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Document 52003IE1171

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die "Regierungskonferenz 2003"

    ABl. C 10 vom 14.1.2004, p. 43–48 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

    52003IE1171

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die "Regierungskonferenz 2003"

    Amtsblatt Nr. C 010 vom 14/01/2004 S. 0043 - 0048


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die "Regierungskonferenz 2003"

    (2004/C 10/12)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss auf seiner Plenartagung am 21. Februar 2002, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Stellungnahme über die "Regierungskonferenz 2003" zu erarbeiten, und setzte gemäß Artikel 19 Absatz 1 seiner Geschäftsordnung einen Unterausschuss zur Vorbereitung der Arbeiten ein.

    Der Unterausschuss nahm den Entwurf seiner Stellungnahme am 15. September 2003 an. Berichterstatter war Herr Malosse.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 402. Plenartagung am 24. und 25. September 2003 (Sitzung vom 24. September) mit 118 gegen 7 Stimmen bei 9 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

    1. Wesentliche Empfehlungen des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für die Regierungskonferenz

    1.1. Der Entwurf eines Verfassungsvertrags ist das Ergebnis eines demokratischen, transparenten und offenen Prozesses von wegweisender Bedeutung. Im Text ist festgelegt, dass künftige Änderungen im Rahmen eines Konvents oder zumindest - bei weniger grundlegenden Änderungen - nach Anhörung des Europäischen Parlaments vorgenommen werden. Dieses Verfahren hat sich als effizient erwiesen: Der Entwurf bringt für die Bürger echte Verbesserungen in Bezug auf Verständlichkeit, Vereinfachung, Sichtbarkeit und Demokratisierung mit sich.

    1.1.1. Die Herausforderung für die Zukunft besteht darin, als ständiges Instrumentarium - zugleich aber auch im Hinblick auf eine Revision des Verfassungsvertrages - Verfahren festzulegen, die eine stärkere Beteiligung der Bürger und einen strukturierteren Dialog mit den Organisationen der Zivilgesellschaft gewährleisten. Dies ist der einzige Weg, um die Legitimierung der Union zu stärken und den auf dem Grundsatz der partizipativen Demokratie beruhenden zivilen Dialog mit Leben zu erfuellen.

    1.2. Der EWSA appelliert an die Regierungskonferenz, die im Konsensweg festgelegten Gleichgewichte und Grundprinzipien des Entwurfs eines Verfassungsvertrages, der dem Vorsitz der Union am 18. Juli 2003 überreicht wurde, nicht mehr in Frage zu stellen.

    1.3. In Anbetracht der auf europäischer und nationaler Ebene zu erwartenden Debatten empfiehlt der EWSA den zur Regierungskonferenz entsandten Vertretern, die entsprechenden Ergänzungen, Präzisierungen und Klarstellungen vorzunehmen, um das Vertrauen und die Beteiligung der Bürger und der Organisationen der Zivilgesellschaft zu stärken:

    - durch eine genauere Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Union und eine bessere wirtschaftspolitische Zusammenarbeit in der Euro-Zone;

    - durch eine stärkere demokratische Legitimierung der Wirtschafts-, Sozial- und Geldpolitik der Union über eine verstärkte Einbindung des Europäischen Parlaments und des EWSA;

    - durch eine Neudefinierung der Prioritäten und eine Vereinfachung der Instrumente der Politik des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts;

    - durch eine Demokratisierung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sowie durch eine Verbesserung ihrer Kohärenz und Effizienz;

    - durch eine genauere Festlegung des Anwendungsbereichs und der Anwendungsmodalitäten für den Grundsatz der partizipativen Demokratie, damit der zivile Dialog und die Aufgaben des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses in diesem Bereich konkreter gestaltet werden können;

    - durch eine Ausweitung der obligatorischen Befassung des EWSA auf die Bereiche gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik, Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung und Kultur;

    - durch die Anerkennung der Rolle der organisierten Zivilgesellschaft bei der Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie durch das Einräumen eines Klagerechts vor dem Europäischen Gerichtshof für den EWSA.

