Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52007AE1261

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2006 — Wirtschaftspolitische Prioritäten zur Stärkung der Euro-Zone KOM(2006) 714 endg. — SEK(2006) 1490

    ABl. C 10 vom 15.1.2008, p. 88–95 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    15.1.2008   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 10/88


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2006 — Wirtschaftspolitische Prioritäten zur Stärkung der Euro-Zone“

    KOM(2006) 714 endg. — SEK(2006) 1490

    (2008/C 10/22)

    Die Kommission beschloss am 11. Januar 2007, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: „Die Wirtschaft der EU: Bilanz 2006 — Wirtschaftspolitische Prioritäten zur Stärkung der Eurozone“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 4. September 2007 an. Berichterstatter war Herr BURANI, Mitberichterstatter war Herr DERRUINE.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 438. Plenartagung am 26./27. September 2007 (Sitzung vom 26. September) mit 133 gegen 2 Stimmen bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1

    Der Ausschuss stimmt der Kommissionsmitteilung größtenteils zu, möchte jedoch einige Bemerkungen hinzufügen, von denen er einige bereits zuvor — teilweise sogar noch vor der Euro-Einführung — zum Ausdruck gebracht hatte. Die Kommission übt implizit Kritik an einigen Aspekten der Politik der Mitgliedstaaten. Im Großen und Ganzen stimmt der EWSA dieser Kritik zu, erinnert jedoch daran, dass die Regierungen oftmals mit unausweichlichen Erfordernissen der Innenpolitik oder mit externen Ereignissen (Energiekrisen, Kriegen etc.) konfrontiert sind, auf die sie keinen Einfluss haben.

    1.2

    Die langfristige Nachhaltigkeit der Haushaltspolitik wird fraglich, wenn es bei den aufeinander folgenden Regierungen an politischer Kontinuität fehlt. Gleiches gilt für die Strukturreformen, die von einem erheblichen Maß an Subjektivität je nach Couleur der amtierenden Regierung abhängen. Unter Berücksichtung dieser Tatsachen ist der EWSA, ebenso wie die Kommission, der Auffassung, dass es notwendig ist, die Strukturreformen mit der erforderlichen Kontinuität abzuschließen.

    1.3

    Die Flexibilität der Märkte für Güter und Dienstleistungen ist ein Aspekt der Wirtschaftspolitik, bei der die Regierungen ein Einvernehmen mit den Sozialpartnern suchen müssen. Die Liberalisierung, die in den verschiedenen Ländern je nach Wirtschaftszweig unterschiedliche Ergebnisse brachte, muss mit Umsicht und unter Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse des jeweiligen Landes und Wirtschaftszweiges durchgeführt werden.

    1.4

    Die für die Dienstleistungen für Unternehmen weitgehend vollendete Integration der Finanzmärkte gestaltet sich in Bezug auf die Dienstleistungen für Privatverbraucher problematischer. Die meisten Hürden sind jedoch objektiver Natur (unterschiedliche Sprachen, Dienstleistungsmerkmale etc.). Es handelt sich um Probleme, die nicht mithilfe von Gesetzen oder Regelungen, sondern vielmehr vom Markt selbst zu lösen sind — wo immer dies möglich ist. Die geltenden Bestimmungen sollten für die Fortführung der Integration ausreichen. Notwendig sind allenfalls Normen zur Gewährleistung eines optimalen Schutzes der Verbraucherinteressen und gegebenenfalls der Marktüberwachung.

    1.5

    Die Implikationen der Währungsunion müssen sich, so die Kommission, im Lohnsetzungsverhalten niederschlagen; der EWSA hofft seinerseits, dass sich im Rahmen von gemeinsamen Sitzungen der Eurogruppe und des Rates „Beschäftigung“ eine Konvergenz der Wirtschafts-, Geld- und Beschäftigungspolitik erreichen lässt. Eine — wenn auch nur prinzipielle — Konvergenz könnte mit der Zeit zu einer echten Harmonisierung der verschiedenen Politiken beitragen.

    1.6

    Die Empfehlung der Kommission, die internationale Dimension stärker zu berücksichtigen, entspricht einer vom EWSA noch vor der Euro-Einführung geübten Kritik. Die aufstrebenden asiatischen Länder sollten nicht als eine Bedrohung, sondern vielmehr als eine Herausforderung in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit und Innovation gesehen werden.

    1.7

    Die einzelnen Regierungen sollten die Euro-Zone mit Überzeugung fördern; ihnen wird nahe gelegt, nicht dem Euro die Schuld an den Problemen der nationalen Wirtschaft zu geben und die Vorteile, die die Einführung der Einheitswährung für die Wirtschaft mit sich brachte, zu verschweigen. Ferner wäre zu wünschen, dass sich die Mitgliedstaaten, die zum Zeitpunkt der Euro-Einführung der Euro-Zone nicht beigetreten sind, klar zu ihren Plänen für die Zukunft äußern. Dies nicht nur, um die Öffentlichkeit der Euro-Zone zu informieren, sondern auch um die Festlegung der künftigen Euro-Politik zu ermöglichen — auf der Grundlage der Informationen darüber, welche und wie viele Volkswirtschaften der Euro-Zone angehören werden.

    1.8

    Der EWSA betont, dass angesichts der Bedeutung, die der Euro als internationale Währung erlangt hat, erneut und mit großem Nachdruck ein Antrag auf einen Sitz für die Euro-Zone im Internationalen Währungsfonds gestellt werden sollte. Dies sollte nicht auf Kosten eines der derzeitigen Mitglieder geschehen — vielmehr sollte ein Sitz hinzugefügt werden. Der Einwand, dass eine solche Möglichkeit im derzeitigen Statut des IWF nicht vorgesehen ist, erscheint wenig konsistent und lediglich als Vorwand.

    1.9

    Eine recht kontroverse Idee, die nur deshalb geäußert wird, um das Terrain für eine eventuelle künftige Realisierung zu sondieren, betrifft die Einrichtung eines europäischen Stabilisierungsfonds, der mit in wirtschaftlich guten Zeiten entstehenden Steuerüberschüssen gespeist und der Finanzierung von Projekten von gemeinschaftlichem Interesse dienen würde.

    1.10

    Im Allgemeinen hält der Ausschuss den Bericht der Kommission für akzeptabel, ergreift jedoch die Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass sowohl in diesem Bericht als auch in der gesamten umfangreichen Dokumentation zum Euro die politische Dimension der Einheitswährung überhaupt nicht gebührend herausgestellt wird. Dabei gehen die Bedeutung des Euro sowie seine Auswirkungen und Perspektiven weit über die bloßen wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Aspekte hinaus: Der wahre Zusammenhalt der Union basiert auf der getroffenen Entscheidung, die Interessen verschiedener Länder zusammenzuführen und in einer gemeinsamen Währung münden zu lassen.

