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Document 52003AE1164

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Konkrete Anwendung der Richtlinie 94/45/EG über Europäische Betriebsräte und eventuell überprüfungsbedürftige Aspekte"

ABl. C 10 vom 14.1.2004, p. 11–18 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

52003AE1164

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Konkrete Anwendung der Richtlinie 94/45/EG über Europäische Betriebsräte und eventuell überprüfungsbedürftige Aspekte"

Amtsblatt Nr. C 010 vom 14/01/2004 S. 0011 - 0018


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Konkrete Anwendung der Richtlinie 94/45/EG über Europäische Betriebsräte und eventuell überprüfungsbedürftige Aspekte"

(2004/C 10/05)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wurde am 26. November 2002 in einem Schreiben von Loyola de Palacio, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um eine Stellungnahme zum vorgenannten Thema ersucht.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. September 2003 an. Berichterstatter war Herr Piette.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 402. Plenartagung am 24. und 25. September 2003 (Sitzung vom 24. September) mit 122 gegen 1 Stimme bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

GEGENSTAND DER STELLUNGNAHME

Aufgrund der Forderung des EWSA nach einer stärkeren Einbeziehung in die Tätigkeiten der Union im Bereich der Sozialpolitik und im Einklang mit dem Kooperationsabkommen zwischen Kommission und EWSA hat die Kommission den Ausschuss um eine Sondierungsstellungnahme zur konkreten Anwendung der Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftsweiten Unternehmen und Unternehmensgruppen sowie zu eventuell überprüfungsbedürftigen Aspekten ersucht. Diese Stellungnahme könnte der Kommission sehr dabei helfen, im Laufe des Jahres 2003 eine fundierte Entscheidung darüber zu treffen, wie sie der Forderung einiger Akteure und insbesondere des Europäischen Parlaments nach Überprüfung der Richtlinie 94/45/EG nachkommen wird. Die Sozialpartner können sich mithilfe dieser Stellungnahme auf eine Bestandsaufnahme und objektive und unstrittige Argumente stützen, ohne dass dies ihre Autonomie beeinträchtigen und ihrer Entscheidung in dieser Frage vorgreifen würde.

Zweck dieser Stellungnahme ist es somit vor allem, Informationen zusammenzutragen und eine Bilanz der bei der Anwendung der Richtlinie gemachten Erfahrungen zu ziehen.

1. Der durch die Richtlinie 94/45/EG vorgegebene allgemeine Rahmen und seine Überprüfung

1.1. Die vom Ministerrat am 22. September 1994 verabschiedete Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer, die durch die Richtlinie 97/74/EG des Rates vom 17. Dezember 1997 auf das Vereinigte Königreich ausgedehnt wurde, war ein entscheidender Schritt in der Entwicklung eines wirklich gemeinschaftsweiten sozialen Dialogs auf Unternehmensebene, der der länderübergreifenden Struktur bestimmter Unternehmen und Unternehmensgruppen angemessen ist.

Dieses neue, wirklich länderübergreifende Instrument hat einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der europäischen Dimension der Arbeitgeber-/Arbeitnehmerbeziehungen geleistet.

1.2. Die Mitgliedstaaten sollten die Richtlinie spätestens zum 22. September 1996 (15. Dezember 1999 im Falle der Richtlinie 97/74/EG) in nationales Recht umsetzen(1). Der zentralen Unternehmensleitung und der Arbeitnehmervertretung wurde dieselbe Frist zur Aushandlung freiwilliger Vereinbarungen gemäß Artikel 13 der Richtlinie eingeräumt. Da diese Richtlinie insofern sehr komplex und innovativ war, als sie zwischen spezifisch gemeinschaftsweiten und einzelstaatlichen Aspekten differenziert, ist die Koordinierung der Umsetzung in einzelstaatliches Recht von entscheidender Bedeutung, um bei den Bestimmungen ein hohes Maß an inhaltlicher Konvergenz zu erzielen.

1.3. Die Kommission war nach Artikel 15 der Richtlinie 94/45/EG verpflichtet, deren Anwendung spätestens zum 22. September 1999 zu überprüfen, um dem Rat erforderlichenfalls entsprechende Änderungen vorzuschlagen.

1.4. Die bis zum vorgenannten Termin gesammelten konkreten Erfahrungen mit den Verhandlungen und der Arbeit der europäischen Betriebsräte sollten ausreichen, die Überprüfung zu ermöglichen, obwohl es sich um ein völlig innovatives Verfahren handelte.

1.5. Diese Überprüfung sollte von der Kommission "im Benehmen mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern auf europäischer Ebene" durchgeführt werden.

1.6. Gegenstand der Überprüfung sollten die Anwendung der Richtlinie - mithin alle Aspekte, die die Einsetzung und Arbeitsweise der europäischen Betriebsräte betreffen - sowie die Zweckmäßigkeit der Schwellenwerte für die Beschäftigungszahl sein.

1.7. Im Anschluss an die Überprüfung und eine Konferenz mit den Sozialpartnern im April 1999 übermittelte die Kommission am 4. April 2000 ihren Bericht über die Anwendung der Richtlinie dem Parlament und dem Rat. Im Mittelpunkt des Kommissionsberichts stand die Bewertung der Maßnahmen der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht, beinhaltet daneben aber auch eine Beurteilung der praktischen Anwendung der Richtlinie. Die Kommission stellte fest, dass ungeachtet dessen, wie gut die Umsetzung in einzelstaatliche Vorschriften in den verschiedenen Staaten vollzogen worden war, bestimmte Punkte der Richtlinie Auslegungssache blieben. In diesem Bericht wies sie außerdem darauf hin, dass die Klärung dieser Fragen entweder den betroffenen Parteien selbst oder den Gerichten obliegt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Kommission also noch nicht endgültig entschieden, ob ein Vorschlag zur Änderung der Richtlinie erforderlich ist.

