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Document 52006IE1369

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Economic Governance — Bedingungen für eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitiken in Europa

ABl. C 324 vom 30.12.2006, p. 49–56 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 324/49


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Economic Governance — Bedingungen für eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitiken in Europa“

(2006/C 324/21)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 19. Januar 2006, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Economic Governance — Bedingungen für eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitiken in Europa“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 7. September 2006 an. Berichterstatter war Herr NYBERG.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 430. Plenartagung am 26. Oktober 2006 mit 86 gegen 9 Stimmen bei 10 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Zusammenfassung und Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich dafür entschieden, in der diesjährigen Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik nicht auf die Grundzüge der Wirtschaftspolitik für den dreijährigen Zeitraum einzugehen, sondern sich statt dessen mit den formalen Grundlagen der Grundzüge zu befassen. Das Fundament für die Gemeinschaftspolitik in geld- und finanzpolitischen Fragen liegt in den in Maastricht angenommenen Vertragsbestimmungen über die Gemeinschaftswährung, im Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie in den Vertragsbestimmungen über die wirtschaftspolitischen Grundzüge. Es geht darum, zu Bestimmungen zu gelangen, die möglichst positive Auswirkungen auf die übergreifenden Ziele in puncto Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung haben.

Um zu vermeiden, dass eines der beiden wirtschaftspolitischen Aktionsfelder das andere allzu sehr dominiert, sollten die EZB und der Rat „Wirtschaft und Finanzen“ (Ecofin) von denselben politischen Zielsetzungen ausgehen. Es ist besonders wichtig, dass die Mitglieder der Eurogruppe im Ecofin-Rat und die EZB denselben Ansatz verfolgen.

Die Stellungnahme ist in verschiedene Themenbereiche untergliedert: Geldpolitik, Stabilitäts- und Wachstumspakt, Grundzüge der Wirtschaftspolitik, Lohnbildung und Zusammenhang zwischen Inflation und Wachstum. In den Empfehlungen des Ausschusses soll indes auch aufgezeigt werden, welche Aktivitäten von den verschiedenen Akteuren — Rat „Wirtschaft und Finanzen“, EZB, Kommission und Sozialpartner — erwartet werden.

EZB

Das Ziel der Preisstabilität sollte als symmetrisches Ziel, z.B. 2 % +/- einem Prozentpunkt neu festgelegt werden. Ein solches Ziel mit einem Mittelwert erleichtert es, die genaue Distanz zum Zielwert abzuschätzen und kann auch von Bedeutung sein, will man der EZB ein Gegensteuern bei Veränderungen der Preisstabilität infolge sinkender bzw. steigender Nachfrage ermöglichen.

Für eine Politik, die stärker auf den Zusammenhang zwischen geldpolitischen und finanzpolitischen Maßnahmen achtet, bietet sich die Kerninflation als das anzuwendende Maß an. Dabei bleiben Preisveränderungen, die die EZB nicht zu beeinflussen vermag und zufällig sein können, unberücksichtigt. Dieser Inflationsbegriff ist zur Messung der Veränderungen der Preistrends besser geeignet. Außerdem sollte die EZB bei ihrer Bewertung der Preisentwicklung darauf achten, ob diese auf Steueränderungen basiert.

Die Forderung nach Preisstabilität der Bewerber für den Beitritt zur Gemeinschaftswährung muss einer Überprüfung unterzogen werden. Dies macht eine formelle Änderung des Vertrags erforderlich. Im Hinblick auf die Tatsache, dass eine solche Änderung nicht einmal im Verfassungsvertrag zu finden ist, sollte aber eine flexible Interpretation des Vertrags erfolgen, bei der der hinter der Forderung liegende Zweck und nicht der momentane Ist-Zustand für einen eventuellen Beitritt zur Gemeinschaftswährung entscheidend ist. Sinnvollerweise sollte für Euro-Bewerber in puncto Preisstabilität das gleiche Ziel gelten wie für die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets.

Stabilität und Vertrauen in die Geldpolitik basiert nicht nur auf einer Inflationsrate, die unter der 2 %-Marke liegt. Ein etwas höheres Niveau als Maß für die Preisstabilität sollte die Stabilität nicht unterhöhlen. Entscheidend ist vielmehr das Wissen über den Willen und das Vermögen, die Inflation unter Kontrolle zu halten, damit das anvisierte Ziel erreicht wird.

Die EZB sollte ihre Sitzungsprotokolle veröffentlichen.

Rat „Wirtschaft und Finanzen“

Solange die Kapazitätsauslastung noch nicht einen Wert erreicht hat, der zu einem Anstieg der Inflation führt, besteht kaum die Gefahr einer prozyklischen Politik. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch viel zu hoch und es gibt große Ressourcen für eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligungsrate. In Jahren mit günstiger wirtschaftlicher Entwicklung sollte die Wirtschaftspolitik insbesondere auf die Planung zur Bewältigung künftiger Wirtschaftsprobleme aufgrund der demografischen Entwicklung ausgerichtet sein. In Zeiten positiver wirtschaftlicher Entwicklung sind die allgemeinen Ziele der EU bezüglich Haushalt und Schuldenstand nicht hinreichend. Mitgliedstaaten, die diese Ziele bereits erreicht haben, dürfen sich nicht bequem zurücklehnen.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kriterien des ausgeglichenen Haushalts und der öffentlichen Schulden beibehalten werden sollten, doch sollte die Diskussion vorankommen, indem man die wirklichen Ziele der Wirtschaftspolitik betrachtet.

Die dreijährigen Grundzüge der Wirtschaftspolitik sollten als zentrale Zielwerte — neben den in der Lissabon-Strategie genannten Prozentsätzen für die Beschäftigungsquote — einen Mindestwert für das Wirtschaftswachstum und eine prozentuale Senkung der Arbeitslosigkeit vorsehen. Einzelstaatliche Zielsetzungen sollten festgelegt werden, die jedoch nicht unterhalb der gemeinschaftlichen Zielwerte liegen dürfen.

Die Finanzminister müssen konsequent sein und dürfen in ihren Heimatländern nicht anders handeln, als sie dies in Brüssel angekündigt haben.

Sozialpartner/Köln-Prozess

Zwischen den Treffen im Rahmen des Köln-Prozesses sollte man gemeinsame Untersuchungen über die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die Auswirkungen verschiedener politischer Maßnahmen und ähnliche Fragen durchführen.

Im Rahmen des Köln-Prozesses ist wohl ausreichend politisches Gewicht versammelt, um dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten ihre Schuldigkeit in Bezug auf statistische Wirtschaftsdaten erfüllen.

Das Parlament sollte vor jedem Treffen eine Entschließung zur Wirtschaftslage und zur gewünschten Politik vorlegen.

Sowohl der Rat „Wirtschaft und Finanzen“ als auch die Eurogruppe sollten anwesend sein, damit nicht nur das gesammelte Gremium der Finanzminister, sondern auch die Finanzminister vertreten sind, die direkt für die Finanzpolitik zuständig sind, die mit der Geldpolitik der EZB verbunden werden soll.

Kommission

Für die Kerninflation sollte eine weitere Untersuchung durchgeführt werden. Eine eingehendere Studie der politischen Maßnahmen, die in den Ländern mit einem guten Verhältnis — niedrige Inflation im Verhältnis zur Wachstumsrate — ergriffen wurden, könnte als Grundlage für ein künftiges Benchmarking dienen.

