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Document 52021AE0006

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025“ (COM(2020) 698 final)

EESC 2021/00006

ABl. C 286 vom 16.7.2021, p. 128–133 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

16.7.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 286/128


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Union der Gleichheit: Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025“

(COM(2020) 698 final)

(2021/C 286/22)

Berichterstatter:

Ionuţ SIBIAN

Mitberichterstatterin:

Maria del Carmen BARRERA CHAMORRO

Befassung

Europäische Kommission, 14.1.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

16.4.2021

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.4.2021

Plenartagung Nr.

560

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

187/8/12

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt und unterstützt den Mut der Europäischen Kommission zur Annahme der Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020–2025, mit der Diskriminierung verringert und die Sicherheit und die Grundrechte von LGBTIQ-Personen in der gesamten Europäischen Union gewährleistet werden sollen, indem Legislativmaßnahmen auf europäischer Ebene ergriffen werden, die Mitgliedstaaten aber auch aufgefordert werden, die in der Strategie genannten Aktionspläne auf nationaler Ebene auszuarbeiten und umzusetzen.

1.2.

Nach Ansicht des EWSA muss die Kommission für den Erfolg der Strategie einen wirkungsvollen Mechanismus für ihre Umsetzung einrichten und ihre Anwendung regelmäßig horizontal und vertikal überwachen. Dabei muss die Kommission einen breiten Dialog zwischen europäischen und internationalen Institutionen, den Mitgliedstaaten, den Organisationen der Zivilgesellschaft und den Sozialpartnern fördern.

1.3.

Der EWSA ist überzeugt, dass die Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen mit anderen europäischen Strategien verknüpft werden muss, um ihre Ziele und eine sektorübergreifende Dimension zu erreichen, so z. B. mit der Strategie für die Rechte von Opfern, der Gleichstellungsstrategie, dem EU-Aktionsplan gegen Rassismus, der Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen und der Kinderrechtsstrategie.

1.4.

Eine der drängendsten Probleme ist die Diskriminierung von LGBTIQ-Personen am Arbeitsplatz und beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Entsprechend der Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (2000/78/EG) (1) müssen auch trans*, nichtbinäre, intersexuelle und queere Personen vor Diskriminierung in diesen Bereichen geschützt werden. Der EWSA begrüßt ferner den Wunsch der Kommission, die Anwendung der Richtlinie über den Bereich Beschäftigung hinaus zu ermöglichen, da er die Richtlinie als wirksame Maßnahme zur Bekämpfung der Diskriminierung von LGBTIQ-Personen betrachtet.

1.5.

Um die Beschäftigungsfähigkeit von LGBTIQ-Personen zu verbessern, müssen aktive Beschäftigungsmaßnahmen ergriffen und eine LGBTIQ-Dimension in die Beschäftigungspläne integriert werden. Wichtig ist zudem, dass es in den Unternehmen Pläne zur Gleichstellung von LGBTIQ gibt, um gegen Diskriminierung von LGBTIQ-Personen am Arbeitsplatz vorzugehen, und dass diese Pläne konkrete Maßnahmen, Protokolle und Instrumente zur Bekämpfung von Diskriminierung vorsehen.

1.6.

Um LGBTIQ-Personen vor sozialer und wirtschaftlicher Benachteiligung und großer Armut und sozialer Ausgrenzung zu schützen, müssen die Mitgliedstaaten angehalten werden, medizinische und soziale Dienste, Schutzunterkünfte, Hilfsprogramme und sichere Räume u. a. für LGBTIQ-Personen, die Opfer von häuslicher Gewalt, Hassverbrechen und Hetze sind, und LGBTIQ-Jugendliche, die keine familiäre Unterstützung haben, bereitzustellen.

1.7.

Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass sogenannte Konversionsmaßnahmen in allen Mitgliedstaaten verboten werden sollten, da diese Praktiken gegen die Grundrechte verstoßen und als Folter eingestuft worden sind. Die Europäische Kommission muss die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, alle Formen schädlicher Praktiken, einschließlich medizinisch unnötiger Eingriffe bei intersexuellen Personen, zu verbieten und ihr Recht bezüglich Geschlechtsidentität zu reformieren, um sicherzustellen, dass es den Menschenrechtsnormen der Selbstbestimmung entspricht.

