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Document 52017AE0856

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit“ (COM(2017) 11 final — 2017/0004 (COD))

ABl. C 288 vom 31.8.2017, p. 56–61 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

31.8.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 288/56


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2004/37/EG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Karzinogene oder Mutagene bei der Arbeit“

(COM(2017) 11 final — 2017/0004 (COD))

(2017/C 288/07)

Berichterstatterin:

Marjolijn BULK

Befassung

Europäisches Parlament, 19.1.2017

Rat, 16.2.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Plenums

24.1.2017

 

 

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

3.5.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

31.5.2017

Plenartagung Nr.

526

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

149/0/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Überarbeitung der Richtlinie über Karzinogene und möchte sich in diese wichtige Debatte einbringen.

1.2.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission zur Durchführung einer Folgenabschätzung zu einer möglichen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie über Karzinogene und Mutagene (KM-Richtlinie) auf fortpflanzungsgefährdende Stoffe auf.

1.3.

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, bei der Überarbeitung der KM-Richtlinie und den für 2018 geplanten Änderungen der arbeitsbedingten Exposition gegenüber karzinogenen Stoffen von Frauen mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

1.4.

Der EWSA hält es für wichtig, dass sich die Kommission mit der Verbesserung eines gemeinsamen Verfahrens für die Festlegung verbindlicher Arbeitsplatzgrenzwerte in der KM-Richtlinie beschäftigt, in Abstimmung mit den Sozialpartnern, den Mitgliedstaaten und anderen Interessenträgern.

1.5.

Verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte müssen auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und statistischer Nachweise festgelegt werden und unterschiedlichen Faktoren Rechnung tragen, wie etwa der Machbarkeit und den Möglichkeiten zur Messung der Expositionshöhen. In den Niederlanden und in Deutschland wird ein risikobasierter Ansatz verfolgt, mit dessen Hilfe verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte festgelegt werden können, bei denen der Risikograd als primäre Determinante für einen sozialen Kompromiss berücksichtigt wird.

1.6.

Der EWSA hält es für erforderlich, Programme aufzustellen, die im Rahmen der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit oder der nationalen Gesundheitssysteme allen Personen, die am Arbeitsplatz Karzinogenen ausgesetzt sind bzw. waren, eine lebenslange Gesundheitsüberwachung anbieten.

1.7.

Der EWSA betont, dass die Mitgliedstaaten für einen besseren Schutz der Arbeitnehmer vor krebserzeugenden, erbgutverändernden und fortpflanzungsgefährdenden Stoffen am Arbeitsplatz sicherstellen sollten, dass die Arbeitsaufsichtsbehörden für ihre Aufgaben finanziell und personell ausreichend ausgestattet sind.

1.8.

Der EWSA unterstützt den gemeinsamen Standpunkt der europäischen Sozialpartner und empfiehlt, einen verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert für Formaldehyd anzunehmen.

1.9.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, bei der Aufstellung einer rechtlichen Definition von Dieselmotorenabgasen die Erkenntnisse des SCOEL in Bezug auf Dieselabgase zu berücksichtigen.

2.   Hintergrund des Vorschlags

2.1.

Krebs ist die häufigste arbeitsbedingte Todesursache. Laut Schätzungen wurden im Jahr 2013 1,314 Millionen krebsbedingte Todesfälle in der EU verzeichnet. Über 100 000 Todesfälle in der EU sind auf arbeitsbedingte Krebserkrankungen zurückzuführen. Krebs ist die häufigste arbeitsbedingte Todesursache in der EU. Etwa 20 Millionen Arbeitnehmer in der EU sind Karzinogenen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Einer 2015 veröffentlichten Studie des niederländischen Staatlichen Instituts für Gesundheit und Umwelt (RIVM) (1) zufolge werden die jährlichen Kosten dieser arbeitsbedingten Krebserkrankungen auf 334 Mrd. Euro geschätzt.

2.2.

Rechtsvorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer befassen sich in mehreren Richtlinien mit arbeitsbedingten Krebserkrankungen. Die allgemeinen Verpflichtungen der Rahmenrichtlinie (2) aus dem Jahr 1989 gelten für alle Risiken und legen allgemeine Maßnahmen fest, die am Arbeitsplatz umgesetzt werden müssen. Die Richtlinie über chemische Arbeitsstoffe (3) gilt für alle gefährlichen Chemikalien. In der Asbest-Richtlinie (4) werden einige Besonderheiten in Bezug auf die Prävention asbestbedingter Erkrankungen berücksichtigt. Der wichtigste spezifische Rechtsakt ist die Richtlinie über Karzinogene aus dem Jahr 1990.