1.8. Die Präsidentin des Europäischen Parlaments leitete diesen Bericht sodann zwecks Prüfung an den Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten sowie zwecks Stellungnahme an den Ausschuss für Recht und Binnenmarkt und den Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie weiter. Die Entschließung des Parlaments zum Bericht wurde am 17. Juli 2001 eingebracht; das Parlament fordert die Kommission darin auf, möglichst bald einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie vorzulegen, der eine Reihe von Verbesserungen umfassen sollte(2).

1.9. Fast drei Jahre nach diesem Bericht hält es die Kommission nun nach einem längeren Anwendungszeitraum für angezeigt, die praktische Anwendung der Richtlinie erneut zu prüfen, zumal diese Frage in der sozialpolitischen Agenda von Nizza vom Dezember 2000 angesprochen wird.

1.10. Seit der Veröffentlichung des Kommissionsberichts im April 2000 hat sich der Arbeitsmarkt in Europa stark verändert. Das immer höhere Tempo und der sich wandelnde Charakter der länderübergreifenden Umstrukturierungen, die mehr und mehr zu einer Konstante in der Unternehmenslandschaft werden, sind zu einer Herausforderung für die europäischen Betriebsräte geworden.

1.11. Der Anwendungsbereich der Richtlinie 94/45/EG wird sich auch auf die neuen Mitgliedstaaten erstrecken, von denen am 1. Mai 2004 zehn der EU beitreten sollen. Die Erweiterung hat dabei nicht nur erhebliche Auswirkungen auf einige der bestehenden Betriebsräte, die Arbeitnehmervertreter aus diesen Ländern aufnehmen müssen, sondern es werden dann auch weitere Unternehmensgruppen hinzukommen, die unter diese Richtlinie fallen, was mit Sicherheit neue Herausforderungen mit sich bringen wird. Bei Überlegungen und Maßnahmen im Hinblick auf die europäischen Betriebsräte werden in den kommenden Jahren die spezifischen Gegebenheiten der neu in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Unternehmen sowie die besonderen Merkmale der einschlägigen Regelungen der neuen Mitgliedstaaten für die Arbeitgeber-/Arbeitnehmerbeziehungen berücksichtigt werden müssen. Wie die Sozialpartner auf der Konferenz "Europäische Betriebsräte - Praxis und Entwicklungen" im April 1999 betonten, ist ein Lernprozess erforderlich, um die Akteure in die Lage zu versetzen, Aspekte und Gegebenheiten anderer Kulturen, Verfahrensweisen und Situationen zu artikulieren sowie durch soziale, wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede gegebene Hindernisse zu überwinden.

1.12. Darüber hinaus hat sich auch der rechtliche Kontext verändert. Im Bereich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer wurden neue gemeinschaftliche Rechtsvorschriften erlassen, und zwar die Richtlinie 2001/86/EG vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer und die Richtlinie 2002/14/EG vom 11. März 2002 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in der Europäischen Gemeinschaft.

2. Die Bestandsaufnahme

2.1. Bereits eine solide Erfahrungsgrundlage

2.1.1. Von den 1865 Unternehmen und Unternehmensgruppen mit 17 Millionen Beschäftigten, die unter die Richtlinie über europäische Betriebsräte fallen, verfügen Ende 2002 639 (mit 11 Millionen Beschäftigten) über einen entsprechenden Betriebsrat. 72 % der Vereinbarungen, d. h. 400, wurden im Vorgriff gemäß Artikel 13 der Richtlinie und 28 % gemäß Artikel 6 getroffen. Es sind somit in der Mehrheit die bereits vor dem Stichtag geltenden Vereinbarungen, die - ggf. verlängert oder abgeändert - die Grundlage für die Arbeit der derzeitigen europäischen Betriebsräte bilden. Außerdem wurden sieben Vereinbarungen verzeichnet, mit denen Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer eingeführt wurden, ohne dass ein europäischer Betriebsrat eingesetzt wurde(3).

2.1.2. Mehr als die Hälfte dieser Vereinbarungen kamen allein im Jahre 1996 zustande. Seither werden pro Jahr rund 40 Vereinbarungen getroffen. Von der Gesamtzahl der Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, die derzeit in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, werden möglicherweise noch 1200 Unternehmen mit 6 Mio. Beschäftigten einen europäischen Betriebsrat einsetzen oder ein Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer schaffen. Hierbei handelt es sich zumeist um kleinere Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, bei denen die länderübergreifenden Strukturen zwar in geringerem Maße ausgebildet sind, deren grenzüberschreitende Geschäftstätigkeit jedoch schon einen nicht unerheblichen Umfang erreicht hat.

2.1.3. Etwa 25 % der Vereinbarungen fallen unter deutsches Recht, 12-13 % unter französisches, belgisches und britisches Recht, 4-7 % unter niederländisches, schwedisches, italienisches, irisches und finnisches Recht und weniger als 20 Vereinbarungen unter österreichisches, norwegisches, dänisches, luxemburgisches, schweizerisches, spanisches bzw. griechisches Recht.

