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Document 52004AE1649

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters“(KOM(2004) 146 endg.)

ABl. C 157 vom 28.6.2005, p. 120–129 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

28.6.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 157/120


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters“

(KOM(2004) 146 endg.)

(2005/C 157/22)

Verfahren

Die Kommission beschloss am 3. März 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Mitteilung zu ersuchen:

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten des Ausschusses beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 24. November 2004 an. Berichterstatter war Herr DANTIN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 413. Plenartagung am 15./16. Dezember 2004 (Sitzung vom 15. Dezember) mit 125 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Vorwort

I.

Bereits im Oktober 2000 vertrat der EWSA in einer Initiativstellungnahme folgenden Standpunkt: „Dem Ausschuss erschien das Thema ältere Arbeitnehmer so wichtig, dass er beschloss, es in einer Initiativstellungnahme zu behandeln, die die verschiedenen Aspekte dieser Frage beleuchtet. Zudem will er mit dieser Initiativstellungnahme die Notwendigkeit eines positiven Ansatzes in Bezug auf die älteren Arbeitnehmer unterstreichen, da in vielen Fällen der Umgang mit ihnen nicht nur von einer wenig solidarischen und diskriminierenden Auffassung seitens der Gesellschaft zeugt, sondern häufig auch zum Verlust von hochqualifiziertem Personal und infolgedessen zu einem Absinken der Wettbewerbsfähigkeit insgesamt führt. Der Ausschuss vertritt überdies den Standpunkt, dass in der heutigen Zeit, in der es der wissenschaftliche Fortschritt erlaubt, 'dem Leben Zeit zu geben', im Gegenzug bei der Gestaltung unserer Gesellschaft auch Anstrengungen unternommen werden müssen, um 'der Zeit Leben zu geben'“  (1) .

II.

Der Inhalt der zitierten Initiativstellungnahme, die auf der Plenartagung fast einstimmig angenommen wurde, repräsentiert die gemeinsame Position des Ausschusses. Sie gibt den Stand seiner Überlegungen und seiner Haltung zu dem zu behandelnden Thema wieder.

III.

Die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte und des Erwerbsaustrittsalters“, die Gegenstand dieser Stellungnahme ist, wird folglich anhand der Erwägungsgründe, Analysen, Empfehlungen und Schlussfolgerungen der vorgenannten Initiativstellungnahme untersucht. Darüber hinaus wird die aktuelle Stellungnahme auch neue Elemente enthalten.

1.   Einleitung

1.1

Auf dem Europäischen Rat von Lissabon steckte sich die Europäische Union ein ehrgeiziges Ziel für die Beschäftigungsquote. Diese ist „bis 2010 möglichst nah an 70 % heranzuführen“ und für die Frauen auf über 60 % anzuheben. Die Gründe für diese Zielsetzung sind sozialer wie wirtschaftlicher Art. Beschäftigung ist nach wie vor der beste Schutz gegen soziale Ausgrenzung. Für die Unternehmen, die Wirtschaft insgesamt ist die Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte besonders wichtig, damit durch vollständige Nutzung des Potenzials ein Arbeitskräftemangel vermieden bzw. gemildert wird. Zugleich soll damit — angesichts des erwarteten Rückgangs der Erwerbsbevölkerung — das Wirtschaftswachstum gefördert, das Steueraufkommen sowie die Systeme der sozialen Sicherheit gesichert werden.

1.2

Die schrittweise Verwirklichung dieses Ziels stellt die meisten Staaten vor die unvermeidliche Aufgabe, vor allem die Beschäftigungsquote der älteren Arbeitnehmer zu erhöhen.

1.2.1

Namentlich aus diesem Grund hat sich die Förderung des aktiven Alterns in den beiden ergänzenden Zielen niedergeschlagen, die sich die EU selbst gesetzt hat. Im Jahr 2001 beschloss der Europäische Rat von Stockholm, dass bis 2010 die Hälfte der EU-Bevölkerung in der Altersgruppe von 55 bis 64 Jahren erwerbstätig sein solle. Der Europäische Rat von Barcelona kam im Jahr 2002 zu dem Schluss, dass „angestrebt werden [sollte], dass das tatsächliche Durchschnittsalter bei Beendigung des Arbeitslebens in der Europäischen Union bis 2010 allmählich um etwa fünf Jahre ansteigt“.

1.3

In ihrem zusammenfassenden Bericht für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2004 (2) hat die Kommission das aktive Altern als einen der drei vorrangigen Bereiche bezeichnet, in denen die Umsetzung der Lissabon-Strategie ein rasches Handeln erfordert.

1.4

Zweck der Kommissionsvorlage ist es, Informationen in die Debatte über die im Hinblick auf die Zielsetzungen von Stockholm und Barcelona erzielten Fortschritte einzubringen und die Rolle zu unterstreichen, die Regierungen und Sozialpartner bei der Förderung des aktiven Alterns spielen. Sie kommt zugleich der Aufforderung des Europäischen Rates von Barcelona nach, alljährlich zu jeder Frühjahrstagung die Fortschritte auf diesem Gebiet zu analysieren.

1.5

Der Inhalt der aktuellen Stellungnahme stellt den Beitrag des EWSA zur Debatte über die „Beschäftigungsquote älterer Arbeitskräfte“ dar, eine Debatte, die durch die Kommissionsvorlage bereichert wurde und die im Dezember dieses Jahres zu einem vorläufigen Ergebnis kommen soll.

2.   Die Mitteilung

2.1

In der Mitteilung wird bekräftigt, dass mit der Alterung und dem bevorstehenden Rückgang der Erwerbsbevölkerung ältere Arbeitnehmer als das anerkannt werden müssen, was sie sind: ein wichtiger Bestandteil des Arbeitskräfteangebots und ein entscheidender Faktor für die nachhaltige Entwicklung der Europäischen Union.

2.2

Der Mitteilung zufolge sind deshalb politische Maßnahmen unerlässlich, die auch in Zeiten einer allgemein schwachen Beschäftigungsentwicklung für eine Sicherung des Arbeitskräfteangebots und die Beschäftigungsfähigkeit dieser Altersgruppe sorgen.

2.3

Zur Erreichung dieses Ziels weist sie darauf hin, dass ein präventiver, auf der Mobilisierung des gesamten Potenzials aller Altersgruppen in einer Lebenszyklusperspektive basierender Ansatz den Leitgedanken dieser politischen Maßnahmen bilden muss.

2.3.1

Innerhalb dieses Rahmens enthält die Mitteilung im Wesentlichen den Vorschlag, dass die Mitgliedstaaten umfassende Strategien des aktiven Altern entwickeln und umsetzen, die folgende Aspekte umfassen könnten:

finanzielle Anreize, die den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand weniger attraktiv und den Verbleib im Erwerbsleben lohnender machen;

Zugang zu Maßnahmen der Berufsbildung und zu Strategien des lebenslangen Lernens;

wirksame aktive Arbeitsmarktmaßnahmen;

gute Arbeitsbedingungen, die zum Verbleib im Beruf beitragen, insbesondere in Bezug auf den Arbeitsschutz und flexible Arbeitszeitregelungen.

2.3.2

In der Mitteilung wird überdies darauf hingewiesen, dass sich die Sozialpartner noch stärker beteiligen und engagieren müssen, wenn eine umfassende Strategie des aktiven Alterns konzipiert und umgesetzt werden soll. Es wird deutlich gemacht, dass die Sozialpartner durch den Abschluss von Tarifverträgen eine besonders wichtige Rolle zu spielen haben.

2.4

Es lässt sich feststellen — darauf wird in der vorliegenden Stellungnahme zurückzukommen sein –, dass in der Mitteilung nicht analysiert wird, welche Ursachen der Situation und deren Entwicklung zugrunde liegen (diese sind im Übrigen detailliert und genau beschrieben) und dass sie wenig informativ ist, was die Entscheidungen des Rates von Barcelona betrifft.