    2.   Einleitung

    2.1

    Die Kommission hat eine Mitteilung über die Entwicklung der Wirtschaft der EU im Jahr 2006 veröffentlicht und den Schwerpunkt insbesondere auf die politischen Prioritäten zur Stärkung der Euro-Zone gelegt. Die Mitteilung basiert auf dem Dokument „Adjustment dynamics in the Euro area: experiences and challenges“ (1), das wie üblich eine wertvolle Referenzgrundlage für eine weitere Vertiefung ist.

    2.2

    Der EWSA hat es sich mittlerweile zur Gewohnheit gemacht, in Initiativstellungnahmen auf die jährliche Stellungnahme der Kommission (2) einzugehen. In der vorliegenden Stellungnahme sollen die zuvor bereits zum Ausdruck gebrachten Empfehlungen und Standpunkte erneut aufgegriffen und bekräftigt und gegebenenfalls nochmals in Erinnerung gerufen werden. Darüber hinaus möchte der Ausschuss zu den Überlegungen über die Funktionsweise der WWU beitragen und schlägt neue Elemente vor, beispielsweise den Gemeinsamen Rat der Minister für Wirtschaft und Beschäftigung der Euro-Zone oder die (zu Sondierungszwecken vorgeschlagene) Einrichtung eines europäischen Stabilisierungsfonds.

    2.3

    Andererseits lässt sich aus historischer Perspektive der Währungsunion heraus feststellen, dass verschiedene von der Kommission in jüngerer Zeit ergriffene bzw. empfohlene Maßnahmen an die Bemerkungen des EWSA anknüpfen, die er in seiner Stellungnahme aus dem Jahr 1997 (3) in Bezug auf die strikte Disziplin einiger grundlegender Aspekte des Stabilitäts- und Wachstumspaktes formuliert hatte. Darin hatte er festgestellt, dass die Merkmale der Konjunktur und der einzelstaatlichen Politiken bei der Bestimmung der Bezugsparameter und ihrer Anwendung nicht gebührend berücksichtigt wurden. Die Vorschläge des EWSA waren damals nicht befolgt worden, doch die Zeit hat gezeigt, dass sie zutreffend waren (4).

    2.4

    Der zu Beginn fehlende Sinn für die Realität schlägt sich nun in der (berechtigten, aber von Anfang an vorhersehbaren) Kritik an der Wirtschaftspolitik der Länder der Eurogruppe nieder. Bei der Aufstellung der nationalen Haushaltspläne sollte man sich auf gemeinsame makroökonomische Annahmen stützen. Der in der Sitzung der Minister der Eurogruppe am 6. November 2006 bekundete Wille des Vorsitzes blieb ein Lippenbekenntnis: Bei der Aufstellung der nationalen Haushaltspläne kommt die notwendige Koordinierung der Wirtschaftspolitiken noch lange nicht zum Tragen.

    2.5

    Auf der anderen Seite muss man sich im Klaren darüber sein, dass eine Koordinierung der Wirtschaftspolitiken angesichts der von Land zu Land variierenden sozioökonomischen Bedingungen und unterschiedlichen — bisweilen sogar entgegengesetzten Ziele — äußerst schwierig ist. Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn es gelänge, eine Konvergenz dieser Politiken zu erreichen. Die Konvergenz hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, insbesondere jedoch von der Beschäftigung — einem Faktor, dessen Ausmaß und Merkmale das Ergebnis zahlreicher Maßnahmen in anderen Politikbereichen sind.

    2.5.1

    Die Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Leitlinien der europäischen Beschäftigungsstrategie sind nunmehr zwei integrierte Strategien. Eine möglichst umfassende Konvergenz (zumindest als Versuch, im Laufe der Zeit eine Harmonisierung zu erreichen) könnte im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung der Eurogruppe und jenen Mitgliedern des Rates „Beschäftigung und Soziales“, die der Euro-Zone angehören, erreicht werden. Die Ergebnisse dieser Sitzung könnten im Hinblick auf die jährliche Frühjahrstagung des Europäischen Rates als wertvolle Anhaltspunkte für die Bewertung dienen.

    3.   Die Mitteilung der Kommission

    3.1

    Die Mitteilung besteht aus drei begrüßenswert kurzen Teilen: der Bilanz der Erfahrungen, den besonderen Bemerkungen und den Empfehlungen der Kommission. Von mittlerweile anstandslos anerkannten Feststellungen und Wiederholungen von Grundsätzen, die im Laufe der Jahre zum Bestandteil der Leitlinien für die Wirtschaftspolitik wurden, wurde abgesehen.

    3.2   Bilanz der Erfahrungen in den ersten Jahren der Währungsunion

    3.2.1

    Die Kommission verweist auf die Diskussion vor der Einführung des Euro 1999 über die wesentliche Frage, „wie die teilnehmenden Staaten sich auf Schocks und unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit unter Rahmenbedingungen einstellen würden, die von geringer Arbeitnehmermobilität, unvollständiger Integration der Waren- und Dienstleistungsmärkte und der Wahrung einzelstaatlicher Haushaltsautonomie geprägt sind“. Diese Frage ist auch heute noch aktuell. Allerdings haben sich die Zweifel jener, die in ihren pessimistischen Prognosen von einem „kurzen Leben“ der Währungsunion sprachen, nicht bewahrheitet.

    3.2.2

    Der Erfolg oder zumindest die positiven Ergebnisse des Euro sind unbestreitbar. Die Währung ist stark und stabil und hat gut auf die externen und internen Störungen reagiert. Auch einer Inflation konnte erfolgreich entgegengewirkt werden. Die Mitgliedstaaten kamen in den Genuss der „günstigsten Finanzierungsbedingungen aller Zeiten“. Einen weiteren Vorteil sieht der EWSA darin, dass einige Mitgliedstaaten der Euro-Zone vor einer Inflation bewahrt wurden, der ihre nationale Währung infolge verschlechterter Wirtschafts- und Haushaltsbedingungen mit Sicherheit ausgesetzt gewesen wäre. Der Euro — die zweitwichtigste Währung weltweit — hat die Mitgliedstaaten vor Währungs- und Finanzkrisen bewahrt, die das Wachstum behindert, Arbeitsplätze vernichtet und das Vertrauen der Wirtschaftsakteure zerstört hätten.