1.8.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, Mittel für die Ausbildung von Fachleuten bereitzustellen, die mit LGBTIQ-Personen interagieren, und den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten zu unterstützen. Ferner müssen EU-Mittel für Schulungen von Ärzten, Lehrern und anderen Fachkräften bereitgestellt werden, damit diese die besonderen Lebensumstände und Bedürfnisse von LGBTIQ-Personen besser verstehen. Darüber hinaus werden über das Pilotprojekt EUHealth4LGBTIQ Schulungshandbücher für Gesundheitsdienstleister bereitgestellt. Die Europäische Kommission sollte die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, auf nationaler Ebene entsprechende Schulungen anzubieten.

1.9.

Was die Finanzmittel für die Mitgliedstaaten aus dem EU-Haushalt angeht, muss die Europäische Kommission nach Ansicht des EWSA ein robustes Verfahren zur Überwachung der Verwendung dieser Mittel durch die Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit dem in Artikel 2 EUV genannten europäischen Grundsatz der Nichtdiskriminierung und unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte gemäß der Grundrechtecharta einführen. Die Kontrolle muss — wie in der Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen für die Finanzperiode 2021–2027 vorgesehen — sowohl ex-ante im Rahmen eines Audits zum Thema Vielfalt als auch ex-post erfolgen.

1.10.

Die Europäische Kommission muss ihre Rolle als Hüterin der Verträge der Europäischen Union wahrnehmen und ihre Bemühungen um eine vollständige Umsetzung und Anwendung der einschlägigen EU-Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union in den Mitgliedstaaten, insbesondere im Hinblick auf die Richtlinie 2004/38/EG (2), sowie der Asylvorschriften verstärken. Ferner muss im Zusammenhang mit der Freizügigkeit und in grenzübergreifenden Fragen auf europäischer Ebene eine klare, inklusive und nicht diskriminierende Regelung für den Begriff „Familie“ (unter Einbeziehung von Regenbogenfamilien) sowie für die Anerkennung von Geburtsurkunden von trans*-Personen in allen Mitgliedstaaten unabhängig von sonstigen Verwaltungs- oder Rechtsverfahren getroffen werden.

1.11.

Die Europäische Union muss ihrer Rolle als weltweiter Verfechterin der Menschenrechte gerecht werden, zu denen auch die Freiheit und die Würde von LGBTIQ-Personen gehören. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die europäische Gemeinschaft mit internationalen und regionalen Institutionen zusammenarbeiten, um Homosexualität generell zu entkriminalisieren und die Würde und die Grundrechte von LGBTIQ-Personen in der ganzen Welt zu wahren.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA hält es für äußerst wichtig, dass europäische und nationale Institutionen Maßnahmen zum Schutz von LGBTIQ-Personen ergreifen, damit die in der Charta der Grundrechte und im Vertrag über die Europäische Union (EUV) verankerten Werte, nämlich „Menschenwürde, […] Gleichheit, […] Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören“ (3), in der gesamten Union geachtet werden. Der EWSA unterstützt die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Ausrufung der EU zum „Freiheitsraum für LGBTIQ-Personen“.

2.2.

Aus Daten (4) der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte geht hervor, dass LGBTIQ-Personen eine schutzbedürftige Gruppe sind, die durch die europäischen Organe und die nationalen Behörden in den Mitgliedstaaten unterstützt werden muss. Nach Ansicht des EWSA ist die Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025 ein erster Schritt, um Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität/geschlechtlichen Ausdrucksform und der Geschlechtsmerkmale zu bekämpfen und der LGBTIQ-Gemeinschaft in der gesamten Union einen sicheren Raum zu bieten.

2.3.

