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Document 52016IE0773

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Die Auswirkungen der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen auf die europäische Verkehrspolitik“ (Initiativstellungnahme)

ABl. C 303 vom 19.8.2016, p. 10–16 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.8.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 303/10


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Thema „Die Auswirkungen der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen auf die europäische Verkehrspolitik“

(Initiativstellungnahme)

(2016/C 303/02)

Berichterstatter:

Raymond HENCKS

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 21. Januar 2016 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Die Auswirkungen der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen auf die europäische Verkehrspolitik“

(Initiativstellungnahme)

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 3. Mai 2016 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 517. Plenartagung am 25./26. Mai 2016 (Sitzung vom 26. Mai 2016) mit 188 gegen 2 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA begrüßt das auf der 21. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention (COP 21) geschlossene Übereinkommen von Paris sowie die beabsichtigten nationalen Beiträge (Intended Nationally Determined Contributions — INDC) der EU und ihrer Mitgliedstaaten, die sich zu einer Reduzierung des Klimagasausstoßes in der EU um mindestens 40 % bis 2030 und um 80 % bis 95 % bis 2050 gegenüber dem Niveau von 1990 verpflichtet haben.

1.2.

Der EWSA begrüßt außerdem, dass dieses Ziel gemeinsam und unter geteilter Verantwortung der EU und ihrer Mitgliedstaaten erreicht werden muss und dass alle fünf Jahre neue INDC übermittelt werden müssen.

1.3.

Das Ziel, den Treibhausgasausstoß im Verkehrssektor um mindestens 60 % gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken, ist nach wie vor sehr ehrgeizig und kann nur mit erheblichen Anstrengungen erreicht werden. Auch wenn die geltende Entscheidung über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen bis 2020 (Entscheidung Nr. 406/2009/EG) wie auch die künftige Entscheidung für den Zeitraum 2020-2030 den Mitgliedstaaten bei der Wahl der Wirtschaftssektoren, in denen der Klimagasausstoß verringert werden muss, freie Hand lassen, schlägt die Europäische Kommission dennoch die Inanspruchnahme internationaler Gutschriften und die Vermeidung zusätzlicher Auflagen für die nicht unter das EU-ETS fallenden Sektoren vor, sofern weitere Anstrengungen erforderlich sein sollten (COM(2015) 81 final). Im Zusammenhang mit dem Verkehrssektor weist sie darauf hin, dass „in anderen Wirtschaftssektoren (…) größere Emissionsverringerungen möglich sind“ (COM(2011) 144 final). Das 60 %-Reduktionsziel im Verkehrssektor ist aber nach wie vor aktuell und steht im Einklang mit dem allgemeinen EU-Ziel im Rahmen der COP-21-Verpflichtungen, sofern die einschlägigen Maßnahmen und Initiativen schnellstmöglich und entschieden umgesetzt werden.

1.4.

Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen dennoch eine Neubewertung der im Verkehrs-Weißbuch (COM(2011) 144 final) und in dem Fahrplan zu der Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion (COM(2015) 80 final) enthaltenen und bereits eingeleiteten oder geplanten Initiativen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, Durchführbarkeit und insbesondere mit Blick auf die angestrebte Dekarbonisierung des Verkehrssektors vornehmen und sie im Zuge der von der Europäischen Kommission für 2016 angekündigten Überarbeitung des Verkehrs-Weißbuchs entsprechend überarbeiten bzw. um neue Initiativen ergänzen, ohne jedoch die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu beeinträchtigen. Einige dieser Maßnahmen werden Legislativmaßnahmen sein, der Großteil wird jedoch auf freiwilligen nationalen Beiträgen beruhen, um Änderungen der Verhaltensweisen bzw. Gewohnheiten zu bewirken, ohne die die Dekarbonisierung nicht bewerkstelligt werden kann.

1.5.

Der EWSA verweist auf die Bedeutung der geplanten Maßnahmen innerhalb der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) zur Entwicklung eines globalen Emissionshandelssystems für die Luftfahrt und innerhalb der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) zur Überwachung der Emissionen aus dem Seeverkehr und fordert ehrgeizige Ergebnisse im Rahmen der laufenden Verhandlungen mit diesen Organisationen.

1.6.