    3.2.3

    Den Erfolgen stehen jedoch einige Aspekte gegenüber, die nach wie vor problematisch sind. In zahlreichen Fällen konnten sich die einzelnen Volkswirtschaften nur schwer und mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen an die länderspezifischen Entwicklungen anpassen. Diese Unterschiede spiegelten sich in den Inflations- und Wachstumsraten wider. Die auf eine Konjunkturabschwächung der Volkswirtschaften zurückzuführenden Anpassungen hätten nach anfänglichen Verlusten an Wettbewerbsfähigkeit mittelfristig ein schnelleres tendenzielles Wachstum ermöglichen müssen. Dies war überhaupt nicht bzw. höchstens nur teilweise der Fall. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass sich „ganz allgemein […] feststellen [lässt], dass der Euro noch nicht in der Lage war, hohes Wirtschaftswachstum und hohe Beschäftigung über einen längeren Zeitraum zu erreichen“. Auf diese Behauptung wird der EWSA im weiteren Verlauf seiner Stellungnahme eingehen.

    3.2.4

    Andererseits räumt die Kommission ein, dass die Anpassungsschwierigkeiten nicht nur bzw. nicht vorrangig auf die verspäteten Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung und Durchführung struktureller Reformen zurückzuführen sind, sondern auch mit der durch die Regeln der Währungsunion auferlegten Haushaltsdisziplin zusammenhängen.

    3.2.5

    In den ersten Jahren der Wirtschafts- und Währungsunion wurden Ungleichgewichte und Verschiebungen in den realen effektiven Wechselkursen verzeichnet. In einigen Mitgliedstaaten kamen stark fallende Zinssätze und „eine Lockerung der Kreditbeschränkungen für Haushalte infolge des verbesserten Zugangs zu Krediten im stärker integrierten Finanzmarkt“ hinzu, was sich wiederum unmittelbar auf den Verbrauch von lang- und kurzlebigen Gütern auswirkte. Insbesondere in Bezug auf die langlebigen Güter (Immobilien) hatten diese Mitgliedstaaten enorme Investitionen im Ausland hinnehmen müssen, wodurch die Leistungsbilanzdefizite noch größer wurden.

    3.2.6

    Eine allgemeingültige Aussage der Kommission (auch wenn sie am Beispiel der Niederlande geäußert wurde) betrifft die „Risiken in der Gestaltung der Haushaltspolitik in ‚guten Zeiten‘“. In den Niederlanden führte die überaus günstige Konjunktur zu Beginn dieses Jahrzehnts zu prozyklischen Wirkungen im Arbeits- und Finanzmarkt sowie in der Fiskalpolitik. Externe Wirtschaftsbedingungen bewirkten einen plötzlichen Konjunkturrückgang, der wiederum drastische Gegenmaßnahmen zur Eindämmung dieses Phänomens erforderlich machte.

    3.2.7

    Auch die Preise und Löhne spielten in Bezug auf die Probleme eine Rolle. Auf nationaler Ebene haben sie zu langsam auf die Veränderungen der konjunkturellen Bedingungen reagiert, und das trotz einer generellen Lohnzurückhaltung, die unter anderem zum Abbau der Arbeitslosigkeit beigetragen hat. Das geringe Produktivitätswachstum führte dazu, dass die reale Entwertung auf den Preisen und insbesondere auf den Löhnen lastete. Aufgrund ihrer Wechselwirkung auf internationaler Ebene verursachen diese Phänomene Veränderungen bei der Nachfrage und wirken sich auf die Wettbewerbsfähigkeit aus.

    3.2.8

    Die Erfahrungen mit der nominellen und realen Konvergenz sind zwar unterschiedlich, jedoch auch aufschlussreich, wenn man sich nur die Mühe machen würde, die Tatsachen kritisch und objektiv zu analysieren. Die Kommission schreibt, dass die unterschiedlichen Erfahrungen „zum Teil“ unterschiedliche nationale Politikansätze widerspiegelten. Der EWSA stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die weltweite und die europäische Konjunktur in der Regel die gleichen Auswirkungen auf alle Länder hatte, so dass etwaige Unterschiede zu einem „großen Teil“ auf die nationale Politik zurückzuführen sind. Die von der Kommission genannten Beispiele Spaniens, Italiens, Portugals und Irlands sind der beste Beweis dafür, dass die Haushaltspolitik der „Grille“ und jene der „Ameise“ in wirtschaftlich guten Zeiten zu gänzlich unterschiedlichen Ergebnissen führten.

    3.3   Notwendige Maßnahmen für ein reibungsloses Funktionieren der Währungsunion

    3.3.1

    Diesem Kapitel der Mitteilung muss eine sehr große Aufmerksamkeit geschenkt werden, da die fünf nachfolgend aufgeführten „spezifischen Überlegungen“ die Prioritäten der Kommission für die nächsten Jahre sind oder besser gesagt mit den Prioritäten der Kommission übereinstimmen.

    3.3.2

    Überlegung 1: Die Haushaltspolitik muss noch umsichtiger betrieben werden. Im Wesentlichen entsprechen die zu treffenden Maßnahmen jenen, die im Rahmen des überarbeiteten Stabilitäts- und Wachstumspakts angenommen wurden und von den Regierungen (nicht nur der Euro-Zone) mittlerweile verinnerlicht sein müssten. Dies alles wird in der selbstverständlichen, aber bei der Aufstellung der Jahrespläne offenkundig nicht immer befolgten Empfehlung zusammengefasst, der langfristigen Tragfähigkeit der Haushaltspolitiken Rechnung zu tragen.

    3.3.3

    Überlegung 2: Die Märkte für Güter und Dienstleistungen müssen flexibler werden. Die Kommission spricht von einer „größeren Flexibilität der Preise nach unten“, die bei starren Preisen unmöglich erreicht werden kann. Bei starren Preisen stößt eine Anpassung der Nominallöhne auf Widerstand, weil dies mit deutlicheren realen Kaufkraftverlusten verbunden wäre. Auch eine Neuaufteilung von Ressourcen zwischen Unternehmen und Sektoren sollte gefördert werden. Diese beiden Faktoren — die Flexibilität der Preise und die Neuaufteilung der Ressourcen — hängt von der Schaffung offener und wettbewerbsfähiger Märkte ab. Auch eine Überprüfung der Steuer- und Ausgabenpolitik (oder einiger ihrer Aspekte) — auf gemeinschaftlicher, einzelstaatlicher und lokaler Ebene — könnte notwendig sein.

    3.3.4

    Überlegung 3: Die Integration der Finanzmärkte muss beschleunigt werden. In diesem Bereich sind wichtige Fortschritte erzielt worden, doch nach Auffassung der Kommission muss noch viel getan werden, um das volle Potenzial der Finanzmärkte in der Euro-Zone zu nutzen. Eine größere Integration kann die Wirkung wirtschaftlicher Störungen auf Einkommen und nationale Kreditmärkte abfedern. Vom Aktionsplan für Finanzdienstleistungen und von den laufenden Maßnahmen sind bedeutende Ergebnisse zu erwarten.

