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Document 32023H0682

    Empfehlung (EU) 2023/682 der Kommission vom 16. März 2023 über die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen und die Beschleunigung von Rückführungen im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates

    C/2023/1763

    ABl. L 86 vom 24.3.2023, p. 58–64 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    ELI: http://data.europa.eu/eli/reco/2023/682/oj

    24.3.2023   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    L 86/58


    EMPFEHLUNG (EU) 2023/682 DER KOMMISSION

    vom 16. März 2023

    über die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen und die Beschleunigung von Rückführungen im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates

    DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

    gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    (1)

    Nach Artikel 4 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.

    (2)

    Die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1) enthält gemeinsame Normen und Verfahren, die in den Mitgliedstaaten bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger anzuwenden sind.

    (3)

    Am 12. September 2018 legte die Kommission einen Vorschlag zur Neufassung der Richtlinie 2008/115/EG vor, mit dem die Dauer von Rückkehrverfahren verkürzt, eine bessere Verknüpfung zwischen Asyl- und Rückkehrverfahren sowie ein wirksamerer Einsatz von Maßnahmen zur Verhinderung von Flucht gewährleistet und gleichzeitig die Achtung der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden „Charta“) verankerten Grundrechte sichergestellt wird.

    (4)

    Mit dem neuen Migrations- und Asylpaket (2) soll ein gemeinsames EU-Rückkehrsystem geschaffen werden, das stärkere Strukturen innerhalb der Union mit einer wirksameren Zusammenarbeit mit Drittländern bei Rückkehr und Rückübernahme im Rahmen eines umfassenden Ansatzes im Bereich des Migrationsmanagements verbindet. Dieser Ansatz vereint alle Politikbereiche in den Bereichen Migration, Asyl, Integration und Grenzmanagement, wobei anerkannt wird, dass die Gesamtwirksamkeit von Fortschritten in allen Bereichen abhängt. Ein schnellerer, nahtloser Migrationsprozess und eine stärkere Steuerung der Migrations- und der Grenzpolitik, die Zusammenarbeit mit Drittländern, auch bei der Umsetzung von Rückübernahmeabkommen und -vereinbarungen der EU, mit der Unterstützung moderner IT-Systeme und die Unterstützung durch die einschlägigen EU-Agenturen, werden einen wirksameren und nachhaltigeren Rückkehrprozess fördern.

    (5)

    Der Europäische Rat hat stets betont, wie wichtig eine einheitliche, umfassende und wirksame Rückkehr- und Rückübernahmepolitik der Union ist, und ein zügiges Handeln gefordert, um durch beschleunigte Rückkehrverfahren eine effektive Rückkehr aus der Union zu gewährleisten. Ferner ersuchte der Europäische Rat die Mitgliedstaaten, ihre Rückkehrentscheidungen gegenseitig anzuerkennen. (3)

    (6)

    In ihrer Mitteilung vom 10. Februar 2021 mit dem Titel „Ausbau der Zusammenarbeit im Bereich Rückkehr und Rückübernahme als Teil einer fairen, wirksamen und umfassenden EU-Migrationspolitik“ (4) nannte die Kommission die Hindernisse, die einer effektiven Rückkehr im Wege stehen, und wies darauf hin, dass es zu ihrer Überwindung verbesserter Verfahren bedarf, die eine Abstimmung der unterschiedlichen nationalen Ansätze sicherstellen, sowie einer engeren Zusammenarbeit und verstärkter Solidarität zwischen allen Mitgliedstaaten. Der mit der Verordnung (EU) 2022/922 des Rates (5) eingerichtete Schengen-Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus und die Informationen, die über das mit der Entscheidung 2008/381/EG des Rates geschaffene Europäische Migrationsnetzwerk (6) erhoben wurden, haben es ermöglicht, die Umsetzung der Rückkehrpolitik der Union durch die Mitgliedstaaten umfassend zu bewerten und die bestehenden Lücken und Hindernisse zu ermitteln.