2.3.

In der KM-Richtlinie sind allgemeine Mindestanforderungen festgelegt. Die Arbeitgeber müssen die Risiken ermitteln und bewerten und die Exposition im Falle von Risiken vermeiden. Die Substitution durch ein nicht oder weniger gefährliches Verfahren bzw. einen nicht oder weniger gefährlichen chemischen Arbeitsstoff ist erforderlich, sofern dies technisch möglich ist. Ist die Substitution technisch nicht möglich, so müssen krebserzeugende chemische Stoffe, soweit dies technisch möglich ist, in einem geschlossenen System hergestellt und verwendet werden, um eine Exposition zu vermeiden. Ist dies technisch an sich nicht möglich, so ist die Exposition der Arbeitnehmer auf das geringste technisch mögliche Niveau zu senken.

2.4.

Zusätzlich zu diesen allgemeinen Mindestanforderungen werden in der KM-Richtlinie Arbeitsplatzgrenzwerte für bestimmte Karzinogene und Mutagene festgesetzt, die integraler Bestandteil des Mechanismus für den Schutz der Arbeitnehmer sind. Konkrete verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte für spezifische chemische Arbeitsstoffe sind in Anhang III der KM-Richtlinie aufgeführt. Derzeit werden in diesem Anhang solche Grenzwerte nur für drei durch Stoffe oder Verfahren bedingte Expositionen festgelegt. Diese verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerte erfassen nur einen kleinen Anteil der Arbeitnehmer, die KEF-Stoffen ausgesetzt sind.

2.5.

2016 kündigte die Europäische Kommission an, dass die KM-Richtlinie in drei Phasen überarbeitet werden würde. Im Mai 2016 nahm sie einen ersten Vorschlag an, der derzeit im Europäischen Parlament und im Ministerrat erörtert wird. Ein zweiter Vorschlag wurde im Januar 2017 angenommen, ein dritter ist für 2018 geplant.

2.6.

Die Überarbeitung der KM-Richtlinie ist ein kontinuierlicher Prozess. Mit dem ersten Vorschlag wurden zwei bestehende verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte überarbeitet und elf neue festgelegt. Im Ulvskog-Bericht (5) befürwortete das Europäische Parlament die Überarbeitung der KM-Richtlinie und forderte unter anderem eine Ausweitung ihres Anwendungsbereichs auf fortpflanzungsgefährdende Stoffe, die Einführung strengerer Arbeitsplatzgrenzwerte für sechs der Stoffe sowie die Festlegung eines Übergangsgrenzwerts, um den Arbeitgebern mehr Zeit für die Umsetzung zu geben. Das Europäische Parlament betonte ferner, dass bei der für 2017 und 2018 vorgesehenen Überarbeitung von Anhang III der Richtlinie 2004/37/EG unter anderem Stoffe, Gemische bzw. Verfahren wie Abgase von Dieselmotoren, Formaldehyd, Cadmium und Cadmiumverbindungen, Beryllium und Berylliumverbindungen, Nickelverbindungen, Arsen und Arsenverbindungen sowie Acrylnitril berücksichtigt werden sollten. Eine sehr große Mehrheit der Fraktionen unterstützte den vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Kompromiss.

2.7.