3.   Die Fakten

3.1

Bis 2030 wird die Zahl der über 65-Jährigen in den 25 EU-Mitgliedstaaten von 71 Millionen im Jahr 2000 auf 110 Millionen Menschen angestiegen sein, und die Erwerbsbevölkerung wird von heute 303 Millionen Personen auf 280 Millionen sinken, das Verhältnis wird sich dementsprechend von 4,27 auf 2,55 verringern.

3.2

Parallel zu dieser Entwicklung war die Aufteilung der Lebensarbeitszeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten tiefgreifenden Umwälzungen unterworfen.

3.2.1

Die Jugendlichen treten heute aufgrund der verlängerten Schul- und Ausbildungszeit und der Schwierigkeiten, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden, später ins Erwerbsleben ein (3).

3.2.2

Die Beschäftigungsquote der gesamten Altersgruppe über 55 Jahre ist in Europa und in geringerem Maße in Nordamerika stark zurückgegangen: In der Altersgruppe von 55 bis 64 Jahren lag sie 1999 in der Europäischen Union bei 37 % und in den USA bei 55 % (4). 2002 ließen sich in Europa große Unterschiede zwischen Männern (50,1 %) und Frauen (30,25 %) feststellen; insgesamt betrug der Prozentsatz 40,1 %.

3.2.3

Seit den siebziger Jahren ist die Beschäftigungsquote erheblich und fortlaufend gesunken, mit einer deutlichen Beschleunigung des Rückgangs zwischen 1980 und 1985 (5). So fiel sie zwischen 1971 und 1999 in Frankreich um 47,4 %, in den Niederlanden um 45,8 %, in Spanien um 39 %, in Deutschland um 38,7 %, in Irland um 30 % und in Portugal und dem Vereinigten Königreich über 29 %. Sie betrug 2002 in der Altersgruppe von 55 bis 64 Jahren für die EU-15 40,1 % und für die EU-25 38,7 %. Die Anlage zeigt die Gesamtentwicklung für jeden einzelnen Mitgliedstaat von 1997 bis 2002 (6). Man könnte durchaus von einer Individualisierung der Lebensabschnitte sprechen. Aber dies bedeutet nicht immer, dass dem Einzelnen mehr Wahlmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Das frühzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben ist in einigen Mitgliedstaaten meist eher erzwungen als auf eine freie Entscheidung zurückzuführen. Die Flexibilität am Ende des Arbeitslebens ist somit Ausdruck der angespannten Lage am Arbeitsmarkt und der damit einhergehenden personalpolitischen Strategien der Unternehmen und Behörden sowie häufig auch der Konzeption der Rentensysteme (7).

3.3

Das Arbeitsleben hat sich also tendenziell von beiden Seiten her verkürzt und ist heute hauptsächlich Gruppen mittleren Alters vorbehalten.

3.4

Die Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen ist für die Beschäftigungspolitik von besonderer Bedeutung. In der Europäischen Union der 15 wird ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung gemeinschaftsweit von 25 % im Jahr 1995 auf 34,4 % im Jahr 2025 steigen. In den skandinavischen Ländern wird dieser Anstieg im Lauf des nächsten Jahrzehnts noch wesentlich stärker ausfallen (8).

3.5

Diese Entwicklung ist mit Blick auf die verstärkte Überalterung der Bevölkerung in der Europäischen Union besonders besorgniserregend (9). Das Ende des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert wird von einem Ereignis geprägt sein, dessen Symbolik eine bedenkliche Realität nicht verbergen kann: die Anzahl der Personen unter 20 Jahren wird geringer sein als die Anzahl der Personen über 60 Jahre. Dabei handelt es sich lediglich um eine Etappe in einer Entwicklung, die in den nächsten fünfzig Jahren dazu führen wird, dass sich die Relation von Personen im Ruhestand zu Personen im Erwerbsalter verdoppelt (von 4 zu 10 auf 8 zu 10) (10).

3.6

In der Mitteilung der Kommission wird jedoch festgestellt, dass bei der Verwirklichung der Ziele von Stockholm und Barcelona in jüngster Zeit Fortschritte erzielt wurden. Tatsächlich hat 2002 die Beschäftigung von älteren Erwerbstätigen um 5,4 % zugenommen, wodurch die Beschäftigungsquote um 1,3 % auf 40,1 % angestiegen ist. Das durchschnittliche Erwerbsaustrittsalter ist von 60,4 Jahren im Jahr 2001 auf 60,8 im Jahr 2002 gestiegen.

3.6.1

Dennoch wäre es verfrüht, so heißt es in der Mitteilung, den Anstieg des Erwerbsaustrittsalters als deutliches Zeichen für einen positiven Trend zu deuten, da lediglich Daten für zwei Jahre vorliegen.

3.6.2

Trotz der Schwierigkeiten, die mit der Umsetzung einiger Reformen in jüngster Zeit verbunden sind, wäre es jedoch nützlich, umso mehr als dies in der Mitteilung fehlt, eine möglichst genaue Analyse der Gründe für diese positive Entwicklung vorzunehmen, um daraus mögliche Strategien abzuleiten.

3.6.3

Ebenfalls notwendig wäre es in diesem Zusammenhang zu beobachten, welchen Anteil die positive Entwicklung hat, die mit Maßnahmen in Zusammenhang steht, deren oberstes, wenn nicht einziges Ziel die Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitkräfte ist — und was den Konsequenzen, den indirekten Ergebnissen von Veränderungen in den Sozialsystemen zuzurechnen ist, die darauf abzielten, deren durch die gegenwärtige Situation und die demografischen Prognosen destabilisierte wirtschaftliche Lebensfähigkeit zu sichern.

3.7

Gleichwohl verließen im Zeitraum von 1995 bis 2002 in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen durchschnittlich lediglich 35 % der Arbeitnehmer den Arbeitsmarkt im gesetzlichen Rentenalter; 22 % gehen in den vorgezogenen Ruhestand, 17 % beenden ihre Tätigkeit aufgrund von Erwerbsunfähigkeit, 13 % aufgrund von individueller oder kollektiver Kündigung, weitere 13 % aus anderen Gründen (11).

3.7.1

Obwohl diese Zahlen sich in den letzten Jahren verbessert haben, sind sie weiterhin aufschlussreich. Während man in den 80er Jahren annehmen konnte, dass die hohe Zahl der Fälle von vorgezogenem Ruhestand und Erwerbsunfähigkeit — letztere gilt teilweise als Ersatz für den Vorruhestand — mit der gewaltigen Umstrukturierung der Industrie in dieser Zeit zusammenhängt, scheint diese Erklärung heute angesichts der Fortdauer dieser Situation — lediglich 35 % der Erwerbstätigen verlassen den Arbeitsmarkt im gesetzlichen Rentenalter — nicht mehr ausreichend.

4.   Lösungsansätze, die Vorschläge der Kommission

4.1

Die Wiederherstellung eines vernünftigen Gleichgewichts zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen, die Anhebung des durchschnittlichen Renteneintrittsalters, die Aufrechterhaltung einer angesichts der Bevölkerungsprognosen für die Europäische Union optimalen Zahl an Arbeitskräften hängt teilweise von der Erhöhung der Beschäftigungsquote bei den Arbeitskräften über 55 ab. Dies muss selbstverständlich im Rahmen des wünschenswerten Gleichgewichts zwischen Arbeit und Ruhestand, Freizeit und Arbeit erreicht werden, das zu den Werten des europäischen Sozialmodells zählt.

4.2

Ein solcher Richtungswechsel muss im Wege einer sowohl auf Männer als auch auf Frauen ausgerichteten Politik zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit während des gesamten Erwerbslebens und der Neuqualifizierung der Arbeitnehmer über 40 mittelfristig geplant werden. Es ist in der Tat schwer, in diesem Bereich an ein spontan harmonisches Szenarium zu glauben, nach dem der Umschwung auf dem Arbeitsmarkt ausreichen würde, damit die Unternehmen ihre älteren Arbeitnehmer halten.

