EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52004IE1652

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Erreichbarkeit Europas auf dem Seeweg: Entwicklung und vorausschauende Weichenstellungen“

ABl. C 157 vom 28.6.2005, p. 141–146 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

28.6.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 157/141


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Erreichbarkeit Europas auf dem Seeweg: Entwicklung und vorausschauende Weichenstellungen“

(2005/C 157/25)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 1. Juli 2004, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten: „Die Erreichbarkeit Europas auf dem Seeweg: Entwicklung und vorausschauende Weichenstellungen“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. November 2004 an. Berichterstatter war Herr SIMONS.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss verabschiedete auf seiner 413. Plenartagung am 15./16. Dezember 2004 (Sitzung vom 16. Dezember) mit 124 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Der Seeverkehr mit Quelle und/oder Ziel in den EU-Mitgliedstaaten ist von sehr großer Bedeutung. Jedes Jahr werden mehr als 3.500 Mio. Tonnen Fracht auf dem Seeweg in den gut 1.000 Seehäfen in der EU angelandet, umgeschlagen oder von ihnen aus transportiert. Daneben werden jährlich ca. 350 Mio. Passagiere mit Fähren und auf Kreuzfahrtschiffen befördert.

1.2

Über 90 % des Verkehrs zwischen Europa und dem Rest der Welt wird über die europäischen Seehäfen abgewickelt. Außerdem laufen auch 40 % des innereuropäischen Verkehrs über den Seeweg. Was den Energie- und Umweltaspekt angeht, kann sich der Seeverkehr sehen lassen. Im Vergleich zum Straßenverkehr ist sein CO2- und Partikelausstoß bis zu 13 mal geringer, der CHx-Ausstoß sogar bis zu 19 mal niedriger (1).

1.3

In den Häfen und den direkt damit verbundenen Dienstleistungsbetrieben sind ca. 250 000 Menschen beschäftigt. Insgesamt beschäftigt der gesamte maritime Sektor ca. 2,5 Mio. Menschen in Europa und liefert einen Mehrwert in Höhe von ca. 111 Billionen Euro. Dies zeigt, wie wichtig der Seeverkehr für Europa ist.

1.4

Das Volumen des Seeverkehrs innerhalb Europas sowie von und nach Europa nimmt nach wie vor von Jahr zu Jahr stetig zu. Deswegen muss die EU das Wachstum dieser Verkehrsströme aufmerksam beobachten und rechtzeitig die entsprechenden Maßnahmen anregen bzw. selbst ergreifen, um für dieses Wachstum gerüstet zu sein.

1.5

Der Seeverkehr lässt sich in verschiedene Arten und Kategorien untergliedern, und zwar nach dem Zweck: Freizeit oder gewerblicher Transport; nach der Organisationsform: Trampschifffahrt und Linienschifffahrt; nach dem Fahrtgebiet: Hochseeverkehr und Kurzstreckenseeverkehr; nach Art der Ladung: Passagierverkehr und Gütertransport. Der Binnenmarkt ist vor allem vom gewerblichen Transport und den vier zuletzt genannten Kategorien betroffen, daher wird in dieser Stellungnahme auf diese Punkte eingegangen.

1.6

In der Passagierschifffahrt ist der Unterschied zwischen Kreuz- und Fährfahrten/RoRo-Schifffahrt markant, beim Gütertransport auf dem Seeweg ist zwischen den verschiedenen Arten von Frachtgut zu unterscheiden, als da sind:

Trockene Bulkladung: Ladung dieser Art wird als Schüttgutladung in speziellen Containern transportiert, z.B. Erz, Kohle und Getreide.

Flüssige Bulkladung: Derartige Ladung wird in Tankschiffen transportiert, z.B. Rohöl, Ölerzeugnisse und Chemikalien.

Stückgut: Bei dieser Ladung wird zwischen Roll-on- und Roll-off-Ladung, sonstigem Stückgut und Containern unterschieden.

2.   Überblick über die Marktlage der einschlägigen Kategorien

2.1

Sowohl bei Kreuz- und Fährschifffahrt als auch bei der RoRo-Schifffahrt geht es um Passagierschifffahrt, allerdings mit sehr unterschiedlicher Wesenscharakteristik. Die Kreuzschifffahrt ist eine Art Tourismus per Schiff, während die Fährfahrt den Transport von A nach B darstellt, der übrigens per RoRo auch für Güter möglich ist. Insgesamt werden in der EU 350 Mio. Passagiere auf dem Seeweg befördert, wovon 4 Mio. auf Kreuzschifffahrt entfallen.

