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Document 52009AE1700

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Hin zu einer ökologisch effizienten Wirtschaft - die Wirtschaftskrise als Chance für den Beginn einer neuen Ära im Energiebereich begreifen“ (Sondierungsstellungnahme)

ABl. C 128 vom 18.5.2010, p. 23–28 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

18.5.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 128/23


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Hin zu einer ökologisch effizienten Wirtschaft - die Wirtschaftskrise als Chance für den Beginn einer neuen Ära im Energiebereich begreifen“

(Sondierungsstellungnahme)

(2010/C 128/05)

Berichterstatter: Frederic OSBORN

Am 3. Juni 2009 ersuchte der künftige schwedische Vorsitz des Rates der Europäischen Union den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema

„Hin zu einer ökologisch effizienten Wirtschaft - die Wirtschaftskrise als Chance für den Beginn einer neuen Ära im Energiebereich begreifen“.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 12. Oktober 2009 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 457. Plenartagung am 4./5. November 2009 (Sitzung vom 5. November) mit 164 gegen 2 Stimmen bei 8 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.   Die größten Industrieländer der Welt haben die Notwendigkeit erkannt, dass sie ihren Treibhausgasausstoß bis 2050 als Teil des weltweit erforderlichen Handelns, um die durch den Klimawandel bedingten Gefahren in einem zu bewältigenden Ausmaß zu halten, um mindestens 80 % senken müssen. Daher müssen unverzüglich erhebliche Umstellungen in Bezug auf die Energiegrundlage der Industrieländer vorgenommen werden.

1.2.   Die EU hat sich mit dem umfangreichen Klima- und Energieprogramm, dem Rat und Parlament dieses Jahr zugestimmt haben, an die Arbeit gemacht, seine Emissionen bis 2020 um 20-30 % zu verringern. Allerdings muss dieses Programm erst noch umgesetzt werden, und bald schon werden weitere Maßnahmen zum Erreichen des für 2050 gesteckten Ziels erforderlich sein.

1.3.   Die aktuelle Wirtschaftskrise stellt eine Bedrohung dar, bietet aber gleichzeitig auch eine Chance. Die Bedrohung besteht darin, dass die Bewältigung der anhaltenden Wirtschaftsprobleme alle verfügbare politische Aufmerksamkeit und alle verfügbaren Ressourcen beanspruchen wird und dass sich die Maßnahmen auf die Wiederherstellung des „Business as usual“ mit wie bisher zunehmenden Emissionen konzentrieren werden. Als Chance tut sich ein großer Spielraum für die Aufstellung einer innovativen Ökoeffizienz-Strategie auf, von der alle profitieren und die dazu beiträgt, die Konjunktur wieder anzukurbeln, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu stärken, neue Arbeitsplätze zu schaffen und gleichzeitig die Energiegrundlage umzustellen und die Emissionen deutlich zu senken.

1.4.   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt und ermutigt alle bereits ergriffenen und für die Zukunft geplanten Maßnahmen zur Förderung der Ökoeffizienz, einschließlich weiterer Schritte in folgende Richtungen:

Verstärkung der Energieeffizienzmaßnahmen im Wege eines neuen Aktionsplans für Energieeffizienz

Verstärkung der Maßnahmen im Bereich erneuerbare Energieträger im Wege eines neuen Aktionsplans für erneuerbare Energieträger

Festschreibung von Ökoeffizienz-Vorgaben in allen öffentlichen Ausgabenprogrammen

Förderung und Anregung einer ökologisch orientierten Steuerreform

Förderung einer umweltfreundlichen Beschaffungspolitik in allen Behörden

1.5.   Der EWSA schlägt vor, dass die Kommission und die Institutionen auch neue Bemühungen in Bezug auf eine begrenzte Zahl spezifischer, mit der Umstellung verbundener Herausforderungen entfalten sollten, um Handeln und Unterstützung im großen Maßstab zu mobilisieren und Europas internationale wirtschaftliche Führungsposition zu wahren. Seines Erachtens könnten vor allem drei Umstellungen in Form großer europäischer Initiativen und Programme das Interesse und die Unterstützung der Öffentlichkeit erlangen:

der Ausbau der Solarenergie und weiterer erneuerbarer Energieträger,

die Entwicklung des Vollelektroautos,

die Entwicklung des Nullemissionshauses.

