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Document 51994AC1310

    STELLUNGNAHME DES WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES zu der "Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik an den Rat und an das Europäische Parlament"

    ABl. C 397 vom 31.12.1994, p. 40–49 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT)

    51994AC1310

    STELLUNGNAHME DES WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES zu der "Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik an den Rat und an das Europäische Parlament"

    Amtsblatt Nr. C 397 vom 31/12/1994 S. 0040


    Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik an den Rat und an das Europäische Parlament (94/C 397/17)

    Die Kommission beschloß am 21. Januar 1994, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 198 des EWG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: "Mitteilung der Kommission über die Anwendung des Protokolls über die Sozialpolitik an den Rat und an das Europäische Parlament."

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Sozial- und Familienfragen, Bildungswesen und Kultur nahm ihre Stellungnahme am 10. November 1994 an. Berichterstatter war Herr van Dijk.

    Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 320. Plenartagung (Sitzung vom 24. November 1994) mehrheitlich bei 18 Gegenstimmen und 11 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

    1. Geltungsbereich des Abkommens über die Sozialpolitik

    1.1.

    Aspekt EG-Vertrag

    1.1.1. Ein zweigeteiltes "Soziales Europa" schafft eine Situation, die die Einheit des Sozialrechts in der Union zu untergraben droht, eine abweichende Behandlung der Bürger des Vereinigten Königreichs zur Folge hat und sozialem Dumping Vorschub leistet.

    1.1.2. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß stimmt der Feststellung der Kommission in Ziffer 8 zu; es sollte tatsächlich alles ins Werk gesetzt werden, um im Zuge der Regierungskonferenz im Jahre 1996 eine verbesserte Fassung des Abkommens in den Vertrag aufzunehmen, wie es das Europäische Parlament gefordert hat.

    1.2.

    Das Protokoll und der "gemeinschaftliche Besitzstand"

    1.2.1. Das Protokoll und das Abkommen beinhalten eine maßgebliche Erweiterung der Befugnisse der Gemeinschaft im sozialen Bereich für die elf Mitgliedstaaten, die das Abkommen unterzeichnet haben. Das bedeutet, daß Maßnahmen vorgeschlagen werden, die über den derzeitigen gemeinschaftlichen Besitzstand hinausgehen (der dadurch "nicht berührt wird"); die Befugnisse nach Maßgabe des EG-Vertrags, auf den sich dieser Besitzstand beschränkte, dienen dabei als Grundlage, und daneben kommen von nun an auch die neuen Rechtsbefugnisse zum Einsatz.

    1.3.

    Doppelte Subsidiarität

    1.3.1. Durch den Vertrag von Maastricht wurde der Grundsatz der Subsidiarität eingeführt. Das Europäische Parlament versteht darunter zweierlei: die vertikale und die horizontale Subsidiarität. Vertikale Subsidiarität bedeutet für das Europäische Parlament die Kompetenzverteilung zwischen verschiedenen behördlichen Ebenen, d.h. der europäischen, der staatlichen und der regionalen Ebene; horizontale Subsidiarität bedeutet dagegen die Teilung der Verantwortung zwischen Sozialpartnern und Behörden.

    1.3.2. Die in Artikel 3 b des Vertrags von Maastricht aufgeführten Kriterien betreffen lediglich die vertikale Subsidiarität und nicht die horizontale Subsidiarität.

    1.3.3. Es muß also zwischen vertikaler und horizontaler Subsidiarität unterschieden werden.

    1.3.4. Die vertikale Subsidiarität, d.h. die Entscheidung zwischen Maßnahmen auf EG-Ebene und solchen auf mitgliedstaatlicher Ebene, trägt verschiedenen Faktoren Rechnung:

    a)

    der Gefahr, die Sozialsysteme dem Wettbewerb auszusetzen, was zu einer Verschlechterung der Sozialschutzstandards führt;

    b)

    der Notwendigkeit von Rechtsvorschriften, die durch niedrige Sozialschutzstandards gewonnene Wettbewerbsvorteile verhindern;

    c)

    der europäischen Dimension von Problemen, die ein Eingreifen auf EG-Ebene erfordern, beispielsweise durch Europäische Betriebsräte;

    d)

    wenn eine Gemeinschaftspolitik sich für eine Gruppe negativ auswirkt, sind Ausgleichsmaßnahmen auf Gemeinschaftsebene erforderlich, wie z.B. das MATTHÄUS-TAX-Programm für Zollbeamte.

