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Document 52004AE1646

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Vervollständigung des Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa durch die Reform der GAP — Reformvorschläge für den Zuckersektor“(KOM(2004) 499 endg.)

ABl. C 157 vom 28.6.2005, p. 102–107 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

28.6.2005   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 157/102


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament: Vervollständigung des Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa durch die Reform der GAP — Reformvorschläge für den Zuckersektor“

(KOM(2004) 499 endg.)

(2005/C 157/19)

Die Kommission beschloss am 15. Juli 2004, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu der obenerwähnten Mitteilung zu ersuchen.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 16. November 2004 an. Berichterstatter war Herr BASTIAN, Mitberichterstatter war Herr STRASSER.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 413. Plenartagung am 15./16. Dezember 2004 (Sitzung vom 15. Dezember 2004) mit 137 gegen 21 Stimmen bei 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

21 Staaten der Europäischen Union produzieren Rübenzucker. In den französischen überseeischen Departements und in geringerem Maße auch in Spanien wird Rohrzucker (280.000 Tonnen) erzeugt. Insgesamt schwankt die europäische Zuckerproduktion je nach Jahr zwischen 17 und 20 Millionen Tonnen bei einem auf 16 Millionen Tonnen geschätzten Zuckerverbrauch der EU.

1.2

Die zur Fruchtfolge gehörenden Zuckerrüben werden von 350 000 Landwirten auf 2,2 Millionen Hektar (im Durchschnitt etwas mehr als 6 Hektar Zuckerrüben pro Zuckerrübenanbauer) angebaut. Die Zuckerrüben werden in etwa 200 Zuckerfabriken, die direkt etwa 60 000 Arbeitnehmer beschäftigen, verarbeitet.

1.3

Außerdem stellt die Europäische Union 500 000 Tonnen Isoglucose und 250 000 Tonnen Inulinsirup her und raffiniert Rohrohrzucker (der zum Großteil — 1,5 Millionen Tonnen — aus AKP-Staaten (1) importiert wird).

1.4

Die mit der Verordnung Nr. 1785/81 eingeführte Quotenregelung für den Sektor Zucker, Isoglucose und Inulinsirup wurde mehrmals verlängert, zuletzt im Jahr 2001. Sie gilt für 5 Wirtschaftsjahre (2001/2002 bis 2005/2006). Diese Verordnung (1260/2001) umfasst im Vergleich zur vorherigen einige wichtige Änderungen, wie die Preisfestsetzung bis zum 30. Juni 2006, die Abschaffung der Lagerhaltung, die Abschaffung der Erstattung der Kosten für die Lagerung von übertragenem Zucker, eine Kürzung der Quoten um 115 000 t sowie die Bestimmung, dass die Zuckerrübenerzeuger und Zuckerhersteller die gesamte Erstattung für die Herstellung von für die Chemieindustrie bestimmtem Zucker übernehmen.

1.5

Am 14. Juli 2004 legte die Kommission zur Vervollständigung ihres Modells einer nachhaltigen Landwirtschaft für Europa eine Mitteilung über die Reform des Zuckersektors vor [KOM(2004) 499 endg.].

1.6

Die Kommission schlägt in diesem Dokument vor, ab dem 1. Juli 2005 die Zuckerregelung, die Preise und die Quoten zu ändern, und beabsichtigt, im Jahr 2008 gegebenenfalls neue Vorschläge für den Quotenumfang und das Preisniveau zu unterbreiten. Somit will die Kommission auch die Marktordnung für Zucker entsprechend der GAP-Reform gestalten, den europäischen Zuckermarkt weniger attraktiv für Einfuhren machen, die Ausfuhr von Quotenzucker mit Erstattung erheblich reduzieren und die Erstattungen für die Erzeugung von Zucker, der an die chemische Industrie verkauft wird, abschaffen.

1.7

Die Kommission schlägt vor, die A- und die B-Quote zu einer einzigen Quote zusammenzulegen und die Zuckerquote um 1,3 Mio. Tonnen und anschließend um 500 000weitere Tonnen jährlich über drei Wirtschaftsjahre hinweg zu kürzen (insgesamt eine Kürzung um 2,8 Mio. Tonnen bzw. um 16 %).