Selbstredend muss eine allgemeine Einführung von Elektroautos mit weiteren Schritten hin zur Erhöhung des Anteils der Stromerzeugung aus solchen Quellen einhergehen, die keine nennenswert hohen Netto-CO2-Emissionen verursachen, um so zu vermeiden, dass CO2-Emissionen einfach vom Auto auf das Kraftwerk verlagert werden.

1.6.   Der EWSA schlägt vor, leistungsfähige öffentlich-private Partnerschaften aufzubauen, um diese Umstellungen zu gestalten und zu steuern und eine möglichst breite Unterstützung durch die Wirtschaft, weitere einschlägige Institutionen und die Öffentlichkeit zu gewinnen. Ferner schlägt er vor, als zusätzliche Finanzierung einiger dieser Umstellungen eine neue Art „grüner“ Eurobonds einzuführen.

1.7.   Der EWSA hält es für dringend erforderlich, eine neue Initiative für Ökoeffizienz im Sinne dieser Stellungnahme als Kernkonzept der neuen Lissabon-Strategie zu verankern, um die Richtung hin zu einer nachhaltigeren Zukunft vorzugeben.

2.   Kontext

2.1.   Die allgemeinen Motivationsgründe für Bemühungen um einen raschen Übergang zu einer ökologisch effizienteren Wirtschaft sind wohlbekannt. Der durch Treibhausgasemissionen verursachte Klimawandel führt bereits in vielen Teilen der Welt zu ernsthaften Problemen - und diese Probleme werden in Zukunft ziemlich sicher wachsen.

2.2.   Neben dem Klimawandel wird auch die Aussicht auf eine Erschöpfung der weltweiten Erdöl- und Erdgasvorräte, die zu künftigen Versorgungseinbrüchen sowie steigenden und stärker schwankenden Preisen führen wird, zu einer immer ernsthafteren Bedrohung. Regionen wie Europa, die bei ihrer Versorgung zu einem Großteil von Importen abhängig sind, müssen ihre Anfälligkeit verringern und ihre Sicherheit stärken, indem sie ihre Gesamtenergienachfrage drosseln und ihren Energiebedarf stärker über einheimische und erneuerbare Energieträger decken.

2.3.   Zusammengenommen bedeuten diese beiden langfristigen strategischen Herausforderungen, dass fast überall auf der Erde der Treibhausgasausstoß erheblich reduziert und ein tiefgreifender Wandel hin zu einer ökologisch effizienten Wirtschaft vollzogen werden muss. Die G-8-Führer haben sich grundsätzlich darauf geeinigt, dass die Industrieländer ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80 % senken müssen. Einige der dafür erforderlichen Veränderungen der Energiegrundlage der Wirtschaft sind bereits eingeleitet worden, doch muss das Tempo noch erheblich gesteigert werden, wenn das Ziel erreicht werden soll.

2.4.   Vieles von dem, was zu tun ist, ist bereits bekannt und könnte über bewährte Techniken umgesetzt werden. Laut Schätzungen im „World Energy Outlook“ 2008 (WEO 2008) der Internationalen Energie-Agentur (IEA) können über 50 % der Maßnahmen zur Verringerung der CO2-Konzentration unter 450 ppm (Teile pro Million) im Jahr 2030 durch die Einführung bereits vorhandener energieeffizienter Technologien erzielt werden. Sowohl auf der Nachfrageseite (Gebäude, Industrie, Verkehr) als auch auf der Angebotsseite (z.B. Kraft-Wärme-Kopplung und Fernwärme) existieren einsatzfähige kostenwirksame Maßnahmen. Mehr Handeln ist jedoch erforderlich, um die Marktakteure bei ihrer rascheren Anwendung zu unterstützen.