2.2

Die größten Kreuzfahrthäfen in Europa sind Barcelona (832 000 Passagiere), Palma de Mallorca (665 000), Venedig (634 000), Neapel (534 000), Southampton (533 000) und Civitavecchia (520 000). Das größte Kreuzfahrtschiff, das dieses Jahr vom Stapel lief, ist die Queen Mary II mit einer Länge von 345 m, einer Breite von 41 m und einem Tiefgang von 10,3 m.

Längenmäßig ist die Queen Mary II ungefähr mit den größten Massengutfrachtern und Containerschiffen zu vergleichen, doch ist der Tiefgang von Kreuzfahrtschiffen im Vergleich zu Containerschiffen und Massengutfrachtern geringer. Größeren Häfen bereiten diese Schiffe in Bezug auf ihre Zugänglichkeit keine großen Probleme.

2.3

Häufig führen Fährschiffe auch RoRo-Frachttransport durch, sprich, sie sind kombinierte Passagier- und Frachtschiffe. Innerhalb der EU läuft der Fährverkehr zwischen dem europäischen Festland und dem Vereinigten Königreich, Skandinavien, den Baltischen Staaten, den Kanarischen Inseln und vor allem im Mittelmeer gibt es ein umfangreiches Fährverbindungsnetz, und zwar auch zu Drittländern. Die größten Fähr-/RoRo-Schiffe sind die „Pride of Rotterdam“ und die „Pride of Hull“, Schwesterschiffe der Reederei P&O North Sea Ferries. Diese Schiffe sind 215 m lang, 32 m breit, haben jedoch einen mäßigen Tiefgang von 6,3 m.

2.4

Abgesehen von gelegentlich örtlich begrenzten Schwierigkeiten ist auf europäischer Ebene für diese Kategorie zunächst keine besondere strukturelle Aufmerksamkeit für die physische Erreichbarkeit Europas mehr erforderlich. Die Erreichbarkeit Europas für diese Kategorie ist auch für die Zukunft sichergestellt, sodass einem weiteren Wachstum dieser Verkehrsart nichts im Wege steht.

2.5

Trockene und flüssige Bulkladungen sind für die Belieferung der europäischen Industrie von großer Bedeutung. Der Transport von flüssigen und trockenen Massengütern hat in Europa vor allem in den 1960er und 1970er Jahren in Bezug auf Ladungsvolumen und die Schiffsgröße ein starkes Wachstum erlebt.

2.6

In der Massengutschifffahrt mit Flüssiggütern stieg die maximale Schiffsgröße seinerzeit infolge der Schließung des Suez-Kanals nach dem Sechstagekrieg und die stetig steigende Nachfrage nach Rohöl von 85 000 tdw im Jahr 1968 auf 560 000 tdw (2) im Jahr 1976 an. Mehrere europäische Häfen haben dafür Sorge getragen, dass sie von diesen Schiffen angelaufen werden konnten. Im Zusammenhang mit der ersten Ölkrise 1973 erwiesen sich diese Schiffe als nicht mehr rentabel und wurden schließlich abgewrackt. Beim Neubau von Tankschiffen in den 1980er und 1990er Jahren ist keine weitere Zunahme der Schiffsgröße zu beobachten. Die großen Tankschiffe bewegen sich weiterhin in der Größenordnung von ca. 300 000 tdw. Erst im Jahr 2002 wurden wieder einige ULCC-Supertanker (Ultra Large Crude Carrier) mit 400 000 tdw gebaut, für die noch ausreichende Hafenkapazitäten zur Verfügung stehen.

2.7

Bei trockenen Massengütern ist die Entwicklung seit Ende der 1960er Jahre ähnlich verlaufen. Die Größenordnung bei dieser Schiffskategorie gipfelte in der 365 000 tdw großen „Berge Stahl“, die mit ihren 23 m (76 Fuß) Tiefgang bereits seit 18 Jahren Eisenerz von Brasilien nach Rotterdam transportiert und auf keiner anderen Strecke einsetzbar ist. Die meisten neuen Massengutfrachter liegen allerdings seit den 1980er Jahren in dem Bereich zwischen 150 000 und175 000 tdw. Dies zeigt, dass sich die flüssige und trockene Massengutschifffahrt zu einem reifen Markt entwickelt hat, an den sich die europäischen Seehäfen, die von diesen Schiffen angelaufen werden, bereits angepasst haben, sodass sie selbst den größten Massengutfrachter der Welt aufnehmen können. Bei der Ladekapazität und der Schiffsgröße ist kein großes Wachstum mehr zu erwarten. Die Erreichbarkeit Europas ist auch für diese Kategorien für die Zukunft bereits sichergestellt.