2.1.4. Für ca. 30 % der bestehenden europäischen Betriebsräte(4), denen Mitglieder oder Beobachter aus Ländern angehören, die der Europäischen Union am 1. Mai 2004 beitreten werden, ist die Erweiterung bereits Wirklichkeit geworden. Die Beitrittsstaaten haben bereits begonnen, die Richtlinie 94/45/EG in einzelstaatliches Recht umzusetzen; dies gilt vor allem für Polen, die Republik Tschechien, die Slowakei, Slowenien und Ungarn.

2.1.5. Schon heute sind mehr als 10000 Arbeitnehmervertreter direkt in die Arbeit europäischer Betriebsräte eingebunden und gewährleisten dadurch einen Austausch und eine Abwicklung der Verfahren über die Kulturgrenzen hinweg, was eines der augenfälligsten und wesentlichsten Phänomene des sozialen Europas ist.

2.2. Die Aushandlung der Vereinbarungen

2.2.1. Die Zweckmäßigkeit des Prinzips der Richtlinie, dass Unternehmensleitung und Arbeitnehmer(-vertreter) die Initiative zu Verhandlungen ergreifen sollen, wird durch die Anzahl der gemäß Artikel 6 und 13 der Richtlinie getroffenen Vereinbarungen bestätigt. Da dieses neue Instrument sehr komplex und vom Kern her als gemeinschaftsweites Instrument angelegt ist, hatten die Sozialpartner mit Sicherheit keine leichte Aufgabe zu bewältigen, aber den Studien ist generell zu entnehmen, dass sie aus ihren beiderseitigen Erfahrungen im Bereich des europäischen Betriebsrats eindeutig Nutzen ziehen.

2.2.2. Bei den Vereinbarungen beider Arten, d. h. sowohl den vor dem Stichtag geschlossenen, die sich in der Mehrheit befinden, als auch den nach dem Inkrafttreten der Richtlinie geschlossenen, sind sehr große Unterschiede festzustellen. Diese Vereinbarungen enthalten in den meisten Fällen Bestimmungen über die länderübergreifende Unterrichtung und Anhörung gemäß den in der Richtlinie enthaltenen Rechten. Nur acht Vereinbarungen sind auf die Unterrichtung beschränkt. Einige Vereinbarungen sehen im Übrigen nicht nur zentrale Mechanismen für die Unterrichtung und Anhörung vor, sondern überdies auch auf nationaler Ebene dezentralisierte Verfahren für bestimmte Teilaspekte der Unterrichtung und Anhörung.

2.2.3. Der soziale Dialog wie auch die Rolle der Parteien innerhalb eines Unternehmens wurden schon allein durch die Tatsache gestärkt, dass die Verhandlungen über die Einrichtung eines europäischen Betriebsrats zwischen der zentralen Unternehmensleitung und dem besonderen Verhandlungsgremium stattfinden. Die diversen Untersuchungen über die Vereinbarungen haben ergeben, dass die europäischen Gewerkschaftsorganisationen bei mehr als drei Viertel der freiwilligen Verhandlungen eine wichtige koordinierende Rolle gespielt haben und Mitunterzeichner der Verträge waren. Die Mitglieder der besonderen Verhandlungsgremien haben für die Verhandlungen häufig Sachverständige ihrer Wahl zu ihrer Unterstützung hinzugezogen, insbesondere Vertreter der entsprechenden Arbeitnehmerorganisationen auf Gemeinschaftsebene.

2.2.4. Der Modus für die Aushandlung einer neuen Vereinbarung ist in Richtlinie 94/45/EG festgelegt. Ist jedoch in der ersten Vereinbarung nichts Diesbezügliches enthalten, dann kann sich bei der Ausgestaltung der Funktionsweise oder der Neuaushandlung der bestehenden Vereinbarungen die heikle Frage ergeben, wer verhandelt und wer unterzeichnet.

2.2.5. Die Frage, die sich für die Arbeitnehmer der 1200 Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, die möglicherweise Verhandlungen über die Einsetzung eines europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer einleiten wollen, üblicherweise als erste stellt, ist die Frage nach der Struktur des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe in Europa, nach der Zahl der Beschäftigten und nach ihren Gesprächspartnern in den einzelnen Ländern. In drei Rechtssachen, die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zur Vorabentscheidung unterbreitet wurden(5), wurde grundsätzlich entschieden, dass sämtliche Informationen, die für die Aufnahme der Verhandlungen über die Bildung eines Europäischen Betriebsrates unerlässlich sind, insbesondere die Informationen über die Struktur der Unternehmensgruppe und die Beschäftigten, von den Unternehmensleitungen der betreffenden Unternehmen im Europäischen Wirtschaftsraum den Arbeitnehmervertretern zur Verfügung gestellt werden müssen, und zwar unabhängig vom Sitz des Unternehmens oder der Auffassung der Konzernleitung hinsichtlich der Anwendbarkeit der Richtlinie.

2.2.6. Die Schaffung der entsprechenden Bedingungen und Instrumente für die Durchführung der Verhandlungen obliegt der zentralen Unternehmensleitung. Sie ist somit für alle praktischen Aspekte der Veranstaltung von Sitzungen zuständig: Transport, Unterbringung, Verdolmetschung, Ausfall an Arbeitszeit und die damit verbundenen Kosten. Diese Frage ist vor allem für die mittelgroßen europäischen Unternehmensgruppen, die den größten Anteil derjenigen Unternehmen stellen, die möglicherweise noch Verhandlungen aufnehmen werden, eine entscheidende Frage. Es könnte sich als zweckmäßig erweisen, über die Möglichkeiten für eine besondere Unterstützung bei der Schaffung eines länderübergreifenden sozialen Dialogs in diesen Unternehmen, z. B. über die hierfür zur Verfügung stehenden Haushaltslinien, nachzudenken.