    1.3.5. In Ziffer 6 Buchstabe c) der Mitteilung der Kommission wird Artikel 3 b des Vertrags über die Europäische Union als Grundlage für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips angeführt. In Artikel 3 b geht es jedoch lediglich um die vertikale und nicht um die horizontale Subsidiarität.

    1.3.6. Bei einer näheren Betrachtung des Protokolls und des Abkommens über die Sozialpolitik sowie der ihnen angefügten Erklärungen ergeben sich gewisse Anhaltspunkte für eine horizontale Subsidiarität.

    a)

    Die Erklärung zu Artikel 4 Absatz 2 des Abkommens deutet auf die Anwendung der horizontalen Subsidiarität auf nationaler (mitgliedstaatlicher) Ebene hin. Die Mitgliedstaaten überlassen die Festlegung des Inhalts von Vereinbarungen auf Gemeinschaftsebene ausdrücklich den Tarifverhandlungen und erklären sich zu keiner gesetzlichen Maßnahme verpflichtet.

    b)

    Artikel 2 Absatz 4 des Abkommens enthält einen weiteren Hinweis auf die Anwendung der horizontalen Subsidiarität auf nationaler (mitgliedstaatlicher) Ebene. Demnach kann die Durchführung einer Richtlinie auf mitgliedstaatlicher Ebene den Sozialpartnern übertragen werden, sofern der jeweilige Mitgliedstaat gewährleistet, "daß die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden".

    c)

    Ferner enthält das Abkommen einen Hinweis auf die Anwendung der horizontalen Subsidiarität auf EG-Ebene. So werden in Artikel 2 Absatz 6 des Abkommens "das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht" von der in Artikel 2 Absatz 2 verankerten Befugnis des Rates zum Erlaß von Richtlinien ausgenommen. Für diese Bereiche sind die Sozialpartner auf der Ebene der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten zuständig. Ihre Befugnis, Vereinbarungen nach den in Artikel 3 und 4 festgelegten Verfahren zu treffen, ist in diesen Bereichen unbegrenzt.

    Darüber hinaus vertritt der Ausschuß die Auffassung, daß

    d)

    der im allgemeinen verfassungsmässig verbriefte Grundsatz der Autonomie der Sozialpartner (Tarifautonomie) einen Einfluß auf die Teilung der Verantwortung zwischen den Sozialpartnern und den Behörden haben kann.

    1.3.7. Die horizontale Subsidiarität auf EG-Ebene ist eine Folge ihrer zunehmenden Anerkennung im Gemeinschaftsrecht von seiten der Mitgliedstaaten. In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs () wird betont, daß Tarifverträge

    (i)

    für alle Beschäftigten gelten und

    (ii)

    alle Anforderungen der Richtlinie erfuellen müssen.

    Andernfalls bedarf es einer zusätzlichen Sicherheit in Form einer staatlichen Garantie (gewöhnlich eines Gesetzes).

    1.3.8. Die Kommission hat in einem Briefwechsel vom 11. Mai 1993 mit den dänischen Sozialpartnern grundsätzlich anerkannt, daß Arbeitsmarktrichtlinien für den dänischen Arbeitsmarkt im Wege von Tarifverträgen und ohne Erlaß eines Durchführungsgesetzes umgesetzt werden können.

    Eine gleichlautende Zusage hat die Kommission in einem Briefwechsel vom 29. Oktober 1993 mit der schwedischen Regierung gemacht.

    1.3.9. Die Anerkennung des Grundsatzes der horizontalen Subsidiarität bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in einzelstaatliches Recht hat ihren Niederschlag sowohl in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als auch - seit Bestehen der Charta der sozialen Grundrechte - in der Rechtspraxis der Kommission und des Rates ihren Niederschlag gefunden.

    1.4.

    Wahl der Kommission zwischen EG-Vertrag und Abkommen von Maastricht

    1.4.1. Da das Abkommen weit umfangreichere Kompetenzen im sozialen Bereich enthält, werden die meisten Vorschläge ausschließlich unter die Bestimmungen des Abkommens fallen.

