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Document 52008AE0976

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit SOLVABILITÄT II KOM(2007) 361 endg. - 2007/0143 (COD)

    ABl. C 224 vom 30.8.2008, p. 11–17 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    30.8.2008   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 224/11


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit SOLVABILITÄT II“

    KOM(2007) 361 endg. - 2007/0143 (COD)

    (2008/C 224/03)

    Der Rat beschloss am 31. Oktober 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 47 Absatz 2 und Artikel 251 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit — SOLVABILITÄT II“ (1)

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 6. Mai 2008 an. Berichterstatter war Herr ROBYNS DE SCHNEIDAUER.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 445. Plenartagung am 28./29. Mai 2008 (Sitzung vom 29. Mai) mit 67 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

    1.   Empfehlungen

    1.1

    Der EWSA zollt der Kommission Anerkennung für die straffe Neu- und Zusammenfassung vieler komplexer Richtlinien in einem einzigen Dokument unter gleichzeitiger Berücksichtigung der Regeln für die überarbeiteten Teile der Regelung. Da sich der EU-Rechtsrahmen nicht allein auf eine Aufsichtspolitik konzentrieren darf, die sich mit dem Teil befasst, den das Kapital bei der Bereitstellung von Versicherungsdienstleistungen spielt, die für die Wirtschaft und die europäischen Bürger auch in vielen anderen Hinsichten von Bedeutung sind, behält sich der EWSA das Recht vor, zu gegebener Zeit seine Sichtweise zu neuen Aspekten der Beziehungen zwischen den Versicherungsnehmern und (Rück-Versicherern) zu äußern, insbesondere im Rahmen der kürzlichen Initiativen der Kommission zum Thema Finanzdienstleistungen für Privatkunden.

    Der EWSA fordert die Kommission auf, die Harmonisierung der rechtlichen Aspekte der Beziehung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer voranzutreiben, die gegenwärtig im Rahmen der Arbeiten am „gemeinsamen Referenzrahmen“ unter Leitung der GD SANCO überprüft wird.

    1.2

    Der EWSA unterstützt weitgehend die Rahmenrichtlinie Solvabilität II der Kommission und begrüßt es, dass ihr ausführliche Konsultationen vorausgegangen sind. Der Ansatz der Kommission steht in Einklang mit den von ihr aufgestellten Grundsätzen der „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“. Aber bei den Konsultationen zu diesen Reformen muss auch den Gesichtspunkten der Beschäftigten und der Verbraucher die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden, die ebenfalls ein starkes Interesse an den Ergebnissen der Beratungen haben. Der EWSA fordert die Kommission auf, für solche Konsultationen entsprechende Foren wie etwa FINUSE zu entwickeln.

    1.3

    Der EWSA begrüßt den Ansatz, zur Bewertung der Solvenzkapitalanforderung an Versicherungsunternehmen auch die wirtschaftlichen Risiken heranzuziehen, und den Ansatz, die wirtschaftliche Gesamtbilanz auf der Grundlage einer vollständigen Bewertung des Betriebsvermögens und der Verbindlichkeiten in den Blick zu nehmen. Damit sollen die echten Risiken und die Risikominderungsstrategien der Unternehmen präzise erfasst werden. Dieser Ansatz ist nicht nur in ökonomischer Hinsicht korrekt, sondern hat auch den Vorteil, alle Möglichkeiten zur „regulatorischen Arbitrage“ zu verhindern und gleichzeitig für alle Versicherungsnehmer in Europa ein gleiches und angemessenes Schutzniveau sicherzustellen, unabhängig vom Rechtsstatus, der Größe oder dem Firmensitz eines Unternehmens.

    1.4

    Der EWSA begrüßt lebhaft die Einführung eines Drei-Säulen-Ansatzes für eine verantwortungsvolle Beaufsichtigung, der mit den für den Bankensektor aufgestellten Kapitalanforderungen von Basel II in Einklang steht und gleichzeitig die Besonderheiten der Versicherungsbranche berücksichtigt. Der EWSA betont die Bedeutung des neu hinzugefügten aufsichtlichen Überprüfungsverfahren und der qualitativen Anforderungen (Säule II) wie auch der Einführung von Grundsätzen für die Informationen für die Beaufsichtigung und Veröffentlichung (Säule III) zusätzlich zu der Festlegung der quantitativen risikoorientierten Kapitalanforderungen für eine angemessene systematische Aufsicht über die Versicherungsunternehmen.

    1.5

    Der EWSA begrüßt die Einführung eines Solvabilitätssystems, das auf zwei Anforderungen, nämlich der Solvenzkapitalanforderung (SCR) und der Mindestkapitalanforderung (MCR), beruht, die zwei unterschiedlichen Zwecken dienen. Mit der Solvenzkapitalanforderung wird als Zielgröße dasjenige Kapitalvolumen festgelegt, das ein Unternehmen bei normaler Geschäftstätigkeit aufweisen soll, während die Mindestkapitalanforderung denjenigen Kapitalumfang angibt, unterhalb dessen ultimative aufsichtliche Maßnahmen ausgelöst werden. Der EWSA würde eine Verordnung der Ebene II begrüßen, die weitere Klarheit über die Voraussetzungen für eine vereinfachte SCR-Berechnung (Art. 108) und zu den Umständen schüfe, die eine Forderung nach zusätzlichem Solvenzkapital auslösen würden.

    1.6

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Berechnungen der Solvenzkapitalanforderung und der Mindestkapitalanforderung eng aneinander angeglichen werden und deshalb beide auf einem risikoorientierten Ansatz beruhen müssen, damit eine einwandfreie Durchführung des Spektrums von sich verschärfenden Aufsichtsmaßnahmen erfolgen kann und gewährleistet wird, dass sowohl das betreffende Versicherungsunternehmen als auch die Aufsichtsbehörden genügend Zeit erhalten, um Maßnahmen zur Lösung des Problems nach einem Verstoß gegen die Solvenzkapitalanforderung zu ergreifen.