4.2.1

Abgesehen von den konkreten Maßnahmen erscheint es dem Ausschuss von großer Wichtigkeit, dass alles unternommen wird, um die Mentalität der Unternehmer wie der Arbeitnehmer zu ändern und sie zu sensibilisieren. Arbeiten über das Alter von 55 Jahren hinaus muss als aufwertend empfunden werden, und die Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen müssen sich der Vorteile, die ihnen ältere Arbeitnehmer bieten können (Erfahrungsschatz, Know-how, Weitergabe von Wissen usw.), bewusst sein. Ohne diese kollektive Sensibilisierung werden die konkreten Maßnahmen nicht ihre volle Effizienz entfalten können.

4.2.2

Zu diesem Zweck hat der Ausschuss in seiner Initiativstellungnahme vom Oktober 2000 (12)zu diesem Thema der Kommission vorgeschlagen, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten eine breit angelegte Informations- und Aufklärungskampagne zu starten, um zu einem positiven Bild von der Rolle älterer Arbeitnehmer in den Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen beizutragen. Darüber hinaus muss die Rolle älterer Personen in der Sozialwirtschaft stärker anerkannt werden; dies betrifft sowohl ihre Aufgaben innerhalb der Familie als auch ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Zivilgesellschaft, den demokratischen Institutionen, den NGO und allgemein im Verbandswesen. Anhand dieser Beobachtungen lassen sich ihre Ressourcen an Dynamik, Innovation und Effizienz konkret messen.

4.2.2.1

Der EWSA stellt erfreut fest, dass der Bericht der „Hochrangigen Gruppe für die Zukunft der Sozialpolitik in einer erweiterten Europäischen Union“, der Ende des ersten Halbjahres 2004 erschienen ist, den Vorschlag des Ausschusses aufgreift.

4.3

In ihrer Mitteilung erläutert die Kommission die „Wesentlichen Voraussetzungen für eine Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitskräfte“.

4.3.1   Vorgezogener Ruhestand und finanzielle Anreize

Auf die Feststellung, dass mehr als 20 % der Arbeitnehmer, das heißt etwa 3 Millionen Erwerbstätige, ihren letzten Arbeitsplatz über den Weg der Vorruhestandsregelung verlassen, folgt in der Mitteilung der Vorschlag, die „finanziellen Anreize“ zu überprüfen, um zu gewährleisten, dass sich ein Verbleib auf dem Arbeitsmarkt lohnt.

4.3.1.1

Nach Meinung des Ausschusses ist dieser Vorschlag, der Gemeinsamkeiten mit der Mitteilung „Modernisierung des Sozialschutzes: Arbeit, die sich lohnt“ (13) aufweist, aufgrund der Qualität und der Art der Maßnahmen zu seiner Verwirklichung positiv zu bewerten. Dennoch ändert dieses Konzept, sofern es überhaupt von Nutzen ist, nichts an der Tatsache, dass die objektiven Faktoren der Lage der Arbeitnehmer wie das Niveau ihrer Beschäftigungsfähigkeit, das Personalmanagement während ihres gesamten Erwerbslebens und insbesondere in dessen zweiter Hälfte, aber auch und vor allem ihre durch die Unternehmenspolitik bedingte Situation von entscheidender Bedeutung sind. Andererseits lässt sich auch feststellen, dass die Arbeitnehmer eigene Pläne in Bezug auf ihr Privatleben haben.

4.3.1.2

Vor dem Hintergrund einer ununterbrochenen exponentiellen Weiterentwicklung des Produktionsapparates und der Fertigungsprozesse in einer sich stetig wandelnden Wirtschaft und angesichts eines sich fortlaufend verändernden Marktes müssen sich die Unternehmen anpassen, entwickeln, umstrukturieren, um in einem globalisierten Umfeld bestehen zu können. Zugleich müssen sie ein Gleichgewicht zwischen sozialen und wirtschaftlichen Aspekten finden, um Dynamik und Wachstum zu gewährleisten. Folglich benötigen sie Handlungsspielräume und Bewegungsfreiheit.

4.3.1.3

Diese Handlungsspielräume gewinnen sie meist dadurch, dass sie die Zahl und Art der Arbeitsplätze, die von älteren Arbeitnehmern besetzt werden, nach Bedarf anpassen. Dies ist vor allem im Rahmen von „Sozialplänen“ infolge von Umstrukturierungen der Fall.

4.3.1.4

Neben den „Sozialplänen“ haben die Unternehmen die Möglichkeit, ältere Arbeitnehmer, die sie als wenig produktiv und deren Qualifikationen sie als nicht mehr zeitgemäß ansehen, im Zuge der Verrentung durch jüngere, aber weniger zahlreiche Arbeitskräfte zu ersetzen. Sie erhoffen sich davon eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit, während sie gleichzeitig ihre Lohnsumme verringern und ihre Altersstruktur ausgleichen. Selbst wenn sich diese Situation schwer vermeiden lässt, muss festgestellt werden, dass sie zuweilen auf eine unzulängliche Verwaltung der Humanressourcen und auf eine unzureichende Berücksichtigung der Personal- und Qualifikationsbedarfsplanung zurückzuführen ist. Ermöglicht wurde diese Situation i.d.R. — je nach Mitgliedstaat — entweder durch staatliche Regelungen und/oder durch die Sozialversicherungssysteme.

4.3.1.5

Dennoch darf die persönliche Entscheidung der Arbeitnehmer nicht außer Acht gelassen werden. Nur vier von zehn Arbeitnehmern im Vorruhestand hätten ihre berufliche Tätigkeit fortsetzen wollen (14). Abgesehen von den Arbeitnehmern, die wirklich von Invalidität betroffen sind, dürfen der häufig vorhandene Wunsch, auf diesem Weg in einer neuen, attraktiven Form an den Früchten des Wachstums teilzuhaben, und der Überdruss an einer teilweise seit mehr als vierzig Jahren ausgeübten Arbeit, bei der in der Regel eine Diversifizierung der Tätigkeiten, eine Aufwertung der Arbeitsstellen oder eine Stellenrotation in unzureichendem Maße oder gar nicht stattfand, und der sie eine andere Lebensweise anstreben lässt, nicht übersehen werden. Und oft liegt dem freiwilligen Abschied vom Erwerbsleben, der zuweilen erfolgt, weil keine neue, passendere Beschäftigung angeboten wird, das Gefühl zugrunde, schon „genug gegeben“ zu haben,

4.3.1.6

Unter den derzeitigen Bedingungen ist festzustellen, dass das Interesse des Arbeitnehmers und das seines Unternehmens häufig übereinstimmen, oder anders gesagt, dass eine sachliche Allianz gegeben ist, die ihren Ausdruck im Allgemeinen in Tarifabkommen findet, die von den Sozialpartnern auf den verschiedenen Verhandlungsebenen, einschließlich der des Unternehmens, geschlossen werden.

4.3.1.7

Alle hier dargelegten Tatsachen und Probleme werden zur „Rechtfertigung“ des Vorruhestands angeführt. Alle Faktoren dieser Situation, inklusive der unter Ziffer 4.3.2 angeführten Umstände, müssen berücksichtigt werden, wenn sich die Situation ändern soll.

4.3.2   Reform der Vorruhestandsregelung

In der Mitteilung wird auch allgemein die Notwendigkeit, das Vorruhestandssystem zu reformieren, angesprochen. Der EWSA kann sich zu Gunsten dieses allgemeinen Kurses aussprechen, wenn dieser ausschließlich dazu führen soll, dass die älteren Arbeitnehmer beschäftigt bleiben und nicht dazu, sie in die Arbeitslosigkeit zu entlassen, da das Ziel darin besteht, die Beschäftigungsquote zu erhöhen. Die Kommission hebt zu Recht hervor, dass „selbstverständlich […] den Anreizen für ältere Arbeitskräfte zum Verbleib im Erwerbsleben echte Beschäftigungschancen gegenüberstehen [müssen], da bislang nämlich der Vorruhestand im Wesentlichen ein Mittel ist, das dem Arbeitsmarkt ermöglicht, die durch Langzeitarbeitslosigkeit und Ausgrenzung entstehenden sozialen Kosten aufzufangen. Mit anderen Worten: Der Vorruhestand wurde als Instrument einer“ Beschäftigungspolitik „oder genauer gesagt als Instrument einer Politik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verwendet. In vielen Staaten lässt sich feststellen, dass diese Instrumente von den Unternehmen für das Personalmanagement genutzt und von den Arbeitnehmern als eine soziale Errungenschaft und ein wohlerworbenes Recht angesehen werden.