Mit dem zweiten Vorschlag sollen fünf neue verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte festgelegt werden. Zwar werden komplexe PAK-Gemische (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffgemische) und gebrauchte Motoröle im Anhang zur Festlegung des Anwendungsbereichs der Richtlinie aufgeführt, doch wurden für diese beiden Karzinogene keine Grenzwerte festgelegt. Ausgehend von ihrer eigenen Analyse hat die Kommission beschlossen, dass in dieser Phase bei fünf krebserzeugenden Stoffen kein Handlungsbedarf besteht (6).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der Anwendungsbereich der KM-Richtlinie beschränkt sich derzeit auf Karzinogene und Mutagene; eine mögliche Ausweitung auf fortpflanzungsgefährdende Stoffe sollte erwogen werden. Das EU-OSHA führt dazu aus: „Die Auswirkungen arbeitsbedingter Exposition auf das Reproduktionssystem von Männern und Frauen können sich in Änderungen des Geschlechtshormonspiegels, geringerer Libido und Potenz, Menstruationsstörungen, vorzeitigen Wechseljahren, verzögerter Menarche, Funktionsstörungen der Eierstöcke, schlechterer Spermienqualität sowie geringerer Fruchtbarkeit bei Männern und Frauen manifestieren. Die Schadstoffexposition kann unmittelbare Zellschäden im Sperma und in Eizellen verursachen. Die Exposition werdender Mütter während der Schwangerschaft kann die Entwicklung des Fötus beeinträchtigen (…). Die Schadstoffexposition kann viele weitreichende Folgen haben, z. B. Fruchttod, intrauterine Wachstumsverzögerungen, Frühgeburten, Geburtsschäden, Tod nach der Geburt, Störungen der kognitiven Entwicklung sowie Veränderungen der Empfindlichkeit des Immunsystems oder Krebs im Kindesalter. Wenn die Mutter am Arbeitsplatz Chemikalien ausgesetzt ist, kann dies auch eine Kontamination ihrer Muttermilch zur Folge haben. Einige Chemikalien mit hormoneller Wirkung, die sog. endokrinen Disruptoren, können die Funktion des endokrinen Systems verändern und somit die Fortpflanzungsfähigkeit schädigen, z. B. durch eine schlechtere Spermienqualität und beschädigtes Reproduktionsgewebe bei Männern und einige gynäkologische Erkrankungen bei Frauen.“

3.1.1.

Im Rahmen von REACH und verschiedenen spezifischen Rechtsvorschriften (zu kosmetischen Mitteln, Bioziden und Pestiziden) werden krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe in einer Dachgruppe mit besonders besorgniserregenden Stoffen behandelt. Sie weisen einige gemeinsame Merkmale auf, darunter ihre akuten Auswirkungen auf die Gesundheit, die Schwierigkeiten bei der Risikowahrnehmung, da sich die Folgen der Exposition oft erst nach einer langen Latenzzeit zeigen, das problematische Risikomanagement und Probleme im Zusammenhang mit sog. „Cocktaileffekten“, d. h. der Gefährdung durch zwei oder mehr verschiedene Stoffe oder Verfahren. In den nationalen Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten wurde ein solches Konzept mit der Unterstützung durch die Sozialpartner auf nationaler Ebene angenommen. Der EWSA fordert die Europäische Kommission zur Durchführung einer Folgenabschätzung zu einer möglichen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie über Karzinogene und Mutagene (KM-Richtlinie) auf fortpflanzungsgefährdende Stoffe auf.

3.2.

In der Strategie der EU gegen arbeitsbedingte Krebserkrankungen sollten Frauen stärker berücksichtigt werden.

3.2.1.

Die Expositionsmuster und die Lage der Tumore können bei Männern und Frauen unterschiedlich sein. Brustkrebs kommt beispielsweise bei Männern sehr selten vor, ist aber die häufigste Krebsart bei Frauen. Eine Reihe arbeitsbedingter Expositionen kann zur Entstehung von Brustkrebs beitragen.

3.2.2.

Der EWSA fordert die Kommission nachdrücklich auf, die arbeitsbedingte Exposition von Frauen gegenüber karzinogenen Substanzen bei der für 2018 geplanten Überarbeitung der Richtlinie und den Änderungen systematischer zu berücksichtigen. Bei vielen Arten von Tätigkeiten, die vorwiegend von Frauen ausgeübt werden (Gesundheits- und Reinigungsberufe, Friseur usw.), wird die Gefährdung durch Karzinogene vernachlässigt. Für die Identifizierung und Einordnung von endokrinen Disruptoren, die zur Entstehung einiger Krebsarten beitragen, müssen Kriterien aufgestellt werden. Beim Einsatz von Zytostatika (d. h. Chemotherapeutika) in den Gesundheitsberufen sollte die Prävention gestärkt werden. Auch wenn ionisierende Strahlungen nicht zum Thema dieser Stellungnahme gehören, fordert der EWSA dazu auf, andere Richtlinien und insbesondere die Richtlinie 2013/59/Euratom dahingehend dringend zu verstärken.

3.3.

Unter den Interessenträgern besteht ein breiter Konsens über die Rolle und die Bedeutung verbindlicher Arbeitsplatzgrenzwerte. Verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte sind wichtig, weil sie dazu beitragen, das Risiko zu verringern, auch wenn es keine sichere Expositionshöhe gibt. Ihre Höhe muss angemessen sein und wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie Machbarkeitsaspekten Rechnung tragen.