    2. Globale Bewertung des Entwurfs eines Verfassungsvertrags

    2.1. Allgemeine Bemerkungen

    2.1.1. Der Entwurf eines Vertrags über eine Verfassung für Europa, der am 18. Juli 2003 der Präsidentschaft des Europäischen Rates übergeben wurde, ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg der europäischen Einigung. Er ist das Ergebnis eines demokratischen, transparenten und offenen Prozesses und wurde durch die positiven Erfahrungen mit einem ersten Konvent inspiriert, der die Charta der Grundrechte der EU formulierte.

    2.1.2. Der Europäische Konvent, der den Entwurf eines Verfassungsvertrags erarbeitete, war ein legitimes Organ, das sich ganz überwiegend (zu beinahe zwei Dritteln) aus Parlamentsabgeordneten (des Europäischen Parlaments sowie der Parlamente der Mitgliedstaaten und Beitrittskandidaten) zusammensetzte. Daneben war die Teilnahme von Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission als Hüterin der Verträge ebenfalls völlig legitim angesichts des besonderen Charakters der EU als einer Union der Staaten und einer Union der Völker. Die Tatsache, dass Vertreter der Sozialpartner, des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, der Regionen durch den Ausschuss der Regionen und der Bürgerbeauftragte als Beobachter anwesend waren, hat den repräsentativen Charakter des Konvents unterstrichen, auch wenn er durch ihre Teilnahme als Vollmitglieder noch an Legitimität gewonnen hätte.

    2.1.3. Der Konvent stand generell im Zeichen der Transparenz, und alle interessierten Bürger hatten, so weit wie möglich, Zugang zu seinen Arbeiten und Dokumenten, wenn auch die Arbeitsweise des Konvents noch verbesserungsfähig ist. Der Konvent begann seine Arbeit mit einer Phase des "Zuhörens", in der Vertreter der Zivilgesellschaft und der Jugend ihre Standpunkte vortragen konnten. Die Art und Weise, in der diese Konsultationen organisiert waren, hat nicht wirklich alle zu Wort kommen lassen und auch keine tiefer gehenden Debatten erlaubt, aber dieser Ansatz eines Dialogs könnte das Vorbild für eine wirklich partizipative Demokratie abgeben, in der "das europäische Projekt und die europäischen Organe dem Bürger näher gebracht" werden, wie in der Erklärung von Laeken angestrebt wurde. Die Phase des Zuhörens und das Bemühen um Transparenz wurden vom EWSA abgerundet und durch eigene Initiativen weiter mit Inhalt gefuellt, insbesondere durch gemeinsam mit dem Präsidium des Konvents veranstaltete regelmäßige Informations- und Dialogtreffen mit den europäischen Organisationen und Netzen der Zivilgesellschaft, seine gemeinsam mit den nationalen Wirtschafts- und Sozialräten und vergleichbaren Einrichtungen durchgeführten Arbeiten und auch durch Schritte zur Einbindung der Organisationen der Zivilgesellschaft der Beitrittsländer.

    2.1.4. Der Konvent war auch deshalb ein Erfolg, weil es ihm nach dem Konsensprinzip arbeitend gelang, fristgerecht einen vollständigen, ausgewogenen Entwurf abzuliefern, der den Anforderungen, die der Europäische Rat von Laeken am 14. und 15. Dezember 2001 gestellt hatte, gerecht wird. Er hat seine eigene Dynamik geschaffen, was ihm ebenfalls eine weite Auslegung der in der Erklärung von Laeken verwendeten Begriffe ermöglicht hat.

    2.1.5. Der Konvent hat auch als Integrator gegenüber den einzelstaatlichen Parlamenten gewirkt, die bisher im Vorfeld der großen europäischen Debatten weitgehend ausgeschlossen waren. Er hat auch der Einbindung der Beitrittsländer gedient, die sich durchaus gleichberechtigt mit den Mitgliedstaaten an den Arbeiten beteiligt haben; nur über ein Stimmrecht verfügten sie nicht, das im Konvent ohnehin nie ausgeübt wurde.

    2.1.6. Die Regierungskonferenz kann sich auf einen legitimen, glaubwürdigen Entwurf eines Verfassungsvertrags stützen, der derzeit öffentlich zugänglich und den Bürgern bekannt gemacht wird. Diese Situation, in der der demokratische Prozess der diplomatischen Arbeit vorangeht, ist einmalig. Dabei ist die Regierungskonferenz nur ein Schritt vor der letzten, doch grundlegenden Phase der Ratifizierung des Vertrags über eine Verfassung für Europa per Referendum oder durch Parlamentsentscheid in jedem Mitgliedstaat. Dabei handelt es sich erstmals um einen Verfassungstext, durch den die Bürger der EU wirklich die Möglichkeit zur Mitgestaltung einer gemeinsamen Zukunft erhalten haben.

