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Document 52020AE3598

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Wettbewerbspolitik 2019“ (COM(2020) 302 final)

    EESC 2020/03598

    ABl. C 123 vom 9.4.2021, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    9.4.2021   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 123/1


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Wettbewerbspolitik 2019“

    (COM(2020) 302 final)

    (2021/C 123/01)

    Berichterstatter:

    Gonçalo LOBO XAVIER

    Befassung

    Europäische Kommission, 12.8.2020

    Rechtsgrundlage

    Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

     

     

    Zuständige Fachgruppe

    Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

    Annahme in der Fachgruppe

    11.12.2020

    Verabschiedung auf der Plenartagung

    27.1.2021

    Plenartagung Nr.

    557

    Ergebnis der Abstimmung

    (Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

    230/0/6

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Bericht der Europäischen Kommission über die Wettbewerbspolitik 2019, mit dem ein Konzept entwickelt wird, das auf die Stärkung des Binnenmarkts und die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung sowie sozialpolitischer Ziele als wesentliche Faktoren für die Entwicklung der Union ausgerichtet ist.

    1.2.

    Der EWSA betrachtet, wie bereits mehrfach hervorgehoben, eine wirksame und prinzipientreue Wettbewerbspolitik als eine der Säulen der Europäischen Union und als unverzichtbares Instrument für die Vollendung des Binnenmarkts im Sinne des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der Nachhaltigkeitsziele, des Aufbaus einer sozialen Marktwirtschaft und der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte (1). Diese Punkte sind weiterhin aktuell.

    1.3.

    Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Kommission in Märkten, die für EU-Bürger und -Unternehmen wichtig sind, etwa in den Bereichen digitale Wirtschaft und Telekommunikation, Energie und Umwelt, verarbeitende Industrie, Finanzdienstleistungen, Steuerwesen, Landwirtschaft sowie Ernährung und Verkehr, Maßnahmen zur Förderung eines fairen Wettbewerbs ergreifen sollte. Diese Maßnahmen sollten Vertrauen bei den Verbrauchern schaffen und geeignete Bedingungen für die Tätigkeit von Unternehmen eindeutig festlegen. Der wirtschaftliche und soziale Wandel vollzieht sich sehr schnell. Kontinuierliche Anpassungen hin zu einer modernen, nachhaltigen, umweltfreundlichen und digitalen Wirtschaft sind dringend erforderlich, und der Wettbewerbspolitik kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu.

    1.4.

    In einem zunehmend digitalen Umfeld entstehen in rasanter Geschwindigkeit ständig neue Herausforderungen aus der Nutzung von Daten, Algorithmen und Märkten. Folglich müssen die Kooperationsnetze zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten und der Kommission verstärkt werden, um den fairen Wettbewerb im Binnenmarkt zu wahren. Die EU muss deshalb mit dem digitalen Zeitalter Schritt halten. Der EWSA ist sich bewusst, dass Veränderungen nötig sind, und empfiehlt mit Nachdruck, die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass der digitale Markt und Online-Plattformen Teil einer neuen Wirtschaft sind, die von entscheidender Bedeutung für Europa ist, dass es jedoch auch wichtig ist, klare und faire Regeln für alle Akteure aufzustellen.

    1.5.

    Der EWSA weist die Kommission darauf hin, dass es notwendig ist, kontinuierlich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich das Wachstum von KMU bei gleichen Wettbewerbsbedingungen steigern lässt, die auch großen Unternehmen die Teilnahme am Wirtschaftsablauf ermöglichen. Europa muss als starker Wirtschaftsraum wahrgenommen werden, in dem für einen fairen Wettbewerb und eindeutige Regeln für alle Akteure gesorgt wird.

    1.6.

    Im Interesse gleicher Wettbewerbsbedingungen fordert der EWSA, dass Unternehmen aus Drittstaaten im Wettbewerb die gleichen Sozial- und Umweltnormen einzuhalten haben. In Europa darf es keine unterschiedlichen Ansätze für dieselben Herausforderungen geben. Und im Hinblick auf die Wettbewerbspolitik darf Europa nicht naiv sein.

    1.7.

