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Document 52007IE0983

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie)

    ABl. C 256 vom 27.10.2007, p. 17–26 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    27.10.2007   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 256/17


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Investitionen in Wissen und Innovation (Lissabon-Strategie)“

    (2007/C 256/04)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 14. September 2006 gemäß Artikel 31 der Geschäftsordnung, die Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch mit der Erarbeitung eines Informationsberichts zu beauftragen: „Investitionen in Wissen und Innovation“.

    Auf der Plenartagung vom 14.-15. März 2007 wurde beschlossen, den Informationsbericht in eine Initiativstellungnahme umzuwandeln (Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung).

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 3. Mai 2007 an. Berichterstatter war Herr WOLF.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 437. Plenartagung am 11.-12. Juli 2007 (Sitzung vom 12. Juli) mit 120 Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

    INHALT

    1.

    Einleitung

    2.

    Zusammenfassung und Empfehlungen

    3.

    Allgemeine Gesichtspunkte

    4,

    Ausbildung, Training und Weiterbildung

    5.

    Finanzielle Fragen und Prozeduren

    6.

    Strukturelle Aspekte und Rahmenbedingungen

    7.

    Der Faktor Mensch — Wissenschaftler, Ingenieure und Unternehmer

    1.   Einleitung

    1.1

    Unter dem Thema „DIE NEUBELEBTE LISSABON-STRATEGIE FÜR WACHSTUM UND BESCHÄFTIGUNG“ begrüßte der Europäische Rat in den Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes vom 23.-24. März 2006 (Ziffer 12) die Initiative des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses, mit der auf Gemeinschaftsebene die Eigenverantwortung für die Lissabon-Strategie gestärkt werden soll. Er hielt den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss an, seine Arbeit fortzusetzen, und ersuchte ihn, bis Anfang 2008 einen zusammenfassenden Bericht zur Unterstützung der Partnerschaft für Wachstum und Beschäftigung zu erarbeiten.

    1.2

    Vorab hat der Ausschuss dazu bereits am 15. Februar 2007 eine an die Frühjahrstagung 2007 des Europäischen Rates gerichtete Entschließung zur Umsetzung der überarbeiteten Lissabon-Strategie verabschiedet.

    1.3

    Der Vorbereitung des vom Europäischen Rat erbetenen zusammenfassenden Berichts dienen vier Informationsberichte zu folgenden Themen:

    „Investitionen in Wissen und Innovation“,

    „Das Unternehmenspotenzial — insbesondere von KMU“,

    „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen“, und

    „Festlegung einer Energiepolitik für Europa“.

    Diese Informationsberichte werden dessen wesentliche Elemente bilden.

    1.4

    Der folgende Text, der auch in Zusammenarbeit mit Vertretern nationaler Wirtschafts- und Sozialausschüsse einiger Mitgliedstaaten entstanden ist, behandelt ausschließlich das Thema „Investitionen in Wissen und Innovation“

    2.   Zusammenfassung und Empfehlungen

    2.1

    Die Kraft Europas besteht in der Leistungsfähigkeit seiner Bürger.

    2.2

    Das freie Wechselspiel von handwerklichem Erfindergeist und unternehmerischer Initiative mit wissenschaftlicher Methodik und Systematik sowie den daraus entwickelten Technologien und industriellen Prozessen war das europäische Erfolgsrezept für die zu unserem heutigen Lebensstandard führenden Fortschritte, die Hand in Hand gingen mit den historischen gesellschaftspolitischen Entwicklungen hin zum freien Bürger im modernen Staat mit Gewaltenteilung, Demokratie und Grundrechten.

    2.3

    Einen entscheidenden Beitrag dazu lieferte die Entwicklung und intensive Nutzung von Energie verbrauchenden industriellen Verfahren, Maschinen und Transportmitteln: Energie hat die Menschen von der Last körperlicher Schwerstarbeit befreit, ihre Produktivität vervielfacht, Wärme und Licht geschaffen sowie ungeahnte Mobilität und Kommunikation ermöglicht. Energie wurde zum Nahrungsmittel und Antriebsmotor moderner Volkswirtschaften.

    2.3.1

    Angesichts der endlichen Ressourcen fossiler Energieträger, des stark ansteigenden globalen Energiebedarfs, sowie der erwarteten Auswirkungen des Energieverbrauchs auf die zukünftige Klimaentwicklung steht dementsprechend die Sicherung einer nachhaltigen und klimaverträglichen Energieversorgung im Vordergrund der politischen Diskussion. Wichtige Voraussetzung für die Lösung dieser sehr schwierigen Aufgabe ist ein starkes, breit gefächertes und wirkungsvolles Forschungs- und Entwicklungsprogramm „Energie“.

    2.4

    Darüber hinaus gibt es jedoch noch sehr viele weitere Probleme und Aufgaben, die nur durch Forschung, Entwicklung und Innovationen gelöst werden können. Diese betreffen z.B. die Bekämpfung physischer und psychischer Krankheiten, die Lebenserleichterung und gesellschaftliche Teilhabe von behinderten Menschen, die Auswirkung des demografischen Wandels einschließlich der Alternsforschung, den Schutz der Umwelt sowie generell die Sicherung und Weiterentwicklung unserer Lebensgrundlagen, unseres europäischen Wertesystems und Sozialmodells. Letztendlich dienen Forschung und Entwicklung aber auch dem fundamentalen Ziel, mehr und neues Wissen zu schaffen. Mehr Wissen hilft nicht nur Probleme zu lösen, sondern erweitert auch unser Weltbild, versachlicht Konfliktsituationen und bereichert unsere Kultur.

    2.5

    Die Europäische Gemeinschaft steht zudem vor der Herausforderung eines sich verschärfenden globalen Wettbewerbs, bei dem es darum geht, die europäischen Arbeitsplätze, Einkommensniveaus sowie Sozial- und Umweltstandards zu erhalten. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund der Wirtschaftskraft der USA und Japans, sondern vor allem der zunehmend erstarkenden Industrie- und Forschungsleistungen von Staaten wie China, Indien und Brasilien, und der dort bedeutend niedrigeren Löhne sowie Sozial- und Umweltstandards.

    2.6

    Dem kann nur durch einen auch in Zukunft bestehenden Vorsprung in Forschung, technologischer Entwicklung und permanenter Innovation begegnet werden, eingebettet in ein gesellschaftliches und kulturelles Umfeld von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, politischer Stabilität, unternehmerischer Freiheit, Planungssicherheit, Leistungswillen, Leistungsanerkennung und sozialer Sicherheit.

    2.7

    Wissenschaftliche und technische Höchstleistungen und deren unternehmerische Umsetzung in wettbewerbsfähige Wirtschaftskraft sind daher die entscheidenden Voraussetzungen, um unsere Zukunft — insbesondere auch bezüglich der Energie- und Klimaproblematik — zu sichern, unsere derzeitige Position im globalen Umfeld zu erhalten und zu verbessern, und um das europäische Sozialmodell nicht zu gefährden, sondern ausbauen zu können.

    2.8

    Grundvoraussetzung ist ein gegenüber Fortschritt und Innovation aufgeschlossenes gesellschaftliches Klima, in dem diese Einsicht ihre volle Wirkung entfaltet, damit auf allen Ebenen der Politik die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen und die entsprechenden richtungweisenden Entscheidungen getroffen werden, so dass seitens der Wirtschaft genügend Vertrauen und Optimismus für die in Europa nötigen Investitionen aufgebaut wird und neue Arbeitsplätze entstehen. Dazu gehört aber auch, die elementare Bedeutung der Grundlagenforschung noch bewusster zu machen, da sie das notwendige Saatgut für zukünftige Innovationen liefert. Besonders nötig sind innovations- und risikobereiter Unternehmergeist sowie politische Führungskraft, Verlässlichkeit und Realitätssinn.

    2.9

    Insbesondere muss der zur Verwirklichung der Lissabon-Strategie formulierte Zielwert von Barcelona von allen darin angesprochenen Akteuren sehr ernst genommen werden, um Europa im globalen Wettlauf der FuE-Investitionen nicht weiter abfallen zu lassen. Dieser Zielwert besagt, dass die Gesamtausgaben für FuE in der Union erhöht werden sollen, so dass sie 2010 ein Niveau von nahezu 3 % des BIP erreichen. Die dazu benötigten Investitionen sollen zu zwei Dritteln von der Privatwirtschaft aufgebracht werden.