    2.1.7. Eines der Ziele des Entwurfs eines Verfassungsvertrags ist eine besser verständliche Vision der Rolle und der Ziele der Union, der sich die Völker Europas anschließen können. Das kann jedoch nur erreicht werden, wenn es den Institutionen der Union, einschließlich des EWSA, gelingt, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen und zu erhalten.

    2.1.8. Der EWSA begrüßt den vom Konvent erarbeiteten Entwurf eines Verfassungsvertrags. Er hatte dem Konvent seine Prioritäten in einer Entschließung vom September 2002(1) mitgeteilt und durch seine drei Beobachter Roger Briesch, Göke Frerichs und Anne-Marie Sigmund(2) aktiv mitgearbeitet. Nach Ansicht des Ausschusses sollte es die Regierungskonferenz im Namen der Effizienz und der Demokratie unterlassen, die allgemeine Ausgewogenheit des Entwurfs anzutasten. Der EWSA fordert ferner, dass die Regierungskonferenz durch die Errichtung eines Systems zur Konsultation und Information der organisierten Zivilgesellschaft auf europäischer und nationaler Ebene Transparenz walten lässt.

    2.1.9. Der EWSA hält es gleichwohl für legitim, in Bezug auf den Entwurf des Verfassungsvertrags noch zwei Kernfragen aufzuwerfen:

    - Wird der Verfassungsentwurf den Erwartungen der Bürger gerecht, wie sie in der Erklärung von Laeken formuliert wurden und wie sie der EWSA mit der Sachkenntnis seiner Mitglieder (die die wichtigsten einzelstaatlichen Organisationen der Zivilgesellschaft vertreten) und anlässlich zahlreicher von ihm organisierter Konferenzen, Anhörungen und Zusammenkünfte ermitteln konnte?

    - Kann der Entwurf eines Verfassungsvertrags noch weiter verbessert werden, ohne die allgemeine Ausgewogenheit des Entwurfs anzutasten?

    2.2. Mehrwert des neuen Verfassungsvertrags für die Bürger

    Eigentliche Verfassungsbestimmungen und Charta der Grundrechte (Teil I und II des Entwurfs)

    2.2.1. Mit dem Vertragsentwurf hat sich Europa zum ersten Mal klar zu der Zielsetzung bekannt, "im Namen der Bürgerinnen und Bürger und der Staaten Europas" eine politische Union zu schaffen. Besonders wichtig und begrüßenswert ist, dass Teil I (Artikel 2, 3 und 4) eine klare Definition der Ziele und Werte der Union enthält. Der EWSA, der mit Änderungsanträgen einen Beitrag geleistet hat, hält die Formulierung dieser Artikel für ausgewogen. Bei dem in Artikel I-3 aufgeführten Ziel des sozialen Schutzes sollte allerdings die ursprüngliche Formulierung "ein hohes Maß an sozialem Schutz" beibehalten werden. Die Aufnahme der Europäischen Charta der Grundrechte in Teil II ist als unbestreitbarer Erfolg der Zivilgesellschaft zu werten. Auf sie können sich die Bürger der EU vor jedem einzelstaatlichen Gericht in Fragen der Umsetzung der Gemeinschaftspolitik berufen.