3.3.1.

In der EU gibt es jedoch keine einheitlichen Verfahren für die Berechnung von verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerten. Derzeit geht die Kommission auf Einzelfallbasis vor. In Bezug auf Transparenz und Kohärenz könnte einiges verbessert werden. Einige verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte sind gut, während andere nur unzureichenden Schutz bieten. Nach Auffassung des EWSA sollten die Ziele entsprechend ehrgeizig sein, wenn es um die Gesundheit und Menschenleben geht.

3.3.2.

Hinzu kommt die Unterschiedlichkeit der Konzepte der Mitgliedstaaten. Einige von ihnen haben Grenzwerte für mehr als hundert verschiedene KEF-Stoffe festgelegt, andere für weniger als zehn. Die Höhe dieser Grenzwerte kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Dies verursacht Unternehmen, die in verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Normen tätig sind, Probleme und könnte in einigen Fällen zu unlauterem Wettbewerb führen.

3.3.3.

Der EWSA hält es daher für wichtig, dass die Kommission ein Verfahren für die Festlegung von verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerten in der KM-Richtlinie aufstellt. Hierbei sollten die Sozialpartner, die Mitgliedstaaten und andere Interessenträger, darunter auch NGO, umfassend konsultiert werden. Nationale Erfahrungen tragen zur Ermittlung und Aufstellung bewährter Praktiken bei. Nach Auffassung des EWSA sollten zwei Aspekte besonders berücksichtigt werden:

3.3.3.1.

Erstens die Kohärenz der verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerte, um den Fall zu vermeiden, dass das Krebsrisiko von Arbeitnehmern, die bestimmten Stoffen ausgesetzt sind, höher ist als bei Arbeitnehmern, die anderen Stoffen ausgesetzt sind. In Deutschland und in den Niederlanden unterstützen die Sozialpartner einen risikobasierten Ansatz. Dies trägt zur Festlegung von verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerten bei, bei denen der Risikograd als primäre Determinante für einen sozialen Kompromiss berücksichtigt wird.

3.3.3.2.

Zweitens müssen diese Grenzwerte auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse festgelegt werden. Sie müssen unterschiedlichen Faktoren Rechnung tragen, wie etwa der Machbarkeit und den Möglichkeiten zur Messung der Expositionshöhen. Um Arbeitgeber bei der Festlegung von Prioritäten für ihre Präventionsmaßnahmen zu unterstützen, sollten sie sich ausdrücklich auf das mit der Expositionshöhe verbundene Risiko beziehen.

3.4.

In den meisten Fällen besteht eine lange Latenzzeit zwischen der Exposition und dem Ausbruch der Krebserkrankung. Der EWSA hält es daher für erforderlich, gefährdete Arbeitnehmer, die einer Exposition oder einem Expositionsrisiko ausgesetzt sind, zu schützen, indem allen gefährdeten Arbeitnehmern im Rahmen der Systeme der sozialen Sicherheit oder der nationalen Gesundheitssysteme eine lebenslange Gesundheitsüberwachung angeboten wird.

3.5.

Der EWSA empfiehlt, die Bemühungen stärker auf wissenschaftliche und statistische Untersuchungen auszurichten. Arbeitsbedingte Krebserkrankungen können auch entstehen durch: Stress, arbeitsorganisatorische Faktoren, z. B. Schichtarbeit usw. In die Erforschung der Folgen und möglicher Synergieeffekte einer kombinierten Exposition gegenüber verschiedenen Faktoren wie Chemikalien und biologischen Stoffe oder physikalischen Einwirkungen, Chemikalien und Arbeitsorganisation usw. sollte mehr Mühe und Geld fließen.

3.6.