    (7)

    Angesichts der anhaltenden Herausforderungen im Bereich der Rückkehr werden bis zum Abschluss der Legislativverhandlungen, insbesondere über den Vorschlag für eine Neufassung der Richtlinie 2008/115/EG, zusätzliche Maßnahmen empfohlen, um die wirksame und effiziente Anwendung des bestehenden Rechtsrahmens weiter zu verbessern.

    (8)

    Die Empfehlung (EU) 2017/432 der Kommission (7), in der eine Reihe von Maßnahmen empfohlen wird, um die Rückkehr im Rahmen der Durchführung der Richtlinie 2008/115/EG wirksamer zu gestalten, ist nach wie vor relevant und sollte den Mitgliedstaaten weiterhin als Richtschnur für einen zügigeren Rückkehrprozess dienen. Die Empfehlung (EU) 2017/432 wurde in die Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission (8) aufgenommen, was eine kontinuierliche Bewertung ihrer Umsetzung im Rahmen des Schengen-Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus ermöglicht.

    (9)

    Als wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen EU-Rückkehrsystem kann die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen die Rückkehrprozesse für den für die Rückkehr zuständigen Mitgliedstaat erleichtern und beschleunigen und die Zusammenarbeit und das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten stärken, sodass sich die Mitgliedstaaten beim Migrationsmanagement weiter aneinander angleichen. Ferner kann die gegenseitige Anerkennung von zuvor in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Rückkehrentscheidungen dazu beitragen, Menschen von irregulärer Migration und unerlaubter Sekundärmigration innerhalb der Union abzuhalten. Die Richtlinie 2001/40/EG des Rates (9) bildet einen Rahmen für die gegenseitige Anerkennung. Dieser Rahmen wurde durch die Entscheidung 2004/191/EG des Rates (10) zur Festlegung der Kriterien und praktischen Einzelheiten zum Ausgleich finanzieller Ungleichgewichte aufgrund der Anwendung der Richtlinie 2001/40/EG ergänzt, die einem Großteil der seither auf Unionsebene entwickelten Unterstützungsmaßnahmen vorausging. Die Fortschritte bei der gegenseitigen Anerkennung von Rückkehrentscheidungen sollten auch in die laufenden Beratungen über den Vorschlag der Kommission zur Neufassung der Richtlinie 2008/115/EG einfließen.

    (10)

    Das Fehlen eines unionsweiten Systems, das anzeigt, ob gegen einen aufgegriffenen Drittstaatsangehörigen bereits eine Rückkehrentscheidung eines anderen Mitgliedstaats ergangen ist, hat die Inanspruchnahme der gegenseitigen Anerkennung bislang erschwert.

    (11)

    Seit dem Beginn der Gültigkeit der Verordnung (EU) 2018/1860 des Europäischen Parlaments und des Rates (11) am 7. März 2023 müssen die Mitgliedstaaten nach Erlass einer Rückkehrentscheidung die betreffende Person unverzüglich im Schengener Informationssystem zur Rückkehr ausschreiben. Über das Schengener Informationssystem können die Mitgliedstaaten nun sofort feststellen, ob gegen einen von der zuständigen Behörde aufgegriffenen Drittstaatsangehörigen bereits eine Rückkehrentscheidung eines anderen Mitgliedstaats ergangen ist.

    (12)

    Der Mehrwert dieser neuen Funktion im Schengener Informationssystem hängt davon ab, ob Ausschreibungen zur Rückkehr aktiv genutzt und angemessen weiterverfolgt werden, unter anderem im Wege der gegenseitigen Anerkennung zuvor von anderen Mitgliedstaaten erlassener Rückkehrentscheidungen. Dies kann den Rückkehrprozess erheblich beschleunigen und effizienter machen, insbesondere wenn die Rückführung unverzüglich vollstreckt werden kann; dies gilt auch für Fälle, in denen die vom Ausstellungsmitgliedstaat in der Rückkehrentscheidung gewährte Frist für die freiwillige Ausreise abgelaufen ist und die Rechtsbehelfe gegen eine solche Rückkehrentscheidung ausgeschöpft sind.

