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Document 52009AE0865

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Auswirkungen rechtlicher Hindernisse auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes)

    ABl. C 277 vom 17.11.2009, p. 6–14 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    17.11.2009   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 277/6


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Auswirkungen rechtlicher Hindernisse auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU“

    (Sondierungsstellungnahme auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes)

    (2009/C 277/02)

    Berichterstatter: Joost van IERSEL

    Mit Schreiben vom 27. Juni 2008 ersuchte der stellvertretende tschechische Ministerpräsident und Europaminister, Herr Alexandr Vondra, im Namen des tschechischen Ratsvorsitzes den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss um die Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zum Thema:

    Die Auswirkungen rechtlicher Hindernisse in den Mitgliedstaaten auf die Wettbewerbsfähigkeit der EU.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 24. April 2009 an. Berichterstatter war Herr van IERSEL.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 453. Plenartagung am 13./14. Mai 2009 (Sitzung vom 14. Mai) mit 198 gegen 4 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.   Der Binnenmarkt als allumfassendes politisches Ziel zur Förderung von Wirtschaftswachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen und nachhaltiger Entwicklung steht im Mittelpunkt des europäischen Einigungsprozesses. Der Binnenmarkt ist insofern als sehr erfolgreich zu bezeichnen, als durch ihn eine enorme Anzahl rechtlicher Hindernisse zum Wohle der Bürger und Verbraucher, der Unternehmen und der Gesellschaft insgesamt beseitigt werden konnten (1). Rechtsvorschriften sind dabei grundlegend.

    1.2.   Ganz im Gegensatz jedoch zu der allgemeinen Annahme, dass der Binnenmarkt bereits vollendet sei, erfordert wirtschaftliche Dynamik ständige Bemühungen zur Schaffung eines echten Gemeinsamen Marktes für öffentliche und private Wirtschaftsakteure in der ganzen EU. Zudem wurde in wichtigen Bereichen wie Finanzen und Energie durch das EU-Recht bislang noch kein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes bewirkt. Unter den derzeitigen Umständen ist ein wirksamer Rechtsrahmen für den Finanzsektor dringend erforderlich.

    1.3.   Angesichts der schlimmsten Rezession und der systemischen Krise der Finanzmärkte der jüngsten Zeit ist die Wiederherstellung von Vertrauen und Zuversicht in Europa von grundlegender Bedeutung. Um die Krise zu überwinden, sollten die derzeitigen Politikansätze, insbesondere im Finanzsektor, überdacht werden. Um die Gefahr des Protektionismus und einer Renationalisierung der Politik abzuwenden und die offenen Märkte in und außerhalb der EU beizubehalten, muss die EU unbedingt einen klaren politischen Kurs festlegen. Der EWSA fordert ein beständiges und entschlossenes Engagement des Rates und der Mitgliedstaaten gegen Protektionsimus und Marktfragmentierung.

    1.4.   Maßnahmen zur Abfederung der Folgen der Krise, wie etwa direkte staatliche Interventionen oder die Übernahme von Banken durch den Staat sowie besondere steuerliche und finanzielle Anreize, so notwendig sie in der gegenwärtigen Krise auch sein mögen, dürfen vereinbarte mittel- und langfristige Ziele nicht untergraben oder bestehende und bewährte Rahmenbedingungen, einschließlich der Regelungen für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen, nicht aufs Spiel setzen. Andernfalls würde der Möglichkeit von Marktverzerrungen im großen Stil Tür und Tor geöffnet. Zugleich müssen aus der Krise Lehren gezogen werden, welche Rechtsvorschriften und welche finanziellen Maßnahmen erforderlich sind, um zu einer langfristig nachhaltigen Entwicklung zu gelangen.

    1.5.   Der ausgeprägte konjunkturelle Abschwung erfordert ein solides, stabiles und gerechtes Umfeld für europäische Unternehmen und Arbeitnehmer, um Wirtschaftswachstum, Innovation, Schaffung von Arbeitsplätzen, sozialen Fortschritt und nachhaltige Entwicklung zu fördern. Die Lissabon-Göteborg-Agenda (2) ist nach wie vor ein Eckpfeiler für Wachstum und Beschäftigung sowie zur Förderung von Vitalität und Innovation sowohl innerhalb der EU als auch auf globaler Ebene.

    1.6.   Unter diesem Gesichtspunkt sind eine bessere Rechtsetzung und alle damit in Zusammenhang stehenden Initiativen auf EU-Ebene sowie die korrekte Umsetzung und Durchsetzung in den Mitgliedstaaten und auf regionaler Ebene von herausragender Bedeutung. Die Hauptakteure, d.h. die Kommission, das Europäische Parlament, der Rat und die Mitgliedstaaten selbst müssen diesen Zielen voll und ganz verpflichtet bleiben.

    1.7.   Für eine gute Governance müssen außer den Akteuren auf Regierungsebene auch die Unternehmen und Unternehmensorganisationen, die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft ihren Beitrag leisten sowie sich in dem ganzen Prozess mitverantwortlich und zuständig zeigen.

    1.8.   Der europäischen Integration sind neue Herangehensweisen wie das neue Konzept und das Binnenmarktpaket für Waren 2008 ebenso förderlich wie die Reduzierung von ungerechtfertigtem Verwaltungsaufwand und die Anerkennung beruflicher Qualifikationen.

    1.9.   Durch die gegenwärtige Entwicklung wird der EWSA einmal mehr in seiner bereits seit langem vertretenen Ansicht bestärkt, dass die Kommission als Hüterin der Verträge besser befähigt werden muss (und nicht — wie dies oft der Fall ist — daran gehindert werden darf), effektiv zu gewährleisten, dass die jeweilige nationale Gesetzgebung mit den vereinbarten rechtlichen Anforderungen in der EU in Einklang steht.

    1.10.   Die weitere Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie im Jahr 2009 wird neue Möglichkeiten zum Nutzen von Bürgern und Unternehmen eröffnen. Durch eine effektive Überwachung muss jedoch eine Absenkung der Sozial-, Qualitäts-, Umwelt- und Sicherheitsstandards vermieden werden.