2.5.   Über vorhandene Technologien hinaus müssen in den nächsten Jahrzehnten neue Energieeffizienztechnologien und emissionsarme Energietechnologien für einen umfassenden Markteinsatz zur Verfügung stehen, um die erforderliche weitere Senkung der CO2-Emissionen zu erreichen. In den Analysen der „Energy Technology Perspectives 2008“ der IEA wird hervorgehoben, dass frühzeitiges Handeln erforderlich ist, um private FuE zu mobilisieren und das Lernen in der gesamten Kette vom Anbieter zum Technologiebetreiber und -anwender zu fördern, damit die neuen Technologien die Lernkurve herunterlaufen und von vielversprechenden, überteuerten Demonstrationsprojekten zu zuverlässigen und preisgünstigen Produkten für den täglichen Gebrauch werden. Neue Technologien werden gebraucht, um sowohl die Energieeffizienz weiter zu steigern (z.B. Nullemissionsgebäude, emissionsarme Beleuchtung und Herstellungsverfahren) als auch die CO2-Emissionen aus der Energieversorgung zu verringern (z.B. Solarstrom, CO2-Abscheidung und -Speicherung, nicht fossile Kraftstoffe).

2.6.   All diese Veränderungen sind technisch machbar. Allerdings muss das Tempo des Wandels deutlich angezogen werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen ebenso wie weitere große Volkswirtschaften noch mehr tun als bislang, um Innovationsstrategien und umfangreiche Umstellungsprogramme in den betroffenen Kernbereichen zu entwickeln.

2.7.   Markteinführungsprogrammen sind von entscheidender Bedeutung. Sie können Anreize zur Ausschöpfung des Potenzials vorhandener Energieeffizienzmaßnahmen bieten oder die Umsetzung einer neuen Technologie in marktfähige Produkte so weit voranbringen, dass private FuE angeregt wird und der Lernprozess beginnen kann. Derartige Programme verfügen über das größte Potenzial für eine doppelte Dividende - nämlich die Schaffung von Arbeitsplätzen und Unterstützung bei der Umstellung auf ökologisch effiziente Energiesysteme im Heute bei gleichzeitigen Lerninvestitionen im Hinblick auf effizientere und preiswertere Technologien im Morgen. Die Aufgabe besteht darin, Markteinführungsprogramme zu entwickeln, die den Wettbewerb und Investitionen in FuE im Privatsektor anregen sowie das Lernen in der Kette vom Hersteller bis zum Nutzer fördern.

2.8.   Schon jetzt gibt es mehrere Beispiele für erfolgreiche europäische Bemühungen um die Effizienzsteigerung und die Markteinführung emissionsarmer Technologien. Durch das Energiekennzeichnungssystem der EU ist der Markt für Kältetechnik erheblich energieeffizienter geworden. Durch nationale Programme für die Nachrüstung bestehender Gebäude wurde die Heizeffizienz gesteigert. Über nationale Markteinführungsprogramme für Windenergie wurden die Ausbreitung dieser Technik enorm gefördert und die Kosten verringert - und in den Ländern mit solchen Programmen entstanden Branchen mit einem Umsatz in Höhe von mehreren Milliarden Euro.

2.9.   Die künftigen Anforderungen an Effizienz und neue emissionsarme Technologien bleiben jedoch enorm. Die aus diesen Bemühungen gewonnenen Erfahrungen müssen gesammelt und übertragen werden - und dann für neue und koordinierte Bemühungen um die europaweite Einführung und Verbreitung der nächsten Generation emissionsarmer Technologien genutzt werden.

2.10.   Für einige der notwendigen Umstellungen sind eventuell grundlegend neue konzeptuelle Herangehensweisen erforderlich; diese sind besonders zu berücksichtigen. Drei Beispiele eröffnen wohl ein besonderes Potenzial an Möglichkeiten, die von der europäischen Öffentlichkeit gut aufgenommen werden und entscheidende Verbesserungen im Bereich Ökoeffizienz herbeiführen könnten:

Im Bereich der Stromerzeugung muss die Wende in Richtung erneuerbare Energieträger weiter beschleunigt werden. Solarstrom ist noch immer kostspielig und eine Nischenangelegenheit, doch sinken die Kosten beständig; jetzt ist ein weiterer Anstoß nötig, um die Solarenergie sowohl in kleinen lokalen Anlagen als auch in größeren Stromerzeugungsanlagen umfassender einzusetzen. Die Windkraft wird nun endlich relativ flächendeckend genutzt, doch müssen die Kosten noch weiter nach unten getrieben werden. Mit Erdwärmepumpen werden bereits sehr gute Ergebnisse erzielt; ihre Weiterentwicklung sollte rasch so weit vorangetrieben werden, dass sie zur Norm für alle Neubauten (Wohn- und Geschäftsgebäude) werden können. Das Netz, die dazugehörende Infrastruktur und die Energiespeichersysteme müssen neu durchdacht und strukturiert werden, um über intelligentes Design und eine intelligente Bewirtschaftung einen erheblich stärkeren Einsatz der erneuerbaren Energieträger zu ermöglichen.