1.8

Parallel zu dieser Kürzung der Zuckerquoten schlägt die Kommission vor, die Isoglucosequoten über 3 Jahre hinweg um 100 000 Tonnen jährlich (d.h. um 60 %) anzuheben und die Inulinsirupquoten unverändert zu lassen.

1.9

Um die ihres Erachtens notwendige Umstrukturierung des Zuckersektors zu gewährleisten, schlägt die Kommission vor, die Quoten auf europäischer Ebene beliebig übertragbar zu machen. Ferner sieht sie die Möglichkeit vor, für Zuckerhersteller, denen die Veräußerung ihrer Zuckerquoten nicht gelingt und die die Zuckerherstellung einstellen würden, gemeinsam mit den Mitgliedstaaten für einen Beihilfebetrag von 250 €/t aufzukommen. Ziel dieser Beihilfe wäre es, den Zuckerherstellern die Einhaltung ihrer sozialen Verpflichtungen und ihrer Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung eines guten ökologischen Zustands des Fabrikgeländes zu erleichtern.

1.10

Die Kommission schlägt vor, mit der privaten Lagerhaltung (2) und der obligatorischen Übertragung des Quotenzuckers die Interventionsregelung und den Herabstufungsmechanismus zu ersetzen, die dazu dienen, durch das Marktgleichgewicht die Preise zu sichern und den WTO-Verpflichtungen nachzukommen.

1.11

In Bezug auf die Preise schlägt die Kommission vor, den Interventionspreis für Zucker durch einen Referenzpreis zu ersetzen, der herangezogen wird, um den Mindestpreis für Einfuhren aus den AKP-Staaten und den am wenigsten entwickelten Ländern sowie den Schwellenwert für die Auslösung von Maßnahmen zur privaten Lagerhaltung und die Übertragung der Überschüsse auf das Folgejahr zu ermitteln. Die institutionellen Preise würden in zwei Schritten gesenkt werden. Zu diesem Zweck schlägt die Kommission einen Referenzpreis in Höhe von 506 € pro Tonne Weißzucker für 2005/2006 und 2006/2007 sowie in Höhe von 421 €/t für 2007/2008 vor — im Vergleich zum derzeitigen Interventionspreis von 631,9 €/t und einem gewogenen Marktpreis A+B, der ihrer Schätzung nach bei 655 €/t liegt.

1.11.1

Parallel dazu würde der gewogene Mindestpreis für Zuckerrüben der Quote A+B von derzeit 43,6 €/t auf 32,8 €/t in den Jahren 2005/2006 und 2006/2007 (-25 %) und auf 27,4 €/t in den Jahren 2007/2008 (-37 %) gesenkt. Der Zuckerrübengrundpreis beläuft sich derzeit auf 47,67 €/t. Der Ausschuss geht davon aus, dass die Preissenkung in einigen Mitgliedstaaten im Vergleich zu anderen auf Grund der unterschiedlichen Anteile der Quoten A und B höher ist.

1.11.2

Nach Auffassung der Kommission sollten die Einkommenseinbußen, die sich aus der Senkung des gewogenen Preises für Quotenzuckerrüben ergeben, (entsprechend den Regelungen der GAP-Reform von 2003) bis zu 60 % durch eine von der Produktion entkoppelte direkte Einkommensbeihilfe kompensiert werden.

1.11.3

Die durch die entkoppelten direkten Einkommensbeihilfen entstehende Haushaltsbelastung wird in den Jahren 2005/2006 und 2006/2007 laut Kommission schätzungsweise 895 Mio. € und ab 2007/2008 1,340 Mrd. € jährlich betragen.

1.12

Die Kommission schlägt vor, das System der Produktionserstattung für die Chemie- und Pharmaindustrie (3) abzuschaffen und diesen Industriezweigen die Versorgung mit C-Zucker zu ermöglichen — ähnlich wie im Fall der Spirituosen- und Bierbranche.

1.13

In Bezug auf die Beziehungen zu den Lieferanten von Präferenzzucker in den AKP-Staaten schlägt die Kommission die Beibehaltung des AKP-Zuckerprotokolls mit Einfuhrquoten vor, wobei jedoch der Garantiepreis parallel zum Zuckerrübenpreis gesenkt wird. Um den AKP-Staaten die Anpassung an die neuen Bedingungen zu erleichtern, schlägt die Kommission vor, auf der Grundlage eines bis Ende 2004 vorzulegenden Aktionsplans einen gemeinsamen Dialog aufzunehmen.