    3.3.5

    Überlegung 4: Die Implikationen der Währungsunion müssen sich im Lohnsetzungsverhalten niederschlagen. Die am Lohnfindungsprozess beteiligten Sozialpartner müssen über Informationen verfügen, die für eine Berechnung der Angemessenheit der Lohnzuwächse erforderlich sind, um die Auswirkungen bei den Anpassungsprozessen abschätzen zu können. Eine Lohnpolitik, die mit den Entwicklungsplänen vereinbar ist, könnte dazu beitragen, signifikantes „Überschießen“ der realen effektiven Wechselkurse in der Euro-Zone zu vermeiden.

    3.3.6

    Überlegung 5: Die globale Dimension muss berücksichtigt werden. Diesem Aspekt soll „auf systematischere Weise“ Rechnung getragen werden. Im Rahmen der Wirtschaftspolitiken auf Ebene der Euro-Zone wie auch auf der der Einzelstaaten wurde dieser Aspekt oftmals unterschätzt, dabei spielt er bei der Festlegung der Wirtschaftspolitiken eine große Rolle. Der Einfluss des Euro (oder besser gesagt seiner Wechselkurse) auf andere Akteure der Weltwirtschaft muss genau ins Kalkül gezogen werden, da von ihm die handels-, finanz- und wirtschaftspolitische Strategie abhängt.

    3.4   Der Weg zu einer stärkeren Euro-Zone

    3.4.1

    In diesem Abschnitt der Kommissionsmitteilung werden die für eine Stärkung und Vollendung der Währungsunion notwendigen Maßnahmen aufgezeigt — eine Priorität, die vor dem heutigen internationalen Hintergrund umso dringlicher wird. Insbesondere ein Satz soll an dieser Stelle zitiert werden: „Die unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklungen in der Euro-Zone in der jüngeren Vergangenheit spiegelten in einem gewissen Maß anfängliche Entwicklungen wider, denen die Mitgliedstaaten in der Vorbereitungsphase zur Schaffung der Währungsunion in 1999 ausgesetzt waren“. Dieser Satz enthält (zumindest teilweise) die Erklärung für die unterschiedlichen Wachstumsentwicklungen und Politikansätze, die in diesen vergangenen neun Jahren verzeichnet wurden.

    3.4.2

    Der von der Kommission aufgezeigte „Weg“ wird nachstehend anhand der Titel dargestellt, da sich die entsprechenden Maßnahmen zum großen Teil aus dem Titel selbst und aus den zahlreichen Dokumenten zu den einzelnen Fragen erahnen lassen. Der zu beschreitende Weg umfasst folgende Maßnahmen:

    a)

    Strukturreformen beschleunigen und Integration fördern;

    b)

    weitere Stärkung fiskalischer Positionen und Verbesserung der Qualität der nationalen Haushalte;

    c)

    verstärkte Koordination innerhalb und außerhalb der Euro-Zone;

    d)

    die Erweiterung der Euro-Zone fördern;

    e)

    näher an die Bürger herankommen.

    Zu den einzelnen Maßnahmen wird der EWSA im Folgenden Stellung nehmen.

    4.   Bemerkungen des EWSA

    4.1   Überlegung 1: Die Haushaltspolitik muss noch umsichtiger betrieben werden.

    4.1.1

    Der Ausschuss teilt die bisweilen implizite, aber dennoch transparente Kritik der Kommission an der Politik mancher Mitgliedstaaten, denen oftmals mehr daran gelegen ist, im Einklang mit den Konvergenzkriterien stehende Jahrespläne vorzulegen, als eine Strategie zur Stärkung der Haushalte zu betreiben. Bei dieser Kritik ist im Übrigen zu beachten, was der Ausschuss bereits lange vor der Einführung der Einheitswährung festgestellt hatte (5): Keine Regierung ist in vollem Umfang in der Lage, unabhängig von Zwängen und Einschränkungen eine eigene — und angemessene — Haushaltspolitik zu betreiben.

    4.1.2

    Abgesehen von den Zwängen, die von den Konvergenzkriterien auferlegt werden und die in einer „angemessenen“ Haushaltspolitik bereits berücksichtigt werden müssten, gibt es andere — innere und äußere — Zwänge. In Bezug auf die inneren Zwänge sollen an dieser Stelle lediglich die strukturellen Zwänge bzw. solche, die mit noch nicht umgesetzten Strukturreformen zusammenhängen, genannt werden. Zu den externen Zwängen zählt die Entwicklung der Weltwirtschaft und insbesondere die „Energierechnung“ — ein Faktor, der von Land zu Land stark variierende Merkmale aufweist und bei den Ursachen für die unterschiedlichen Wirtschaftspolitiken nie mitberücksichtigt wird. Zugegebenermaßen ist die Situation von Ländern, die in Bezug auf ihre Energieversorgung (fast) vollständig vom Ausland abhängen, gänzlich anders als die Situation von Ländern, die unabhängiger sind bzw. in manchen Fällen sogar selbst exportieren.

    4.1.3

    Der EWSA stellt fest, dass die Strukturreformen im Sinne der nachstehenden Ziffer 4.1.6 in der Vergangenheit nicht immer die erhofften Ergebnisse gebracht haben. Erforderlich sind eine bessere Koordinierung der Reformen innerhalb der einzelnen Länder und auf gemeinschaftlicher Ebene sowie eine größere Kohärenz mit den makroökonomischen Politiken zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigung. Dies war in der Vergangenheit nicht immer der Fall. Die enttäuschende Wachstumsentwicklung, die in allen Ländern recht ähnlich verlief, macht deutlich, dass das Wachstum in gewissen Ländern eine von den Reformen „unabhängige Variable“ war.

    4.1.4

    Auf die Empfehlung, der langfristigen Tragfähigkeit der Haushaltspolitiken Rechnung zu tragen (siehe Ziffer 3.3.2), soll an dieser Stelle gesondert eingegangen werden. Die Haushaltspolitiken sind stets eine Mischung aus Überlegungen wirtschaftlicher/sozialer Art und politischer Ausrichtung. Blickt man auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre in den Ländern der Euro-Zone zurück, so wird deutlich, dass nur wenige dieser Länder eine „politische Stabilität“ aufrechterhalten konnten. Regierungen unterschiedlicher Ausrichtung wechselten sich an der Spitze eines jeden Landes ab, was in einer Demokratie im Übrigen normal und wünschenswert ist. Doch gerade aufgrund dieser politischen Machtwechsel ist es fraglich, ob die Erarbeitung von Plänen für eine langfristige Tragfähigkeit Sinn macht (6): Die Zuverlässigkeit solcher Pläne hängt nämlich von der Stabilität der Regierungen und natürlich auch von zahlreichen anderen exogenen Faktoren ab.