    2.10

    Im Dezember 2006 wurde vom Rat das 7. FuE-Rahmenprogramm (RP7) 2007-2013 mit einem gegenüber seinem Vorgängerprogramm deutlich erhöhten Budget von ca. 50 Mrd. EUR verabschiedet. Dies ist ein weiterer beachtlicher Erfolg europäischer Politik, der vom Ausschuss maßgeblich unterstützt worden ist. Allerdings wird sich die Gemeinschaft damit dennoch nur mit einem Anteil von rund 2 % (also mit nur einem Fünfzigstel!) an den im Zielwert von Barcelona insgesamt angestrebten Investitionen in Forschung und Entwicklung beteiligen. Wie vom Ausschuss mehrfach betont, reicht dies nicht aus, um die beabsichtigte Hebelwirkung und Integrationskraft der gemeinschaftlichen Förderung auf die Förderpolitik der Mitgliedstaaten und auf die Investitionsbereitschaft der Industrie voll zur Wirkung zu bringen.

    2.11

    Darum bekräftigt der Ausschuss seine frühere Empfehlung, den Anteil der gemeinschaftlichen Förderung bei der im Jahre 2008 anstehenden Revision des EU-Haushalts in einem ersten Schritt um die Hälfte zu erhöhen, also auf rund 3 % der im Zielwert von Barcelona insgesamt angestrebten Investitionen. Dies gilt insbesondere auch in Hinblick auf das zu gründende Europäischen Technologieinstituts ETI sowie die Dringlichkeit vermehrter FuE-Arbeiten für eine klimaverträgliche nachhaltige Energieversorgung.

    2.12

    Gleichermaßen ist es jedoch erforderlich, die Investitionsbereitschaft der Industrie in Forschung und Entwicklung, insbesondere auch der kleineren und mittelgroßen Unternehmen, durch geeignete rechtliche (auch haftungsrechtliche), administrative, steuerliche und finanzielle Rahmenbedingungen zu fördern sowie attraktiver und lohnender zu machen. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das Beihilferecht der Gemeinschaft; es muss den Mitgliedstaaten ermöglichen, Forschungs- und Entwicklungsvorhaben der Universitäten, der Forschungsorganisationen und der Industrie sowie deren erforderliche Vernetzung, effektiver und unbürokratischer als bisher zu fördern. Darum sollte sorgfältig beobachtet werden, ob der „Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation“ diese Zielsetzungen tatsächlich unterstützt.

    2.13

    Wissen basiert auf zwei gleichbedeutenden, voneinander abhängigen Säulen: Bildung und Forschung. Neues Wissen muss durch Forschung und Entwicklung gewonnen werden. Basis ist das vorhandene Wissen. Dieses muss durch Bildung, Ausbildung, Training und Weiterbildung verankert und weitergegeben werden. Dazu sind sowohl Methoden als auch Inhalte zu überprüfen, ob sie den genannten Zielen dienen. Beide Säulen benötigen zudem deutlich vermehrte finanzielle Investitionen und geeignete Rahmenbedingungen.

    2.14

    Die Kraft Europas besteht in der Leistungsfähigkeit seiner Bürger. Darum ist es vorrangig, eben diese Leistungsfähigkeit noch stärker zu fördern und zur Entfaltung zu bringen. Dementsprechend appelliert der Ausschuss an die Mitgliedstaaten, ihre Bildungseinrichtungen zu stärken und zu verbessern, sowie die hierfür erforderlichen beachtlichen Investitionen aufzubringen. Eine fundierte Ausbildung breiter Bevölkerungsschichten ist ebenso wichtig wie die Bildung von wissenschaftlichen Eliten. In diesem Sinn wird ein breites, ausreichendes Angebot solider und qualifizierter Bildungseinrichtungen benötigt, von Grundschulen bis zu Universitäten. Nur so wird insgesamt eine bildungs- und wissenschaftsfreundliche europäische Gesellschaft entstehen.

    2.15

    Zudem bekräftigt der Ausschuss seine Empfehlung, durch eine intensivere staatenübergreifende Zusammenarbeit in den Bereichen Lernen, Innovation und Forschung einen gemeinsamen europäischen Wissensraum zu entwickeln, der den Europäischen Forschungsraum ergänzt und vervollständigt. Eine wichtige Rolle spielen dabei alle Anreize und Maßnahmen für lebenslanges Lernen: Lebenslanges Lernen ist der Schlüssel zur Wissensgesellschaft. Hemmnisse des Binnenmarktes, die den Übergang zur europäischen Wissensgesellschaft behindern, müssen so schnell wie möglich abgebaut werden.

    2.16

    Dazu gehört auch eine noch intensivere Förderung personeller Mobilität seitens der Mitgliedstaaten sowie eine Verstärkung dementsprechender wirksamer gemeinschaftlicher Programme (Erasmus, Marie Curie). Mobilität unterstützt den Erwerb und den Transfer von Kompetenz. Die europaweite Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Forscher und Studenten muss sichergestellt und durch Anreize belohnt werden; sie muss mit akzeptablen Einkommen, Arbeitsbedingungen und Familienförderung einhergehen. Dafür ist auch der europaweite Zugang zu Informationen über offene Stellen in allen Mitgliedstaaten zu verbessern.

    2.17

    Hinsichtlich der Bedeutung und Förderung von Innovation verweist der Ausschuss nicht nur auf seine unten dargelegten ausführlichen Empfehlungen, sondern vor allem auch auf den ausgezeichneten Aho-Report, den er unterstützt. Dies betrifft insbesondere die rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für ein innovationsfreudiges Unternehmertum und einen innovationsfreundlichen Markt. Der Ausschuss verweist zudem auf seine ausführlichere Stellungnahme „Das Potenzial Europas für Forschung, Entwicklung und Innovation freisetzen und stärken“.

    2.18

    Fortschritt und Innovation beruhen auf der Umsetzung neuer Erkenntnisse in neue, bessere Prozesse und Produkte (einschließlich der permanenten Innovation bereits bestehender), auf neuartigen Geschäftsmodellen und auf den geeigneten Managementmethoden; es geht also um innovativen Unternehmergeist und Unternehmerinitiativen. Fortschritt und Innovation beruhen aber auch auf neuartigen Dienstleistungen, auf der Fortentwicklung des Gesundheitswesens, und allgemein auf der besseren Lösung sozialer Fragen im Spannungsfeld mit wirtschaftlichen Erfordernissen.

    2.19

    Innovation bedeutet also, neue Techniken, Verfahren, Organisationsweisen, Geschäftsmodelle, Ausbildungsmodelle etc. zu konzipieren und zu verwirklichen, die vorher nicht in Betracht gezogen worden sind oder werden konnten. Aus diesem Grunde ist es wichtig, dass die dafür zuständigen gesetzlichen Regelwerke genügend Spiel- und Freiraum bieten, um auch der neuen, vorher nicht bedachten Idee die Chance der Verwirklichung zu geben und diese — weil nicht in das Raster zu detaillierter Regelwerke passend — nicht schon a priori verdorren zu lassen. Ein Übermaß einschränkender Vorschriften ist Hemmschuh für Innovationen. Darum unterstützt der Ausschuss alle Bemühungen zur Vereinfachung der Regelwerke und zur deren Überprüfung auf überflüssige, zu detaillierte und/oder unnötig einschränkende Vorschriften.

    2.20

    Innovation bedeutet auch, ein gewisses Erfolgs- oder gar Schadensrisiko zu akzeptieren; denn im Regelfall lassen sich Leistungsfähigkeit, aber auch Nachteile oder Nebenwirkungen eines neuen Ansatzes oder Konzepts erst durch seine Bewährung in der Praxis und im Wettbewerb mit konkurrierenden Verfahren erkennen. Auch Misserfolg ist ein Erkenntnisgewinn. Chance und Risiko sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Grundsätzlich sollte der erwartete Nutzen einer Innovation die damit möglicherweise verbundenen Risiken überwiegen. Etwaige Risken für die Gesellschaft bedürfen erforderlichenfalls einer besonderen Bewertung. Es könnte zudem überlegt werden, ob hier zumindest für kleine und mittlere Unternehmen — z.B. bei der EIB — ein Risikofond eingerichtet werden sollte, der mögliche Schäden oder Verluste abzudecken hilft.

    2.21

    Der Ausschuss hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass menschliche Fähigkeiten und Leistungskraft die sensibelste und wertvollste Ressource für Wissen und Innovation sind. Daher sind ausreichende Zahl, Ausstattung und Qualität der dafür erforderlichen Ausbildungsstätten entscheidende Voraussetzungen, um den Bedarf an guten Wissenschaftlern, Ingenieuren und Lehrern befriedigen zu können.