    1.4.2. Um zu verhindern, daß eine Situation entsteht, in der die Sozialpartner nicht zu sozialpolitischen Vorschlägen gehört werden, fragt sich der Ausschuß, ob nicht ein Zweiwegeverfahren möglich wäre, vergleichbar der zweifachen Rechtsgrundlage der Kommissionsrichtlinien über die Gleichbehandlung. Das Problem ließe sich aus der Welt schaffen, wenn die Kommission zusagen würde, die Sozialpartner in jedem Fall zu hören, gleichgültig, ob der EG-Vertrag oder das Sozialprotokoll die Rechtsgrundlage bildet.

    1.4.3. Falls das Abkommen nicht für Initiativen im Bereich der Sozialpolitik zugrunde gelegt wird,

    a)

    bedeutet dies einen Verstoß gegen die Pflicht der Kommission, den sozialen Dialog im Sinne des Abkommens zu fördern;

    b)

    könnte dies von den Sozialpartnern insofern angefochten werden,

    i) als ihnen damit das Recht verweigert wird, zu den Vorschlägen gehört zu werden, die die Kommission "im Bereich der Sozialpolitik" unterbreitet (Artikel 3 Absatz 2);

    ii) als sie auf diese Weise daran gehindert werden, den in Artikel 4 vorgesehenen Prozeß in die Wege zu leiten.

    1.4.4. Es dürfte klar sein, daß das Abkommen künftig das an erster Stelle einzusetzende Rechtsinstrument und die primäre Rechtsgrundlage für die Gemeinschaftsaktion im Sozialbereich bilden müsste (soweit möglich in Verbindung mit dem EG-Vertrag).

    1.4.5. Mit ihrer (in Ziffer 28) vertretenen Ansicht, daß "diese spezifischen Verfahren der Anhörung nach Artikel 3 des Abkommens ungeachtet der schließlich gewählten Rechtsgrundlage bei jedem Vorschlag im sozialen Bereich anzuwenden (sind)", kommt die Kommission ihren Verpflichtungen nur teilweise nach.

    1.5.

    Der "Ausstieg" des Vereinigten Königreichs und das Prinzip der Nichtdiskriminierung

    1.5.1. Die anderen Mitgliedstaaten legten eindeutig Wert darauf, daß sich das Vereinigte Königreich den neuen sozialpolitischen Initiativen anschließt. Das Vereinigte Königreich behält sich das Recht vor, von einer Teilnahme bis auf weiteres Abstand zu nehmen. Das Prinzip der Nichtdiskriminierung kann von britischer Seite nicht geltend gemacht werden, wenn die Nichtteilnahme des Vereinigten Königreichs zu Diskriminierungen führt.

    2. Anzuhörende Organisationen

    2.1.

    Die Sozialpartner

    2.1.1. Das diesbezuegliche Kapitel der Mitteilung der Kommission (ab Ziffer 22) trägt die Überschrift "Die anzuhörenden Organisationen". Hier stellen sich zunächst zwei Probleme:

    a)

    In dem Abkommen ist nicht von "Organisationen" die Rede, sondern nur von "Sozialpartnern", "management and labour", "partenaires sociaux" oder "parti sociali".

    b)

    Die Sozialpartner werden angehört, haben jedoch auch die Befugnis, Vereinbarungen auf EG-Ebene auszuhandeln.

    2.1.2. Angesichts dieser Probleme erhebt sich für den Ausschuß die Frage, inwieweit es im Ermessen der Kommission liegt, die anzuhörenden Organisationen auszuwählen.

    2.1.3. Es sollte nicht davon ausgegangen werden, daß die Anhörung und der soziale Dialog auf EG-Ebene gleicher Art sind wie Tarifverhandlungen innerhalb eines Mitgliedstaates. Die Verfahren und ihre Ergebnisse können unterschiedlich sein. Die am sozialen Dialog in der Gemeinschaft Beteiligten können auch anhand anderer spezifischer Kriterien bestimmt werden. Es sollte nicht einfach von den Erfahrungen auf einzelstaatlicher Ebene auf solche auf EG-Ebenen geschlossen werden.

    2.1.4. Bei den Kriterien für die Auswahl der Sozialpartner in den einzelstaatlichen Systemen spielt oft der Schlüsselbegriff der Repräsentativität eine Rolle. Dieser Begriff ist in dem Abkommen nicht zu finden.