Das Null-Emissions-Auto. Dem Grad der Verbesserung der CO2-Leistung von Verbrennungsmotoren sind grundlegende physische Grenzen gesetzt. Ab einem bestimmten Punkt wird es eine Umstellung auf das Vollelektro- oder Brennstoffzellenauto geben, das mit Strom aufgeladen bzw. mit Brennstoff betrieben wird, der aus Energieträgern mit geringen oder gar keinen Netto-Treibhausgas-Emissionen gewonnen wird. Der Ausschuss hält die Zeit für gekommen, um eindeutige Ziele und Zeitpläne für diese Umstellung aufzustellen und die erforderliche Infrastruktur und Unterstützung aufzubauen.

Im Baubereich zeichnet sich die reale Möglichkeit eines echten Netto-Nullemissionsgebäudes ab. Jetzt sind umfassende Anstrengungen erforderlich, um den Übergang vom Stadium einiger weniger interessanter Prototypen zu einer breiten Anwendung in neuen und bestehenden Wohn- und anderen Gebäuden zu bewerkstelligen. Zu diesem Zweck sollten in allen Regionen der EU Modell-Energiesparhäuser errichtet werden, bei deren Konzipierung die klimatischen und geografischen Gegebenheiten der Region berücksichtigt werden. Solche Gebäude würden als Vorbild dienen.

2.11.   Ähnliche Maßnahmen wären evtl. wünschenswert für eine weitere Förderung der Entwicklung und des Einsatzes von Kohlenstoffabscheidungstechnologien sowie für den Ausbau der Möglichkeiten, mit Informationstechnologie und intelligenten Systemen die Ökoeffizienz voranzutreiben.

3.   Die Rolle der Staaten und der Europäischen Union

3.1.   Die EU spielt aufgrund des Umfangs und der Bandbreite einiger der erforderlichen Maßnahmen eine besonders wichtige Rolle. Umstellungen im erforderlichen Maßstab und Tempo können nur durch konzertierte Bemühungen in einer EU-weiten - und in einigen Fällen sogar weltweiten - Zusammenarbeit von Partnern des öffentlichen und privaten Sektors herbeigeführt werden. Die EU hat bereits eine ganze Reihe von Programmen aufgelegt und Pakete geschnürt, um die Energieeffizienz, erneuerbare Energieträger und den Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft zu fördern. Diese Bemühungen müssen jedoch noch weiter verstärkt und beschleunigt werden. In den folgenden Abschnitten werden einige der Schlüsselbereiche, in denen neues Handeln auf europäischer Ebene erforderlich ist, erörtert.

3.2.   Forschung und Entwicklung. Die FuE in Europa stagniert seit einigen Jahren bei ca. 1,84 % des BIP - also ziemlich weit unter dem vereinbarten Ziel von 3 %. Erhebliche Anstrengungen sind erforderlich, um hier auf das Ziel von 3 % zu kommen; außerdem muss die FuE verstärkt auf den Übergang hin zu einer emissionsarmen Wirtschaft ausgerichtet werden. Unter den Technologien, für die eine stärkere staatliche FuE-Finanzierung benötigt wird, befinden sich einige der umwälzenderen neuen emissionsarmen Technologien, wie etwa die CO2-Abscheidung und -Speicherung, Dünnschicht-Photovoltaik, Offshore-Tiefsee-Windparks und Biokraftstoffe der 2. Generation.

3.3.   Programme für die Markteinführung sollten auf die Nutzung von Nischenmärkten für die neuen Technologien ausgerichtet sein und Anreize für Lerninvestitionen der Marktakteure bieten. Synergieeffekte mit der Steuer- und Industriepolitik sollten genutzt werden. Die EU sollte sich insbesondere auf die größten Umstellungen konzentrieren, wie etwa die Umstellung auf das Elektroauto oder das Nullemissionshaus, für die auf breiter Front technologische Unterstützung, umfangreiche Investitionen, eine umfassende infrastrukturelle Unterstützung sowie eine weit reichende Mobilisierung des öffentlichen Interesses und des Verbraucherinteresses sowie Unterstützung und Anreize erforderlich sein werden. Die Erfahrung mit den Energietechnologieplattformen muss ausgebaut und zu proaktiven Markteinführungsprogrammen für die erforderlichen wesentlichen Umstellungen weiterentwickelt werden.