    4.1.5

    Ein besonderer Aspekt der Strukturreformen betrifft in einigen Ländern die Höhe der öffentlichen Verschuldung, die deutlich über dem im Rahmen der Maastricht-Kriterien festgelegten Parameter liegt (60 % des BIP) und mit den Jahren keine nennenswerte positive Entwicklung erkennen lässt. Nach Auffassung des Ausschusses ist es nicht ausreichend, diese Verschuldung mithilfe des Haushaltsüberschusses aus einigen günstigen Jahren bzw. mithilfe so genannter „One-Shot“-Operationen zu reduzieren. Erforderlich ist eine größere Effizienz der öffentlichen Ausgaben bzw. — sollte sich diese Maßnahme als unzureichend erweisen — ihre radikale strukturelle Reform.

    4.1.6

    Der von der Kommission aufgezeigte Weg, auf den in Ziffer 3.4.2 verwiesen wurde (Strukturreformen beschleunigen), ist somit mit Hindernissen gespickt und geht mit einem beträchtlichen Ausmaß an Subjektivität (je nach politischer Ausrichtung) einher. Die Strukturreformen (Renten- und Gesundheitssystem, öffentliche Verwaltung, Liberalisierung, Energie) haben starke soziale Auswirkungen, und die Sozialpartner sind an diesen Reformen in einer maßgeblichen (von Land zu Land unterschiedlichen) Weise beteiligt. Keine Regierung kann Maßnahmen ergreifen (seien sie nun zweckmäßig oder nicht), die von den Bürgern nicht mitgetragen werden. Die jüngere Geschichte zeigt, dass Strukturreformen oftmals das Ergebnis eines Kompromisses aus unterschiedlichen und bisweilen entgegengesetzten Anforderungen sind: Bei den abstrakten „rationalen“ Reformen müssen reale und unausweichliche Anforderungen berücksichtigt werden.

    4.1.7

    Der Ausschuss anerkennt die Wichtigkeit der Durchführung gut konzipierter und unter den Mitgliedstaaten gut abgestimmter Strukturreformen. Gleichwohl können sich einige dieser Reformen für die Haushalte als besorgniserregend darstellen, so dass sie infolge dessen vorsichtshalber ihre Sparquote anheben. In Prozentpunkten ausgedrückt erscheint die Entwicklung dieser Sparquote bislang zwar unerheblich, in absoluten Zahlen sieht sie jedoch anders aus. So stieg die Sparquote zwischen 2001 und 2005 jährlich um weniger als einen Prozentpunkt an. Dies entspricht jedoch einem Betrag von knapp 50 Milliarden, der nicht in den Konsum geflossen ist (7). Einige sind der Auffassung, dass dies jedoch ein positives Zeichen sein könnte: Ist der Konsumanstieg niedriger als der Anstieg der Sparquote, so könnte dies auch ein größeres Vertrauen der Bürger in die Zukunft der Wirtschaft bedeuten. Andere machen hingegen auf die Investitionen im außereuropäischen Ausland aufmerksam und bemängeln, dass sie höher sind als die Investitionen in Europa. Dies sind unterschiedliche Standpunkte; ihr gemeinsamer Nenner ist jedoch, dass der Anstieg der ausländischen Investitionen in Europa schließlich eine positive Folge der Globalisierung ist.

    4.2   Überlegung 2: Die Märkte für Güter und Dienstleistungen müssen flexibler werden

    4.2.1

    Die Kommission unterstreicht, dass die öffentlichen Haushalte die aktive Anpassung der Flexibilität der Märkte für Güter und Dienstleistungen stärker unterstützen müssen. Mit Flexibilität meint sie die „Flexibilität nach unten“ — entgegen der Erfahrung, die die Euro-Zone in den ersten Jahren ihres Bestehens gemacht hat. Ein gangbarer Weg wäre in diesem Zusammenhang die Lockerung der Preise und die Förderung einer besseren Neuaufteilung von Ressourcen zwischen Unternehmen und Sektoren. Dadurch würde eine Lohnpolitik gefördert, die mit der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung eines angemessen hohen Lohnniveaus und der Reduzierung der sozialen Kosten der zyklischen Anpassungsprozesse besser vereinbar wäre.

    4.2.2

    Die Überlegungen der Kommission sind vermutlich richtig, doch fragt sich der EWSA, ob sie realistisch sind bzw. für jede Situation und jedes Land zutreffen. Die Integration der nationalen Märkte (zweiter Teil der Ziffer 3.4.2 a)) kann zwar zum Teil durch eine Ankurbelungspolitik der Regierung gefördert werden, doch die Lohnpolitik hängt zum großen Teil von der Konsultierung und den Verhandlungen der Sozialpartner ab. Folglich ist die Flexibilität der Preise in einer freien Marktwirtschaft nicht immer und nicht überall von Maßnahmen der Regierung unabhängig. Sie hängt in der Praxis von der Einigung zwischen unterschiedlichen Parteien wie Regierung, Unternehmer und Arbeitnehmer ab. Gleiches gilt in gewissem Maße für die Neuaufteilung der Ressourcen zwischen Unternehmen und Sektoren, die sich zwar durch steuerliche Maßnahmen bzw. Regelungen sicherlich fördern lässt, letztendlich aber von den Möglichkeiten des Marktes und von der Einigung zwischen den Sozialpartnern abhängt.

    4.2.3

    Die Liberalisierung sollte als ein möglicher Aspekt der Neuverteilung der Ressourcen zwischen Unternehmen gesondert erörtert werden. Trotz einer formalen Anerkennung des Prinzips wird in der Praxis deutlich, dass der Zweck der Liberalisierung sowie die Art und das Ausmaß ihrer Durchführung von Land zu Land variieren — je nach der politischen Ausrichtung der einzelnen Länder, die unterschiedlich und bisweilen gar entgegengesetzt ist. Über die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die Preise (die Qualität ist eine andere Frage) und auf die Konkurrenz lässt sich streiten, sie legen jedoch den Schluss nahe, dass die Liberalisierung nicht immer und überall die erhofften Ergebnisse brachten. Folglich hängen die Flexibilität der Preise und die Anpassung der Lohnpolitik auch von der Möglichkeit einer Liberalisierung ab, vorausgesetzt, die Maßnahmen werden durchgeführt, wenn der Markt dies zulässt, und die dabei entstehende Konkurrenz bringt echte Vorteile für die Verbraucher.

    4.3   Überlegung 3: Die Integration der Finanzmärkte muss beschleunigt werden

    4.3.1

    Der vor drei Jahren eingeleitete Aktionsplan für Finanzdienstleistungen brachte sowohl in Bezug auf die Zahlungssysteme als auch die Finanz- und Wertpapiermärkte sowie die Bankdienstleistungen für Unternehmen („corporate“) gute Ergebnisse (die Kommission spricht von „wichtigen Fortschritten“). Im Hinblick auf diese Sektoren kann man von einer fortgeschrittenen Integration der Finanzmärkte sprechen. Zu ergreifen sind noch Maßnahmen zur Überwachung und zur Ausübung der Stimmrechte sowie Fusionen von Unternehmen. All diese Maßnahmen sind notwendig, obgleich diese Aspekte keine echte Hürde für die bereits laufende Integration darstellen.