Untersuchungen können Aufschluss darüber geben, inwiefern sich z.B. unterschiedliche Wachstumsraten auf Veränderungen der Produktivität zurückführen lassen. In welchem Maße beruhen unterschiedliche Raten der Produktivitätssteigerung auf Unterschiede bei den Investitionen und Innovationen? Welche Verfahren zur Steigerung der Produktivität gibt es sonst noch? Der EWSA möchte deshalb die Kommission auffordern, den Zusammenhang zwischen den übergreifenden Zielen für Wachstum und Beschäftigung z.B. anhand von Produktivitätssteigerungen und Inflationsraten zu untersuchen.

Quintessenz

Erreicht werden soll eine bessere Koordinierung von Geld- und Finanzpolitik, bei der Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung wichtige Ziele für alle wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger wie EZB, Kommission, Rat „Wirtschaft und Finanzen“, Sozialpartner sowie die Mitgliedstaaten darstellen. Wenn alle Akteure alle drei Ziele als Ausgangspunkt ihrer Maßnahmenvorschläge betrachten, sind sie auch gezwungen, sämtliche Konsequenzen ihrer Vorschläge zu berücksichtigen. Dies führt zu einer einheitlicheren Politik, die ein in sich geschlosseneres Ergebnis zeitigt.

1.   Einleitung

1.1

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der EU (Broad Economic Policy Guidelines) beziehen sich nunmehr auf einen dreijährigen Zeitraum. Die diesjährigen Grundzüge enthalten lediglich kleinere Anpassungen der 2005 angenommenen Grundzüge.

1.2

Der EWSA hat sich deswegen dafür entschieden, in der diesjährigen Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik nicht auf diese Veränderungen einzugehen, sondern sich stattdessen mit den formalen Grundlagen der Grundzüge zu befassen. Eine solche Untersuchung kann sich nicht auf den Wortlaut der Grundzüge der Wirtschaftspolitik beschränken, sondern muss sich auch mit der Geldpolitik und ihrer Verbindung zur Finanzpolitik beschäftigen.

1.3

Das Fundament für die Gemeinschaftspolitik in geld- und finanzpolitischen Fragen liegt in den in Maastricht angenommenen Vertragsbestimmungen über die Gemeinschaftswährung, im Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie in den Vertragsbestimmungen über die wirtschaftspolitischen Grundzüge. Aufgrund der im Jahr 2005 eingeführten Neuerungen erfolgt die Beschäftigung mit diesen Grundzügen im Rahmen des jährlichen „Lissabon-Prozesses“.

1.4

Ziel ist es, die Wechselwirkungen dieser Bestimmungen und ihre Auswirkungen auf die praktischen politischen Maßnahmen auf Unionsebene sowie auf einzelstaatlicher Ebene zu betrachten. Eine solche Untersuchung wird notwendigerweise ziemlich theoretisch sein, damit die Debatte vorangebracht und die Politiken verbessert werden können. Im Sinne einer umfassenden Analyse muss auch die Frage der Lohnbildung angeschnitten werden. Dabei soll verifiziert werden, ob die Bestimmungen möglichst positive Auswirkungen auf die übergreifenden Ziele der Preisstabilität, des Wachstums und der Beschäftigung zeitigen.

1.5

Unsere Empfehlungen beschränken sich nicht nur auf die aktuelle Politik, sondern beziehen sich auch auf Änderungen der Bestimmungen, die unmittelbar durchgeführt werden können, vor allem, wenn dies mit Verhaltensänderungen der Entscheidungsträger einhergeht. Nur in einem Fall macht unser Vorschlag eine Änderung des Vertrags erforderlich.

2.   Der Vertrag von Maastricht und die gemeinsame Geldpolitik

2.1

Die EZB verfolgt das übergreifende Ziel der Preisstabilität. Als weiteres Ziel wird in den in Maastricht angenommenen Bestimmungen des Vertrags die Förderung des Wachstums durch die EZB — bei erreichter Preisstabilität — genannt. In diesem Kontext wird gewöhnlich ein Vergleich mit der Politik der Federal Reserve der USA angeführt, deren Politik mehr auf einer Gesamtschau von Preisstabilität, Beschäftigung und Wachstum basiert. Dies mag einen lediglich graduellen Unterschied nahe legen, in der Durchführung der Geldpolitik treten die Unterschiede jedoch deutlicher zu Tage: Die Federal Reserve führt häufig die Beschäftigungsentwicklung für Änderungen der Zinssätze an. Für die EZB scheint Preisstabilität der einzige Grund für die Änderung der Zinssätze zu sein.

2.2

Außer den faktischen geldpolitischen Maßnahmen ist deshalb auch der Wortlaut der Zielsetzung für die Gestaltung der übergreifenden Wirtschaftspolitik von Bedeutung.

2.3

Gemäß einem umfassenden Verständnis von Wirtschaftspolitik, die sowohl die Geldpolitik als auch die Finanzpolitik umfasst, ist deshalb nicht nur die Zinspolitik für die Durchführung der Finanzpolitik ausschlaggebend, die Wahl geldpolitischer Ziele ist mindestens ebenso wichtig. Ein Finanzminister mag mitunter von folgender Erwägung geleitet sein: Wird meine Entscheidung für eine bestimmte Maßnahme dadurch neutralisiert, dass die Zinsen zum Ausgleich der Wirkung verändert werden? Um zu vermeiden, dass eines der beiden wirtschaftspolitischen Aktionsfelder das andere allzu sehr dominiert, sollten die EZB und der Rat „Wirtschaft und Finanzen“ von denselben politischen Zielsetzungen ausgehen. Es ist besonders wichtig, dass die Mitglieder der Eurogruppe im Ecofin-Rat und die EZB denselben Ansatz verfolgen. Das geldpolitische Ziel sollte auf eine ausgesprochen lange Frist festgelegt werden. Bei zahlreichen Anlässen wurde von der EZB vorgebracht, dass das Ziel der Inflationsrate von 2 % auf eine Absprache im Ecofin-Rat zurückgeht. Die Meinungen über die anzustrebende Inflation gehen vielleicht nicht so weit auseinander, aber das Ziel und die Maßnahmen müssen von allen respektiert werden können.

2.4

Als die EZB das Ziel für Preisstabilität festlegte, wurde eine Inflationsrate von unter 2 % gewählt. Bereits im Jahr 2003 wurde dieses Ziel dahingehend geändert, dass nunmehr zwar eine Inflationsrate von unter, aber nahe 2 % angestrebt werden soll. Die Zielsetzung wurde dadurch etwas realistischer, da die ursprüngliche Definition „von unter 2 %“ bedeuten konnte, dass auch eine deflationäre Entwicklung vertretbar war.