2.8

Bei Stückgutladungen werden General-Cargo- und Multifunktionsschiffe eingesetzt. Mit dem Aufkommen der Container ging der Stückgutmarkt stark zurück und beschränkt sich inzwischen auf Nischenmärkte, wie den Schiffsverkehr nach Afrika und als Reefer-Schiffe im Spezialfruchthandel. Diese Schiffe beschränken sich auf ca. 40 000 tdw, die Schiffsgröße nimmt nicht weiter zu.

2.9

Die Containerschifffahrt hingegen durchlebt zurzeit ein ungeahntes Wachstum, sowohl hinsichtlich des Volumens als auch hinsichtlich der Schiffsgröße. 1966 war die „Fairland“ das erste Schiff, das interkontinental Container aus den USA nach Europa transportierte. Die „Fairland“ der Rederei Sea-Land hatte ein Fassungsvermögen von 266 35-Fuß-Containern. Heute ist die „CSCL Europe“ mit 8 500 TEU (Twenty-foot Equivalent Unit — 20-Fuß-Standardcontainer) das größte Containerschiff der Welt, Schiffe mit 9 200 TEU Ladekapazität sind im Bau. Die „CSCL Europe“ ist 334 m lang, 42,8 m breit und hat einen maximalen Tiefgang von 14,5 m.

Das nachstehende Schaubild zeigt die Maximalgröße der Schiffsneubauten in den einzelnen Jahren. Vor allem das spektakuläre Wachstum seit 1995 ist beeindruckend. Zurzeit sind 156 Schiffe mit einer Kapazität von über 7 000 TEU in Auftrag.

Image

2.10

Es wird angenommen, dass in nicht allzu langer Zeit bei den Werften Aufträge für Schiffe mit 10 000 bis 12 000 TEU, in die nur noch ein Motor eingebaut werden muss, eingehen werden. Auch die Höchstgrenzen wurden schon berechnet (3). Unter Berücksichtigung der Felsschwelle in der Straße von Malakka, die ein wesentliches Teilstück der Fahrtroute für den Asienhandel ist, liegt er bei 18 000 TEU, allerdings für zweimotorige Schiffe, was die Transportkosten pro Container erheblich ansteigen lässt. Das Wachsen der interkontinental transportierenden Containerschiffe hin zu technischen und geographischen Grenzen ist indes kein Automatismus, wie sich auch bei Schiffen für den interkontinentalen Transport von trockenen und flüssigen Massengütern in den letzten Jahrzehnten gezeigt hat.

2.11

In den vergangenen Jahren hat vor allem der Transport interkontinentaler Container mit Quelle bzw. Ziel in europäischen Häfen stark zugenommen. Die zunehmende Globalisierung und das damit verbundene Wachstum Chinas als Erzeugerland haben dazu geführt, dass z.B. die nordwesteuropäischen Containerhäfen in der Größenordnung von Hamburg und Le Havre in den letzten Jahren ein strukturelles Wachstum von gut 10 % pro Jahr erlebt haben. Auch die Mittelmeerhäfen haben ein explosives Wachstum erfahren.

2.12

Die großen Containerschiffe, beispielsweise aus dem Fernen Osten, laufen nur eine begrenzte Zahl von Häfen in Europa an. Dies liegt zum einen daran, dass sie für viele Häfen zu groß sind, andererseits sind diese Schiffe aber auch so teuer, dass sie nicht zu viel Zeit in Häfen verlieren wollen. In Europa laufen die größten Schiffe meist zwei oder drei Häfen im Mittelmeer an und ca. vier Häfen in Nordwesteuropa. Von diesen großen Containerhäfen aus werden die Container weiter über Europa verteilt. Einerseits auf dem Seeweg über ein gut ausgebautes Netz an Zubringerverbindungen, andererseits über Land, wobei die Schiene und die Binnenwasserstraßen zunehmend zum Einsatz kommen.