    1.7

    Der EWSA begrüßt im Richtlinienvorschlag den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der es möglich macht, die Solvabilität-II-Regelung auf sämtliche Versicherungsunternehmen anzuwenden. Der EWSA würde auch hier eine Verordnung der Ebene II begrüßen, um diesen allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 28 Absatz 3) weiter zu klären, damit angemessene Anforderungen und ggf. Korrekturmaßnahmen genauer zugeschnitten werden können; dies darf allerdings nicht zu einer Regelungswut entarten. Der EWSA empfiehlt, diesen Grundsatz in der gesamten Union effizient und einheitlich anzuwenden und leistungsfähige Einspruchsverfahren gegen Verwaltungsakte oder in gerichtlichen Verfahren aufzustellen, damit er auch gewährleistet bleibt.

    1.8

    Der EWSA empfiehlt der Kommission nachdrücklich, die Vielfalt des Versicherungsmarktes aufrecht zu erhalten und die Rolle der kleinen und mittleren Versicherungsunternehmen wie auch der Gesellschaften auf Gegenseitigkeit und Versicherungsgenossenschaften zu berücksichtigen. Da viele von ihnen in Marktnischen operieren, hält es der EWSA für sehr wichtig, dass der Standardansatz flexibel bleibt, indem etwa eigene, aussagekräftigere Daten verwendet werden. Dabei muss die Möglichkeit für Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit genau geprüft werden, ihre Mitglieder zur Anhebung ihres Solvenzstatus aufzufordern, wie dies bereits in der Praxis geschieht.

    1.9

    Der EWSA sieht die Notwendigkeit der Beaufsichtigung von Versicherungsgruppen, deren Zahl zwar gering ist, die aber einen großen Anteil am Versicherungsmarkt in der EU in Händen halten. Der EWSA hält deshalb die Einführung der Gruppenaufsicht für einen wichtigen Schritt, der den für die Gruppenaufsicht zuständigen und den übrigen befassten Aufsichtsbehörden gestattet, das Risikoprofil einer Gruppe als ganzer besser zu verstehen. Eine optimale Harmonisierung und maximale Transparenz dieser Aufsichtsbehörden und eine klare Aufteilung der Kompetenzen unter ihnen ist empfehlenswert.

    1.10

    Der EWSA begrüßt die Einführung einer Regelung, die es Versicherungsruppen gestattet, ihr Kapitalmanagement auf Gruppenebene zu erleichtern, indem die Mobilität des Kapitals innerhalb der Gruppe verbessert wird und ein praktikables und transparentes System geschaffen wird, damit Gruppen von Diversifizierungseffekten auf Gruppenebene profitieren können, ohne die Höhe der Kapitalanforderung an die einzelnen Tochterunternehmen der Gruppe anzutasten. Es wird erforderlich sein, den konkreten Kapitalstock der einzelnen Tochterunternehmen in Betracht zu ziehen, da ein Teil davon lediglich gedeckt ist durch Absichtserklärungen, die Mitglieder der Gruppe zu unterstützen, anstatt durch verfügbare Barmittel oder gleichwertige sonstige Vermögensteile. Der EWSA merkt an, dass Diversifizierungseffekte in einer Gruppe nur im Rahmen der Verwendung des Standardverfahrens für die Berechnung der Solvenzkapitalanforderung anerkannt werden und dass der Vorschlag ermöglichen sollte, Diversifizierungseffekte auf Gruppenebene auch ohne Rückgriff auf die Unterstützung der Gruppe anzuerkennen.

    1.11

    Der EWSA empfiehlt eine Bewertung der Auswirkungen der vorgeschlagenen Option auf die Wettbewerbssituation auf lokaler Ebene und auf den Verbraucherschutz sowohl in normalen als auch in Krisensituationen, der nicht geringer sein darf als nach der gegenwärtigen Regelung, sowie eine Klärung der rechtlichen und praktischen Fragen einschließlich der Sicherheit von grenzüberschreitenden Finanztransfers zwischen verschiedenen Unternehmen innerhalb derselben Unternehmensgruppe, insbesondere etwaiger rechtlicher Auflagen auf nationaler Ebene bei Kapitaltransfers (Unterstützung innerhalb der Gruppe) an ein Tochterunternehmen in einem anderen Mitgliedstaat.

    1.12

    Der EWA erwartet von den Behörden der Ebene II, dass sie die Ergebnisse der vierten Phase der quantitativen Folgenabschätzung (QIS4) berücksichtigen, die sich zum Zeitpunkt der Annahme dieser Stellungnahme in Arbeit befindet.

    1.13

    Der EWSA dringt nachdrücklich auf eine gut aufeinander abgestimmte Umsetzung der Richtlinie ohne „übergenaue Umsetzung“ („gold-plating“) oder voneinander abweichende Politiken aufgrund von Optionen, die eine im ganzen Binnenmarkt einheitliche und systematische Politik verhindern würden.

    1.14

    Der EWSA fordert die Kommission auf, die Berechenbarkeit der Aufsichtspraktiken zu gewährleisten, um den Versicherungsunternehmen die für ihre Risiko- und Solvenzpolitik erforderliche Sicherheit zu bieten.

    1.15

    Der EWSA sieht die Bedeutung solcher Elemente für die Solvabilität-II-Richtlinie wie etwa Risikominderungstechniken und den Austausch von zuverlässigen Daten zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungspools. Denn sie erleichtern neuen oder kleinen Unternehmen den Zugang zum Markt und gestatten ihnen, ihre Leistungsfähigkeit zu erweitern und bei ihren Beiträgen die Risikomarge zu verringern. Deshalb ersucht der EWSA die Kommission, diesen Zusammenhang bei der Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnung für die Versicherungsbranche zu berücksichtigen.