2.5

Zwei Probleme konnten mit dieser Definition jedoch nicht ausgeräumt werden: Es ist so gut wie unmöglich zu bestimmen, wie weit das Ziel jeweils entfernt ist und welche Abweichungen zulässig sind. Bei einem symmetrischen Zielwert wird eine gewisse Bandbreite um die anvisierte Inflationsrate zugestanden. Angesichts des von der EZB anvisierten Ziels von nahe 2 % wäre ein Ziel von 2 % plus/minus 1 Prozentpunkt die beste Lösung. Mit einem solchen Zielwert ließe sich auch die mitunter auftretende Nervosität dämpfen, die bei vereinzelten Abweichungen im Promillebereich festzustellen ist. Nach Auffassung des EWSA sprechen alle Gründe dafür, das von der EZB anvisierte Ziel in ein symmetrisches Ziel umzuwandeln. Ein solches Ziel mit einem Mittelwert kann auch von Bedeutung sein, will man der EZB ein Gegensteuern bei Veränderungen der Preisstabilität infolge sinkender bzw. steigender Nachfrage ermöglichen. Betrachtet man die bisherige Entwicklung, so erfolgten Zinserhöhungen während des günstigen europäischen Konjunkturverlaufs vor dem Jahrtausendwechsel rasch, wohingegen Zinssenkungen in den folgenden schlechten Jahren spürbar langsamer vonstatten gingen.

2.6

Das zweite Problem besteht darin, welche Inflation gemessen werden soll. In der offiziellen Definition des Ziels durch die EZB wird der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) herangezogen, d.h. das Maß für die allgemeine Inflationsrate. Davon könnte man z.B. Energiepreise oder Lebensmittelpreise ausnehmen, um Inflationsraten zu erhalten, die sich mittels Geldpolitik besser gestalten lassen und die nicht auf unbeeinflussbaren Faktoren basieren. Dadurch soll vor allem die zeitlich begrenzte Auswirkung von Ölpreissteigerungen ausgeglichen werden, die rasch eine andere Richtung einschlagen können. Ein geänderter Preisindex ist erforderlich, um unmittelbare Auswirkungen vorübergehender Preisschwankungen auf die EZB-Politik zu vermeiden. Selbst bei einem voraussichtlich langfristigen Anstieg des Ölpreises können momentane Veränderungen des Ölpreises niemals durch Zinsänderungen ausgeglichen werden, die im Allgemeinen erst nach ein bis zwei Jahren Wirkung zeigen.

2.7

Der als Kerninflation bezeichnete Inflationsbegriff ist zur Messung von Inflationstendenzen der Binnenwirtschaft (der Eurozone für die EZB) gedacht. Diese Veränderungen des Preisniveaus beziehen sich mehr auf Trends, die es insbesondere für die EZB zu beeinflussen gilt. Die unmittelbare Auswirkung von Zinsänderungen auf die Preissteigerungsrate lassen sich mit diesem Inflationsbegriff am Beispiel der Zinspolitik der EZB am besten aufzeigen. Wenn die EZB ein Überschreiten der Inflation des festgelegten Werts akzeptiert, dann lässt sich dies wahrscheinlich darauf zurückführen, dass sie diesen eingeschränkten Inflationsbegriff auch mit berücksichtigt hat. Der zusätzliche Verweis auf die Kerninflation würde es der EZB ermöglichen, ein besseres Verständnis ihrer Politik zu erzielen. Für eine Politik, die stärker auf den Zusammenhang zwischen geldpolitischen und finanzpolitischen Maßnahmen achtet, bietet sich die Kerninflation als das anzuwendende Maß an. Damit ließen sich mit einer der Gesamtschau verpflichteten Wirtschaftspolitik einfacher positive Effekte für Wachstum und Beschäftigung erzielen.

2.8

Ein Vergleich zwischen der offiziellen Inflationsrate gemäß HVPI und der nach dem Begriff der Kerninflation ermittelten Preissteigerung zeigt für die meisten Jahre nur geringe Unterschiede (siehe Anhang). Die Energiepreise haben das allgemeine Preisniveau nur in 2005 nennenswert beeinflusst. Vergleicht man die Inflation mit dem Zielwert der EZB, so liegt die Kerninflation lediglich in den Jahren 2000 und 2005 zu weit unterhalb des Zielwerts. Bei der Verwendung des Begriffs der Kerninflation wäre beispielsweise im Jahr 2005 eine weniger restriktive Politik angezeigt gewesen.

2.9

Ein weiterer Faktor, der die Inflationsrate beeinflusst, aber nicht als unmittelbare Auswirkung der Binnennachfrage angesehen wird, sind Veränderungen von Steuern und Abgaben. Erhöhen Mitgliedstaaten z.B. zwecks Verminderung des Haushaltsdefizits die MwSt, dann steigt damit auch die Inflationsrate. Die EZB kann sich zu Zinserhöhungen veranlasst sehen, wird die Preisstabilität mithilfe des HVPI gemessen. Eine MwSt-Erhöhung hat jedoch eine nachfragesenkende Wirkung auf die Volkswirtschaft und sollte deshalb im Zuge einer wirtschaftspolitischen Gesamtschau eigentlich mit Zinssenkungen einhergehen. In solchen Fällen — wie z.B. in Deutschland mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 % zum 1. Januar 2007 — sollte die EZB folglich sehr genau sowohl auf die Ursachen der Preissteigerung, als auch darauf schauen, ob es sich um ein einzelnes Vorkommnis handelt, das nicht zu einer Erhöhung der Inflationstendenz führt. Ein weiterer Aspekt ist anzuführen: Wenn es die EZB zulässt, dass eine solche Steuererhöhung in einem Land die Geldpolitik beeinflusst, hat dies negative Auswirkungen auch auf alle anderen Euroländer.

2.10

Für einen Beitritt der bislang nicht am Euro beteiligten Mitgliedstaaten zur Gemeinschaftswährung müssen diese laut Vertrag nach wie vor eine Inflationsrate aufweisen, „die der Inflationsrate jener — höchstens drei — Mitgliedstaaten nahe kommt, die auf dem Gebiet der Preisstabilität das beste Ergebnis erzielt haben“. Dabei bedeutet „nahe kommen“ eine Differenz von maximal 1,5 Prozentpunkten. Bestes Ergebnis bedeutet in diesem Zusammenhang niedrigste Inflationsrate. Dieses Ziel ist heutzutage nicht mehr so selbstverständlich wie zu Beginn der Neunzigerjahre. Betrachtet man die jüngste Entwicklung, kann dies einer Forderung nach einer niedrigeren Inflation, als sie zurzeit in den Euroländern besteht, gleichkommen. Noch absurder ist diese Voraussetzung, da sie auf der Inflationsrate aller EU-Mitgliedstaaten — und nicht nur der Euroländer — basiert. In der letzten Zeit waren eben nicht zur Eurozone gehörende Mitgliedstaaten der EU-15 unter den drei für die Voraussetzung der Preisstabilität der Euro-Bewerberländer ausschlaggebenden Ländern. Deshalb muss die Forderung nach Preisstabilität der Bewerber für den Beitritt zur Gemeinschaftswährung einer Überprüfung unterzogen werden. Dies macht eine formelle Änderung des Vertrags erforderlich. Im Hinblick auf die Tatsache, dass eine solche Änderung nicht einmal im Verfassungsvertrag zu finden ist, könnte diese Änderung so viel Zeit erfordern, dass die Mehrzahl der Euro-Bewerberländer gezwungen ist, die Erfüllung der jetzigen Bestimmungen anzustreben. Vielmehr sollte eine flexible Interpretation des Vertrags erfolgen, bei der der hinter der Forderung liegende Zweck und nicht der momentane Istzustand für einen eventuellen Beitritt zur Gemeinschaftswährung entscheidend ist. Sinnvollerweise sollte für Euro-Bewerber in puncto Preisstabilität das gleiche Ziel gelten wie für die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets. Sollte dieses Ziel auf 2 % mit einer Schwankungsbreite von +/- 1 Prozentpunkt neu festgelegt werden, so sollte dies auch für die Euro-Kandidaten gelten.