    2.2.2. Der Verfassungsentwurf hat nicht nur den Charakter einer Verfassung, die das kollektive Bewusstsein prägen muss, sondern er ist auch verständlicher, lesbarer und einfacher als die bestehenden Verträge. Die Verschmelzung der drei früheren Säulen und die Einheitlichkeit der Bezeichnung, auch wenn der Wegfall des einigenden Begriffs der Gemeinschaft bedauert werden kann, werden es den Bürgern sicher einfacher machen, sich mit der Union zu identifizieren. Die Bürger können aus dem Vertragsentwurf die ausschließlichen und geteilten Zuständigkeiten und Koordinierungsaufgaben der Union ersehen und somit feststellen, welche Zuständigkeiten auch weiterhin von der nationalen, regionalen oder lokalen Ebene ausgeübt werden. Der neue Vertrag ist, insbesondere in Teil I und II, leicht lesbar. Der EU-Jargon ist zwar immer noch spürbar, aber an vielen Stellen durch Ausdrücke ersetzt worden, die für die Bürger besser verständlich sind, z. B. Europäische Gesetze statt Verordnungen oder Europäische Rahmengesetze statt Richtlinien. Deutlichere oder neue Bestimmungen über die Aussetzung der mit der Zugehörigkeit zur Union verbundenen Rechte, die Möglichkeit eines freiwilligen Austritts aus der Union oder die Klausel betreffend die politische Solidarität sind ein deutlicher Ausdruck des von allen mitgetragenen und akzeptierten Engagements, gemeinsam auf dem Weg in die Zukunft voranzuschreiten.

    2.2.3. Der Vertragsentwurf verbessert den Auftritt der Union nach außen. Der Grundsatz einer festen Präsidentschaft im Rat, ohne das institutionelle Gleichgewicht zu gefährden, und die Schaffung des Postens eines Außenministers der Union können dazu beitragen, der Politik der Union ein Gesicht zu geben. Die Einführung eines speziellen Artikels betreffend die Symbole der Union in Teil IV des Vertragsentwurfs entspricht ebenfalls dem Wunsch, dem Bürger die Identifizierung mit der Union und ihren Werten zu erleichtern. Die Errichtung einer unabhängigen Behörde, die den Schutz personenbezogener Daten kontrollieren soll (Teil I, Artikel 50), entspringt ferner dem Bemühen um eine stärkere Transparenz gegenüber den Bürgern.

    2.2.4. Für die Stärkung der demokratischen Legitimierung der Union und die Effizienz des Beschlussfassungsprozesses bringt der Vertragsentwurf erhebliche Fortschritte. Die den einzelstaatlichen Parlamenten zugewiesenen Zuständigkeiten ("Frühwarnung", Klagerecht) können sowohl als Ausdruck des Bemühens begriffen werden, stärker auf die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips zu achten, als auch als Mittel zur Einbeziehung der nationalen Parlamente in den europäischen Prozess. Die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission durch das Europäische Parlament und die Stärkung seiner Befugnisse in der Runde des Kollegiums werden die Legitimierung dieses Organs erhöhen, das ein Motor der Integration und die Hüterin der Gemeinschaftsmethode ist. Der Kompetenzzuwachs des Europäischen Parlaments wird dazu beitragen, dass die Bürgerinnen und Bürger seine Bedeutung stärker wahrnehmen. Die Ausweitung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit, und parallel dazu die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens, dürfte dazu beitragen, den Beschlüssen und Maßnahmen der Union Legitimität zu geben und sie effizienter zu gestalten.

    2.2.5. Der künftige Vertrag enthält einen vollkommen neuen Titel (Teil I, Titel VI) über das demokratische Leben der Union. Darin sind die Grundsätze der repräsentativen und der partizipativen Demokratie, die Rolle der Sozialpartner und des autonomen sozialen Dialogs, die Aufgaben des Europäischen Bürgerbeauftragten und das Prinzip der Transparenz festgelegt. Dieser Titel sieht auch die Einführung eines Petitionsrechtes mit einer Mindestschwelle von einer Million Bürgerinnen und Bürgern vor, was als bemerkenswerter Fortschritt für die Zivilgesellschaft angesehen werden kann, sofern die Umsetzungsbestimmungen eine effektive Ausübung dieses Rechtes ermöglichen (Artikel 46 Absatz 4). Der mit Kirchen, weltanschaulichen und nichtreligiösen Gemeinschaften zu führende Dialog ist ein Beleg dafür, dass sich die Union stärker den Anliegen der Gesellschaft öffnen will (Artikel 51).

    2.2.5.1. Der EWSA begrüßt vor allem, dass im Verfassungsentwurf das Bestehen der partizipativen Demokratie als wesentlicher Bestandteil des europäischen Gesellschaftsmodells anerkannt wird. Um die Union stärker demokratisch zu legitimieren, genügt es nämlich nicht, die Befugnisse und Zuständigkeiten der Organe genau festzulegen - auch die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft muss rundum sichergestellt werden. Die Mitwirkung der aktiven und engagierten Bürger ebenso wie der Organisationen, die ihnen Stimme und Handlungsraum geben, ist nämlich unverzichtbar für die Verwirklichung des ehrgeizigen Ziels, Europa zu einem Raum der Freiheit, der Demokratie, der Sicherheit und des Rechts zu machen.