    Der EWSA unterstützt die von der Kommission ergriffenen koordinierten Maßnahmen für das verarbeitende Gewerbe. Die EU sollte jedoch hier noch weiter gehen und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten eine dauerhafte Lösung zur Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen vorschlagen. Die befristeten Maßnahmen in Bezug auf die Versorgung mit bestimmten Produkten aus Drittlandsmärkten müssen dauerhaft eingeführt werden, insbesondere wenn es um die Einfuhr lebenswichtiger medizinischer Ausrüstung und anderer wichtiger Produkte geht. Diese Pandemie hat alle Schwächen einer zögerlichen Politik aufgezeigt. Eine starke und robuste verarbeitende Industrie sollte einer der Stützpfeiler der Wettbewerbspolitik sein.

    1.8.

    Im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittel ist es wichtig, die Erzeugnisse mit einer europäischen Ursprungsbezeichnung vor Nachahmung oder „Kopien“ zu schützen. Die Bereiche Saatgut und Pflanzenschutzmittel sind von grundlegender Bedeutung für Landwirte und Verbraucher, doch sie verursachen auch Bedenken, die über den Schutz der Verbraucher, die Lebensmittelsicherheit und die Gewährleistung der Einhaltung der Umwelt- und Klimaschutzvorschriften hinausgehen.

    1.9.

    Im Hinblick auf den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten im Binnenmarkt ist der Verkehr nach wie vor eine der schwierigsten Dienstleistungsbranchen. Hier müssen klare Regeln und die nötige Ausgewogenheit nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die Endnutzer stets Vorrang haben.

    2.   Allgemeine Bemerkungen

    2.1.

    Die Wettbewerbspolitik ist für das Ziel eines effizienten und fairen Binnenmarkts, mit dem die europäischen Werte und das europäische Projekt gestärkt werden können, von entscheidender Bedeutung. Angesichts dessen ist es wichtig, diese Politik und die Leitlinien als Ganzes besser zu erläutern, damit der Binnenmarkt als wertvolle Ergänzung der Globalisierung wahrgenommen wird und sich durch die europäische Vorreiterrolle bei nachhaltigem und fairem Handel nicht nur Chancen bieten, sondern auch greifbare Ergebnisse erzielt werden, die Auswirkungen in anderen Wirtschaftsräume haben können.

    2.2.

    Auch wenn die „Eignungsprüfung“ der Vorschriften über staatliche Beihilfen 2019 ein wichtiger Schritt war, scheinen Umsetzung und Überwachung alles andere als perfekt und schnell abzulaufen. Diese Verfahren, einschließlich öffentlicher Anhörungen, müssen zielgerichteter und schneller erfolgen. Der EWSA ist der Ansicht, dass zivilgesellschaftliche Organisationen am Verfahren beteiligt werden können, um den Kontakt mit den relevanten Interessenträgern zu fördern.

    2.3.

    Mit dem Online-Instrument „eLeniency“ lassen sich Erklärungen und Unterlagen leichter und mit weniger Aufwand bei der Kommission einreichen, darunter auch Anträge auf Kronzeugenbehandlung in kartellrechtlichen Sachen. Was die Wirksamkeit des Verfahrens im Hinblick auf eine faire Beteiligung der Öffentlichkeit, leicht zugängliche Instrumente und Verfahren sowie Vergleiche mit anderen Instrumenten angeht, müssen zunächst entsprechende Erfahrungen gemacht werden.

    2.4.

    Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von Subventionen und staatlicher Beteiligung in Drittstaaten bekämpft werden müssen, und ist der Ansicht, dass weitere Instrumente erforderlich sind, um nachteilige Auswirkungen zu verhindern. Diese lassen sich erstens durch angemessene Nutzung des Europäischen Wettbewerbsnetzes und zweitens durch Konzentration auf selektive Beihilferegelungen wirksam ermitteln.

    2.5.

    Der EWSA spricht sich dafür aus, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU entwickelt und gestärkt werden, um die „europäische Lebensweise“ zu sichern. Damit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sachgerecht erbracht werden können, muss anerkannt werden, dass die informationstechnische Infrastruktur ein entscheidender Faktor für die Digitalisierung ist. Deshalb muss eine angemessene Breitbandinfrastruktur aufgebaut werden. Der EWSA plädiert für ein System staatlicher Beihilfen, mit dem Anreize für Investitionen in die Einführung all dieser neuen Technologien geschaffen und zugleich Ungleichgewichte zwischen einzelnen Regionen auf nationaler Ebene beseitigt werden.