2.10.1

In Staaten mit hohem Wirtschaftswachstum kann auch eine flexiblere Einstellung in puncto Preisstabilität erforderlich sein. Irland ist ein Beispiel dafür, dass eine etwas höhere Inflation notwendigerweise mit den Anpassungen einhergeht, die in einer stark wachsenden Wirtschaft erforderlich sind.

2.11

Inflation ist ein statistisches Maß, das als Grundlage für die Wirtschaftspolitik notwendig ist. Doch werden Preissteigerungen vom Bürger auf andere Art und Weise erfahren. Es herrscht das Gefühl einer starken Beeinflussung durch Mieten, Lebensmittel- und Benzinpreise usw. vor. Andererseits werden die Preissenkungen bei bestimmten Waren nur von wenigen bemerkt. Bedenklicher ist jedoch, dass die Auswirkungen die Menschen sehr unterschiedlich treffen. Betreffen die Preissteigerungen insbesondere Güter des täglichen Bedarfs, sind die Armen am stärksten betroffen, denn eine allgemeine Preissteigerung von 2-3 % kann für diese einen erheblichen Anstieg der Lebenshaltungskosten bedeuten. Die Politiker müssen diese Auswirkungen zur Kenntnis nehmen und entsprechende politische Gegenmaßnahmen ergreifen. Dies ist weniger eine Frage des Umfangs der Haushaltspolitik als vielmehr ihres konkreten Inhalts.

3.   Der Stabilitäts- und Wachstumspakt 2005

3.1

Wurde die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten infolge der Neufassung des Stabilitäts- und Wachstumspakts verändert und hat sich die Bewertung der Länder durch die Kommission und später durch den Rat gewandelt? Es scheint, als ob sich lediglich Litauen eindeutig auf die aus der Neufassung des Pakts hervorgehende Definition des Defizits bezogen hat. Die Neufassung des Pakts hat zwischenzeitlich dazu geführt, dass alle Mitgliedstaaten auf einzelstaatlicher Ebene mittelfristige Ziele für die öffentlichen Finanzen aufgestellt haben. Die Ziele gehen von der aktuellen Lage in den jeweiligen Ländern aus.

3.2

Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nach der Änderung des Pakts konnte dieser natürlich keine nennenswerten Auswirkungen haben. Die meisten eingeführten Neuerungen bezogen sich auf Situationen, in denen man von einer Zuspitzung der wirtschaftlichen Probleme ausging. Hingegen folgte eine Phase konjunkturellen Aufschwungs und wirtschaftlicher Erholung, die sich sogar auf die Indikatoren des Pakts auswirkten.

3.3

Die wirtschaftliche Entwicklung in 2005 und die Erwartungen für 2006 lassen — insbesondere angesichts der positiveren Entwicklung in Deutschland — davon ausgehen, dass den Kriterien des Stabilitäts- und Wachstumspakts generell besser entsprochen werden kann. Die Tatsache, dass diese Entwicklung in Zeiten enormer Ölpreissteigerungen eintritt, spricht für die große Kraft des konjunkturellen Aufschwungs. Die Auswirkungen der Ölpreissteigerungen können sich auf die verschiedenen Länder — je nach Grad der Abhängigkeit von Ölimporten — unterschiedlich auswirken. Selbst in Zeiten günstiger Konjunktur gibt es doch einige Länder, die nach wie vor vom Ziel des Haushaltausgleichs weit entfernt sind. Ihnen dürften die Entwicklungen in den anderen EU-Ländern zugute kommen.

3.4

Das erreichte oder erwartete Wachstum entspricht allerdings in den meisten Ländern noch nicht dem Niveau, ab dem ein härteres Vorgehen des Pakts bei Haushaltsmaßnahmen zur Verbesserung der Haushaltslage in Zeiten günstiger Konjunktur erforderlich wäre. Solange die Kapazitätsauslastung noch nicht einen Wert erreicht hat, der zu einem Anstieg der Inflation führt, besteht kaum die Gefahr einer prozyklischen Politik. Die Arbeitslosigkeit ist immer noch viel zu hoch und es gibt große Ressourcen für eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligungsrate. Das Zusammenspiel zwischen Finanzpolitik und Geldpolitik ist im Unterschied zur schlechten konjunkturellen Lage vergangener Jahre neuen Belastungen ausgesetzt. In Zeiten günstiger Wirtschaftsentwicklung sollte die Wirtschaftspolitik hauptsächlich auf die Planung zur Bewältigung künftiger wirtschaftlicher Probleme aufgrund der demografischen Entwicklung ausgerichtet sein.

3.5

In Zeiten positiver wirtschaftlicher Entwicklung sind die allgemeinen Ziele der EU für öffentliche Haushalte und Staatsschulden nicht hinreichend. Mitgliedstaaten, die diese Ziele bereits erreicht haben, dürfen sich nicht bequem zurücklehnen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, die einzelstaatlichen Ziele gemäß der Neufassung des Stabilitäts- und Wachstumspakts zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage einzusetzen.

3.6

Neben der Tatsache, dass die schlechte Wirtschaftslage vor dem Jahr 2005 in erster Linie für die Probleme bei der Einhaltung der Kriterien des Pakts verantwortlich war, gibt es darüber hinaus auch statistische Gründe, die häufig übersehen werden. In einer Wirtschaft mit niedriger Inflation bleibt der reale Wert der öffentlichen Schulden unverändert. In einer solchen Lage gibt es keine einfachen Lösungen, vielmehr sind praktische Maßnahmen zum Schuldenabbau erforderlich. Das Gegenteil trifft für ausgebliebenes Wachstum zu. Bei starkem Wachstum verringert sich der Anteil der öffentlichen Schulden am BIP ohne weiteres Zutun. Ähnliche Auswirkungen sind beim Ausgleich des Haushalts zu beobachten. Bei hoher Inflationsrate verringert sich der Wert des Anteils des öffentlichen Sektors — die Haushaltslage verbessert sich statistisch. Bei Wirtschaftswachstum steigen die Einnahmen der öffentlichen Hand, ohne dass Steuererhöhungen erforderlich wären. Zu einem gewissen Grad sind die schwierigen statistischen Auswirkungen auf öffentliche Schulden und Haushaltslage unlängst von positiven statistischen Effekten abgelöst worden.

3.7

In den schlechten Zeiten war u.a. eine ungewöhnlich hohe Sparrate zu beobachten. Dieses Kapital wanderte wegen mangelnder europäischer Investitionsmöglichkeiten in die USA ab. Aufgrund des gestiegenen wirtschaftlichen Vertrauens, das mit besseren Zeiten einhergeht, kann von verringerter Zukunftssorge und somit von einer geringeren Sparrate ausgegangen werden. Eine weiter steigende Nachfrage kann einen Tugendkreislauf in Gang setzen.

3.8

Finanzpolitik hat schließlich auf Gemeinschaftsebene mit einem besonderen Problem zu kämpfen: diejenigen, die sie formulieren und für ihre Einhaltung sorgen können, wechseln ständig. Mitunter wird in einem Jahr ein Viertel der Finanzminister ausgewechselt. Das Verantwortungsgefühl für eine von Amtsvorgängern konzipierte Politik ist nicht so ausgeprägt. Deshalb sollten im Ecofin-Rat mehr langfristige Entschlüsse gefasst werden, damit eine bereits eingeleitete Politik nicht von einer neuen Finanzministerriege wieder umgeworfen wird. Der ständige Wechsel der Minister macht es auch schwer, zu einem Ecofin-Rat zu gelangen, der über den politischen Willen zur Verfolgung einer gemeinsamen Politik verfügt.