1.13.1

Sie schlägt vor, die Raffinationsbeihilfen für AKP-Staaten und die überseeischen Gebiete sowie das Instrument des Höchstversorgungsbedarfs langfristig abzuschaffen.

1.14

In Bezug auf die am wenigsten entwickelten Länder macht die Kommission keinerlei Vorschläge hinsichtlich der quantitativen Einfuhrregelung. Sie spricht sich dafür aus, dass der Preis für den aus diesen Ländern eingeführten Zucker nicht unter dem AKP-Mindestpreis liegen darf. In Bezug auf die Balkanstaaten sieht die Kommission die Aushandlung einer Einfuhrquote vor. Ab 2009 wird im Rahmen der Initiative „Alles außer Waffen“ Zucker aus 49 am wenigsten entwickelten Ländern zoll- und quotenfrei auf den europäischen Markt gelangen können.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (der Ausschuss) nimmt zur Kenntnis, dass aufgrund

der aus dem Jahre 2001 stammenden und an die am wenigsten entwickelten Länder gerichteten Initiative „Alles außer Waffen“, deren Auswirkungen auf den Zuckermarkt die Kommission damals nicht angemessen eingeschätzt hat,

des allgemeinen Trends, die europäischen Agrarmärkte aufgrund der WTO-Verhandlungen zunehmend zu öffnen,

der Risiken, die durch das WTO-Panel für Zucker und die Handelsverhandlungen im Rahmen der Doha-Runde auf den europäischen Zuckerausfuhren lasten, und

der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik

die Gemeinsame Marktorganisation (GMO) für Zucker nun geändert und angepasst werden muss. Folglich geht es nicht darum zu prüfen, ob eine Reform erforderlich ist, sondern zu ermitteln, welche Reform in welchem Umfang und wann erforderlich ist.

2.2

Die Kommission spricht sich für eine radikale Änderung der Zuckerregelung aus und rechtfertigt ihren Standpunkt, indem sie betont, dass sich„die Marktorganisation […] in ihrer derzeitigen Form […] oftmals heftiger Kritik ausgesetzt [sieht], wobei ihr ein mangelnder Wettbewerb, Marktverzerrungen, hohe Preise für Verbraucher und industrielle Verwender sowie ihre Auswirkungen auf den Weltmarkt und hier insbesondere auf die Entwicklungsländer vorgeworfen werden.“Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss bedauert, dass sich die Kommission auf allgemein gehaltene Kritik dieser Art stützt, ohne zu versuchen, sie anhand ernsthafter Studien auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen. Der Ausschuss verweist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahme vom 30. November 2000 (4).

2.3

Der Ausschuss stellt fest, dass der Kommissionsvorschlag den internationalen Fristen weit vorgreift und das WTO-Verhandlungsmandat untergräbt. Dies ist unbesonnen und schadet der Verteidigung der legitimen Interessen der Zuckerwirtschaft in der Europäischen Union und ihren Zulieferern mit Präferenzregelung. Durch diesen Vorgriff kann die Kommission auch nicht die Frage des außerhalb der Quoten erzeugten Zuckers behandeln.

2.4

Der Ausschuss zeigt sich besorgt über die Auswirkungen der vorgeschlagenen Preis- und Quotensenkungen auf das Volumen der Zuckerrüben- und Zuckerproduktion der Europäischen Union, auf die Einkommen zahlreicher landwirtschaftlicher Familienbetriebe, auf die Nachhaltigkeit der industriellen und kommerziellen Aktivitäten des Zuckersektors, auf die Beschäftigung in der Zuckerindustrie und im ländlichen Raum und auf die Multifunktionalität, insbesondere in den benachteiligten Regionen bzw. den Regionen in Randlage sowie in den neuen Mitgliedstaaten, in denen umfangreiche Umstrukturierungsinvestitionen erforderlich sind. Er bezweifelt, dass die Reformvorschläge der Kommission dem europäischen Agrarmodell, der Multifunktionalität und dem Grundsatz der Nachhaltigkeit Rechnung tragen, so wie dies der Europäische Rat auf seiner Tagung in Luxemburg im Dezember 1997 (5) einstimmig festgelegt hat. Zudem stehen die Reformvorschläge seiner Ansicht nach im Widerspruch zur Lissabon-Strategie, die u.a. ausdrücklich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen abzielt.

