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Document 52016IE0801

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Maßgebliche Einflussfaktoren für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2020“ (Initiativstellungnahme)

ABl. C 75 vom 10.3.2017, p. 21–27 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

10.3.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 75/21


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Maßgebliche Einflussfaktoren für die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2020“

(Initiativstellungnahme)

(2017/C 075/04)

Berichterstatter:

Simo TIAINEN

Beschluss des Plenums

21.1.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

24.11.2016

Verabschiedung auf der Plenartagung

15.12.2016

Plenartagung Nr.

521

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

188/2/8

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Seit einem halben Jahrhundert trägt die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) zum Aufbau der Europäischen Union bei. Nun böte eine Rückkehr zu den Ursprüngen die Gelegenheit einer neuen langfristigen Vision für die GAP mit klaren und konkreten Orientierungshilfen nicht nur für die Landwirte, sondern auch für Millionen von Bürgern. Der EWSA ist kontinuierlich dafür eingetreten, dass die künftige GAP das europäische Agrarmodell verteidigt, das auf den Grundsätzen Nahrungsmittelsouveränität, Nachhaltigkeit und Berücksichtigung der tatsächlichen Bedürfnisse der EU-Bürgerinnen und -Bürger fußt, seien es Landwirte, Erwerbstätige in der Landwirtschaft oder Verbraucher.

1.2.

Der EWSA begrüßt die ersten Diskussionen und Überlegungen über die Zukunft der GAP nach 2020. Jetzt, da die seit 1957 im Vertrag unverändert dargelegten Ziele der GAP sowie die neuen Herausforderungen, der sich die GAP stellen muss, so aktuell sind wie nie zuvor, ist es äußerst wichtig, die derzeitige GAP und das Ergebnis der letzten Reform einer eingehenden Analyse zu unterziehen. Mit dieser Stellungnahme sollen einige Vorschläge vorgelegt und ein Beitrag zu den Überlegungen über die Zukunft der GAP geleistet werden.

1.3.

Angesichts der Komplexität der GAP und der Schwierigkeiten bei der Durchführung der letzten Reform brauchen die Landwirte vor allem politische Stabilität und eine langfristige Vision der Agrarpolitik. Besonders im Rahmen des Vertrags von Lissabon werden unweigerlich mehrere Jahre nötig sein, um Überlegungen anzustellen, über Herausforderungen zu diskutieren und gemeinsame Ziele und Lösungen zu finden. Die europäischen Institutionen sollten sich daher rasch auf eine Verlängerung der Laufzeit der derzeitigen GAP um mindestens zwei Jahre einigen.

1.4.

Die GAP sollte den Berufseinstieg von Junglandwirten und -wirtinnen und von Seiteneinsteigern in die Landwirtschaft begünstigen, nicht nur durch spezifische Instrumente, sondern auch mit einer wirkliche Stabilität in diesem Politikfeld. Denn die Landwirte benötigen mehr Stabilität, um auf Jahrzehnte angelegte Investitionen tätigen zu können und den Generationenwechsel erfolgreich zu meistern.

1.5.

In der künftigen GAP sollten einerseits die Vielfalt landwirtschaftlicher Modelle und regionale Besonderheiten und andererseits ihre verschiedenartigen Ziele — wirtschaftliche, soziale und umweltbezogene — berücksichtigt werden. Die Nahrungsmittelerzeugung für den eigenen Bedarf und eine eigene Landwirtschaft sind wichtig und Teil der Kultur eines jeden Landes in der Welt. Eine europäische Lebensmittelpolitik sollte sich auf eine gesunde und hochwertige Ernährung gründen und Synergien mit der GAP schaffen. Einer der wichtigsten Grundsätze der GAP sollte der Erhalt einer lebensfähigen und nachhaltigen Landwirtschaft in allen Regionen der EU sein.

1.6.

Die erste grundlegende Priorität für die nächste Reform der GAP sollte ihre Vereinfachung sein. Die Umsetzung der GAP muss reibungsloser vonstattengehen, und es müssen angemessenere Kontroll- und Sanktionssysteme entwickelt werden. Von größter Bedeutung ist es, sicherzustellen, dass die Landwirte ihre Gelder fristgerecht erhalten.

1.7.