    2.22

    Mit den seitens der Gesellschaft und gleichzeitig von jedem einzelnen Wissenschaftler und Ingenieur getätigten Investitionen zum Erwerb eines breiten und schwierigen Grundlagen- und hochgradigen Spezialwissens übernimmt die Gesellschaft — vertreten durch die Politik — die Verantwortung zum bestmöglichen Nutzen dieser Investitionen. Diese Verantwortung muss sich in der Sorge für angemessene Berufschancen und Entfaltungsmöglichkeiten der qualifizierten Forscher und Ingenieure, Möglichkeit der Familiengründung, sowie einen adäquaten Karriereweg mit attraktiven Verzweigungsoptionen manifestieren, und zwar ohne berufliche Abseitsfallen oder Sackgassen! Arbeitslosigkeit, Unterbezahlung oder Fehlbeschäftigung (auch durch überbordende Administration und Gremienarbeit) qualifizierter Wissenschaftler und Ingenieure sind Vergeudung volkswirtschaftlicher Investitionen und Abschreckung der nachwachsenden Leistungselite, mit dem Ergebnis einer Entscheidung für wissenschafts- und technikferne Berufsbilder oder einer Abwanderung aus Europa!

    2.23

    Dazu nicht im Widerspruch steht die Forderung, erfahrene Fachexperten und wissenschaftlich-technische Leistungsträger mehr als bisher maßgeblich an forschungspolitischen, unternehmerischen und innovationspolitischen Entscheidungsprozessen und Verwaltungsakten zu beteiligen. Die Gründung des Europäischen Forschungsrates ERC ist hier ein sehr ermutigender erster Schritt. Aber auch für die Forschungs- und Innovationsförderung der Gemeinschaft (einschließlich der Kommission!) und der Mitgliedstaaten muss ausreichender fachbezogener Sachverstand eingebracht und erhalten werden. Administration allein genügt nicht.

    2.24

    Eine besondere Problematik stellt die Umsetzung von Forschung und Innovation in industrielle Produkte und Prozesse dar. Nicht umsonst fordert die Zielsetzung von Lissabon, dass zwei Drittel der FuE-Leistungen von der Industrie erbracht werden sollen. Ganz besonders geht es deshalb auch darum, das Berufsbild des Unternehmers aufzuwerten und in seiner entscheidenden Bedeutung für Innovation, wirtschaftlichen Fortschritt und allgemeinen Wohlstand in der Gesellschaft besser zu verankern. Darum hat der Ausschuss in seiner Funktion als Brücke zur organisierten Zivilgesellschaft das „Unternehmertum mit menschlichem Antlitz“ in den Mittelpunkt seines kommenden Arbeitsprogramms gestellt. Nur durch ein verantwortungsbewusstes, tatkräftiges und ideenreiches Unternehmertum, das sich bestmöglich entfalten kann, wird es letztlich gelingen, die Ziele von Lissabon zu erreichen.

    2.25

    Bezüglich vieler weiterer Gesichtspunkte und Einzelheiten wird auf die folgenden ausführlicheren Ausführungen verwiesen, sowie darüber hinaus insbesondere auf die Stellungnahmen des Ausschusses „Auf dem Weg zur europäischen Wissensgesellschaft — Der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zur Lissabon-Strategie“ (1) sowie „Das Potenzial Europas für Forschung, Entwicklung und Innovation freisetzen und stärken“ (2).

    3.   Allgemeine Gesichtspunkte

    3.1

    Entwicklung von Wissenschaft und Technik. Die Wiege einer sich kontinuierlich entwickelnden modernen Wissenschaft und Forschung liegt in Europa. Dies gilt unter Einbeziehung des griechisch-ägyptischen Kulturkreises und zeitweiliger wechselseitiger Befruchtungen mit dem indisch-arabischen (3) Kulturkreis auch für die Wiege der Wissenschaft generell. Wissenschaft und Forschung waren trotz zeitlicher Schwankungen und kriegsbedingter Brüche über Landesgrenzen hinweg europaweit verbunden. Ihre Methodik und Denkweise, waren ein entscheidender Wegbereiter unserer heutigen europäischen Gesellschaft, ihrer Werte, ihrer Lebensweise und ihres Lebensstandards; sie waren ein Kennzeichen des Europäischen Kulturraums (4). Erfolgsrezept für die daraus resultierenden Errungenschaften war das freie Wechselspiel von handwerklichem Erfindergeist und unternehmerischer Initiative mit wissenschaftlicher Methodik und Systematik sowie den daraus entwickelten Technologien und industriellen Prozessen.

    3.2

    Entwicklung der Gesellschaft. Nahezu Hand in Hand mit dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt verliefen die entscheidenden gesellschaftspolitischen Entwicklungen hin zum freien Bürger im modernen Staat mit Gewaltenteilung, Demokratie, Grundrechten und Sozialgesetzen.

    3.3

    Entwicklung der Lebensbedingungen. Als Ergebnis dieser gemeinsamen Prozesse haben sich die Lebensbedingungen der Menschen in den daran beteiligten Staaten und Regionen in einem Maße verändert und verbessert wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Innerhalb der letzen 135 Jahre hat sich die mittlere Lebenserwartung der Bevölkerung (5) mehr als verdoppelt (6). Innerhalb der letzten 50 Jahre hat sich der flächenbezogene, landwirtschaftliche Ertrag nahezu verdreifacht. In den erfolgreichen Industriestaaten werden Übergewicht statt Unterernährung, Informationsüberflutung statt Informationsmangel, Überalterung statt Kindersterblichkeit diskutiert. Die durch Forschung, Entwicklung und Innovation erarbeiteten Fähigkeiten und Leistungen der modernen mobilen Industriegesellschaft umfassen alle Bereiche menschlicher Entfaltung und Lebensqualität.

    3.4

    Nutzung der Energie. Ein für den erreichten Fortschritt maßgeblicher Faktor war die Entwicklung und intensive Nutzung von Energie verbrauchenden industriellen Verfahren, Maschinen und Transportmitteln: Energie hat die Menschen von der Last körperlicher Schwerstarbeit befreit, ihre Produktivität vervielfacht, Wärme und Licht geschaffen sowie ungeahnte Mobilität, Kommunikation und kulturelle Entfaltung ermöglicht; Energie wurde zum Nahrungsmittel und Antriebsmotor moderner Volkswirtschaften.

    3.5

    Klimaproblematik und Energieversorgung. Diese beachtliche Entwicklung führt aber auch zu neuen Problemen und Herausforderungen. Die globale Erwärmung, deren mögliche Folgen sowie die Strategie zu ihrer Eindämmung sind Gegenstand weit reichender politischer Entscheidungen (7) und zahlreicher Untersuchungen (8) mit z.T. kontroversen Ansichten. In dem Ende Oktober 2006 veröffentlichten STERN REVIEW (9): „The Economics of Climate Change“ wird festgestellt, dass allein zur Eindämmung der durch Klimagase beeinflussten globalen Erwärmung ein Aufwand von ca. 1 % des BIP benötigt wird, der insbesondere auch weitere, dazu erforderliche, F&E-Aktivitäten umfasst. Aber selbst ohne Klimaproblematik ist die Frage einer sicheren nachhaltigen Energieversorgung Europas (und der Welt!) eine der zentrale politischen Herausforderungen, für deren Bewältigung deutlich intensivierte Forschung und Entwicklung eine entscheidende Rolle spielen (10).

    3.6

    Weitere Probleme und Herausforderungen  (11). Allerdings sind Klimaänderung und Energieversorgung nicht der einzige Problemkreis. Auch die Bekämpfung physischer und psychischer Krankheiten, die Lebenserleichterung für behinderte oder sonstig benachteiligte Menschen mit dem Ziel verbesserter Teilhabe an beruflicher Entfaltung und an der Wissensgesellschaft, die Auswirkung des demografischen Wandels einschließlich der Alternsforschung, ein besseres Verständnis komplexer wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Zusammenhänge und Wirkmechanismen, der Schutz der Umwelt sowie generell die Sicherung und Weiterentwicklung unserer Lebensgrundlagen, unseres europäischen Wertesystems und Sozialmodells sind Beispiele bedeutender Forschungsthemen, zu denen der Ausschuss in früheren Stellungnahmen wie z.B. jenen zum 7. FuE-Rahmenprogramm (12) und zu dessen „Spezifischen Programmen“ (13) ausführliche Empfehlungen gegeben hat.

    3.7

    Globaler Wettbewerb. Die Europäische Gemeinschaft steht zudem vor der sehr ernsten Herausforderung eines sich verschärfenden globalen Wettbewerbs, bei dem es insbesondere darum geht, die europäischen Arbeitsplätze, Einkommensniveaus sowie Sozial- und Umweltstandards zu erhalten. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund der Wirtschaftskraft der USA und Japans, sondern insbesondere der beachtlichen und zunehmend erstarkenden Industrie- und Forschungsleistungen von Staaten wie China (bis 2050 will China die USA als weltweit führende Technologienation abgelöst haben! (14)), Indien und Brasilien, und der dort bedeutend niedrigeren Löhne sowie Sozial- und Umweltstandards. Genau vor diesem Hintergrund des globalen Wettbewerbs sowie des damit verbundenen globalen Wettlaufs zunehmender Investitionen in Forschung und Entwicklung, einschließlich eines globalen Wettbewerbs um die besten Wissenschaftler und Ingenieure, muss die Europäische Gemeinschaft ihre dementsprechende Politik optimieren. Es geht also primär um den globalen Wettbewerb, nicht um den innereuropäischen!