2.5

Der Ausschuss ruft die Kommission auf, gründlich und nachvollziehbar zu prüfen, in welchen Regionen die Zuckerrübenerzeugung und die Zuckerindustrie beeinträchtigt und wie viele direkte und indirekte Arbeitsplätze in Landwirtschaft und Industrie insgesamt gefährdet sein werden. Die von der Kommission im vergangenen Jahr vorgelegte Folgenabschätzung liefert nicht die erforderlichen Informationen.

2.6

Der Ausschuss glaubt nicht, dass das Ziel der von der Kommission gewählten Reformoption, nämlich durch die Senkung der Preise das Marktgleichgewicht wiederherzustellen, erreicht werden kann. Darüber hinaus wird mit dieser Option die langfristige Erhaltung eines soliden europäischen Zuckerrübenanbaus und einer soliden europäischen Zuckerindustrie nicht gewährleistet, und die europäischen Verpflichtungen gegenüber den Entwicklungsländern, die Lieferanten von Präferenzzucker sind, werden nicht eingehalten. In der Tat werden die Senkungen zahlreiche Erzeuger in den europäischen und den Entwicklungsländern vom Markt drängen und diejenigen, die überleben, beträchtlich schwächen. Gleichzeitig werden sich für Brasilien neue Teile des Weltmarkts öffnen. Dieses Land wird ab 2008/2009 im Zuge des so genannten SWAP (Dreieckshandel) mit den am wenigsten entwickelten Ländern (6) — die daraus keinerlei Nutzen für ihre landwirtschaftliche und soziale Entwicklung schlagen werden — indirekt ebenfalls eine stetig wachsende Zuckermenge nach Europa exportieren können.

2.7

Nach Auffassung des Ausschusses werden nur einige Länder, darunter insbesondere Brasilien, von einer derartigen Reform der gemeinsamen Marktorganisation für Zucker profitieren. In diesem Zusammenhang unterstreicht er, dass die Zuckerherstellung in Brasilien weitgehend von der Politik zur Förderung von Bioethanol und der Geldpolitik gestützt und unter sozialen, ökologischen und bodenrechtlichen Bedingungen vollzogen wird, die inakzeptabel sind und die Erklärung für die äußerst niedrigen Produktionskosten in Brasilien und folglich die niedrigen Preise auf dem Weltmarkt liefern.

2.8

Der Ausschuss kann folglich nicht nachvollziehen, warum die Kommission den Gedanken verworfen hat, mit den am wenigsten entwickelten Ländern Quoten für die präferenzielle Einfuhr auszuhandeln — wie diese es im Übrigen gefordert hatten. Dies würde es ermöglichen, den Interessen der ärmsten Entwicklungsländer zielgerichteter zu entsprechen und eine ausgewogenere Marktversorgung sowie ein vertretbares Preisniveau in Europa zu erreichen. Der Ausschuss macht auf den grundlegenden Widerspruch aufmerksam, dass die Kommission einerseits die radikale Reform der GMO für Zucker mit der Initiative „Alles außer Waffen“ rechtfertigt, sich andererseits jedoch weigert, dem von den am wenigsten entwickelten Ländern ausdrücklich geäußerten Wunsch nach einem Präferenzsystem mit Quoten Folge zu leisten. Der Ausschuss hält es für dringend erforderlich, Einfuhrquoten für die Balkanstaaten festzulegen.

2.9

Nach Auffassung des Ausschusses gehen die vorgeschlagenen Preis- und Quotensenkungen weit über das WTO-Mandat hinaus und sind ein wichtiger Schritt in Richtung einer vollständigen Zuckermarktliberalisierung. Entgegen dem Eindruck, den die Kommission zu vermitteln versucht, kann damit weder den Zuckerrübenerzeugern noch den Beschäftigten des Zuckersektors und den Verbrauchern in Europa eine langfristige Perspektive geboten werden.

