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Document 52019AE1578

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“(COM(2019) 151 final)

EESC 2019/01578

ABl. C 282 vom 20.8.2019, p. 32–38 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

20.8.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 282/32


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen Beschluss des Rates zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten“

(COM(2019) 151 final)

(2019/C 282/06)

Berichterstatterin: Ana BONTEA

Befassung

Rat der Europäischen Union, 12.3.2019

Rechtsgrundlage

Artikel 148 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

5.6.2019

Verabschiedung auf der Plenartagung

20.6.2019

Plenartagung Nr.

544

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

211/3/10

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bekräftigt seine früheren Feststellungen und Empfehlungen zu den Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten, damit sie sinnvoll genutzt werden (1).

1.2.

Der EWSA begrüßt die europäischen und einzelstaatlichen Maßnahmen, die zu Fortschritten im Bereich der Beschäftigung geführt haben, und empfiehlt, sie beizubehalten und weiterzuentwickeln, um die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit, qualifizierte, gut ausgebildete, anpassungsfähige und somit besser auf die Entwicklungen insbesondere im Bereich der Technologie vorbereitete Arbeitskräfte, Arbeitsmärkte, die auf den wirtschaftlichen Wandel reagieren können, die Verwirklichung der Ziele Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt, die Verringerung der Ungleichheiten sowie die Förderung der Chancengleichheit für alle, der sozialen Inklusion und der Armutsbekämpfung zu gewährleisten und so die regionalen Unterschiede bei den Lebens- und Arbeitsbedingungen zu beseitigen sowie die Funktionsweise des Arbeitsmarktes und die Wirksamkeit des sozialen Dialogs zu verbessern.

1.3.

Der EWSA bekräftigt, dass bei der Konzipierung von Maßnahmen zur Regulierung des Arbeitsmarkts und der sozialen Rechte die eng miteinander verwobenen Aspekte Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und soziale Nachhaltigkeit/Arbeitnehmerrechte in Einklang gebracht werden müssen. Sämtliche Maßnahmen der europäischen, einzelstaatlichen und lokalen Einrichtungen sollten einem angemessenen Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit Rechnung tragen.

1.4.

Es bedarf Strukturmaßnahmen und -reformen, welche die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, die Förderung eines verantwortungsvollen Unternehmertums sowie die Entwicklung der KMU und Sozialunternehmen erleichtern.

1.5.

Der EWSA betont, wie wichtig es ist, eine inklusive, gerechte und hochwertige technische, berufliche und tertiäre Bildung einschließlich der Hochschulbildung sicherzustellen, ein hohes Niveau an einschlägigen Kompetenzen und Kenntnissen in den Bereichen Beschäftigung, menschenwürdige Arbeitsplätze und Unternehmertum zu gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle zu fördern.

1.6.

Ein gut funktionierender sozialer Dialog ist von wesentlicher Bedeutung für die Verbesserung der Gestaltung, der Umsetzung, aber auch der Weiterverfolgung der Reformen (2).

1.7.

Der EWSA bekräftigt seine früheren Empfehlungen, die Anstrengungen zur Beseitigung der Unterschiede fortzusetzen, da die Aufwärtskonvergenz ein Querschnittsprinzip ist, das in allen Politikbereichen der Union berücksichtigt und dort verankert werden muss.

1.8.

Der EWSA bekräftigt seine Feststellungen und Empfehlungen zur europäischen Säule sozialer Rechte (3).

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

In dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates ist die Beibehaltung der vier im Anhang zu dem Beschluss 2018/1215/EU (4) enthaltenen Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Jahr 2019 vorgesehen.

2.2.

In seinen früheren Stellungnahmen (5) hat der EWSA Feststellungen und Empfehlungen zu den Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten formuliert, die er im Rahmen dieser Stellungnahme bekräftigt, damit sie sinnvoll genutzt werden.

2.3.

Der EWSA begrüßt die Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene, die Fortschritte ermöglicht haben (6) ‘ und empfiehlt ihre Fortsetzung und Weiterentwicklung, wobei darauf zu achten ist, dass die Qualität der Beschäftigung fortwährend verbessert und Ungleichheiten verringert werden — es bestehen nämlich nach wie vor Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten, den Regionen und den verschiedenen Personengruppen auf dem Arbeitsmarkt, und das Wachstum kommt nicht allen Ländern, Regionen und Bürgern gleichermaßen zugute, denn in einigen Staaten werden nach wie vor hohe Arbeitslosenquoten verzeichnet, wobei das Realeinkommen der Haushalte unter dem Niveau vor der Krise liegt und die Armutsquoten hoch sind.