Angesichts dessen, dass es sich bei der GAP um einen Politikbereich mit direkten Interventionen auf europäischer Ebene handelt und die Abkehr von der Gemeinschaftspräferenz zu einer Senkung der Erzeugerpreise führt, muss die künftige GAP in der Lage sein, auf alle Herausforderungen zu reagieren, auch auf Marktturbulenzen. Dementsprechend muss der politische Rahmen neu ausgerichtet werden, um all diese neuen Herausforderungen angehen und passende Instrumente auf europäischer Ebene bereitstellen zu können.

1.8.

Die Europäische Kommission wird ihre Arbeit 2017 fortsetzen und breit angelegte Konsultationen über die Vereinfachung und Modernisierung der GAP durchführen. Es ist wichtig, dass die europäische Zivilgesellschaft daran aktiv mitwirkt. Der EWSA sollte eine Studiengruppe einrichten, um diesen Prozess zu verfolgen und dazu beizutragen.

2.   Einleitung

2.1.

Die Landwirtschaft ist von zentraler Bedeutung für die strategischen, wirtschaftlichen, umweltbezogenen und sozialen Herausforderungen von morgen. Die GAP war ein Erfolg für Europa, vor allem weil die europäischen Verbraucher in den letzten Jahrzehnten von sichereren Lebensmitteln zu sinkenden Preisen profitiert haben. Allerdings stellen sich nun in verschiedenen Bereichen hinsichtlich der Artenvielfalt, der Umwelt und der Landschaft Probleme, die angegangen werden müssen. Die Erzeugung hochwertiger Nahrungsmittel mit nachhaltigen Bewirtschaftungsmethoden ist ein wesentliches Anliegen der Bürger und Verbraucher. Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, bedarf es einer Gemeinsamen Agrarpolitik, die gesunde und sichere Lebensmittel, hohe Qualität zu einem angemessenen Preis, Umwelt- und Landschaftsschutz sowie eine dynamische Wirtschaft im ländlichen Raum gewährleistet.

2.2.

Wenn Landwirte in unserer marktorientierten Gesellschaft Nahrungsmittel erzeugen und somit Ernährungssicherheit gewährleisten, beeinflussen sie auch die Verfügbarkeit von Wasser und dessen Qualität sowie die Luft- und Bodenqualität bzw. Naturausstattung, während sie zugleich in ländlichen Gebieten Beschäftigung bieten und für die Erhaltung von Kulturlandschaften sorgen. Viele dieser Nebeneffekte sind als öffentliche Güter anzusehen.

2.3.

Land- und Forstwirtschaft sind eng miteinander verflochten, da sie einen großen Teil der Flächennutzung in der EU ausmachen. Dementsprechend hat die Forstwirtschaft häufig an der Bereitstellung öffentlicher Güter teil.

2.4.

Die Faktoren, die die GAP für die Zeit nach 2020 beeinflussen, sind vor allem die Herausforderungen für die Landwirtschaft, aber auch die Tatsache, dass es sich um eine europäische Frage handelt — mit einem bestimmten Reformprozess und einer bestimmten Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln und vor allem mit einer klaren Vision für die nächsten Jahrzehnte.

2.5.

Die Gemeinsame Agrarpolitik war schon immer einer der wichtigsten Politikbereiche der EU. Die GAP ist von erheblichem Interesse für die europäische Zivilgesellschaft. Daher ist es für den EWSA wichtig, bei der Vorbereitung der nächsten GAP-Reform für die Zeit nach 2020 frühzeitig aktiv zu werden.

3.   Schwierige Zeiten für die Landwirtschaft

Ernährungssicherheit

3.1.

Angesichts der erwarteten weltweiten demografischen Tendenzen werden im Jahr 2050 rund 9 Mrd. Menschen zu ernähren sein. Infolge der Verbesserung der Lebensbedingungen in mehreren Regionen der Welt sind eine erhöhte Nachfrage nach Nahrungsmitteln sowie eine Umstellung auf eine Ernährung mit mehr tierischen Erzeugnissen zu beobachten. Diese Entwicklungen würden zu einer Verdopplung der Nahrungsmittelnachfrage im Jahr 2050 führen. Die EU muss sich ihrer Verantwortung für die Ernährungssicherheit in der Welt stellen, jedoch ist der Export europäischer Agrarerzeugnisse keine Lösung für das Problem des Hungers in der Welt. Es muss darauf hingewiesen werden, dass die Ernährungssicherheit auf nachhaltigen lokalen Lebensmittelsystemen basieren sollte. Jeder Staat muss selbst die Verantwortung für die eigene Ernährungssicherheit übernehmen. Dies wird auch von der Welternährungsorganisation (FAO) empfohlen. Der EWSA hält es für notwendig, dass sich die EU außerdem auf den Transfer von Wissen und den Austausch von Erfahrungen darüber konzentriert, wie anderswo auf der Welt auf nachhaltige Art und Weise mehr und bessere Lebensmittel vor Ort erzeugt werden können.