    1.11.   Die Beseitigung von rechtlichen Hindernissen und die Vorgehensweise zur Verwirklichung dieses Ziels erfordert gerade in der aktuellen Situation eine bessere Kommunikationsstrategie auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten. Eine solche Kommunikation muss die Glaubwürdigkeit der EU erhöhen, das Vertrauen der Bürger und Unternehmen stärken und einer euroskeptischen Haltung entgegenwirken.

    1.12.   Mittels Beseitigung rechtlicher Hindernisse, besserer Rechtsetzung und vereinbarter Rahmenbedingungen innerhalb der EU wird auch die Position der EU in den Verhandlungen mit anderen Handelsblöcken sowie im Rahmen der WTO und der Doha-Runde gestärkt.

    1.13.   Nicht zuletzt kann die EU aus ihrer Geschichte die Lehre ziehen, dass sich durch schwierige Zeiten mitunter auch Fortschritte ergeben. Aufgrund der Krise der Siebziger-/Anfang Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts wurde der politische Wille zu einer Wirtschafts- und Währungsunion bekräftigt, und 1985 wurde mit der Einheitlichen Europäischen Akte als Grundlage für „Europa 1992“ der Weg zur Vollendung des Binnenmarktes freigemacht.

    2.   Einleitung

    2.1.   In der vorliegenden Sondierungsstellungnahme zum Thema Auswirkungen rechtlicher Hindernisse auf die Wettbewerbsfähigkeit, die der EWSA auf Ersuchen des tschechischen Ratsvorsitzes erarbeitet, wird untersucht, wie ein Binnenmarkt ohne (ungerechtfertigte) administrative Hindernisse und auf der Grundlage besserer Rechtsetzung erreicht werden kann. Zweck des Binnenmarktes ist es, den Bürgern und Unternehmen Europas im Hinblick auf den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital überall in der EU sichere und unbestrittene rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen.

    2.2.   Die Schwerpunkte im Programm des derzeitigen tschechischen Ratsvorsitzes sind insbesondere die fristgerechte und sachgemäße Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie sowie der weitere Abbau von Handelshemmnissen zwischen Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit der Überprüfung der Binnenmarktstrategie. Diese Ziele sind im weiteren Kontext der nationalen Reformprogramme und der Lissabon-Strategie sowie deren Überprüfung und möglicher Anpassung in 2010 zu sehen.

    2.3.   In diesem Zusammenhang steht auch die Beziehung zwischen besserer Rechtsetzung (3), besserer Nutzung von Folgenabschätzungen und der weiteren Umsetzung und Bewertung von Maßnahmen zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands für Unternehmen sowie die Unterstützung des „Small Business Act“ für Europa und eine nachhaltige EU-Industriepolitik einschließlich einer angemessenen Innovationspolitik.

    2.4.   Die Ausführung dieser Vorhaben und Vorschläge fällt in die Phase eines sehr starken konjunkturellen Abschwungs (4). Der Ratsvorsitz macht damit deutlich, dass er — in Übereinstimmung mit der Kommission — in seinem Programm strategische Leitlinien, die in hoffnungsvolleren Zeiten festgelegt wurden, beibehalten will. Der Ratsvorsitz will damit auch dem Mandat der neuen Kommission neue Impulse geben.

    2.5.   Er will an früher vereinbarten strategischen politischen Maßnahmen festhalten, und zwar unabhängig von kurzfristigen Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um die starken und jähen Erschütterungen in der Wirtschaft mit Auswirkungen auf einzelne Branchen, Investitionen und Arbeitsplätze abzufedern.

    2.6.   Die Beseitigung von Hindernissen, die einer spontanen Entwicklung von Unternehmen in Europa im Wege stehen, bildet den thematischen Schwerpunkt dieser Stellungnahme. In diesem Sinne bedeutet Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Konsolidierung der gleichen Wettbewerbsbedingungen in der EU, indem für eine möglichst effektive gemeinsame Rechtsgrundlage gesorgt wird.

    2.7.   Ein Eckpfeiler in diesem Prozess sind die vereinbarten Maßnahmen zur besseren Rechtsetzung mit ihren Schwerpunkten Qualität der Rechtsetzung, Folgenabschätzungen, Vereinfachung, gegebenenfalls Einführung neuer Regelungen und Reduzierung von Verwaltungsaufwand um 25 % bis 2012 (5).

    2.8.   In dem Bewusstsein, dass Themen aus dem Umkreis Wettbewerbsfähigkeit für die EU eine zunehmend globale Dimension haben, wird in der vorliegenden Stellungnahme der Schwerpunkt auf der Beseitigung rechtlicher Hindernisse und auf wirksamen Vorschriften zur Wiederherstellung des Vertrauens in die Märkte liegen. Die Position der EU auf globaler Ebene ist umso stabiler, je besser der Regulierungsrahmen für den Binnenmarkt funktioniert.

    2.9.   Der EWSA hat bereits zu einigen Themenbereichen Stellung bezogen. Da die Frage der Wettbewerbsfähigkeit äußerst umfassend ist, sollen in dieser Stellungnahme einige ausgewählte, in der gegenwärtigen Situation besonders akute Fragen behandelt werden.

    2.10.   Bei der Verwirklichung des Binnenmarktes sind beeindruckende Fortschritte zu verzeichnen. Zugleich lässt sich aber nicht leugnen, dass in einzelnen Bereichen, wie etwa Energie und Finanzen oder dem potenziellen Aushängeschild Gemeinschaftspatent (!) noch immer beträchtlicher Harmonisierungsbedarf und auf sozialem Gebiet Handlungsbedarf besteht. Die Maßnahmen der verschiedenen Regierungen in puncto Gesetzgebung und Verwaltungsverfahren bedürfen einer beständigen Beobachtung aus europäischer Perspektive (6).

    2.11.   Die mangelnde Harmonisierung von Regierungsmaßnahmen führt häufig zu erheblichen Beeinträchtigungen für Großunternehmen und beeinträchtigt die Bereitschaft kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU), europaweit zu investieren.