    4.3.2

    Das von der Kommission angesprochene Problem in Bezug auf Kredite und Finanzdienstleistungen für Privatverbraucher im Allgemeinen soll an dieser Stelle gesondert erörtert werden. In der Kommissionsmitteilung heißt es: „Eine größere Finanzmarktintegration kann die Wirkung wirtschaftlicher Störungen auf Einkommen und nationale Kreditmärkte glätten“. Diese Feststellung ist sicherlich begründet, es bleibt jedoch fraglich, ob sie sich in maßgeblicher Weise umsetzen lässt. In Bezug auf die Finanzprodukte ist die Integration auf gemeinschaftlicher Ebene bereits Realität: Nichts hindert einen Bürger aus einem Mitgliedstaat daran, Wertpapiere in einem anderen Mitgliedstaat zu erwerben bzw. zu verkaufen. Im Hinblick auf die Finanzdienstleistungen, insbesondere die Kredite, ist die Situation hingegen komplexer: Eine Integration auf europäischer Ebene lässt sich in diesem Bereich in naher Zukunft schwer erreichen.

    4.3.3

    Die Finanzdienstleistungen (die gemeinsam mit den Versicherungsdienstleistungen eine Ausnahme bilden) gehen mit einem Risiko für den Verkäufer einher, da die Realisierbarkeit einer jeden Transaktion von der Zuverlässigkeit des Kunden abhängt. Dabei muss sich der Verkäufer Informationen im Ausland einholen, und bei der Ausarbeitung eines Vertrags müssen unter anderem die Modalitäten zur Schlichtung eventueller Streitigkeiten bzw. Regelung von Insolvenzen berücksichtigt werden. Auf dem nationalen Markt bereitet all dies keine Probleme. Im Falle einer Integration auf gemeinschaftlicher Ebene mit denselben Bestimmungen müssen jedoch unterschiedliche Sprachen verwendet und die Gesetze (sowie die eventuelle Zuständigkeit der Gerichte) des Landes des Käufers beachtet werden. Dies geht mit Kosten, Schwierigkeiten und Hindernissen einher, die sich mit Gesetzen bzw. Regelungen nur schwer überwinden lassen. Ein gangbarer Weg, der bereits beschritten wird, ist die Öffnung von Filialen des Verkäufers im Land (in den Ländern) des Käufers. In diesem Fall kann allerdings nicht von einer Integration der Märkte, sondern vielmehr von einer Erweiterung des Binnenmarktes im Einklang mit der Niederlassungsfreiheit gesprochen werden. Das Positive daran ist die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf den nationalen Märkten und eine größere Auswahl für den Verbraucher.

    4.3.4

    Eine weitere Integration der Finanzmärkte für Privatverbraucher kann folglich kurzfristig mithilfe von rechtlichen Initiativen bzw. Förderungsmaßnahmen nicht erreicht werden. Die Kommission und die Mitgliedstaaten sollten sich bei ihren Bemühungen auf Ziele konzentrieren, die tatsächlich erreichbar sind, und von Zielen, die sich nur schwer realisieren lassen, absehen.

    4.3.5

    Abschließend stimmt der EWSA den Empfehlungen der Kommission insofern zu, als die Integration der Finanzmärkte beschleunigt werden muss, da dadurch zur besseren Kanalisierung der Finanzressourcen in Bereiche, in denen sie am meisten gebraucht werden, beigetragen wird. Gleichzeitig betont er, dass die geltenden Regelungen (sowie die in Überarbeitung befindlichen ergänzenden Regelungen) für die Sicherung einer auf den Gesetzen des Marktes beruhenden Integration ausreichend sind. Notwendig sind allenfalls Normen zur Gewährleistung eines besseren und einheitlicheren Schutzes der Verbraucherinteressen.

    4.4   Überlegung 4: Die Implikationen der Währungsunion müssen sich im Lohnsetzungsverhalten niederschlagen

    4.4.1

    Der Ausschuss ist etwas verwundert über einen Satz in der Kommissionsmitteilung, wonach die Sozialpartner nicht über die erforderlichen Informationen über die Implikationen und Konsequenzen verschiedener Handlungsoptionen verfügen und deshalb eine unangemessene Lohnpolitik betreiben. Dieser Standpunkt steht im Widerspruch zu dem, was die Kommission selbst in einer Studie (8) zum Ausdruck gebracht hat: Darin heißt es, dass die Entwicklung der Nominallöhne in der Euro-Zone in den Jahren 1999-2005 mit dem Ziel der Preisstabilität übereinstimmte, wobei die reellen Lohnstückkosten ein rückläufiges Wachstum von – 0,4 % aufwiesen. Deutlich wurde dabei auch, dass die verbesserten wirtschaftlichen Bedingungen bislang kein beschleunigtes Wachstum der Löhne mit sich brachten, was bedeutet, dass die Entwicklung der Lohnstückkosten mit den Grundsätzen der Preisstabilität und eines beschäftigungsfördernden Wachstums übereinstimmten. Darüber hinaus konnten die Erzeuger trotz des Drucks der anderen Kostenfaktoren neben den Lohnkosten und einer Verschärfung der internationalen Konkurrenz ihre Gewinnspannen halten.

    4.4.2

    Zu diesem Problem hat sich der Ausschuss bereits in einer Stellungnahme (9) im Jahr 2003 geäußert. Diese Stellungnahme behält nach wie vor ihre Gültigkeit. Darin hatte der Ausschuss festgestellt, dass die Löhne ein Wettbewerbsfaktor sind, aber auch die Nachfrage auf dem Binnenmarkt erhöhen. Der Ausschuss hatte betont, dass ein mittelfristiger Lohnzuwachs, der sich am nationalen Produktivitätszuwachs orientiert, die Balance zwischen ausreichender Nachfrageentwicklung und Wahrung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet.

    4.4.3

    In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA an die Schlussfolgerungen des Rates „Beschäftigung“ vom Januar 2007 und an die Schlussfolgerungen der Eurogruppe vom Februar 2007, in denen es heißt, dass annehmbare Lohnbedingungen geschaffen und die Früchte des Wachstums besser verteilt werden müssen.

    4.4.4

    Der Ausschuss hält an seinem langjährigen Standpunkt zum makroökonomischen Dialog fest: Dieser muss ausgebaut werden, um eine bessere Koordinierung und bessere Synergien zwischen den verschiedenen Bereichen der makroökonomischen Politik (Geldpolitik, Haushalt, Lohn) zu erreichen. Diese fehlende Koordinierung bestärkt den Ausschuss im Übrigen in seiner Überzeugung, dass gemeinsame Treffen der Eurogruppe und des Rates „Beschäftigung“ (siehe Ziffer 2.5.1) nützlich, ja gar notwendig, sind.