    1.16

    Der EWSA gratuliert der Kommission und den beteiligten Lamfalussy-Ausschüssen zu der führenden Rolle, die sie in diesem Reformvorhaben bei der Anwendung vorbildlicher Verfahren und der Sensibilisierungsarbeit im gesamten europäischen Versicherungsmarkt geleistet haben. Mit der vorgeschlagenen Richtlinie wird eine Referenzgröße für viele andere Rechtsvorschriften und Finanzdienstleistungsbereiche aufgestellt. Aber bei den Konsultationen zu diesen Reformen muss auch den Gesichtspunkten der Beschäftigten und der Verbraucher die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden, die ebenfalls ein starkes Interesse an den Ergebnissen der Beratungen haben. Der EWSA fordert die Kommission auf, für solche Konsultationen entsprechende Foren wie etwa FINUSE zu entwickeln.

    1.17

    Der EWSA legt der Kommission nahe, gemäß dem Grundsatz „gleiche Geschäfte, gleiche Regeln“ die Solvabilitätsvorschriften anderer Anbieter von vergleichbaren Finanzdienstleistungen ohne Ansehen ihrer Art auf den Stand der Solvabilität-II-Richtlinie zu bringen. Angesichts unberechenbarer Finanzmärkte darf den Verbrauchern oder Versicherungsnehmern nicht derselbe weitergehende Schutz vor Insolvenz vorenthalten werden. Gleiche Konditionen bezüglich der Solvenzkapitalanforderung sind auch für faire Wettbewerbsbedingungen auf dem Finanzmarkt unerlässlich.

    1.18

    Die Solvabilität-II-Grundsätze sollten den Referenzrahmen für die Einführung neuer Solvabilitätsnormen abgeben, z.B. im Rahmen der Überprüfung der Richtlinie zu Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (2) im Jahre 2008, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung der Verpflichtungen der privaten Pensionskassen in der Europäischen Union.

    2.   Einleitung

    2.1

    Mit dem vorliegenden Vorschlag für eine neue Rahmenrichtlinie betreffend die private Versicherungs- und die Rückversicherungstätigkeit, genannt SOLVABILITÄT II, soll eine überarbeitete Regelung eingeführt werden, die einen besseren Schutz der Versicherungsnehmer und Begünstigten bietet, die Integration des EU-Versicherungsmarkts vertieft und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der EU-Versicherungswirtschaft insgesamt wie auch der einzelnen Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen erhöht. Gleichzeitig wird mit dem Vorschlag eine Reihe von Versicherungs-Richtlinien in einer einzigen Richtlinie neu gefasst. Die neue Rahmenrichtlinie soll gleichermaßen für Versicherungs- und Rückversicherungsunternehmen gelten.

    2.2

    Durch die ausführlichen und ständigen Konsultationen mit allen Beteiligten haben die Kommission und die Lamfalussy-Ausschüsse, in denen Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden vertreten sind, eine führende Rolle bei der Aufstellung von maßgeblichen Verfahren in einem globalen Umfeld, insbesondere im Bereich der Finanzdienstleistungen, eingenommen. Somit ist SOLVABILITÄT II eines der weltweit ausgefeiltesten Pakete an Solvabilitätsregelungen für die Versicherungsbranche und stellt Europa an die Spitze der meisten übrigen Rechtssysteme. Aber bei den Konsultationen zu diesen Reformen muss auch den Gesichtspunkten der Beschäftigten und der Verbraucher die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden, die ebenfalls ein starkes Interesse an den Ergebnissen der Beratungen haben. Der EWSA fordert die Kommission auf, für solche Konsultationen entsprechende Foren wie etwa FINUSE zu entwickeln.

    3.   Hintergrund

    3.1

    Mit der vorgeschlagenen Rahmenrichtlinie zur Solvabilität soll die finanzielle Stabilität und Verlässlichkeit des europäischen Versicherungsmarktes verbessert werden. Dies dürfte sowohl zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der EU-Versicherungswirtschaft insgesamt wie auch der einzelnen Versicherer und Rückversicherer und zu größerer Sicherheit bei den Verbrauchern führen. Verlässliche Versicherungsmärkte sind für das soziale und wirtschaftliche Gefüge der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung.

    3.2

    Zunächst und in erster Linie sind Versicherungen ein Instrument zum individuellen oder gemeinschaftlichen Schutz. Versicherungsnehmer sind Privathaushalte, KMU, große Unternehmen, Verbände und Vereine sowie Behörden. Die Verbindlichkeiten der Versicherungsunternehmen bestehen gegenüber den eigentlichen Versicherungsnehmern wie auch gegenüber deren Familienangehörigen und gegen Dritte. Der EWSA hat besonders diese Auswirkung auf den Alltag der europäischen Bürger im Blick. Privatversicherungen haben nicht nur große Bedeutung auf dem Lebensversicherungsmarkt, sondern sind auch zu einem wichtigen Anbieter von Sparprodukten geworden. Versicherungen sind Bestandteil der Verwaltung der Sozialversicherungen wie etwa Renten und Pensionen (skandinavische Länder) und Arbeitsunfallversicherungen (BE, FI, PT) oder der nationalen Gesundheitssysteme (IE, NL), die häufig unter Einbeziehung der Vertreter der Arbeitnehmer erfolgt. Versicherungsunternehmen sind Leistungserbringer für die Beschäftigten, die für sie zunehmend an Bedeutung gewinnen — deshalb sind die Arbeitnehmer eine wichtige Interessengruppe. Aber Versicherungen bieten — zuweilen in Partnerschaften zwischen Rückversicherern und staatlichen Stellen — auch Schutz gegen neue Risiken wie Naturkatastrophen, Ernteausfälle oder Terrorismus.

    3.3

    Der Versicherungsmarkt ist ein wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft insgesamt, in dem er Initiativen unterstützt und Vertrauen aufbaut, aber er ist auch selbst ein beträchtlicher wirtschaftlicher Faktor, der in Europa Arbeitsplätze für knapp eine Million Erwerbstätige bietet (3). Die Kommission schätzt, dass die vorgeschlagene Richtlinie für die Versicherer und die Aufsichtsbehörden zusätzliche Investitionen von zwei bis drei Mrd. Euro zur Folge haben wird. Ein sehr großer Anteil dieser Investitionen wird voraussichtlich für Humanressourcen verwendet, indem dauerhafte und hoch qualifizierte Arbeitsplätze geschaffen werden (u.a. für Risikomanager, Versicherungsmathematiker, IKT-Experten und Aufsichtsbeamte). Der EWSA ist der Auffassung, dass diese Investitionen allen Beteiligten, also auch den Verbrauchern und Versicherungsnehmern, zugute kommen sollten.