    2.1.5. Dies deutet darauf hin, daß die Repräsentativität zwei Gesichter hat:

    a)

    Erstens setzt ein repräsentativer sozialer Dialog auf EG-Ebene voraus, daß an ihm Vertreter der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerschaft beteiligt sind.

    b)

    Zweitens stellt sich jedoch die Frage, in welchem Sinne diese "Vertreter" Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sein müssen.

    2.1.6. Die in Anhang 3 der Mitteilung zusammengefasste Studie kommt zu dem Schluß, daß im Hinblick auf die Bestimmung der Sozialpartner für Tarifverhandlungen (Anhang 3, Seite 3/4)

    a)

    "in den meisten Ländern eine gegenseitige Anerkennung (besteht), eventuell (...) jedoch zusätzliche formale/gesetzliche Anforderungen zu erfuellen" sind;

    b)

    bei den Systemen zur Anerkennung der Repräsentativität "(manchmal implizit) in etwa der Hälfte der Mitgliedstaaten mehrere Zahlenangaben als Kriterium angelegt (werden). Im grossen und ganzen sind qualitative Kriterien jedoch mindestens genauso wichtig. Die Studie bestätigt die grosse Vielfalt der Vorgehensweisen".

    2.1.7. Damit der soziale Dialog auf EG-Ebene einen repräsentativen Charakter hat, ist es unbedingt notwendig, daß die Soziapartner darin vertreten sind. In diesem Zusammenhang stellen sich folgende Fragen:

    a)

    Nach welchen Kriterien sollen diese Vertreter bestimmt werden?

    b)

    Inwieweit ist die "Repräsentativität" ein ausschlaggebendes Kriterium?

    2.1.8. Alle quantitativen und qualitativen Kriterien müssen folgenden Tatsachen Rechnung tragen:

    a)

    dem anderen Kontext des sozialen Dialogs auf EG-Ebene und

    b)

    den unterschiedlichen Gepflogenheiten in den jeweiligen Mitgliedstaaten.

    2.1.9. Für die Definition der "Repräsentativität" sind zwei Ansätze möglich:

    a)

    Als für die Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene repräsentativ werden die Organisationen betrachtet, die von den einzelstaatlichen Sozialpartnern anerkannt werden, die ihrerseits in Gesetz und Praxis der einzelnen Staaten als repräsentativ angesehen werden.

    Nach der in zahlreichen Richtlinien erkennbaren Gemeinschaftstradition werden die Vertreter entsprechend den Gesetzen und Gepflogenheiten der jeweiligen Mitgliedstaaten bestimmt. In den Rechtssachen 382/92 und 283/92 Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen das Vereinigte Königreich warf die Kommission dem Vereinigten Königreich jedoch vor, daß es keine Regelung für die Bestimmung von Arbeitnehmervertretern getroffen hatte, wo diese nicht auf freiwilliger Basis erfolgt war. Das Vereinigte Königreich machte geltend, daß eine Verpflichtung hierzu nur bestehe, wenn nach Recht und Praxis des jeweiligen Staates Stellvertreter vorgesehen seien. In einem Urteil vom 8. Juni 1994 erklärte der Europäische Gerichtshof, daß der Standpunkt des Vereinigten Königreichs nicht akzeptiert werden könne. Der Gerichtshof schloß sich der Auffassung des Generalanwalts van Gerven an, der in seiner Stellungnahme vom 2. März 1994 (Ziffer 9) sinngemäß folgendes erklärt hatte: "Die Tätigkeit der Arbeitnehmervertreter vollständig von der freiwilligen Anerkennung durch die Arbeitgeber abhängig zu machen, ist mit dem Schutz der Arbeitnehmer, wie er sich aus den Richtlinien nach ihrer Zielsetzung, ihrem Aufbau und ihrem Wortlaut ergibt, nicht vereinbar."

    b)

    Die Sozialpartner auf EG-Ebene sind nach der Art des Vorgehens und der Ergebnisse des sozialen Dialogs auf dieser Ebene auszuwählen, wonach sich die an die einzelstaatlichen Sozialpartner geknüpften transnationalen Kriterien und die organisatorische Kapazität zu richten hätten.