    4.4.5

    Die Kommission drückt zwar ihre Unzufriedenheit mit der Entwicklung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung aus, sie nimmt dies befremdlicher Weise aber keineswegs zum Anlass, die Angemessenheit der bisherigen Ausrichtung der makroökonomischen Politiken und ihres empfohlenen Policy-Mix zu überdenken. Solange die Konzeption der Haushalts- und Geldpolitik unverändert bleibt, sollte nicht nur von der Lohnpolitik eine Anpassung an die Erfordernisse der Währungsunion gefordert werden. Eine solche Politik würde den Sozialpartnern die Verantwortung dafür übertragen, Fehler anderer Politikbereiche auszugleichen.

    4.5   Überlegung 5: Die globale Dimension muss berücksichtigt werden

    4.5.1

    Die Überlegungen der Kommission zur erforderlichen Berücksichtigung der internationalen Dimension sind durchaus vertretbar und nur zu selbstverständlich. Es soll lediglich darauf hingewiesen werden, dass gerade die Kommission und der Rat diesen Faktor bei der Ausarbeitung der ursprünglichen Fassung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes unterschätzt hatten — trotz der Empfehlungen des EWSA, der herausgestellt hatte, dass langfristige Pläne angesichts unvorhersehbarer Entwicklungen auf der internationalen politischen Bühne unsicher sind. Es ist unnötig, darauf hinzuweisen, dass die Ereignisse des vergangenen Jahrzehnts diese Feststellung mehr als bestätigt haben. Heute ist die Unvorhersehbarkeit des kommenden Jahrzehnts sogar noch größer. Die „Berücksichtigung der globalen Dimension“ bei der Konzipierung mittel- bis langfristiger Pläne hat somit eher eine theoretische Bedeutung.

    4.5.2

    In Bezug auf die Jahrespläne sind alle Mitgliedstaaten — ob sie nun zur Eurogruppe gehören oder nicht — insbesondere im Hinblick auf das Erdöl und die wachsende Konkurrenz aus Asien von der Entwicklung des Welthandels betroffen. Auf Länder, die in Bezug auf das Erdöl relativ unabhängig sind, hat die zyklische Preisentwicklung geringere Auswirkungen. Alle anderen Länder sind jedoch Konjunktureinbrüchen mit den entsprechenden Folgen für die Binnenpreise und ihre Wettbewerbsfähigkeit stark ausgesetzt.

    4.5.3

    Analog dazu eröffnen die aufstrebenden asiatischen Länder neue Märkte für die wettbewerbsfähigsten Länder Europas. Geschwächt wird dabei jedoch die Position jener Länder, die weniger auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation gesetzt haben. Nach Auffassung des Ausschusses wird zu stark darauf abgehoben, dass die schwache Wettbewerbsfähigkeit mit dem Wechselkursverhältnis des Euro im Vergleich zu den asiatischen Währungen und dem US-Dollar zusammenhängt. Der Mangel ist größtenteils struktureller Art und sollte Gegenstand einer radikalen Überarbeitung der Politiken vonseiten der Regierungen und der Sozialpartner werden.

    5.   Andere gangbare Wege

    5.1

    Zu einigen der „gangbaren Wege“ wurde bereits im Rahmen der verschiedenen Bemerkungen Stellung genommen. Ergänzend dazu werden nachstehend einige Argumente angeführt, die sich auf andere von der Kommission behandelte Aspekte beziehen.

    5.2

    Nach Auffassung des Ausschusses darf sich die Kommission nicht auf einen rein ökonomistischen Ansatz beschränken und dabei die politische Dimension außer Acht lassen. Der Währungsraum ist kein Selbstzweck, sondern Bestandteil eines umfassenderen zivilgesellschaftlichen Projekts, eines „miteinander leben wollen“. In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Währungsräume zwischen Ländern, die keine Integration angestrebt haben, letztendlich zum Scheitern verurteilt waren (10). „Die Umstellung auf den Euro [sollte] nicht einfach als technische Währungsänderung angegangen und geplant werden […], sondern als bedeutende Umstellung mit beträchtlichen wirtschaftlichen, geldpolitischen und sozialen Auswirkungen“ (11). Diese Botschaft muss sich die EU-27 bei der Überprüfung der Verträge vor Augen halten, um eine institutionelle Krise zu bewältigen, der unterschiedliche Faktoren zugrunde liegen — unter anderem auch eine weit verbreitete wirtschaftliche und soziale Unzufriedenheit.

    5.3

    Auch zur Förderung der Erweiterung der Euro-Zone (vgl. Ziffer 3.4.2 d)) soll hier Stellung genommen werden. Die Kommission nennt die Vorteile für die Euro-Mitglieder sowie für jene Mitgliedstaaten, die der Währungsunion noch nicht angehören, wobei sie damit nur „die sich auf den Beitritt zur Euro-Zone vorbereitenden Staaten“, d. h. offensichtlich die neuen EU-Mitgliedstaaten, zu meinen scheint. Nicht ein Wort wird über das anhaltende Fernbleiben von Ländern verloren, die zum Zeitpunkt der Euro-Einführung bereits Mitglieder der Europäischen Union waren und von der „opt-out“-Klausel Gebrauch gemacht haben, die im Übrigen erneut zur Debatte gestellt werden sollte. Der EWSA hofft inständig, dass diese Länder ihre Entscheidung überdenken, und ist der Auffassung, dass ein Kommentar der Kommission zu diesem Aspekt klären könnte, ob die Hypothese eines Beitritts der Opt-out-Länder zur Euro-Zone endgültig verworfen werden soll oder nicht. Die Antwort auf diese Frage ist nämlich eines der Elemente, die bei der Entscheidung über die zukünftigen Strategien für den Euro herangezogen werden. Unverständlich ist ferner auch, wie bei mittel- bis langfristigen Plänen der Länder, die der Währungsunion nicht angehören, die Möglichkeit bzw. der Wille, der Euro-Zone beizutreten, unberücksichtigt bleiben kann.

    5.4

    Der Ausschuss will den Mitgliedstaaten der EWU ein klares Zeichen geben, damit sie sich weiterhin um die Einhaltung der Maastricht-Kriterien und die Konvergenz der Politiken bemühen, um dadurch eine echte Konvergenz zu erzielen. Es ist gänzlich inakzeptabel, dass manche Staaten augenscheinlich eine laxe Politik betreiben, ohne dass dies durch Ausnahmebedingungen gerechtfertigt wäre. Durch ein solches Vorgehen verlieren diese Länder bei den anderen Mitgliedstaaten an Glaubwürdigkeit, was letztendlich auch die Glaubwürdigkeit des gesamten Europas beeinträchtigt.