    3.4

    Zusätzlich zu diesen direkten Arbeitsplätzen kommen durch die Vertriebssysteme der Versicherungen über Versicherungsagenten und –broker und deren Angestellte eine weitere Million Arbeitsplätze hinzu.

    Mit Investitionen, die eine Größenordnung von mehr als 6,5 Mrd. EUR erreichen (4), sind die Versicherer und Rückversicherer wichtige institutionelle Investoren. Als solche sind sie für die Umwandlung der individuellen Versicherungsbeiträge in einen Pool von Finanzanlagen im angemessenen Verhältnis zu den eingegangenen Risiken sowie für die mittel- und langfristige Sicherheit der Versicherungsnehmer und sonstigen Nutznießer zuständig.

    3.5

    Haushalte, KMU und größere Firmen, Verbände und Behörden entrichten Beiträge zu Lebensversicherungen (5) in Höhe von mehr als 5 % des BIP und zu Sachversicherungen in Höhe von mehr als 3 %. Selbst in gesättigten Märkten liegt die Wachstumsrate von Versicherungen meistens über derjenigen der Wirtschaft insgesamt. Die Investitionen der Versicherungsunternehmen machen mehr als 50 % des BIP (6) aus, davon die Hälfte in Anlagevermögen und Darlehen (7), während die gesamten Anlagen der Versicherer mit schwankendem Ertrag etwa ein Viertel der europäischen Kapitalmarktausstattung (8) ausmachen.

    3.6

    Auch wenn in letzter Zeit in der Versicherungsbranche zahlreiche Fusionen erfolgten, gibt es in Europa immer noch ca. 5 000 Versicherungsgesellschaften (9). So können etwa große Finanzgruppen in den verschiedenen Ländern unterschiedliche Tochterunternehmen haben. Die Gruppen in der Versicherungswirtschaft sind nach unterschiedlichen Arten von Versicherungstätigkeiten strukturiert (Rückversicherungen, Lebens- und/oder Sachversicherungen, Versicherungsvermittlungen), oder aber in einem größeren Kontext nach Finanzdienstleistungen (Bankwesen — Bankversicherungen — Hypotheken). Darüber hinaus können sich die Gruppen aus Mutter- und Tochterunternehmen zusammensetzen oder Joint Ventures und Holdings usw. umfassen. Die 20 größten Gruppen sammeln etwa die Hälfte der europäischen Versicherungsbeiträge ein (10). Einen beträchtlichen Marktanteil haben auch — mit etwa 30 % des gesamten Beitragsaufkommens in Europa — Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit und genossenschaftliche Versicherungen (11).

    3.7

    Die gegenwärtige Finanzkrise, die durch die Praxis in den USA ausgelöst wurde, zweitklassige Hypothekendarlehen zu vergeben, ist ein Argument für solide und umfassende Solvenznormen, die Versicherungsunternehmen auch bei Engpässen in die Lage versetzen, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Dieses Ziel kann durch Vorschriften, Managementverfahren und Krisentestserreicht werden.

    4.   Legislativer Ansatz

    4.1

    Die Kommission hat die Solvabilität-II-Richtlinie in Einklang mit dem Aktionsplan „Vereinfachung und Verbesserung des Regelungsumfelds“ ausführlich und gründlich erarbeitet und dabei für die überarbeiteten Teile der Regelung geltenden Regeln berücksichtigt. Durch verschiedene Stufen von qualitativen und quantitativen Folgenabschätzungen und Konsultationen wurde vielen Anliegen der Versicherungswirtschaft und der Aufsichtsbehörden Rechnung getragen. Weiter gründliche Prüfungen und Konsultationen werden noch folgen.

    4.2

    Der Vorschlag der Kommission ist eine so genannte „Lamfalussy“-Richtlinie, die die Vier-Stufen-Struktur des „Lamfalussy“-Konzepts für Finanzdienstleistungen aufweist. Stufe 1 der Richtlinie umfasst die Grundsätze, welche die Grundlagen für die Umsetzung der Maßnahmen der Stufe 2 und die Anleitungen für die Konvergenz der Aufsichtspraktiken der Stufe 3 des Verfahrens abgeben. Mit diesem Ansatz soll die neue Regelung mit den künftigen technologischen und internationalen Entwicklungen des Marktes und mit den neuen Erfahrungen und Verfahrensweisen auf dem Gebiet der Rechnungslegung und der (Rück)Versicherung Schritt halten können. Ins Einzelne gehende Angaben zu den Berechnungen würden in der Richtlinie den eigentlichen Sinn dieses innovativen legislativen Verfahrens beeinträchtigen. Sie sind eher auf den Stufen 2 und 3 angebracht.

    4.3

    Die neue Regelung beruht auf drei „Säulen“, ähnlich den Eigenkapitalvorschriften für den Bankensektor nach „Basel II“, aber unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Versicherungswirtschaft. Säule I (Artikel 74–142) legt die quantitativen finanziellen Anforderungen fest, Säule II (Artikel 27–34, 36–38, 40–49, 181–183) betrifft die Aufsicht und die qualitativen Anforderungen, und Säule III (Artikel 35, 50–55) behandelt die Informationen für die Beaufsichtigung und Veröffentlichung. Die drei Säulen sind nicht voneinander isoliert, sondern ergänzen sich gegenseitig zu Gunsten der Verwirklichung der Ziele der Regelung. Wechselwirkungen zwischen den Bestimmungen der verschiedenen Säulen sind gebührend zu beachten.

    4.4

    Die Überarbeitung der derzeitigen Solvabilitätsregelung wurde ferner dazu genutzt, 13 (Rück)Versicherungsrichtlinien in einem einzigen Dokument neu zu fassen, in das die neuen Solvabilitätsvorschriften aufgenommen werden. Es enthält eine Reihe von nur unwesentlichen Änderungen, um die Formulierung und Lesbarkeit der vorgeschlagenen Richtlinie zu verbessern. Hinfällig gewordene Artikel und Teile von Artikeln wurden gestrichen.