Der EWSA begrüßt, dass im Kommissionsdokument die Intersektionalität als bereichsübergreifender Grundsatz angesehen wird: Neben anderen persönlichen Merkmalen oder Identitäten wie Geschlecht, Rasse oder ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung und Alter werden die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität/geschlechtliche Ausdrucksform und die Geschlechtsmerkmale berücksichtigt. All dies wird auch in den Zusammenhang der COVID-19-Krise gestellt, von der schutzbedürftige LGBTIQ-Personen unverhältnismäßig stark betroffen sind.

2.4.

Damit die Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025 in der gesamten Union wirksam umgesetzt werden kann, muss die Europäische Kommission jedoch ein Umsetzungs- und Überwachungsverfahren einrichten, um zu überprüfen, ob und in welchem Umfang die Strategie umgesetzt wurde. Hierfür muss die Kommission jährlich prüfen, ob und inwieweit die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten die wichtigsten Prioritäten der Strategie umgesetzt haben. Diese Evaluierung sollte in Absprache mit den Mitgliedstaaten und der organisierten Zivilgesellschaft durchgeführt werden.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Diskriminierung von LGBTIQ-Personen

3.1.1.

Diskriminierung beeinträchtigt LGBTIQ-Personen in allen Lebensphasen. Von früher Kindheit an werden Kinder, Jugendliche sowie Kinder aus LGBTIQ- oder Regenbogenfamilien, in denen ein Familienmitglied LGBTIQ ist, oft stigmatisiert und zu Zielen von Diskriminierung und Aggression. Das wirkt sich auf ihre schulischen Leistungen und ihre Beschäftigungsaussichten, ihr tägliches Leben sowie das Wohlbefinden der gesamten Familie aus. Daher müssen umfangreichere und bessere Kinderschutzmaßnahmen insbesondere im Bildungsbereich ergriffen werden, um Diskriminierung von LGBTIQ-Personen zu bekämpfen.

3.1.2.

Eine der drängendsten Probleme ist die Diskriminierung von LGBTIQ-Personen am Arbeitsplatz (5) und beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Daher müssen entsprechend der Richtlinie über Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf auch trans*, nichtbinäre, intersexuelle und queere Personen vor Diskriminierung in diesen Bereichen geschützt werden. Der EWSA begrüßt ferner den Wunsch der Kommission, die Anwendbarkeit der Richtlinie über den Bereich Beschäftigung und Berufsausbildung hinaus auszuweiten, da er die Richtlinie als wirksame Maßnahme zur Bekämpfung der Diskriminierung von LGBTIQ-Personen betrachtet.

3.1.3.

Bezüglich der Diskriminierung am Arbeitsplatz muss trans*-Personen aufgrund der sozialen und gesellschaftlichen Probleme, vor denen sie stehen (beispielsweise die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der rechtlichen Situation aufgrund komplexer Verfahren zur Änderung von Ausweispapieren in den meisten Mitgliedstaaten, Mangel an medizinischen Verfahren, Vorurteile ihnen gegenüber usw.), besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Diese Probleme können zu Belästigung am Arbeitsplatz, Entlassung und ganz allgemein zu zahlreichen Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche und danach führen.

3.1.4.

Der EWSA betont, dass die Europäische Union Aktionslinien für aktive Beschäftigungsmaßnahmen festlegen muss, damit die Mitgliedstaaten und die einzelstaatlichen Behörden nationale Beschäftigungspläne ausarbeiten, die spezielle Maßnahmen für LGBTIQ-Personen umfassen und die Folgen des fehlenden Zugangs zu Beschäftigung, unter denen sie strukturell leiden, verringern.

3.1.5.

Der EWSA hält es für wichtig, die europäischen Rechtsvorschriften über Gleichbehandlung im Beschäftigungsbereich auf trans*, nichtbinäre, intersexuelle und queere Personen auszuweiten, um alle LGBTIQ-Personen vor Diskriminierung im Beschäftigungsbereich aufgrund der sexuellen Ausrichtung, Geschlechtsidentität und geschlechtlichen Ausdrucksform sowie der Geschlechtsmerkmale zu schützen.