    3.8

    Vorsprung in Forschung, Entwicklung und Innovation. Eine wettbewerbsfähige Position Europas kann also nur durch einen auch in Zukunft bestehenden Vorsprung in Forschung, technologischer Entwicklung und permanenter Innovation gehalten werden, eingebettet in ein gesellschaftliches und kulturelles Umfeld von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, politischer Stabilität und Verlässlichkeit, unternehmerischer Freiheit, Planungssicherheit, Leistungswillen und Leistungsanerkennung. Der Europäische Forschungsraum muss gestärkt und ausgebaut werden. Zwar ist dieses Ziel inzwischen Allgemeingut politischer Absichtserklärungen, aber im tatsächlichen Handeln und in der Umsetzung in reale Prioritäten (z.B. Forschungsbudgets) und in die betreffenden Regelwerke (z.B. Tarifstruktur (15), Steuerrecht (16)) bestehen noch deutliche und bedauerliche Defizite, sowohl auf Ebene der Gemeinschaft als auch auf Ebene der meisten Mitgliedstaaten. Die Dramatik dieses Tatbestands sollte nicht unterschätzt werden, selbst wenn erfreulicherweise in einigen Mitgliedstaaten ein gewisser Aufholtrend zu beobachten ist (17).

    3.9

    Wissenschaftliche und technische Höchstleistungen. Wissenschaftliche und technische Höchstleistungen und deren unternehmerische Umsetzung in Innovationen und wettbewerbsfähige Wirtschaftskraft sind daher die entscheidenden Voraussetzungen, um unsere Zukunft — z.B. bezüglich der Energie- und Klimaproblematik — zu sichern, unsere derzeitige Position im globalen Umfeld zu erhalten und zu verbessern, und um das europäische Sozialmodell nicht zu gefährden, sondern ausbauen zu können. Letztendlich dienen Forschung und Entwicklung aber auch dem fundamentalen Ziel, mehr und neues Wissen zu schaffen. Mehr Wissen hilft aber nicht nur Probleme zu lösen, sondern erweitert auch unser Weltbild, versachlicht Konfliktsituationen und bereichert unsere Kultur.

    3.10

    Wiederbelebung der Tradition. Also gilt es jetzt für Europa, sich seiner Tradition als vordem führender Forschungs- und Innovationsraum bewusst zu werden und diese wieder zu beleben. Die Kraft Europas liegt in der Leistungsfähigkeit seiner Bürger. Darum ist es notwendig, eben diese Leistungsfähigkeit noch stärker als bisher zu fördern. Darum ist es aber auch notwendig, deutlich mehr in Forschung und Entwicklung zu investieren, deren Effizienz zu erhöhen, die Innovationsbereitschaft und Innovationsfähigkeit von Industrie, Handel und Verwaltung zu stärken, Leistung zu fördern und anzuerkennen sowie entgegenstehende Hindernisse abzubauen.

    3.11

    Steigerung der Investitionen. Dies bedeutet insbesondere, seitens der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten noch deutlich mehr in Forschung und Entwicklung, in die dementsprechende Bildung der Bürger sowie in die Ausbildung der benötigten Wissenschaftler und Ingenieure (beiderlei Geschlechts!) zu investieren. Es bedeutet aber vor allem, auch die Investitionsbereitschaft der Industrie in Forschung und Entwicklung, insbesondere auch der kleineren und mittelgroßen Unternehmen, durch geeignete rechtliche, administrative, steuerliche (18) und finanzielle Rahmenbedingungen zu fördern sowie attraktiver und lohnender zu machen.

    3.12

    Fortschrittsfreundliches gesellschaftliches Klima. Wichtigste Voraussetzung dafür ist ein gegenüber Fortschritt, Innovation und Unternehmertum aufgeschlossenes gesellschaftliches Klima, in dem diese Einsicht ihre volle Wirkung entfaltet, damit auf allen Ebenen der Politik die erforderlichen Rahmenbedingungen geschaffen und die entsprechenden richtungweisenden Entscheidungen getroffen werden, aber auch damit Arbeitsplätze entstehen und seitens der Industrie genügend Vertrauen und Optimismus für die nötigen Investitionen aufgebaut wird. Dazu gehört, die Bürger mehr als bisher mit den Errungenschaften und der Bedeutung von Wissenschaft und Technik und den unternehmerischen Pionierleistungen vertraut zu machen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass insbesondere Grundlagenforschung (19) das notwendige Saatgut für zukünftiges Wissen und zukünftige Innovationen liefert.

    3.13

    Anerkennung der Errungenschaften. Die entscheidende Rolle dieser Errungenschaften für unsere heutige Lebensweise, die Voraussetzungen ihrer Entstehung sowie die mit ihnen verbundene wissenschaftlich-technische unternehmerische und kulturelle Leistung muss von der Gesellschaft wahrgenommen, in den Schulen gelehrt und in ihrer existenziellen Bedeutung gewürdigt werden.

    3.14

    Weitere Voraussetzungen. Fortschritt und permanente Innovation beruhen allerdings nicht nur auf Wissenschaft und Technik, sondern auch auf der Motivation, den Fähigkeiten und der Leistungsbereitschaft aller Beteiligten, sowie auf neuartigen Geschäftsmodellen, auf den richtigen Managementmethoden und auf dafür günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen.

    3.15

    Risiko-Akzeptanz. Um neue Forschungsansätze, innovative Technologien, Betriebsabläufe oder Geschäftsmodelle zu entwickeln, ist es notwendig, ein gewisses Erfolgs- oder gar Schadensrisiko zu akzeptieren; denn im Regelfall lassen sich Vorteile und Leistungsfähigkeit, aber auch Nachteile, Risiken und Nebenwirkungen eines neuen Ansatzes erst durch seine Bewährung in der Praxis und im Wettbewerb mit den konkurrierenden Verfahren erkennen. Auch Misserfolg ist ein Erkenntnisgewinn. Chance und Risiko sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Grundsätzlich sollte der erwartete Nutzen einer Innovation die damit möglicherweise verbundenen Risiken überwiegen. Etwaige Risken für die Gesellschaft bedürfen erforderlichenfalls einer besonderen Bewertung. Zudem könnte überlegt werden, ob hier zumindest für kleine und mittlere Unternehmen — z.B. bei der EIB — nicht ein Risikofond eingerichtet werden sollte, der es den Unternehmen erleichtert, Schäden oder Verluste abzudecken.

    4.   Bildung, Ausbildung, Training und Weiterbildung

    4.1

    Wissensbasis. Wissen basiert auf zwei gleichbedeutenden Säulen: Bildung und Forschung. Neues Wissen kann nur durch Forschung und Entwicklung gewonnen werden. Dazu braucht es als Basis das vorhandene Wissen: Dieses muss durch Bildung, Ausbildung, Training und Weiterbildung weitergegeben und verankert werden. Hierbei geht es um folgende Ziele:

    4.1.1

    Grundkenntnisse. Einerseits gilt es, eine solide Grundkenntnis über Wissenschaft, Technik und Wirtschaft, deren Funktionsweise und wesentlichen Grundgesetze, in den Bildungskanon aller Bürger aufzunehmen. Nur so werden sie z.B. in die Lage versetzt, die oftmals nicht ganz einfachen Zusammenhänge beurteilen zu können, deren Kenntnis auch für eine qualifizierte politische Meinungsbildung erforderlich ist. Dem entsprechend sind Lehrpläne und verfügbare Unterrichtszeit in allen Schulstufen darauf auszurichten, die Kinder und Jugendlichen mit anschaulichen Beispielen sowie anregenden Erklärungen und Lernstoffen stufenweise in die Denkweise von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft sowie in den vorhandenen Wissensschatz (20) einzuführen, und die entscheidende Bedeutung der wissenschaftlichen Arbeit, der technischen Entwicklung innovativer wirtschaftlicher und sozialer Handlungsweisen sowie der Wissensgesellschaft generell für ihre Zukunft und Lebenschancen bewusst zu machen. Hierfür muss diesem Teil der Lehrpläne ein deutlich größeres Gewicht eingeräumt werden. Der Ausschuss begrüßt und unterstützt die Empfehlungen des diesem Anliegen dienenden Rocard-Berichts (21).