    5.   Allgemeine Aspekte

    5.1

    In den vergangenen 30 Jahren wurde durch eine Reihe von EU-Richtlinien ein europäischer (Rück-)Versicherungsmarkt geschaffen, der gemeinsamen Regeln folgt, darunter den Grundsätzen der gegenseitigen Anerkennung und der Herkunftsstaatkontrolle. Es wurde ein Markt geschaffen, der auch für Unternehmen aus Drittstaaten offen ist und Versicherer aus der EU veranlasst hat, in außereuropäische Märkte zu expandieren, vor allem nach Nordamerika, Asien und in solche Staaten, die für eine spätere Mitgliedschaft in der EU in Betracht kommen.

    5.2

    Die vorgeschlagene Richtung weisende Solvabilitätsregelung stellt sicher, dass Versicherungsunternehmen finanziell solide sind und negativen Entwicklungen die Stirn bieten können, um ihre vertraglichen Zusagen gegenüber den Versicherungsnehmern einhalten und ein stabiles Finanzsystem gewährleisten zu können. Aber es muss betont werden, dass einen solchen erweiterten Schutz sämtliche Verbraucher von Finanzdienstleistungen verdienen. Zahlreiche Versicherungsanbieter wie etwa Betriebsrentenversicherer oder Spar- und Investitionsbanken unterliegen keiner vergleichbaren Regelung.

    5.3

    Harmonisierte Solvabilitätsregelungen schaffen Vertrauen, nicht nur bei den Verbrauchern, sondern auch bei den Aufsichtsstellen. Solches Vertrauen ist ein entscheidender Faktor für die konkrete Verwirklichung eines europäischen Marktes, der auf gegenseitiger Anerkennung und Herkunftsstaatkontrolle beruht. Die gegenwärtigen EU-Solvabilitätsregelungen (Solvabilität I) sind nicht mehr aktuell. Sie gehen nicht auf die jeweils besonderen Risiken von Unternehmen ein, die Versicherungsschutz anbieten, sondern stellen an Unternehmen mit unterschiedlichen Risikoprofilen die gleichen Solvabilitätsanforderungen. Ferner konzentrieren sich die gegenwärtigen Solvabilitätsregelungen vorwiegend auf die Einhaltung der finanziellen Anforderungen nach einem auf Regeln beruhenden Ansatz anstatt aufgrund eines guten Managements, und sie behandeln nicht die Gruppenaufsicht. Auch lässt der bestehende EU-Rechtsrahmen den Mitgliedstaaten zuviel Spielraum für nationale Regelungen, was die Wirksamkeit der Aufsicht über die multinationalen Tätigkeiten und faire Wettbewerbsbedingungen beeinträchtigt. Aufgrund dieser Probleme wurde die bestehende Richtlinie von der Branche sowie internationalen und branchenübergreifenden Entwicklungen überholt. Mit anderen Worten: Die im Richtlinienvorschlag festgelegten neuen Standards für die Solvabilität sind nur Spiegelbild einer Tendenz, die in verschiedenen Ländern von risikobewussten Unternehmen und Aufsichtsbehörden bereits verfolgt wird.

    5.4

    Im Gegensatz zum Solvabilität-I-Rahmen konzentriert sich die Reform mehr auf die konkrete Qualität des Risikomanagements in den Unternehmen und auf die Grundsätze und Ziele als auf die Vorschriften, die nicht die spezifischen Risikoprofile der Unternehmen berücksichtigen können.

    Durch die Reform soll ferner die Aufsicht im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum vereinheitlicht werden.

    5.5

    Im Wesentlichen wird das neue System zunächst einmal Aufsichtsbehörden und Versicherungsunternehmen mit ausgefeilten Instrumenten zur Solvabilität ausstatten, damit nicht nur negative Folgen von Versicherungsrisiken wie etwa Überschwemmungen, Stürme oder schwere Autounfälle, sondern auch Markt- und Kreditrisiken sowie operative Risiken aufgefangen werden können. Anders als in der derzeit geltenden Richtlinie wird künftig von den Versicherern und Rückversicherern verlangt, Solvenzkapital im Verhältnis zu ihrem gesamten Verlustrisiko vorzuhalten, also nicht nur die quantitativen Elemente zu berücksichtigen, sondern auch die qualitativen Aspekte, die das Risiko eines Unternehmens beeinflussen.

    5.6

    Die neue Regelung beruht auf einem an wirtschaftlichen Risiken orientierten Ansatz, durch den sichergestellt werden soll, dass die echten Risikoprofile und Risikominderungstechniken widergespiegelt und Möglichkeiten für eine „regulatorische Arbitrage“ ausgeschaltet werden, durch die der Schutz der Versicherungsnehmer beeinträchtigt und geschwächt werden könnte. Dies bedeutet auch, dass die Kapitalanforderungen optimale Kapitalanlagen zulassen und Anreize für ein besseres internes Risikomanagement bieten.

    5.7

    Zweitens wird mit der Solvabilität-II-Richtlinie für die Ausbreitung von guten Verfahrensweisen in der Branche gesorgt und die Verantwortung des Managements der Versicherungsunternehmen für eine solide Risikosteuerung unterstrichen. Von ihm wird verlangt, dass es sich nachdrücklich auf die Ermittlung, Bewertung und Steuerung der Risiken konzentriert und auch künftige Entwicklungen wie etwa neue Wirtschaftspläne oder die Möglichkeit von Katastrophen berücksichtigt, die die finanzielle Leistungsfähigkeit der Unternehmen beeinflussen können. Ferner wird vom Management verlangt, dass es mit Hilfe der „internen Bewertung des Risikos und der Solvabilität“ den Kapitalbedarf unter Berücksichtigung aller Risiken überprüft, während im Rahmen des „aufsichtlichen Überprüfungsverfahrens“ der Schwerpunkt der Aufsichtsbehörden von einer Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften und bloßen Kapitalkontrolle hin zu einer Bewertung der tatsächlichen Risikoprofile der Versicherer und der Qualität ihres Risikomanagements und der Governance-Systeme etwa durch Frühwarnsysteme und Belastungstests verlagert wird. Gleichzeitig soll die Zusammenarbeit und Konvergenz der Aufsichtsorgane gefördert werden, z.B. durch eine Ausweitung der Aufgaben des Ausschusses der europäischen Aufsichtsbehörden für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (CEIOPS), als ein Schritt zu einer vom EWSA unterstützten stärkeren Einheitlichkeit bei der Beaufsichtigung von Finanzdienstleitungen.