    5.5

    Als letztes wird auf die Forderung nach einer größeren Bürgernähe eingegangen — eine Forderung, die so oft wiederholt wurde, dass sie nunmehr zu einem Leitmotiv geworden ist. Dennoch ist dieses Thema von wesentlicher Bedeutung, und es ist die direkte Verantwortung der einzelnen Regierungen gefragt. Die Vorteile des Euro springen jedem ins Auge, wenn er sie nur sehen will. Auf der nationalen Ebene rechnen sich jedoch die Regierungen die stabilen Preise, die leichter erhältlichen Kredite und andere Vorteile als ihr eigenes Verdienst an. Ist hingegen von (tatsächlichen oder angenommenen) Nachteilen und insbesondere vom Preisanstieg die Rede, so wird der Euro auch in den Fällen, wo die Währungsumstellung nicht die Ursache war, als Sündenbock bezichtigt. In der Politik ist niemandem daran gelegen, die Verdienste anderen anzurechnen, während hingegen jeder versucht, die Schuld für negative Entwicklungen anderen in die Schuhe zu schieben.

    6.   Ergänzende Bemerkungen des EWSA

    6.1

    Zusätzlich zu den Bemerkungen zur Kommissionsmitteilung unterbreitet der EWSA als Anregung für weitere Überlegungen zwei weitere Anmerkungen.

    6.2

    Die Dynamik der Eurowechselkurse wurde als Ursache für die Schwankungen der Wettbewerbsfähigkeit Europas im Vergleich zu anderen Ländern, insbesondere Asiens, genannt. So sehr dieser Aspekt auch als Mitursache (und nicht als Hauptursache, wie in Ziffer 4.5.3 gesagt wurde) gelten mag, der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Antrag auf einen Sitz für die Euro-Zone im Internationalen Währungsfonds erneut und mit größerem Nachdruck gestellt werden muss. In der Vergangenheit wurde der Vorschlag erwogen, den Sitz eines der Mitgliedstaaten, die am IWF teilnehmen, gegen einen Sitz für den Euro zu tauschen. Kein Mitgliedstaat scheint jedoch wirklich bereit zu sein, seinen Sitz für den Euro zu räumen. Ideal wäre es, einen zusätzlichen Sitz für den Euro im IWF zu beantragen, doch kurzfristig erscheint eine Koordinierung der Vertreter der Mitgliedstaaten realistischer: es gibt keinen Grund, warum eine Währung, die im internationalen Handel eine wichtige Rolle spielt, keine eigene Vertretung haben soll. Der Einwand, dass dies nicht im Einklang mit dem Statut des Fonds stehe, ist ein schwaches Argument, denn angesichts der Tatsache, dass eine der weltweit stärksten Währungen nicht an der Gestaltung der internationalen Geldpolitik beteiligt ist, erscheint eine Änderung des Statuts keine große Sache.

    6.3

    Die Idee eines Europäischen Stabilisierungsfonds zum Abbau der Wachstumsdifferenziale zwischen den Mitgliedstaaten (12) wird vom Ausschuss mit großer Skepsis beurteilt. Um eine seriöse Diskussion darüber zu ermöglichen, müsste diese Idee jedenfalls noch weiter ausgearbeitet werden.

    Brüssel, den 26. September 2007

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  Provisorisches Dokument der Reihe „The EU Economy Review“ der GD Wirtschaft und Finanzen.

    (2)  Siehe Auflistung der in jüngerer Zeit erarbeiteten Stellungnahmen zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik (Anhang).

    (3)  Stellungnahme zu den für die dritte Phase der Währungsunion vorgesehenen Schritten, ABl. C 287 vom 22.9.1997, S. 74.

    (4)  Der EWSA hatte unter anderem vorgeschlagen, die Konvergenzkriterien und insbesondere die Kriterien für Defizit und öffentliche Verschuldung, „regelmäßig, z. B. in Zehnjahresabständen, zu überprüfen“. Der Vorschlag wurde abgelehnt, doch es zeigte sich, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt noch vor Ablauf der vom EWSA vorgeschlagenen zehn Jahre überprüft werden muss.

    (5)  „Die Regierungen sind nicht in allen Fällen in der Lage, ihre Volkswirtschaften nach eigenem Gutdünken zu steuern und (…) selbst die fundiertesten Prognosen können sich als Fehleinschätzungen erweisen“, Stellungnahme aus dem Jahr 1997, siehe Fußnote 3.

    (6)  „Angesichts der Tatsache, dass die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen — in Europa, vor allem aber weltweit betrachtet — ständig im Fluss sind, sollte anstatt von Programmen eher von Grundsatzerklärungen die Rede sein, die nur soweit verbindlich sind, als die Konjunkturentwicklung den darin zugrunde gelegten Verlauf nimmt“. S. Fußnote 3.

    (7)  Quelle: AMECO, Datenbank der GD ECFIN.

    (8)  Europäische Kommission, „The contribution of labour cost development to price stability and competitiveness adjustment in the euro area“, Quarterly Report on the Euro Area, volume 6, no 1, 2007.

    (9)  Vgl. Stellungnahme des EWSA zum Thema „Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2003-2005“, ABl. C 80 vom 30.3.2004, S. 120.

    (10)  Die lateinische Münzunion (1861-1920) scheiterte unter anderem aufgrund der fehlenden Steuerdisziplin ihrer Mitglieder (Italien, Frankreich, Schweiz, Belgien und Griechenland). Die Währungsunion von 1873 zwischen Schweden (damals in Personalunion mit Norwegen) scheiterte mit dem Wandel der politischen Rahmenbedingungen. Die deutsche Zollunion aus dem 19. Jahrhundert hingegen, die in einer Währungsunion mündete, war dank der politischen Vereinigung von 1871 von Erfolg gekrönt. Der Währungserfolg und die politische Integration gehen somit Hand in Hand, da eine solche Union ein hohes Maß an wirtschaftspolitischer Koordinierung und somit einen gewissen Grad an Zentralisierung voraussetzt.

    (11)  Bericht des Europäischen Parlaments über die Erweiterung der Eurozone (2006/2013 INI)), 1. Juni 2006.

    (12)  Gespeist würde dieser Fonds von allen Mitgliedstaaten mit einem Teil des in wirtschaftlich guten Zeiten entstehenden Steuerüberschusses, welcher der Finanzierung von Projekten dient, die der Rat und das Europäische Parlament für prioritär und für im gemeinschaftlichen Interesse liegend befunden haben. Der Haupteinwand richtet sich gegen die damit verbundene Bestrafung einer disziplinierten Haushaltspolitik, also einem negativen Anreizeffekt.


    Top