4.   Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und der Lissabon-Prozess

4.1

Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik bestehen seit 1993. Sie betrafen zunächst nur die Finanzpolitik, wurden dann um Fragen der Beschäftigung erweitert. Ab dem Jahr 2005 wurden sie mit den beschäftigungspolitischen Leitlinien und dem Lissabon-Programm im Rahmen eines koordinierten Prozesses zusammengeführt. Hier handelt es sich in der Praxis um einzelstaatliche Politiken, für die die Kommission und der Rat Richtlinien aussprechen. Anders als beim Stabilitäts- und Wachstumspakt sind keine Sanktionen vorgesehen.

4.2

Die Debatte wird seit Bestehen der EWU vom Ungleichgewicht zwischen der zentralen Geldpolitik und der nach wie vor einzelstaatlich geführten Finanzpolitik beherrscht. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist eine Mischform, da er auch Elemente einer gemeinsamen, durch Sanktionen untermauerten Politik aufweist, während die Grundzüge auf Empfehlungen basieren.

4.3

Welche Möglichkeiten gibt es für die Weiterentwicklung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik? Diesbezüglich ist eine eindeutige Trennung zwischen der Bestimmung der wirtschaftspolitischen Ziele auf der einen Seite und der Mittel, mit denen diese erreicht werden sollen, auf der anderen Seite unbedingt erforderlich.

4.4

Was den Stabilitäts- und Wachstumspakt betrifft, so gelten in der öffentlichen Diskussion ein ausgeglichener Haushalt und ein bestimmter Anteil der Staatsschulden am BIP als Ziele. Die beiden Kriterien stellen jedoch kein eigentliches Ziel dar, sondern sind eher ein Anhaltspunkt für die einzuschlagende wirtschaftspolitische Ausrichtung. Die Ausgeglichenheit oder ein Überschuss der öffentlichen Haushalte schaffen einen Handlungsspielraum für Zeiten wirtschaftlicher Rezession. Ein Überschuss stellt die finanziellen Mittel für eine spätere wirtschaftliche Stimulierung bereit. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Kriterien des ausgeglichenen Haushalts und der öffentlichen Schulden beibehalten werden sollten. Die Diskussion sollte indes vorankommen, indem man die wirklichen Ziele der Wirtschaftspolitik betrachtet.

4.5

Die übergreifenden Zielsetzungen für die gesamte Wirtschaftspolitik, die sowohl die Geld- wie die Finanzpolitik umfasst, lauten Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung. Diese Ziele müssen zum Ausdruck kommen. Die Problematik der Preisstabilität wurde bereits behandelt. Die wirtschaftspolitischen Grundzüge sollten deshalb darauf basieren, dass man auf EU-Ebene auch Definitionen für das anzustrebende Wachstum und die Vollbeschäftigung festlegt. Bei der praktischen Ausführung stößt dies allerdings auf erhebliche Probleme. Sollen realistische Ziele festlegt werden, sind diese im Zusammenhang mit der aktuellen wirtschaftlichen Lage zu sehen. Das bedeutet, dass sie häufigen Änderungen unterzogen sein könnten, anstatt — wie das Ziel der Preisstabilität — langfristig angelegt zu sein.

4.6

Die Meinungen darüber, wie gut wirtschaftliche Entwicklung durch das Wachstum wiedergegeben wird, gehen auseinander. Bei der herkömmlichen Methode werden soziale und umweltspezifische Auswirkungen nicht berücksichtigt. Betrachtet man indes ausschließlich das Wirtschaftswachstum, gibt es zwei gebräuchliche Methoden für dessen Bestimmung: Anstieg des realen Pro-Kopf-BIP oder Ermittlung über Kaufkraftparitäten (KKP). Mit letzterem Verfahren soll die tatsächliche Wirtschaftslage verschiedener Länder miteinander verglichen werden. Da es um die Ermittlung der Wachstumsrate geht, spielt die Wahl der Indikatoren hier keine Rolle. Die jährlichen Abweichungen je nach Typus des zu messenden BIP sind gering. Vor einigen Jahren führte man Untersuchungen durch, um festzustellen, ab welcher Wachstumsrate die Arbeitslosigkeit abnimmt. Dabei ergab sich das Ziel einer Mindestwachstumsrate von ca. 3 %. Dieser Zielwert kann sich jedoch im Zeitablauf verändern und muss nicht für alle Volkswirtschaften gleich sein. Angesichts der Schwierigkeiten beim Abbau der Arbeitslosigkeit ist es indes kaum möglich, von einer niedrigeren Wachstumsrate als der, ab der die Arbeitslosigkeit abnimmt, auszugehen. Allerdings haben in den letzten Jahren tatsächlich nur wenige Länder diese erforderliche Wachstumsrate erreicht.

4.7

Beim Ländervergleich und bei der Wahl der Politik zur Steigerung des Wachstums muss zwischen den beiden wichtigsten wachstumssteigernden Methoden unterschieden werden. Wachstum kann entweder durch die Erhöhung der Produktion unter Anwendung derselben Technologie — oft durch Zunahme der Erwerbsbeteiligung -, oder durch die Steigerung der Produktivität erzielt werden, wobei mit derselben Anzahl von Arbeitnehmern mehr produziert wird. In den nächsten Jahren besteht nach wie vor die Möglichkeit, die erste Methode anzuwenden. Aufgrund der demografischen Entwicklung bleibt indes in einigen Jahren wahrscheinlich nur die letztere Methode übrig.

4.8

Was die Beschäftigung betrifft, ist es bedeutend schwieriger, einen Zielwert anzugeben. Das Ziel muss in zwei Bereiche untergliedert werden, denn es geht zum einen um den Anteil der Erwerbstätigen an den Erwerbspersonen (Beschäftigungsquote), zum anderen um die Arbeitslosenquote. In der Lissabon-Strategie wurden Zielvorgaben für die Beschäftigungsquote insgesamt (70 %), für die Beschäftigungsquote von Frauen (60 %) und für Personen zwischen 55 Jahren und rentenfähigem Alter (50 %) aufgestellt.

4.9

Bezüglich der Arbeitslosenquote werden keine prozentualen Zielwerte genannt. Zunächst gilt es festzuhalten, dass es zahlreiche unterschiedliche Methoden zur Bestimmung von Arbeitslosigkeit gibt. Angesichts der offenen Arbeitslosigkeit zum einen sowie der Tatsache, dass einige Personen in diverse arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eingebunden sind, zum anderen sind mindestens zwei Zielwerte erforderlich. Nur sehr wenige Länder kommen in die Nähe so genannter Vollbeschäftigung (d.h. sie weisen eine wenige Prozentpunkte betragende Arbeitslosenquote auf, die in einer dynamischen Wirtschaft aufgrund notwendiger ständiger Veränderungen immer auftritt). Deshalb mag es vielmehr sinnvoll sein, langfristig einen Abbau der Arbeitslosigkeit um eine bestimmte Prozentzahl anzustreben.