3.1.6.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Richtlinie über Gleichbehandlung auf andere Bereiche — über Beschäftigung und Berufsausbildung hinaus — auszuweiten. Die Aufforderung der Kommission an den Rat, den Vorschlag anzunehmen, um die Lücken im EU-Recht zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung, aber auch aufgrund der Geschlechtsidentität und geschlechtlichen Ausdrucksform sowie der Geschlechtsmerkmale und der Familiengruppe zu schließen, muss unterstützt werden.

3.1.7.

Der EWSA schließt sich dem Aufruf der europäischen Institutionen an die Mitgliedstaaten an, das IAO-Übereinkommen Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt zu ratifizieren, das sich auf eine Bandbreite von inakzeptablen Verhaltensweisen und Praktiken gegen Menschen aufgrund ihres biologischen oder sozialen Geschlechts bezieht und den Regierungen und Sozialpartnern Leitlinien für die Ermittlung von Instrumenten zur Verhinderung und Bekämpfung derartiger Formen der Diskriminierung an die Hand gibt. Tarifverhandlungen auf allen Ebenen und Tarifverträge können zur Festlegung gezielter Maßnahmen für den Arbeitsplatz und zur Umsetzung der von den europäischen Sozialpartnern unterzeichneten autonomen Vereinbarung zu Gewalt am Arbeitsplatz beitragen.

3.1.8.

Diskriminierung von LGBTIQ-Personen in dem Raum, in dem sie sich am sichersten fühlen sollten, nämlich in ihrer familiären Umgebung, führt dazu, dass viele zur LGBTIQ-Gemeinschaft gehörende Personen obdachlos werden. In vielen Mitgliedstaaten sind die zuständigen Stellen nicht in der Lage, soziale und medizinische Dienste zur Unterstützung dieser Personen anzubieten. LGBTIQ-Personen müssen daher Schutzunterkünfte und medizinische Dienste zur Verfügung stehen, damit sie sich in die Gesellschaft integrieren und einen sicheren Arbeitsplatz finden können.

3.1.9.

Ergänzend zu den Vorschlägen der Kommission zur Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems muss die Europäische Union Mittel für die Schulung von Richtern, Staatsanwälten und Grenzschutzbeamten, Mitarbeitern von Einwanderungsbehörden und Dolmetschern bereitstellen, um ihnen die besonderen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen, die internationalen Schutz beantragen, einschließlich LGBTIQ, bewusst zu machen.

3.1.10.

In dieser Hinsicht hält es der EWSA für unabdingbar, die Anwendung von Rückführungsmaßnahmen für Migranten an den Grenzen der EU einzuschränken, da viele dieser Menschen vor Verfolgung in ihren Ländern aufgrund der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität/geschlechtlichen Ausdrucksform und der Geschlechtsmerkmale fliehen. Ihre Rückführung ohne die Möglichkeit, internationalen Schutz zu beantragen, stellt einen Verstoß gegen die grundlegenden Menschenrechte, die internationalen Verträge und in einigen Fällen nationale Rechtsvorschriften für den internationalen Schutz dar.

3.1.11.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Kommission erwägen, das Recht auf Selbstbestimmung des Geschlechts von trans*-Personen anzuerkennen und damit den höchsten internationalen Standards für die Wahrung von Menschenrechten zu entsprechen; sie sollte ihre Anerkennung in den Mitgliedstaaten und durch die nationalen Behörden fördern, damit die Identität von trans*-Personen anerkannt werden kann, ohne dass ein Dritter einen Nachweis erbringen muss.

3.1.12.

Die Europäische Kommission sollte überwachen, inwieweit trans*-Personen für geschlechtsangleichende Maßnahmen Zugang zu Gesundheitsdiensten haben, und mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um zur Behebung etwaiger nationaler Defizite in vollem Umfang die Möglichkeiten des EU-Rahmens für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung auszuschöpfen.

3.1.13.

Die Kommission sollte die Mitgliedstaaten auffordern, Strategien auf nationaler Ebene für die Überwachung, Kontrolle und Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten vorzusehen. In diesem Bereich ist es auch wichtig, vorrangig Mittel für Fachkräfte des Gesundheitswesens bereitzustellen und an Schulungen in Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der 11. Revision der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-11) teilzunehmen. Zudem sollten die Mitgliedstaaten den Austausch von Erfahrungen und Verfahrensweisen zwischen spezialisiertem Gesundheitspersonal verschiedener Mitgliedstaaten unterstützen.