    Politikbereiche und Arbeitsweise der Union (Teil III des Entwurfs)

    2.2.6. In Teil III, in dem es um die Politikbereiche und die Arbeitsweise der Union geht, bringt der Vertrag wesentliche Fortschritte im Hinblick auf die Demokratisierung (Ausweitung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit, Einbindung des Europäischen Parlaments und des Gerichtshofes) des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts.

    2.2.6.1. Demgegenüber ist zu bedauern, dass trotz der Verschmelzung der drei Säulen besondere Bestimmungen für die Durchführung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beibehalten werden, trotz einiger Fortschritte und der Perspektive eines gemeinsamen diplomatischen Dienstes. Die Einstimmigkeit bleibt die allgemeine Regel, und für die Beteiligung der Bürger und der Akteure der Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene ist kein Platz. Die Bestimmungen zur gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik sollten daher eine Bestimmung für die Konsultation der Vertreter der Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene umfassen. Dies ist umso wichtiger, als sich dadurch die Wirksamkeit und Legitimität des Handelns der EU in diesen Bereichen gewährleisten lässt. Der EWSA regt an, diese Frage eingehend zu untersuchen und im Rahmen der Regierungskonferenz zu überprüfen, ohne dass die grundlegenden Gleichgewichte des Entwurfs in Frage gestellt werden.

    2.2.7. Der EWSA freut sich über das klare Bekenntnis zum wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt, an dem ihm sehr gelegen ist, und unterstützt die Grundsätze, auf denen die Politik der Union in diesem Bereich aufbaut. Er betont, dass diese Politik in erster Linie darauf gerichtet sein muss, den am stärksten benachteiligten Ländern und Regionen bei der Entwicklung ihrer Human-, Kultur- und Naturressourcen zu helfen, um Chancengleichheit herzustellen. Im Hinblick auf die Erweiterung und die Schaffung einer wissensbasierten Wirtschaft sind eine Neufestlegung der Prioritäten und eine Vereinfachung der Umsetzungsmodalitäten geboten. Dazu hat der Ausschuss den Vorschlag eines einheitlichen Interventionsfonds für den territorialen Zusammenhalt gemacht(3). In diesem Sinne kann er die in Teil III Artikel 119 vorgesehene mögliche Neuordnung der für Strukturmaßnahmen bestehenden Fonds folglich nur begrüßen.

    2.2.8. Er begrüßt darüber hinaus die Einführung einer neuen Bestimmung betreffend die Bedeutung der Dienstleistungen von allgemeinem Interesse für die Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts der Union. Die Förderung eines hohen Niveaus für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse hätte indes auch Gegenstand der Zielbestimmungen in Artikel I-3 sein müssen.

    2.2.9. In einigen Abschnitten des Verfassungsentwurfs hätte auch ein größerer Schritt voran getan werden können. So sind in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Beschäftigung und nachhaltige Entwicklung nur bescheidene Fortschritte zu verzeichnen. Der Ausschuss ist jedoch erfreut, dass die Vollbeschäftigung und eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft ausdrücklich als Ziele der Union genannt werden, weist jedoch darauf hin, dass dies auch in den entsprechenden Artikeln in Teil III deutlich formuliert werden müsste; außerdem müsste seines Erachtens in den einschlägigen Artikeln des Vertragsentwurfs klarer ausgeführt werden, dass die Wirtschafts- und Geldpolitik zur Verwirklichung des Ziels des Wachstums und der Vollbeschäftigung beitragen muss.

    2.2.10. Im Bereich der Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik bringen die vorliegenden Vorschläge im Vergleich zu den gegenwärtigen Bestimmungen und zur gegenwärtigen Praxis nur wenig Neues, insbesondere in Bezug auf die wirtschaftspolitische Zusammenarbeit in der Euro-Zone. Die Hoffnungen der Bürger richten sich aber zum großen Teil auf das Konzept eines umfassenden Entwurfs einer Gesellschaft, die dauerhaft Wachstum und Beschäftigung erzeugt. Diese hohe Erwartungshaltung, die den ehrgeizigen Zielen entspricht, die sich die Union auf dem Gipfeltreffen von Lissabon im März 2000 gesetzt hat, ist in großem Maße auch in den Zivilgesellschaften der Kandidatenländer anzutreffen, wie der EWSA in Umfragen und Zusammenkünften, die er organisiert hat, feststellen konnte. Der EWSA hat selbst konkrete Vorschläge für Entscheidungsstrukturen im Wirtschafts- und Sozialbereich gemacht(4).