2.4.

Bis 2020 müssen sich die Mitgliedstaaten und die Union in Absprache mit den Sozialpartnern um die Entwicklung einer neuen koordinierten Beschäftigungsstrategie bemühen, die insbesondere die Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit, qualifizierte, gut ausgebildete und somit besser auf die — vor allem technologischen — Entwicklungen vorbereitete Arbeitskräfte, Arbeitsmärkte, die rasch auf den wirtschaftlichen Wandel reagieren können, die Verwirklichung der Ziele Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt, die Verringerung der Ungleichheiten sowie eine bessere Funktionsweise des Arbeitsmarktes und einen wirksameren sozialen Dialog gewährleistet.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften und der Investitionen

3.1.1.

Wie in den Länderberichten 2019 hervorgehoben wird, bestehen in allen Mitgliedstaaten Investitionshindernisse in einzelnen Politikbereichen. Beispiele hierfür sind der Verwaltungs- und Regelungsaufwand, die mangelnde Vorhersehbarkeit des Rechtsrahmens, die begrenzte Wirksamkeit der Justizsysteme und die Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung (7) (Reformen und Investitionen erfordern ausreichende administrative und technische Kapazitäten der Mitgliedstaaten, damit sie die erwarteten Ergebnisse erzielen können), die umständlichen und langwierigen Genehmigungsverfahren sowie insbesondere der Fachkräftemangel aufgrund der Schwächen in den Systemen der allgemeinen und beruflichen Bildung. Qualifikationsdefizite werden in mehreren Länderberichten als Faktor genannt, der Investitionen behindert bzw. verzögert. Trotz der jüngsten Bemühungen und Fortschritte (8) in Bezug auf bestimmte Mängel des Finanzsystems muss auf die verbleibenden Schwierigkeiten hingewiesen werden, auf die Unternehmen und insbesondere KMU beim Zugang zu Finanzmitteln für Investitionen (9) stoßen. All diese Schwachstellen mit relevanten grenzüberschreitenden Auswirkungen erfordern angemessene Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene‘ damit die Union und ihre Mitgliedstaaten wieder ihr jeweiliges Investitionsniveau von vor der Krise erreichen und die in der Strategie Europa 2020 für Unternehmen festgelegten Ziele in Bezug auf FuE und betriebliche Weiterbildung der Arbeitnehmer verwirklicht werden können.

3.1.2.

Es bedarf gezielterer Investitionsmaßnahmen in Verbindung mit einer Reihe gut durchdachter Strukturreformen, welche die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, die Förderung eines verantwortungsvollen Unternehmertums und echter selbständiger Tätigkeit sowie die Unterstützung der Gründung und des Wachstums von KMU und Sozialunternehmen erleichtern.

3.1.3.

Erforderlich sind eine integrative, kohärente und KMU-freundliche bereichsübergreifende europäische Politik sowie der Übergang vom Prinzip „Vorfahrt für KMU“ (Think small first) zu dem Ansatz „Vorrangiges Handeln für KMU“ (Act small first). Der EWSA bekräftigt seine früheren Empfehlungen (10), darunter auch jene zur Einführung eines Indikators zur Bewertung der Unternehmerfreundlichkeit des Wirtschaftsumfelds.

3.1.4.

Angesichts der demografischen Entwicklung sind Produktivitätssteigerungen von entscheidender Bedeutung für ein zukünftiges nachhaltiges Wirtschaftswachstum in allen Mitgliedstaaten. Die größte Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger und die Sozialpartner besteht darin, die Produktivität in Europa durch gezieltere Investitionen in Sach- und Humankapital, durch die Nutzung technologischer Fortschritte in der Industrie und im Dienstleistungssektor sowie durch eine Ausweitung der produktiven Investitionen in Innovation, Forschung und Entwicklung, in wachstumssichernde Projekte sowie in physische und soziale Infrastrukturen wie IKT-Netze und Betreuungseinrichtungen zu steigern (11). Es sind größere Anstrengungen erforderlich, um in die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze zu investieren und prekäre Arbeitsverhältnisse zu bekämpfen, da dadurch auch die Produktivität beeinträchtigt wird.“

3.2.   Verbesserung des Zugangs zu Beschäftigung, zu Kompetenzen und zu Qualifikationen (12)

3.2.1.