    4.1.2

    Anreize für Berufswahl. Andererseits sind die dazu Begabten für eine dementsprechende Berufswahl und ein bekanntermaßen schwieriges Studium zu begeistern und dazu mit solidem Grundwissen auszustatten. Auch hierfür müssen die Lehrpläne der Schulen, insbesondere der Gymnasien, mit einem erweiterten und hochwertigen Lehrangebot ausgestattet werden.

    4.1.3

    Nachholbedarf in Breite und Tiefe. Es gibt also einen deutlichen Nachholbedarf im Lehrangebot auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet, unbeschadet davon, dass natürlich alle Begabungen breit gefördert werden müssen, also auch in sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Bereichen und in human- und geisteswissenschaftlichen Fächern. Eine fundierte Ausbildung breiter Bevölkerungsschichten — wozu auch Leistungsbereitschaft und Disziplin seitens der Schüler benötigt wird — ist ebenso von Bedeutung wie die Bildung von wissenschaftlichen Leistungseliten. Qualitativ hochwertige Bildungseinrichtungen, von Grundschulen bis zu Universitäten, sind die Grundvoraussetzung für die Entstehung einer insgesamt bildungs- und wissenschaftsfreundlichen Gesellschaft.

    4.1.4

    Der Europäische Wissensraum. Der Ausschuss bekräftigt seine Empfehlung, dass sich durch eine intensivere staatenübergreifende Zusammenarbeit in den Bereichen Lernen, Innovation und Forschung ein gemeinsamer europäischer Wissensraums entwickeln sollte, der den Europäischen Forschungsraum ergänzt und vervollständigt. Daher müssen Hemmnisse des Binnenmarktes, die den Übergang zur europäischen Wissensgesellschaft behindern, so schnell wie möglich abgebaut werden. Der Ausschuss verweist dazu auch auf seine Stellungnahme „Auf dem Weg zur europäischen Wissensgesellschaft — Der Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft zur Lissabon-Strategie“ (22).

    4.1.5

    Lebenslanges Lernen und Mobilität. Eine wichtige Rolle spielen dabei Anreize und Maßnahmen für lebenslanges Lernen: Lebenslanges Lernen ist der Schlüssel zur Wissensgesellschaft. Dazu gehört auch eine noch intensivere Förderung personeller Mobilität seitens der Mitgliedstaaten sowie eine Verstärkung der dementsprechenden wirksamen gemeinschaftlichen Programme (Erasmus, Marie Curie). Mobilität vernetzt Europa und dient dem Kompetenzerwerb und -transfer. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Forscher und Studenten muss sichergestellt werden und mit akzeptablen Einkommen, Arbeitsbedingungen und Familienförderung einhergehen. Dafür ist auch der europaweite Zugang zu Informationen über offene Stellen in allen Mitgliedstaaten zu verbessern.

    4.2

    Standard der Fachausbildung. Dazu gehört zudem, an den Universitäten und Technischen Hochschulen eine dem besten internationalen Standard mindestens ebenbürtige wissenschaftlich-technische Fachausbildung zu gewährleisten: Das wichtigste Kapital für Forschung und Innovation sind bestqualifizierte und motivierte Wissenschaftler und Ingenieure beiderlei Geschlechts, die ihre Fachkompetenz durch lebenslanges Lernen über ihr gesamtes Berufsleben hinweg erhalten und ausbauen, und unter denen eine ausreichende Anzahl befähigt ist, Führungsrollen zu übernehmen und auf schwierigstem Gebiet Pionierleistungen zu vollbringen.

    4.3

    Chancen für alle. Fortschritt und Erfolg werden in Zukunft mehr denn je das Ergebnis einer strukturierten arbeitsteiligen Teamarbeit sein, bei der es notwendig ist, allen Beteiligten die gemäß ihrer Begabung, Leistungsfähigkeit und Kreativität bestmöglichen Chancen der Entfaltung und Eigeninitiative zu bieten. Dies erfordert auch, dass die Schulsysteme ausreichende Durchlässigkeit besitzen, damit allen Begabungen, z.B. auch Spätentwicklern, die Möglichkeit einer optimalen Ausbildung geboten wird. Unerlässlich sind zudem entsprechend hochwertige Ausbildungsstätten für das gesamte Qualifikationsspektrum an Spezialisten und Fachkräften, welches heute und zukünftig für die umfangreiche Palette von Aufgaben in Technik, Wissenschaft und Wirtschaft benötigt wird.

    4.4

    Vernetzung. Insbesondere auch für Training und Weiterbildung ist eine noch stärkere Vernetzung der Säulen Ausbildung, Forschung und industrielle Anwendung erforderlich, wobei ein offensichtlicher Bezug zum Thema lebenslanges Lernen und Mobilität besteht (siehe Ziffer 4.1.5). Erforderlich ist auch eine stärkere grenzüberschreitende Vernetzung der Universitäten und Technischen Universitäten/Hochschulen. Auch aus dieser Sicht begrüßt der Ausschuss die Planungen zum Europäischen Technologieinstitut (23) ETI, welches zur Weiterentwicklung der Innovationskapazität der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten beitragen soll, indem es Ausbildungs-, Forschungs- und Innovationsaktivitäten auf höchstem Niveau miteinander verbindet. Letzteres betrifft aber auch — über Bildung und Ausbildung hinausgehend — die gemeinsame „vorwettbewerbliche“ Forschung und Entwicklung (24) industrieller Unternehmen, wie z.B. die gemeinsame Entwicklung verbesserter Motorentechnologien in der Automobilindustrie.

    5.   Finanzielle Fragen und Prozeduren

    5.1

    Investition ist Aufgabe aller Beteiligten. Gemeinschaft, Mitgliedstaaten und Privatwirtschaft müssen nach besten Kräften, das heißt deutlich mehr als zurzeit, die für Bildung, Forschung und Entwicklung nötigen Investitionen aufbringen.

    5.2

    Zielwert von Barcelona. Der zur Verwirklichung der Lissabon-Strategie formulierte Zielwert von Barcelona muss von allen darin angesprochenen Akteuren sehr ernst genommen und mit ganzer Kraft angestrebt werden, um im globalen Wettlauf der FuE-Investitionen nicht letzter zu bleiben. Dieser Zielwert besagt, dass die Gesamtausgaben für F&E in der Union so erhöht werden sollen, dass sie 2010 ein Niveau von nahezu 3 % des BIP erreichen. Die dazu benötigten Investitionen sollten zu zwei Dritteln von der Privatwirtschaft erbracht werden.

    5.3

    Hebelwirkung des 7. FuE-Rahmenprogramms. Im Dezember 2006 wurde vom Rat das 7. FuE-Rahmenprogramm (RP7) 2007-2013 mit einem gegenüber seinem Vorgängerprogramm deutlich erhöhten Budget von ca. 50 Mrd. EUR verabschiedet. Dies ist ein weiterer sehr beachtlicher Erfolg europäischer Politik, der vom Ausschuss maßgeblich unterstützt worden ist. Allerdings würde sich die Gemeinschaft mit dem dafür vorgesehen Budget von ca. 50 Mrd. EUR ihrerseits dennoch nur mit einen Anteil von rund 2 %, also nur mit einem Fünfzigstel (!), an den im Zielwert von Barcelona insgesamt angestrebten Investitionen in Forschung und Entwicklung beteiligen. Wie vom Ausschuss mehrfach betont, reicht dies jedoch nicht aus, um die erhebliche Hebelwirkung und Integrationskraft der gemeinschaftlichen Förderung auf die Förderpolitik der Mitgliedstaaten und auf die notwendige Investitionsbereitschaft der Industrie voll zur Wirkung zu bringen und dort den beachtlichen Zuwachs auszulösen, der zum Erreichen des Barcelona-Zielwerts erforderlich ist.

    5.4

    Bekräftigte Empfehlung. Darum bekräftigt der Ausschuss — insbesondere auch angesichts des zu gründenden Europäischen Technologieinstituts ETI sowie der dringenden Notwendigkeit vermehrter F&E-Arbeiten zur klimaverträglichen nachhaltigen Energieversorgung — seine Empfehlung (25), den Anteil der gemeinschaftlichen Förderung bei der im Jahre 2008 anstehenden Revision des EU-Haushalts in einem ersten Schritt um die Hälfte, d.h. auf rund 3 % der im Zielwert von Barcelona insgesamt angestrebten Investitionen zu erhöhen. Dies wäre seitens der Gemeinschaft eine besonders wirkungsvolle Maßnahme, um die zunehmend wichtigeren Ziele von Lissabon und Barcelona rascher als derzeit erkennbar erreichen zu können, sowie um die oben genannten Probleme wirksamer und schneller zu lösen.