    2.12.   KMU sind für die gesamte Wettbewerbsfähigkeit der EU von zentraler Bedeutung. Großunternehmen sind zwar zur Erhaltung der europäischen Stärke unverzichtbar, gleichwohl werden Arbeitsplätze aufgrund von Outsourcing und Fragmentierung von Unternehmensabläufen sowie von Liefer- und Wertschöpfungsketten hauptsächlich von KMU geschaffen. KMU verfügen in der Regel über die notwendige Flexibilität für die Umstellung auf die gewünschte nachhaltige Produktion und sie sind oft, insbesondere als Partner in der Wertschöpfungs- und Versorgungskette, Vorreiter bei Neuerungen und neuen Systemen zur Förderung einer nachhaltigen und ökologischen Produktion.

    2.13.   Von rechtlichen Hindernissen sind nicht nur Unternehmen, sondern ist auch die grenzüberschreitende Mobilität von Arbeitnehmern betroffen (7). Es muss sichergestellt werden, dass grundlegende Rechte und Arbeitsmarktregeln für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelten (8).

    3.   Hintergrund und allgemeine Bemerkungen

    3.1.   Der Binnenmarkt ist ein dynamisches Konzept. Sein Inhalt und die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Wirtschaftsakteure in Europa sind als entsprechende politische Ziele der EU festgelegt und durch das europäische Recht garantiert. Die Ziele und Vorschriften werden bei veränderten Bedingungen zu gegebener Zeit angepasst. Falls notwendig und angebracht, sollten geeignete und konkrete Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer so schnell wie möglich getroffen werden, die klarstellen, dass weder wirtschaftliche Freiheiten noch Wettbewerbsregeln Vorrang vor sozialen Grundrechten haben.

    3.2.   Der derzeitige Wirtschaftsabschwung hat für uns alle wirtschaftliche und soziale Folgen und beeinträchtigt auch die Stellung der EU als Global Player. Ungewöhnliche Zeiten erfordern mitunter ungewöhnliche Mittel und Lösungen, wie etwa sinnvolle staatliche Finanzhilfen „zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ (9) entsprechend den „Notfall“-Leitlinien der Kommission (10), doch dürfen vereinbarte Rahmenbedingungen nicht aufs Spiel gesetzt werden und müssen Interventionen jeglicher Art angemessen begründet sein.

    3.3.   Nationale Regelungen dienen häufig dazu, die vielfältigen Herausforderungen in einem nationalen Kontext zu bewältigen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Fortführung von Programmen zur Aufhebung bestehender und potenzieller rechtlicher Hindernisse zwischen den Mitgliedstaaten notwendig und sollte gefördert werden.

    3.4.   Die politische Bereitschaft zu entsprechendem Handeln kann — vor allem heute — durch kurzfristige Zielsetzungen leicht untergaben werden. Offener oder versteckter Protektionismus kann jederzeit wieder zum Tragen kommen. Ein deutliches Plädoyer für die Fortsetzung der bisher in Bezug auf rechtliche Hindernisse in die Wege geleiteten Maßnahmen ist mehr denn je erforderlich. Eine gründliche Vorbereitung zum jetzigen Zeitpunkt kommt der künftigen Stabilität der europäischen Wirtschaft umso mehr zugute.

    In der gegenwärtigen Situation ist zweifellos ein verstärktes Engagement für die Festlegung transparenter neuer Rahmenbedingungen im Bereich Finanzen und Energie erforderlich.

    3.5.1.   Die Nationalstaaten haben in der aktuellen Finanzkrise als zentrale Akteure im Wirtschaftssystem wieder an Bedeutung gewonnen, indem sie den großen Finanzinstituten beträchtliche „Notfallhilfen“ zukommen lassen. Abgesehen von den möglichen Folgen für den öffentlichen Haushalt kann ein solches Vorgehen, wenn die Vorschriften für staatliche Beihilfen nicht eingehalten werden (11), zu Wettbewerbsverzerrungen führen, bei denen die tugendhafteren Banken das Nachsehen haben.

    3.5.2.   Obgleich der EWSA nicht die Notwendigkeit eines raschen Eingreifens unter diesen außergewöhnlichen Umständen bezweifelt, muss die Entwicklung der Situation jedoch genau überwacht (12) werden, um den gegenwärtigen Zusammenhalt, die Rechtssicherheit und das Wettbewerbsniveau innerhalb des Binnenmarktes — allesamt Faktoren, die für die Bürger wie für die Wirtschaft von zentraler Bedeutung sind — sicherzustellen.

    3.5.3.   Neue Rahmenbedingungen und Rechtsvorschriften sind notwendig, bei denen die europäische — oder zumindest auf europäischer Ebene eng koordinierte — Kontrolle des Bankensektors, die notwendige Regulierung sowie die derzeit unterschiedlichen einzelstaatlichen Maßnahmen gegenüber den Banken (13) im Mittelpunkt stehen. Der EWSA betont die Notwendigkeit einer besseren Rechtsetzung und einer Kontrolle des Finanzsektors, wie dies der De Larosière-Bericht während des tschechischen Ratsvorsitzes im Namen der Kommission vorschlägt (14). Die europäische Aufsicht sollte neben dem Finanzsektor auch die Versicherungsbranche umfassen.

    3.5.4.   Die anstehende Diskussion über die rechtliche Gestaltung des Finanzsektors sollte als strategisches Ziel auch einen vertrauenswürdigen Rahmen für die künftige Stabilität der europäischen Wirtschaft insgesamt umfassen. Dieses allgemeinere Ziel wurde bislang vernachlässigt.

    3.5.5.   Energie als ein wichtiger Rohstoff für die Gesellschaft insgesamt kann in vielfacher Hinsicht (durch Preise, staatliche Maßnahmen, Grad der Liberalisierung, Wettbewerb u.a.) in erheblichem Maße zu (ungewollten) rechtlichen Hindernissen führen, die wirklich gleiche Wettbewerbsbedingungen verhindern und eventuell negative Folgen in anderen Industriebranchen haben. Die Beseitigung solcher struktureller und rechtlicher Hindernisse für den Binnenhandel und die Investitionen sollte ein sehr wichtiger Beweggrund für die Schaffung eines Energiebinnenmarktes sein.

    3.6.   Die offene Methode der Koordinierung (OMK) (15) weckte hohe Erwartungen hinsichtlich der Möglichkeit einer Koordinierung nationaler Maßnahmen. Ein solcher flexibler Ansatz lässt den Mitgliedstaaten viel Spielraum - eine weitere Quelle für rechtliche Hindernisse. Ein stärker strukturierter Ansatz wäre wünschenswert.