2.10

Der Meinung der Kommission, dass die deutliche Verringerung der Zuckerpreise vor allem den Verbrauchern zugute kommen dürfte (7), kann sich der Ausschuss nicht anschließen. Wie bei den vorherigen Reformen wird diese Verringerung der Rohstoffpreissenkungen kaum bzw. überhaupt nicht weitergegeben. Dies gilt insbesondere für Verarbeitungserzeugnisse wie Limonaden und Erzeugnisse mit Zuckerzusatz (in Europa werden 75 % des Zuckers in Form von Verarbeitungserzeugnissen konsumiert). Nach Meinung des Ausschusses sollte die Kommission die Auswirkungen der Reform auf die Preise für zuckerhaltige Erzeugnisse sorgfältig überwachen.

2.11

Der Ausschuss teilt die Besorgnis der AKP-Staaten über die negativen Auswirkungen der Reformvorschläge auf das Einkommen und die Beschäftigung in den unmittelbar betroffenen Wirtschaftszweigen sowie auf das soziale Gleichgewicht und die Entwicklungsperspektiven in diesen Ländern.

2.12

Der Ausschuss weiß sehr wohl um die Risiken, die auf den europäischen Zuckerausfuhren lasten. Deshalb kann er nicht nachvollziehen, dass die für 2005 bis 2009 von der Kommission geplanten Quotensenkungen zu einer das erforderliche Maß überschreitenden Senkung der erstattungsbegünstigten Ausfuhren führen — sollte die Europäische Union in dem WTO-Panel Brasilien, Australien und Thailand unterliegen. Ganz im Gegenteil vertritt er die Auffassung, dass sich die Europäische Union mit einer geeigneten Regelung darum bemühen sollte, alle von ihr beanspruchten und ihr durch die internationalen Vereinbarungen zuerkannten Ausfuhrmöglichkeiten beizubehalten, und dass sie folglich eine geringere Quotensenkung vorschlagen sollte.

2.13

Darüber hinaus obliegt es seiner Ansicht nach der Kommission, als Ausgleich für ihre Aus- und Einfuhrinitiativen, die eine Beschränkung der Absatzmärkte für die europäischen Erzeuger nach sich ziehen, Maßnahmen zur Entwicklung alternativer Absatzmärkte, insbesondere im Biokraftstoffsektor, vorzuschlagen.

2.14

Insgesamt meint der Ausschuss, dass die Kommission die Auswirkungen ihres Vorschlags nicht angemessen abgeschätzt hat. Der Vorschlag führt dazu, dass Ressourcen des ländlichen Raums (Landwirtschaft und Erstverarbeitung) in Europa und in den Entwicklungsländern in großem Umfang auf große internationale Unternehmen der Lebensmittelbranche und des Vertriebs übergehen, und dass gleichzeitig ein beträchtlicher Teil der Zuckerindustrie in Europa und den AKP-Staaten abgebaut wird — und zwar nahezu ausschließlich zugunsten der Großgrundbesitzer, die die brasilianische Zuckererzeugung beherrschen und meist weder die grundlegenden Rechte am Arbeitsplatz (Erklärung der Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation von 1998 (8)) noch die Nachhaltigkeit (Rodung des Amazonas-Regenwaldes) berücksichtigen. Nach Ansicht des Ausschusses sollte der Zugang zum Gemeinschaftsmarkt an die Einhaltung bestimmter sozialer und ökologischer Normen gebunden sein.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss betont, dass die vom Rat einstimmig verabschiedete Verordnung 1260/2001 bis zum 1. Juli 2006 gültig ist und als Grundlage für die Verhandlungen mit den 10 neuen Mitgliedstaaten diente. Deshalb versteht er nicht, warum die Kommission vorschlägt, die Reform auf den 1. Juli 2005 vorzuverlegen, obwohl dies nicht notwendig ist. Darüber hinaus haben die Landwirte ihre Fruchtfolge für 2005/2006 bereits festgelegt und führen derzeit in einigen europäischen Ländern die Herbstaussaat von Zuckerrüben durch. Hinzu kommt, dass seit 2001 auf der Grundlage der Verordnung 1260/2001 zahlreiche Investitionen im Agrar- und Industriebereich getätigt wurden, bei denen von der Einhaltung der Gültigkeitsdauer der Verordnung ausgegangen wurde.