4.3.2.1

Zwei Formen des Vorruhestandes verdienen dennoch, näher betrachtet zu werden. Vor allem verdienen sie es, dass man sie mit Umsicht behandelt:

die Frühverrentung im Rahmen tiefgreifender Umstrukturierungen, da ein“ junger „Rentner unter dem Aspekt des sozialen Zusammenhalts besser ist als ein Langzeitarbeitsloser ohne Wiedereinstellungsperspektiven. Es darf nicht vergessen werden, dass die industrielle Umstrukturierung — insbesondere im Rahmen einer erweiterten EU — noch nicht abgeschlossen ist;

die teilweise oder vollständige Frühverrentung mit entsprechenden Einstellungen Arbeitsuchender, da auch hier ein Rentner besser ist als ein Arbeitsloser ohne Aussicht auf Eingliederung ins Erwerbsleben.

4.3.2.2

Überdies kann der Vorruhestand für ältere Arbeitnehmer, deren Arbeitsbedingungen besonders schwierig waren, eine Lösung sein. Denn obwohl sich die Lebenszeit insgesamt verlängert, sind hiervon doch nicht alle gleichermaßen betroffen. Große Unterschiede sind zwischen den einzelnen sozialen Gruppen, insbesondere zwischen“ leitenden Angestellten „und“ Arbeitern„, zu verzeichnen. So lag 1999 die verbleibende Lebenserwartung eines 35-jährigen Angestellten bei 44,5 Jahren, die eines gleichaltrigen Arbeiters bei 38 Jahren (15). Alle Überlegungen über die Lebensarbeitszeit und die Dauer der Nichterwerbstätigkeitsphase müssen diese Daten berücksichtigen. Dieser Ungleichheit zu begegnen ist eine wichtige Aufgabe.

4.3.3   Gute Bedingungen für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz

Völlig zutreffend wird in der Mitteilung hervorgehoben, dass ältere Arbeitnehmer am zweithäufigsten aus dem Beruf ausscheiden, weil sie chronisch krank oder behindert sind. Dies betrifft mehr als 15 % der Erwerbsbevölkerung.

4.3.3.1

Diese Zahlen sind natürlich insofern zu relativieren, als bestimmte Mitgliedstaaten die Erwerbsunfähigkeit entweder zur Korrektur der Arbeitslosenzahlen oder als Ersatz für den Vorruhestand nutzen (16).

4.3.3.2

Auf jeden Fall ist es offenkundig, dass verbesserte Arbeitsbedingungen, die auf Erhaltung der Gesundheit und körperlichen Unversehrtheit während des gesamten Erwerbslebens zielen, dazu beitragen, Arbeitnehmer länger in Beschäftigung zu halten. Ebenso müssen ergonomische Gesichtspunkte, eine genaue Untersuchung der Arbeitsplätze und deren Belastung sowie die Definition der Aufgaben, ihre Änderung und Nachbesserung, kurzum ein das ganze Erwerbsleben hindurch qualitativ hochwertiger Arbeitsplatz bei der Frage, wie man ältere Arbeitnehmer in der letzten Phase ihres Berufslebens länger in Beschäftigung halten kann, im Mittelpunkt stehen.

4.3.3.3

Dennoch darf nicht allgemein die Schwerbehinderung als eine Situation angesehen werden, die systematisch den Austritt aus dem Erwerbsleben zur Folge hat. Die Erwerbstätigen, die im Laufe ihres Berufslebens von einer Behinderung betroffen werden, stellen ein potenziell sehr wertvolles Humankapital dar. Mit den notwendigen Anpassungen, Rehabilitations- und zusätzlichen Bildungsmaßnahmen können sie für andere Tätigkeiten als diejenigen, die sie aufgrund ihrer Behinderung nicht mehr ausüben können, beträchtliche Fähigkeiten erwerben. Unter diesem Aspekt, und um eine größere Leistungsfähigkeit zu erlangen, könnte es von Nutzen sein, die Auswirkung des gleichzeitigen Bezugs von Invalidenrente und Einkünften aus Erwerbstätigkeit zu untersuchen.

4.3.4   Flexible Formen der Arbeitsorganisation

4.3.4.1

Flexible Formen der Arbeitsorganisation in der Phase vor dem gesetzlichen Rentenalter sind ein weiterer Bestandteil der Arbeitsbedingungen, mit denen das Erwerbsaustrittsalter älterer Arbeitnehmer angehoben werden kann. Untersuchungen auf nationaler Ebene zeigen, dass ein erheblicher Anteil älterer Arbeitnehmer einen allmählichen Austritt, vor allem wegen altersbedingter Gesundheitsprobleme, aber auch um den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand zu erleichtern, vorziehen würde. Der Eintritt in den Ruhestand sollte kein punktuelles Ereignis, sondern ein Prozess sein, d.h. die Betroffenen sollten die Möglichkeit haben, ihre Arbeitsstunden fortlaufend zu reduzieren.

4.3.4.2

Setzt man also fast ausschließlich auf das Erwerbsaustrittsalter, werden die Beschäftigungsbedingungen älterer Arbeitnehmer außer Acht gelassen. Die positiven Maßnahmen der Neuregelung des Erwerbsaustritts, wie die Altersteilzeit, wurden meist durch das Festhalten am totalen Vorruhestand zunichte gemacht und haben sich dementsprechend nicht so entwickelt, wie es wünschenswert wäre. Diese Situation bedarf einer Veränderung. Der Eintritt in den Ruhestand sollte weniger ein Ereignis sein, das man möglichst weit vorzuziehen versucht, sondern vielmehr zu einem“ selbstgewählten und allmählichen „Prozess werden, innerhalb dessen die Erwerbstätigen — im Rahmen tariflicher Garantien — nach und nach ihre Arbeitszeit reduzieren können.

4.3.5   Ständiger Zugang zu Fortbildungsmaßnahmen

Eine Auffassung, die stärker in den Vordergrund treten sollte, lautet:“ Wenn das Produktivitätspotenzial älterer Arbeitnehmer nicht ausgeschöpft wird, dann nicht wegen ihres Alters, sondern weil ihre Qualifikationen veraltet sind, was sich aber durch Fortbildung wettmachen ließe„ (17).

Es ist also deutlich zu machen, dass es nicht ausreicht, eine Politik für die Altersgruppen ab 40 oder 50 Jahren zu verfolgen. Denn, so stellte der Conseil supérieur de l'emploi (Oberster Rat für Beschäftigung) in Belgien völlig zu Recht fest:“Eine Politik zur Lösung der Probleme älterer Arbeitnehmer greift zu spät, wenn sie nur auf diese Personengruppe abgestellt ist. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Personalpolitik, die das Alter vom Eintritt des Arbeitnehmers ins Erwerbsleben an berücksichtigt (18).

4.3.5.1

Während das Motto des“ lebensbegleitenden Lernens „schon zu einer“ alten Leier„, einem zentralen Element der europäischen Beschäftigungspolitik geworden ist, gibt der Prozentsatz an Arbeitnehmern, die an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, doch Anlass zur Beunruhigung. Für die Altersgruppe der 25 bis 29-Jährigen beträgt dieser Prozentsatz durchschnittlich 14 %, nimmt dann mit zunehmendem Alter nach und nach ab und sinkt schließlich auf 5 % in der Altersgruppe der 55 bis 64-Jährigen (19). Diese Tendenz hat sich in den letzten Jahren nur ganz geringfügig, wenn überhaupt, verbessert.