    (13)

    Durch gezielte Finanzierungen im Rahmen des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (12) wird die Umsetzung dieser Empfehlung und insbesondere die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen zwischen den Mitgliedstaaten unterstützt. Überdies sollten die zuständigen EU-Agenturen bei der Umsetzung dieser Empfehlung pragmatische Unterstützung leisten.

    (14)

    Hindernisse für die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen den für Asyl- und Rückkehrverfahren zuständigen nationalen Behörden stellen eine der größten strukturellen Herausforderungen für einen effizienteren Rückkehrprozess dar. Alle zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die an den verschiedenen Phasen des Rückkehrprozesses beteiligt sind, sollten eng zusammenarbeiten und sich untereinander abstimmen.

    (15)

    Eine engere Verknüpfung der Asyl- und Rückkehrverfahren und zügige Verfahren an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten können die Effizienz von Rückkehr und Rückführung erheblich steigern. Wenn die Ausnahme von der Anwendung der Richtlinie 2008/115/EG nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a nicht anwendbar ist, muss gemäß dem derzeitigen Rechtsrahmen insbesondere die effektive Rückkehr von Drittstaatsangehörigen, deren Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, und von Personen, die in der Nähe der Außengrenzen der Mitgliedstaaten aufgegriffen wurden, durch einen schnelleren Rückkehrprozess beschleunigt werden, wobei die Achtung der Grundrechte der betreffenden Personen während des gesamten Rückkehrprozesses zu gewährleisten ist.

    (16)

    Nach Artikel 3 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2018/1860 können die Mitgliedstaaten von der Eingabe von Ausschreibungen zur Rückkehr in das Schengener Informationssystem absehen, wenn die Rückkehrentscheidung an der Außengrenze eines Mitgliedstaats erlassen und umgehend vollstreckt wird. Nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2018/1860 müssen die Mitgliedstaaten jedoch sicherstellen, dass Ausschreibungen unverzüglich in das Schengener Informationssystem eingegeben werden, wenn die Rückkehr nicht umgehend von den Außengrenzen aus erfolgt ist.

    (17)

    Um Anreize für eine freiwillige Rückkehr zu schaffen und diese zu fördern, könnten die in der Richtlinie 2008/115/EG vorgesehenen Möglichkeiten genutzt werden, um unbeschadet der Verpflichtungen nach Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 2008/115/EG zu erwägen, von der Verhängung eines Einreiseverbots gegen Drittstaatsangehörige abzusehen, die mit den Behörden zusammenarbeiten und an einem Programm für die unterstützte freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung teilnehmen. In solchen Fällen verlängern die Mitgliedstaaten die Frist für die freiwillige Ausreise gegebenenfalls gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2008/115/EG.

    (18)

    Die Verhinderung von Flucht und unerlaubten Migrationsbewegungen innerhalb der Union ist unerlässlich, um die Wirksamkeit des gemeinsamen EU-Rückkehrsystems zu gewährleisten. Es bedarf eines umfassenden Ansatzes, der auch die wichtigsten Instrumente für die Bewertung und Verhinderung der Fluchtgefahr umfasst, um die Bewertung dieser Gefahr in Einzelfällen zu erleichtern und zu straffen, den Einsatz effizienter Alternativen zur Inhaftnahme zu verstärken und — wenn die Inhaftnahme gemäß Artikel 15 der Richtlinie 2008/115/EG als letztes Mittel für einen möglichst kurzen Zeitraum eingesetzt wird — ausreichende Haftkapazitäten sicherzustellen.

    (19)

    Auf Unionsebene steht Unterstützung für die Umsetzung der vorliegenden Empfehlung zur Verfügung, unter anderem durch den EU-Rückkehrkoordinator und das hochrangige Netz für Rückkehrfragen, die sich an einer operativen Rückkehrstrategie orientieren. Operative Unterstützung ist zudem über die zuständigen Agenturen der Union, insbesondere Frontex, die Asylagentur der Europäischen Union und die Agentur für Grundrechte, verfügbar.