4.10

Als Ergebnis dieser Überlegungen sollten die dreijährigen Grundzüge der Wirtschaftspolitik den zentralen Vorschlag eines Mindestwerts für das Wirtschaftswachstum und eine prozentuale Senkung der Arbeitslosigkeit beinhalten. Als Zielwerte für die Beschäftigungsquote können bis auf weiteres die in der Lissabon-Strategie genannten Prozentsätze beibehalten werden. Für die Finanzpolitik sollte die gleiche Situation wie bei der Geldpolitik — mit eindeutigen Zielen für die zu erwägenden Maßnahmen — geschaffen werden.

4.11

Die Rolle der wirtschaftspolitischen Grundzüge sollte dann in erster Linie darin bestehen, dass die Mitgliedstaaten Bericht über die von ihnen ergriffenen Maßnahmen zum Erreichen der Zielwerte erstatten und dass die Kommission und der Rat im Anschluss darüber befinden, inwiefern die Zielerreichung als hinreichend anzusehen ist. Werden die Ziele nicht erreicht, müsste die EU die jeweils ergriffenen Maßnahmen kritisieren und Vorschläge machen können, die auf einem Vergleich mit erfolgreichen Maßnahmen in anderen Mitgliedstaaten basieren. Jedes Land ist jedoch auf der Grundlage seiner spezifischen Voraussetzungen und seiner aktuellen wirtschaftlichen Lage zu beurteilen.

4.12

Da sich Finanzpolitik auch weiterhin in einzelstaatlicher Zuständigkeit befindet, ist die gegenwärtige Betonung der wirtschaftlichen Lage in der gesamten EU für die Bewertung der jeweiligen einzelstaatlichen Politiken nicht von besonderer Relevanz. Die wirtschaftspolitischen Grundzüge sollten daher neu ausgerichtet werden. In den künftigen Grundzügen der Wirtschaftspolitik sollten für die übergreifenden Ziele einzelstaatliche Zielsetzungen festgelegt werden, die jedoch nicht unterhalb der gemeinschaftlichen Zielwerte bleiben sollten, und jedes Land sollte danach bewertet werden, in welchem Maße es seinen jeweiligen Zielsetzungen entspricht.

4.13

Mittels deutlicherer Betonung der von den einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Voraussetzungen ergriffenen Maßnahmen und mittels stärkerer Anbindung an die eindeutigeren beschäftigungspolitischen Ziele der Lissabon-Agenda könnten die Grundzüge der Wirtschaftspolitik enger mit den sonstigen Zielsetzungen der Lissabon-Agenda verknüpft werden. Die übergreifende Wirtschaftspolitik kann in stärkerem Maße ein natürlicher Bestandteil der nationalen Reformprogramme werden und damit die Umsetzung der Lissabon-Agenda insgesamt beschleunigen.

5.   Lohnbildung und die wirtschaftspolitischen Leitlinien

5.1

1999 wurde der so genannte „Köln-Prozess“ ins Leben gerufen. Dieses jährlich stattfindende Diskussionsforum des Rates „Wirtschaft und Finanzen“, der EZB, der Kommission und der Sozialpartner (EGB und UNICE/CEEP), auf dem aktuelle politische Fragen erörtert werden, ist nur wenig bekannt. Der Köln-Prozess hat dennoch auf wertvolle Weise dazu beigetragen, dass die Beteiligten mehr über die Politik und die wirtschaftspolitischen Ansichten der anderen Beteiligten erfahren haben.

5.2

Diese Gespräche finden auf zwei Ebenen statt: auf der Ebene der Sachverständigen einerseits und in der hochrangigen Gruppe andererseits. In den gewöhnlich halbjährlich stattfindenden Treffen werden die aktuelle Wirtschaftslage und die hierfür erforderliche Politik erörtert.

5.3

Die Diskussionen des Jahres 2005 zeigen, dass es sowohl bezüglich der Analyse als auch der Vorschläge für Maßnahmen unterschiedliche Ansichten gibt. Die Kommission weist auf die Besserung der Wirtschaftslage hin. Die EZB unterstreicht die Bedeutung der Lohnzurückhaltung, was natürlich auch von der UNICE unterstützt wird. Die CEEP nennt das Erfordernis öffentlicher Investitionen. UEAPME geht es nicht nur darum, dass Kleinunternehmen berücksichtigt werden müssen, sondern dass möglicherweise auch eine höhere Inflation hingenommen werden muss. Der EGB weist darauf hin, dass die Wirtschaft generell stimuliert werden muss, um die Inlandsnachfrage anzukurbeln; ferner macht er darauf aufmerksam, dass Löhne und Gehälter nicht nur ein Kostenfaktor sind, sondern auch die wesentliche Voraussetzung für die Nachfrage bilden. Die Arbeitnehmer hätten seit vielen Jahren das ihre getan, um die Inflation gering zu halten, indem die Löhne weniger stark als die Produktivitätsgewinne gestiegen seien.

5.4

Angesichts dieser Beschreibung drängt sich die Frage auf, ob der Köln-Prozess nicht einen neuen Anstoß benötigt. Wie könnte dieser zuwege gebracht werden? Bislang drehte sich der Dialog im Rahmen des Köln-Prozesses darum, dass man sich traf und Ansichten austauschte. Eine Möglichkeit wäre, zwischen den Treffen gemeinsame Untersuchungen über die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die Auswirkungen verschiedener politischer Maßnahmen und ähnliche Fragen durchzuführen. Dies könnte zu einer Annäherung der unterschiedlichen Sichtweisen der wirtschaftlichen Realität führen, die als Ausgangspunkt dienen muss. Dieser Vorschlag kann auch mit dem bereits vom EWSA vorgebrachten Vorschlag bezüglich einer Einrichtung für unabhängige Wirtschaftsanalysen verbunden werden (1).

5.5

Eine Frage, die nicht in gleichem Maße ideologisch geprägt, aber trotzdem von entscheidender Bedeutung dafür ist, für welche Politik man sich entscheidet, betrifft die Zuverlässigkeit von statistischen Daten. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass es allen Mitgliedstaaten gelingt, die erforderlichen statistischen Daten gleichzeitig zugänglich zu machen. Wenn auf der Grundlage fehlerhafter statistischer Angaben entschieden wird, welche politischen Maßnahmen erforderlich sind, so hat dies verheerende Auswirkungen. Vielleicht ist im Rahmen der Gespräche des Köln-Prozesses ausreichend politisches Gewicht versammelt, um dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten ihre Schuldigkeit in Bezug auf statistische Wirtschaftsdaten erfüllen. Das Europäische Parlament hat auch wiederholt bessere Statistiken gefordert.

5.6

Auch Änderungen der formellen Strukturen könnten vielleicht zu einer lebhafteren Debatte führen. Die Rolle des Europäischen Parlaments könnte gestärkt werden. Von einer rein formalen Anwesenheit des Parlaments könnte dazu übergegangen werden, dass das Parlament vor jedem Treffen eine Entschließung zur Wirtschaftslage und der gewünschten Politik vorlegt. Diese könnte mit der förmlicheren Überprüfung, die wahrscheinlich von der Kommission durchgeführt wird, verglichen werden. Sowohl der Ecofin-Rat als auch die Eurogruppe sollten anwesend sein, damit nicht nur das gesammelte Gremium der Finanzminister, sondern auch die Finanzminister vertreten sind, die direkt für die Finanzpolitik zuständig sind, die mit der Geldpolitik der EZB kombiniert werden soll.