4.3.5.2

In einem Produktionssystem, in dem die Arbeitsplätze in immer stärkerem Maße von Technik und Know-how abhängen, gibt diese Situation zur Beunruhigung Anlass, nicht nur in Bezug auf die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer, sondern in stärkerem Maße auch im Hinblick auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Es ist wünschenswert, wenn nicht gar unumgänglich, diese Situation zu überwinden:

durch die Unternehmen, die Fortbildungsmaßnahmen als mittel- und langfristige Investitionen in ihre Strategie integrieren müssen und nicht als eine Maßnahme, die schnellen, wenn nicht gar unmittelbaren Profit abwirft;

durch die Arbeitnehmer, denen es zuweilen schwer fällt, an Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen, entweder aufgrund mangelnder Motivation — was häufig bei Arbeitskräften mit geringem Qualifikationsniveau oder Ungelernten der Fall ist — oder weil sie sich aufgrund schulischen Versagens unfähig fühlen, oder auch weil sie wegen ihres baldigen Ausscheidens aus dem Erwerbsleben keine Veranlassung dafür sehen.

4.3.5.3

Natürlich kann bei diesem Problem die Rolle der Sozialpartner auf allen Verhandlungsebenen von entscheidender Bedeutung sein. Zu diesem Zweck stellt der“ Aktionsrahmen für den lebenslangen Ausbau von Kenntnissen und Qualifikationen„, der von den europäischen Sozialpartnern geschlossen wurde, eine große Bemühung dar, lebensbegleitendes Lernen in allen Altersgruppen zu fördern. Zugleich ist auch die Rolle der öffentlichen Hand, die die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen zur Förderung des arbeitsbegleitenden Lernens gewährleisten muss, von größter Bedeutung.

4.3.5.4

Dennoch dürfen die berufliche Bildung und die lebensbegleitende Aus- und Fortbildung nicht isoliert betrachtet werden, sondern sollten grundlegende Elemente bei der Karriereplanung von Erwerbstätigen darstellen. In jeder Altersgruppe sollte ausreichend Motivation zur Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen vorhanden sein, und zwar durch Höherbewertung von Kompetenzen und Dynamisierung der beruflichen Laufbahnen. In dieser Hinsicht sind Bewertungssysteme und die Validierung des beruflichen Erfahrungswissens Konzepte, die im Rahmen individueller beruflicher Planung in Verbindung mit der Planung des Unternehmens weiter entwickelt werden müssen.

4.3.5.5

Die Europäische Union steht vor einer großen Herausforderung, von der zum Teil der Erfolg der Lissabon-Strategie abhängt. Es müssen allgemein mehr Erwerbstätige an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen und dadurch das allgemeine Kenntnis- und Kompetenzniveau älterer Arbeitnehmer verbessert werden.

4.3.6   Wirksame aktive Arbeitsmarktpolitik

4.3.6.1

Der EWSA teilt die in der Mitteilung vertretene Ansicht, dass“ eine wesentliche Voraussetzung für eine längere Erwerbstätigkeit […] die Vorwegnahme von Veränderungen und die erfolgreiche Steuerung wirtschaftlicher Umstrukturierungen [ist]. „Diese Analyse stimmt überein mit einem der Gründe für die in der vorliegenden Stellungnahme unter Punkt 4.3.1.4 untersuchten Situationen, wo im Wesentlichen dargelegt wird, dass diese Situation insbesondere auf eine unzureichende Berücksichtigung der Personal- und Qualifikationsbedarfsplanung zurückzuführen ist“.

4.3.6.2

Der EWSA teilt ebenfalls die Auffassung, wonach „Gezielte Ansätze für individuelle Bedürfnisse wie Beratung, bedarfsgerechte Fortbildung und Outplacement-Systeme […] hier besonders wichtig [sind].“ Um dies zu verwirklichen kann es nützlich sein, die Arbeitslosenleistungen aktiv für qualifizierende und weiterbildende Maßnahmen einzusetzen, um somit die Einstellung von älteren Arbeitslosen zu erleichtern, wobei zugleich das Recht auf Arbeitslosengeld beibehalten und eine Beratung angeboten wird, die zur Annahme einer anderen Arbeit oder zur Selbstständigkeit ermuntert.

4.3.6.3

Die Umsetzung der „wirksamen aktiven Arbeitsmarktmaßnahmen“ betrifft gleichermaßen die Arbeitsplatznachfrage wie das Arbeitsplatzangebot. Unter diesem Gesichtspunkt entsprechen die Empfehlungen, die den Kern der Mitteilung bilden, dem vom Ausschuss begrüßten Grundsatz, da dieses Gleichgewicht eine der Bedingungen für einen spürbaren Fortschritt darstellt.

4.3.7   Verbesserung der Arbeitsplatzqualität

4.3.7.1

In der Mitteilung wird zu Recht hervorgehoben, dass die Qualität des Arbeitsplatzes allgemein von ausschlaggebender Bedeutung ist, wenn es darum geht, ältere Arbeitnehmer wieder für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Der Rückzug aus dem Erwerbsleben ist unter den älteren Arbeitnehmern mit gering qualifizierten Stellen bis zu viermal höher als bei Arbeitnehmern in hochqualifizierten Positionen, aber auch doppelt so hoch wie bei jungen Arbeitnehmern in geringer qualifizierten Positionen (20). Hier hätte die Mitteilung der Kommission an Präzision gewonnen und eine Diskussion auslösen können, wenn der Versuch unternommen worden wäre, den Begriff „Arbeitsplatzqualität“ zu definieren und man sich bemüht hätte, den Lösungsansatz zur Durchführung des Konzeptes zu skizzieren. Zumindest eine Zusammenfassung der Ansätze der vorangehenden Texte (KOM(2003) 728 vom 26.11.2003; der Bericht Beschäftigung in Europa 2002) wäre nützlich gewesen.

4.4   Weitere Vorschläge und Überlegungen

Allgemein wird die Verwirklichung der Strategie/Anhebung des Erwerbsaustrittsalters ebenso wie der in Lissabon vereinbarten Leitlinien wirksamer sein, wenn sie von einer stabilen Wachstumsquote, die sich günstig auf die Beschäftigung auswirkt, begleitet werden.

Die offene Koordinierungsmethode wird für die verschiedenen Aspekte in Zusammenhang mit dem Eintritt in den Ruhestand angewandt. Dennoch wird in der Mitteilung in Bezug auf das „aktive Altern“ ein „Peer-Review-Verfahren“ erwähnt, das im Zusammenhang mit der Europäischen Beschäftigungsstrategie geschaffen wurde. Es ist schwer nachzuvollziehen, aus welchen Gründen zwei verschiedene Prozeduren zur Anwendung kommen sollten. Aus Pragmatismus und aus Gründen der Effizienz erscheint es nützlich, das Konzept des „Erwerbsaustrittsalters“, also der Rente insgesamt, in den Mittelpunkt zu stellen und dementsprechend der offenen Koordinierungsmethode den Vorzug zu geben.

Unter Bezugnahme auf die Leitlinien des Europäischen Rates von Stockholm sowie die vorangehenden Kapitel unterstützt der EWSA die in der Mitteilung in Betracht gezogenen Maßnahmen. Da es sich um die „Task-force für Beschäftigung“ handelt, wird man sich auf die Stellungnahme des Ausschusses beziehen, die sich mit dem Inhalt dieses Berichtes befasst (21).

Dennoch können auch andere Denkmodelle und Überlegungen vorgebracht oder präzisiert werden.

4.4.1   Die Einstellung von Arbeitnehmern

Die Einstellung ist für die Beschäftigungsquote von strategischer Bedeutung (22). Dieser Aspekt ist jedoch bei den allgemeinen Überlegungen außer Acht gelassen worden. In der Mitteilung stellt dieser Aspekt, der sowohl den psychologischen Ansatz des Problems als auch die Diskriminierung, und dementsprechend die Achtung der Grundrechtecharta der Europäischen Union umfasst, keinen der zentralen Punkte dar.

4.4.1.1

Dennoch ist es wichtig, gegen alle Formen von Diskriminierung bei der Einstellung, insbesondere auch gegen altersbedingte Diskriminierungen, wie sie in der Vorlage der Kommission angesprochen werden, vorzugehen. Bei den Methoden der Personalauswahl darf das Alter kein Auswahlkriterium sein, es sollte im Gegenteil stärker versucht werden, die fachliche Qualifikation, die sich jeder Einzelne durch Erfahrung im Laufe seines Berufslebens angeeignet hat, zu erkennen und besser zu nutzen. Es ist sicherlich auch wichtig, den Wünschen und Entscheidungen dieser Arbeitnehmer und insbesondere dem Wunsch nach Staffelung der Arbeitsdauer, Arbeitsverteilung, Arbeitszeiten nachzukommen.