    (20)

    Die für Rückkehr zuständigen nationalen Behörden sind Teil der Europäischen Grenz- und Küstenwache, die für die wirksame Umsetzung des integrierten europäischen Grenzmanagements zuständig ist. Frontex spielt als operative Komponente des gemeinsamen EU-Rückkehrsystems eine zentrale Rolle und unterstützt die Mitgliedstaaten im Rahmen seines Mandats gemäß der Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates (13) in allen Phasen des Rückkehrprozesses.

    (21)

    Diese Empfehlung ist an alle Mitgliedstaaten zu richten, die durch die Richtlinie 2008/115/EG gebunden sind.

    (22)

    Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, ihre für die Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben zuständigen nationalen Behörden anzuweisen, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben diese Empfehlung anzuwenden.

    (23)

    Diese Empfehlung steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die mit der Charta anerkannt wurden. Sie zielt insbesondere darauf ab, die uneingeschränkte Wahrung der Menschenwürde und die Anwendung der Artikel 1, 4, 14, 18, 19, 21, 24 und 47 der Charta zu gewährleisten, und muss entsprechend umgesetzt werden —

    HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

    Gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen

    1.

    Um den Rückkehrprozess zu vereinfachen und zu beschleunigen, sollte der für die Rückkehr eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen zuständige Mitgliedstaat jede Rückkehrentscheidung, die zuvor in einem anderen Mitgliedstaat gegen diese Person ergangen ist, anerkennen, sofern die Wirkung dieser Rückkehrentscheidung nicht ausgesetzt wurde. Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedstaaten

    a)

    den Informationsaustausch durch Ausschreibungen zur Rückkehr im Schengener Informationssystem gemäß der Verordnung (EU) 2018/1860 umfassend nutzen;

    b)

    sicherstellen, dass gemäß Artikel 4 der Verordnung (EU) 2018/1860 Fingerabdrücke zur Eingabe in eine Ausschreibung zur Verfügung stehen;

    c)

    im automatisierten Fingerabdruck-Identifizierungssystem des Schengener Informationssystems systematisch überprüfen, ob ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Schengener Informationssystem zur Rückkehr ausgeschrieben ist;

    d)

    sicherstellen, dass die für die Rückkehr zuständigen nationalen Behörden angesichts der Rolle des nationalen SIRENE-Büros gemäß der Verordnung (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates (14) und seiner Funktion beim Informationsaustausch gemäß der Verordnung (EU) 2018/1860 eng mit diesem zusammenarbeiten;

    e)

    zusammenarbeiten und, falls erforderlich, Zusatzinformationen austauschen, um die Anerkennung und Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu erleichtern;

    f)

    vor der Anerkennung einer von einem anderen Mitgliedstaaten erlassenen Rückkehrentscheidung und vor einer Abschiebung den betreffenden Drittstaatsangehörigen anhören und seine Lage prüfen, um sicherzustellen, dass das nationale Recht und Artikel 5 der Richtlinie 2008/115/EG eingehalten werden. Insbesondere im Fall von Kindern sollte der vollstreckende Mitgliedstaat sicherstellen, dass das Wohl des Kindes gebührend berücksichtigt wird;

    g)

    dem betreffenden Drittstaatsangehörigen schriftlich mitteilen, dass die Rückkehrentscheidung eines anderen Mitgliedstaats, der die betreffende Person unterliegt, anerkannt wurde. In der Mitteilung sollten die in der Rückkehrentscheidung genannten sachlichen und rechtlichen Gründe erneut angegeben und Informationen zu den verfügbaren Rechtsbehelfen übermittelt werden;

    h)

    den ausschreibenden Mitgliedstaat unverzüglich über die Abschiebung des betreffenden Drittstaatsangehörigen unterrichten, damit der ausschreibende Mitgliedstaat das Schengener Informationssystem gemäß Artikel 24 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2018/1861 aktualisieren kann.

    Die Rückkehr beschleunigen

    2.

    Um die Rückkehrverfahren zu beschleunigen, sollten die Mitgliedstaaten auf der Grundlage des in der Empfehlung (EU) 2017/432 empfohlenen integrierten und koordinierten Ansatzes eine enge Zusammenarbeit zwischen den Behörden, die für die Entscheidungen zur Beendigung des legalen Aufenthalts zuständig sind, und jenen mit Zuständigkeit für den Erlass von Rückkehrentscheidungen einrichten, was auch den regelmäßigen Informationsaustausch und die operative Zusammenarbeit beinhaltet.