    5.8

    Ein dritter wichtiger Aspekt ist der Versuch, die Beaufsichtigung der Versicherungsgruppen durch eine „für die Gruppenaufsicht zuständige Behörde“ im Herkunftsland zu verbessern. Mit der Gruppenaufsicht soll gewährleistet werden, dass auch gruppenweite Risiken nicht übersehen werden und die Gruppen in die Lage versetzt werden, effizienter zu arbeiten und gleichzeitig allen Versicherungsnehmern ein hohes Schutzniveau zu bieten. Die „für die Gruppenaufsicht zuständige Behörde“ erhält besondere Zuständigkeiten, die in enger Zusammenarbeit mit den entsprechenden einzelstaatlichen Aufsichtsbehörden auszuüben sind; sie erhält auch die Zuständigkeit für Entscheidungen über bestimmte Fragen. Lokale Aufsichtsstellen werden ermuntert, aktiv im Kollegium der Aufsichtsgremien mitzuwirken, soweit sie ein Mitentscheidungsrecht haben, in dem Anliegen zu einer Einigung zu gelangen. Dem entspricht ein anderer Ansatz, der verfolgt werden muss, um in der Lage zu sein, die ökonomischen Realitäten und das Risikodiversifizierungspotenzial solcher Gruppen zu erkennen.

    5.9

    Viertens wird mit der Solvabilität-II-Richtlinie mehr Transparenz und Objektivität eingeführt, was die Informationen sowohl der Unternehmen über ihre Finanzbedingungen und die damit verbundenen Risiken als auch über die aufsichtlichen Überprüfungsverfahren angeht. Gegenwärtig weichen zwischen den Mitgliedstaaten die Überprüfungsverfahren noch voneinander ab und lassen somit Raum für „regulatorische Arbitrage“. Sowohl für die europäische Politik auf diesem Gebiet als auch für die Versicherungsunternehmen, die auf neuen nationalen Märkten auftreten wollen, ist es wichtig, dass die Überprüfungsverfahren nicht nur objektiv und transparent, sondern auch berechenbar und gut dokumentiert sind.

    6.   Eingehende Analyse

    6.1   Finanzielle Anforderungen (Säule I)

    (Artikel 74–142)

    6.1.1

    Für die Festlegung der quantitativen Anforderungen an die Versicherungsunternehmen legt die neue Regelung einen ganzheitlichen wirtschaftlichen Gesamtbilanzansatz zugrunde, wonach alle Vermögenswerte (12) und Verbindlichkeiten nach einem marktkonformen Ansatz bewertet und alle damit verbundenen quantifizierbaren Risiken ausdrücklich im Hinblick auf die Eigenkapitalanforderungen bewertet werden. Durch eine bilanz- und marktwertgerechte Bewertung der Vermögenswerte und Verbindlichkeiten werden die Unternehmen objektiv und untereinander vergleichbar eingestuft. Auch wird damit sichergestellt, dass für jede inhärente Wahlmöglichkeit der korrekte Wert angegeben wird. Eine realistische vorausschauende Bewertung ist der wirksamste Schutz gegen Fehleinschätzungen, die zum Schaden der Rechte aller Beteiligten sein können.

    6.1.2

    Im Zusammenhang mit solchen Bewertungen wird der Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen, d.h. den Verbindlichkeiten gegenüber den Versicherungsnehmern und anderen Begünstigten, besondere Bedeutung beigemessen. Eine marktkonforme Bewertung der versicherungstechnischen Rückstellungen erfolgt durch einen „besten Schätzwert“, d.h. dem gewichteten Mittelwert der wahrscheinlichen Gegenwartswerte künftiger Cash-flows unter Berücksichtigung des Zeitwerts des Geldes und einer Risikomarge. Mit diesem Ansatz soll gewährleistet werden, dass der Gesamtwert der versicherungstechnischen Rückstellungen dem Betrag entspricht, den Dritte heute erwartungsgemäß verlangen müssten, wenn sie die vertraglichen Rechte und Pflichten eines Unternehmens übernehmen wollten. Die Berechnungen müssen auf den von den Finanzmärkten gelieferten Informationen und allgemein zugänglichen Daten über Versicherungsrisiken beruhen und mit ihnen konsistent sein.

    6.1.3

    Bezüglich der Kapitalanforderungen stellt das neue Solvabilitätssystem zwei Vorschriften auf, nämlich die Solvenzkapitalanforderung und die Mindestkapitalanforderung, mit denen verschiedene Ziele verfolgt und die entsprechend berechnet werden.

    6.1.4

    Die Solvenzkapitalanforderung legt den Umfang des Kapitals fest, über das ein Versicherungsunternehmen bei üblicher Tätigkeit verfügen können muss. Bei geringerer Kapitaldecke wird die Aufsicht intensiviert. Dies gestattet ein schrittweise stärkeres Eingreifen der Aufsichtsbehörden, bevor das Kapital auf die Höhe der Mindestkapitalanforderung sinkt; dies bietet den Versicherungsnehmern und Begünstigten hinreichende Gewähr dafür, dass Zahlungen bei Fälligkeit geleistet werden. Versicherungstechnisch soll die Solvenzkapitalanforderung so ausgelegt und kalibriert werden, dass der entsprechende Kapitalstock einem Unternehmen erlaubt, auch unvorhergesehene Verluste auszugleichen; dabei wird von der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses in einem bestimmten Zeithorizont (0,5 % im Laufe eines Jahres) ausgegangen.