    2.1.10. Entsprechende Kriterien schlägt die Kommission in Ziffer 24 ihrer Mitteilung vor, wonach die betreffenden Organisationen folgende Eigenschaften aufweisen sollten:

    a)

    Sie sollten branchenübergreifend oder sektorspezifisch sein und über eine Struktur auf europäischer Ebene verfügen;

    b)

    aus Sozialpartnern des jeweiligen Landes bestehen, zur Aushandlung von Vereinbarungen befähigt sein und soweit wie möglich alle Mitgliedstaaten vertreten;

    c)

    für eine effektive Anhörung geeignet sein.

    2.1.11. Es wird behauptet, daß in Anhang 2 Organisationen aufgelistet sind, "die diese Kriterien zum jetzigen Zeitpunkt grundsätzlich erfuellen". Offensichtlich ist Anhang 2 jedoch nicht endgültig. Die Kommission erklärt in Ziffer 28, daß sie "diejenigen europäischen Organisationen der Sozialpartner in eine formelle Anhörung ein(bezieht), die in Anhang 2 aufgeführt sind und die in Ziffer 24 genannten Kriterien erfuellen".

    2.1.12. Das von der Kommission in Ziffer 24 vorgeschlagene Kriterium der erforderlichen Befähigung der EG-Sozialpartner zur Aushandlung von Vereinbarungen ist unklar. Artikel 3 Absatz 4 des Abkommens stellt eine Verbindung zwischen Anhörung, Dialog und Vereinbarungen (Artikel 4) her. Zu den Kriterien sollte auch die Befähigung zur Aushandlung und Verpflichtung einzelstaatlicher Strukturen gehören. Die von den Sozialpartnern auf EG-Ebene ausgehandelten Vereinbarungen sollten für die betroffenen nationalen Sozialpartner verbindlich sein und für alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber der Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar gelten.

    2.1.13. Nach Ansicht der Kommission (Ziffer 26) sind "allein die Organisationen selbst (...) in der Lage, eigene Dialog- und Verhandlungsstrukturen aufzubauen". Ein Kriterium, das von den EG-Sozialpartnern Verhandlungskompetenz und die Fähigkeit, Vereinbarungen zu treffen, verlangt, könnte ihnen hierbei behilflich sein.

    2.1.14. Die Sozialpartner der Mitgliedstaaten einschließlich der Organisationen auf EG-Ebene sollten dazu ermutigt werden, den Organisationen der Sozialpartner auf EG-Ebene ein angemessenes Verhandlungsmandat zu geben. Die Mitgliedstaaten sollten ihrerseits dazu ermutigt werden, für entsprechende Verfahren und Garantien zu sorgen, die sicherstellen, daß die auf EG-Ebene geschlossenenVereinbarungen auch generell Anwendung finden. Diese Verfahren und Garantien gehören zu den Mitteln zur Durchführung der Vereinbarungen gemäß Artikel 4 Absatz 2.

    2.1.15. In diesem Zusammenhang schließt sich der Ausschuß der Auffassung des Europäischen Parlaments an, das diejenigen Organisationen als europäische Organisationen betrachtet, die möglichst in den meisten EU-Ländern Mitglieder haben.

    2.2.

    Beratende Ausschüsse

    2.2.1. In der Mitteilung wird davon ausgegangen, daß weiterhin auf die "bewährten Dreiparteienausschüsse" (Ziffer 20) zurückgegriffen wird. Sollen diese fester Bestandteil des sozialen Dialogs werden, müssten sie Zweiparteien- statt Dreiparteienausschüsse sein. So könnte sich der sektorale soziale Dialog auf die bestehenden sektoralen paritätischen Ausschüsse stützen.

    3. Anhörungen

    3.1.

    Zeitansatz für die erste Phase

    3.1.1. Artikel 3 Absatz 2 des Abkommens sieht vor, daß die Kommission "vor Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik" eine erste Anhörung durchführt. Die Kommission hört viele betroffene Personen an. Die Bedeutung von Artikel 3 liegt darin, daß er besondere Rechte der Sozialpartner auf Zugang zur sozialpolitischen Willensbildung voraussetzt. Das Ergebnis muß eine grössere Transparenz, zumindest für die Sozialpartner, sein.

    3.1.2. In diesem Zusammenhang ist zwischen den Sozialpartnern und den Organisationen zu unterscheiden, die die Kommission in der ersten Anhörungsphase anhören will, denn nicht alle diese Organisationen können zu den Sozialpartnern gezählt werden.