    2.6.

    Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse kommt in Forschung und technischer Entwicklung sowie bei der Umsetzung von Innovationen eine wichtige Rolle zu. Ihre Entwicklung sollte aufgrund des damit einhergehenden Mehrwerts gefördert werden, und der EWSA hofft, dass die Mitteilung zu wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse (IPCEI) als wirksames Instrument zu deren zweckmäßiger Umsetzung dienen kann. Es ist wichtig, Anpassungen bei der Anwendung der Kriterien, nach denen die Mitgliedstaaten länderübergreifende Vorhaben mit strategischer Bedeutung für die EU unterstützen können, zu überwachen.

    2.7.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass in der Wettbewerbspolitik der EU ein stärker zukunftsorientiertes Konzept verfolgt werden sollte, damit eine Anpassung sowohl an den digitalen Wandel als auch an den weltweiten Wettbewerb möglich ist. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die Wettbewerbspolitik ganz oben auf die Prioritätenliste des Arbeitsprogramms der Plattform „Fit for Future“ zu setzen.

    3.   Besondere Bemerkungen

    3.1.   Weitere Verbesserung der Wirksamkeit und Durchsetzung der EU-Wettbewerbspolitik

    3.1.1.

    Da die EU-Wettbewerbspolitik eng mit anderen wichtigen Politikfeldern verknüpft und ein zusammenhängendes Konzept erforderlich ist, sollte sie in einem umfassenderen Rahmen gestaltet und umgesetzt werden. Die EU-Wettbewerbsregeln sollten mit dem Steuerrecht (gerechte Besteuerung, auch im digitalen Sektor), dem Verbraucherschutz, den sozialen Sicherungssystemen und dem Arbeitsrecht in Einklang stehen. Um greifbare Ergebnisse zu erzielen, ist eine Harmonisierung im Bereich des unlauteren Wettbewerbs erforderlich.

    3.1.2.

    Zur wirksamen Bekämpfung unlauterer Wettbewerbspraktiken schlägt der EWSA vor, das Problem der Marktbeherrschung durch ein neues Verfahren anzugehen: nicht nur durch Untersuchung des Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens bzw. des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung, sondern auch durch branchenübergreifende anstatt ausschließlich branchenspezifische Überwachung des gesamtwirtschaftlichen Einflusses eines Unternehmens.

    3.1.3.

    Die EU sollte sich auch auf andere wettbewerbswidrige Praktiken konzentrieren, durch die das Marktgleichgewicht beeinträchtigt werden kann, etwa aggressive Expansion und Monopolbildung, stillschweigende Kollusion und Lock-in-Effekte (durch die verhindert wird, dass Arbeitskräfte gleichzeitig auf mehreren Plattformen aktiv sind).

    3.1.4.

    KMU bilden das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Sie müssen deshalb bei der Gestaltung und Umsetzung der Wettbewerbspolitik stärker berücksichtigt werden. Staatliche Beihilfen sind ein nützliches Instrument, doch nicht in allen KMU ist bekannt, dass es sie gibt. Der EWSA empfiehlt, die Kommunikation gegenüber KMU zu verbessern und so deren Geschäftstätigkeit besser zu unterstützen.

    3.1.5.

    Die Kommission muss in Bezug auf die Aufdeckung und Verfolgung von Kartellen und des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung wachsam bleiben. Zwei Untersuchungen der Kommission sind von besonderer Bedeutung für den Schutz der Verbraucher, die stark betroffen waren:

    a)

    die laufende kartellrechtliche Untersuchung gegen BMW, Daimler und die Volkswagen-Gruppe, in der die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte mit ihrer vorläufigen Auffassung übermittelt hat, wonach diese von 2006 bis 2014 gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen hätten, indem sie sich darauf verständigten, den Wettbewerb bei der Entwicklung von Technologien zur Reinigung der Emissionen von Diesel- und Benzin-Pkw einzuschränken;

    b)

    der Mastercard-Beschluss, bei dem die Kommission eine Geldbuße gegen das Kartenunternehmen verhängte, da es Händler am Zugang zu grenzüberschreitenden Kartenzahlungsdiensten hinderte und damit gegen die EU-Wettbewerbsregeln verstieß. Die Regelungen zu grenzüberschreitenden Geschäften, die für Händler und Verbraucher mit höheren Preisen verbunden waren, wurden abgeschafft. Damit wurden die Beschränkungen beim grenzüberschreitenden Wettbewerb und die künstliche Marktsegmentierung beseitigt. Hierdurch und durch weitere Schritte wurde der Finanzsektor im Zusammenhang mit der Bankenunion dank einer Reihe von Kommissionsbeschlüssen gestärkt.