2.13

Immer häufiger kommt es zumindest in den größten und wichtigsten europäischen Containerhäfen (4) zu Engpässen bei der Abwicklung dieses zunehmenden Containerstroms in die Hafenterminals und beim anschließenden Transit. Neben Abhilfemaßnahmen an den jeweiligen Terminals, die auch ihren Ausbau einschließen, in den Häfen selbst ist ein effizienter Verlauf des Vor- und Nachlaufs sowohl auf See als auch an Land geboten.

2.14

Daneben erfordern auch die neuen Sicherheitsanforderungen viel Aufmerksamkeit der Häfen, damit der Umschlag und Transport trotz der zunehmenden Kontrollen so reibungslos wie möglich verlaufen kann.

2.15

Angesichts des in Ziffer 2.9 und 2.10 beschriebenen Größenordnungszuwachses kann die Schifffahrtsbranche die Hochseecontainerströme nicht einfach über andere europäische Häfen abwickeln. Wesentliche Gründe hierfür sind physische Gegebenheiten, wie z.B. mitunter nicht ausreichender Tiefgang und/oder unzureichende Einrichtungen und/oder zu lange Fahrtzeiten und/oder mangelndes Frachtvolumen (5), um das Anlaufen eines zusätzlichen Hafens rentabel zu machen. Diese Aussage gilt jedoch nicht uneingeschränkt, da die Wirtschaftsdynamik nämlich kleinere Häfen dazu veranlasst, sich stärker ins Zeug zu legen.

3.   Vor- und Hinterlandverbindungen

3.1

Die meisten Container, die in den europäischen Häfen umgeschlagen werden, müssen von dort aus weitertransportiert werden. Zum Teil werden sie auf dem Seeweg über Zubringerdienste mit kleinen Seeschiffen in andere Häfen befördert. Der größte Teil wird in das europäische Hinterland transportiert, auf der Straße, auf den Binnenwasserstraßen oder per Schiene. Die Kapazität der Hinterlandverbindungen muss daher mit dem Wachstum des Containerverkehrs Schritt halten, wobei gemäß der EU-Politik vorzugsweise auf den Transport mit Binnenschiffen, per Schiene und im Kurzstreckenseeverkehr/mit Zubringerdiensten zurückgegriffen werden sollte, ohne den erforderlichen Straßenverkehr zu beeinträchtigen.

3.2

So wird vor allem der innereuropäische Kurzstreckenseeverkehr von der EU stark gefördert. Hinzu kommt das im Rahmen der neuen transeuropäischen Verkehrsnetze vorgesehene Programm der Hochgeschwindigkeitsseewege, das allerdings noch im Einzelnen ausgearbeitet werden muss. Die neuen Vorschläge (vom 16. Juli 2004) sehen vor, dass für die TEN-T Mittel in Höhe von bis zu 20,35 Mrd. Euro bereitgestellt werden und Marco Polo-II sich auch auf Hochgeschwindigkeitsseeverkehrswege und Verkehrsvermeidungsmaßnahmen erstreckt, wofür Mittel in Höhe von bis zu 740 Mio. Euro zur Verfügung stehen.

3.3

Die Europäische Kommission hat das Konzept der Hochgeschwindigkeitsseewege entwickelt, um die Unterstützung zu ergänzen, die anderen Modalitäten im Rahmen der TEN geboten wird. Ein solcher „Hochgeschwindigkeitsseeweg“ bietet eine leistungsfähige und gleichwertige Alternative zum innereuropäischen Straßenverkehr, ohne übermäßigen bürokratischen Aufwand und mit effizienten intermodalen Verbindungen. Ziel des Programms ist eine Reduzierung der Verkehrsengpässe auf den europäischen Transitrouten und eine verbesserte Erreichbarkeit von Gebieten und Staaten in Randlagen sowie von Inselgebieten.

3.4

Zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs können in den Häfen selbst und bei der Zusammenarbeit zwischen Häfen Verbesserungen vorgenommen werden. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer hohen Taktfrequenz der Dienste, was ein hohes Frachtvolumen impliziert. Das Marktpotenzial und seine kommerzielle Nutzung sind denn auch für die Lebensfähigkeit von Kurzstreckenseeverkehrsverbindungen von Bedeutung.

3.5

Auch dem Inlandsverkehr muss in der EU hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die EU-Verkehrspolitik, die hier auch die diesbezügliche Infrastruktur einschließt, ist mit ihrem Bemühen um Effizienz und Effektivität über die freie Marktbildung innerhalb bestimmter sonstiger gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, wie der Nachhaltigkeit, bereits in diesem Sinne angelegt.