5.7

Zwar sind alle Beteiligten in ihrer Politik unabhängig — die EZB, die Finanzminister und die Sozialpartner -, doch bedarf es unbedingt der von uns befürworteten verbesserten Zusammenarbeit. Unabhängigkeit darf weder bedeuten, sich nicht an der allgemeinen Debatte zu beteiligen, noch, sich guten Ratschlägen zu verschließen. Die Autonomie nimmt auch keinen Schaden, wenn öffentlich darüber gesprochen und nicht immer darauf hingewiesen wird, dass alle Urteile selbständig und vollkommen unabhängig getroffen werden. Finanzminister müssen Konsequenz zeigen und dürfen zuhause nicht anders agieren, als sie es in Brüssel proklamiert haben. Für die EZB sollte es möglich sein, die Praxis der Zentralbanken des Vereinigten Königreichs und Schwedens zu übernehmen und ihre Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen.

6.   Welcher Zusammenhang besteht zwischen Inflation und Wachstum?

6.1

Im Bericht des Europäischen Parlaments über die integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung vom 26. Mai 2005 heißt es, „…, dass das Wachstum der Eurozone und der Europäischen Union der 25 Mitgliedstaaten sein potenzielles Niveau auf Dauer nicht erreicht und weiterhin zu schwach bleibt, insbesondere in den vier wichtigsten Volkswirtschaften der Eurozone; in der Erwägung, dass das Konsumverhalten der Haushalte weiterhin gedämpft ist und dass die Wirtschaftsaussichten für 2005 und 2006 nicht zufriedenstellend sind, was dazu beiträgt, dass die Arbeitslosenrate weiterhin hoch ist und nur langsam abnehmen wird; unter Hinweis darauf, dass die Investitionsneigung trotz der niedrigsten Zinssätze seit dem Zweiten Weltkrieg weiterhin schwach ausgeprägt ist;

6.2

Inflation und Arbeitslosigkeit sind das klassische Gegensatzpaar der Wirtschaftsliteratur. Statistisch betrachtet bedingen gute Ergebnisse bei dem einen schlechte Ergebnisse beim anderen. Der Ausschuss hat sich u.a. aufgrund von Berichten — wie z.B. dem Parlamentsbericht — stattdessen entschlossen, den Zusammenhang zwischen Inflation und Wachstum zu untersuchen.

6.3

In einer bestimmten Wirtschaftslage kann das Wachstum in Ländern mit niedriger Inflation mit Ländern mit hoher Inflation verglichen werden. Es ist auch zu erkennen, wie sich das Wachstum in einem Land in verschiedenen Wirtschaftslagen bei unterschiedlich hoher Inflation verändert. Die Tabellen des Ausschusses sind vielleicht nicht in strengem Sinne wissenschaftlich, doch sind sie ein guter Hinweis dafür, dass Kenntnisse über den Zusammenhang zwischen Inflation und Wachstum wichtig sind, um den geeigneten Policy-Mix zu bestimmen.

6.4

Wenn man sieht, dass es einerseits Länder mit relativ hoher Inflation und starkem Wachstum und andererseits Länder mit niedriger Inflation und schwachem Wachstum gibt, sollte aufgrund dieses Befunds auch untersucht werden, ob zwischen Inflation und Wachstum mehr als ein statistischer Zusammenhang besteht. Um herauszufinden, ob es sich bei den gegebenen Zusammenhängen tatsächlich um ursächliche Zusammenhänge handelt, ist zunächst eine Bereinigung erforderlich, da unterschiedliche Wirtschaftslagen und insbesondere unterschiedliche Entwicklungsniveaus (BIP) vorliegen können. Ferner muss auch untersucht werden, ob spezielle wirtschaftspolitische Maßnahmen durchgeführt wurden, die bei anderen Inflationsraten zu einem starken bzw. geringen Wachstum geführt haben könnten. Folglich muss man häufig bestimmte Länder betrachten und kann vielleicht keine Schlussfolgerungen über allgemeine Zusammenhänge zwischen Inflation und Wachstum ziehen.

6.5

Die Wachstumsrate ist ein echtes Problem, zumindest für die 15 „alten“ EU-Mitgliedstaaten. Statistischen Daten der Kommission zufolge war das Wachstum dieser Staaten so niedrig, dass sie jedes Jahr ca. einen halben Prozentpunkt des BIP im Vergleich zu anderen Industrieländern (1995-2005) eingebüßt haben (2). Im gleichen Zeitraum ist die Inlandsnachfrage in diesen Staaten im Vergleich zu den anderen Industrieländern um ca. einen Prozentpunkt zurückgegangen. Die relativ guten Jahre nach der Jahrtausendwende waren durch die gestiegene Auslandsnachfrage nach europäischen Produkten bedingt. Eine Analyse der Ursachen, die der fast katastrophal zu nennenden Entwicklung der Wachstumsrate zugrunde liegen, ist erforderlich, um künftig zu einer besseren Politik zu gelangen.

6.6

Diese Beschreibung der „Kosten“ einer niedrigen Inflation kann mit einer anderen Beschreibung der Kosten der hohen Inflation aus einem Schreiben von EZB-Präsident Wim Duisenberg an das Parlament verglichen werden: „Die quantitative Definition der Preisstabilität der EZB basiert auf stabilen und fundierten wirtschaftlichen Kriterien. Indem nur eine geringe Teuerungsrate zugelassen wird, werden die Kosten der Inflation minimiert, die der Öffentlichkeit gut bekannt und in der einschlägigen Literatur umfassend dokumentiert sind.“

6.7

Bei der Suche nach dem optimalen Zielwert für die Inflation muss darauf geachtet werden, sowohl die mit hoher Inflation einhergehenden Kosten, als auch die durch die Schwierigkeiten bei der Realisierung ausreichenden Wachstums verursachten Kosten zu vermeiden. Ebenfalls ist anzuerkennen, dass Inflation als solche weder Lösung noch Problem ist. Vielmehr geht es um die wirtschaftliche Flexibilität, die durch eine gewisse Inflation ermöglicht wird, bzw. um die katastrophalen Auswirkungen auf das Vertrauen, das langfristige Handeln und auf die Einkommensverteilung, die durch eine hohe Inflation hervorgerufen werden können.

6.8

Der Anhang enthält Angaben zu Inflation (HVPI und Kerninflation) und Wachstum (reales BIP-Wachstum) für die EU-Staaten. Ausgangsjahr ist das Jahr, in dem die EZB ihre Tätigkeit aufnahm.

6.8.1

Insgesamt handelt es sich um einen Zeitraum mit niedriger Inflation und geringem Wachstum. Einigermaßen akzeptable Wachstumsraten lagen nur 2001 und 2002 bzw. für einige Länder ab 2004 vor. In fast allen diesen Ländern geht die Inflation mit Wachstum einher. Nach den Wachstumsraten in den früheren Jahren (1999-2000) aufgrund der hohen Nachfrage auf dem Weltmarkt konnte die EU-Binnennachfrage keine ausreichenden Wachstumsimpulse vermitteln. Die Inflationsrate stieg im Zuge der wirtschaftlichen Aufhellung dieses Jahr sowie in der jüngsten Vergangenheit nicht nennenswert über 2 % an.