2.2.7. Die Verhandlungen, die in den ersten sechs Monaten nach der Antragsstellung oder der Initiative aufgenommen werden müssen, können bis zu drei Jahre andauern, sind im Allgemeinen jedoch kürzer. Die Bedingungen, unter denen die Verhandlungen stattfinden, haben oftmals entscheidenden Einfluss auf die anfängliche Arbeitsweise der europäischen Betriebsräte.

2.2.8. Im Kontext von Fusionen, Betriebsveräußerungen oder wesentlichen Änderungen des Betriebsgefüges führen zahlreiche Unternehmen Anpassungen oder Neuverhandlungen bezüglich ihres europäischen Betriebsrats bzw. ihrer europäischen Betriebsräte durch. Ob bei Änderungen innerhalb des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe die Interessenvertretungsstrukturen im Hinblick auf ihre Zusammensetzung adäquat angepasst und während der Übergangszeiträume effektiv aufrechterhalten werden, ist entscheidend für die Möglichkeiten des oder der EBR zur Beschäftigung mit Umstrukturierungen. In der Hälfte der Vereinbarungen sind Umstrukturierungsfragen unter den Zuständigkeitsbereichen der europäischen Betriebsräte aufgeführt: 51 % der Vereinbarungen nennen Fusionen, 47 % Unternehmensschließungen und 53 % Standortverlegungen(6). Derartige Änderungen in den Unternehmen haben in den meisten Betriebsräten Fragen aufgeworfen.

2.3. Die Arbeitsweise der europäischen Betriebsräte

2.3.1. In den gemeinsam von der Europäischen Kommission (GD Beschäftigung und Soziales) und der Europäischen Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen veröffentlichen Berichten wurde folgende Unterscheidung eingeführt: a) Vereinbarungen über die Einsetzung von europäischen Betriebsräten, die nur einmal pro Jahr zu einer Sitzung zusammenkommen und deren Möglichkeiten offenbar ausschließlich formaler oder symbolischer Natur sind; b) Vereinbarungen über die Einsetzung von europäischen Betriebsräten, die eine dynamische Rolle spielen können und denen Personalvertreter angehören, die auch zwischen den Sitzungen aktiv tätig sind und ständige Kontakte zur Unternehmensleitung unterhalten(7).

2.3.2. Indes entwickeln sich die europäischen Betriebsräte in Form eines internen konstruktiven Prozesses unaufhörlich weiter. Um beurteilen zu können, inwiefern die Vereinbarungen den europäischen Betriebsräten auch tatsächlich eine aktive Rolle ermöglichen, müssen nicht nur die Regelungen der Vereinbarungen, sondern auch die konkreten Erfahrungen schwerpunktmäßig untersucht werden.

2.3.3. Mehrere Untersuchungen [insbesondere die Arbeit von Lecher(8)] zeigen, dass der Abschluss einer Vereinbarung viel mehr Ausgangspunkt als Endpunkt der Entwicklung des europäischen Betriebsrates als Gremium ist.

2.3.4. Die Studien, in denen die Arbeitsweise der europäischen Betriebsräte anhand von Einzeldarstellungen, Befragungen oder Austausch von praktischen Vorgehensweisen analysiert wurde, zeigen, dass tatsächlich ein dynamischer Entwicklungsprozess in mehreren aufeinanderfolgenden Etappen abläuft. Während anfänglich Vorbehalte gegen Initiativen zur Einsetzung eines europäischen Betriebsrats laut wurden, kann mittlerweile festgestellt werden, dass die positive Rolle der europäischen Betriebsräte bei der Verbesserung des sozialen Dialogs und der Information/Anhörung innerhalb der Unternehmen von weiten Kreisen anerkannt wird.

2.3.5. In einem Dokument(9) des niederländischen Arbeitgeberverbands über die Aufgaben und die Bedeutung der europäischen Betriebsräte von 17 Unternehmen mit Hauptsitz in den Niederlanden wird hervorgehoben, dass nach Ansicht der meisten Arbeitgeber dieses Gremium - vor allem im Zusammenhang mit Umstrukturierungsmaßnahmen - einen Zusatznutzen bewirke oder bewirken könne. Einige Arbeitgeber sind allerdings der Ansicht, dass die europäischen Betriebsräte nicht zur Verbesserung des sozialen Dialogs innerhalb der Unternehmen beigetragen haben. Eine bei japanischen Multis durchgeführte Untersuchung(10) gelangt ebenfalls zu dem Schluss, dass die europäischen Betriebsräte von einer großen Mehrheit der befragten Führungskräfte positiv bewertet werden. Auch in einer Umfrage eines amerikanischen Consulting-Unternehmens, die dieses vor kurzem bei 24 großen - zumeist amerikanischen - multinationalen Unternehmen durchgeführt hat, wurden die Erfahrungen mit den europäischen Betriebsräten als positiv eingestuft(11). In den meisten Fällen wird in der Praxis über die in den Vereinbarungen festgelegten Bestimmungen hinausgegangen - die Unternehmensleitungen sind heutzutage offener für die länderübergreifende Auseinandersetzung mit Fragen, als dies in der Anfangsphase der Fall war, die vertrauliche Behandlung bereitet so gut wie gar keine Probleme, die Beiträge von Sachverständigen werden geschätzt und die Anhörung bei Umstrukturierungen wird als positiv betrachtet. Auch wenn für diese Strukturen einiges an Zeit und an Mitteln aufgewendet werden muss, haben drei Viertel der Befragten die Ansicht vertreten, dass die europäischen Betriebsräte für die Unternehmen ein Gewinn seien. Verschiedene Befragte in verantwortungsvoller Position konnten sogar unerwartete Vorteile infolge der Arbeit der europäischen Betriebsräte feststellen: auf der Führungsebene wurde eine Verbesserung der Disziplin und Koordinierung im Entscheidungsprozess beobachtet.