3.2

Deshalb fordert der Ausschuss, dass die neue Zuckerregelung frühestens am 1. Juli 2006 in Kraft tritt. Eine andere Vorgehensweise würde von den betroffenen Berufsgruppen und den neuen Mitgliedstaaten berechtigterweise als ein Missbrauch des Grundsatzes des Vertrauensschutzes aufgefasst.

3.3

Der Ausschuss stellt fest, dass der Kommissionsvorschlag offen lässt, wie die GMO nach 2008 fortgeführt werden soll. Dabei ist für die Zucker- und Zuckerrübenbranche Vorhersagbarkeit erforderlich, damit die notwendigen Umstrukturierungen und Investitionen getätigt werden können. Aus diesem Grund ersucht er die Kommission darum, eine Regelung für den Zeitraum vom 1. Juli 2006 bis zum 30. Juni 2012, dem Zieltermin der reformierten GAP, vorzuschlagen.

3.4

Nach Ansicht des Ausschusses hat die Kommission die drastische Senkung der institutionellen Preise (33 % für Zucker und 37 % für Zuckerrüben; Durchführung in zwei Schritten) nicht begründet. Aus nachprüfbaren Berechnungen geht hervor, dass eine Senkung von höchstens 20 % ausreichen würde, um den neuen Auflagen der WTO zu entsprechen. Der Ausschuss wünscht, dass sich die Kommission an diesen Prozentsatz hält. Ferner ersucht er die Kommission, dem Wunsch der am wenigsten entwickelten Länder, über präferenzielle Quoten zu verhandeln, zu entsprechen. Dies würde in den kommenden Jahren den Druck auf den europäischen Zuckermarkt deutlich verringern, und es würde den am wenigsten entwickelten Ländern zufriedenstellende Ausfuhrbedingungen sichern.

3.5

Der Ausschuss kritisiert die geringe Wirksamkeit der von der Kommission als Ersatz für die Intervention vorgeschlagenen Instrumente zur Marktverwaltung. Denn es ist abzusehen, dass die private Lagerhaltung und die obligatorische Übertragung keine Entsprechung von Marktpreis und Referenzpreis gewährleisten können.

3.6

Der Ausschuss nimmt den Vorschlag der Kommission zur Kenntnis, die Einkommenseinbußen in der Landwirtschaft durch eine Ausgleichsbeihilfe teilweise zu kompensieren. Gleichwohl unterstreicht er, dass bei einer geringeren Preissenkung bzw. der Durchführung lediglich des ersten Schrittes Haushaltseinsparungen und eine höhere Entschädigung kombiniert werden könnten, ohne dass dies den Rahmen der verfügbaren Finanzmittel sprengen würde. Der Ausschuss fragt sich, wie die nationalen Finanzierungsmöglichkeiten gerecht und praktisch aufgeteilt werden können, damit gewährleistet wird, dass die Beihilfen die von der Senkung bzw. vom Verlust der Einnahmen aus dem Zuckerrübengeschäft betroffenen Landwirte tatsächlich erreichen. Nach dem Vorbild der Empfehlungen für den Milchsektor im Rahmen der 2003 beschlossenen GAP-Reform sollte bei der Zuteilung der Ausgleichsbeihilfen die Referenzmenge berücksichtigt werden, die dem Landwirt in den letzten zwei Jahren vor dem Inkrafttreten der neuen Verordnung zuerkannt wurde. Der Ausschuss betont mit Nachdruck, dass die Nachhaltigkeit solcher Beihilfen und die Beibehaltung der für den Zuckersektor vorgesehenen Haushaltsmittel gewährleistet werden müssen.

3.7

Sollten sich Quotensenkungen als erforderlich erweisen, dann müssten sie nach Auffassung des Ausschusses auf das absolut Notwendige beschränkt werden und auf Zucker und seine der Quotenregelung unterliegenden Konkurrenzstoffe im selben Verhältnis Anwendung finden. Die von der Kommission vorgeschlagene Anhebung der Isoglucosequoten ist in diesem Zusammenhang ungerecht, weil sie die Kommission veranlasst, zu Lasten der Zuckerrübenerzeuger und der Zuckerindustrie eine noch stärkere Senkung der Zuckerquoten vorzuschlagen.