3.1.14.

Die Mitgliedstaaten sollten dazu angehalten werden, „Konversionstherapien“ — eine entwürdigende Methode mit zahlreichen Auswirkungen auf die körperliche und geistige Gesundheit von LGBTIQ-Personen — in der gesamten EU zu verbieten. Zudem sollten die Mitgliedstaaten ermutigt werden, Rechtsvorschriften zum Verbot der Verstümmelung intersexueller Personen zu erlassen. Dadurch würde sichergestellt, dass intersexuelle Personen das Recht haben, selbst zu entscheiden, ob sie sich medizinischen Eingriffen zur Geschlechtszuweisung unterziehen wollen; eine Ausnahme von dieser Bestimmung wäre nur bei dringendem Behandlungsbedarf zulässig, wenn das Leben der intersexuellen Person in Gefahr ist.

3.1.15.

Die Finanzierungsprogramme der Europäischen Union sollten eng mit den in Artikel 2 EUV genannten Werten der Union verbunden und diesen untergeordnet sein. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, bei Großprojekten, die aus EU-Mitteln finanziert werden, eine Folgenabschätzung für schutzbedürftige Gruppen — einschließlich LGBTIQ-Personen — durchzuführen. So sollte auf Ebene der Mitgliedstaaten im Bereich der EU-Finanzierung von einem unabhängigen Ausschuss, dem Vertreter lokaler oder zentraler nationaler Behörden und von Organisationen der Zivilgesellschaft angehören (6), ein Audit zum Thema Vielfalt durchgeführt werden.

3.1.16.

Sachverständige, die dieses Audit zum Thema Vielfalt im Rahmen der EU-Finanzierungsprogramme durchführen, sollten ein auf europäischer Ebene entwickeltes Schulungsprogramms absolvieren, mit dem Kompetenzen aufgebaut und die Mitgliedstaaten zum Austausch bewährter Verfahren zu den Auswirkungen von EU-Förderprogrammen auf schutzbedürftige Gruppen — einschließlich LGBTIQ — anregt werden. Zur Umsetzung dieser Maßnahmen in der gesamten EU muss ein Überwachungsverfahren auf Ebene der Europäischen Kommission eingeführt werden.

3.1.17.

Die Mitgliedstaaten sollten ermutigt werden, nationale Bildungs- und Sensibilisierungskampagnen und -programme durchzuführen, um die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung und Geschlechtsidentität abzubauen und zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang sollten die nationalen Behörden dafür sorgen, dass die nationalen Pflichtlehrpläne Informationen über Menschenrechte, einschließlich der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität und der geschlechtlichen Ausdrucksform, umfassen, um Diskriminierung, Vorurteile und Stereotype zu verhindern. Darüber hinaus sollten Primar- und Sekundarschulen eine umfassende Sexualerziehung anbieten, bei der den Kindern und Jugendlichen die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, um ein gesünderes Leben und gleichberechtigte Beziehungen zu führen.

3.2.   Für die Sicherheit von LGBTIQ-Personen sorgen

3.2.1.

In mehreren Mitgliedstaaten haben bekanntlich Referenden zur Änderung der nationalen Verfassungen stattgefunden, um die Rechte von LGBTIQ-Personen einzuschränken oder diese Gruppe von Personen in der allgemeinen Öffentlichkeit zu stigmatisieren. In Anbetracht des grenzüberschreitenden Informationsflusses innerhalb der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten die Transparenz der öffentlichen Finanzierung für alle an diesen Referenden beteiligten Akteure sicherstellen.

3.2.2.