3.6

Das einschlägige Regelwerk ist bezüglich des Straßenverkehrs und der Binnenschifffahrt bereits vollendet und wird angewandt, während dieser Prozess für den Schienenverkehr in ganz Europa nun erst allmählich in Gang kommt. Auch im Lichte der oben beschriebenen Veränderungen im Containerverkehrsbereich wäre eine Beschleunigung dieses Prozesses mehr als wünschenswert.

4.   Hafenkategorien

4.1

Im Rahmen des Beschlussfassungsprozesses der EU (6) wird nur zwischen drei Hafenkategorien unterschieden, und zwar:

a:

Seehäfen von internationaler Bedeutung mit einem jährlichen Gesamtverkehrsaufkommen von mindestens 1,5 Millionen Tonnen Fracht oder von mindestens 200.000 Passagieren;

b:

Seehäfen mit einem jährlichen Gesamtverkehrsaufkommen von mindestens 0,5 Millionen Tonnen Fracht oder zwischen 100 000 und 199 000 Passagieren, die mit den für den Kurzstreckenseeverkehr notwendigen Umschlaganlagen ausgerüstet sind;

c:

Häfen mit regionaler Anbindung, die nicht den Kriterien der Kategorien A und B entsprechen, sich aber auf Inseln, in Randgebieten oder in Gebieten in Randlage befinden.

4.2

Diese Unterscheidung hat bisher zu keinem inhaltlich unterschiedlichen Ansatz geführt. In der neuen TEN-Verkehrsprojektprioritätenliste werden keine Häfen genannt, auch nicht unter der Priorität „Hochgeschwindigkeitsseewege“. Bis heute gibt es, von Ausnahmen abgesehen, weder seitens der Verwaltung noch der Wirtschaft ein Interesse an einer noch stärkeren Differenzierung zwischen Häfen im Kontext spezieller EU-Mitfinanzierungsmöglichkeiten im Rahmen der umfangreichen Investitionen, die ein Tiefseecontainerhafen für vorwiegend Umschlagladung vornehmen muss, die dem Hafen selbst verhältnismäßig wenig Mehrwert bringt.

Der EWSA unterstützt die kürzlich (am 20. Juli 2004) von der Konferenz der peripheren Küstenregionen Europas (KPKR) erhobene Forderung, die Begriffe Hochgeschwindigkeitsseewege und Erreichbarkeit dadurch unter einen Hut zu bringen, dass auch kleine und mittelgroße Häfen in dieses Konzept einbezogen werden.

4.3

Im Licht der vorstehenden Ausführungen ersucht der EWSA die Kommission dringlichst, das Problem der Verkehrsengpässe in EU-Häfen und insbesondere der Containerhäfen zu untersuchen und nach diesbezüglichen Abhilfemöglichkeiten zu suchen.

4.4

Trotzdem sind die größeren Containerhäfen (7) in Europa, die relativ gleichmäßig über das Mittelmeer und Nordwesteuropa verteilt sind und bei denen es sich um Großhäfen oder mittelgroße Häfen und meist nicht um reine Containerhäfen handelt, aber auch wichtige Häfen für den Massen- und Stückgutumschlag aufgrund des anhaltenden Wachstums mit einigen speziellen Problemen konfrontiert:

Wie schnell können im Rahmen der heutigen Rechtsvorschriften in den Bereichen Lärm, Umweltschutz und externe Sicherheit sowohl an Land als auch auf See zusätzliche Umschlagkapazitäten geschaffen werden?

Wie können sich die Häfen in Bezug auf die Erreichbarkeit von der See her, die Kaitiefe und die Größe der Umschlaganlagen an den zu erwartenden Strom von Schiffen mit mehr als 8.000 TEU anpassen?

Wie kann dafür gesorgt werden, dass die Verbindungen zwischen Hafen und Hinterland in Europa über eine ausreichende Kapazität verfügen, um den wachsenden Containerstrom zu verarbeiten?

Wie können die logistischen Abläufe im Hafen trotz zunehmender Kontrollen so reibungslos wie möglich gestaltet werden?

4.5

Eines der Lissabon-Ziele geht dahin, dass es, um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben im Interesse der EU liegt, dass sich die Häfen diesen Herausforderungen wirklich in angemessener Weise stellen und geeignete Lösungen finden. Soweit die Europäische Union diesbezüglich das Geschehen beeinflussen kann, muss sie dies auch tun.