3.7.1

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass eine Entscheidung über den notwendigen Umfang jeder eventuellen Quotensenkung erst nach der Erstellung einer detaillierten Studie der Kommission getroffen werden kann, die den strukturellen Defiziten und der eventuellen Einstellung der Erzeugung von Quotenzucker sowie den Auswirkungen Rechnung trägt, die die anstehenden WTO-Vereinbarungen und das Ergebnis des Einspruchverfahrens vor dem WTO-Panel auf die Erzeugung von Zucker innerhalb und außerhalb der Quoten sowie auf die Zuckerhandelsströme zwischen der Europäischen Union und den Drittländern haben werden.

3.7.2

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Mitgliedstaaten über genügend Spielraum bei der internen Verwaltung der Quotenkürzungen — sowohl beim Zucker als auch bei den Zuckerrüben — verfügen müssen, wobei den Interessen aller betroffenen Parteien Rechnung zu tragen ist und die Kriterien der Gleichbehandlung und des gesellschaftlichen Nutzens zu beachten sind. Er ersucht daher die Kommission, diese Möglichkeit in den Vorschlägen für eine Reform und in den Rechtsvorschriften genauer anzugeben.

3.8

Die Abschaffung der Produktionserstattung für die Versorgung der chemischen und pharmazeutischen Industrie mit Quotenzucker wird sich ebenfalls negativ auf die Höhe der Zuckerquoten auswirken und einen Risikofaktor für die künftige Versorgung dieser Industrien mit Zucker darstellen. Der Ausschuss fordert deshalb die Einhaltung der gegenwärtig geltenden Regelungen.

3.9

Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Quotenübertragungen, insbesondere über die Grenzen hinweg, dazu führen könnten, dass der Zuckerrübenanbau in vielen Regionen nicht mehr rentabel würde. Solche Übertragungen hätten schädliche Folgen für die im Zuckerrübenanbau tätigen Familienbetriebe und die dortigen Arbeitsplätze sowie negative ökologische Auswirkungen bei der Fruchtfolge. Sie könnte sich ebenfalls negativ auf die Agrarmärkte für Ersatzkulturen auswirken. Der Ausschuss fordert, dass die Verwaltung der Quoten weiterhin der Kontrolle der Mitgliedstaaten unterliegt und dass jeder Umstrukturierungsbeschluss vorab Gegenstand einer Branchenvereinbarung sein muss.

3.9.1

Nach Auffassung des Ausschusses sollte die Kommission anstelle eines Quotenhandels vielmehr die Einrichtung eines europäischen Umstrukturierungsfonds für die Zuckerindustrie in Erwägung ziehen. Im Rahmen dieses Fonds würde zu Beginn der Regelung, — unter Berücksichtigung insbesondere des Umschulungsbedarfs der Landwirte und der Industriebeschäftigten und im Anschluss an eine Branchenvereinbarung zwischen dem Zuckerhersteller und den betroffenen Zuckerrübenerzeugern — für die zur Verfügung gestellten Quoten eine Entschädigung gezahlt, was die Notwendigkeit einer Quotensenkung entsprechend mindern würde.

4.   Schlussfolgerungen

4.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss leugnet nicht die Notwendigkeit, die GMO für Zucker anzupassen, ist jedoch der Auffassung, dass die Reformvorschläge zu weit gehen und ihre Umsetzung erhebliche Auswirkungen auf den europäischen Zuckersektor, insbesondere auf die Beschäftigung, hätte. Mit Bedauern stellt er fest, dass die Vorschläge nicht hinreichend begründet sind und die Folgenabschätzung nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit durchgeführt wurde.

4.2

Er fordert, den Termin für das Inkrafttreten der neuen Verordnung auf den 1. Juli 2006 zu verschieben und die Landwirte rasch darüber zu informieren, damit sie ihre Fruchtfolgen für 2005 bestätigen können.

4.3

Seiner Meinung nach muss die Regelung einen Zeitraum von mindestens 6 Jahren abdecken, um dem Sektor eine hinreichende Perspektive zu bieten.

4.4

Er fordert, dass die Union entsprechend dem Wunsch der am wenigsten entwickelten Länder Einfuhrquoten für Zucker aus diesen Ländern aushandelt. Auf jeden Fall sollten SWAP-Geschäfte verboten und Kriterien für soziale und ökologische Nachhaltigkeit sowie der Ernährungssouveränität aufgestellt werden, von deren Erfüllung der Zugang zum Gemeinschaftsmarkt abhängig sein sollte.