    2.2.11. Das Vorhandensein eklatanter Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt beeinträchtigt seinen Zusammenhalt und schwächt seine Dynamik zur Erreichung der Ziele von Lissabon. Die Ausweitung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit würde daher eine wirkliche Aussicht auf Konvergenz in einem erweiterten Europa eröffnen. Was die Fragen der Steuerpolitik betrifft, könnte bezüglich des Problems der Einstimmigkeit auf das Verfahren der verstärkten Zusammenarbeit zurückgegriffen werden, das es einer Gruppe von Mitgliedstaaten erlauben würde, Pionierarbeit gemäß den Gemeinschaftsregeln zu leisten, ohne dass daraus Wettbewerbsverzerrungen entstehen könnten.

    3. Verbesserung des Entwurfs eines Verfassungsvertrags so, dass er von den Unionsbürgern stärker mitgetragen wird: Vorschläge des EWSA

    3.1. Genauere Festlegung des Anwendungsbereichs und der Anwendungsmodalitäten für den Grundsatz der partizipativen Demokratie (Teil I Artikel I-46)

    3.1.1. Der Grundsatz der partizipativen Demokratie ist angesichts der Forderung des Europäischen Rates von Laeken, dem Bürger das europäische Projekt und die europäischen Organe näher zu bringen, von besonderer Wichtigkeit. In Treffen, Konferenzen und Anhörungen, die der Ausschuss parallel zu den Arbeiten des Konvents veranstaltet hat, konnte er feststellen, dass sowohl in den Mitgliedstaaten und Beitrittsländern als auch in den großen europaweiten Netzwerken der Zivilgesellschaft sehr große Erwartungen in den Verfassungsentwurf gesetzt worden waren und sich nun eine gewisse Enttäuschung darüber breit macht, dass er hierzu abgesehen von Grundsatzerklärungen so wenig enthält.

    3.1.2. Artikel I-46 des Entwurfs eines Verfassungsvertrags ist zwar ein ganz wesentlicher Fortschritt, wird aber doch den Erwartungen und Forderungen des EWSA und der Organisationen der Zivilgesellschaft nicht gerecht. Der Grundsatz der partizipativen Demokratie impliziert nämlich nicht nur die Anhörung, sondern auch die aktive Beteiligung sämtlicher repräsentativer Akteure der organisierten Zivilgesellschaft: und zwar einerseits in einem frühen Stadium der Politikbildung und der Beschlussfassungsvorbereitung und andererseits an der Umsetzung und Überwachung der Maßnahmen.

    3.1.3. Der Ausschuss bedauert in diesem Zusammenhang das Fehlen geeigneter Bestimmungen, um diesen Grundsatz umzusetzen und das Vertrauen der europäischen Zivilgesellschaft in eine wirklich partizipative Arbeitsweise der Union zu stärken. Der zivile Dialog ist dadurch, dass er die Partizipation der unmittelbar Betroffenen ermöglicht, ein Schlüsselelement für die Erhöhung der demokratischen Legitimität der Europäischen Union. Damit dieser zivile Dialog auch tatsächlich wirkungsvoll sein kann, muss jedoch auch genau festgelegt werden, in welchem Rahmen und wo er stattfinden soll. Der EWSA kann aufgrund seiner Zusammensetzung und seines Aufgabenbereichs als Moderator und institutionelles Forum für den zivilen Dialog wirken. Daher ersucht der Ausschuss um eine Änderung, die keine tieferen Einschnitte in den Entwurf des Verfassungsvertrags erfordern würde:

    - Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss, der künftig vorzugsweise die Bezeichnung "Europäischer Wirtschafts- und Sozialrat" tragen sollte, sollte in die Auflistung der Organe der Union aufgenommen werden, die den "institutionellen Rahmen" der Union bilden (Teil I Artikel I-18 Absatz 2).