3.4.   Aufstellung von Normen. Regelungsstandards für Mindestanforderungen an die Energieeffizienz von Produkten und Dienstleistungen kommt bei der Herbeiführung von Fortschritten eine wesentliche Rolle zu. Die EU hat bereits Mindestenergieeffizienzstandards für einige wesentliche Produkte aufgestellt und Fristen für weitere, künftig verpflichtende Verbesserungen festgelegt. Diese Programme müssen jedoch noch umfassender angelegt und mit ehrgeizigeren kurz- und langfristigen Zielen versehen werden.

3.5.   Natürlich müssen die Grenzen des Machbaren beim Tempo des Fortschritts beachtet werden. Es ist jedoch auch wichtig, den Druck auf die europäische Industrie aufrecht zu erhalten, weiterhin zu den weltweiten Spitzenreitern bei Effizienzstandards zu zählen und damit eine starke Wettbewerbsposition einzunehmen, wenn auf dem gesamten Weltmarkt ein Wandel in Richtung Ökoeffizienz vollzogen wird.

3.6.   Öffentliches Auftragswesen. Programme für das öffentliche Auftragswesen können Standardverbesserungen in Schlüsselbereichen der Industrie erheblich vorantreiben, wenn in Leistungsbeschreibungen und Vertragsdokumente entsprechende Vorgaben aufgenommen werden. Die EU sollte auch weiterhin den Weg vorgeben und striktere Energieeffizienzstandards als Standardanforderungen bei allen öffentlichen Ausschreibungen für Güter, Dienstleistungen und Gebäude verbindlich vorgeben. Öko-Effizienz-Kriterien sollten in alle Projektbewertungsverfahren aufgenommen werden.

3.7.   Einige lokale und regionale Gebietskörperschaften in Europa zählen zu den Vorreitern bei der Ausrichtung all ihrer Tätigkeiten auf Ökoeffizienz. Viele allerdings auch nicht. Über eine europäische Initiative könnten einerseits bewährte Verfahren herausgestellt und ihre Nachahmung angeregt werden und andererseits könnten systematische und harmonisierte Anforderungen für die Gebietskörperschaften im Hinblick auf Ökoeffizienzstandards gefördert werden.

3.8.   Anreize für den Privatsektor. Hier ist eine angemessene Bepreisung des CO2-Ausstoßes ausschlaggebend; der Ausschuss erhofft für die Ausweitung des Emissionshandelssystems auf geeignete Sektoren und die Anregung des weiteren Ausbaus einer CO2-orientierten Besteuerung in anderen Bereichen Maßnahmen der Kommission. Auch spezifischere Anreize wie etwa die Nutzung von Einspeisetarifen zur Förderung von Investitionen in erneuerbare Energieträger sollten weiter verfolgt werden. In einigen Fällen wird eventuell auch eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichem und privatem Sektor erforderlich sein, um die erforderliche Infrastruktur für wesentliche neue Technologien zu schaffen, z.B. für eine dezentrale Stromerzeugung und ein intelligentes Stromnetz.

3.9.   Verbraucherverhalten. Noch sind die Kauf- bzw. Alltagsentscheidungen der Verbraucher nur unzureichend von einem Interesse an mehr Energieeffizienz geprägt. Umgekehrt sind sich die Gesetzgeber noch kaum über die Beweggründe des Verbraucherverhaltens und die besten Wege zur Förderung der Nachfrage nach ökoeffizienten Gütern und Dienstleistungen im Klaren. Die Förderung von Bildungsmaßnahmen, Sensibilisierungskampagnen und Veranstaltungen vor Ort muss verstärkt werden. Die Kennzeichnung von Gütern und Produkten mit Informationen über die Energieleistung muss ausgeweitet und verbessert werden.