2.3.6. Parallel zu ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen werden die europäischen Betriebsräte häufig auch hinsichtlich ihrer Arbeitsweise unterschieden (vgl. Lecher u. a.): Einige Betriebsräte stellen eine Erweiterung der zentralen Vertretungsstrukturen im Land des Hauptsitzes und somit eine Quelle von Zusatzinformationen für nationale Zwecke dar; andere werden von den Vertretern des Landes, in dem das herrschende Unternehmen ansässig ist, geleitet und haben deshalb einen zwar erkennbaren, aber eher schwach ausgeprägten länderübergreifenden Charakter; wieder andere haben schließlich eine wirklich "supranationale kollektive Identität" entwickelt, die sich durch die Gleichheit aller Mitglieder und die Erarbeitung gemeinsamer Standpunkte auszeichnet.

2.3.7. Fragen im Zusammenhang mit dem Zeitpunkt, dem Inhalt und der Wirkung der länderübergreifenden Unterrichtung und Anhörung sind entscheidende Elemente der Arbeitsweise der europäischen Betriebsräte, insbesondere in folgender Hinsicht:

- Die Qualität der regelmäßigen und spezifischen Unterrichtung der Arbeitnehmer - durch die Unternehmensleitung und die Übermittlung durch die Betriebsratsmitglieder an ihre Kollegen - sowie die konkrete Zugänglichkeit der Informationen für alle Interessierten wird als ausschlaggebend für die Qualität des Dialogs betrachtet, der sich im europäischen Betriebsrat herausbilden kann, wie auch für das Vermögen des europäischen Betriebsrats, eine aktive Rolle zu übernehmen. Deswegen haben sich einige europäische Betriebsräte auf Konzepte für die Aufmachung und Art der erforderlichen Informationen sowie deren Analyse verständigt.

- Die Vertraulichkeitsklausel ist in 87 % der Vereinbarungen enthalten und in der Praxis häufig Gegenstand von Diskussionen, vor allem bei Umstrukturierungen. Durch die Schaffung eines Klimas des Vertrauens scheint es jedoch möglich geworden zu sein, dieses Problem dank der eingeführten Dialogmechanismen zu entschärfen.

2.3.8. Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein frühzeitiges Tätigwerden des europäischen Betriebsrats während der gesamten Entscheidungsprozesse dazu beitragen konnte, dass ein verantwortungsbewusstes und präventives Management zumal bei Umstrukturierungen begünstigt wurde.

2.3.9. Der Begriff des länderübergreifenden Charakters der im EBR behandelten Fragen ist häufig Gegenstand konkreter Debatten, vor allem bei Entscheidungen, die faktisch nur ein einziges Land betreffen, in der Praxis aber strategische Auswirkungen haben, die über die nationale Ebene hinausreichen. Die Richtlinie über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Kontext der Europäischen Gesellschaft - wobei es sich allerdings insbesondere aufgrund des rein fakultativen Charakters der Europäischen Gesellschaft um einen anderen Bereich handelt - legt fest, dass unter Unterrichtung "die Unterrichtung des Organs zur Vertretung der Arbeitnehmer und/oder der Arbeitnehmervertreter durch das zuständige Organ der SE über Angelegenheiten, die die SE selbst oder eine ihrer Tochtergesellschaften oder einen ihrer Betriebe in einem anderen Mitgliedstaat betreffen oder die über die Befugnisse der Entscheidungsorgane auf der Ebene des einzelnen Mitgliedstaats hinausgehen" zu verstehen ist.

2.3.10. Untersuchungen der Europäischen Stiftung bei 12 Unternehmen bzw. Unternehmenssgruppen, die sich auf gemeinsame länderübergreifende Texte verständigt hatten(12), sowie die Datenbanken, in denen die Vereinbarungen verzeichnet sind(13), lassen erkennen, dass einige europäische Betriebsräte über ihre eigentliche Rolle - Unterrichtung und Anhörung - hinauszugehen beginnen und gemeinsame, gemeinschaftsweit koordinierte Standpunkte, Verhaltenkodizes, Chartas, Aktionsprogramme und Vereinbarungen insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und Umwelt, Grundrechte, Mobilität, Bildung, Zusatzrenten sowie Fusionen, Unternehmensschließungen, Standortverlegungen und Umstrukturierungen ausarbeiten.

2.3.11. In der Praxis zeigt sich außerdem, dass der Aufbau eines echten und fruchtbaren sozialen Dialogs im EBR an die Arbeitsweise dieses Gremiums gebunden ist, da der Informationsfluss, die Koordinierungsmöglichkeiten und die Reaktionsfähigkeit durch diese Funktionsweise bestimmt werden.

- Der engere Ausschuss des Betriebsrats (bzw. Vorstand oder Sekretariat), den es bei drei Vierteln der EBR gibt, seine Zusammensetzung, seine Sitzungshäufigkeit, seine Verbindungen zu den einzelstaatlichen Interessenvertretungen der Arbeitnehmer, seine Kontaktmöglichkeiten zu den verschiedenen Unternehmensstandorten und seine Übersetzungskapazitäten werden als wesentlich für die Arbeit der EBR eingestuft.