4.6

Häfen, und zumal die hier in Rede stehenden Hafenkategorien, sind auch das Eingangstor zur EU, ein unter dem Sicherheitsaspekt nicht unerheblicher Faktor. In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA an seine früheren Stellungnahmen, in denen die Europäische Kommission aufgefordert wird, eine Gesamtfolgenabschätzung über die finanziellen Auswirkungen der Maßnahmen zur Gefahrenabwehr in Häfen anzustellen und eine EU-Regelung für ihre Finanzierung auszuarbeiten.

4.7

Besondere Aufmerksamkeit für die großen Containerhäfen steht nicht im Widerspruch zur Förderung des Kurzstreckenseeverkehrs und der Hochgeschwindigkeitsseewege. Die großen Containerhäfen für Hochseeschiffe sind häufig zugleich auch die großen Häfen für den Kurzstreckenseeverkehr. Darüber hinaus verfügen diese Häfen über die erforderliche Größe, Infrastruktur und das Hinterland, um ein ausreichendes Ladungsaufkommen zu erzeugen und so über die Hochgeschwindigkeitsseewege zum Wachstum der anderen Kurzstreckenseeverkehrshäfen beizutragen.

5.   Was kann die Europäischen Union bereits konkret tun?

5.1

Es muss vermieden werden, dass die umfangreichen Investitionen, die die großen Containerhäfen bereits jetzt oder in naher Zukunft tätigen müssen, um sich den in Ziffer 4.3 genannten Herausforderungen zu stellen, durch eine Wettbewerbsverzerrung bzw. unzureichende Infrastruktur bzw. eine ineffiziente Verkehrspolitik ihre Wirkung verfehlen oder nicht optimal zur Wirkung kommen können. Aufgrund der engen Verbindung zwischen den Containerhäfen und dem Kurzstreckenseeverkehr über die Zubringerdienste sowie aufgrund der Nutzung der Hochgeschwindigkeitsseewege und der Hinterlandverbindungen haben derartige Maßnahmen weitreichende Auswirkungen und kommen dem gesamten Verkehrsmarkt zugute.

5.2

Daher müsste die EU vor allem dafür sorgen, dass die Grundvoraussetzung für einen lauteren Wettbewerb, d.h. die Bedingungsgleichheit, auch „level playing field“ genannt, absolut gewährleistet ist. Es muss ein unverfälschter Wettbewerb zwischen Häfen, genauer gesagt der Marktteilnehmer innerhalb eines Seehafens bzw. auch zwischen diesen Seehäfen möglich sein.

5.3

Eine gewisse Liberalisierung des Seehafenmarkts könnte sich angesichts der Erfahrungen mit dem Gütertransport durch andere Verkehrssektoren, die bereits liberalisiert wurden, förderlich und vielversprechend auf eine Optimierung der Nutzungsmöglichkeiten auswirken. Kurz vor Ende ihres Mandats hat die scheidende Kommission auf Vorschlag des für Verkehr zuständigen Kommissionsmitglieds de Palacio dem Rat einen Vorschlag für eine neue Hafenrichtlinie betreffend den Marktzugang für Hafendienste vorgelegt. Dies wiederum gibt dem Ausschuss die Gelegenheit, sich hierzu in einer gesonderten Stellungnahme im Einzelnen zu äußern (8), weswegen in dieser Stellungnahme auf diesen Aspekt nicht eingegangen werden soll.

5.4

Insbesondere im Bereich der staatlichen Beihilfen muss sehr viel deutlicher klargestellt werden, was erlaubt ist und was nicht. Bis zu welchem Grad darf beispielsweise die Infrastruktur in einem Seehafen — bei der ja ein unmittelbarer Zusammenhang mit der zunehmenden Schiffsgröße besteht — vom Staat finanziert werden? Die staatlichen Behörden und die Seehafenverwaltungen müssen wissen, woran sie sind. Eindeutige Vorgaben für staatliche Beihilfen sind daher dringend erforderlich. Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission beabsichtigt, Leitlinien für staatliche Beihilfen an Häfen festzulegen, und fordert sie denn auch auf, dies umgehend und unabhängig von der Verabschiedung der vorgeschlagenen neuen Hafenrichtlinie zu tun.