4.4.1.2

Unter diesem Gesichtspunkt ist es zum Beispiel aufschlussreich, dass in bestimmten Mitgliedstaaten zahlreiche Auswahlverfahren für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst einer Altersgrenze unterliegen — in den meisten Fällen liegt diese bei etwa 40 Jahren. Dies bedeutet, dass ein Arbeitsuchender, der älter ist als 40 Jahre und aus dem Privatsektor kommt, keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst hat. Diese Ausgrenzung ist unannehmbar. Sie macht es einem Arbeitsuchenden, auch wenn er qualifiziert oder gar hochqualifiziert ist und dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle entspricht, unmöglich, einen vorhandenen Arbeitsplatz einzunehmen, während zugleich dem öffentlichen Dienst die Erfahrung eines Erwerbstätigen aus dem Konkurrenzsektor vorenthalten bleibt. In dieser Frage ist die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten gefragt. In Bezug auf die Europäische Union ist hervorzuheben, dass die Kommission erst im April 2002 nach Bemerkungen des Europäischen Bürgerbeauftragten der Abschaffung der Altersgrenzen bei ihren Einstellungsverfahren zugestimmt hat. Erst kürzlich, im Juli 2004, hat der Bürgerbeauftrage die Kommission aufgrund einer Klage ersucht, die Altersgrenze für die Einstellung von Praktikanten abzuschaffen. Er vertrat die Auffassung, dass es sich hierbei um eine ungerechtfertigte Diskriminierung handele, der Kläger wies seinerseits darauf hin, dass diese Praxis mit der Grundrechtecharta der EU nicht vereinbar sei.

4.4.1.3

Im Übrigen ist festzuhalten, dass die Zunahme der Frühverrentungen die Geringschätzung der älteren Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt und dementsprechend bei der Personalauswahl verstärkt hat. Die Absenkung der Altersgrenzen zur Erleichterung der Entlassung in den Vorruhestand hatte entscheidende Folgen für diese Arbeitnehmer, da sie die Auffassung der Arbeitgeber über die Altersgrenze, ab der Arbeitnehmer als „zu alt“ gelten können, verändert hat.

4.4.1.4

Vom psychologischen Standpunkt aus gesehen fühlt der durch das Vorgehen der Unternehmen beeinflusste ältere oder alternde Arbeitnehmer außerdem unterschwellig, dass er nicht mehr in erster Linie als jemand angesehen wird, der auf die wohlverdiente Rente und Zeit der Ruhe zugeht, sondern als „arbeitsunfähig“ oder „vermittlungsunfähig“ gilt. Wenn fast die Hälfte der Rentenempfänger über den Weg der „Invalidität“ vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden, wie das in einigen Staaten der Europäischen Union der Fall war, so entsteht die Tendenz, den Ruhestand nicht mehr als Periode der Erholung, auf die der Arbeitnehmer Anspruch hat, sondern der Erwerbsunfähigkeit zu begreifen. Eine derartige Auffassung vom Alter führt dadurch, dass die Betroffenen regelrecht abgestempelt werden, zu Verhaltensänderungen, denn sie leistet beim Arbeitnehmer dem Eindruck der Ausgrenzung aus dem Unternehmen wie aus dem Arbeitsmarkt oder sogar aus der ganzen Gesellschaft Vorschub und kann seine tatsächliche Ausgrenzung zur Folge haben.

4.4.1.5

Im gleichen Sinne wie die Grundrechtecharta der Europäischen Union hat die Richtlinie 2000/78/EG einen allgemeinen Rahmen für die Gleichbehandlung auf dem Gebiet der Beschäftigung und Arbeit geschaffen. Unter bestimmten Bedingungen verbietet diese insbesondere Diskriminierungen aus Altersgründen. Diese Richtlinie musste spätestens bis Dezember 2003 umgesetzt werden. Es wäre nützlich, in absehbarer Zeit eine Bilanz ihrer Anwendung zu ziehen und auf diese Weise die Reichweite ihrer Wirkung zu messen.

4.4.2   Flexibilisierung

Im Bezug auf den vorgezogenen Ruhestand sind sowohl das Konzept des flexiblen Rentenalters als auch die flexiblen Formen der Arbeitsorganisation geprüft worden (4.3.2). Die gleiche Überlegung gilt für das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben im gesetzlichen Rentenalter. Tatsächlich hätten vier von zehn Arbeitnehmern ihre Berufstätigkeit (23) entweder aus beruflichen, familiären oder persönlichen Gründen gerne fortgesetzt (24). Um diesen Erwartungen entgegenzukommen, müssten flexiblere Formen des Ausscheidens aus dem Berufsleben gefunden werden.

4.4.2.1

Es muss den Arbeitnehmern ermöglicht werden, ihre Beschäftigung schrittweise und nicht, wie es heute meistens der Fall ist, im gesetzlichen Rentenalter abrupt aufzugeben, was auch als „Fallbeil-Ruhestand“ bezeichnet werden kann. Es sollten Vorkehrungen getroffen werden, die es den Erwerbstätigen am Ende ihres Berufsleben erlauben, drei Viertel, ein Drittel oder die Hälfte der Zeit zu arbeiten. Um dieses Konzept voranzubringen, müsste man die Auswirkungen untersuchen, die die Einführung eines Gehalts haben könnte, das proportional höher ist als der Anteil an Arbeitsstunden.

4.4.2.2

Ihre Präsenz am Arbeitsplatz könnten sie zum Beispiel dazu nutzen, ihre Berufserfahrung jüngeren Mitarbeitern, insbesondere durch die Einrichtung von Mentorschaften, durch Unterstützung sowie durch abwechselnde Mitwirkung bei Ausbildung (25) und Schulungen zu vermitteln. Hierdurch würden alle Beteiligten gewinnen: der freiwillig Erwerbstätige, der einer Tätigkeit nachgehen könnte, die sein Selbstwertgefühl steigert, das Unternehmen, das ein Know-how bewahren und weitervermitteln könnte und die Allgemeinheit, durch eine höhere Beschäftigungsquote.

4.4.3   Die Frauen und die Chancengleichheit

In der Mitteilung wird die bei älteren Frauen und Männern unterschiedliche Beschäftigungsquote hervorgehoben; mit 30,5 % bzw. 50,1 % ist ihre Differenz beträchtlich. Bezogen auf das Durchschnittsalter beim Austritt aus dem Berufsleben ist der Unterschied gering (26) (siehe Anlage 3).

4.4.3.1

Der Unterschied bei der Beschäftigungsquote in dieser Altersgruppe entspricht einem Kohorteneffekt, der allgemein die Zusammensetzung des Arbeitsmarktes wiedergibt. Es ist bemerkenswert, dass dieser Unterschied keine Auswirkungen hat und sich nicht im Durchschnittsalter beim Austritt aus dem Erwerbsleben niederschlägt.

4.4.3.2

Die Anhebung der Beschäftigungsquote von Frauen ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Ziele von Stockholm. Die Beschäftigungsquote dieser Altersgruppe ergibt sich im Wesentlichen aus der Beschäftigungsquote der vorhergehenden Altersstufe. Im Mittelpunkt der Problematik steht folglich die Beschäftigungsquote von Frauen allgemein und nicht nur ihr Erwerbsaustrittsalter.

4.4.3.3

Dieses Thema wirft auch — abgesehen von den damit einhergehenden wirtschaftlichen Folgen — Fragen der Gerechtigkeit auf, die der Ausschuss mehrfach angeführt hat, sei es im Hinblick auf schulische Ausrichtung, das Niveau der Berufsausbildung, den gleichen Lohn oder die übertragene Verantwortung bei gleicher Qualifizierung.