3.2.

Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass die Nachfrage nach Lebensmitteln in Europa relativ stabil bleiben, aber im Hinblick auf Qualität, Gesundheit, Ethik, Herkunft usw. vielfältig sein wird.

Umweltschutz

3.3.

Landwirtschaft und Umwelt sind in allen Regionen in vielfältiger Weise sehr eng miteinander verknüpft. Land- und Forstwirtschaft sind von wesentlicher Bedeutung für den Naturschutz, den Erhalt der biologischen Vielfalt, die Wasserqualität, die Bodengüte und eine geringere Verschmutzung.

Energie

3.4.

Im Rahmen für die Klima- und Energiepolitik der EU wurde das Ziel vorgegeben, den Anteil erneuerbarer Energieträger bis 2030 auf mindestens 27 % des Energieverbrauchs zu erhöhen. Dieser Anteil dürfte sich in Zukunft noch weiter erhöhen. Land- und Forstwirtschaft könnten Biomasse beisteuern, um dieses Ziel im Rahmen einer auf umweltverträgliches Wachstum gestützten Wirtschaft zu erreichen. Beide Sektoren müssen außerdem ihre eigene Energieeffizienz verbessern.

Klimawandel: Anpassung und Eindämmung

3.5.

Am 20. Juli 2016 legte die Kommission ein Paket von Legislativvorschlägen zur Festlegung der Einzelheiten für den Rahmen der EU-Klima- und Energiepolitik bis 2030 vor. Dies wird die Antwort der EU zur Eindämmung des Klimawandels gemäß dem im Dezember 2015 geschlossenen COP-21-Übereinkommen sein. Die Land- und Forstwirtschaft sind Teil der Lösung zur Senkung der Emissionen und zur Lagerung von Kohlenstoff im Boden oder in Holz. Zur Bewältigung der Herausforderung der Ernährungssicherheit und zur Eindämmung des Klimawandels ist grünes Wachstum, ein agrarökologischer Ansatz und eine nachhaltige Intensivierung im Rahmen einer effizienten landwirtschaftlichen Erzeugung erforderlich. Darüber hinaus ist die Anpassung an den Klimawandel von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der Landwirtschaft.

Ausgewogene Entwicklung des ländlichen Raums

3.6.

Land- und Forstwirtschaft sowie alle damit zusammenhängenden Formen der Bioökonomie sind von grundlegender Bedeutung für die Aufrechterhaltung der ländlichen Dynamik und zur Stärkung einer ausgewogenen Entwicklung des ländlichen Raums. Ihnen kommt im Hinblick auf die Beschäftigung, die Kultur, den territorialen Zusammenhalt und den Tourismus in ländlichen Gebieten EU-weit eine große Bedeutung zu. Die vorherrschenden demografischen Tendenzen in vielen entlegenen Gebieten, Berggebieten oder benachteiligten Gebieten bleiben nach wie vor Bevölkerungsrückgang und Überalterung. Staatliche Maßnahmen, vor allem die GAP, sollten für den Erhalt der Landwirtschaft und die Unterstützung der Erzeuger in der gesamten EU, auch in Regionen mit spezifischen Problemen, sorgen. Zahlungen an Höfe in ländlichen Gebieten mit naturbedingten Nachteilen sind von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des ländlichen Raums. Ohne sie wäre die Landwirtschaft in diesen Gebieten nicht überlebensfähig.

3.7.

Synergien zwischen den zwei Säulen der GAP sind wichtig und sollten verstärkt werden. Mit der letzten Reform werden die Verknüpfung aller ESI-Fonds untereinander und ihre Kohärenz gestärkt. Dies sollte fortgesetzt werden.

3.8.