    Aufgrund seiner spezifischen Merkmale und der Aufgaben, die ihm im institutionellen Gefüge der Gemeinschaft zugewiesen sind, trägt der EWSA umfassend zur Verwirklichung der Ziele der Union und zu ihrer stärkeren demokratischen Legitimierung im allgemeinen Interesse der Union und der Mitgliedstaaten bei.

    Hierdurch würde auch Artikel 46 Absatz 2 besser entsprochen, der besagt: "Die Organe der Union pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft."

    Dieser Dialog- und Konsultationsprozess im Rahmen der Gestaltung der europäischen Politik muss jedoch auf alle territorialen Ebenen ausgedehnt werden.

    - Es sollte ein Artikel III-297 folgenden Wortlauts aufgenommen werden, um den Auftrag des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses klar zu definieren:

    "Im Rahmen seiner beratenden Funktion, die ihm durch Artikel I-31 der Verfassung übertragen wird, nimmt der Europäische Wirtschafts- und Sozialrat folgende Aufgaben wahr:

    - er unterstützt die gesetzgebenden und ausführenden Organe der Union bei der Ausgestaltung der Politik und der Beschlüsse sowie bei deren Umsetzung;

    - er unterstützt die Europäische Union auf das gemeinsame Ersuchen der Sozialpartner hin und unter Achtung ihrer Autonomie bei der Organisation des sozialen Dialogs;

    - er erleichtert gemäß den in Artikel I-46 (Absatz 1 und 2) aufgestellten Grundsätzen den Dialog zwischen der Union und den repräsentativen Verbänden der Zivilgesellschaft;

    - er begleitet das außenpolitische Handeln der Union, indem er einen Dialog mit den Organisationen der Zivilgesellschaft von Drittländern und außereuropäischen Staatengruppen unterhält."

    3.1.4. Darüber hinaus ist die effektive Berücksichtigung der Stellungnahmen des EWSA (der beratenden Stellungnahmen, Sondierungsstellungnahmen und Initiativstellungnahmen) von grundlegender Bedeutung, um im Rahmen einer wirklich partizipativen Demokratie Effizienz zu gewährleisten. Der EWSA schlägt daher vor, Artikel III-298 wie folgt zu ergänzen:

    "Die Organe übermitteln dem Ausschuss regelmäßige Berichte über die Berücksichtigung seiner Stellungnahmen."

    3.2. Ausweitung der Bereiche der repräsentativen und partizipativen Demokratie

    3.2.1. Der EWSA bedauert, dass in einem für das tägliche Leben der Bürger so wichtigen Bereich wie der Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik keine Bestimmungen für die Beteiligung und Konsultation der Bürger - über das Europäische Parlament und die Organisationen der Zivilgesellschaft - über den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss - vorgesehen wurden. Dieses Versäumnis sollte auf der Regierungskonferenz behoben werden, indem die Konsultation des Europäischen Parlaments und des EWSA zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten vorgesehen wird (Artikel III-71).

    3.2.2. Die Anwendung der "Methode der offenen Koordinierung" wurde auf neue Bereiche ausgeweitet: Sozialpolitik, Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, Forschung und Gesundheitswesen. Es ist jedoch zu bemängeln, dass geeignete Bestimmungen zur Gewährleistung einer wirksamen Beteiligung des Europäischen Parlaments und der einzelstaatlichen Parlamente, des EWSA, der Sozialpartner und anderer Akteure der Zivilgesellschaft in den sie jeweils betreffenden Bereichen fehlen.

    3.2.3. Die obligatorische Befassung des EWSA sollte in Anbetracht seiner Zusammensetzung und des Sachwissens seiner Mitglieder auf folgende Bereiche ausgeweitet werden:

    - Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung (Artikel III-7)

    - Gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik (Artikel III-167 und III-168)

    - Kultur (Artikel III-181)(5).

    Hierdurch könnte dem Wunsch der Union nach einer Stärkung der demokratischen Legitimierung der Gemeinschaftspolitik in den Bereichen, die für die Unionsbürger und die Organisationen der Zivilgesellschaft von besonderer Bedeutung sind, konkret Rechnung getragen werden.