    3.2.   Neue Herausforderungen im Bereich digitale Wirtschaft, Telekommunikation und Medien

    3.2.1.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die digitale Wirtschaft und insbesondere die Marktstellung der GAFA-Unternehmen ein ernstes Problem für das EU-Wettbewerbsrecht sind. Da diese Unternehmen nicht denselben Regelungen wie europäische Unternehmen unterliegen, sollten die überarbeiteten EU-Wettbewerbsregeln Vorschläge für neue wirksame Instrumente enthalten, mit denen dieser Situation Rechnung getragen wird.

    3.2.2.

    Kürzlich wurde mit der Anwendung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) vom 20. Juni 2019, durch die neue EU-Regeln zur Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Plattformen eingeführt wurden, begonnen, deren Auswirkungen nun beobachtet werden müssen. Die verbreitete Nutzung von Online-Plattformen im Markt bringt neue Akteure und ein neues Umfeld im Binnenmarkt mit sich, deren Folgen noch nicht umfassend abgeschätzt werden können. Im Interesse einer größeren Sicherheit von Marktteilnehmern und Bürgern insbesondere während der aktuellen Pandemie müssen geeignete Wettbewerbsregeln durchgesetzt werden. Sollten die Regeln nicht ausreichend sein, müssen neue Lösungen ins Auge gefasst werden.

    3.2.3.

    Der EWSA begrüßt, dass das Gesetz über digitale Dienste nicht im Widerspruch zum möglichen Rechtsrahmen für die Arbeitsbedingungen auf Online-Plattformen stehen wird.

    3.2.4.

    Für herkömmliche Unternehmen gedachte Wettbewerbsregeln eignen sich nicht für Online-Plattformen. Es ist dringend nötig, die Methoden und Ziele an die sich verändernde Unternehmenslandschaft anzupassen.

    3.2.5.

    Der EWSA ist der Überzeugung, dass der digitale Markt und Online-Plattformen Teil einer neuen Wirtschaft sind, die von entscheidender Bedeutung für Europa ist, dass es jedoch auch wichtig ist, klare und faire Regeln aufzustellen. Oligopolistische Marktstrukturen weisen zahlreiche Merkmale auf, die auch die Monopolisierungspraktiken und strukturellen Gesamteffekte der Ökosysteme von Online-Plattformen und marktbeherrschenden Unternehmen kennzeichnen. Merkmale wie vertikale Integration, ein Mangel an Transparenz für Anwender, Lock-In- und Netzwerkeffekte in Kombination mit einer starken Konzentration führen zu strukturellen Wettbewerbsproblemen, die sowohl Verbraucher als auch Arbeitskräfte beeinträchtigen.

    3.2.6.

    Plattformen können ihre marktbeherrschende Stellung auf nutzergenerierten Inhalten aufbauen, z. B. Verbraucherdaten und -verhalten oder von einzelnen Arbeitskräften erbrachten Dienstleistungen. Die Nutzer können nicht umfassend auf die Informationen zugreifen und die Bedingungen, unter denen die Nutzung erfolgt, nicht beeinflussen. Außerdem sind die Empfehlungen und Rankings auf den Plattformen durch einen Mangel an Transparenz gekennzeichnet. Unfaire und diskriminierende Rankingpraktiken müssen als unlauterer Wettbewerb betrachtet werden.

    3.2.7.

    Eine wesentliche Grundlage für die Marktbeherrschung digitaler Plattformen sind Größenvorteile. Die Grenzkosten für eine geschäftliche Expansion sind im Vergleich zu traditionellen Unternehmen vernachlässigbar, da die Plattformen, die arbeitsintensive Dienstleistungen anbieten, durch missbräuchliche Praktiken einen Großteil der Kosten und Risiken auf die einzelnen Arbeitskräfte abwälzen. Von Plattformen wird gelegentlich behauptet, dass die Größenvorteile auf die materiellen Kapazitäten der einzelnen Fahrer/Kuriere/Arbeitskräfte beschränkt sind, allerdings sind für das „Anwerben“ (bzw. das „Disconnecting“) zusätzlicher Arbeitskräfte zur Marktexpansion keine Investitionen erforderlich.