Der EWSA befürwortet eine Ausweitung und den obligatorischen Einsatz der CLLD-Methode (von der örtlichen Bevölkerung betriebene Maßnahmen zur lokalen Entwicklung) für alle ESI-Fonds, um eine ausgewogene Entwicklung des ländlichen Raums zu erreichen. Der Einsatz lokaler Aktionsgruppen (LAG) als lokale Partnerschaften unter Beteiligung der Landwirte zur Auswahl und Finanzierung lokaler Projekte wirkt sich positiv auf die Lebensqualität der Bevölkerung aus. Dadurch könnte wirkungsvoll etwas gegen die Abwanderung und Überalterung der Bevölkerung in den ländlichen Gebieten der EU getan werden.

3.9.

Für den Erhalt der Landwirtschaft ist der Generationswechsel eine zentrale Frage, und der Berufseinstieg von Junglandwirten und -wirtinnen und/oder von Seiteneinsteigern in die Landwirtschaft sollte mithilfe aller verfügbaren Instrumente unterstützt werden. Auch sind gekoppelte Zahlungen für diejenigen Sektoren oder Regionen erforderlich, in denen besondere Formen der landwirtschaftlichen Tätigkeit bzw. Agrarbranchen aus wirtschaftlichen, sozialen oder ökologischen Gründen besonders wichtig sind. In der GAP sollte auch ein eindeutiger Schwerpunkt auf die Förderung aktiver Landwirte und einer aktiven Produktion gelegt werden.

Preisvolatilität und Einkommensschwankungen

3.10.

Die Landwirtschaft ist eine spezielle Wirtschaftstätigkeit, die nicht den üblichen wirtschaftlichen Regeln folgt. In einer Marktwirtschaft ergeben sich aus Fluktuationen bei Angebot und Nachfrage Preis- und Einkommensschwankungen. Nahrungsmittel jedoch sind in ihrer Eigenschaft als lebenswichtige Güter per definitionem preisunelastisch. Auch kann die Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht schnell auf Preisveränderungen reagieren. Daher sind bei unerwarteten Veränderungen der Erzeugungsmengen häufig eine längere Zeit und große Preisveränderungen erforderlich, um das Marktgleichgewicht wiederherzustellen. Aus diesen Gründen werden Agrarmärkte als äußerst unbeständig angesehen. Es könnten auch andere innovative Marktmechanismen erprobt werden.

Anforderungen der Verbraucher

3.11.

Die Verbraucher wollen sichere, nachhaltige, nahrhafte und hochwertige Lebensmittel. Außerdem wollen sie Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen, was durch die Wirtschaftskrise nur verstärkt wurde. Viele Verbraucher schätzen Rückverfolgbarkeit und lokal erzeugte Lebensmittel. Aus der Eurobarometer-Sonderumfrage Nr. 410 geht hervor, dass die große Mehrheit der Befragten in allen Mitgliedstaaten bei Fleisch die Kenntnis der Herkunft als notwendig erachtet. Auf diese Herausforderung zu reagieren, ist die Pflicht aller Interessenträger in der Lebensmittelkette.

Nachhaltige Entwicklung

3.12.

Die kommende GAP sollte ebenso wie die anderen Politikbereiche der EU im Einklang mit den Zielen für die nachhaltige Entwicklung stehen. Die GAP ist für zahlreiche Ziele relevant, aber das wichtigste Ziel ist Ziel 2: „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“.

Unwägbarkeiten im Welthandel

3.13.

Die Bedeutung des Welthandels wird in Zukunft unweigerlich zunehmen. Das kürzlich von russischer Seite verhängte Einfuhrverbot für Lebensmittel aus der Europäischen Union führte jedoch zu erheblichen Unsicherheiten in Bezug auf den internationalen Handel. Das russische Embargo hat zu einem enormen Druck auf die Agrarmärkte der EU geführt, insbesondere in einigen Mitgliedstaaten. Die Bewältigung der Herausforderungen im Zusammenhang mit den Unwägbarkeiten im internationalen Handel ist für die Zukunft der Landwirtschaft von entscheidender Bedeutung.

Verlagerung der Verhandlungsmacht in der Lebensmittelversorgungskette

3.14.

In den letzten Jahren hat zum Nachteil der Lieferanten, insbesondere der Landwirte, eine Verlagerung der Verhandlungsmacht in der Versorgungskette stattgefunden, vor allem zugunsten des Einzelhandels und einiger transnationaler Unternehmen. In der kommenden GAP sollte die Verhandlungsmacht der Landwirte verbessert werden.

4.   In der EU ist die Landwirtschaft eine europäische Frage

4.1.