5.5

Die Umsetzung und Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften muss aufmerksam beobachtet werden. Bei der Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften in nationales Recht stellt sich häufig ein gewisser Auslegungsspielraum ein. Die EU sollte sehr viel stärker auf eine einheitliche Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften achten. Ähnliches gilt für die Anwendung der bestehenden EU-Rechtsvorschriften und -Regelungen — sie werden nicht vollständig und auch nicht konsequent angewandt. Vor allem bei der Auslegung der Vorschriften im Bereich Umwelt- und Naturschutz sowie bei der Sicherheit treten deutliche Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten zutage. Ein Wettbewerb zwischen den Häfen aufgrund dieser Rahmenbedingungen ist nicht wünschenswert.

5.6

Für einen besseren Überblick über die Finanzierung von Seehäfen ist eine Transparenz ihrer Buchführung und hier insbesondere in Bezug auf die Geldströme zu den und von den behördlichen Ebenen (lokal, regional und national) erforderlich. Auch hierfür muss die EU wirksame Instrumente entwickeln. Die in der Stellungnahme aus dem Jahr 2001 vom Ausschuss zum Ausdruck gebrachte Überzeugung (9), dass die „Transparenzrichtlinie“, vorbehaltlich einer Erweiterung ihres Geltungsbereichs auf alle Häfen des transeuropäischen Verkehrsnetzes, und die Bestimmungen des Vertrags über den Wettbewerb und öffentliche Beihilfen und Subventionen sowie die einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ausreichen, um der Kommission bei einer fallweisen Vorgehensweise Mittel zur Intervention an die Hand zu geben, hat sich bislang in der Praxis noch nicht bewahrheitet.

6.   Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

6.1

Das Volumen des Seeverkehrs innerhalb von, nach und aus Europa nimmt weiterhin jedes Jahr zu. Aufgrund der großen Bedeutung dieses Verkehrszweigs für die EU muss die Union das Wachstum dieser Verkehrsströme intensiv verfolgen und rechtzeitig geeignete Maßnahmen anregen bzw. selbst ergreifen, um für dieses Wachstum gerüstet zu sein.

6.2

Der Seeverkehr kann in unterschiedliche Arten und Kategorien unterteilt werden, u.a. nach dem Zweck: Freizeit oder gewerblicher Transport, nach dem Fahrtgebiet: Hochseeschifffahrt und Kurzstreckenseeverkehr sowie nach der Art der Ladung: Passagier- oder Gütertransport. Gegenstand dieser Stellungnahme sind der gewerbliche Transport und die genannten Kategorien, die vor allem den Binnenmarkt betreffen.

6.3

Die Passagierschifffahrt innerhalb der EU hat mit 350 Millionen Passagieren zwar sehr große Bedeutung, ist jedoch in Bezug auf das Wachstum und die Entwicklung der Schiffsgröße kein Sektor, der hinsichtlich der Infrastruktur im Gegensatz zur Wachstumsentwicklung besonderer Aufmerksamkeit seitens der EU bedarf. Die Sicherheit ist jedoch bei der Passagierschifffahrt und zumal bei der Kreuzschifffahrt ein sehr wichtiger Aspekt.

6.4

Auch die Bulkschifffahrt mit flüssigen und trockenen Massengütern hat das große Wachstum der 1960er und 1970er Jahre erfahren; damals wurden geeignete Maßnahmen ergriffen, um die Häfen an die zunehmende Schiffsgröße anzupassen. Sie hat sich inzwischen zu einem reifen Markt ausgewachsen. Das herkömmliche Stückgut befindet sich eindeutig auf dem absteigenden Ast. Die RoRo-Schifffahrt ist z.T. mit dem Fährverkehr zusammengelegt und ist ein wichtiger, jedoch inzwischen auch reifer Markt.

6.5

Dagegen erlebt die Containerschifffahrt derzeit ein ungeahntes strukturelles Wachstum, sowohl in Bezug auf das Volumen als auch auf die Schiffsgröße.

6.6

Bei der Bewältigung dieses zunehmenden Containerstroms kommt es immer häufiger zu Engpässen in den Hafen-Terminals und beim anschließenden Weitertransport. Neben Maßnahmen an den Terminals in den Häfen selbst, die auch deren Erweiterungen einschließen, ist ein effizienter Ablauf des Gütervor- und -nachlaufs sowohl an Land als auch auf See erforderlich.

6.7

Aufgrund der zunehmenden Größenordnung können die Hochseecontainerströme von der Schifffahrtsbranche nicht einfach auf andere europäische Häfen umgeleitet werden, was nicht heißen soll, dass die Wirtschaftsdynamik nicht zu einem Wachstum kleinerer Häfen führen kann.