    3.

    Damit die für die Überwachung und Weiterverfolgung von Einzelfällen erforderlichen Informationen über die Identität und die rechtliche Stellung von Drittstaatsangehörigen, gegen die eine Rückkehrentscheidung ergangen ist, rechtzeitig verfügbar sind und um ein nationales Lagebild zur Rückkehr zu erstellen und auf dem aktuellen Stand zu halten, werden die Mitgliedstaaten ersucht, unverzüglich ein umfassendes IT-Rückkehrverwaltungssystem auf Basis des von Frontex gemäß Artikel 48 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung (EU) 2019/1896 entwickelten Modells einzurichten. Die Mitgliedstaaten sollten auch die zur Umsetzung von Rückübernahmeabkommen oder -vereinbarungen mit Drittstaaten geschaffenen Fallbearbeitungssysteme für die Rückübernahme in vollem Umfang nutzen.

    4.

    Um sicherzustellen, dass auf Entscheidungen über die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz rasch Rückkehrverfahren folgen, sollten die Mitgliedstaaten

    a)

    eine direkten und standardmäßig genutzten Kommunikationskanal zwischen Asyl- und Rückkehrbehörden für eine reibungslose Koordinierung der beiden Verfahren einrichten;

    b)

    mit derselben Entscheidung oder mit einer weiteren Entscheidung entweder zur gleichen Zeit oder unmittelbar anschließend eine Rückkehrentscheidung und eine Entscheidung über die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz erlassen, wobei die in Artikel 6 Absatz 6 der Richtlinie 2008/115/EG vorgesehene Möglichkeit bestmöglich genutzt wird;

    c)

    die Möglichkeit vorsehen, gleichzeitig bei demselben Gericht Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz und gegen die Rückkehrentscheidung einzulegen oder beide Entscheidungen innerhalb derselben Frist anzufechten;

    d)

    die automatische Aussetzung der Vollstreckung von Rückkehrentscheidungen während eines Beschwerdeverfahrens nur insoweit vorsehen, als dies für die Einhaltung von Artikel 19 Absatz 2 und Artikel 47 der Charta erforderlich ist;

    e)

    Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass von einem Rechtsbehelf von einem Drittland aus Gebrauch gemacht werden kann, insbesondere durch eine angemessene rechtliche Vertretung und durch den Einsatz innovativer Instrumente wie Videokonferenzen, sofern das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und Artikel 5 der Richtlinie 2008/115/EG gewahrt werden.

    5.

    Um in der Nähe der Außengrenzen eine schnellere Rückkehr zu gewährleisten, sollten die Mitgliedstaaten

    a)

    mobile Unterstützungsteams aufbauen, in denen alle zuständigen Behörden für freiwillige Rückkehr und Rückführung sowie einschlägige Unterstützungsdienste einschließlich Dolmetschern, Gesundheitsdiensten, Rechtsberatung und Sozialarbeitern vertreten sind;

    b)

    in der Nähe des Außengrenzgebiets angemessene Einrichtungen (insbesondere für Kinder und Familien) zur Aufnahme von Drittstaatsangehörigen bis zu deren Rückkehr schaffen, in denen die Menschenwürde und die in der Charta verankerten Grundrechte einschließlich des Rechts auf Privat- und Familienleben sowie auf Nichtdiskriminierung gewahrt werden;

    c)

    gegebenenfalls die beschleunigten Verfahren, die in den Rückübernahmeabkommen zwischen der Union oder den Mitgliedstaaten und Drittländern vorgesehen sind, unter Wahrung der Verfahrensgarantien, insbesondere gemäß Artikel 47 der Charta, in vollem Umfang nutzen;

    d)

    im Einklang mit Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Verordnung (EU) 2018/1860 eine Ausschreibung zur Rückkehr in das Schengener Informationssystem eingeben, wenn es nicht möglich ist, die Rückführung unverzüglich zu vollstrecken.

    6.