Der EWSA betont, dass die Anwendung des Verursacherprinzips flexibel gehandhabt werden muss, insbesondere in ländlichen Rand-, in Berg- und in Inselgebieten, um eine Umkehrung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses zu vermeiden und seine Zweckdienlichkeit als Instrument für die Steuerung des Verkehrsgeschehens zu erhalten und gleichzeitig jedwede Verzerrung des Wettbewerbs zwischen den Verkehrsträgern auszuräumen. Er empfiehlt, eine umfassende Organisation des Verkehrs in ländlichen Gebieten auszuloten, um die Ziele des Übereinkommens von Paris zu verwirklichen und den Bedürfnissen schutzbedürftiger Menschen Rechnung zu tragen.

1.7.

Die Anwendung des Verursacherprinzips reicht jedoch nicht aus, um die Umstellung auf eine Niedrigemissionsgesellschaft zu bewerkstelligen. Zusätzliche Maßnahmen wie die Steigerung der Energieeffizienz, die Förderung von Elektromobilität, Carsharing und Ko-Modalität, die Entwicklung alternativer Energieträger und die Festlegung von Umweltanforderungen sowie vor allem die Förderung des öffentlichen Verkehrs sind deshalb umso wichtiger.

1.8.

Im Bioenergiebereich sind kontinuierliche Anstrengungen erforderlich, um eine höhere Emissionsminderung zu erreichen und Landnutzungsänderungen vorzubeugen. Daher muss die energetische Nutzung von Rest-, Neben- und Abfallprodukten zur Kraftstoffherstellung verstärkt gefördert werden. Im Straßengüterverkehr, in der Luftfahrt und im Seeverkehr ist zwar noch gewisses diesbezügliches Potenzial vorhanden, Biokraftstoffe sind jedoch keine eigenständige Lösung; daher müssen Lösungen entwickelt und gefördert werden, um Verbrennungsmotoren durch Elektromobilität und/oder Wasserstoff-Technologien oder andere nachhaltige alternative Energietechnologien abzulösen.

Letztlich geht es nicht darum, die Mobilität an sich einzuschränken, sondern darum, im allgemeinen Umweltinteresse das Verkehrsaufkommen — sofern eine tragfähige Alternative besteht — und den motorisierten Individualverkehr einzudämmen, um zu vermeiden, dass die Städte im Verkehr ersticken.

1.9.

Divestment (das Abziehen klimaschädlicher Investitionen) darf nicht allein Aufgabe der Regierungen sein und erfordert die Sensibilisierung und Mobilisierung der gesamten Verkehrskette (Hersteller, Verkehrsunternehmen, Nutzer) über gesetzliche Maßnahmen bzw. Anreize oder ggf. Abschreckungsmaßnahmen. Kapazitätenaufbau, technische Unterstützung und erleichterter Zugang zu Finanzierung auf lokaler und nationaler Ebene sind für die Umstellung auf ein Verkehrssystem mit geringem CO2-Ausstoß unabdingbar. In den Investitionsprogrammen der Europäischen Union sollte daher den klimawirksamsten Projekten auf der Grundlage von Bewertungskriterien, die im Einklang mit den auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen stehen, unter gleichzeitiger Integration aller Verkehrsträger Vorrang eingeräumt werden.

1.10.

Die starke Mobilisierung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der sozioökonomischen Interessenträger im Rahmen der Klimakonferenz von Paris (COP 21) muss fortgesetzt werden, um die gesellschaftliche Bewegung für Klimagerechtigkeit und Divestment (Abziehen klimaschädlicher Investitionen) zu verstärken.

1.11.

Daher empfiehlt der EWSA den partizipativen Dialog mit der Zivilgesellschaft, den er in seiner Sondierungsstellungnahme „Verkehrs-Weißbuch: Einbindung und Teilhabe der Zivilgesellschaft“ vom 11. Juli 2012 (CESE 1598/2012) erläutert hat.

2.   Wesentliche Beschlüsse der COP 21 — Das Übereinkommen von Paris

2.1.