6.8.2

Zu allen Ländern ließen sich verschiedene Bemerkungen vorbringen, doch soll eine Beschränkung auf die folgenden Kommentare erfolgen:

 

Von der für die Mehrzahl der Länder zutreffenden Situation, die durch niedrige Inflation und niedriges Wachstum gekennzeichnet ist, weichen einige Länder ab. Irland, das über ein hohes Wachstum und eine hohe Inflation verfügt, konnte seine erhöhte Wachstumsrate beibehalten und gleichzeitig die Inflationsrate senken. Griechenland verbindet eine hohe Wachstumsrate mit hoher Inflation. Italien und Portugal haben eine etwas zu hohe Inflationsrate bei annäherndem Nullwachstum. Spaniens zufriedenstellende Wachstumsrate geht mit einer Inflationsrate einher, die über der 2 %-Marke liegt. Die Diskussion in Spanien macht deutlich, wie Wachstum die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregt, wohingegen eine so hohe Inflation nur die Wirtschaftsexperten bekümmert. Ein außergewöhnliches Ergebnis kann Finnland mit einem hohen Wachstum in 2004 bei praktisch nicht vorhandener Inflation aufweisen (was zum Teil auf gesenkte Steuern auf Alkohol zurückzuführen ist). Slowenien ist es gelungen, die Inflationsrate kontinuierlich zu senken und gleichzeitig ein ziemlich starkes Wachstum beizubehalten. Litauen weist ein hohes Wachstum auf, das mit niedriger, aber ansteigender Inflation einhergeht. Die Tschechische Republik konnte das Wachstum ohne Zunahme der Inflation steigern, während Estland ein noch höheres Wachstum erzielen konnte, was allerdings mit steigender Inflation verbunden ist. Das Wachstum in Lettland erreichte den europäischen Spitzenwert, allerdings bei einer extrem hohen Zunahme der Inflationsrate.

6.8.3

Interpretiert man Inflation als Maß des allgemeinen Nachfrageniveaus in einem Wirtschaftssystem, so waren folglich beide mit wenigen Ausnahmen zu niedrig. Die Inflationsrate war aufgrund der Schwierigkeiten, bei insgesamt geringen Preisveränderungen zu ausreichenden wirtschaftlichen Anpassungen zu gelangen, wachstumshemmend. Trotz der allgemein verbreiteten Kenntnis darüber, dass eine gewisse Inflation als Schmiermittel für eine dynamische Wirtschaft benötigt wird, wurde eine solche Aussage als politisch nicht korrekt aufgefasst. In der heutigen globalisierten Wirtschaft gelten dynamische Veränderungen allerdings als Voraussetzung für internationale Wettbewerbsfähigkeit.

6.8.4

Stabilität und Vertrauen in die Geldpolitik basieren nicht nur auf einer Inflationsrate, die unter der 2 %-Marke liegt. Ein etwas höheres Niveau als Maß für die Preisstabilität sollte die Stabilität nicht unterhöhlen. Entscheidend ist vielmehr das Wissen über den Willen und das Vermögen, die Inflation unter Kontrolle zu halten und somit das gewählte Ziel zu erreichen.

6.9

Eine weitere Untersuchung kann mit Zeitreihen für die Kerninflation durchgeführt werden. Abgesehen von 2005 ist der Unterschied zwischen dem Verbraucherpreisindex und der Preisentwicklung ohne Berücksichtigung der Energiepreise ziemlich gering. Eine eingehendere Studie der genauen politischen Maßnahmen, die in den Ländern mit einem guten Verhältnis — niedrige Inflation im Verhältnis zur Wachstumsrate — durchgeführt wurden, könnte als Grundlage für ein künftiges Benchmarking genutzt werden.

6.10

Der Anhang enthält auch Angaben über die Produktivität pro Arbeitsstunde. Die Zahlen zeigen nicht die Entwicklung in jedem einzelnen Land, sondern die Entwicklung in den Ländern im Vergleich zur durchschnittlichen Produktivität in der EU-15. Der Tabelle kann somit entnommen werden, ob sich ein Land dem Durchschnitt angenähert hat.

6.10.1

Die Verhältnisse dürften sich innerhalb von sechs Jahren nicht besonders schnell geändert haben, was für die Mehrzahl der Länder zutrifft. Doch gibt es einige Ausnahmen: Griechenland schließt — von niedriger Produktivität ausgehend — rasch zu den übrigen Ländern auf. Irland liegt über dem Durchschnittswert, wobei die Produktivität weiterhin steigt. Italien bleibt in diesem Zeitraum gegenüber den anderen Ländern zurück. Dies gilt auch für Portugal, das jedoch zu Beginn des Zeitraums ein sehr niedriges Produktionsniveau aufwies.

6.10.2

Auch hier können eingehendere Untersuchungen Aufschluss geben. Inwiefern lassen sich z.B. unterschiedliche Wachstumsraten auf Veränderungen der Produktivität zurückführen? In welchem Maße beruhen unterschiedliche Produktivitätssteigerungsraten auf Unterschieden bei Investitionen und Innovationen? Inwiefern führen Unterschiede zwischen den Bildungssystemen zu divergierenden Innovationsniveaus? Welche weiteren Möglichkeiten zur Steigerung der Produktivität gibt es? Der EWSA möchte deshalb die Kommission auffordern, den Zusammenhang zwischen den übergreifenden Zielen für Wachstum und Beschäftigung z.B. anhand von Produktivitätssteigerungen und Inflationsraten zu untersuchen.

6.11

Eine erste Schlussfolgerung aus den statistischen Angaben zu Inflation und Wachstum kann bislang allerdings lauten, dass Geld- und Finanzpolitik besser aufeinander abgestimmt werden müssen. Preisstabilität, Wachstum und Beschäftigung müssen für alle wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger — EZB, Kommission, Rat „Wirtschaft und Finanzen“, Sozialpartner und Mitgliedstaaten — wichtige Ziele werden. Wenn alle Akteure die selben Ziele verfolgen — d.h. alle gründen ihre Vorschläge für Maßnahmen auf diese drei Ziele -, müssen sie sämtliche Auswirkungen ihrer Vorschläge berücksichtigen. Maßnahmen, die sich in einer bestimmten Wirtschaftslage hervorragend auf die Preisstabilität auswirken, können in anderen Wirtschaftslagen völlig falsch sein. Unter bestimmten Umständen können sie Wachstum und Beschäftigung fördern, in anderen Situationen jedoch genau das Gegenteil bezwecken.

6.12

Ein Beispiel für eine neue Erkenntnis bei der EZB, die als Ausgangspunkt für eine neue koordinierte Politik dienen könnte, ist im monatlichen Bulletin der EZB vom Februar 2004 zu lesen. Hier werden die wichtigsten Faktoren zur Ankurbelung von Investitionen genannt: ausreichende Rentabilität, ausreichend zugängliche Finanzierungsmöglichkeiten und ausreichende Rahmenbedingungen für die Nachfrage.

Brüssel, den 26. Oktober 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  ABl. C 88 vom 11.4.2006, S. 68: „Die Stärkung der Economic Governance — die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts“.

(2)  Kommissionsdatenbank AMECO

(http://ec.europa.eu/economy_finance/indicators/annual_database/ameco_en.htm). Vergleich des Wachstums des BIP der EU-15 mit dem einer Referenzgruppe von Industrieländern (die die USA, Kanada, Japan, Korea, Australien, Neuseeland, Norwegen und die Schweiz umfasst).


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