3.10.   Berufliche Aus-, Fort- und Weiterbildung. Es bedarf sehr viel größerer Anstrengungen, um im Rahmen der beruflichen Bildung, der gewerblich-technischen Ausbildung und der Berufsumschulung ein besseres Verständnis der Notwendigkeit und des Potenzials von energieeffizienten Erzeugung und Nachhaltigkeit zu vermitteln.

4.   Chancen und Risiken der derzeitigen Wirtschaftskrise

4.1.   Durch die aktuellen weltweiten wirtschaftlichen Probleme könnten rasche Fortschritte in Richtung Ökoeffizienz u.U. beeinträchtigt werden. Mittel für neue Investitionen sind sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor rar und werden zumeist kurzfristigen Prioritäten vorbehalten.

4.2.   Die allmähliche Erholung der Weltwirtschaft könnte jedoch auch neue Möglichkeiten eröffnen, um die europäische Wirtschaft (und andere große Volkswirtschaften) in eine nachhaltigere Richtung zu steuern. Europa muss diese Möglichkeiten ergreifen und nutzen, wenn es im sich abzeichnenden künftigen globalen Wettbewerb um Ökoeffizienz und Nachhaltigkeit brillieren will.

Einige spezielle Bereiche, die vor allem in das Ressort der Finanz-, Wirtschafts- und Industrieministerien fallen, sollten angesichts der aktuellen Wirtschaftslage besonders eingehend betrachtet werden:

4.3.1.   . Die Wirtschaftskrise hat erneut die Schwachpunkte des BIP als Messfaktor für den Gesamtfortschritt sowie das Erfordernis eines weiter gefassten Wohlfahrtskonzepts, das neben sozialen und Umweltfaktoren auch der Leistungsfähigkeit der Geldwirtschaft Rechnung trägt, ins Blickfeld gerückt. Die Kommission sollte bei ihren einschlägigen Arbeiten den jüngst im Auftrag der französischen Regierung vorgelegten Stiglitz-Bericht berücksichtigen.

4.3.2.   . Mehrere Staaten und die Kommission haben umfangreiche Konjunkturpakete geschnürt, um Impulse für ihre Wirtschaft zu geben und das Abgleiten in eine Depression zu verhindern. Das von der Kommission geförderte Europäische Konjunkturprogramm war ein gutes Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Anreize mit der Förderung einer Umstellung auf eine umweltfreundlichere Wirtschaft verknüpft werden können, doch waren ihm aufgrund seiner verhältnismäßig geringen finanziellen Ausstattung unvermeidlich Grenzen gesetzt. Weitere Konjunkturprogramme sind zwar mittlerweile wohl kaum noch erforderlich, doch müssen alle öffentlichen Ausgabenprogramme einer ökoeffizienz-kritischen Bewertung unterzogen werden, um zweifachen Nutzen daraus ziehen zu können. In den Haushaltsverfahren der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten sollten systematische Nachhaltigkeitsbewertungen von öffentlichen Ausgabenprogrammen zur Norm werden.

4.3.3.   . Alle öffentlichen Ausgabenprogramme werden in den nächsten Jahren intensiv überprüft werden, da die öffentliche Hand ihre Finanzen durch Einsparungen sanieren möchte. Bei der Suche nach Einsparungsmöglichkeiten sollte der Schwerpunkt insbesondere auf Ausgabenprogramme, die einem hohen Energieverbrauch förderlich sind bzw. der Ökoeffizienz entgegenwirken, gelegt werden. Widersinnige Subventionen, die die Erzeugung oder den Verbrauch fossiler Brennstoffe (wie etwa Kohlesubventionen oder subventionierte Kraftstoffpreise für bestimmte Gruppen) unterstützen und somit auf doppelte Weise Nachteile schaffen (andere, sinnvollere öffentliche Investitionen werden verhindert, die Ausgangsbedingungen für förderwürdige für erneuerbare Energie-Technologien usw. werden verschlechtert), sollten in diesem Zusammenhang gezielt überprüft werden. Die seit langem erwartete Mitteilung der Kommission zur Beihilfenreform könnte dazu beitragen, hier europäisches Handeln in Gang zu setzen.