- Die Möglichkeiten und Mittel, die den Mitgliedern der EBR zur Verfügung stehen, sind von Betriebsrat zu Betriebsrat unterschiedlich: eine entsprechende Ausbildung ist in 42 % der Vereinbarungen bereits ausdrücklich vorgesehen und wird den spezifischen Erfordernissen für die Wahrnehmung von Personalvertretungsaufgaben auf europäischer Ebene gerecht; die Möglichkeit der Hinzuziehung von Sachverständigen ist in den meisten Vereinbarungen vorgesehen (57 % der Vereinbarungen sehen die Hinzuziehung von Sachverständigen in Vollversammlungen und vorbereitenden Sitzungen vor), Fachwissen ist jedoch nach wie vor ein Diskussionsthema wegen der Besonderheiten und Usancen der einzelstaatlichen Gremien, in einigen Ländern sitzen in diesen Gremien ständige Gewerkschaftsvertreter; die Kommunikationsmittel, einschließlich der Kontaktmöglichkeiten zu den vertretenen Unternehmensstandorten sowie der Übersetzung und Verdolmetschung im Bedarfsfalle, sind sehr wichtig; die Häufigkeit ordentlicher Sitzungen des EBR wirft in der Praxis ebenfalls Fragen auf (in 83 % der Vereinbarungen wird die Zahl der Sitzungen ausdrücklich auf eine einzige Sitzung bzw. auf eine ordentliche Sitzung mit der Möglichkeit einer außerordentlichen Sitzung beschränkt; 14 % der Vereinbarungen sehen zwei ordentliche Sitzungen vor).

- Die Unterrichtung und Anhörung erstreckt sich im Wesentlichen auf die in der Richtlinie vorgesehenen Themen und ist bei Umstrukturierungen besonders wichtig. Einige Betriebsräte weiten dieses Verfahren gleichwohl auch auf Maßnahmen aus, die von der Unternehmensleitung insbesondere in folgenden Bereichen geplant werden: berufliche Fortbildung, Umweltschutz, Sicherheit und Gesundheitsschutz, Chancengleichheit, evtl. finanzielle Beteiligungen der Arbeitnehmer sowie - wenn auch bislang nur in sehr seltenen Fällen - kulturelle und soziale Aktivitäten.

Der europäische Betriebsrat ist ein Forum der Diskussion über die Konkretisierung von Zielsetzungen wie z. B. der in Lissabon gesteckten Ziele, zu denen als maßgebliches Element die lebenslange allgemeine und berufliche Bildung zählt.

2.3.12. Die Wichtigkeit der Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit des europäischen Betriebsrats nach Maßgabe der Veränderungen in der Unternehmensgruppe oder mit Blick auf die Verbesserung der Funktionsweise (dynamischer Prozess) wird in der Praxis ebenfalls in vollem Maße deutlich. Die belgische Regelung für die Umsetzung der Richtlinie nimmt in ihren subsidiären Vorschriften Bezug auf Änderungen der Struktur oder Größe des Unternehmens oder der Unternehmensgruppe und sieht für diesen Fall Regeln vor. Diese Regeln können in einem Protokoll über die Zusammenarbeit festgelegt werden.

2.3.13. Gegenstand einer Reihe von Vereinbarungen sind insbesondere die unterschiedlichen Tätigkeitsbereiche und Abteilungen innerhalb einer Unternehmensgruppe. Einige europäische Betriebsräte sind zwar trotz der extremen Vielfalt der Tätigkeitsbereiche ihrer Unternehmensgruppe als eine einzige Instanz konzipiert, aber es gibt bereits in mehr als einem von zehn Fällen eine effiziente Aufteilung nach Bereichen innerhalb des europäischen Betriebsrats (Quelle: Europäische Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Dublin, Studie aus dem Jahr 2000). Die meisten der betroffenen Unternehmen haben zudem die Mechanismen für die Informationsverbreitung und die Kommunikation zwischen den einzelnen Ebenen und Instanzen des Dialogs formell geregelt.

2.3.14. Die mehr als unausgewogene Repräsentanz von Männern und Frauen in den besonderen Verhandlungsgremien und den europäischen Betriebsräten ist ein allgemeines Phänomen und spiegelt mit Sicherheit ein identisches Ungleichgewicht in den Vertretungsgremien auf einzelstaatlicher Ebene wider. Angesichts der Bedeutung, die die europäischen Betriebsräte für das europäische Sozialmodell haben, sollte über Möglichkeiten zur proaktiven Verringerung dieses Ungleichgewichts nachgedacht werden.

2.3.15. Einige Vereinbarungen und nationale Umsetzungsvorschriften sehen außerdem eine ausgewogene Vertretung der verschiedenen Kategorien von Arbeitnehmern im europäischen Betriebsrat vor.

2.3.16. Die Frage der Rechtspersönlichkeit der europäischen Betriebsräte, ihrer Fähigkeit, vor Gericht aufzutreten, Mittel zu verwalten und Vereinbarungen zu schließen, ist in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedlich geregelt.