    3.7.   In dieser Hinsicht sollte erörtert werden, ob nicht in einzelnen Fällen EU-Richtlinien oder Verordnungen als die am besten geeignete rechtliche Grundlage für eine Harmonisierung gewählt werden sollte. Der EWSA weist auch nachdrücklich darauf hin, dass weitere Bemühungen um Normung, durch die unter anderem ein transparentes Umfeld und eine bessere Interoperabilität geschaffen werden, in vielen Fällen äußerst vorteilhaft sind.

    Es gibt zahlreiche Hindernisse für den Wettbewerb in Europa. Sie lassen sich im Wesentlichen in mehrere Kategorien unterteilen, die jeweils unterschiedliche Herangehensweisen erfordern:

    3.8.1.   Unter eine erste Kategorie fallen einfach Hindernisse, mit denen sowohl Bürger als auch Unternehmen zu tun haben, wenn sie in einem anderen Mitgliedsland tätig werden wollen. Diese Form von Hindernissen kann sich aus der nationalen Gesetzgebung, Regelungen oder administrativen Verfahren ergeben, die nicht per se von EU-Vorschriften und ihrer Umsetzung abhängig sind und die somit von einem Unternehmen bei der Planung grenzüberschreitender Aktivitäten schwer abzusehen sind.

    3.8.2.   Die europäische Einigung führt nicht unbedingt zu einer Reduzierung einzelstaatlicher Vorschriften, in vielen Fällen ist vielmehr das Gegenteil der Fall. Sehr häufig verursachen solche (zusätzlichen) einzelstaatlichen Regelungen weitere Hindernisse. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation können besondere rechtliche Vorkehrungen leicht zu Protektionismus führen.

    3.8.3.   Ein weiterer Typus von Hindernissen kann sich aus laufenden Initiativen ergeben, wie etwa den zentralen Anlaufstellen, die zwar bereits eingerichtet worden sind, aber nicht erwartungsgemäß funktionieren. Die Gründe hierfür können mangelnde finanzielle Mittel oder andere Arten von Problemen sein, wie z.B. das Vorliegen von Informationen nur in der Sprache des betreffenden Landes.

    3.8.4.   Eine vierte Art von Hindernissen schließlich bilden Initiativen, die zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen zwar erwünscht sind, die aber entweder gar nicht oder nur unzureichend umgesetzt werden. Diese Art von Hindernissen resultiert daraus, dass europäische Regelungen oder die Vorschriften des Mitgliedstates nur unzureichend eingehalten werden (16).

    3.8.5.   Spezifische Hindernisse, die hier Erwähnung finden sollten, sind unter anderem auf die Unterscheidung zwischen Mitgliedstaaten, die der Eurozone angehören und solchen, die ihr nicht angehören, die obligatorischen Arbeitsssprachen in den Mitgliedstaaten sowie die unterschiedlichen Steuersysteme und Besteuerungsgrundlagen.

    3.9.   Einige der oben genannten Hindernisse sind auf die einzelstaatlichen Verwaltungs- und Gesetzgebungssysteme zurückzuführen. Bei der Behandlung von Problemen bei grenzübergreifenden Aktivitäten sollte deshalb die Konvergenz deutlich im Mittelpunkt stehen.

    3.10.   Durch spezifische finanzielle Anreize können bei unzureichender Koordinierung und insbesondere bei unzureichender Einhaltung der EU-Vorschriften für staatliche Beihilfen neue Hindernisse geschaffen werden. Der EWSA weist nachdrücklich darauf hin, dass der gemeinschaftliche Besitzstand sowohl hinsichtlich seiner Vorschriften als auch seiner Instrumente beachtet werden muss.

    3.11.   Spezifische Netze zwischen der EU und nationalen Verwaltungen, wie etwa das Enterprise Europe Network, SOLVIT, das Europäische Wettbewerbsnetz sowie Online-Plattformen zum Austausch bewährter Verfahren, die sich mit der Beseitigung unangemessener Hindernisse befassen, sind sehr zu begrüßen.

    3.12.   Der Umstand, dass die nationalen Verwaltungen bei der Umsetzung von EU-Recht nicht genügend kooperieren und sich gegenseitig nicht ausreichend informieren, ist ein sehr ernstes Problem. In diesem Zusammenhang erarbeitet der EWSA derzeit eine Stellungnahme zu der Initiative des Internal Market Information Systems IMI (17).

    3.13.   Außerdem dürften sich potenzielle (versteckte) Hindernisse, die sich aus nationalen Vorschriften und Verpflichtungen in bestimmten Bereichen ergeben, auch durch mehr Kommunikation zwischen nationalen Verwaltungen abbauen lassen.

    3.14.   Ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist die Schulung und Vorbereitung von Beamten, die mit EU-Vorschriften zu tun haben. Hierfür sind angemessene Mittel notwendig, um die Kenntnisse auf dem aktuellen Stand zu halten. Dies ist besonders wichtig im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung und den verstärkten Einsatz von evidenzbasierten Politikinstrumenten, wie etwa Folgenabschätzungen und die Bemessung von Verwaltungsaufwand.

    3.15.   Der EWSA hat in mehreren Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht, dass eine wirksame Überwachung der Anwendung von EU-Vorschriften und Vereinbarungen in den Mitgliedstaaten unerlässlich ist.

    3.16.   Für eine gute Governance des Binnenmarktes sollten außer den Akteuren auf Regierungsebene auch die Unternehmen und Unternehmensorganisationen, die Sozialpartner und die organisierte Zivilgesellschaft ihren Beitrag leisten und sich für die Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen in Europa mitverantwortlich und zuständig zeigen. Entsprechende Instrumente sind: praktische Erfahrungen, Austausch bewährter Verfahren, Selbstregulierung, sozialer Dialog auf verschiedenen Ebenen, Kommunikation und Information u.a.

    4.   Spezifische Themen

    4.1.   Bessere Rechtsetzung

    4.1.1.   Bessere Rechtsetzung ist eine zentrale Strategie für ein stabiles Unternehmensumfeld. Die Agenda zur besseren Rechtsetzung, wie sie unter Ziffer 2.7 beschrieben wird, ist das Kernstück dieser Strategie.