Die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (zu der die COP 21 im Jahr 2015 stattfand) beschränkte sich auf die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen (im Verkehrssektor fällt vor allem Kohlendioxid (CO2) an, und zwar sowohl bei der Stromerzeugung als auch bei Kraftstoffherstellung und -verbrauch) in der Atmosphäre auf einem Niveau, auf dem eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems verhindert wird. Aufgrund des am 12. Dezember 2015 in Paris geschlossenen Übereinkommens haben sich alle 195 Vertragsstaaten dieser Rahmenkonvention hingegen erstmals zu einer beschleunigten Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Hinblick auf das langfristige Ziel verpflichtet, die durchschnittliche Erderwärmung (bis zum Jahr 2100) auf deutlich unter 2 oC gegenüber vorindustriellen Werten zu halten, und weiterhin Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 oC zu begrenzen und so vom aktuellen Entwicklungspfad, der zu einer Erderwärmung von 3 oC bis zum Ende des 21. Jahrhunderts führen würde, abzuweichen.

2.2.

Nach Ratifizierung des Übereinkommens von Paris sind die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, zur Verwirklichung dieses Endziels ihre national geplanten Klimaschutzbeiträge (Intended Nationally Determined Contributions — INDC) in 5-Jahres-Zyklen zu erarbeiten und zu übermitteln.

2.3.

Das Übereinkommen von Paris soll 2020 in Kraft treten, sofern es von mindestens 55 Staaten, die zusammen mindestens 55 % der globalen Klimagasemissionen verursachen, ratifiziert worden ist; es kann allerdings auch bereits vor seinem tatsächlichen Inkrafttreten angewendet werden — eine Möglichkeit, die nachdrücklich empfohlen wird.

2.4.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten einigten sich am 6. März 2015 im Einklang mit den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 23./24. Oktober 2014 auf das verbindliche Ziel, die EU-internen Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40 % und bis 2050 um 80 % bis 95 % zu reduzieren.

2.5.

Gemäß den Schlussfolgerungen des Rates muss dieses Ziel von der EU und ihren Mitgliedstaaten in ausgewogener und solidarischer Weise gemeinsam erfüllt werden, insbesondere durch eine Emissionsreduzierung in den vom Emissionshandelssystem (EU-ETS) erfassten Sektoren um 43 % bis 2030 und in den nicht unter das EU-ETS fallenden Sektoren um 30 % (jeweils gegenüber 2005).

3.   Die gegenwärtige Situation des Verkehrssektors in der EU

3.1.

Bereits in ihrem Verkehrs-Weißbuch aus dem Jahr 2011 (COM(2011) 144 final) fordert die Europäische Kommission nachdrücklich eine drastische Verringerung der Treibhausgasemissionen, um den Temperaturanstieg durch den Klimawandel auf unter 2 oC zu begrenzen. Sie weist deutlich darauf hin, dass es zwingend notwendig ist, den Treibhausgasausstoß im Verkehrssektor um mindestens 60 % gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken, betont indes, dass „in anderen Wirtschaftssektoren (…) größere Emissionsverringerungen möglich sind“.

3.2.

Etwa ein Viertel der Klimagasemissionen in der EU entfällt auf den Verkehrssektor: 12,7 % der verkehrsbedingten Emissionen werden durch den Luftverkehr, 13,5 % durch den Seeverkehr, 0,7 % durch den Schienenverkehr, 1,8 % durch die Binnenschifffahrt und 71,3 % durch den Straßenverkehr (2008) verursacht. Die Umweltwirkung eines Verkehrsträgers hängt jedoch nicht nur von seinen direkten, sondern auch von seinen indirekten Emissionen ab, die vor allem durch die Erzeugung der für die Mobilität notwendigen Energie entstehen.

3.3.

Weltweit wird im Verkehrssektor die höchste CO2-Emissionswachstumsrate aller Industriesektoren verzeichnet. In der EU ist der Verkehrssektor der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen. Außerdem weisen die Emissionen aus dem Luft- und dem Seeverkehr die schnellste Wachstumsrate auf, allerdings findet das Übereinkommen von Paris auf diese Sektoren keine Anwendung.

3.4.

In dem Verkehrs-Weißbuch 2011 wird betont, dass das Verkehrssystem der EU noch nicht nachhaltig ist; um hier Abhilfe zu schaffen, sind folgende Maßnahmen vorgesehen:

die Abhängigkeit des Verkehrssystems vom Öl aufzuheben, ohne seine Effizienz zu opfern und die Mobilität einzuschränken;

im Verkehr weniger Energie zu verbrauchen und die Energieeffizienz der Fahrzeuge bei allen Verkehrsträgern zu verbessern.

