher Solidarität und eines umfassenden Ansatzes, der die Maßnahmen in den Bereichen Migration, Asyl, Integration und Grenzmanagement zusammenführt — durch die Mitgliedstaaten nur zu erreichen sind, wenn sie im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zusammenarbeiten und der Solidaritätsmechanismus die Interessen und Kapazitäten aller Mitgliedstaaten besser berücksichtigt (5);

31.

erachtet es für wichtig, Indikatoren hinzuzufügen und die von der Europäischen Union entwickelten Instrumente wie den Index für sozialen Fortschritt in den Regionen zu nutzen, um die 20 Grundsätze der sozialen Säule umfassend abzudecken. Die Daten aller Indikatoren sollten nach relevanten Aspekten aufgeschlüsselt werden, so etwa nach Geschlechteraspekten, da die Gleichstellung der Geschlechter ein übergeordneter Grundsatz der europäischen Säule ist. betont, dass die Wissensbasis und die Indikatoren für die länderspezifischen Empfehlungen weiterentwickelt werden müssen, um die Ziele der Säule besser zu erreichen. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften sollten aktiv zur Debatte über die Verbesserung des sozialpolitischen Scoreboards beitragen;

Sozial- und wirtschaftspolitische Steuerung

32.

stellt fest, dass das Europäische Semester und die Aufbau- und Resilienzfazilität derzeit die wichtigsten vorhandenen Rechtsinstrumente sind, um die nationalen Regierungen bei der Umsetzung der Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte in der Europäischen Union zu ermutigen, zu unterstützen und anzuleiten; fordert, die europäische Säule sozialer Rechte im Rahmen des Europäischen Semesters vorrangig zu behandeln, um sicherzustellen, dass die Erholung von der derzeitigen Krise wirklich inklusiv ist und dabei soziale Ausgrenzung, Armut und Ungleichheit bekämpft werden;

33.

bekräftigt seine Forderung nach einer besseren Koordinierung der Wirtschafts- und Sozialpolitik zwischen den europäischen und nationalen Regierungsebenen im Rahmen des Europäischen Semesters und fordert eine stärkere Einbeziehung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften in diese Koordinierung über eine geteilte Verwaltung gemäß dem Subsidiaritätsprinzip. Diesem Prinzip zufolge sind strategische Programmierungs- und Durchführungsaufgaben nicht nur auf die Mitgliedstaaten, sondern auch auf die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften zu übertragen, die am besten in der Lage sind, wirksam auf die Bedürfnisse und Herausforderungen vor Ort einzugehen (6);

34.

fordert die Einführung einer „Sozialtaxonomie“ im Rahmen eines nachhaltigen Finanzwesens, um Investitionen in soziale Infrastrukturen in Bereichen wie Gesundheitsversorgung, Bildung oder Wohnraum interessanter zu machen. Ein solches Instrument könnte helfen, die Herausforderungen beim Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen zu bewältigen, indem der Einsatz neuer Technologien belohnt und Anstrengungen unternommen werden, um Fachkräfte zu fördern bzw. den Arbeitskräftemangel zu beheben. Gleichzeitig würde so auch ein Beitrag dazu geleistet, dass Investitionen in die soziale Infrastruktur eher als wertvolle Investitionsvorhaben anerkannt werden;

Finanzierung

35.

ruft dazu auf, durch den mehrjährigen Finanzrahmen und das Aufbauinstrument „NextGenerationEU“ die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte auf nationaler Ebene zu nutzen und dadurch zum ökologischen und digitalen Wandel, zu sozialer Gerechtigkeit und Resilienz beizutragen;

36.

fordert die Planungsbehörden auf, die Ausgaben in den Struktur- und Investitionsfonds im Zusammenhang mit der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte zu kennzeichnen;

37.

fordert, dass auf lokaler und regionaler Ebene mehr Mittel aus den nationalen Haushalten und aus den EU-Fonds für lokale Maßnahmen, Dienstleistungen und soziale Investitionen bereitzustellen, um insbesondere die am stärksten gefährdeten Gruppen zu unterstützen, wobei die Grundsätze der Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung beachtet werden müssen;

38.

betont, dass die Mittelzuweisung stärker als bisher mit Blick auf die Verteilungswirkung geplant werden muss, um den Auswirkungen von Reformen und sozialen Investitionen auf die verschiedenen Gruppen besser Rechnung zu tragen;

Brüssel, den 7. Mai 2021

Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

Apostolos TZITZIKOSTAS


(1)  Eurobarometer 3/2021 zu sozialen Angelegenheiten.

(2)  Wirksame aktive Beschäftigungsförderung (EASE), C(2021) 1372.

(3)  Ebenda.

(4)  Empfehlung des Rates von 2018 zu einem Europäischen Rahmen für die Lehrlingsausbildung.

(5)  COR 4843/2020.

(6)  COR 2167/2020.


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