    6.1.5

    Mit der Mindestkapitalanforderung wird ein Kapitalvolumen festgelegt, bei dessen Unterschreitung die ultimativen aufsichtlichen Maßnahmen ausgelöst werden. Die Berechnung der Mindestkapitalanforderung muss einen ausreichenden Abstand gegenüber der Solvenzkapitalhöhe vorsehen, um genügend Raum für abgestufte Maßnahmen der Aufsichtsbehörden zu lassen.

    6.1.6

    In der Praxis berechnen Versicherungsunternehmen die Solvenzkapitalanforderung nach der Standardformel oder mithilfe eines eigenen internen Modells, das von den Aufsichtsbehörden zu genehmigen ist. Die Standardformel muss Risikominderungsverfahren und Diversifizierungseffekte ebenso angemessen widerspiegeln wie die Verlustausgleichsfähigkeit von Bilanzbestandteilen, die nicht zum verfügbaren Kapital gehören. Wegen des risikoorientierten Ansatzes der vorgeschlagenen Richtlinie kann ein betriebseigenes Modell — nach Genehmigung durch eine Aufsichtsbehörde — die Standardberechnung (teilweise oder vollständig) ersetzen, sofern es das Risikoprofil des Unternehmens besser darstellt. Dies ist ein wichtiger Anreiz für eine zuverlässige Erkennung und Steuerung der Risiken in den Unternehmen wie auch für die Fortbildung und Einstellung von hochqualifiziertem Personal.

    6.1.7

    Ein weiteres Element im Einklang mit dem Ziel, ein gutes internes Management zu fördern, ist die Anwendung des Grundsatzes der kaufmännischen Vorsicht bei der Investitionspolitik, der es gestattet, keine künstlichen Begrenzungen für Investitionen aufzustellen, der aber stattdessen hohe qualitative Standards und eine genaue Rechnungslegung für alle materiellen Risiken bei der Berechnung der Kapitalunterlegung verlangt.

    6.1.8

    In Anbetracht der Komplexität der Anforderungen muss darauf hingewiesen werden, dass der gegenwärtige Vorschlag Bestimmungen enthält, die für eine verhältnismäßige und praktikable Verwirklichung der Anforderungen der Säule I sorgen. Dies ist vor allem für kleine und mittlere Versicherungsunternehmen wichtig. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bezieht sich nicht auf die Größe, sondern auf die Art und Komplexität des Risikos, dem Unternehmen ausgesetzt sind. Solange das Risikoprofil der KMU demjenigen anderer Unternehmen gleicht, gelten auch für sie die vergleichbaren allgemeinen Grundsätze der kaufmännischen Vorsicht und deren Kunden und Begünstigte genießen dasselbe Schutzniveau.

    6.2   Allgemeine Aufsichtsbefugnisse und qualitative Anforderungen (Säule II)

    (Artikel 27-34, 36-38, 40-49, 181-183)

    6.2.1

    In dem Vorschlag der Kommission zum Thema „Solvabilität II“ werden Verfahren und Instrumente für die Beaufsichtigung und Prüfung festgelegt wie etwa die Aufsichtsbefugnisse und die Maßnahmen für eine Zusammenarbeit zwischen nationalen Aufsichtsbehörden sowie zugunsten der aufsichtlichen Konvergenz. Mit den Bestimmungen der Säule II werden auch qualitative Anforderungen an die Unternehmen gestellt, zum Beispiel an ihre ordnungsgemäße Geschäftsorganisation (Governance) und Effizienz ihrer internen Kontroll- und Risikosteuerungssysteme, ihrer versicherungsmathematischen Funktion, ihres internen Audits, der Einhaltung der Eignungsanforderungen und der Regelungen für Outsourcing.

    6.2.2

    Mit den Instrumenten für die Beaufsichtigung sollen solche Unternehmen ermittelt werden, deren finanzielle, organisatorische oder sonstige Merkmale ein höheres Risikoprofil zur Folge haben, die unter besonderen Umständen aufgefordert werden könnten, mehr Solvenzkapital vorzuhalten, als durch die Solvenzkapitalanforderung verlangt ist, oder Maßnahmen zur Verringerung des eingegangenen Risikos zu treffen.

    6.2.3

    Der erwähnte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt auch für das Aufsichtsverfahren. Die Aufsichtsbehörden müssen ihre Befugnisse unter Berücksichtigung der Größe, Art und Komplexität der Risiken der einzelnen Unternehmen wahrnehmen, um eine zu starke Belastung gerade derjenigen kleinen und mittleren Versicherungsunternehmen durch bürokratischen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, die ein nur ein geringes Risiko aufweisen.

    6.2.4

    Mit Solvabilität-II soll die qualitative Bewertung von Risikosituationen der Unternehmen durch die Aufsichtsbehörden verbessert werden. Es ist wichtig, dass die Aufsichtsbehörden bei ihren Maßnahmen und Entscheidungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten sowie bezüglich der unterschiedlichen Unternehmen und Zeitpunkte untereinander übereinstimmend handeln. Transparenz, Objektivität und Berechenbarkeit der aufsichtlichen Maßnahmen sind nicht hoch genug einzuschätzen. Besonders wichtig ist dies natürlich bei der Verwendung eigener Modelle der Unternehmen.

    6.3   Informationen für die Beaufsichtigung und Veröffentlichung (Säule III)

    (Artikel 35, 50-55)

    6.3.1

    Transparenz und Veröffentlichung der Informationen der Versicherungsunternehmen über ihre Finanzlage und Risiken dienen der Stärkung des Marktes und der Marktdisziplin. Versicherungsunternehmen legen den Aufsichtsbehörden diejenigen quantitativen und qualitativen Informationen vor, die diese zur Durchführung einer echten Kontrolle und Übersicht benötigen.