3.5.

In ihrem Verkehrs-Weißbuch und in dem Fahrplan zu der Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion schlägt die Europäische Kommission mehrere Maßnahmen für die Dekarbonisierung des Verkehrssektors vor.

3.6.

Dazu zählen strengere Normen für CO2-Emissionen für Pkw und Lieferwagen nach 2020, Maßnahmen zur Verbesserung der Kraftstoffeffizienz, eine Emissionsminderung bei schweren Nutzfahrzeugen sowie eine verbesserte Steuerung der Verkehrsströme. Außerdem sollen die Einführung von Mautsystemen auf der Grundlage des Verursacher- bzw. des Nutzerprinzips und der Einsatz alternativer Kraftstoffe (auch von Elektromobilität) gefördert werden, wobei vor allem auch eine angemessene Infrastruktur aufgebaut werden muss.

4.   Folgemaßnahmen zu dem Übereinkommen von Paris

4.1.

Nach Ratifizierung des Übereinkommens von Paris (bis zum 21. April 2017) sind die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, zur Verwirklichung des übergreifenden Ziels ihre national geplanten Klimaschutzbeiträge (Intended Nationally Determined Contributions — INDC) in 5-Jahres-Zyklen festzulegen und zu übermitteln.

4.2.

Die Europäische Union kann gemäß Artikel 4 Absatz 16 dieses Übereinkommens im Rahmen einer geteilten Verantwortung gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten handeln und muss dem Sekretariat der Klimarahmenkonvention das für jeden Mitgliedstaat festgelegte Emissionsniveau übermitteln.

4.3.

Gemäß Artikel 4 Absatz 9 des Übereinkommens von Paris und Beschluss 1/CP.21 sind die INDC für den Zeitraum bis 2030 bis zum Jahr 2020 vorzulegen bzw. zu aktualisieren und werden anschließend alle fünf Jahre im Rahmen einer Strategie für eine emissionsarme Entwicklung bis zum Jahr 2050 überprüft. Die aufeinanderfolgenden Beiträge müssen jeweils einen Fortschritt im Vergleich zum vorangegangenen INDC beinhalten (Artikel 4 Absatz 3).

4.4.

Zwar hat die Europäische Union bereits jetzt Ziele und Beiträge für 2030 und 2050 festgelegt, doch sind die von der COP 21 auf der Grundlage der nationalen Beiträge bis 2030 veranschlagten Gesamttreibhausgasemissionen aller Wirtschaftssektoren (55 Gigatonnen) immer noch zu hoch, um die Erderwärmung auf unter 2 oC zu halten, sodass zusätzliche Bemühungen zur Reduzierung der Emissionen auf 40 Gigatonnen erforderlich sind.

4.5.

Auch wenn die geltende Entscheidung über die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen bis 2020 (Entscheidung Nr. 406/2009/EG) wie auch die künftige Entscheidung für den Zeitraum 2020-2030 den Mitgliedstaaten bei der Wahl der Wirtschaftssektoren, in denen der Klimagasausstoß verringert werden muss, freie Hand lassen, schlägt die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung „Das Paris-Protokoll — Ein Blueprint zur Bekämpfung des globalen Klimawandels nach 2020“ (COM(2015) 81 final) dennoch die Inanspruchnahme internationaler Gutschriften und die Vermeidung zusätzlicher Auflagen für nicht unter das EU-ETS fallende Sektoren vor, sofern weitere Anstrengungen erforderlich sein sollten. Der EWSA hat diesen Standpunkt der EU unterstützt (Stellungnahme NAT/665 aus dem Jahr 2015). Außerdem hielt die Europäische Kommission in ihrem Verkehrs-Weißbuch fest, dass „in anderen Wirtschaftssektoren (…) größere Emissionsverringerungen möglich sind“.

4.6.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Ziel einer Emissionsminderung um 60 % im Verkehrssektor im Hinblick auf die Begrenzung der Klimaerwärmung auf unter 2 oC bereits lange vor der COP 21 von Paris beschlossen wurde, ist dieses 60 %-Reduktionsziel aus Sicht des EWSA nach wie vor aktuell und steht im Einklang mit den Beschlüssen der COP 21.

4.7.