    3.2.8.

    Der derzeitige EU-Rahmen für das Wettbewerbsrecht trägt wettbewerbsrechtlichen Fragen, die sich auf den Arbeitsmarkt auswirken, nicht angemessen Rechnung, wie etwa einem Monopson auf Arbeitgeberseite, bei dem Sozialstandards unterlaufen werden, was sowohl den Arbeitgebern, die unhaltbarem Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, als auch den Mitgliedstaaten schadet, denen Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge entgehen (3). Wie verschiedene Beispiele auf nationaler Ebene zeigen, sollten Wettbewerbsregeln kein Hindernis für Tarifverhandlungen für alle Arbeitnehmer, einschließlich Plattformarbeitskräfte, darstellen, um innovative Instrumente und Vereinbarungen auszuhandeln.

    3.2.9.

    Bei der Beurteilung der Marktmacht in der digitalen Wirtschaft muss verstärkt die Summe der Aktivitäten in verschiedenen Märkten und ihre Gesamtwirkung auf die entsprechenden Online- und Offline-Märkte berücksichtigt werden. Außerdem muss der Zugang zu Algorithmen berücksichtigt werden, in die Nutzerdaten einfließen, um Produkte, Angebote, Werbung und Preise zu personalisieren. Hierbei sind die Grundrechte der Betroffenen zu achten.

    3.3.   Wettbewerbspolitik zur Unterstützung der Ziele der EU in Bezug auf Energiequellen mit geringen CO2-Emissionen und Umwelt

    3.3.1.

    Der EWSA stimmt mit der Kommission in deren Ziel überein, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union durch Nachhaltigkeit und die Umstellung auf eine sichere, klimaneutrale und ressourcenschonendere Wirtschaft sowie durch Förderung und Stärkung der Kreislaufwirtschaft zu sichern.

    3.3.2.

    Der EWSA fordert, den Grünen Deal als wichtige europäische Vereinbarung für das Ziel von null Treibhausgasemissionen bis 2050 zu stärken. Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Sozialpartner kann in diesem Zusammenhang entscheidend sein. Eine „Eignungsprüfung“ der Umweltrichtlinien wäre hier zweckmäßig, wenn die Zusagen der EU eingehalten werden sollen.

    3.3.3.

    Im Zusammenhang mit dem System des Handels mit Treibhausgasemissionen nach 2012 (Emissionshandelsrichtlinien) bevorzugt der EWSA die Förderung staatlicher Beihilfemaßnahmen. Er unterstützt die Überprüfung des Systems staatlicher Beihilfen und dessen Anpassung an das neue EU-Emissionshandelssystem für 2021-2030, in das viel Hoffnung gesetzt wird.

    3.3.4.

    Der EWSA plädiert dafür, Anstrengungen für die Umsetzung des „Null-Schadstoff-Grundsatzes“ in der EU zu unternehmen und alle geplanten Energieeffizienzmaßnahmen anzunehmen und umzusetzen. In der EU müssen nachhaltige Investitionen gefördert werden. Zu diesem Zweck sollten die Kriterien für die Entscheidung, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit als ökologisch nachhaltig gilt, so bald wie möglich zur Bestimmung des Grads der ökologischen Nachhaltigkeit von Investitionen (4) angewandt werden.

    3.3.5.

    Wie in früheren Stellungnahmen ausgeführt, betrachtet es der EWSA als notwendig, die Einführung erneuerbarer Energien zu unterstützen. Bei garantierter Versorgungssicherheit sollten staatliche Beihilfen zur Förderung erneuerbarer Energien vergeben und so der ökologische, soziale und wirtschaftliche Nutzen öffentlicher Mittel optimiert werden.

    3.4.   Schutz des Wettbewerbs in der verarbeitenden Industrie

    3.4.1.