4.4.3.4

Die Anhebung der Beschäftigungsquote von Frauen ist notwendigerweise verbunden mit einer Verbesserung ihrer Zugangsbedingungen zum Arbeitsmarkt. Um dies zu erreichen, müssen Maßnahmen getroffen werden, die es Männern und Frauen in gleicher Weise erlauben, Berufs- und Privatleben miteinander zu verbinden; hierzu muss ein Netz von sozialen Dienstleistungen entwickelt werden, das die privaten Versorgungs- und Pflegebedürfnisse, u.a. für Minderjährige (insbesondere durch die Einrichtung eines Betreuungssystems für Kleinkinder; siehe Anlage 3) und für pflegebedürftige Personen (ältere Menschen, Kranke …) abdecken kann.

4.4.4   Die Tarifverhandlungen

In der Mitteilung wird darauf hingewiesen, dass „trotz dieser neuen Entwicklungen die Sozialpartner sowohl auf nationaler als auch europäischer Ebene ihre Anstrengungen, eine neue Kultur in der Alterungsfrage und dem Management des Wandels einzuführen, verbreiten und vertiefen [sollten]. Viel zu oft setzen die Arbeitgeber auf Regelungen für einen frühzeitigen Erwerbsaustritt“.

4.4.4.1

Der EWSA befürwortet an dieser Stelle den in der Mitteilung vertretenen Ansatz, der im Kern dem sozialen Dialog eine unverzichtbare Rolle bei der Erlangung signifikanter Fortschritte zuschreibt. Der Ausschuss begrüßt und unterstützt den Vorstoß und das Anliegen der Kommission und geht über deren Anregungen hinaus. Wenn der soziale Dialog und insbesondere die Tarifverhandlungen auf nationaler und europäischer Ebene intensiviert werden sollen, müssten diese auch „maßgeschneiderte“ Möglichkeiten umfassen, da es für universelle Rahmenbedingungen immer weniger Anwendungsmöglichkeiten gibt. Die Tarifverhandlungen sollten deshalb, um den besonderen Bedingungen von Berufen im Hinblick auf Arbeitsbelastung, Arbeitsbedingungen und -organisation gerecht zu werden, die Berufssparten auf europäischer und nationaler Ebene miteinbeziehen.

5.   Anhebung des durchschnittlichen Erwerbsaustrittsalters

5.1

Unter Punkt 32 der Schlussfolgerungen legt der Vorsitz des Rates von Barcelona im Hinblick auf die aktuelle Beschäftigungspolitik fest, dass unter anderem

„angestrebt werden [sollte], dass das tatsächliche Durchschnittsalter des Eintritts in den Ruhestand in der Europäischen Union bis 2010 allmählich um etwa 5 Jahre ansteigt.“

5.2

Alle Analysen und Vorkehrungen, die in den vorangehenden Abschnitten erörtert worden sind und die insbesondere die Beschlüsse des Rates von Stockholm betreffen, die „Beschäftigungsquote für ältere Männer und Frauen (zwischen 55 und 64) auf 50 % zu steigern“, leisten einen Beitrag, die Leitlinien von Barcelona umzusetzen. Tatsächlich trägt jeder Arbeitnehmer zwischen 55 und 64 Jahren, der seinen Austritt aus dem Erwerbsleben hinauszögert, dazu bei, das tatsächliche Durchschnittsalter des Eintritts in den Ruhestand in der Europäischen Union zu steigern.

5.3

Die Umsetzung der Beschlüsse von Stockholm ist die zentrale Antriebskraft für eine positive Entwicklung der Leitlinien des Rates von Barcelona. Dabei kann „die allmähliche Steigerung des tatsächlichen Durchschnittsalters des Eintritts in den Ruhestand“ getrennt von der „Steigerung der Beschäftigungsquote für ältere Männer und Frauen (zwischen 55 und 64)“ weder untersucht noch beurteilt werden.

5.4

Angesichts der Schwierigkeiten, die bei der Steigerung der Beschäftigungsquote von Arbeitnehmern zwischen 55 und 64 Jahren zu beobachten sind, wäre es in der Tat nicht sinnvoll, das Konzept von Barcelona isoliert zu betrachten. Dies könnte nahe legen, das gesetzliche Rentenalter zu erhöhen, damit diese Ziele umgesetzt werden.

5.5

Die Erwägung einer solchen Möglichkeit wäre wenig konsequent, da es den Arbeitnehmern, die dies wünschen, heute schon zuweilen verwehrt wird, bis zum gesetzlichen Rentenalter zu arbeiten.

6.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

6.1

Der Ausschuss bestätigt die allgemeine Linie seiner Initiativstellungnahme: „Ältere Arbeitnehmer“ vom Oktober 2000: „er [unterstreicht] mit dieser Initiativstellungnahme die Notwendigkeit eines positiven Ansatzes in Bezug auf die älteren Arbeitnehmer […], da in vielen Fällen der Umgang mit ihnen nicht nur von einer wenig solidarischen und diskriminierenden Auffassung seitens der Gesellschaft zeugt, sondern häufig auch zum Verlust von hochqualifiziertem Personal und infolge dessen zu einem Absinken der Wettbewerbsfähigkeit insgesamt führt“.

6.1.1

Im Rahmen dieser Leitlinie begrüßt der Ausschuss, dass der Europäische Rat bei seiner Frühjahrstagung 2004 das aktive Älterwerden als einen der drei vorrangigen Bereiche bezeichnet, in denen die Umsetzung der Lissabon-Strategie ein rasches Handeln erfordert. In dieser Hinsicht begrüßt der Ausschuss das Bemühen der Kommission, durch die vorliegende Mitteilung Informationen in die Debatte über die im Hinblick auf die Zielsetzungen von Stockholm und Barcelona erzielten Fortschritte einzubringen und die Rolle zu unterstreichen, die Regierungen und Sozialpartner bei der Förderung des aktiven Alterns spielen.

6.2

Der EWSA befürwortet im Großen und Ganzen die Wahl der Hauptthemen, die das Herzstück der Mitteilung bilden. Diese Themen einschließlich ihres Lösungsansatzes sind vorbehaltlich der Qualität und der Art der zur Umsetzung gewählten Elemente sowie der in der vorliegenden Stellungnahme enthaltenen Beobachtungen positiv zu bewerten: Dies gilt für den vorgezogenen Ruhestand und finanzielle Anreize, die Reform der Vorruhestandsregelung, flexible Formen der Arbeitsorganisation, gute Bedingungen für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz oder auch die Verbesserung der Arbeitsplatzqualität.

6.2.1

Dennoch hält es der Ausschuss neben den gewählten Themen und den konkreten Maßnahmen für sehr wichtig, dass alles unternommen wird, um die Mentalität der Unternehmer wie der Arbeitnehmer zu ändern und sie zu sensibilisieren. Arbeiten über das Alter von 55 Jahren hinaus muss als aufwertend empfunden werden, und die Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen müssen sich der Vorteile, die ihnen ältere Arbeitnehmer bieten können (Erfahrungsschatz, Know-how, Weitergabe von Wissen usw.), bewusst sein. Ohne diese kollektive Sensibilisierung werden die konkreten Maßnahmen nicht ihre volle Effizienz entfalten können.

6.2.2

Zu diesem Zweck schlägt der Ausschuss der Kommission, wie bereits in seiner Initiativstellungnahme vom Oktober 2000, vor, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten eine breit angelegte Informations- und Aufklärungskampagne der wichtigsten Akteure der Gesellschaft ganz allgemein zu starten, um zu einem positiven Bild von der Rolle älterer Arbeitnehmer in den Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen sowie in der Gesellschaft insgesamt beizutragen.

6.2.2.1

Der EWSA stellt erfreut fest, dass der „Bericht der Hochrangigen Gruppe für die Zukunft der Sozialpolitik in einer erweiterten Europäischen Union“, der Ende des ersten Halbjahres 2004 erschienen ist, den Vorschlag des Ausschusses übernommen hat.