Die Verpflichtung der EU, innerhalb der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) auf die Entwicklung eines globalen Emissionshandelssystems für die Luftfahrt hinzuarbeiten, und innerhalb der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) eine Verpflichtung zur Überwachung der Emissionen aus dem Seeverkehr zu erreichen, ist indes nicht Teil ihres INDC. Die EU sollte ehrgeizige Ergebnisse im Rahmen der laufenden Verhandlungen in der ICAO und der IMO fördern.

5.   Die Strategie — konkret erforderliche Maßnahmen

5.1.

Nach Auffassung des EWSA besteht somit ein hohes Maß an Kohärenz zwischen den INDC der EU und den in verschiedenen Kommissionsmitteilungen über Klimaschutzmaßnahmen im Verkehrssektor enthaltenen Zielen. Die 40 Maßnahmen und 131 Initiativen des Verkehrs-Weißbuchs müssen jedoch entschieden und schnellstmöglich umgesetzt werden.

5.2.

Gleichwohl sollten die im Verkehrs-Weißbuch enthaltenen Emissionsminderungsmaßnahmen in Verbindung mit den INDC der EU und den im Paket zur Energieunion festgelegten Zielen im Zuge der von der Europäischen Kommission für 2016 angekündigten Überarbeitung des Weißbuchs überprüft werden (1).

5.3.

Dabei müssen die aufgrund des Verkehrs-Weißbuchs und des Pakets zur Energieunion eingeleiteten Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Durchführbarkeit sowie insbesondere mit Blick auf das Ziel der Dekarbonisierung des Verkehrssektors bewertet bzw. um neue Maßnahmen ergänzt werden. Einige dieser Maßnahmen werden Legislativmaßnahmen sein, der Großteil wird jedoch auf freiwilligen nationalen Beiträgen beruhen, um Änderungen der Verhaltensweisen bzw. Gewohnheiten zu bewirken, ohne die die Dekarbonisierung nicht bewerkstelligt werden kann.

5.4.

Die Umstellung auf einen Verkehrssektor mit geringem CO2-Ausstoß ist mit folgenden Herausforderungen verbunden:

Gewährleistung der Vereinbarkeit der wirtschaftlichen und der sozialen Erfordernisse;

Berücksichtigung des allgemeinen Interesses und der Umweltzwänge;

keine Einschränkung der Mobilität an sich, sondern erhebliche Senkung des Verkehrsaufkommens und des motorisierten Individualverkehrs in Städten und Ballungsräumen über die Raumordnungs- und Wirtschaftspolitik und Förderung des öffentlichen Personenverkehrs;

Förderung von Verhaltensänderungen, u. a. der Verkehrsgewohnheiten, sowie Sicherstellung einer effizienten Logistik für den Gütertransport, auch in der Stadt, und Förderung von Kooperationslösungen zur optimalen Ressourcennutzung;

Förderung der Ko-Modalität.

Durch angemessene verkehrsbezogene Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen auf nationaler und nachgeordneter Ebene könnten die Städte auf den Kurs einer Emissionsminderung um 50 % bis 2050 anstatt eines Business-as-usual-Szenarios gebracht werden. Bereits bestehende Einzellösungen sollten in Maßnahmen zur strategischen Mobilitätsplanung eingebettet werden, um eine bessere Koordinierung zwischen Städtepolitik und Verkehrspolitik zu ermöglichen. Kapazitätenaufbau, technische Unterstützung und erleichterter Zugang zu Finanzierung auf lokaler und nationaler Ebene sind von entscheidender Bedeutung, um diese Ziele zu verwirklichen.

5.5.

In der Fazilität „Connecting Europe“, den Strukturfonds, dem Kohäsionsfonds, dem Europäischen Fonds für strategische Investitionen sowie in EU-Programmen, in deren Rahmen Verkehrsinvestitionen durch Projektfinanzierung unterstützt werden, sollten die klimawirksamsten Projekte vorrangig gefördert werden; gleichzeitig muss jedoch die Integration aller Verkehrsträger sichergestellt werden, um ein gesamteuropäisches Verkehrsnetz aufzubauen. Die Kriterien für die Bewertung der Mittelanträge sollten ausdrückliche Verweise auf die Grundsätze der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen enthalten.

5.6.