Die Landwirtschaft ist für die EU von zentraler Bedeutung. Die Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik wurden 1957 in den ursprünglichen Römischen Verträgen festgeschrieben. Sie haben noch immer ihre Gültigkeit. Neue Herausforderungen, z. B. Umweltbelange, Fragen der Entwicklung ländlicher Räume sowie Qualitäts- und Gesundheitsfragen bis hin zu Fragen des Welthungers sind hinzugekommen, ohne dass die Verträge bislang angepasst worden wären.

4.2.

Die GAP ist ein grundlegender europäischer und integrierter Politikbereich, der immer stärker mit anderen Politikbereichen mit einem spezifischen europäischen Mehrwert wie etwa Beschäftigung, Umwelt, Klimaschutz, Wettbewerb, Haushalt, Handel und Forschung verknüpft ist.

4.3.

Die GAP bildet eine Voraussetzung dafür, in der EU einen Binnenmarkt in der Lebensmittelbranche zu verwirklichen. Mit mehr als fünf Millionen Arbeitsplätzen ist die europäische Lebensmittelindustrie der größte Industriebereich in der EU.

Vorbereitung der nächsten GAP-Reform

4.4.

Komplexität und Subsidiarität sind die Schlüsselbegriffe für die Anpassung an alle Sektoren und Gebiete. Diesen Aspekten wurde bei der letzten Reform verstärkt Rechnung getragen. Die Ausarbeitung und Aushandlung gemeinsamer Regeln im Rahmen des Vertrags von Lissabon und unter Mitwirkung von 28 Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments war eine besonders komplexe Aufgabe.

4.5.

Bislang wurde keine Bewertung der derzeitigen politischen Maßnahmen vorgenommen. Die Bewertung der Umsetzung der Ökologisierungsverpflichtungen im ersten Jahr ist noch im Gange. Dasselbe gilt für die ökologischen Vorrangflächen. Es ist wichtig, nicht übereilt eine weitere GAP-Reform durchzuführen, ohne eine klare und umfassende Bewertung der derzeitigen GAP vorgenommen zu haben, durch die festgestellt wird, inwieweit mit den politischen Maßnahmen deren politische Ziele erreicht wurden. Dies erfordert eine ordnungsgemäße Bewertung, insbesondere bei Maßnahmen, bei denen mehr Zeit vonnöten ist, um Ergebnisse zu erkennen, z. B. im Falle der Ökologisierungsverpflichtungen.

4.6.

Wenn man bedenkt, dass die letzte Reform 2010 eingeleitet und mit ihrer Umsetzung erst 2015 begonnen wurde, dauerte es fünf Jahre, die Reform unter Dach und Fach zu bringen. In der laufenden Mandatsperiode der Kommission und des Europäischen Parlaments wird keine Zeit sein, die nächste GAP-Reform für eine mögliche Umsetzung im Jahr 2021 zum Abschluss zu bringen. Daher bedarf es einer Übergangsphase, um die aktuelle GAP für einen ausreichend langen Zeitraum nach 2020 fortsetzen zu können.

Subsidiarität und europäischer Mehrwert

4.7.

Seit 1962 stützt sich die GAP auf drei Grundprinzipien: Markteinheit, Gemeinschaftspräferenz und finanzielle Solidarität. Der Binnenmarkt ist heute ein Fakt, doch die Gemeinschaftspräferenz und die finanzielle Solidarität müssen auf politischer Ebene bekräftigt werden.

4.8.

Angesichts der Globalisierung setzen die USA auf finanzielle Unterstützung, um ihre Landwirtschaft mithilfe der Verbraucher über das Lebensmittelmarkenprogramm und den „Buy American Act“ zu fördern. Die Europäische Union sollte entsprechende Maßnahmen ergreifen: Sie könnte die strategische Bedeutung der Gemeinschaftspräferenz mit einem europäischen Pendant zum US-amerikanischen Gesetz („Buy European Act“) hervorheben.

5.   Allgemeine Bemerkungen

Brexit

5.1.

Der Brexit wird erhebliche Auswirkungen auf die EU, insbesondere auf den Binnenmarkt und den internationalen Handel und damit auch auf die Zukunft der GAP haben. In den Brexit-Verhandlungen sollten — falls das Vereinigte Königreich die Zollunion der EU verlässt — die derzeitigen Handelsströme als Schlüsselkriterium herangezogen werden, wenn die WTO-Quote für die EU mit 28 Mitgliedstaaten zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU ohne das Vereinigte Königreich aufgeteilt wird.

Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Nachhaltigkeit

5.2.

Seit der Reform von 1992 ist die Wettbewerbsfähigkeit im Zuge der Einführung der Direktzahlungen zur ersten Priorität der GAP geworden. Zur Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität und Nachhaltigkeit sind aber neue Anreize erforderlich, die sich auf die Förderung der Innovation (Entwicklung, Verbreitung und Akzeptanz neuer Technologien) konzentrieren.

5.3.

Der Agrarsektor hat einen erheblichen Investitionsbedarf, der sich decken ließe, wenn die erwartbaren Einkommen ausreichend hoch und die wirtschaftlichen Risiken tragbar sind. Die Stützung des Einkommens landwirtschaftlicher Betriebe mit Direktzahlungen ist in der derzeitigen Situation eine Notwendigkeit.

Bewältigung von Risiken und Krisen in der Landwirtschaft

5.4.

Die Erzeuger in der EU sind nicht mehr vom Weltmarkt und dessen höherer Preisvolatilität abgekoppelt. Darüber hinaus ist die Landwirtschaft extremen Naturereignissen und verstärkten Gesundheitsproblemen aufgrund der zunehmenden Mobilität von Gütern und Personen (Pandemien), die erhebliche Produktionsausfälle zur Folge haben, unterworfen. Die GAP sollte spezifische Instrumente zur Verfügung stellen, mit denen der Agrarsektor zur Begrenzung und Bewältigung dieser Risiken befähigt wird.

5.5.

In der aktuellen GAP stehen einige Risikomanagementinstrumente zur Verfügung. Der Interventionspreis, die private Lagerhaltung, die Absatzförderung oder die Terminmärkte und die Instrumente der einheitlichen gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte sollten beibehalten bzw. entwickelt werden.

5.6.

Es besteht jedoch ein eindeutiger Bedarf an neuen Instrumenten:

Marktbeobachtungsmechanismen müssen weiterentwickelt werden. Die Europäische Kommission sollte unterschiedliche Krisenstufen festlegen, um ihnen wirksamer entgegenwirken zu können. Eine bessere Markttransparenz im Hinblick auf die Erzeugungsmengen und Preise ist von grundlegender Bedeutung für ein reibungsloses Funktionieren der Versorgungskette.

Es sollte mit Systemen für Fonds auf Gegenseitigkeit oder Versicherungsmodellen (Kulturpflanzen, Umsatz oder Einkommen) experimentiert werden, um zu untersuchen, ob Versicherungsunternehmen oder andere Einrichtungen in der Lage sind, effiziente Optionen anzubieten. Bemerkenswerterweise wurde mit dem jüngsten US-Agrargesetz (Farm Bill) zwar die Möglichkeit von Versicherungssystemen eingeführt, doch nutzt keiner unserer Handelspartner die Grüne Box, um die WTO über diese Versicherungsinstrumente zu unterrichten. Auf keinen Fall darf eine Entwicklung in diese Richtung die Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Erzeugern verstärken. Auch sollten die Kosten dieses Mechanismus genau bestimmt werden.

Die Umweltdimension der GAP

5.7.

Umweltbelange sind ganz klar eine Priorität in der Landwirtschaft. Daher enthielt die letzte Reform eine Ökologisierungskomponente („Greening“). Die politischen Entscheidungsträger weisen immer wieder auf diese wichtige Entwicklung der GAP hin. Die Umweltdimension der GAP ist sowohl umfassend als auch komplex, da es in der Landwirtschaft um Boden, Wasser, Artenvielfalt, Forstwirtschaft und CO2-Emissionen geht. Eine wirksamere Politik sollte für die Landwirte besser verständlich, leichter umzusetzen und einfacher sein.

5.8.

Den Landwirten müssen Zahlungen als Ausgleich für die Bereitstellung öffentlicher Güter (insbesondere von Ökosystemleistungen) gewährt werden.

Eine gemeinsame Lebensmittelpolitik

5.9.