6.8

Im Licht der vorstehenden Ausführungen ersucht der EWSA die Kommission dringlichst, das Problem der Verkehrsengpässe in EU-Häfen und insbesondere der Containerhäfen zu untersuchen und auszumachen, was zusätzlich zu dem, was im Rahmen der TEN bereits unternommen wird, getan werden kann, um diesem Problem abzuhelfen.

6.9

Der Prozess hin zu Effizienz und Effektivität, der im Straßenverkehr, in der Binnenschifffahrt und der Seeschifffahrt bereits vollzogen ist, kommt nun endlich auch im Schienenverkehr im gesamten europäischen Netz allmählich in Gang. Eine Beschleunigung dieses Prozesses wäre mehr als wünschenswert.

6.10

Um weltweit wettbewerbsfähig zu bleiben liegt es im Interesse der EU, dass sich die großen Containerhäfen den Herausforderungen wirklich in angemessener Weise stellen und geeignete Lösungen finden. Soweit die EU diesbezüglich das Geschehen beeinflussen kann, sollte sie dies auch tun. Hier sollten jedoch zunächst keine Vorschläge gemacht werden, die über die bestehenden Möglichkeiten für die finanzielle Unterstützung von Häfen durch die EU hinausgehen. Auch wenn sie an sich gerade beim Containertransport zu rechtfertigen sind, kommen sie aus heutiger Sicht nicht in Frage, weil weder die Verwaltungen noch die Wirtschaft an einer weiter reichenden Differenzierung als die bestehende TEN-Kategorienunterteilung interessiert sind.

6.11

Häfen sind auch das Eingangstor zur EU, ein unter dem Sicherheitsaspekt nicht unerheblicher Faktor. In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA an seine früheren Stellungnahmen, in denen die Europäische Kommission aufgefordert wird, eine Gesamtfolgenabschätzung über die finanziellen Auswirkungen der Maßnahmen zur Gefahrenabwehr in Häfen anzustellen und eine EU-Regelung für ihre Finanzierung auszuarbeiten.

6.12

Die Europäische Union kann auch jetzt schon konkrete Voraussetzungen für einen fairen Wettbewerb schaffen, eine gewisse Liberalisierung des Seehafenmarkts fördern, die Leitlinien für staatliche Beihilfen eindeutiger und übersichtlicher gestalten, der Umsetzung und Anwendung der geltenden Rechtsvorschriften besondere Aufmerksamkeit widmen und eine gewisse Transparenz der Geldströme einfordern.

Brüssel, den 16. Dezember 2004

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Quelle: ESPO - Broschüre: „Ports creating opportunities - by connecting people, products and business - by connecting Europe“.

(2)  tdw = Deadweight tonnage bezeichnet die Zuladefähigkeit eines Schiffes in Gewichtstonnen. Die Frachtkapazität von Containerschiffen wird in TEU (Twenty-Foot Equivalent Unit) gemessen, der Anzahl von 20-Fuß Containern, die maximal geladen werden können. Da ein leerer Container ebensoviel Raum einnimmt wie ein beladener Container, wird die Maßeinheit tdw bei Containerschiffen nicht verwendet.

(3)  Niko Wijnolst e.a.: Malacca-Max. The Ultimate Container Carrier, TU Delft 1999.

(4)  Der Anhang enthält eine Übersicht über die wichtigsten europäischen Containerhäfen in Tabellen- und Kartenform.

(5)  Dies sind beispielsweise die Gründe dafür, warum die nördliche Adria, der Norden des Vereinigten Königreichs, Irland und die Ostsee nicht von den größten Containerschiffen angesteuert werden. Über Zubringerdienste zu und von den Häfen, die angesteuert werden können, gelangt die Ladung aus diesen Gebieten dann schließlich doch auf diese Schiffe.

(6)  TEN-Richtlinien (Beschluss Nr. 1692/96), durch die Seehäfen, Binnenhäfen und intermodale Terminals in die TEN aufgenommen wurden.

(7)  Vgl. den auch in Fußnote 2 genannten Anhang.

(8)  Zu dem Anfang 2001 vorgelegten Vorschlag, der inzwischen vom Europäischen Parlament als Mitgesetzgeber verworfen wurde, hat der Ausschuss eine Stellungnahme vorgelegt: TEN/075, „Marktzugang für Hafendienste“, Berichterstatter: Herr Retureau (ABl. C 48 vom 21.2.2002, S. 122).

(9)  Quelle: s. Fußnote 7.


Top