Die Lastenteilung zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Sektoren, die unter das Emissionshandelssystem (EU-ETS) fallen, und denjenigen, auf die das EU-ETS keine Anwendung findet, einschließlich des Verkehrssektors, ist einer der wesentlichen Aspekte für die Verwirklichung der INDC der EU und muss auch mit den strategischen Zielen der EU übereinstimmen. Dabei muss den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Oktober 2014 Rechnung getragen werden, um ein ausgewogenes Verhältnis von Kostenaufwand und Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen. Diese Parameter sollten bei der Entscheidung über die Lastenteilung für den Zeitraum 2020-2030, die im Laufe des Jahres 2016 getroffen wird, maßgeblich sein (COM(2015) 80 final, Anhang 1). Allerdings darf die Wettbewerbsfähigkeit der EU dabei nicht beeinträchtigt werden.

5.7.

Im Zuge der Überarbeitung des Verkehrs-Weißbuchs sollten ferner spezifische Möglichkeiten für eine breite Debatte mit der Zivilgesellschaft vorgesehen werden, da die gesellschaftliche Akzeptanz der oftmals unpopulären Maßnahmen notwendig ist: Maßnahmen können nur dann Wirkung zeigen, wenn sie auch von der Zielgruppe mitgetragen werden. Die starke Mobilisierung der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der sozioökonomischen Interessenträger im Rahmen der Klimakonferenz von Paris (COP 21) muss daher fortgesetzt werden, um die gesellschaftliche Bewegung für Klimagerechtigkeit und Divestment (Abziehen klimaschädlicher Investitionen) zu verstärken.

5.8.

Initiativen wie etwa die „Global Fuel Economy Initiative“ (GFEI), bei der Länder gemeinsam an Maßnahmen und Vorschriften für die Energieeffizienz von Fahrzeugen arbeiten, die Initiative „Paris Declaration on Electro-Mobility and Climate Change & Call to Action“, die auf den Verpflichtungen von Hunderten von entschiedenen Anstrengungen zur Verwirklichung einer nachhaltigen Elektrifizierung des Verkehrs aufbaut, die Initiative „MobiliseYourCity“, die Städte sowie Schwellen- und Entwicklungsländer bei der Erstellung und Umsetzung nachhaltiger Mobilitätspläne für die Städte und nationaler Maßnahmen für den städtischen Verkehr unterstützen, oder die Initiative „Global Green Freight Action Plan“ sollten gefördert und ausgebaut werden.

5.9.

Wie der EWSA bereits betont hat (2), setzt eine wirksame und erfolgreiche partizipative Governance eine gute Organisations- und Verfahrensstruktur voraus. Die Einbindung der Interessenträger in eine langfristig nachhaltige Entwicklung sollte, um wirksam zu sein, am besten im Wege eines kontinuierlichen und integrativen Prozesses anstatt durch punktuelle oder spontane Einzelaktionen erfolgen.

5.10.

Der EWSA hat die Einrichtung eines Nachhaltigkeitsforums der europäischen Zivilgesellschaft beschlossen; dieses Forum soll einen strukturierten und autonomen Rahmen für die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Umsetzung, Überwachung und Überprüfung der horizontalen Aspekte der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung und insbesondere des darin enthaltenen Nachhaltigkeitsziels Nr. 13 „Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen“ bilden. In Bezug auf den Verkehrssektor sollte der vom EWSA verwaltete partizipative Dialog in Verbindung mit der Umsetzung des Verkehrs-Weißbuchs 2011 genutzt werden.

5.11.

Der EWSA arbeitet derzeit an einer Stellungnahme (NAT/684) zur Schaffung eines Bündnisses der Zivilgesellschaft und der subnationalen Gebietskörperschaften zur Erfüllung der Verpflichtungen im Rahmen des Übereinkommens von Paris. Durch das Übereinkommen von Paris sollte nicht noch eine weitere Plattform zur Registrierung von Verpflichtungen errichtet, sondern vielmehr ein umfassender Rahmen für die langfristige Koordinierung der nichtstaatlichen und staatlichen Maßnahmen geschaffen werden. Die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Verwirklichung der Verpflichtungen ist von entscheidender Bedeutung.

5.12.