Besonderen Anlass zu Sorge gibt im Jahr 2019 das sich bestätigende Missverhältnis zwischen strukturellen Qualifikationen und Arbeitsmarkterfordernissen, aufgrund dessen Unternehmen aus der EU zunehmend Schwierigkeiten bei der Einstellung von Arbeitskräften haben. Dies ist auf den Mangel an relevanten Qualifikationen in der EU zurückzuführen, der die Produktionskapazität noch zusätzlich unter Druck bringt. Fachkräftemangel besteht nicht nur in Ländern mit hoher Beschäftigungs-, sondern auch in Ländern mit hoher Arbeitslosenrate, wobei er in bestimmten Branchen besonders akut ist: Baugewerbe, IKT-Dienstleistungen, Ingenieur- und Finanzdienstleistungen (13). Für eine Besserung dieser Situation sind effektivere Maßnahmen erforderlich, wobei die Priorität auf Reformen der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung in den meisten Ländern sowie auf der Förderung eines ergebnisorientierten Ansatzes in der Hochschulbildung liegen sollte.

3.2.2.

Vorrang haben die Gewährleistung von Gleichberechtigung und Chancengleichheit, eines gleichberechtigten Zugangs zu hochwertiger Bildung und zu einem hohen Niveau an Kompetenzen und Kenntnissen sowie die gerechte Verteilung der Lernergebnisse.

3.2.3.

Angesichts der Herausforderungen bei der Integration von Migranten und Flüchtlingen, des Rechtsextremismus und des nationalistischen Populismus sollten Bildungseinrichtungen und Lehrkräfte die Unterstützung, den Raum und die Instrumente erhalten, die erforderlich sind, um die Werte der Demokratie, des aktiven Bürgersinns, des kritischen Denkens, der Toleranz und des Friedens zu integrieren.

3.2.4.

Gut funktionierende und auf die duale Ausbildung gestützte Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung tragen zu einem Anstieg der Erwerbstätigkeit junger Menschen bei.

3.2.5.

Zur Gewährleistung einer umfassenden digitalen Kompetenz aller Lehrkräfte und Schüler sowie aller Bürger, auch der Randgruppen, müssen angemessene öffentliche Mittel, modernste Ausrüstung und die Einstellung kompetenter Fachkräfte sichergestellt werden.

3.2.6.

Die Behebung des Fachkräftemangels ist eine mehrdimensionale Aufgabe, für die erhebliche Anstrengungen unternommen werden müssen. Es gilt, Kreativität, Unternehmergeist und Mobilität in der allgemeinen und beruflichen Bildung auf allen Ebenen sowie das lebenslange Lernen und die Knüpfung engerer Verbindungen zwischen Unternehmen und Bildungsanbietern zu fördern. Hierbei kommt auch den Sozialpartnern eine wichtige Rolle zu.

3.2.7.

Neben dem Zugang zu hochwertiger allgemeiner und beruflicher Bildung benötigen Menschen mit Behinderungen und andere Bevölkerungsgruppen, die mit Nachteilen konfrontiert sind, gezielte Maßnahmen und Unterstützung, um ihren Zugang zum Arbeitsmarkt zu verbessern.

3.3.   Verbesserung der Wirksamkeit des sozialen Dialogs auf nationaler und europäischer Ebene (14)

3.3.1.

Ein gut funktionierender sozialer Dialog ist von entscheidender Bedeutung für die Erreichung der vorgenannten Ziele — soziale Aufwärtskonvergenz, Zugang zu hochwertiger Beschäftigung, Qualifikationen und Kompetenzen — sowie für eine bessere Ausgestaltung und Umsetzung von sich aus diesen Zielen ergebenden Reformen zur Stärkung der Eigenverantwortung.

3.3.2.

Die rechtzeitige und sinnvolle Einbeziehung der Sozialpartner in das gesamte Europäische Semester ist ausschlaggebend für eine bessere Einbindung in die Politikgestaltung und trägt gleichzeitig zur erfolgreichen Umsetzung der Maßnahmen bei, indem für einen Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gesorgt wird. Die Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern kann wichtige Impulse für eine erfolgreiche, nachhaltige und integrative Wirtschaftspolitik sowie für Beschäftigung und soziale Inklusion sein.