    4.1.2.   Für eine bessere Rechtsetzung müssen sowohl die Bereiche ausgewählt werden, die auf EU-Ebene harmonisiert werden sollen, als auch die Methode der Rechtsetzung festgelegt werden, z.B. mittels Verordnung, ausführliche Richtlinie oder Rahmenrichtlinie. Wenn Richtlinien zu vage formuliert sind oder nur Mindestanforderungen festlegen, können rechtliche Hindernisse zwischen Mitgliedstaaten bestehen bleiben.

    4.1.3.   Der EWSA hat bereits mehrfach die gezielte Überprüfung des Gemeinschaftsrechts durch die Kommission begrüßt. Eine solche Überprüfung könnte zu Anpassungen an veränderte Gegebenheiten und zur Beseitigung bestehender rechtlicher Hindernisse beitragen.

    4.1.4.   Bestimmte Bereiche eignen sich indes aufgrund unterschiedlicher Rechtsrahmen in den Mitgliedstaaten nicht für eine Harmonisierung. In diesem Fällen ist eine spezifische Prüfung auf potenzielle rechtliche Hindernisse hin erforderlich.

    4.1.5.   Erwähnt werden sollte, dass die Europäische Kommission mit Erfolg Folgenabschätzungen durchführt, während auf Mitgliedstaatsebene diesbezüglich noch erhebliche Defizite zu verzeichnen sind. Dadurch werden gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für Unternehmen und die Mobilität im Allgemeinen beeinträchtigt.

    4.1.6.   Folgenabschätzungen sind sowohl zur Bekämpfung von Überregulierung als auch im Hinblick auf neue Vorschriften sehr nützliche Instrumente. Sie bringen ein größeres Problembewusstsein in der Kommission, dem Europäischen Parlament und Rat mit sich. Der EWSA fordert nachdrücklich, dass der Rat und das EP Folgenabschätzungen und deren jeweilige Aktualisierungen während des gesamten Rechtsetzungsprozesses berücksichtigen.

    4.1.7.   Für Folgenabschätzungen ist ein umfassender und integraler Ansatz erforderlich, bei dem nicht nur technische Aspekte von Waren und Dienstleistungen berücksichtigt werden, sondern auch Nebenaspekte wie ökologische Fragen und Verbraucherinteressen. Andererseits sollte auch im Umwelt- und Verbraucherrecht die Notwendigkeit einer wettbewerbsfähigen Industrie immer mit berücksichtigt werden. Bei erfolgreichen Folgenabschätzungen werden alle betroffenen Kreise mit einbezogen.

    4.2.   Durchführung und Durchsetzung des EU-Rechts (18)

    4.2.1.   Eine sachgemäße und fristgerechte Durchführung und Durchsetzung vor Ort ist unverzichtbarer Aspekt einer besseren Rechtstetzung. Die Praxis zeigt, dass sowohl eine unzureichende als auch eine überzogene Umsetzung („Goldplating“: Beifügen zusätzlicher nationalstaatlicher Regeln oder „Cherrypicking“: Auswahl einzelner Teile) Hauptursachen für rechtliche Hindernisse, Probleme bei grenzübergreifenden Aktivitäten und Protektionismus sind. Die Mittel und Instrumente zur Überwachung und Durchsetzung von EU-Recht in den Mitgliedstaaten sollten deshalb auch sorgfältig überprüft werden.

    4.2.2.   Das Subsidiaritätsprinzip ist einzuhalten, darf aber nicht absolut gesetzt werden. Die EU ist zwar nicht befugt, in nationale Verfahren und Verwaltungssysteme einzugreifen, aber durch den Vertrag ist die EU jedoch auch gehalten, die Ziele der Union und ein Funktionieren des Marktes gemäß den vereinbarten Regelungen zu gewährleisten. Nur unter dieser Voraussetzung können Probleme, denen Unternehmen, andere Organisationen und Bürger vor Ort begegnen, zufriedenstellend gelöst werden.

    4.2.3.   Mit anderen Worten: die Beziehung zwischen den Gemeinschaftsvorschriften und dem Subsidiaritätsprinzip ist differenziert zu betrachten. Der EWSA vertritt die Ansicht, dass im Prozess der weiteren Integration entsprechend den vereinbarten Zielen ein Gleichgewicht zwischen dem notwendigen Respekt vor Verwaltungstraditionen und -systemen einerseits und der Überwachung durch die EU andererseits definiert und hergestellt werden sollte.

    4.2.4.   Unter diesem Gesichtspunkt sind die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die in zahlreichen Mitgliedstaaten für die Umsetzung von EU-Recht zuständig sind, wichtige Faktoren. Diese Körperschaften müssen auf eine ordnungsgemäße Umsetzung von EU-Recht achten.

    4.2.5.   Ein anderes weites und wichtiges Feld ist das öffentliche Beschaffungswesen. Ungeachtet der Umsetzung der Richlinien von 2004 sind noch immer überkommene Praktiken und Verwaltungsverfahren, darunter auch rechtliche Hindernisse, die den grenzübergreifenden Wettbewerb bei öffentlichen Aufträgen behindern, in Kraft. Das öffentliche Beschaffungswesen muss unter Berücksichtigung der Kollektivverhandlungen zwischen den Sozialpartnern fortlaufend im Auge behalten werden.

    Der EWSA ist der Auffassung, dass die Governance im Hinblick auf die Beseitigung von rechtlichen Hindernissen in der EU deutlich verbessert werden muss:

    4.2.6.1.   Die bestehenden Rückmeldungen über die praktische Anwendung von Vorschriften sind noch immer unzureichend (19).

    4.2.6.2.   Als unverzichtbarer Bestandteil der Rechtssicherheit sollte die Überwachung durch die Kommission systematisch auf die Durchführung und Durchsetzung von EU-Recht ausgeweitet werden. Dieses Thema bedarf besonderer Aufmerksamkeit und einer politischen Diskussion.

    4.2.6.3.   Ferner wäre es sinnvoll, in den nationalen Verwaltungen (20), sofern noch nicht vorhanden, Evaluierungsnetzwerke einzurichten, und die Verwaltungskompetenzen in den Mitgliedstaaten zu stärken.