Divestment (das Abziehen klimaschädlicher Investitionen) darf nicht allein Aufgabe der Regierungen sein und erfordert die Sensibilisierung und Mobilisierung der gesamten Verkehrskette (Hersteller, Verkehrsunternehmen, Nutzer) über gesetzliche Maßnahmen bzw. Anreize oder ggf. Abschreckungsmaßnahmen.

5.13.

Die auf der COP 21 beschlossene Strategie freiwilliger Verpflichtungen ist darauf beschränkt, dass jedes Land nicht zwingende selbstgesteckte Klimaziele übermittelt, wohingegen die Einführung einer zwingenden Norm für Emissionen sicherlich die wirksamste Lösung wäre, um das Übereinkommen von Paris zum erhofften Ergebnis zu führen. Die in Ziffer 5.5 erläuterte Lastenteilung innerhalb der EU für den Zeitraum 2020-2030 wird dennoch zu einer Stärkung der eingegangenen Verpflichtungen beitragen.

6.   Das Verursacherprinzip

6.1.

Gemäß dem Vertrag von Lissabon (siehe Artikel 191 Absatz 2 AEUV) beruht die Umweltpolitik der EU auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.

6.2.

Nach dem Verursacherprinzip werden die Kosten der Umweltschädigung dem Verursacher angelastet. Indes integrieren die Mitgliedstaaten den CO2-Preis auf sehr unterschiedliche Weise in ihre nationale Klimapolitik und setzen vor allem auf Besteuerung, die sich jedoch in erster Linie nachteilig auf die Kaufkraft der einkommensschwächsten Haushalte und die Beschäftigungslage auswirkt.

6.3.

Gemäß dem Verkehrs-Weißbuch müssen verkehrsbezogene Entgelte und Steuern unter verstärkter Berücksichtigung des Verursacher- und Nutzerprinzips umgestaltet werden.

6.4.

Das Konzept der Europäischen Kommission beruht auf dem Verursacherprinzip und den Möglichkeiten, die Straßennutzungsgebühren als Mittel für die Finanzierung von Bau und Instandhaltung der Infrastruktur bieten. Dieses System soll durch die Internalisierung externer Kosten zur Förderung nachhaltiger Verkehrsträger und zur Sicherung ihrer Finanzierung beitragen.

6.5.

Allerdings besteht in der EU ein Nebeneinander zahlreicher unterschiedlicher Systeme, u. a. elektronische Mautsysteme, Vignetten, Staugebühren und satellitengestützte (Global Navigation Satellite Systems — GNSS) Kilometerabgaben. Außerdem finden die EU-Vorschriften für die Besteuerung des Schwerverkehrs (Eurovignette) nur noch in vier Mitgliedstaaten Anwendung; andere Mitgliedstaaten wiederum erheben überhaupt keine Straßennutzungsgebühren. Diese Situation wirft ernste Fragen für die Entwicklung des Binnenmarkts und für die Bürger auf, beeinträchtigt das Wirtschaftswachstum und sorgt für zunehmende soziale Ungleichheiten in vielen Mitgliedstaaten. Die Nichterhebung von Straßennutzungsgebühren kann (ganz zu schweigen von den Kosten der negativen Umweltauswirkungen) Auswirkungen auf die Wettbewerbsbedingungen gegenüber dem Schienenverkehr haben, sofern ein Schienenverkehrsdienst zur Verfügung steht.

6.6.

Ein europäisches System der Straßennutzungsgebühren muss indes ausreichend flexibel angelegt sein, um der Situation der Regionen in Randlage sowie der ländlichen Rand-, der Berg- und der Inselgebiete Rechnung zu tragen, die nur eine geringe Bevölkerungsdichte aufweisen und über keine praktikablen Alternativen zum Straßenverkehr verfügen. Eine Internalisierung der externen Kosten würde weder das Verkehrsverhalten noch die Steuerung des Verkehrsgeschehens beeinflussen, sondern nur der Wettbewerbsfähigkeit schaden. Das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen der ländlichen Gebiete hängt von einem sowohl kosteneffizienten als auch umweltfreundlichen Verkehrssystem ab. Als Mittel zur Senkung der verkehrsbedingten Emissionen haben einige Regierungen CO2-Steuern in verschiedenster Form eingeführt, die allerdings ihren Zweck, sprich die Emissionsminderung, verfehlt und vielmehr erhebliche Mehrkosten für Familien, insbesondere in ländlichen Rand-, in Berg- und in Inselgebieten, bewirkt haben.