3.3.3.

Die Sozialpartner sind in der Lage, innovative Lösungen zu finden, um die gesellschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Entwicklungen, den demografischen Wandel, die Digitalisierung und die Auswirkungen der Globalisierung zu bewältigen. Der Rechtsrahmen auf nationaler und europäischer Ebene sollte einen Raum für Innovationen auf Unternehmens-, Branchen- und nationaler Ebene gewährleisten, um die Entwicklung der Sozialpartner zu fördern. Der Europäische Sozialfonds (ESF) spielt eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Ausbaus der Kapazitäten der Sozialpartner, wie die vierseitige Erklärung „Ein Neubeginn für den Sozialen Dialog“ (2016) zeigt, und der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Umsetzung der Empfehlungen der Sozialpartner sicherzustellen (15).

3.3.4.

Die Beteiligung der Sozialpartner am Europäischen Semester erfordert auch eine zusätzliche Unterstützung für den Kapazitätsaufbau, um zu den verschiedenen Phasen des Prozesses — einschließlich der Durchführung von Reformen — beitragen zu können. In einigen Ländern ist es zudem wichtig, die Kapazitäten der Sozialpartner zu stärken, damit die Ergebnisse des europäischen sozialen Dialogs umgesetzt werden können.

3.3.5.

Wie in den Länderberichten 2019 hervorgehoben wird, steht die positive Entwicklung in einigen Mitgliedstaaten im Gegensatz zu den Rückschritten in anderen Mitgliedstaaten. So ging in einigen Mitgliedstaaten die Beteiligung der Sozialpartner auf nationaler Ebene zurück. Die Anhörung der Sozialpartner sollte obligatorisch sein.

3.3.6.

Der soziale Dialog sollte bei der Gestaltung, Umsetzung und Überwachung der Reformen eine größere Rolle spielen. Die sozialpartnerschaftlichen Vereinbarungen zur Ermittlung dringender Probleme und politischer Faktoren für Verbesserungen der Arbeitsmärkte müssen ebenso berücksichtigt werden wie die Länderberichte und das sozialpolitische Scoreboard.

3.4.   Förderung von Chancengleichheit für alle und sozialer Inklusion sowie Armutsbekämpfung (16)

3.4.1.

Der EWSA bekräftigt, dass bei der Konzipierung von Maßnahmen zur Regulierung des Arbeitsmarkts und der sozialen Rechte die eng miteinander verwobenen Aspekte Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und soziale Nachhaltigkeit/Arbeitnehmerrechte in Einklang gebracht werden müssen. Alle Akteure müssen sich für ein integratives Wachstum und gleichzeitig für die Schaffung günstiger Bedingungen für Unternehmen einsetzen, mit dem Ziel, mehr und bessere Arbeitsplätze zu schaffen. Eine gerechtere Gesellschaft kann nur dann entstehen, wenn für Wirtschaftswachstum gesorgt wird und inklusivere und nachhaltigere Arbeitsplätze geschaffen werden, die den Bürgerinnen und Bürgern menschenwürdige Arbeitsbedingungen, angemessene Gehälter und Renten sichern und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihre Rechte wahrzunehmen.

3.4.2.

Trotz der wirtschaftlichen Erholung in ganz Europa bestehen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, Regionen und Bevölkerungsgruppen. Das Wachstum in Europa kommt nicht allen Ländern, Regionen und Menschen in gleichem Maße zugute. So werden in einigen Mitgliedstaaten nach wie vor hohe Arbeitslosen- und Armutsquoten verzeichnet, und die realen Haushaltseinkommen liegen immer noch unter dem Vorkrisenniveau. Die regionalen Unterschiede sind nach wie vor erheblich und nehmen in einigen Mitgliedstaaten zu.

3.4.3.

Die länderspezifischen Empfehlungen (17) können eine Schlüsselrolle für die Steigerung der Wirksamkeit der beschäftigungspolitischen Leitlinien und der europäischen Säule sozialer Rechte spielen; dies bietet eine wichtige Gelegenheit, nationale Maßnahmen im Einklang mit den Leitlinien und den Grundsätzen der Säule zu gestalten, um gemeinsame Ergebnisse zu erzielen. Sie sollten darauf abzielen, diese Unterschiede zu verringern und die für diesen Zweck vorgesehenen Mittel aufzustocken und einzusetzen.