    6.3.2

    Die Harmonisierung der Informationen für die Beaufsichtigung und Veröffentlichung ist ein wichtiger Bestandteil der neuen Regelung, da dringend Bedarf an einer Konvergenz besteht, damit in ganz Europa Format und Inhalte der Informationen vergleichbar werden. Bei multinationalen Unternehmen ist dies besonders wichtig.

    6.4   Gruppenaufsicht

    (Artikel 210-268)

    6.4.1

    In den derzeitigen EU-Rechtsvorschriften wird die Gruppenaufsicht lediglich als eine Ergänzung zur Einzelaufsicht betrachtet. Denn bei der Beaufsichtigung eines Einzelunternehmens wird nicht berücksichtigt, ob das Rechtssubjekt Teil einer Gruppe ist (z.B. ein Tochterunternehmen). Zu einer Einzelaufsicht wird also lediglich noch eine Gruppenaufsicht hinzugefügt, allein zum Zweck, die Auswirkungen der Beziehungen im Unternehmen auf das Einzelunternehmen zu bewerten. Daraus folgt, dass in der gegenwärtigen EU-Solvabilitätsregelung die ökonomische Realität der Versicherungsgruppen nicht verkannt und übersehen wird, dass in vielen Fällen ein Risikomanagement eher auf Gruppen- als auf Einzelebene erfolgt. Mit dem Vorschlag „Solvabilität II“ wird ein angemessenerer Weg für die Beaufsichtigung von Gruppen eingeschlagen, indem — unter einer Reihe von Bedingungen — die Verfahren für die Einzel- und die Gruppenaufsicht geändert werden.

    6.4.2

    Für jede Versicherungsgruppe wird eine einzige für die Gruppenaufsicht zuständige Behörde benannt, die hauptverantwortlich für alle wichtigen Aspekte der Gruppenaufsicht ist (Solvabilität der Gruppe, gruppeninterne Geschäfte, Risikokonzentration, Risikomanagement und interne Kontrolle). Diese Behörde und die Einzelaufsichtsbehörden sind verpflichtet, grundlegende Informationen automatisch oder andere Informationen auf Anfrage auszutauschen, einander vor wichtigen Entscheidungen zu konsultieren und sich nach Kräften zu bemühen, zu einer gemeinsamen Entscheidung zu gelangen, auch wenn im Fall der Genehmigung des Gruppenmodells wie im Fall der Bankenverordnung die endgültige Entscheidung von der für die Gruppenaufsicht zuständigen Behörde getroffen wird. Damit soll erreicht werden, dass die Aufsichtsbehörden ein besseres Verständnis des Risikoprofils der gesamten Gruppe erhalten und folglich die Versicherungsnehmer bei jeder einzelnen Gesellschaft der Gruppe besser geschützt sind.

    6.4.3

    Neben einem verbesserten Konzept der Gruppenaufsicht wird mit dem Vorschlag eine innovative Unterstützungsregelung für Gruppen eingeführt. Gruppen, die ihr Kapitalmanagement auf Gruppenebene erleichtern wollen, können beantragen, nach der Regelung für die Unterstützung durch die Gruppe beaufsichtigt zu werden. Bei einer entsprechenden Genehmigung wird solchen Gruppen gestattet — unter genau festgelegten Bedingungen — einen Teil der Solvenzanforderung (nicht der Mindestkapitalanforderung) an die Tochterunternehmen durch eine Erklärung über die Unterstützung durch die Gruppe zu decken (finanzielle, rechtsverbindliche Verpflichtung des Mutterunternehmens gegenüber einem Tochterunternehmen, erforderlichenfalls Kapital zuzuschießen). Damit die Regelung über die Unterstützung durch die Gruppe wirksam werden kann, wurden einige wenige Ausnahmen von den Vorschriften für die Einzelbeaufsichtigung eingeführt. Sobald die Regelung in Kraft tritt, ist ein besonderes Verfahren bei Belastungen (Nichteinhaltung der Solvenzanforderung durch Einzelunternehmen) vorgesehen, mit koordinierten Maßnahmen zwischen den Behörden für die Einzel- und Gruppenaufsicht. Diese Regelung muss in der gesamten Union einheitlich angewandt werden.

    6.4.4

    Indem die Unterstützungsregelung für Gruppen gestattet, das Solvenzkapital der Tochterunternehmen irgendwo in der Gruppe vorzuhalten, gibt sie den Versicherungsgruppen ein praxisorientiertes und transparentes Mittel an die Hand, um von Diversifizierungseffekten profitieren zu können, während einzelne Tochterunternehmen Kapitalanforderungen ebenso erfüllen, als ob sie nicht Teil einer Gruppe wären. Aus diesen Gründen muss eine geeignete Aufsicht geschaffen werden, damit eine prompte Kapitalübertragung erfolgen kann, sobald sie erforderlich ist. Wurden Erklärungen zur Unterstützung durch die Gruppe abgegeben und in Anspruch genommen, ist dies sowohl vom Mutterunternehmen als auch vom betreffenden Tochterunternehmen öffentlich bekanntzumachen.

    Brüssel, den 29. Mai 2008

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  Der Vorschlag wurde später geändert und erhielt die Nummer KOM(2008) 119 endg. Die in der vorliegenden Stellungnahme angegebenen Artikel beziehen sich auf diese letzte Version des Richtlinienvorschlags.

    (2)  Richtlinie 2003/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Juni 2003 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung.

    (3)  Quelle: CEA — Europäischer Ausschuss der Versicherungsträger, European Insurance in Figures, 2007. Daten stammen von Ende 2006.

    (4)  siehe Fußnote 2.

    (5)  siehe Fußnote 2.

    (6)  siehe Fußnote 2'.

    (7)  siehe Fußnote 2.

    (8)  siehe Fußnote 2.

    (9)  siehe Fußnote 2.

    (10)  siehe Fußnote 2.

    (11)  Quelle: AISAM.

    (12)  Die Vermögenswerte der EU-Versicherungsunternehmen bestehen hauptsächlich aus Schuldverschreibungen (37 %), Aktien (31 %) und Anleihen (15 %). Quelle: CEA — Europäischer Ausschuss der Versicherungsträger, European Insurance in Figures, 2007.


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