2.3.17. Für den Fall der Verletzung der Richtlinie haben sämtliche Länder ein System von Sanktionen vorgesehen, das bei Nichteinhaltung der mit der Richtlinie geschaffenen Verpflichtungen zur Anwendung kommt, und zwar sowohl der Verpflichtungen zur Einrichtung eines Verhandlungsgremiums als auch der Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Arbeitsweise des Betriebsrats. In manchen Fällen können sich allerdings Probleme beim Zugang zum Recht ergeben, vor allem wenn eine außereuropäische Unternehmensgruppe beispielsweise ihren europäischen Hauptsitz in einem Mitgliedstaat wählt, der keine Gewerkschaftsvertreter in den europäischen Betriebsrat entsandt hat. Die Vertreter sind dann unter Umständen mit der praktischen Unmöglichkeit konfrontiert, die zuständigen Gerichte des Landes anzurufen, in dem das Unternehmen seinen Hauptsitz hat (dies gilt z. B. für Belgien, wo das Recht für die Vertretungsorganisationen der Arbeitnehmer die Möglichkeit der Anrufung der Arbeitsgerichte vorsieht).

2.4. Abgrenzung von nationalem und gemeinschaftsweitem sozialen Dialog

2.4.1. Aufgrund der Berücksichtigung der unterschiedlichen Formen der Vertretung, Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in den Unternehmen wird das Subsidiaritätsprinzip in der Richtlinie 94/45/EG weitgehend gewahrt. Die Modalitäten für die Wahl bzw. Ernennung der Arbeitnehmervertreter werden auf Ebene der Mitgliedstaaten festgelegt.

2.4.2. Die Interaktion zwischen der lokalen und der europäischen Ebene hat in manchen Fällen zur Verbesserung der Vorgehensweisen auf einzelstaatlicher Ebene beigetragen.

2.4.3. So haben einige Unternehmen zugleich mit dem europäischen Betriebsrat - teilweise über Vereinbarungen - standortübergreifende Betriebsräte der Unternehmensgruppe auf nationaler Ebene eingerichtet. Einer Befragung der belgischen Vertreter des Allgemeinen Christlichen Gewerkschaftsbundes zufolge wurden im Kontext der Schaffung von EBR in 35 % der Fälle standortübergreifende Kommunikationsnetze auf nationaler Ebene eingerichtet. Laut eben dieser Untersuchungen sind 67 % der Vertreter der Ansicht, dass der europäische Betriebsrat zu einem besseren Funktionieren des lokalen Betriebsrats beigetragen hat(14).

2.4.4. Damit hat der europäische Betriebsrat in verschiedenen Unternehmen auch zur Beseitigung von Hemmnissen für die Unterrichtung und Anhörung sowie die Kommunikation mit dem Personal beigetragen - im Sinne von Punkt 5 des Anhangs zu der Richtlinie, dem zufolge die Mitglieder des Europäischen Betriebsrats die Arbeitnehmervertreter oder, in Ermangelung solcher Vertreter, die Belegschaft über Inhalt und Ergebnisse der Unterrichtung und Anhörung zu informieren haben.

2.4.5. In dem Bemühen um eine bessere Abstimmung zwischen den lokalen Betriebsleitungen haben bestimmte Unternehmensgruppen folglich im Kontext der Bildung europäischer Betriebsräte auch länderübergreifende Sitzungen der Betriebsleitungen ins Leben gerufen.

2.4.6. Die europäischen Betriebsräte haben nicht nur durch die Praxis der Unterrichtung und Anhörung zum Entstehen eines europäischen Bewusstseins für den sozialen Dialog beigetragen, sondern auch durch die ihnen gebotene außergewöhnliche Chance, einen länderübergreifenden kulturellen Austausch zu entwickeln. Im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses stellen - angesichts der Vielfalt der Vertretungsformen - der Wissensaustausch, die wechselseitige Öffnung für Einfluesse, sowie die Schaffung von Synergien zwischen den Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber innerhalb einer Unternehmensgruppe einen echten kulturellen Fortschritt dar.

3. Schlussfolgerungen

3.1. Die verschiedenen Berichte und Studien über die Vereinbarungen und Verfahren der europäischen Betriebsräte zeigen, dass die bislang gemachten Erfahrungen Rückschlüsse darauf erlauben, wie ein Verhandlungsprozess über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer einfach, demokratisch und effizient gestaltet werden kann. Auch was das Hauptanliegen der Richtlinie angeht - d. h. die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Recht auf Unterrichtung und Anhörung in der Praxis auch tatsächlich wahrnehmen können - liegen mittlerweile Informationen in Hülle und Fülle vor.

3.2. Aufgrund seiner Zusammensetzung konnte der EWSA sicherlich aus seinem besonderen Blickwinkel diesen dynamischen Prozess des sozialen Dialogs erhellen, der in Unternehmen und Unternehmensgruppen stattfindet. Der EBR ist eine noch sehr junge Einrichtung, die sich jedoch immer weiterentwickelt, wie der Anteil der alljährlich neu ausgehandelten Vereinbarungen bezeugt.

3.3. Die Unterrichtung und Anhörung auf EBR-Ebene, die Dynamik der Rolle und Vorgehensweisen des europäischen Betriebsrats kann sicherlich allen betroffenen Akteuren bis hin zum Bürger etwas bringen. Die im Rahmen der Globalisierung von Unternehmen und Umstrukturierungen gefundenen Lösungen wirken sich auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen, aber auch auf das soziale Klima vor den Toren der Unternehmen aus.