Der EWSA unterstützt die Initiative, die Liste der „EU-Straftaten“ gemäß Artikel 83 Absatz 1 AEUV auf Hassdelikte und Hetze, einschließlich auf gegen LGBTIQ-Personen gerichtete Hassdelikte und Hetze, auszuweiten. Daher muss die Kommission Informations- und Sensibilisierungsmaßnahmen zu dieser Frage auf europäischer Ebene ergreifen. Die Kommission sollte eine Kommunikationskampagne einleiten, um dieser Entwicklung und damit verbundenen Verhaltensweisen entgegenzuwirken und die Gleichstellung aller ihrer Bürgerinnen und Bürger zu fördern. Diese Kampagne sollte auf europäischer Ebene lanciert werden und die in allen Mitgliedstaaten auf lokaler Ebene bestehenden Probleme behandeln. Diese Initiativen sollten in den Aktionsplan für Demokratie in Europa aufgenommen werden. Darüber hinaus haben sich alle europäischen Länder verpflichtet, für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Daten über Hassdelikte zu erheben, auf die hierbei zurückgegriffen werden kann.

3.2.3.

Die Europäische Kommission sollte in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten auch Maßnahmen ergreifen, um Falschmeldungen und Fehlinformationen sowie Hetze online und offline zu bekämpfen. Vor diesem Hintergrund muss die Kommission ein Verfahren entwickeln, um die ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) auf Ebene der Mitgliedstaaten zu überwachen, aber auch einen europäischen Rechtsrahmen annehmen, um Falschmeldungen und Fehlinformationen leichter zu bekämpfen.

3.2.4.

Der EWSA betrachtet die Maßnahmen der Kommission zur Förderung und Umsetzung des „Verhaltenskodex zur Bekämpfung illegaler Hetze im Internet“, den Facebook, Microsoft, Twitter und YouTube unterzeichnet haben, als sehr ermutigendes Zeichen, dass gegen Hetze im Internet vorgegangen wird. Diese Art von Instrument — ein Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Hetze — sollte als Empfehlung auf Ebene der Mitgliedstaaten im Internet und im audiovisuellen Bereich umgesetzt werden, um einen sichereren Raum für LGBTIQ-Personen sowie für andere schutzbedürftige Gruppen zu schaffen, die leicht Opfer von Belästigung oder Hetze im Internet werden können. (7)

3.2.5.

Die Strategie für die Gleichstellung von LGBTIQ-Personen 2020-2025 sollte mit der Strategie für die Rechte von Opfern 2020-2025 verknüpft werden, damit Menschen, die sexuellen Minderheiten angehören, den Mut haben, gegen sie gerichtete Hassverbrechen zu melden. Fortbildungen für Polizeibeamte, Rechtsanwälte und Richter zu den Themen Hassverbrechen, Vorurteile und Stereotype sowie die Zusammenarbeit mit NGO, die LGBTIQ-Personen in diesem Bereich unterstützen, sind daher unerlässlich.

3.2.6.

Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass die meisten Mitgliedstaaten nicht ausreichend in der Lage sind, LGBTIQ-Personen, die Opfer häuslicher Gewalt sind — vor allem trans*-Personen — oder die von ihren eigenen Familien angegriffen werden, eine Not- oder Kurzzeitunterkunft anzubieten. Die Einrichtung von Schutz- und Notunterkünften sowie Hilfszentren und die Bereitstellung integrierter Unterstützungsdienste erfordern daher die Zusammenarbeit von nationalen Behörden und Nichtregierungsorganisationen sowie die Bereitstellung von EU-Mitteln.

3.3.   Aufbau inklusiver Gesellschaften für LGBTIQ-Personen

3.3.1.

Die Europäische Kommission muss die Rolle als Hüterin des Rechts der Europäischen Union, die sich aus den Rechtsvorschriften der EU und der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) herleitet, wahrnehmen, um die ordnungsgemäße und einheitliche Anwendung des europäischen Rechts in allen Mitgliedstaaten zu überwachen. Sie muss ihre Bemühungen verstärken und umfassende Mechanismen zur Überwachung der Anwendbarkeit des europäischen Rechts und der Urteile des EuGH im Rahmen des nationalen Rechts und der von den nationalen Behörden angewandten Verfahren entwickeln.

3.3.2.