    4.2.6.4.   In diesem Zusammenhang unterstützt der EWSA voll und ganz die Einrichtung des Netzes für Subsidiaritätskontrolle durch den Ausschuss der Regionen, mit dem der Informationsaustausch zwischen der EU und den lokalen und regionalen Gebietskörperschaften erleichtert werden soll.

    4.2.6.5.   Die Kommission muss sicherstellen, dass die nationalen Regulierungsbehörden die EU-Vorschriften gleich und koordiniert anwenden.

    4.2.6.6.   Die unter Ziffer 4.2.6. genannte anzustrebende Governance muss auch im Falle nicht-rechtlicher Hindernisse, die sich häufig aus bestehenden Verwaltungsverfahren ergeben, Anwendung finden.

    4.3.   Der Binnenmarkt für Dienstleistungen

    Europa steht in Hinblick auf den Binnenmarkt für Dienstleistungen vor einer Wende. Der Stand der für Ende 2009 vorgesehenen Umsetzung und Durchführung der Dienstleistungsrichtlinie sollte genau überwacht werden, um sicherzustellen, dass keine neuen Hindernisse und Diskrepanzen auf nationaler Ebene entstehen. Dabei darf es jedoch nicht zu einer Absenkung der Sozial-, Qualitäts-, Umwelt- und Sicherheitsstandards kommen. Für die Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie muss das Verwaltungspersonal ausreichend geschult (Sprachen, interkulturelle Kompetenz) werden.

    4.3.1.1.   Die derzeitige Vorgehensweise der Europäischen Kommission zur Unterstützung der Umsetzung der Richtlinie auf nationaler Ebene scheint wirksam zu sein und sollte weiter gefördert werden.

    Bezüglich einzelner Aspekte der Dienstleistungsrichtlinie sind die Niederlassungsfreiheit und grenzübergreifende Tätigkeiten als zentrale Elemente für die Schaffung eines richtigen Umfelds für europäische Unternehmen zu nennen (21).

    4.3.2.1.   Aus Rückmeldungen betroffener Kreise geht hervor, dass trotz der Ad-hoc-Maßnahmen, die die Niederlassung von Unternehmen in anderen Mitgliedstaaten erleichtern sollen, weitere Verbesserungen erforderlich sind.

    Des Weiteren stellt sich die Frage, welcher Ansatz für die Bereiche gewählt werden soll, die zurzeit nicht durch die Dienstleistungsrichtlinie abgedeckt sind.

    4.3.3.1.   Für einige Branchen, wie etwa Finanzdienstleistungen, elektronische Kommunikation und audiovisuelle Medien gelten gesonderte Regelungen, während andere Bereiche gar nicht auf EU-Ebene geregelt sind.

    4.3.3.2.   Durch letztgenannten Fall können sich beträchtliche Unterschiede unter den Mitgliedstaaten und somit unerwartete potenzielle Hindernisse ergeben. Die nationalen Regierungen müssen daher ihr Vorgehen besser koordinieren, um zu vermeiden, dass bei spezifischen Fragen, die unmittelbar das Unternehmensumfeld der EU betreffen, einander widersprechende Ansätze gewählt werden.

    Ferner ist hervorzuheben, dass die Grenze zwischen Waren und Dienstleistungen heute immer unschärfer wird. Von einer korrekten Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit und der Ermöglichung grenzübergreifender Aktivitäten im Bereich Dienstleistungen wird daher auch die verarbeitende Industrie in hohem Maße profitieren.

    4.3.4.1.   Sogar im Fall einer vollständigen und korrekten Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie sollten die europäischen Institutionen und EU-Mitgliedstaaten die Branche weiterhin genau beobachten, um noch ausstehende Themen anzugehen und zu verhindern, dass neue Hindernisse entstehen. Da die Schaffung von gleichen Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt für Waren am weitesten fortgeschritten ist, lassen sich aus den Erfahrungen in diesem Bereich wertvolle Einsichten darüber gewinnen, wie die noch bestehenden Hindernisse im Dienstleistungssektor beseitigt werden können.

    4.4.   Das neue Konzept und das Binnenmarktpaket für Waren 2008 und Normung

    4.4.1.   Das neue Konzept auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (22) und seine fortlaufende Überarbeitung gehört zu den konkretesten Erfolgen bei der Beseitigung von Wettbewerbshindernissen im Binnenmarkt.

    4.4.2.   Unter den gegebenen Umständen ist es von größter Bedeutung, dass an der Methode des neuen Konzepts festgehalten und ein Rückgängigmachen der erzielten Erfolge durch protektionistische Maßnahmen vermieden wird.

    4.4.3.   Es wäre auch sinnvoll, bezüglich der Anwendung und Durchführung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung Bilanz zu ziehen. Insbesondere ist hierbei zu untersuchen, inwieweit eine nachhaltige Entwicklung auf wirtschaftlichem, sozialem und ökologischem Gebiet gewährleistet werden könnte. Darüber hinaus sind die Folgen des Binnenmarktpakets für Waren 2008, mit dem die tatsächliche gegenseitige Anerkennung sichergestellt werden soll, zu überwachen.

    4.4.4.   Ein weiterer Bereich ist die Normung, die in der Regel auf Freiwilligkeit und nicht auf Rechtsvorschriften beruht. Der deutliche Beitrag der Normung zur wirtschaftlichen Integration in Europa verweist auf noch anstehende Fragen, die sowohl Aktivitäten auf dem Binnenmarkt behindern als auch die Wettbewerbsposition der EU auf globaler Ebene beeinträchtigen.

    4.4.5.   In anderen Fällen wiederum werden (rechtliche) Hindernisse durch fehlende Normen in einem bestimmten Bereich verursacht: dies ist zum Beispiel im öffentlichen Beschaffungswesen der Fall, bei dem sich ein mangelnder Konsens zwischen den Akteuren der Industrie negativ auf den Wettbewerb in der EU auswirkt. Dies zeigt sich zum Beispiel dann, wenn Unternehmen auf Kosten des Wettbewerbs und der Wahlmöglichkeiten der Verbraucher einen „Normenkampf“ anzetteln, um eine Monopolstellung auf dem Markt zu erlangen oder zu verteidigen. In solchen Fällen sollte die Möglichkeit eines Eingreifens auf EU-Ebene vorgesehen werden, um eine Übereinkunft zwischen den betroffenen Parteien zu erleichtern.