Insbesondere der niederländische Ratsvorsitz hat die Idee einer gemeinsamen Lebensmittelpolitik unterstützt. Mit der neuen GAP erkennt die EU an, dass die europäische Landwirtschaft eine nachhaltigere Erzeugung sicherer und hochwertiger Lebensmittel erreichen muss. Im Rahmen der GAP werden Schulobst- und -milchprogramme unterstützt, mit denen Schulkindern bereits ab einem frühen Alter gesunde Ernährungsgewohnheiten nahegebracht werden sollen. Darüber hinaus wird ein ökologischer Landbau gefördert, indem dank klarer Kennzeichnungsvorschriften und spezifischer Förderprogramme im Rahmen der Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums sachkundige Kaufentscheidungen ermöglicht werden.

5.10.

Derzeit fällt die Förderung der öffentlichen Gesundheit sowie gesunder Ernährungsgewohnheiten und Lebensweisen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Europäische Union muss jedoch durch nachhaltige Lebensmittelsysteme für alle Einwohner Europas den Zugang zu einer gesunden und qualitativ hochwertigen Ernährung sicherstellen. Während die nationalen Bemühungen durch europäische Maßnahmen ergänzt und koordiniert werden, sollten mehr Synergien zwischen der GAP und einer künftigen europäischen Lebensmittelpolitik entwickelt werden.

5.11.

Angesichts der Erwartungen der Bürger und der Nachfrage der Verbraucher sollten besondere Anstrengungen zur Entwicklung regionaler Lebensmittelsysteme und somit kurzer Versorgungsketten, insbesondere in der Gemeinschaftsverpflegung, unternommen werden.

Klimapolitik und GAP

5.12.

Seit 1990 ist der ökologische Fußabdruck der Landwirtschaft kleiner geworden. Dennoch müssen die Emissionen aus der Landwirtschaft bis 2030 weiterhin reduziert werden. Dies muss unter Wahrung des europäischen Landwirtschaftsmodells und im Wege einer kosteneffizienten Emissionssenkungspolitik erfolgen. Es besteht die Möglichkeit, den Kohlenstoffgehalt im Boden zu erhöhen sowie fossile Energie und Petrochemikalien durch land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse zu ersetzen.

5.13.

Die vielfältigen Ziele in den Bereichen Landwirtschaft und Landnutzung, die durch ein geringeres Klimaschutzpotenzial gekennzeichnet sind, sowie die Notwendigkeit von Kohärenz zwischen den Zielen der EU im Bereich der Ernährungssicherheit und des Klimaschutzes sollten anerkannt werden (1).

Forschung, Innovation und Beratung

5.14.

In den Betrieben, in Versuchseinrichtungen und in Laboratorien werden kontinuierlich wichtige Neuerungen entwickelt. Die Forschungs- und Entwicklungsbemühungen sollten intensiviert werden, um die Entwicklung der Landwirtschaft in Richtung nachhaltigerer Systeme zu flankieren. Außerdem ist es wichtig, diese Innovationen auch unter den anderen Akteuren bekannt zu machen. Beratungsdienste, die Zusammenarbeit zwischen den Akteuren und andere Mittel zur Verbreitung von Innovationen und für den Austausch bewährter Verfahren sollten gefördert werden.

5.15.

Angesichts der Herausforderungen und der geostrategischen Bedeutung von Lebensmitteln im 21. Jahrhundert sollte das Agrarforschungsprogramm der EU im nächsten Programmplanungszeitraum verstärkt werden. Die digitale Wirtschaft könnte sich nach der grünen Revolution des 20. Jahrhunderts als nächste „landwirtschaftliche Revolution“ erweisen.

Funktionsweise der Versorgungskette

5.16.

In fast jedem Mitgliedstaat gibt es eindeutige Hinweise auf Störungen in der Versorgungskette aufgrund der hohen Konzentration auf dem nachgelagerten Markt. Die Verteilung des Wertzuwachses unter den Akteuren der Lebensmittelversorgungskette ist unausgewogen.

5.17.

Da die EU für Wettbewerbs- und Binnenmarktfragen zuständig ist, sollte dieses Problem auf europäischer Ebene angegangen werden. Die Europäische Kommission sollte europäische Regulierungsrahmen für die Gestaltung der Vertragsbeziehungen innerhalb der Versorgungskette und rechtliche Möglichkeiten für die Organisation kollektiver Maßnahmen der Landwirte vorschlagen. Denn Erzeugerorganisationen sind wichtige Akteure in der Lebensmittelversorgungskette und tragen zur Stärkung der Position der Erzeuger bei. In der kommenden GAP sollte die Verhandlungsmacht von Erzeugerorganisationen verbessert werden. Die Ergebnisse der Arbeiten der Einsatzgruppe „Agrarmärkte“ sollten berücksichtigt werden.