3.4. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss konnte sich auf eine Reihe von Feststellungen zur konkreten Anwendung der Richtlinie und der Arbeitsweise der europäischen Betriebsräte einigen und anhand dieser Bestandsaufnahme den Beitrag der europäischen Betriebsräte zum sozialen Dialog und zur Entwicklung in Europa deutlich machen. Es bleiben jedoch noch einige grundlegende Fragen offen, die im Wesentlichen folgende Aspekte betreffen:

- die Begriffe der "praktischen Wirksamkeit" und "Rechtzeitigkeit" hinsichtlich der Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer;

- den Geltungsbereich der Richtlinie 94/45/EG, z. B. im Hinblick auf Joint Ventures, die eventuelle Ausklammerung der Handelsmarine und den Begriff Unternehmen, der wegen der Vielfalt der Unternehmensformen Probleme bereitet. Diese Vielfalt wird auf europäischer Ebene noch weiter zunehmen, da als Vereinigungen, Genossenschaften und Gegenseitigkeitsgesellschaften strukturierte Unternehmen hinzukommen werden, deren Wirtschaftstätigkeiten immer mehr an Bedeutung gewinnen und die immer stärker grenzüberschreitend operieren. Die öffentlichen Unternehmen werden allerdings in den nationalen Umsetzungsbestimmungen zweier Mitgliedstaaten - Schweden und Spanien - eigens genannt;

- die Frage der Vertretung und der Proportionalität der Vertretung in den europäischen Betriebsräten, die in den länderübergreifenden Bestimmungen nicht geregelt ist;

- die Frage des Einflusses der europäischen Betriebsräte auf den sozialen Dialog innerhalb eines Unternehmens auf nationaler Ebene;

- die Frage der Möglichkeit für die Vertreter von europäischen Betriebsräten, die Standorte aufzusuchen, deren Beschäftigte sie vertreten, und mit den Vertretern und Beschäftigten dieser Standorte zu kommunizieren;

- die Frage nach den Beziehungen zwischen den europäischen Betriebsräten und den Aufsichtsbehörden im Bereich des Wettbewerbs. Nach der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen können die "rechtlich anerkannten Vertreter der Arbeitnehmer" als "natürliche oder juristische Personen, die ein hinreichendes Interesse darlegen" im Rahmen der Prüfung eines der gemeinschaftlichen Kontrolle unterliegenden Unternehmenszusammenschlusses angehört werden. Bislang haben die Arbeitnehmervertreter jedoch keine Gewähr für einen Zugang zu dem betreffenden Dossier, selbst nicht zu einer "nicht vertraulichen" Fassung dieser Unterlagen. Mit dieser Frage sollten sich in erster Linie die Gemeinschaftsorgane befassen, denn sie müssen für ein besseres Ineinandergreifen von EU-Sozial- und Wettbewerbspolitik Sorge tragen.

3.5. Es besteht auch im Ausschuss Uneinigkeit über die Tragweite der Feststellungen und Überlegungen zur Anwendung der Richtlinie und zum Funktionieren der europäischen Betriebsräte. Einige Mitglieder vertraten die Auffassung, dass sich diese Sondierungsstellungnahme auf die Zusammenstellung von Informationen beschränken und nicht versucht werden sollte, auf eventuelle künftige Gespräche zwischen den Sozialpartnern über die Revision der Richtlinie 94/45/EG Einfluss zu nehmen, da die Kommission in ihrem Arbeitsprogramm ab Herbst 2003 eine Konsultation der Sozialpartner vorgesehen habe. Andere äußerten hingegen die Meinung, dass die vom Ausschuss vorgenommene Bestandsaufnahme über die konkrete Anwendung der Richtlinie und die Arbeitsweise der europäischen Betriebsräte die Grundlage für eine Überprüfung derjenigen Aspekte bilden könnte, die unter Umständen eine Revision der Richtlinie 94/45/EG notwendig machen.

Brüssel, den 24. September 2003.

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Roger Briesch

(1) Die nationalen Rechtstexte zur Umsetzung der Richtlinie 94/45/EG sind unter folgender Internetadresse abrufbar: http://europa.eu.int/comm /employment_social/soc-dial/labour /directive9445/index_de.htm

(2) Abschließender Bericht des Europäischen Parlaments A5-0282/2001 vom 17. Juli 2001 über den Bericht der Kommission über den Stand der Anwendung der Richtlinie 94/45/EG des Rates - Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten.

(3) Datenbank des EGB-Infopoint.

(4) Europäisches Gewerkschaftsinstitut "European Works councils - facts and figures", Brüssel, November 2002.

(5) C-62/99 Bofrost, Urteil vom 29. März 2001; C-440/00 Kühne & Nagel, Schlussanträge vom 11. Juli 2002; C-349/01 ADS Anker GmbH, Schlussanträge vom 27. Februar 2003.

(6) Datenbank der Vereinbarungen, Infopoint - EGB.

(7) Mark Carley / Paul Marginson: Verhandlungen zur Einsetzung europäischer Betriebsräte: eine vergleichende Untersuchung der Vereinbarungen nach Artikel 6 und Artikel 13. Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, 2000.

(8) Lecher, W. / Nagel, B. / Platzer, H.W.: The Establishment of European Works Councils. From Information Committee to Social Actor. Aldershot, 1999.

(9) Lamers, J.: The Added Value of European Works Councils, Haarlem, 1998.

(10) S. Nakano in "European Journal of Industrial Relations", Bd. 5 Nr. 3 S. 307-326.

(11) Organization Resources Counselors Inc. ORC, European Works Councils Survey, 2002, zusammengefasst in EIROnline 01/2003.

(12) M. Carley: "Joint texts negotiated by European Works Councils", Europäische Stiftung für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, Dublin, 2001.

(13) Datenbank des EGB-Infopoint.

(14) "Le CENE est-il sur la bonne voie?" CSC und Hoger Instituut voor de arbeid, Veerle Cortebeeck, Joris Van Ruysseveldt, Leuven, 2002.

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