3.4.4.

In manchen Mitgliedstaaten ist die Arbeitslosenquote noch nicht auf ihr früheres Niveau zurückgegangen und liegt weiterhin bei über 10 %. Die Lage der jungen Menschen ist in mehreren Ländern nach wie vor problematisch: Der hohe Anteil junger Menschen, die sich weder in Beschäftigung noch in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung befinden, gibt Anlass zur Sorge, was die derzeitige und künftige Beschäftigungsfähigkeit dieser Jugendlichen betrifft (18). Andere Mitgliedstaaten verzeichnen dagegen einen zunehmenden Arbeitskräftemangel, wodurch das weitere Wachstum gebremst wird.

3.4.5.

Insgesamt bestehen trotz steigender Beschäftigungsquoten bei Frauen nach wie vor geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Beschäftigungsquote, was ein Lohngefälle nach sich zieht (19). Vor allem Geringqualifizierte und Menschen mit Migrationshintergrund haben Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden (20). Auch Menschen mit Behinderungen sind immer noch benachteiligt (21). Darüber hinaus gibt es in vielen Mitgliedstaaten große regionale Unterschiede, was die Teilhabe am Arbeitsmarkt angeht. Der demografische Wandel und die technologischen Entwicklungen verändern die europäischen Arbeitsmärkte. Diese Probleme müssen durch legislative und administrative Maßnahmen und die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Institutionen und den Sozialpartnern angegangen werden.

3.5.   Die europäische Säule sozialer Rechte

3.5.1.

Die europäische Säule sozialer Rechte bildet eine wesentliche Grundlage für die Verbesserung der Lohn- und Arbeitsbedingungen und der Sozialschutzsysteme in Europa. Sie ist unter anderem essenziell für die Garantie der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben und für die Verbesserung der Sozialstandards sowie der Konvergenz zwischen den EU-Mitgliedstaaten — hierzu zählen auch Tarifverhandlungen und der Zugang zu Sozialleistungen. In Bezug auf die europäische Säule sozialer Rechte bekräftigt der EWSA seine Feststellungen und Empfehlungen aus früheren Stellungnahmen (22).

3.5.2.

In den Länderberichten 2019 wird besonders darauf geachtet, welche Ergebnisse die Mitgliedstaaten bei den verschiedenen Aspekten der europäischen Säule sozialer Rechte erzielen. Die Umsetzung der Säule gibt die Richtung für die Verwirklichung eines inklusiven, fairen und nachhaltigen Wachstums vor.

3.5.3.

Die Zukunft des Arbeitsmarkts sollte eine Schlüsselpriorität in den Debatten über die Säule sozialer Rechte sein, in denen es um die wichtigsten Veränderungen in diesem Bereich gehen wird, und es bedarf einer kohärenten europäischen Beschäftigungsstrategie, die folgende Themen umfasst:

Investitionen und Innovation

Beschäftigung und Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze

faire Arbeitsbedingungen für alle

faire und reibungslose Übergänge, gefördert durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik

Einbeziehung aller Interessenträger, insbesondere der Sozialpartner.

3.5.4.

Alle Interessenträger müssen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Zukunft der Arbeit gerecht und inklusiv ist, Arbeitsplätze für alle bietet und für sozialen Fortschritt, qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte mit einem angemessenen Einkommen und einen Zugang zu hochwertiger Beschäftigung sorgt.

3.5.5.

Diese Fortschritte müssen finanziert werden: Eine wirksame Umsetzung der Säule in den Mitgliedstaaten wird nur möglich sein, wenn sie über ausreichende finanzielle Mittel für Investitionen in eine Sozialpolitik verfügen, die auf die Umsetzung der Rechte und Grundsätze in den einzelnen politischen Initiativen abzielt. Hierfür müssen Mechanismen wie der Europäische Sozialfonds und der Europäische Fonds für strategische Investitionen genutzt werden.

3.6.   EU-Fonds (23)

3.6.1.

Der EWSA begrüßt die im Entwurf der ESF+-Verordnung vorgesehene stärkere Verknüpfung zwischen dem ESF und dem Europäischen Semester, insbesondere die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen.

3.6.2.