    Die Mitgliedstaaten sollten auf die gesamte Unterstützung durch Frontex setzen und diese in vollem Umfang nutzen, unter anderem die operative Unterstützung der nationalen Behörden, die Hilfe bei der Identifizierung von Rückkehrern und der Beschaffung von Reisedokumenten, die Organisation von Rückführungsmaßnahmen und die Unterstützung der freiwilligen Ausreise und Wiedereingliederung.

    Anreize für die freiwillige Rückkehr

    7.

    Um illegal aufhältige Drittstaatsangehörige zur freiwilligen Rückkehr zu motivieren, sollten die Mitgliedstaaten Strukturen zur Rückkehr- und Wiedereingliederungsberatung schaffen, um ihnen so früh wie möglich Informationen und Orientierungshilfen zur Verfügung zu stellen und sie in ein Programm zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung zu leiten. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass auch während des Asylverfahrens Informationen über die Rückkehr bereitgestellt werden, da im Falle der Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz die Rückkehr eine mögliche Folge ist.

    8.

    Außerdem sollten die Mitgliedstaaten

    a)

    unbeschadet des Artikels 11 Absatz 1 der Richtlinie 2008/115/EG erwägen, von der Verhängung eines Einreiseverbots gegen Drittstaatsangehörige abzusehen, die mit den zuständigen Behörden zusammenarbeiten und sich in ein Programm für die unterstützte freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung einschreiben; in solchen Fällen sollten die Mitgliedstaaten die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2008/115/EG gegebenenfalls verlängern;

    b)

    in Fällen, in denen ein Drittstaatsangehöriger, gegen den ein Einreiseverbot verhängt wurde, das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter uneingeschränkter Einhaltung einer Rückkehrentscheidung innerhalb der Frist für eine freiwillige Ausreise verlassen hat, im Einklang mit Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 2008/115/EG ein leicht zugängliches und pragmatisches Verfahren vorsehen, mit dem der Drittstaatsangehörige die Aufhebung, Aussetzung oder Verkürzung des Einreiseverbots beantragen kann.

    Ein umfassender Ansatz für den Umgang mit Fluchtgefahr

    9.

    Für ein gestrafftes und koordiniertes Verfahren sollten die Mitgliedstaaten einen umfassenden Ansatz einführen, der die folgenden Schlüsselinstrumente zur Bewertung und Verhinderung von Fluchtgefahr umfasst:

    a)

    objektive Kriterien, um in jedem Einzelfall zu bewerten, ob Fluchtgefahr besteht;

    b)

    wirksame Alternativen zur Inhaftnahme, um dem unterschiedlichen Ausmaß der Fluchtgefahr und den individuellen Umständen gerecht zu werden;

    c)

    Inhaftnahme nach Artikel 15 der Richtlinie 2008/115/EG und Artikel 6 der Charta als letztes Mittel und so kurz wie möglich.

    10.

    Um im Einzelfall zu bewerten, ob Gründe für die Annahme vorliegen, dass sich ein Drittstaatsangehöriger einem Rückkehrverfahren durch Flucht im Sinne von Artikel 3 Nummer 7 der Richtlinie 2008/115/EG entziehen könnte, sollten die Mitgliedstaaten die unter Nummer 15 bzw. Nummer 16 der Empfehlung (EU) 2017/432 genannten objektiven Umstände bzw. Kriterien in ihre nationalen Rechtsvorschriften aufnehmen. Die Mitgliedstaaten sollten eine breite Palette von Alternativen zur Inhaftnahme vorsehen, die wirksam die Flucht illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger verhindern und auf die individuellen Umstände der betroffenen Personen ausgerichtet sind. Die Mitgliedstaaten sollten angemessene Verfahren einführen, um sicherzustellen, dass Drittstaatsangehörige sich an diese Maßnahmen halten. Wirksame, aber weniger einschneidende Zwangsmaßnahmen als die Inhaftnahme sollten vorgesehen werden und können Folgendes umfassen:

    a)

    die Verpflichtung, sich regelmäßig bei den zuständigen Behörden zu melden; je nach Ausmaß der Fluchtgefahr von alle 24 Stunden bis einmal wöchentlich;