    Durch die COVID-19-Pandemie wurden die Schwächen des Systems der verarbeitenden Industrie in der EU offenbar, insbesondere im Gesundheitsbereich, in dem die EU bei medizinischer Ausrüstung einschließlich persönlicher Schutzausrüstung wie etwa Masken sowie bei Beatmungstechnik und sonstigen für die Pandemiebekämpfung wichtigen Produkten auf Bezugsquellen außerhalb der EU angewiesen ist. Die EU braucht eine starke verarbeitende Industrie, damit der Binnenmarkt durch europäische Unternehmen versorgt wird, insbesondere in wichtigen Branchen. Der EWSA unterstützt die von der Kommission ergriffenen koordinierten Maßnahmen. Die EU sollte aber hier noch weiter gehen und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten eine dauerhafte Lösung für dieses Problem vorschlagen. Die befristeten Maßnahmen in Bezug auf die Versorgung mit bestimmten Produkten aus Drittlandsmärkten müssen durch eine dauerhafte Lösung ersetzt werden, insbesondere in Bezug auf die Einfuhr lebenswichtiger medizinischer Ausrüstung. Eine starke und robuste verarbeitende Industrie sollte einer der Stützpfeiler der Wettbewerbspolitik sein.

    3.4.2.

    Im Interesse gleicher Wettbewerbsbedingungen fordert der EWSA, dass Unternehmen aus Drittstaaten im Wettbewerb die gleichen Sozial- und Umweltnormen einzuhalten haben.

    3.5.   Gleiche Bedingungen im Steuerbereich

    3.5.1.

    Der EWSA begrüßt die von der Kommission 2019 im Steuerbereich ergriffenen Maßnahmen. Zugleich ist es wichtig, dass auch in diesem Bereich ein fairer Wettbewerb zwischen den verschiedenen Ländern sichergestellt wird. Notwendig ist eine verstärkte Überwachung insbesondere im Hinblick auf die Frage der Steuervorbescheide sowie hinsichtlich der unlauteren Wettbewerbsvorteile, die durch Vereinbarungen einiger Länder mit großen Marktteilnehmern erzielt werden. Diese Praktiken können den freien Markt verzerren, schaden den KMU und führen überdies zu einem unlauteren Wettbewerb zwischen den Ländern (5).

    3.5.2.

    Die Regulierung digitaler Dienste ist ein zentrales Thema, auf das sich die Kommission konzentrieren sollte.

    3.5.3.

    Es ist erforderlich, hinsichtlich der GAFA-Unternehmen einen neuen Ansatz zu verfolgen, um für gleiche Bedingungen für alle sowie eine gerechte Verteilung der von diesen Unternehmen generierten Steuereinnahmen zu sorgen.

    3.6.   Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors im Kontext der Bankenunion

    Die Finanzkrise von 2008 und ihre Auswirkungen auf die Realwirtschaft und das Vertrauen der Märkte haben dazu geführt, dass der Bankensektor aus berechtigter Sorge vor neuen schwerwiegenden Problemen ständig genauestens beobachtet wird. Der Finanzsektor wurde durch zeitlich befristete staatliche Beihilfen vor dem Zusammenbruch gerettet. Im Zuge der Umstrukturierung des Sektors sind einige Institute von der Bildfläche verschwunden, es kam aber auch zu Konzentrationen, die nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Stabilität des Finanzsektors gegenüber ähnlichen Krisen bedenklich sein könnten, sondern auch im Hinblick auf mögliche Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der Größe dieser neuen Konzerne. Der EWSA fordert die Kommission auf, in Bezug auf mögliche Fälle des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aufmerksam und wachsam zu bleiben, da diese den Interessen der Verbraucher und der Finanzierung der Unternehmen, insbesondere der KMU, schaden können.

    3.7.   Fairer Wettbewerb bei Ernährung, Verbraucherschutz und Gesundheit

    3.7.1.

    Im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittel ist es wichtig, Erzeugnisse mit einer europäischen Ursprungsbezeichnung zu schützen. Die Bereiche Saatgut und Pflanzenschutzmittel sind von grundlegender Bedeutung für Landwirte und Verbraucher, doch sie verursachen auch Bedenken, die über den Schutz der Verbraucher, die Lebensmittelsicherheit und die Gewährleistung der Einhaltung der Umwelt- und Klimaschutzvorschriften hinausgehen.

    3.7.2.