Der EWSA betont, dass eine wesentliche Aufgabe im Bereich des Schutzes von Arbeitnehmern vor krebserzeugenden, erbgutverändernden und fortpflanzungsgefährdenden Stoffen am Arbeitsplatz in einer stärkeren Kontrolle der Umsetzung und Anwendung der KM-Richtlinie besteht. Die Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die Arbeitsaufsichtsbehörden finanziell und personell ausreichend ausgestattet sind, um ihren Aufgaben nachzukommen, und dass sie den Unternehmen, insbesondere KMU, bei der Einhaltung dieser neuen Bestimmungen behilflich sind. Sie sollten ihre Zusammenarbeit mit der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz stärken, die verschiedene Werkzeuge entwickelt hat, mit denen die Qualität der Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz verbessert werden könnte. Eines dieser Instrumente ist OiRA (Online interactive Risk Assessment), eine Internet-Plattform, mit deren Hilfe branchenspezifische Tools für die Gefährdungsbeurteilung in allen Sprachen leicht verständlich und standardisiert entwickelt werden können.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Mit dem zweiten Vorschlag zur KM-Richtlinie werden verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte für fünf weitere krebserzeugende Stoffe eingeführt.

4.1.1.

Epichlorhydrin ist ein nicht grenzwertgebundenes Karzinogen. In der EU sind 43 813 Arbeitnehmer Epichlorhydrin ausgesetzt. Die Kommission schlägt einen verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert von 1,9 mg/m3 vor. 15 Mitgliedstaaten werden einen Arbeitsplatzgrenzwert einführen (7) bzw. ihren Grenzwert aktualisieren (8) müssen, um ihn auf 1,9 mg/m3 zu senken. Schätzungsweise 69 % der exponierten Arbeitnehmer sind in diesen 15 Mitgliedstaaten tätig, folglich würde ihnen ein verbesserter rechtlicher Schutz durch die Einführung dieses verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerts zugutekommen. Nach Auffassung des EWSA würde der vorgeschlagene Grenzwert zur Verringerung der arbeitsbedingten Krebsbelastung beitragen.

4.1.2.

Ethylendibromid ist ein nicht grenzwertgebundenes genotoxisches Karzinogen. Es wird geschätzt, dass weniger als 8 000 Arbeitnehmer in der EU möglicherweise 1,2-Dibromethan ausgesetzt sind. Die Kommission schlägt einen verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert von 0,8 mg/m3 (0,1 ppm) vor. 20 Mitgliedstaaten werden einen Arbeitsplatzgrenzwert einführen (11) bzw. ihren Grenzwert aktualisieren (9) müssen, um ihn auf 0,8 mg/m3 zu senken. Schätzungsweise 81 % der exponierten Arbeitnehmer sind in diesen 20 Mitgliedstaaten tätig, folglich würde ihnen ein verbesserter rechtlicher Schutz durch die Einführung dieses verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwerts zugutekommen. Die zusätzlichen Kosten für die Unternehmen (darunter auch Kleinst- und Kleinunternehmen) dürften sehr gering ausfallen. Nach Auffassung des EWSA würde der vorgeschlagene Grenzwert zur Verringerung der arbeitsbedingten Krebsbelastung beitragen.

4.1.3.

Ethylendichlorid ist gemäß der CLP-Verordnung als Karzinogen eingestuft. In Europa sind weniger als 3 000 Arbeitnehmer potenziell Ethylendichlorid ausgesetzt (7). Die Kommission schlägt einen verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert von 8,2 mg/m3 bzw. 2 ppm vor. 23 Mitgliedstaaten werden einen Grenzwert einführen (5) bzw. ihren Grenzwert aktualisieren (18) müssen, um ihn auf 2 ppm zu senken, daher wird davon ausgegangen, dass ein verbesserter rechtlicher Schutz einem großen Anteil der exponierten Arbeitnehmer zugutekommen würde. Nach Auffassung des EWSA würde der vorgeschlagene Grenzwert zur Verringerung der arbeitsbedingten Krebsbelastung beitragen.

4.1.4.

4,4'-Methylendianilin (MDA) ist ein genotoxisches Karzinogen. Schätzungen zufolge sind ca. 70 bis 140 Personen in der chemischen Industrie MDA in der Luft ausgesetzt. Die Zahl der Menschen, die dermaler Exposition ausgesetzt sind, ist erheblich höher und liegt schätzungsweise in einer Größenordnung zwischen 390 000 und 3,9 Millionen Arbeitnehmern (8). Die Kommission schlägt einen verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert von 0,08 mg/m3 vor. 23 Mitgliedstaaten werden einen Arbeitsplatzgrenzwert einführen (12) bzw. ihren Grenzwert aktualisieren (11) müssen, um ihn auf 0,08 mg/m3 zu senken. Nach Auffassung des EWSA würde der vorgeschlagene Grenzwert zur Verringerung der arbeitsbedingten Krebsbelastung beitragen.