    5.4.1

    Wettlauf mit China. Die diesbezüglichen Forschungsanstrengungen z.B. Chinas befinden sich in rapidem Wachstum und Europa muss alle Anstrengungen unternehmen, um bei weltweit wichtigen und erforderlichen Technologien den Markt nicht an die internationale Konkurrenz zu verlieren. Allerdings können die dafür erforderlichen Investitionen der Privatwirtschaft politisch kaum glaubwürdig eingefordert werden, solange die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten noch nicht einmal ihren eigenen Anteil an der Finanzierung des von ihnen selbst formulierten Zielwertes von Barcelona erbracht haben.

    5.4.2

    Grundfinanzierung durch die Mitgliedstaaten. Zumindest sollten die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass ihre Universitäten und Forschungseinrichtungen mit genügend Grundfinanzierung ausgestattet sind, um die Chance einer Kofinanzierung durch das 7. FuE-Rahmenprogramm in dem erwarteten Maß wahrnehmen zu können.

    5.5

    Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen. Das Beihilferecht (E state aid) der Gemeinschaft sollte so gestaltet werden, dass es die Mitgliedstaaten ermuntert und ihnen den dazu nötigen Freiraum gibt, Forschungs- und Entwicklungsvorhaben der Universitäten, der Forschungsorganisationen und der Industrie sowie deren erforderliche Vernetzung, verstärkt, effektiver und unbürokratischer als bisher zu fördern. Darum sollte sorgfältig beobachtet werden, ob der „Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen für Forschung, Entwicklung und Innovation“  (26), diese Zielsetzungen tatsächlich unterstützt.

    5.6

    Haushaltsrecht der Mitgliedstaaten. Das Haushaltsrecht einzelner Mitgliedstaaten sollte bei der Förderung von FuE-Maßnahmen einen dem jeweiligen Projektablauf angepassten flexibleren Mittelabruf/Mittelabfluss ermöglichen, z.B. durch Übertragbarkeit zugewiesener Mittel in das nächste Kalender- oder Haushaltsjahr.

    5.7

    Ausbau wissenschaftlicher Infrastruktur. Zudem hatte der Ausschuss mehrfach (27) empfohlen, einen deutlich größeren Teil der Mittel des gemeinschaftlichen Strukturfonds für den Ausbau wissenschaftlicher Infrastruktur zu verwenden. Hier könnten auch Mittel der Europäischen Investitionsbank mit großem Nutzen zum Einsatz kommen.

    5.8

    Potenzial von KMU. Dabei gilt es auch, das Potenzial von KMU und insbesondere von „Start-Ups“ für Innovationen weiter zu stärken sowie generell stärkere Anreize für mehr dementsprechende Investitionen seitens der Industrie zu schaffen. Der Ausschuss verweist zudem auf seine Empfehlungen (28) zum EU-Programm „Mehrjahresprogramm für Unternehmen und unternehmerische Initiative, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)“ und auf die in diesem Zusammenhang besonders wichtige Förderung im Bereich der wissensbasierten Wirtschaft. Aus der Tatsache, dass in der EU 98 % aller Firmen KMU sind, wird besonders deutlich, welche Bedeutung einer Stärkung der Innovationsfähigkeit dieser Unternehmenskategorie zukommt (der Ausschuss begrüßt daher, dass in FP7 1,3 Mrd. EUR für FuE durch und für KMU reserviert sind). Derzeit bestehende erschwerende Vorschriften für KMU sollten überprüft und möglichst „entbürokratisiert“ werden; zudem könnten die Behörden durch „Business Angels“ Hilfe beim Zugang zu den Fördermöglichkeiten leisten. Auch aus der diesbezüglichen Förderpolitik anderer Staaten kann Europa Anregungen gewinnen.

    6.   Strukturelle Aspekte und Rahmenbedingungen

    6.1

    Verweis auf andere und vorhergehende Berichte. Hierzu verweist der Ausschuss zunächst auf die beiden kürzlich veröffentlichten Mitteilungen (29) der Kommission zum Thema „Innovation“ sowie auf den ausgezeichneten Aho-Report (30). Er verweist außerdem auf seine eigene Stellungnahme (31). „Das Potenzial Europas für Forschung, Entwicklung und Innovation ausschöpfen und stärken“, welche in ihren Aussagen mit dem hier vorliegenden Text zahlreiche Überlappungen aufweist, zugleich aber mehrere der hier angesprochenen Themen viel ausführlicher behandelt.

    6.2

    Innovation ist mehr. Die oben genannten Berichte bekräftigend und ergänzend wiederholt der Ausschuss: Fortschritt und Innovation beruhen nicht nur auf Wissenschaft und Technik, sondern auch auf der Umsetzung dieser Erkenntnisse in neue, bessere Prozesse und Produkte, auf neuartigen Geschäftsmodellen, auf den richtigen Managementmethoden; es geht also auch um innovativen Unternehmergeist und Unternehmerinitiativen. Fortschritt und Innovation beruhen auch auf neuartigen Dienstleistungen, auf der Fortentwicklung des Gesundheitswesens, und allgemein auf der besseren Lösung sozialer Fragen — Ein Beispiel ist das vom Ausschuss behandelte „Flexicurity“-Konzept (32).

    6.3

    Innovation, der Schritt in Neuland. Innovation bedeutet also, neue Techniken, Verfahren, Organisationsweisen, Geschäftsmodelle, Ausbildungsmodelle etc. zu konzipieren und zu verwirklichen, die vorher nicht in Betracht gezogen worden sind. Darum lässt sich deren Leistungsfähigkeit meistens erst im Nachhinein durch ihre Bewährung im praktischen Wettbewerb beweisen.

    6.4

    Regelwerke offen gestalten. Demgegenüber werden Regelwerke auf der Basis des bereits vorhandenen Wissensstands erstellt. Aus diesem Grunde ist es sehr wichtig, dass diese Regelwerke genügend Spiel- und Freiraum bieten, also genügend Pluralität und Variabilität zulassen, um auch der neuen, vorher nicht bedachten Idee die Chance der Verwirklichung zu geben und diese nicht schon — weil nicht ins Raster bestehender Regelwerke passend — a priori im Keime zu ersticken oder langsam verdorren zu lassen. Also ist bei allen Regelwerken darauf zu achten, dass zwar die grundsätzlichen Fragen erfasst und geordnet werden, aber jede zu weit ins Detail gehende Vorschrift vermieden wird; jede Überregulierung, jedes Übermaß einschränkender Vorschriften, und seien sie auch aus noch so guter Absicht erlassen, sind Hemmschuhe und Hindernisse für Innovation. Darum unterstützt der Ausschuss alle Bemühungen zur Vereinfachung der Regelwerke und zur deren Überprüfung auf überflüssige und/oder unnötig einschränkende Vorschriften. Dies dient zudem auch der Entlastung (siehe unten) der Fachexperten von unnötiger Bürokratie. Zudem: Fehler Einzelner dürfen nicht zur Überregulierung Aller führen.

    6.5

    Freiheit der Forschung. Nochmals: Innovation benötigt einen ausreichenden unternehmerischen Freiraum. Freiheit der Forschung — auch die Freiheit von sachfremden, einengenden (33) oder gar ideologischen Vorgaben — ist Grundvoraussetzung für kreative Wissenschaft sowie neue Entdeckungen und Erfindungen, unbeschadet ihrer Grenzen durch die gesetzliche Regelung ethischer Problemstellungen und unbeschadet einer sachgerechten Verwendung zugewiesener Fördermittel.

    6.6

    Bekräftigung von CESE 1566/2006. Für noch weitere wichtige Gesichtspunkte wird auf die oben unter Ziffer 5.1 genannte Stellungnahme (34) verwiesen und deren Aussagen nachdrücklich bekräftigt. Darin werden unter den Ziffern 4.7 bis 4.11 zu folgenden hierfür relevanten Themen Empfehlungen gegeben: Von der Naturerkenntnis zum innovativen Produkt, zum innovativen Prozess und zu innovativen Dienstleistungen. Mobilität zwischen Akademia und Industrie. Öffentlich zugängliche Informations-Systeme. „Cluster“. „Start-Ups“. Grundlagenforschung. Das innovative Produkt. Öffentliches Auftragswesen. Geistiges Eigentum und notwendiges Gemeinschaftspatent. Neuheitsunschädliche Vorveröffentlichungsfrist. Sprachenproblem. Besondere Situation der neuen Mitgliedstaaten.

    6.6.1

    Schutz des geistigen EigentumsEuropäisches Gemeinschaftspatent. Dabei wird ein ausreichender Schutz des geistigen Eigentums (35) noch einmal besonders betont: unternehmerische Investitionen in Forschung, Entwicklung und Innovation müssen sich lohnen, und sowohl der finanzielle als auch der rechtlich/administrative Aufwand zum Erlangen und Erhalt der Schutzrechte darf — im Vergleich mit den globalen Wettbewerbern — die Wirtschaftskraft Europas nicht belasten. — Dies zeigt auch die dringende Notwendigkeit eines Europäischen Gemeinschaftspatents (mit darin verankerter Neuheitsschonfrist).