    Der Verbraucherschutz muss in einem ausgewogenen Verhältnis zur Unterstützung und Förderung innovativer Unternehmen und KMU stehen, und zwar so, dass der dynamische Wettbewerb auf dem Markt nicht beeinträchtigt wird. Dadurch können am besten hochwertige Beschäftigung geschaffen und die dynamische Nachhaltigkeit des Produktionssystems erreicht werden.

    3.8.   Verkehrs- und Postdienste

    Der EWSA stellt fest, wie wichtig Verkehrs- und Postdienstleistungen sind und dass gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden müssen, damit diese die Gemeinschaft unterstützen können. Im Hinblick auf das Thema Verkehr wird der Kommission nahegelegt, zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kerosinsteuerbefreiung eine unrechtmäßige Beihilfe für die Fluggesellschaften gegenüber dem Eisenbahnverkehr darstellt.

    4.   Mit vereinten Kräften eine globale Wettbewerbskultur fördern

    4.1.

    Der internationalen Dimension der Wettbewerbspolitik sollte beim Erstellen und Durchsetzen dieser Regeln eine Schlüsselrolle zukommen. Die Wettbewerbspolitik entwickelt sich in einem internationalen Umfeld, in dem die Definitionen und Grundsätze des Wettbewerbsrechts sehr vielfältig sind, was einen Nachteil für EU-Unternehmen darstellt.

    4.2.

    Viele KMU leiden darunter, dass die EU-Regeln im Vergleich zu denen ihrer internationalen Wettbewerber ungeeignet sind. Das Problem des unlauteren Wettbewerbs muss angegangen werden, um die EU-Standards zu verteidigen. Es gibt viele Beschwerden von Unternehmen in Europa (mangelnde Flexibilität). In einigen Bereichen des verarbeitenden Gewerbes in Drittländern führt die mangelnde Anwendung der europäischen Umwelt- und Sozialstandards zu Marktverzerrungen zum Nachteil europäischer Unternehmen, vor allem der KMU. Hierüber sollte man sich in Europa Sorgen machen.

    4.3.

    Für das Wettbewerbsmodell der EU muss international geworben werden. Die EU muss in Bezug auf eine globale Wettbewerbskultur mit einem System, in dem sowohl Unternehmen als auch Arbeitskräfte geschützt werden, vorangehen. Wir brauchen eine umfassende Diskussion über die Grundsätze des Wettbewerbsrechts in Europa im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen, insbesondere den USA und China, etwa mit Blick auf Nachhaltigkeit und Umweltfragen.

    4.4.

    Um für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Marktfreiheit und Unternehmenszusammenschlüssen zu sorgen, genügt es nicht, auf den Wettbewerbsdruck durch andere große globale Akteure hinzuweisen, insbesondere dann nicht, wenn diese aus Ländern kommen, die dem Wettbewerb durch ausländische Unternehmen verschlossen sind. Der EWSA betont, wie wichtig ein kohärenter Ansatz auf EU-Ebene ist, um die Achtung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte, die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele sowie die Förderung von Umweltstandards und nachhaltigen Investitionen in Geschäftstätigkeiten weltweit miteinander zu verknüpfen. Die Präferenzregelungen für Handel und Zoll, die verschiedenen Drittländern gewährt wurden, sollten überprüft und stärker von der wirksamen Umsetzung von Standards in Bezug auf nachhaltige Entwicklung abhängig gemacht werden, so dass die europäischen Unternehmen unter fairen Wettbewerbsbedingungen agieren können. Der EWSA schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass anstelle von Unternehmensfusionen, die den Wettbewerb schwächen, Maßnahmen ergriffen werden, die Unternehmen bei nachhaltigen Investitionen in Drittmärkten unterstützen. Zu diesen Maßnahmen könnten steuerliche Anreize für FuE und die Förderung von Vereinbarungen zwischen europäischen Produzenten zur Koordinierung von Export- und Investitionsstrategien im Ausland im Einklang mit den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Standards der EU gehören.

    Brüssel, den 27. Januar 2021

    Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Christa SCHWENG


    (1)  Artikel 7, 9, 11 und 12 AEUV.

    (2)  ABl. L 186 vom 11.7.2019, S. 57.

    (3)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 173.

    (4)  ABl. L 198 vom 22.6.2020, S. 13.

    (5)  ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 62.


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