    3.1.3. Die Anhörung der Sozialpartner muß Bestandteil der Festlegung der Sozialpolitik werden. Die Einbeziehung der Sozialpartner in die sozialpolitische Planung der Kommission wird für beide Seiten strukturelle Konsequenzen haben.

    3.1.4. Die Wahl des Zeitpunkts der Anhörung hat einen Einfluß auf die Einbeziehung der Sozialpartner in die Planung der Sozialpolitik. Folgende Möglichkeiten bieten sich:

    a)

    Frühstadium: Artikel 3 Absatz 2 gebraucht die Worte "wie eine Gemeinschaftsaktion gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte", was bedeutet, daß noch keine Entscheidungen gefällt wurden. Alternative Möglichkeiten können noch konzipiert werden.

    b)

    Mittleres Stadium: Die Sozialpartner werden in den internen Konzeptionsprozeß der Maßnahmen einbezogen, jedoch erst nachdem bereits eine Vorauswahl der möglichen Ausrichtungen der Gemeinschaftsaktion getroffen wurde.

    c)

    Spätes Stadium: In diesem Fall ginge es darum, eine von der Kommission festgelegte "mögliche Ausrichtung" zu ändern; die Anhörung beschränkt sich dann auf das Stadium unmittelbar vor der Unterbreitung von Vorschlägen.

    3.1.5. Die Anhörung beginnt mit dem die erste Anhörung einleitenden Schreiben der Kommission. Wird für die Anhörung eine sechswöchige Frist vorgeschlagen, so bedeutet dies, daß die Sozialpartner erst sehr spät in den sozialpolitischen Willensbildungsprozeß eingeschaltet werden. Für die Anhörung in einem früheren Stadium bedarf es einer längeren Frist.

    3.1.6. Bei einer längeren Frist hätte die Kommission die Möglichkeit - von der sie dann auch Gebrauch machen sollte -, zu anderen möglichen Ausrichtungen des gemeinschaftlichen Vorgehens, die von den Sozialpartnern vorgeschlagen werden, Konsultationen durchzuführen und diese anderen Wege eingehend zu prüfen und zu erforschen.

    3.1.7. Ausgehend von diesen Erkenntnissen schlägt der Ausschuß vor, für die Anhörung der Sozialpartner in der ersten Stufe eine achtwöchige Frist vorzusehen. Die Kommission sollte ihren Vorschlag für den zweiten Anhörungszeitraum innerhalb von vier Monaten vorlegen. Danach hätten die Sozialpartner acht Wochen, um ihre Stellungnahme abzugeben oder zu erklären, daß sie das Verfahren nach Artikel 4 des Abkommens in die Wege leiten möchten. Dies ließe den Sozialpartnern genügend Zeit, um sich mit den ihnen angeschlossenen Organisationen zu beraten und zu entscheiden, ob sie das Verfahren nach Artikel 4 einleiten möchten, bevor die Kommission ihren Vorschlag vorlegt. Gleichzeitig wäre die Kommission an eine gewisse Frist gebunden, hätte jedoch genügend Zeit, um einen guten konkreten Vorschlag auszuarbeiten.

    3.2.

    Was ist mit "Vorschlägen" gemeint?

    3.2.1. Artikel 3 Absatz 2 sieht eine Anhörung "vor Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik" vor. Mit "Vorschlägen" können nicht nur Vorschläge für Rechtsvorschriften gemeint sein, zumal einige dieser Vorschläge unter Umständen auch die Form von Vereinbarungen auf EG-Ebene annehmen können.

    3.3.

    Was bedeutet "Bereich der Sozialpolitik"?

    3.3.1. Die Sozialpolitik kann nicht allein auf Vorschläge im spezifischen Bereich der Sozialpolitik begrenzt werden; das bedeutet aber, daß das Protokoll auf jeden Vorschlag anzuwenden wäre, der mit der Sozialpolitik zu tun hat.

    3.3.2. Als konkretes Beispiel kann hier das DELORS-Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung" dienen.

    3.3.3. Die Verfahren der Anhörung nach Artikel 3 sind "ungeachtet der schließlich gewählten Rechtsgrundlage bei jedem Vorschlag im sozialen Bereich anzuwenden". Die Kommission "behält sich das Recht vor, zu jedem anderen Vorschlag mit horizontalem und sektorspezifischem Charakter, der soziale Auswirkungen hat, eine spezifische Anhörung einzuleiten" (Ziffer 28).