In einigen Mitgliedstaaten machen EU-Mittel einen entscheidenden Teil der öffentlichen Investitionen aus. Ein gezielterer Einsatz von EU-Mitteln entsprechend der Analyse und den Empfehlungen des Europäischen Semesters sollte zu besseren Ergebnissen und einer stärkeren Wirksamkeit der kohäsionspolitischen Mittel führen.

3.6.3.

Dem Europäischem Fonds für strategische Investitionen und den Europäischen Struktur- und Investitionsfonds sollte eine entscheidende Rolle bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und Wirtschaftswachstum und der Förderung des territorialen und sozialen Zusammenhalts zukommen, doch müssen diese Mittel wirksamer und effizienter eingesetzt werden, und langfristige Investitionen der EU in hochwertige soziale Infrastrukturen und Dienstleistungen, u. a. durch den Europäischen Fonds für strategische Investitionen und die Europäische Investitionsbank, müssen vorrangig sein.

3.7.   Digitalisierung

3.7.1.

Der EWSA hat sich in zahlreichen Stellungnahmen (24) mit dem Phänomen der Digitalisierung und ihren Auswirkungen auf die Organisation der Arbeit und auf die Beschäftigung befasst.

3.7.2.

Durch die Entwicklungen in Bereichen wie Genetik, künstliche Intelligenz, Robotik, Nanotechnologie, 3D-Druck und Biotechnologie wird die vierte industrielle Revolution die Art und Weise, wie wir konsumieren, produzieren und arbeiten, erheblich verändern. Dies wird auch große Herausforderungen mit sich bringen, die eine proaktive Anpassung seitens der Unternehmen, Behörden und Bürger erfordert. Parallel zur technologischen Revolution verstärken sich die Auswirkungen einer Reihe sozioökonomischer, geopolitischer und demografischer Faktoren im Zusammenhang mit diesen Veränderungen, da sie jeweils in mehrere Richtungen wirken und sich gegenseitig verstärken. Im Zuge der Anpassung der gesamten Industrie werden sich die meisten Berufsbilder grundlegend verändern.

3.7.3.

Während einige Arbeitsplätze überflüssig werden und andere Berufe wiederum einen starken Aufschwung erleben könnten, müssen in den bestehenden Beschäftigungsverhältnissen die notwendigen Kompetenzen erworben werden. Spezifische Maßnahmen sind erforderlich, um Qualifikationsdefizite, Massenarbeitslosigkeit und zunehmende Ungleichheiten zu beheben, die eine Umschulung und Verbesserung der Qualifikationen, einen proaktiven Ansatz für lebenslanges Lernen, Anreize und entsprechende Einrichtungen sowie branchenübergreifende Partnerschaften erfordern.

3.7.4.

Dank eines besseren Verständnisses des Wandels der Arbeitswelt insgesamt und der Beschäftigungsverhältnisse im digitalen Zeitalter sollte es möglich sein, die Beschäftigungspolitik der EU wirksamer zu gestalten.

3.7.5.

Lebenslanges Lernen, Umschulungen und Weiterqualifizierung sollten Vorrang haben, um sicherzustellen, dass alle Menschen in dem globalisierten und hochtechnisierten Arbeitsumfeld einen Arbeitsplatz finden und Zugang zu Informationen und teilweise essenziellen Dienstleistungen erhalten.

3.7.6.

Im digitalen Zeitalter muss gewährleistet sein, dass alle Risikogruppen Zugang zum Internet und zu Schulungen in digitalen Kompetenzen haben, ihre Rechte wahrnehmen und insbesondere jene sozialen Dienste in Anspruch nehmen können, die von grundlegender Bedeutung sind.

3.7.7.

Die neuen Ungleichheiten und sozialen Risiken im digitalen Zeitalter ergeben sich möglicherweise auch aus dem Phänomen der digitalen Ausgrenzung, denn einige Bevölkerungsgruppen verfügen nicht über die notwendigen IT-Kompetenzen und grundlegenden Kenntnisse im digitalen Bereich, um auf zum Teil unabdingbare Informationen und Dienste zugreifen zu können.

Brüssel, den 20. Juni 2019

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 57.

(2)  ABl. C 159 vom 10.5.2019, S. 1; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30.

(3)  ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 1; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145; ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10.

(4)  Beschluss 2018/1215/EU des Rates vom 16. Juli 2018 zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (ABl. L 224 vom 5.9.2018, S. 4).