    3.3. Die organisierte Zivilgesellschaft und das Subsidiaritätsprinzip

    3.3.1. Die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips ist eine der im Konvent am heftigsten debattierten Fragen. Sie war eine der Forderungen des Europäischen Rates von Laeken. Im Entwurf eines Verfassungsvertrags wird den nationalen Parlamenten zu Recht eine Rolle bei der Überwachung der Subsidiarität eingeräumt. Auch der Ausschuss der Regionen wird daran beteiligt, der in Bezug auf Gesetzgebungsakte, für deren Annahme seine Anhörung nach der Verfassung vorgeschrieben ist, Klage erheben kann, ohne jedoch den Status eines Organs zu besitzen.

    3.3.2. Im Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ist festgelegt, dass umfangreiche Anhörungen durchgeführt werden müssen, bevor ein Gesetzgebungsakt vorgeschlagen wird. In diesem Protokoll, das den nationalen Parlamenten das Recht auf Auslösung eines Frühwarnsystems und den Mitgliedstaaten ein Klagerecht (gegebenenfalls im Namen ihrer nationalen Parlamente) einräumt, wird jedoch die Rolle der insbesondere vom EWSA vertretenen Organisationen der Zivilgesellschaft bei der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips ungeachtet des Artikels I-46 über die partizipative Demokratie völlig übergangen.

    3.3.3. Ebenso wie regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften steht es auch den Akteuren der Zivilgesellschaft an, bestimmte Vorschläge für Rechts- oder Verwaltungsvorschriften als Eingriff in ihren Zuständigkeitsbereich aufzufassen; dies gilt sowohl für die Sozialpartner im Rahmen ihrer vertraglichen Beziehungen als auch für alle anderen Akteure der Zivilgesellschaft im Rahmen alternativer Regelungsformen (Koregulierung, Selbstregulierung, Verhaltenskodizes usw.), die die Rechtsetzung ergänzen oder auch ersetzen können. Die Europäische Kommission hat in ihrem Weißbuch "Europäisches Regieren"(6) selbst darauf hingewiesen, dass diese neuen Organisationsformen der Gesellschaft, die nicht nur Bestandteil einer funktionalen Subsidiarität sind, sondern außerdem eine bessere Berücksichtigung der Anliegen und Erwartungen der Bürger und ein effizienteres Handeln der Union gewährleisten, in Zukunft sehr an Bedeutung gewinnen werden.

    3.3.4. Der EWSA schlägt daher vor:

    - zum einen das Protokoll über die Anwendung der Grundsätze des Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechend zu ergänzen und

    - zum andern - zwecks Gleichbehandlung mit dem Ausschuss der Regionen - dem Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss ein Klagerecht vor dem Gerichtshof in Bezug auf Gesetzgebungsakte einzuräumen, für deren Annahme seine Anhörung nach der Verfassung vorgeschrieben ist, und hierzu Artikel III-270 Absatz 3 des Entwurfs eines Verfassungsvertrags entsprechend zu ändern.

    Würde der Ausschuss zu den Organen der Union zählen, so würde er dieses Klagerecht automatisch besitzen.

    Brüssel, den 24. September 2003.

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Roger Briesch

    (1) Entschließung des EWSA vom 19. September 2002 an die Adresse des Europäischen Konvents, verabschiedet auf der Plenartagung am 18. und 19. September 2002, ABl. C 61 vom 14.3.2003.

    (2) Stellvertreter: Jan Olsson, Giacomo Regaloto (für John M. Little ab September 2002) und Mario Sepi (für Gianny Vimay ab September 2002).

    (3) Siehe Sondierungsstellungnahme des EWSA vom 25. September 2003 zum Thema "Der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt: Wettbewerbsfähigkeit der Regionen, Governance und Zusammenarbeit" (Sondierungsstellungnahme) - CESE 1178/2003.

    (4) Siehe Initiativstellungnahme des EWSA vom 12. Dezember 2002 "Wirtschaftliches Regieren in der EU".

    (5) Der Ausschuss hebt hervor, dass sich der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel I-31 des Entwurfs eines Verfassungsvertrags aus Vertretern der Organisationen der Zivilgesellschaft gerade auch aus dem kulturellen Bereich. zusammensetzt. Daher sollte konsequenterweise die Anhörung des Ausschusses in diesem Bereich vorgesehen werden.

    (6) KOM(2001) 428 endg. vom 25.7.2001.

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