4.3.4.   . Die aktuellen Haushaltsdefizite in vielen europäischen Ländern werden wahrscheinlich Anpassungen bei Steuerhöhe und -gleichgewicht erfordern. Dabei sollte der ökologischen Dimension Rechnung getragen werden. Insbesondere sollten höhere Steuern auf Energie (aus fossilen Brennstoffen) einer höheren Besteuerung der Arbeit in der derzeitigen Lage vorgezogen werden, wobei jedoch geeignete Vorkehrungsmaßnahmen zu treffen sind, um die Ärmsten und Schwächsten zu schützen. Die Kommission könnte mit den Mitgliedstaaten eine neue Studie einleiten, um konzertierte Maßnahmen für eine Neuausrichtung der finanzpolitischen Strategien in diese Richtung anzuregen.

4.3.5.   . Die derzeitige Wirtschaftskrise hat bereits erhebliche staatliche Eingriffe zur Unterstützung oder Umstrukturierung von Schlüsselbranchen hervorgerufen. Bei solchen Eingriffen sollte die Förderung der Ressourceneffizienz immer als wesentliches Ziel im Auge behalten werden. Einige in dieser Stellungnahme genannte spezifische Umstellungsherausforderungen (Elektroauto, Nullemissionshaus und Solarstrom) könnten ganz besonders staatliche Eingriffe und Unterstützung benötigen, damit sie ein Dreh- und Angelpunkt der neuen Wirtschaft werden, um den herum neue Investitionen, neue Unternehmen und neue Arbeitsplätze entstehen.

4.3.6.   Eine neue Innovationsstrategie. Die Europäische Union könnte im Rahmen einer neuen Innovationsstrategie für Europa als neue Aufgabe die Entstehung europäischer Exzellenz von Weltformat in den Schlüsselbereichen emissionsarme Technologien fördern. Der EWSA schlägt insbesondere vor, Taskforces unter Einbindung von Akteuren des öffentlichen und des privaten Sektors einzurichten, um Fortschritte auf EU-Ebene in Bezug auf das Elektroauto, das Nullemissionshaus und Solarstrom zu lenken. Auf jeden Fall müssten sich die Maßnahmen auf die Arbeit der vorhandenen FuE-Plattformen für Energietechnologien stützen und auch auf die großmaßstäbliche Marktentwicklung und -einführung ausgerichtet sein.

4.3.7.   Die Taskforces sollten in jedem Einzelfall versuchen, Wege für einen Wandel zu finden und die jeweils angesagte Rolle öffentlicher und privater FuE und Investitionen zu ermitteln. Sie sollten untersuchen, welche Infrastrukturen erforderlich sein könnten (z.B. ein Netzwerk von Ladestationen zur Unterstützung einer umfassenden Einführung von E-Autos oder ein kommunales Förderprogramm für Energieeffizienzverbesserungen von Wohnhäusern). Auch könnte untersucht werden, wie solche Umstellungen den Entwicklungsländern zugänglich gemacht werden könnten (z.B. Solarstrom für Afrika), um sie dabei zu unterstützen, ihren Part beim Übergang zu einer emissionsarmen Wirtschaft zu übernehmen.

4.3.8.   Neue Finanzierungsformen - ein „grüner“ Eurobond? Im aktuellen Wirtschaftsklima werden öffentliche Ausgaben (und möglicherweise auch die Höhe privater Investitionen) in der gesamten EU wahrscheinlich für die nächsten Jahre erheblichen Einschränkungen ausgesetzt sein. Der Ausschuss schlägt vor, innovative Finanzierungsformen einzuführen, um die für den Ausbau neuer ökoeffizienter Technologien erforderlichen Investitionen zu unterstützen. Die Einrichtung eines „grünen“ Eurobonds sollte erwogen werden. Dieser könnte mit bescheidener, aber sicherer Rendite vermarktet werden und als Finanzierung für die Entwicklung und Markteinführung einiger der wichtigen neuen Technologien wie Nullemissionsauto und Nullemissionshaus genutzt werden. Dies käme dem weit verbreiteten Wunsch nach einer sicheren Anlageform in Verbindung mit einem Beitrag zu einer besseren Zukunft entgegen.