6.7.

Nach Aussagen der Verkehrskommissarin will die Europäische Kommission Ende 2016 einen Vorschlag für ein europäisches System für Nutzfahrzeuge und Pkw mit einer einheitlichen Regelung für die Erhebung von Straßen- und Autobahnnutzungsgebühren in allen Mitgliedstaaten vorlegen, die ausschließlich auf der zurückgelegten Kilometerzahl beruhen.

6.8.

Der EWSA begrüßt die Absicht der Europäischen Kommission, auf europäischer Ebene ein einheitliches System für Straßennutzungsgebühren auf der Grundalge des Verursacherprinzips einzuführen, ist jedoch der Ansicht, dass die Internalisierung der externen Kosten bei der Preisgestaltung nicht ausreichen wird, um eine nachhaltige Verkehrspolitik zu schaffen, die den auf der COP 21 eingegangenen Verpflichtungen gerecht wird. Hierfür sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich wie die Steigerung der Energieeffizienz, Elektromobilität, Carsharing und Ko-Modalität, die Entwicklung alternativer Energieträger und die Festlegung von Umweltanforderungen sowie vor allem die Förderung des öffentlichen Verkehrs.

6.9.

Eine weitere denkbare Maßnahme wäre die Festlegung des CO2-Preises auf der Grundlage wirtschaftlicher und sozialer Kriterien. Von einem zu niedrigen Kraftstoffpreis wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt geht sicherlich kein Signal für die Akteure des Verkehrssektors aus, ihr Verhalten zu ändern und Maßnahmen zur Senkung ihres Energieverbrauchs zu ergreifen. Strengere Kraftstoffnormen, Energieeffizienzvorschriften, eine computergestützte Steuerung der Verkehrsströme und die Entwicklung alternativer Kraftstoffe können jedoch neue Wege für die Emissionsminderung eröffnen, ohne sich dabei nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit auszuwirken.

7.   Innovation, Forschung und Entwicklung, alternative Kraftstoffe

7.1.

Der EWSA bekräftigt, dass eine aktive Industriepolitik und eine koordinierte Forschung und Entwicklung notwendig sind, um die Umstellung auf eine Niedrigemissionswirtschaft zu unterstützen. Um die Reduzierung schädlicher Emissionen von dem unvermeidlichen Verkehrszuwachs abzukoppeln, sind gezielte Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung erforderlich.

7.2.

In dem Verkehrs-Weißbuch betont die Europäische Kommission, dass die Entwicklung von Biokraftstoffen insbesondere für die Luftfahrt und den Schwerverkehr weiter fortgesetzt werden muss; gleichzeitig weist sie auf Ernährungssicherheits- und Umweltproblematik in Verbindung mit der Entwicklung von Biokraftstoffen hin und unterstreicht, dass nachhaltigere Biokraftstoffe der zweiten und dritten Generation entwickelt werden müssen.

7.3.

Im Bioenergiebereich sind kontinuierliche Anstrengungen erforderlich, um eine höhere Emissionsminderung zu erreichen und Landnutzungsänderungen vorzubeugen. Daher muss die energetische Nutzung von Rest-, Neben- und Abfallprodukten zur Kraftstoffherstellung verstärkt gefördert werden. Im Straßengüterverkehr, in der Luftfahrt und im Seeverkehr ist zwar noch gewisses diesbezügliches Potenzial vorhanden, Biokraftstoffe sind jedoch keine eigenständige Lösung; daher müssen Lösungen entwickelt und gefördert werden, um Verbrennungsmotoren durch Elektromobilität und/oder Wasserstoff-Technologien oder andere nachhaltige alternative Energietechnologien abzulösen.

7.4.

Die Umstellung auf Elektromobilität muss an die Umstellung auf Carsharing gekoppelt sein. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass selbst eine komplette Umstellung auf mit nachhaltigen Kraftstoffen betriebene Motoren die Gefahr birgt, dass die Städte weiterhin im Verkehr ersticken, solange der öffentliche Personenverkehr und effiziente Verteilungssysteme nicht gängige Praxis werden.

Brüssel, den 26. Mai 2016.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 291 vom 4.9 2015, S. 14.

(2)  ABl. C 299 vom 4.10 2012, S. 170.


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