    7.   Der Faktor Mensch

    7.1

    Wertvollste Ressource. Zunächst verweist der Ausschuss auf seine spezifisch diesem Themenkreis gewidmete Stellungnahme (36), deren Aussagen er noch einmal bestätigt und unterstreicht. Wie schon zuvor hatte der Ausschuss dort darauf hingewiesen, dass Humankapital die sensibelste und wertvollste Ressource für Wissen und Innovation ist. Also ist die wichtigste Aufgabe, dazu begabte, junge Menschen für eine wissenschaftliche oder technische Ausbildung zu motivieren und ihnen diese dann auch bestmöglich zu bieten.

    7.2

    Qualität der Ausbildungsstätten (Siehe Kapitel 4.). Daher sind Zahl, Ausstattung und Qualität der dafür erforderlichen Ausbildungsstätten entscheidende Voraussetzungen, um den Bedarf an guten Wissenschaftlern, Ingenieuren und Unternehmern befriedigen zu können. Also muss man in genügender Zahl und Ausstattung beste, attraktive Universitäten, vor allem auch Technische Universitäten, mit hervorragenden Lehrkräften — und in Verbindung von Forschung und Lehre (37) — schaffen bzw. erhalten. Diese müssen den Wettbewerb mit den besten Universitäten der USA oder anderen, außereuropäischen Ländern bestehen können und auch genügend Anziehungskraft für die besten außereuropäischen Studenten besitzen.

    7.3

    Verantwortung der Gesellschaft. Mit den sowohl seitens der Gesellschaft als auch seitens der einzelnen Forscher getätigten Investitionen zum Erwerb eines erwünschten breiten und schwierigen Grundlagen- und hochgradigen Spezialwissens übernimmt die Gesellschaft — vertreten durch die Politik — die Verantwortung zur bestmöglichen Nutzung dieser Investitionen. Diese Verantwortung muss sich in der Sorge für angemessene Berufschancen und Entfaltungsmöglichkeiten, sowie einem adäquaten Karriereweg der ausgebildeten Forscher mit attraktiven Verzweigungsoptionen ohne berufliche Abseitsfalle oder Sackgasse manifestieren. Arbeitslosigkeit, Unterbezahlung oder Fehlbeschäftigung qualifizierter Wissenschaftler und Ingenieure sind Vergeudung volkswirtschaftlicher Investitionen und schrecken die nachwachsende Leistungselite ab mit dem Ergebnis einer Entscheidung gegen wissenschafts- und technikrelevante Berufsbilder oder einer Abwanderung aus Europa! Auch überbordende Bürokratie (siehe Ziffer 7.7) ist Fehlbeschäftigung.

    7.4

    Entfaltung der Talente. Es geht darum, den Menschen — also auch allen Mitarbeitern in Firmen, Universitäten und Forschungsinstituten — die gemäß ihrer Begabung, Leistungsfähigkeit und Kreativität bestmöglichen Chancen für die Entfaltung ihrer Talente und für Eigeninitiative zu bieten sowie ein soziales Umfeld zu gestalten, das Familienbildung ermöglicht sowie ihrer Schaffenskraft dient und diese fördert. Dies beinhaltet dann aber auch, dass die in den Genuss dieser Ausbildung und Förderung gelangten jungen Menschen ihrerseits alles daransetzen, die erworbenen Fähigkeiten und Talente mit Pflichtbewusstsein und Engagement bestmöglich einzusetzen. Dies sind sehr wichtige Fragen der Sozialpolitik, der Familienpolitik, der Betriebswirtschaftslehre und generell der Managementkultur. Dort wurde inzwischen auch die Bedeutung einer sinnvollen „Work-Life-Balance“ für Kreativität und Produktivität erkannt (38).

    7.5

    Identifizierung und Bewertung der Leistungsträger  (39). Herausragende Fähigkeiten und Leistungen lassen sich kaum durch formale Bewertungsschemata — bei denen zudem ebenfalls die Möglichkeit zum Missbrauch bestehen — erfassen. Problematisch ist z.B. das Verhalten solcher wissenschaftlicher Autoren, die sich in Veröffentlichungen vorzugsweise gegenseitig zitieren, auf diese Weise „Zitier-Kartelle“ bilden und sich so Vorteile bei schematischer Bewertung verschaffen. Weder die Zahl der Veröffentlichungen, noch der Zitate oder Patente oder andere derartige Kennzahlen allein sind ausreichende oder belastbare Bewertungskriterien; wichtiger sind Qualität, Neuheitswert und Bedeutung. Darüber hinaus waren es manchmal gerade die besonders bahnbrechenden Erkenntnisse oder Erfindungen, die erst mit einer gewissen Verzögerung bekannt, anerkannt, genutzt oder zitiert wurden. Darum benötigt man zur Bewertung von Persönlichkeit und Leistung, mit all ihren Ausprägungen und Facetten, den Erfahrungsschatz und das persönliche Urteilsvermögen (ohne dass selbst dann Fehleinschätzungen ganz vermieden werden können) der maßgeblichen Repräsentanten des jeweiligen Fachgebiets, in welchem die Leistungen erbracht wurden bzw. erwartet werden.

    7.6

    Beteiligung an den Entscheidungsprozessen. Zudem ist es notwendig, erfahrene Fachexperten und wissenschaftlich-technische Leistungsträger mehr als bisher maßgeblich an wichtigen forschungspolitischen, unternehmerischen und innovationspolitischen Entscheidungsprozessen und Verwaltungsakten zu beteiligen. Die Gründung des Europäischen Forschungsrates ERC ist hier ein sehr ermutigender erster Schritt, der vom Ausschuss nachdrücklich unterstützt worden ist (40). Aber auch für die Administration der Forschungs- und Innovationsförderung der Gemeinschaft (d.h. insbesondere der Kommission!) und der Mitgliedstaaten muss ausreichender fachbezogener Sachverstand eingebracht und erhalten werden. Dabei sollten insbesondere auch erfolgreiche jüngere Ingenieure und Forscher einbezogen werden. Forschungs- und Innovationsförderung muss über reine Administration hinausgehen.

    7.7

    Entlastung vom Übermaß fachfremder Aufgaben. Forschen, Entwickeln und Erfinden, aber auch die Aufbereitung und Weitergabe von Wissen sind zeitintensive Geistes- und Laborarbeit, die auch Phasen der ungestörten Konzentration und Besinnung benötigt. Der Ausschuss hat seit dem Jahre 2000 wiederholt darauf hingewiesen (41), dass das immer weiter anwachsende Übermaß an Gremienarbeit, Antrags- und Gutachtertätigkeit, Berichteschreiben, das heißt generell an Bürokratie etc. inzwischen für viele Experten den Großteil ihrer Arbeitszeit erfordert, diese so ihrer eigentlichen Aufgabe entzieht und damit der Innovationskraft und Leistungsfähigkeit gerade auch der herausragenden Fachvertreter schadet. Diese Fehlentwicklung wird inzwischen zunehmend auch in den Medien angeprangert (42). Der Ausschuss begrüßt die erklärte Absicht der Kommission, sich dieses Themas anzunehmen und gemeinsam mit den Mitgliedstaaten hier nach Entlastung zu suchen. Dabei ist die Forderung nach einer Beteiligung der Fachexperten an forschungspolitischen Entscheidungsprozessen kein Widerspruch zur nötigen Entlastung von bürokratischen Auflagen; sie kann diesem Ziel sogar dienlich sein. Ein konkretes Ziel sollte sein, die zahlreichen Antrags-, Berichts- und Monitoring-Verfahren für die verschiedenen Zuwendungsgeber, Partnerinstitutionen, Netzwerke sowie Kontroll- und Gutachtergremien zu vereinheitlichen und zusammenzulegen. Dies erbrächte überdies einen beachtlichen Gewinn an Transparenz.

    7.8

    Brain Drain und Mobility. Der Beruf des Ingenieurs oder Wissenschaftlers erfordert aus gutem Grund (siehe auch Ziffer 4.1.5) Mobilität und Flexibilität. Dies darf jedoch nicht zu Lasten der persönlichen und familiären Lebensverhältnisse und der sozialen Absicherung geschehen (43). Außerdem darf es nicht zu einer Netto-Abwanderung der Besten weg aus Europa führen. Also müssen die Berufsbedingungen innerhalb Europas attraktiv genug sein, dies zu verhindern und insgesamt zu einer zumindest ausgeglichenen Bilanz globaler Mobilität der hochqualifizierten Leistungsträger führen. Allerdings besteht auch seitens einiger Mitgliedstaaten die Besorgnis, dass innerhalb der EU ein einseitiger Braindrain entstehen könnte. Wie der Ausschuss schon mehrfach empfohlen hatte (siehe auch Ziffer 5.7) sollte daher ein deutlich größerer Teil der Mittel des gemeinschaftlichen Strukturfonds für den Ausbau wissenschaftlicher Infrastruktur zu verwendet werden, um in allen Mitgliedstaaten attraktive Forschungsstätten zu schaffen, die dann Anziehungspunkte für Rückkehrwillige und zugleich Partner in Netzwerken sein können.