Ankurbelung der Nachfrage nach Arbeitskräften;

Verbesserung des Arbeitskräfteangebots und des Zugangs zu Beschäftigung, Fähigkeiten und Kompetenzen;

Verbesserung der Funktionsweise der Arbeitsmärkte und der Wirksamkeit des sozialen Dialogs;

Förderung von Chancengleichheit für alle, Förderung der sozialen Inklusion und Bekämpfung der Armut.

(5)  ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 68; ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 57.

(6)  Mitteilung COM(2019) 150 final : Die Europäische Union blickt zum siebten Mal in Folge auf ein Jahr des Wirtschaftswachstums zurück. Die anhaltende wirtschaftliche Erholung wirkt sich positiv auf die Arbeitsmärkte und den sozialen Fortschritt aus. Die Beschäftigungslage verbessert sich weiter — die Zahl der Erwerbstätigen belief sich im vierten Quartal 2018 auf 240 Mio., die Arbeitslosenquote erreichte 6,6 % und damit den Stand von 2000. Allein im Jahr 2017 konnten mehr als fünf Millionen Menschen Armut und soziale Ausgrenzung hinter sich lassen.

(7)  Siehe die Mitteilung COM(2019) 150 final (Anhang 4) sowie die Mitteilung COM(2019) 500 final.

(8)  Zugang zu Finanzierung für KMU und Unternehmen mit mittlerer Kapitalausstattung im Zeitraum 2014-2020: Chancen und Herausforderungen (Informationsbericht); ABl. C 345 vom 13.10.2017, S. 15; ABl. C 197 vom 8.6.2018, S. 1.

(9)  Siehe Fußnote 8.

(10)  COM(2019) 150 final .

(11)  Siehe Fußnote 10.

(12)  SOC/622 (in Erarbeitung); ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 136; SOC/5,7, ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 167; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 57; ABl. C 161 vom 6.6.2013, S. 67.

(13)  Siehe die vom EWSA in Auftrag gegebene Studie zum Thema „Skills mismatches“, 2018.

(14)  ABl. C 159 vom 10.5.2019, S. 1; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30.

(15)  Erklärung des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union, der Europäischen Kommission und der europäischen Sozialpartner zum Thema „Ein Neubeginn für den sozialen Dialog“, 2016 .

(16)  ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 15; ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 1; ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 135; SOC/620 (in Erarbeitung); ABL. C 228 vom 5.7.2019, S. 7.

(17)  Länderspezifische Empfehlungen.

(18)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 142.

(19)  SOC/610 (ABl. C 240 vom 16.7.2019, S. 3); ABl. C 110 vom 22.3.2018, S. 26; ABl. C 440 vom 6.12.2018, S. 37; ABl. C 262 vom 25.7.2018, S. 101; ABl. C 110 vom 22.3.2019, S. 20

(20)  Die Kosten für Nicht-Einwanderung und Nicht-Integration (Informationsbericht) ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 19; ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 46.

(21)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 15; ABl. C 367 vom 10.10.2018, S. 20; SOC/616 (in Erarbeitung).

(22)  ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10; ABl. C 81 vom 2.3.2018, S. 145; SOC/614 (in Erarbeitung).

(23)  ABl. C 62 vom 15.2.2019, S. 165.

(24)  ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 8; ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 7; ABl. C 237 vom 6.7.2018, S. 1; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 36; ABl. C 434 vom 15.12.2017, S. 30; ABl. C 173 vom 31.5.2017, S. 45; ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 54; ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161; ABl. C 128 vom 18.5.2010, S. 74; SOC/622 (in Erarbeitung).


ANHANG

Die folgende Ziffer der Stellungnahme der Fachgruppe wurde gemäß dem vom Plenum angenommenen Änderungsantrag geändert, obwohl ihre Beibehaltung in der ursprünglichen Fassung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 59 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

1.4.

Es bedarf Strukturmaßnahmen und -reformen, welche die Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze, die Förderung eines verantwortungsvollen Unternehmertums, die Entwicklung der KMU und Sozialunternehmen sowie die Abkehr von dem Prinzip „Vorfahrt für KMU“ (Think small first) hin zu dem Ansatz „Vorrangiges Handeln für KMU“ (Act small first) erleichtern.

Abstimmungsergebnis:

Ja-Stimmen

:

117

Nein-Stimmen

:

86

Enthaltungen

:

15


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