    4.4.6.   Der EWSA betont deshalb, dass die Bemühungen um Normung in bestimmten Bereichen - wie etwa dem öffentlichen Beschaffungswesen, IT und Kommunikationsdienstleistungen - verstärkt werden müssen. Um jedoch Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden, müssen bei der Aufstellung einer Norm alle einschlägigen betroffenen Kreise einbezogen werden. Unter diesem Gesichtspunkt sollten bereits bestehende Initiativen wie die Arbeit des Europäischen Büros des Handwerks und der Klein- und Mittelbetriebe für die Normung (NORMAPME) weiter gefördert werden.

    4.5.   Reduzierung von ungerechtfertigtem Verwaltungsaufwand

    Zu den zentralen Vorhaben der Europäischen Kommission gehört das Aktionsprogramm zur Bemessung von Verwaltungsaufwand aus dem Jahr 2007, mit dem das Regelungsumfeld für Unternehmen vereinfacht werden soll.

    4.5.1.1.   Unter Verwendung des Standardkostenmodells, das ursprünglich aus den Niederlanden stammt, schließt die EU derzeit ihre Arbeiten zur Bemessung des sich aus EU-Recht ergebenden Verwaltungsauwands ab (23).

    4.5.1.2.   Die Einsetzung der mit der Vorlage konkreter Vorschläge beauftragten Stoiber-Gruppe - einer hochrangig besetzten Gruppe aus 15 Sachverständigen - ist ein weiterer Schritt hin zur Konkretisierung dieser Initiative.

    Das Programm zur Reduzierung von Verwaltungsaufwand findet auf nationaler Ebene immer mehr Zuspruch und die meisten Mitgliedstaaten haben sich bereits verpflichtet, den Verwaltungsaufwand in ihren Ländern zu bemessen und zu reduzieren.

    4.5.2.1.   Für den Erfolg dieser Aktion ist es von allergrößter Bedeutung, dass nationale Maßnahmen und Reduzierungsstrategien in allen Mitgliedstaaten sowie zwischen EU-Ebene und nationaler Ebene aufeinander abgestimmt werden.

    4.6.   Anerkennung beruflicher Qualifikationen

    4.6.1.   Im Sinne eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes muss zusätzlich zum freien Waren- und Dienstleistungsverkehr auch die Freizügigkeit der Berufstätigen gefördert werden. Im Einklang mit dem Beschluss des Rates (Forschung) über die Mobilität von Forschern ist eine breitere Anwendung auch für andere Berufsfelder erforderlich.

    4.6.2.   Die Anerkennung beruflicher Qualifikationen in der EU ist ein komplexes Problem, dass über die Frage rechtlicher Hindernisse hinausgeht und einer Lösung zugeführt werden muss, weil es in vielfältiger Weise mit dem Problem (unsichtbarer) Hindernisse im Binnenmarkt direkt verbunden ist.

    4.6.3.   Erst kürzlich gelang auf diesem Gebiet mit dem Europäischen Qualifikationsrahmen ein wichtiger Durchbruch, der die sogenannte fünfte Binnenmarktfreiheit, d.h. die Mobilität für Wissenschaftler ermöglicht. Der EWSA begrüßt diesen wichtigen Schritt ausdrücklich.

    4.7.   Weitere Initiativen

    Angesichts der Dauer und Kosten von Rechtsverfahren bieten alternative Verfahren zur Streitbeilegung einen sinnvollen Beitrag zur Lösung von Konflikten im Rahmen grenzüberschreitender Aktivitäten.

    4.7.1.1.   Andererseits ist über den aktuellen Stand bezüglich der Verwendung und des Zugangs zu diesen Verfahren in der Wirtschaft und unter den Bürgern wenig bekannt. Es ist bedauerlich, dass rechtlich nicht verbindliche Empfehlungen der Kommission nur in einer begrenzten Anzahl von Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

    4.7.1.2.   Es wäre nützlich, das Thema gründlicher zu untersuchen und zu sehen, wie dieser Bereich im Sinne einer zusätzlichen Maßnahme zur Reduzierung bestehender Hindernisse und Probleme unterstützt und gefördert werden könnte.

    4.7.2.   Bei reibungslosem Funktionieren wird das SOLVIT-Netz zu Recht dafür gelobt, dass es Probleme rasch lösen und die Entstehung weiterer Probleme verhindern kann. Jeder Mitgliedstaat sollte eine dem aktuellen Bedarf (24) entsprechende finanzielle und personelle Ausstattung der nationalen Zentren gewährleisten sowie dafür Sorge tragen, dass interessierte Parteien über die Existenz und Funktionsweise des Netzwerkes informiert sind.

    Das Enterprise Europe Network (in der Nachfolge des früheren Netzwerks von Euro Info Centres (EIC)), spielt ebenfalls eine zentrale Rolle bei der Unterstützung insbesondere von KMU und der Verbesserung des Umfelds, in dem sie agieren. De facto verkörpert das Enterprise Europe Network für die lokalen Wirtschaftsakteure häufig die EU.

    4.7.3.1.   Frühere Studien (25) belegen, dass das Qualitätsniveau der Dienstleistungen des ehemaligen EIC-Netzwerkes zwar im Allgemeinen gut ist, indes die Rückmeldungsmechanismen zwischen den Zentren und der Europäischen Kommission nicht immer reibungslos funktionieren. Dieser Aspekt sollte aufgegriffen und anhaltende Probleme entsprechend angegangen werden.

    4.7.4.   Beschwerden in Bezug auf rechtliche Hindernisse können auch direkt an die Europäische Kommission gerichtet werden. Dieser zusätzliche Kommunikationskanal sollte angemessen bekannt gemacht werden.

    4.7.5.   Der gegenwärtige Stand der Initiativen im Bereich der Selbst- und Koregulierung ist ebenfalls für das Unternehmensumfeld von Bedeutung und kann zur Beseitigung bestehender Hindernisse beitragen. Es ist wünschenswert, das Wissen über Selbst- und Koregulierung zu vertiefen und bewährte Verfahren bekannt zu machen (26).