4.1.5.

Trichlorethylen wurde von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) als Karzinogen der Gruppe 2A und als Karzinogen der Kategorie 1B in der EU im Rahmen der CLP-Verordnung eingestuft. Es wird geschätzt, dass ungefähr 74 000 Arbeitnehmer in der EU potenziell Trichlorethylen ausgesetzt sind. Die Europäische Kommission schlägt eine Kombination aus einem verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert von 54,7 mg/m3 bzw. 10 ppm sowie einen Grenzwert für Kurzzeitexposition (im Folgenden: STEL) von 164,1 mg/m3 bzw. 30 ppm vor. Von den 22 Mitgliedstaaten, die bereits einen nationalen verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert für Trichlorethylen eingeführt haben, haben 16 auch einen STEL festgelegt. 17 Mitgliedstaaten werden einen Arbeitsplatzgrenzwert einführen (6) bzw. ihren Grenzwert aktualisieren (11) müssen, um ihn auf 54,7 mg/m3 (10 ppm) zu senken. Schätzungsweise 74 % der exponierten Arbeitnehmer sind in diesen 17 Mitgliedstaaten tätig, folglich würde ihnen ein verbesserter rechtlicher Schutz durch die Einführung dieses Arbeitsplatzgrenzwerts zugutekommen. Der EWSA weist darauf hin, dass von mehreren Mitgliedstaaten ein niedrigerer verbindlicher Arbeitsplatzgrenzwert für Trichlorethylen angewandt wird, der von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften befürwortet wird. Auf EU-Ebene sollte ein niedrigerer Grenzwert angestrebt werden, um die arbeitsbedingte Krebsbelastung zu verringern.

4.2.

Zwar werden komplexe polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffgemische (PAK) und gebrauchte Motoröle im Anhang zur Festlegung des Anwendungsbereichs der Richtlinie aufgeführt, doch wurden für diese beiden Karzinogene keine Grenzwerte festgelegt.

4.2.1.

Komplexe polyzyklische aromatischer Kohlenwasserstoffgemische (PAK) mit Benzo[a]pyren als Indikator. PAK sind eine große Gruppe organischer Verbindungen. Nach Auffassung des EWSA würde die vorgeschlagene Maßnahme zur Verringerung der arbeitsbedingten Krebsbelastung beitragen.

4.2.2.

Mineralöle in Form gebrauchter Motoröle. Die Exposition gegenüber Mineralölen in Form gebrauchter Motoröle kann Hautkrebs verursachen. Die Zahl der exponierten Arbeitnehmer wird auf 1 Million geschätzt, die überwiegend mit der Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen beschäftigt sind. Nach Auffassung des EWSA würde die vorgeschlagene Maßnahme zur Verringerung der arbeitsbedingten Krebsbelastung beitragen.

5.   Weitere Stoffe oder Verfahren, die hinzugefügt werden sollten

5.1.

Formaldehyd (FA). Die Kommission hat keinen verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert für Formaldehyd vorgeschlagen. 2009 kam die IARC zu dem Schluss, dass ausreichende Belege beim Menschen für einen kausalen Zusammenhang zwischen Formaldehyd und myeloischer Leukämie vorliegen. Die verfügbaren Informationen zu Formaldehyd reichen aus, um einen gesundheitlich begründeten Arbeitsplatzgrenzwert, einen zeitlich gewichteten Mittelwert, gemessen oder berechnet für einen Bezugszeitraum von acht Stunden (TWA), und einen STEL abzuleiten. Auf der Grundlage der verfügbaren Daten leitet der SCOEL einen Arbeitsplatzgrenzwert von 0,3 ppm (8-Stunden-TWA) mit einem STEL von 0,6 ppm ab. Dementsprechend beschloss auch der Beratende Ausschuss für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz (ACSHW), der Kommission diesen Grenzwert zu empfehlen. 2016 beantragten die europäischen Sozialpartner bei der Kommission, die vom SCOEL vorgeschlagenen, gesundheitlich begründeten Werte als verbindlichen Arbeitsplatzgrenzwert für diese Chemikalie aufzunehmen (9). Der EWSA unterstützt diesen gemeinsamen Standpunkt und ist der Ansicht, dass ein solcher verbindlicher Arbeitsplatzgrenzwert festgelegt werden sollte.

5.2.