5.18.

Die GAP muss der Realität und Geschwindigkeit des wirtschaftlichen Wandels angepasst werden. In der GAP müssen Artikel 219 bis 222 der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 so weiterentwickelt werden, dass sie für die Europäische Kommission und die Erzeuger praktikabel und realistisch sind.

Welthandel

5.19.

Durch den Welthandel und offene Märkte wird der Wettbewerb verstärkt, wodurch die Lebensmittelpreise sinken könnten. Dennoch ist ein fairer Handel für die EU von größter Bedeutung, um mit denselben Produktionsmethoden und -regeln mit Drittländern in Wettbewerb zu treten. Die internationale Entwicklung könnte durch nichttarifäre Handelshemmnisse gefährdet werden. Unter den zahlreichen unterschiedlichen Lösungen zur Erreichung globaler Ernährungssicherheit kommt dem Handel hinsichtlich der Steigerung der Exporte von Agrarprodukten eine Rolle zu.

5.20.

Gleichwohl sollten die GAP und die Handelspolitik für die Erzeuger aus der EU gleiche Ausgangsbedingungen für den Wettbewerb mit importierten Produkten schaffen. Daher sollte die EU fordern, dass importierte Produkte dieselben Standards erfüllen müssen.

Haushaltsmittel der EU

5.21.

Die GAP wird seit jeher auf europäischer Ebene finanziert. Sie macht einen wesentlichen Teil des EU-Haushalts (38 % im Jahr 2015) aus, aber nur rund 0,4 % der europäischen öffentlichen Ausgaben. Der Haushalt der GAP ist niedriger als die Agrarhaushalte der USA oder Chinas. Darüber hinaus ist er trotz der EU-Erweiterung seit mehreren Jahren stabil bzw. rückläufig. Die GAP muss den zahlreichen großen Herausforderungen der Zukunft gewachsen sein; daher muss der Haushalt für die Agrarpolitik auf europäischer Ebene erhöht werden.

5.22.

Spezifische Aspekte des EU-Haushalts wie der Grundsatz der Jährlichkeit sind eine große Erschwernis für die Gestaltung der GAP. Fonds auf Gegenseitigkeit oder Krisenbewältigungsmaßnahmen werden dadurch eingeschränkt. Darüber hinaus ruft die Mittelaufteilung politische Spannungen hervor und könnte zu Ineffizienzen führen.

Vereinfachung

5.23.

Bereits seit vielen Jahren und besonders in den ersten Jahren der Umsetzung der GAP-Reform von 2013 ist die Vereinfachung eine Priorität. Nichtsdestoweniger sollte die erste grundlegende Priorität für die nächste Reform der GAP weiterhin deren Vereinfachung sein. Insbesondere sollten geeignete Kontrollen und angemessene Sanktionssysteme verbessert werden. Gegenwärtig können Zahlungskürzungen für die Ökologisierung und Cross-Compliance-Maßnahmen unangemessen und unverhältnismäßig sein. Von äußerster Wichtigkeit ist es, sicherzustellen, dass Direktzahlungen fristgerecht geleistet werden.

Struktur der GAP

5.24.

In den letzten Jahrzehnten war die GAP in zwei Säulen gegliedert. Während die erste Säule voll EU-finanziert ist, wird die zweite Säule kofinanziert und mithilfe von Mehrjahresprogrammen dem Bedarf der einzelnen Mitgliedstaaten angepasst. Die Vielfalt der Mitgliedstaaten und Regionen und ihre unterschiedlichen Belange erfordern den Erhalt der Zwei-Säulen-Struktur in der künftigen GAP.

Vorbereitung auf die GAP für die Zeit nach 2020

5.25.

In ihrem am 25. Oktober 2016 veröffentlichten Arbeitsprogramm 2017 erklärt die Kommission, dass sie auf die Vereinfachung und Modernisierung der GAP hinarbeiten und entsprechende breit angelegte Konsultationen durchführen werde, um einen größtmöglichen Beitrag zu den zehn Prioritäten der Kommission und den Zielen für die nachhaltige Entwicklung zu leisten. Es ist wichtig, dass die europäische Zivilgesellschaft daran aktiv mitwirkt.

Brüssel, den 15. Dezember 2016

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Ziffer 2.14 der Schlussfolgerungen des Rates vom 23. und 24. Oktober 2014.


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