    Brüssel, den 14. Mai 2009

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Mario SEPI


    (1)  Einen Überblick über die verbleibenden Hindernisse im Binnenmarkt bietet die Studie der BBS des EWSA unter: http://www.eesc.europa.eu/smo/news/index_en.asp.

    (2)  Auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates in Göteborg im Juni 2001 wurde die Lissabon-Agenda um Umweltschutzziele erweitert.

    (3)  ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 39.

    (4)  Siehe die jüngste Studie der OECD, in dem in Zusammenhang mit der derzeitigen Krise für eine fortgesetzte Reform der Rechtsetzung und des Wettberbsumfeldes plädiert wird (Going for Growth 2009).

    (5)  Siehe insbesondere die Mitteilung „Dritte Strategische Überlegungen zur Verbesserung der Rechtsetzung in der Europäischen Union“, KOM(2009) 15 endg.

    (6)  Siehe in diesem Zusammenhang die aufschlussreiche Broschüre „When will it really be 1992“ [Wann ist wirklich 1992?] der niederländischen Arbeitgebervereinigung (VNO- NCW, MKB - veröffentlicht im Dezember 2008). Für 1992 war die Vollendung des Binnenmarktes angekündigt worden.

    (7)  ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 14.

    (8)  Siehe EWSA-Stellungnahme zum Thema „Ermittlung der verbliebenen Mobilitätshemmnisse auf dem Binnenarbeitsmarkt“, ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 14.

    (9)  Siehe Artikel 87 Absatz 3 Buchstabe b des EG-Vertrages. Es handelt sich hierbei um eine bewusste Abkehr von dem üblicherweise angewandten Artikel 87 Absatz 3 Buchstabe c als Rechtsgrundlage. Dieser Artikel lässt mehr Spielraum für finanzielle Unterstützung von Mitgliedstaaten und kann zu Wettbewerbsverzerrungen führen. „Diese bewusst und billigend in Kauf genommenen Wettbewerbsverzerrrungen müssen [daher] von der Kommission strengstens überwacht und unverzüglich korrigiert werden, sobald sich die Wirtschaftslage wieder normalisiert“, ABl. C 228 vom 22.9.2009, S. 47.

    (10)  ABl. C 16, 22.1.2009, S. 1.

    (11)  ABl. C 270, 25.10. 2008, S. 8, ABl. C 10, 15.1.2009; S. 2, ABl. C 72, 26.3.2009, S. 1.

    (12)  „Überwachung“ ist hier sowie unter Ziffer 4.2.1 und 4.2.6.2 im allgemeinen Sinn zu verstehen, d.h. ohne dass die Rolle und Aufgaben der Kommission genau definiert werden. Diese unterscheiden sich entsprechend den in den konkreten Fällen eingesetzten Rechtsinstrumenten.

    (13)  ABl. C 224 vom 30.8. 2008, S. 11.

    (14)  Siehe Larosière-Bericht zu Finanzaufsichtsfragen in der EU, 25. Februar 2009.

    (15)  Diese Methode gibt einen Rahmen vor für die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgleidstaaten in Politikbereichen, für die sie die Zuständigkeit haben (z.B. Beschäftigung, Sozialschutz, soziale Eingliederung, Bildung, Jugend und Ausbildung). Dieses politische Instrument kommt in der Regel bei der Regierungszusammenarbeit zum Einsatz. Weitere Informationen unter: http://europa.eu/scadplus/glossary/open_method_coordination_de.htm.

    (16)  ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 3.

    (17)  Siehe KOM(2008) 703 endg. sowie ABl. C 325 vom 30.12.2006, S. 3.

    (18)  ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 52.

    (19)  Die Europäische Kommission schlägt eine Reihe von Informationsquellen vor, unter anderem auch für Beschwerden: hierzu zählen das EuropeDirect-Kontaktzentrum, der juristische Bürgerservice Eurojus, die nationalen SOLVIT-Zentren, die europäischen Verbraucherzentren, das Enterprise Europe-Netzwerk und das Portal „Europa für Sie“.

    (20)  Der EWSA weist auf das Internal Market Information System IMI hin, das die Kommission entwickelt hat, um die wechselseitige Information zwischen einzelstaatlichen Verwaltungen über EU-Rechtsetzung zu erleichtern.

    (21)  ABl. C 221 vom 8.9.2005, S. 11.

    (22)  Das 1985 lancierte neue Konzept auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung stellt einen Wendepunkt für das EU-Binnenmarktrecht dar. Es wurde angenommen als Reaktion auf das komplexe rechtliche Umfeld, das sich aus der Umsetzung einer Reihe detaillierter Vorschriften zur Schaffung und Vollendung des Binnenmarks für Waren ergeben hatte.

    (23)  Ziel dieses Ansatzes, der oft mit dem Schlagwort „Bürokratieabbau“ bezeichnet wird, ist es, jeglichen Verwaltungsaufwand, der sich für Unternehmen aus dem EU-Recht ergibt, festzustellen und zu bemessen, um so Möglichkeiten zur Reduzierung des Verwaltungsaufwands um 25 % aufzuzeigen.

    (24)  ABl. C 77 vom 31.3. 2009, S. 15.

    (25)  Renda A., Schrefler L. und Von Dewall F. (2006), Ex post evaluation of the MAP 2001-2005 initiative and suggestions for the CIP 2007-2013, CEPS Studies.

    (26)  Der EWSA hat zusammen mit dem Generalsekretariat der Europäischen Kommission eine Datenbank über europäische Initiativen im Bereich der Selbst- und Koregulierung erarbeitet: http://eesc.europa.eu/self-and-coregulation/index.asp.


    ANHANG

    zu der Stellungnahme

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Folgende Textstelle, auf die mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen entfiel, wurde zugunsten eines vom Plenum angenommenen Änderungsantrags der Beratungen abgelehnt:

    Ziffer 3.1

    „Der Binnenmarkt ist ein dynamisches Konzept. Sein Inhalt und die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Wirtschaftsakteure in Europa sind als entsprechende politische Ziele der EU festgelegt und durch das europäische Recht garantiert. Die Ziele und Vorschriften werden bei veränderten Bedingungen zu gegebener Zeit angepasst.“

    Begründung

    Siehe EWSA-Stellungnahme SOC/315.

    Abstimmungsergebnis

    Änderungsantrag mit 125 gegen 76 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen angenommen


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