4.5

Er fordert die rasche Festlegung von Einfuhrquoten für die Balkanstaaten.

4.6

Seines Erachtens muss das Ausmaß der Preis- und Produktionsquotenanpassungen streng auf die internationalen Verpflichtungen beschränkt bleiben und auf alle Süßungsmittel (Zucker und seine der Quotenregelung unterliegenden Konkurrenzstoffe) im selben Umfang angewandt werden. Zucker muss im Rahmen der Doha-Entwicklungsagenda als sensibles Erzeugnis behandelt werden.

4.7

Er empfiehlt die Beibehaltung der Interventionsregelung als Instrument für die Preisgarantie.

4.8

Der Ausschuss weist darauf hin, dass der Preis des Erzeugnisses (Zuckerrübe) die Produktionskosten der Erzeuger widerspiegeln muss. Er nimmt den Vorschlag, die Erzeuger für die Einkommenseinbußen infolge der Senkung des Zuckerrübenpreises teilweise zu entschädigen, zur Kenntnis und fordert, diese Entschädigung möglichst zu erhöhen. Er unterstreicht das Erfordernis, die Nachhaltigkeit der Beihilfen sicherzustellen und die für den Zuckersektor vorgesehenen Haushaltsmittel beizubehalten.

4.9

Er fordert die Beibehaltung der geltenden Bestimmungen für die Lieferung von Quotenzucker an die chemische und pharmazeutische Industrie.

4.10

Er ist der Auffassung, dass sich die Kommission ihrer Verantwortung nicht entziehen darf und einen echten Plan für die Umstrukturierung der europäischen Zuckerindustrie ins Leben rufen muss, bei dem den Interessen der Zuckerhersteller, der Zuckerrübenerzeuger und der betroffenen Beschäftigten Rechnung getragen wird.

4.11

Er fragt die Kommission nach ihren Absichten bezüglich der Zuckererzeugung außerhalb der Quoten.

Brüssel, den 15. Dezember 2004

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  AKP: Entwicklungsländer in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean, die das Zuckerprotokoll des Abkommens von Cotonou unterzeichnet haben.

(2)  Durch private Lagerhaltung lässt sich zeitweise eine bestimmte Menge Zucker vom Markt nehmen, ohne die Quote zu verringern. Die obligatorische Übertragung ist die Lagerung einer bestimmten Menge Quotenzucker des Wirtschaftsjahrs n und ihr Transfer auf das Wirtschaftsjahr n+1 mit entsprechender Verringerung der Quoten für das Wirtschaftsjahr n+1.

(3)  In der Verordnung 1265/2001 ist für die Zucker- und Isoglucosemengen der Quote, die in der chemischen und pharmazeutischen Industrie zum Einsatz kommen (etwa 400.000 Tonnen pro Jahr), die Zahlung einer Produktionserstattung (Beihilfe zur Verringerung der Differenz zwischen dem Interventionspreis für Zucker und dem Weltmarktpreis) vorgesehen.

(4)  ABl. C 116 vom 20.4.2001, S.113-115, Stellungnahme des Ausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker : „Der Ausschuss bittet schließlich darum, in die Untersuchungen einbezogen zu werden, die die Kommission einleiten möchte, um insbesondere die beanstandeten Schwachpunkte der Zuckermarktordnung, die Konzentration in der Agrar-Nahrungsmittelindustrie und die Weitergabe der Preisänderungen zwischen Erzeugern und Verbrauchern zu analysieren.“

(5)  Schlussfolgerungen des Vorsitzes: SN 400/97, S. 14, vom 13.12.1997.

(6)  In diesem Fall: „Verkauf von brasilianischem Zucker an ein weniger entwickeltes Land, Verbrauch dieses Zuckers in dem besagten Land anstelle von einheimischem Zucker und Verkauf der so ersetzten Zuckermenge des weniger entwickelten Landes an die Europäische Union.“

(7)  Siehe Mitteilung KOM(2004) 499 endg., Anfang Ziffer 3.2 „Wirtschaftliche Auswirkungen“.

(8)  „Erklärung der ILO über die grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“, 86. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz, Genf, Juni 1998.


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