    7.9

    Berufsbild des Unternehmers. Eine besondere Problematik stellt die Umsetzung von Forschung und Entwicklung in innovative Produkte und Prozesse dar. Nicht umsonst fordert die Zielsetzung von Lissabon, dass zwei Drittel der finanziellen Forschungsleistung von der Industrie erbracht werden sollen. In ganz besonderem Maße geht es daher auch darum, das Berufsbild des Unternehmers aufzuwerten und in seiner entscheidenden Bedeutung für Innovation, wirtschaftlichen Fortschritt und allgemeinen Wohlstand in der Gesellschaft besser zu verankern. Darum hat der Ausschuss in seiner Funktion als Brücke zur organisierten Zivilgesellschaft das Thema „Unternehmertum mit menschlichem Antlitz“ in den Mittelpunkt seines kommenden Arbeitsprogramms gestellt. Nur durch ein verantwortungsbewusstes und tatkräftiges Unternehmertum, das sich bestmöglich entfalten kann, wird es letztlich gelingen, die Ziele von Lissabon zu erreichen.

    Brüssel, den 12. Juli 2007

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

    (2)  ABl. C 325 vom 30.12.2006.

    (3)  Möglicherweise auch mit dem chinesischen Kulturkreis.

    (4)  Eine sehr ausführliche und differenzierte Darstellung dieser Prozesse findet sich in der Initiativstellungnahme des Ausschusses „Wissenschaft, Gesellschaft und Bürger in Europa“, ABl. C 221 vom 7.8.2001.

    (5)  In Deutschland.

    (6)  Insbesondere auch durch Reduktion der Kindersterblichkeit.

    (7)  Europäischer Rat 23.-24. März 2007 — Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Nachhaltige Energie).

    (8)  

    Z.B.

    1)

    WMO/UNEP Intergovernmental Panel on Climate Change — „Climate Change 2007: The Physical Science Basis — Summary for Policy Makers“ oder

    2)

    Open letter by 61 Scientists to the Canadian Prime Minister

    (http://www.lavoisier.com.au/papers/articles/canadianPMletter06.html).

    (9)  http://www.hm-treasury.gov.uk/independent_reviews/stern_review_economics_climate_change/sternreview_index.cfm.

    (10)  ABl. C 241 vom 7.10.2002, „Forschungsbedarf im Hinblick auf eine sichere und nachhaltige Energieversorgung“. Siehe neuerdings ISBN 92-79-02688-7 „Transition to a sustainable energy system for Europe — The R&D perspective“ sowie „nature“ Vol 444, Issue no. 7119, page 519 (Nov. 2006) „Our emperors have no clothes“.

    (11)  Siehe dazu auch (ABl. C 185 vom 8.8.2006).

    (12)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

    (13)  ABl. C 185 vom 8.8.2006.

    (14)  Bild der Wisssenschaft 9/2006, S. 109.

    (15)  Insbesondere die Einkommens- und Vertragssituationen junger Wissenschaftler und Ingenieure.

    (16)  Siehe dazu die Mitteilung der Kommission KOM(2006) 728 endg. „Wege zu einer wirksameren steuerlichen Förderung von FuE“.

    (17)  FAZ Nr. 49, S. 17 vom 27. Februar 2007„Zwischen Fortschritt und Stillstand“.

    (18)  Siehe dazu auch Mitteilung der Kommission KOM(2006) 728 endg.: „Wege zu einer wirksameren steuerlichen Förderung von FuE.“ Dazu wird der Ausschuss eine eigene Stellungnahme erarbeiten.

    (19)  Siehe dazu insbesondere (ABl. C 110 vom 30.4.2004). Historisch gesehen, waren es sogar Vorhaben in der Grundlagenforschung, denen die ersten Initiativen wissenschaftlicher Zusammenarbeit in (West-) Europa galten. Sie entstanden aus der Notwendigkeit, Zentren für Großgeräte zu errichten und eine kritische Masse zu schaffen, deren Kostenaufwand die finanzielle Fähigkeit oder Zahlungsbereitschaft der einzelnen Mitgliedstaaten überstieg.

    (20)  Dabei geht es nicht so sehr um ein Erlernen und Beherrschen von sehr vielen Formeln, sondern um ein Grundverständnis der Technik und der elementaren Naturgesetze, aber doch auch um die Bedeutung quantitativer Zusammenhänge und des Nutzens der Mathematik.

    (21)  A Renewed Pedagogy for the Future of Europe, Bericht der Generaldirektion Forschung, 2007 (EUR 22845), erstellt von der Expertengruppe für naturwissenschaftlichen Unterricht: Michel Rocard (Vorsitzender), Peter Csermely, Doris Jorde, Dieter Lenzen, Harriet Walberg-Henriksson, Valerie Hemmo (Berichterstatterin).

    (22)  ABl. C 65 vom 17.3.2006.

    (23)  ABl. C 93 vom 27.4.2007.

    (24)  Siehe dazu auch Kapitel 7 von ABl. C 204 vom 18.7.2000.

    (25)  ABl. C 325 vom 30.12.2006.

    (26)  ABl. C 323/I vom 30.12.2006.

    (27)  U.a. in ABl. C 65 vom 17.3.2006.

    (28)  ABl. C 234 vom 22.9.2005.

    (29)  KOM(2006) 502 endg. vom 13.9.2006„Kenntnisse in die Praxis umsetzen: eine breit angelegte Innovationsstrategie für die EU“; KOM(2006) 589 endg. vom 12.10.2006„Ein innovationsfreundliches modernes Europa“.

    (30)  EUR 22005 „Creating an Innovative Europe“ ISBN 92-79-00964-8.

    (31)  ABl. C 325 vom 30.12.2006.

    (32)  Z.B. „Flexicurity nach dänischem Muster“ (ABl. C 195 vom 18.8.2006).

    (33)  Siehe auch ABl. C 65 vom 17.3.2006, dort Ziffer 4.13.2 „Charta“ samt Fußnote.

    (34)  ABl. C 325 vom 30.12.2006.

    (35)  Siehe dazu auch: Kommissar Günter Verheugen, SPEECH/07/236 „Geistiges Eigentum — Antrieb für Innovation in Europa“19. April 2007.

    (36)  „Forscher im europäischen Forschungsraum: ein Beruf, vielfältige Karrieremöglichkeiten“ (ABl. C 110 vom 30.4.2004).

    (37)  Dabei könnte eine noch bessere Vernetzung zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten hilfreich sein, insbesondere um deren Gerätschaften und Infrastruktur in die Verbindung von Forschung und Lehre einzubeziehen, aber auch um so deren neueste Erkenntnisse in die Lehre einfließen zu lassen.

    (38)  Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 257, 4. November 2005, C1.

    (39)  Siehe dazu auch ABl. C 110 vom 30.4.2004.

    (40)  Siehe dazu auch ABl. C 110 vom 30.4.2004.

    (41)  Siehe insbesondere die Punkte 9.8 von (ABl. C 204 vom 18.7.2000); dort steht z.B. unter Ziffer 9.8.2 „In diesem Sinne hat jeder erfolgreiche Wissenschaftler nur eine begrenzte Anzahl von Valenzen — und einen begrenzten Bruchteil seiner Zeit — verfügbar, um ohne Schaden für seine wissenschaftliche Leistungsfähigkeit Kontakte zu anderen Personen, Gruppen, Gremien, Kommissionen etc. wahrzunehmen und mit sinnvollen Inhalten zu erfüllen. Zu vielerlei und zu aufwendige Antragsverfahren und Begutachtungsprozeduren etc. — wenn sie dann gar noch erfolglos waren — entziehen der Forschung die Arbeitskraft der dort benötigten Personen. Dies gilt insbesondere angesichts der Tatsache, dass es viele, einander häufig sogar überschneidende Förderinstrumente und Evaluierungsprozeduren gibt, die auf ein einzelnes Projekt angewandt werden.“

    (42)  So z.B. FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) Nr. 60 vom 12. März 2007„Ein Forscher geht“; aber auch FAZ Nr. 67 vom 20. März 2007, Interview mit Harald Uhlig.

    (43)  Siehe auch (ABl. C 110 vom 30.4.2004).


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