5.   Ein neuer Impuls auf europäischer Ebene

5.1.   Die Europäische Union hat bereits einen guten Anfang gemacht, indem sie Schritte in Richtung einer ökoeffizienteren Wirtschaft angeregt hat, und zwar über die von ihr selbst gesteckten Ziele und die von ihr ergriffenen Maßnahmen. Doch kann dies wirklich nur als erster Schritt gelten. Die anhaltenden Probleme der Weltwirtschaft machen die auch weiterhin bestehende Notwendigkeit einer aktiven Steuerung deutlich, um so eine Rückkehr zu ineffizienten und schädlichen Wachstums- und Entwicklungsmustern zu vermeiden. Die Wahl eines neuen Europäischen Parlaments bzw. die Ernennung einer neuen Kommission ist eine gute Gelegenheit für die Europäische Union, das Tempo anzuziehen und der Ökoeffizienz und der nachhaltigen Entwicklung in Europa einen neuen Impuls zu geben.

5.2.   Auf kurze Sicht fordert der EWSA die Kommission und den schwedischen Ratsvorsitz (sowie die künftigen Ratsvorsitze) auf, rechtzeitig folgende Chancen zu nutzen:

die Überarbeitung und Erneuerung der Lissabon-Strategie und der Strategie für eine nachhaltige Entwicklung,

die Gestaltung der neuen Finanziellen Vorausschau,

die Neufassung der Richtlinie 2002/91/EG über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden,

den Follow-up zu der Mitteilung der Kommission zur Überwindung der Hindernisse für erneuerbare Energien in der EU,

die Förderung einer Initiative zur Finanzierung einer nachhaltigen Energiewirtschaft als gemeinsames Projekt der Kommission und der Europäischen Investitionsbank,

die Annahme einer neuen Energiepolitik für Europa im Jahr 2010, mit einer Agenda für 2030 und einer langfristigen Perspektive für 2050.

5.3.   Der EWSA erkennt das Potenzial der nationalen Aktionspläne für Energieeffizienz und der nationalen Aktionspläne für erneuerbare Energieträger. Im Anschluss an die Bewertung der ersten Generation dieser Pläne müssen diese rasch verbreitet und Feedback an die EU-Mitgliedstaaten gegeben werden, ebenso ist ein energisches Follow-up durch die Kommission und die Institutionen erforderlich.

5.4.   Für die Zukunft hält der EWSA es auch weiterhin für erforderlich, dass die ökologische Effizienz in allen folgenden Bereichen heutiger und möglicher künftiger Tätigkeiten der Europäischen Union, die in dieser Stellungnahme untersucht wurden, eine immer wichtigere Rolle spielt:

Förderung von Forschung und Entwicklung,

Einführung eines verpflichtenden Ökoeffizienzansatzes im Bereich der Konstruktion in beruflichen Weiterbildungsprogrammen im Ingenieur- und Bauwesen sowie in weiteren Schlüsselbereichen;

Aufnahme von Ökoeffizienz-Anforderungen in alle einschlägigen Rechnungslegungsgrundsätze, die Regulierungspraxis und Bewertungsvorschriften für Finanzministerien,

vorrangige Berücksichtigung der Ökoeffizienz in allen Förderprogrammen der EU und der Mitgliedstaaten sowie im Beschaffungswesen.

Förderung der Umweltfreundlichkeit bei allen Programmen für öffentliche Ausgaben auf EU-Ebene und auf Ebene der Mitgliedstaaten unter systematischer Zuhilfenahme von Nachhaltigkeitsbewertungen als wesentliches Instrument,

Schaffung neuer Finanzierungsformen für große Umstellungsprogramme,

Förderung einer ökologisch effizienten Steuerreform,

Abschaffung umweltschädlicher Beihilfen,

Förderung einer neuen Innovationsstrategie mit Taskforces für bestimmte wesentliche Umstellungen,

Förderung bewährter Verfahren für Verbraucherbildung und Maßnahmen vor Ort.

5.5.   Den Volkswirtschaften, denen eine Ökoeffizienz-Wende am raschesten gelingt, dürften erhebliche Wettbewerbsvorteile entstehen - während für die anderen ernsthafte Wettbewerbsnachteile zu erwarten sind. Daher sollte das Ziel, einer der ökoeffizientesten Wirtschaftsräume der Welt zu werden, im Zentrum der erneuerten Lissabon-Strategie für die Zukunft der europäischen Wirtschaft stehen und im Sinne dieser Stellungnahme in alle europäischen Politiken und Programme aufgenommen werden.

Brüssel, den 5. November 2009

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


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