Abgase von Dieselmotoren. 2012 hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) alle Abgasemissionen von Dieselmotoren als Karzinogene der Klasse 1 (bekanntermaßen krebserzeugende Wirkung beim Menschen) eingestuft. Der Kommission zufolge sind über drei Millionen Arbeitnehmer in der Europäischen Union am Arbeitsplatz Abgasemissionen von Dieselmotoren ausgesetzt. Die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, die zumindest während eines Teils ihres Arbeitslebens diesen Emissionen ausgesetzt sind, lag 2010 bei zwölf Millionen, bis 2060 kann diese Zahl möglicherweise auf 20 Millionen ansteigen. In der Folgenabschätzung der Kommission heißt es, dass das Fehlen von Rechtsvorschriften für ein Verbot der Gefährdung durch Abgase von Dieselmotoren bei der Arbeit zwischen 2010 und 2069 zu 230 000 Todesfällen in der EU führen wird.

5.2.1.

Das Hauptargument der Kommission, Dieselmotorabgase aus Anhang I und Anhang III der KM-Richtlinie auszunehmen, ist die Schwierigkeit, eine rechtliche Definition zur Unterscheidung zwischen neuen und alten Motoren zu finden. Der EWSA ist der Ansicht, dass das Ziel der KM-Richtlinie nicht die Aufstellung technischer Normen für Motoren ist, sondern die Festlegung einer rechtlichen Definition von Dieselmotorabgasen als verfahrensbedingte krebserzeugende Stoffe entsprechend den wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Bewertung der IARC. Arbeitnehmer können am Arbeitsplatz Dieselabgasen aus mehreren verschiedenen Motoren ausgesetzt sein, die unterschiedliche Expositionsnormen erfüllen. Weitere Faktoren spielen eine wichtige Rolle für die Charakterisierung der Gefährdung: Verbrennungstemperaturen sowie Wartung und Reinigung der Motoren. Es könnte ein verbindlicher Arbeitsplatzgrenzwert festgelegt werden, der die Konzentration von elementarem Kohlenstoff in der Luft berücksichtigt. Nach Auffassung des EWSA sollte folgende Erkenntnis des SCOEL berücksichtigt werden: „Auch wenn toxikologische Daten für einen Grenzwert sprechen (evtl. bei 0,02 mg Dieselruß/m3 oder darunter, was 0,015 mg EC/m3 entspricht), weisen epidemiologische Daten darauf hin, dass bereits bei bzw. unter diesen Expositionswerten ein erhebliches Krebsrisiko besteht. Daher kann auf der Grundlage der derzeit verfügbaren Daten und Analysen kein Arbeitsplatzgrenzwert festgelegt werden, der einen angemessenen Schutz der Arbeitnehmer bieten würde. Jedoch werden sowohl toxikologische als auch humanepidemiologische Daten weiter gesammelt und ausgewertet“ (10).

Brüssel, den 31. Mai 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Staatliches Institut für Gesundheit und Umwelt (RIVM) der Niederlande, Work related cancer in the European Union. Size, impact and options for further prevention (Arbeitsbedingte Krebserkrankungen in der Europäischen Union. Ausmaß, Auswirkungen und Optionen für die weitere Prävention), 2015.

(2)  Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit, Richtlinie 89/391/EWG des Rates (ABl. L 183 vom 29.6.1989, S. 1).

(3)  Schutz von Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische Arbeitsstoffe bei der Arbeit, Richtlinie 98/24/EG des Rates (ABl. L. 131 vom 5.5.1998, S. 11).

(4)  Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz, Richtlinie 2009/148/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 330 vom 16.12.2009, S. 28).

(5)  Ulvskog-Bericht

(6)  Beryllium und anorganische Berylliumverbindungen, Hexachlorbenzol, Abgase von Dieselmotoren, prozessbedingter Gummistaub und -dampf und 4,4‘-Methylen-bis (2-Chloranilin).

(7)  Angaben von 2009.

(8)  Forschungsprojekt P937/9 zu 4,4'-Methylendianilin des Institute of Medicine (IOM, 2016 umbenannt in HDM), Mai 2011.

(9)  Antrag von EPF, EGB, EAMA, ETRMA, FormaCare und EPRA auf Aufnahme von Formaldehyd in Anhang III der Richtlinie 2004/37/EG über Karzinogene und Mutagene, 15. Juli 2016.

(10)  Stellungnahme Nr. 403 des SCOEL, 2016.


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