6.3

Überdies vertritt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss folgende Auffassung:

6.3.1

Alle Maßnahmen, die zur Umsetzung der Beschlüsse von Stockholm oder Barcelona getroffen werden, sollten ausschließlich dazu führen, ältere Arbeitnehmer an ihrer Arbeitsstelle zu halten oder sie wieder in Lohn und Brot zu bringen. Da das Ziel darin besteht, die Beschäftigungsquote zu erhöhen und das Erwerbsaustrittsalter anzuheben, muss ausgeschlossen werden, dass Veränderungen der gegenwärtigen Situation, insbesondere bei der Vorruhestandsregelung, zu Arbeitslosigkeit führen. Allgemein ist der in der Mitteilung vertretenen Ansicht zuzustimmen, dass „selbstverständlich […] den Anreizen für ältere Arbeitskräfte zum Verbleib im Erwerbsleben echte Beschäftigungschancen gegenüberstehen [müssen].“

6.3.2

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Anhebung der Beschäftigungsquote insgesamt beziehungsweise die der 55 bis 64-Jährigen mit durch die Anhebung der Beschäftigungsquote der unzureichend vertretenen Kategorien potenzieller Arbeitnehmer zu erreichen ist. Unter diesem Gesichtspunkt müssen umfassende Maßnahmen ergriffen werden, um alle Arbeitskraftreserven in der Europäischen Union zu mobilisieren; dies betrifft insbesondere junge Menschen, die nur all zu oft in einer demotivierenden Arbeitslosigkeit gefangen sind, ein Umstand, der in Bezug auf die künftige Entwicklung der Gesamtbeschäftigungsquote ebenso wie die der Frauen und Behinderten besorgniserregend ist.

6.3.3

Die berufliche Bildung und die lebensbegleitende Aus- und Fortbildung dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern sollten grundlegende Elemente bei der Karriereplanung von Erwerbstätigen darstellen. Unabhängig von Altersgruppe oder Ausbildung sollte ausreichend Motivation zur Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen vorhanden sein, und zwar durch Höherbewertung von Kompetenzen und Dynamisierung der beruflichen Laufbahnen. Nur unter dieser Bedingung ist ein adäquates Kompetenzniveau und entsprechende Beschäftigungsfähigkeit älterer Arbeitnehmer zu erreichen.

6.3.3.1

Es ist hervorzuheben, dass allgemein, über die Berufsbildung hinaus, alle Maßnahmen, die Bestandteil einer Strategie zur Anhebung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer sind, nicht erst in der Altersgruppe der 40 bis 50-Jährigen umgesetzt werden dürfen. Eine Politik, die die Situation älterer Erwerbstätiger ändern will, greift zu spät, wenn sie nur auf diese Gruppe der Arbeitnehmer abzielt. Aus diesem Grunde ist eine Personalverwaltung notwendig, die das Alter vom Beginn der Erwerbstätigkeit an berücksichtigt.

6.3.4

Die Einstellung von Arbeitnehmern muss bei der Problematik im Mittelpunkt stehen. Alle Formen von Diskriminierung wegen des Alters müssen bekämpft werden. Unter diesem Gesichtspunkt muss eine Bilanz der Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG gezogen werden, die einen allgemeinen Rahmen für die Gleichbehandlung im Bereich Beschäftigung geschaffen hat. Sie untersagt unter bestimmten Bedingungen jegliche, insbesondere altersbedingte Diskriminierung. Dies gilt für alle Altersstufen, unabhängig davon, ob es sich im Einzelfall um ältere oder junge Arbeitnehmer handelt.

6.3.5

Sowohl im Falle des Ruhestandes als auch des vorgezogenen Ruhestandes muss es möglich sein, die Beschäftigung schrittweise aufzugeben. Das Ende der Erwerbstätigkeit sollte weniger ein „Fallbeil-Ruhestand“ sein, ein Ereignis, das man möglichst weit vorzuziehen versucht, sondern vielmehr zu einem „selbstgewählten und allmählichen“ Prozess werden, innerhalb dessen die Erwerbstätigen — im Rahmen tariflicher Garantien — nach und nach ihre Arbeitszeit reduzieren können. Diese Frage könnte ein vorrangiges Thema für Forschung und Maßnahmen im Rahmen der beschäftigungspolitischen Leitlinien 2005 sein.

6.3.6

Der soziale Dialog und insbesondere die Tarifverhandlungen müssen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene intensiviert werden. Letztere müssen auch „maßgeschneiderte“ Möglichkeiten umfassen, da es für universelle Rahmenbedingungen immer weniger Anwendungsmöglichkeiten gibt. Unter diesem Gesichtspunkt sollten die Tarifverhandlungen, um den besonderen Bedingungen von Berufen (Arbeitsbelastung, Arbeitsbedingungen und -organisation, Qualifikationsniveau ...) gerecht zu werden, die Berufssparten auf europäischer und nationaler Ebene und damit auch die Unternehmen miteinbeziehen.

6.3.6.1

Es wäre sinnvoll, dem aktiven Altern in der neuen sozialpolitischen Agenda nach 2006 Priorität einzuräumen.

6.3.7

Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die Umsetzung der Beschlüsse von Stockholm die positive Entwicklung der Leitlinien des Europäischen Rates von Barcelona voranbringt. Zugleich ist er der Meinung, dass die Anhebung des „tatsächliche[n] Durchschnittsalter[s] des Eintritts in den Ruhestand“ nicht getrennt von der „Anhebung der Beschäftigungsquote für ältere Männer und Frauen (zwischen 55 und 64)“ betrachtet und beurteilt werden darf.

Brüssel, den 15. Dezember 2004

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Initiativstellungnahme zum Thema „Ältere Arbeitnehmer“, Ziffer 1.5, ABl. C 14 vom 16.1.2001, Berichterstatter: Herr DANTIN.

(2)  KOM(2004) 29 „Die Lissabon-Strategie realisieren – Reformen für die erweiterte Union“, Bericht der Kommission für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates.

(3)  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Jugendarbeitslosigkeit“, ABl. C 18 vom 22.1.1996. Berichterstatter: Herr RUPP.

(4)  Beitrag der Europäischen Kommission zum Ministerrat „Soziales“ von Lissabon. Quelle: Eurostat.

(5)  Quelle: Eurostat, „Studie zur erwerbstätigen Bevölkerung“, 1999.

(6)  Siehe Anlage 1.

(7)  Guillemard 1986; Casey/Laczko 1989.

(8)  Quelle: Eurostat, Bevölkerungsprognosen 1997 (Basisszenario).

(9)  „Demographische Lagen und Perspektiven der Europäischen Union“. Berichterstatter: Herr BURNEL.

(10)  „Alter und Beschäftigung 2010“: Französischer Wirtschafts- und Sozialrat, Oktober 2001. Berichterstatter: Herr QUINTREAU.

(11)  Quelle: Eurostat, „Studien zur Erwerbsbevölkerung“, Frühjahrsergebnisse 2003.

(12)  „Ältere Arbeitnehmer“ – Berichterstatter: Herr DANTIN – ABl. C 14 vom 16.1.2001.

(13)  Siehe SOC/162 - Berichterstatterin: Frau St HILL.

(14)  Europäische Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen: „Die Bekämpfung der Altersgrenzen auf dem Arbeitsmarkt“ 1999.

(15)  Ebd., S. 9.

(16)  Ebd., S. 1, Absatz 3.3.3.

(17)  Internationale Studie der OECD zur Lese- und Schreibfähigkeit der Bevölkerung (International Adult Literacy Survey – IALS).

(18)  Ebd., S. 1, Absatz 4.3.2.

(19)  Ebd., S. 10.

(20)  KOM(2003) 728: „Die jüngsten Fortschritte in der Verbesserung der Arbeitsplatzqualität“.

(21)  Stellungnahme des EWSA „Beschäftigungspolitische Maßnahmen“, Berichterstatterin: Frau HORNUNG-DRAUS, Mitberichterstatter: Herr GREIF – ABl. C 110 vom 30.4.2004.

(22)  Ebd., S. 11.

(23)  Ebd., S. 11

- „Age and Attitudes - Main Results from a Eurobarometer Survey“ - Europäische Kommission, 1993.

(24)  Ebd., S. 1, Absatz 3.3.5.

(25)  Ebd., S. 1, Absatz 4.3.4.

(26)  Siehe Anlage 2.


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