Was die Freizügigkeit als eine der Säulen des europäischen Rechts angeht, muss die Europäische Kommission einen Überwachungsmechanismus entwickeln, damit die in der Richtlinie 2004/38/EG verankerten Rechte, insbesondere das Recht, sich frei zu bewegen und aufzuhalten, für alle europäischen Bürger und ihre Familien, einschließlich Regenbogenfamilien, in der gesamten Union anerkannt werden.

3.3.3.

Damit alle LGBTIQ-Personen das Recht auf Freizügigkeit in der gesamten Europäischen Union wahrnehmen können, fordert der EWSA die Kommission auf, einen Rechtsrahmen zu entwickeln, durch den der Begriff „Familie“ insbesondere in grenzüberschreitenden Situationen autonom und unabhängig vom nationalen Recht der Mitgliedstaaten wird, und dafür zu sorgen, dass nach einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren neu ausgestellte Geburtsurkunden in allen Mitgliedstaaten im Rahmen der Freizügigkeit anerkannt werden. Die Europäische Kommission sollte mit den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten, um zum Schutz dieser Familien vor unerwünschtem Outing, Diskriminierung und Gewalt die Registrierung der verwandtschaftlichen Beziehung von trans*-Eltern gemäß ihrer rechtlich anerkannten Geschlechtsidentität zu erleichtern.

3.4.   Führungsrolle bei der Forderung nach der Gleichstellung von LGBTIQ in der ganzen Welt

3.4.1.

Die europäischen Institutionen müssen ihre Rolle als Garanten und Schützer der grundlegenden Menschenrechte im Rahmen ihres innen- und außenpolitischen Handelns wahrnehmen. Um diese Rolle zu erfüllen, müssen sie mit anderen regionalen und internationalen Institutionen, wie dem Europarat oder den Vereinten Nationen, zusammenarbeiten, damit LGBTIQ-Personen und Menschenrechtsverteidiger die ihnen zustehende Sicherheit und Gleichstellung genießen. Ferner ist es wichtig, dass die europäischen Institutionen neben der Unterstützung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt, Hass und Diskriminierung gegenüber LGBTIQ-Personen durch das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) in Bewerberländern oder möglichen Bewerberländern diese Kriterien auch bei ihren externen Maßnahmen im Zusammenhang mit Finanzhilfen für Drittstaaten berücksichtigen.

Brüssel, den 27. April 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. L 303 vom 2.12.2000, S. 16.

(2)  ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77.

(3)  Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union.

(4)  https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2020-lgbti-equality-1_en.pdf.

(5)  Am Arbeitsplatz werden LGBTIQ-Personen bei der Einstellung, bezüglich der Arbeit und zum Ende ihrer Laufbahn entgegen der eindeutigen EU-Rechtsvorschriften noch immer diskriminiert. Viele LGBTIQ-Personen stehen vor zahlreichen Hindernissen auf der Suche nach einem fairen und stabilen Arbeitsplatz, was das Risiko von Armut, sozialer Ausgrenzung und Obdachlosigkeit erhöht.

(6)  Zur Umsetzung dieser Maßnahme muss ein Expertengremium eingesetzt werden, das bewertet, inwieweit von den Mitgliedstaaten durchgeführte Projekte schutzbedürftige Gruppen, einschließlich der LGBTIQ-Gemeinschaft, unterstützen, und das sowohl ex-ante als auch ex-post vorgenommene Untersuchungen der Durchführung von Projekten, die aus europäischen Mitteln finanziert werden, auf der Grundlage eines auf europäischer Ebene erstellten Bewertungsrasters prüft.

(7)  Verhaltenskodizes sollten sich an den EU-Werten Gleichheit, Menschenrechte, Vielfalt und Meinungsfreiheit orientieren; es sollte eine Expertengruppe eingesetzt werden, die die Umsetzung und Anwendung dieses Arbeitsinstruments überwacht, aber es sollten auch Organisationen der Zivilgesellschaft einbezogen werden, die sich für den Schutz der Menschenrechte und schutzbedürftiger Gruppen einsetzen.


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