    b)

    die Verpflichtung, den zuständigen Behörden Reisepass, Reisedokument oder Ausweisdokument auszuhändigen;

    c)

    die Verpflichtung, sich an einem von den Behörden festgelegten Ort wie einem Privatwohnsitz, einer Unterkunft oder einer speziellen Einrichtung aufzuhalten;

    d)

    die Verpflichtung, den zuständigen Behörden eine Wohnanschrift sowie etwaige Änderungen einer solchen Anschrift zu melden;

    e)

    die Hinterlegung einer angemessenen finanziellen Garantie;

    f)

    den Einsatz innovativer Technologien.

    11.

    Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die Kapazitäten zur Inhaftnahme dem tatsächlichen Bedarf entsprechen; dabei ist die Zahl der illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen, gegen die eine Rückkehrentscheidung ergangen ist, ebenso zu berücksichtigen wie die geschätzte Zahl der Personen, die voraussichtlich mittelfristig rückgeführt werden.

    Umsetzung, Überwachung und Berichterstattung

    12.

    Bei der Umsetzung dieser Empfehlung sollten die Mitgliedstaaten auf die gesamte auf Unionsebene geleistete Unterstützung setzen und diese in vollem Umfang nutzen, einschließlich

    a)

    des EU-Rückkehrkoordinators und des hochrangigen Netzes für Rückkehrfragen;

    b)

    der Unterstützung durch die zuständigen Agenturen der Union, insbesondere Frontex, die Asylagentur der Europäischen Union, eu-LISA und die Agentur für Grundrechte;

    c)

    des Fachwissens und der Informationen, die in mit Rückkehrfragen befassten Netzen und Gruppen der Union gesammelt und ausgetauscht werden.

    13.

    Zur Überwachung der Umsetzung dieser Empfehlung werden die Mitgliedstaaten ersucht, der Kommission jährlich Bericht zu erstatten, wozu auch die Berichterstattung über die Zahl der Rückkehrentscheidungen anderer Mitgliedstaaten, die gegenseitig anerkannt wurden, gehört.

    Brüssel, den 16. März 2023

    Für die Kommission

    Ylva JOHANSSON

    Mitglied der Kommission


    (1)  Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98).

    (2)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein neues Migrations- und Asylpaket (COM(2020) 609 final).

    (3)  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 9. Februar 2023 (EUCO 1/23).

    (4)  COM(2021) 56 final.

    (5)  Verordnung (EU) 2022/922 des Rates vom 9. Juni 2022 über die Einführung und Anwendung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 (ABl. L 160 vom 15.6.2022, S. 1).

    (6)  Entscheidung 2008/381/EG des Rates vom 14. Mai 2008 zur Einrichtung eines Europäischen Migrationsnetzwerks (ABl. L 131 vom 21.5.2008, S. 7).

    (7)  Empfehlung (EU) 2017/432 der Kommission vom 7. März 2017 für eine wirksamere Gestaltung der Rückkehr im Rahmen der Durchführung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 66 vom 11.3.2017, S. 15).

    (8)  Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch“, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist (ABl. L 339 vom 19.12.2017, S. 83).

    (9)  Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. L 149 vom 2.6.2001, S. 34).

    (10)  Entscheidung 2004/191/EG des Rates vom 23. Februar 2004 zur Festlegung der Kriterien und praktischen Einzelheiten zum Ausgleich finanzieller Ungleichgewichte aufgrund der Anwendung der Richtlinie 2001/40/EG über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. L 60 vom 27.2.2004, S. 55).

    (11)  Verordnung (EU) 2018/1860 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Nutzung des Schengener Informationssystems für die Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatangehöriger (ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 1).

    (12)  Verordnung (EU) 2021/1147 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli 2021 zur Einrichtung des Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (ABl. L 251 vom 15.7.2021, S. 1).

    (13)  Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624 (ABl. L 295 vom 14.11.2019, S. 1).

    (14)  Verordnung (EU) 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und zur Änderung und Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 (ABl. L 312 vom 7.12.2018, S. 14).


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