    3.3.4. Die Kommission hätte in solchen Fällen wohl die Pflicht, eine Anhörung durchzuführen.

    3.4.

    Verfahren der Anhörung/Verhandlung

    3.4.1. Vor dem Maastrichter Abkommen gab es ein informelles Anhörungsverfahren für Vorschläge für Rechtsvorschriften, an dem die von dem Lenkungsausschuß für den sozialen Dialog anerkannten Gremien nicht beteiligt waren. Dieses frühere Verfahren gliederte sich in folgende Stufen (Ziffer 16):

    a)

    Vorlage einer Diskussionspapiers der Kommission, auf dessen Grundlage eine Anhörung stattfindet;

    b)

    innerhalb von drei Monaten Vorlage eines neuen detaillierteren Arbeitsdokuments der Kommission, das dem Vorentwurf eines Rechtsinstruments näherkommt, über das eine weitere Anhörung stattfindet;

    c)

    Aufstellung der Übereinstimmungen und Abweichungen.

    3.4.2. In beiden Stufen ist ein rein schriftliches Verfahren gewöhnlich zu begrenzt, um befriedigend zu sein. Sitzungen der Sozialpartner miteinander sowie Sitzungen der Sozialpartner mit der Kommission sollten die Regel sein.

    3.4.3. Jede Stufe des Anhörungsverfahrens "darf sechs Wochen nicht überschreiten". Angesichts der derzeitigen Gegebenheiten hinsichtlich Personal und Sachkenntnis der EG-Sozialpartner ist schwer vorstellbar, daß sie auf die Kommissionsvorschläge in angemessener Weise reagieren können. In der ersten Stufe sollten sie in der Lage sein, Vorschläge für neue mögliche Gemeinschaftsinitiativen im Bereich der Sozialpolitik auszuarbeiten. In der zweiten Stufe sollten sie in der Lage sein, zu dem Vorschlag eine effektive kritische Stellungnahme, detaillierte Änderungsvorschläge oder fundierte Empfehlungen zu äussern. Hiermit dürfte von seiten der EG-Sozialpartner, zu denen viele Verbände gehören, kaum zu rechnen sein, wenn die Anhörung auf nur sechs Wochen beschränkt bleibt.

    3.4.3.1. Ein Hoechstzeitraum von acht Wochen bedeutet, daß die mögliche Ausrichtung der Gemeinschaftsaktion und der Inhalt der sozialpolitischen Vorschläge in Wirklichkeit von der Kommission vorbestimmt werden. Eine effektive Anhörung, die auch unabhängige Vorschläge einschließt, wäre in so kurzer Zeit nicht ohne eine starke Ausweitung der Planungskapazität der Sozialpartner möglich, die sie in die Lage versetzen würde, rasch und in angemessener Weise zu reagieren. Daher die Vorstellungen des Ausschusses von einem unabhängigen Sekretariat, die im Anhang näher erläutert werden sollen.

    3.4.4. Die neuen Anhörungsverfahren lassen sich wie folgt zusammenfassen:

    Neues Verfahren

    Bisheriges Verfahren

    Stufe 1:

    Schreiben der Kommission Diskussionspapier der

    Kommission

    ggf. schriftliche Anhörung oder Sitzung Sitzung (in allen Fällen)

    sechs Wochen drei Monate

    Kommission entscheidet über den Über den Übergang zur zweiten Stufe

    Stufe 2:

    zweites Schreiben der Kommission neues Arbeitsdokument der Kommission

    ggf. Ad-hoc-Sitzung

    ggf. gemeinsame Stellungnahme oder Empfehlung

    Aufstellung der übereinstimmenden und abweichenden Standpunkte

    3.4.5. Schlußfolgerung: Die erste Stufe des neuen Verfahrens erscheint in vieler Hinsicht weniger befriedigend als das frühere Verfahren. Das neue Verfahren sollte auf folgendem Wege verbessert werden:

    a)

    Die Vorzuege des früheren Verfahrens sollten darin übernommen werden: Diskussionspapier und Arbeitsdokument, Sitzungen, längere Dauer.

    b)

    Die Sozialpartner sollten angemessene Ressourcen erhalten, damit sie in geeigneter Weise auf die Probleme und Herausforderungen der Europäischen Union reagieren können. In diesem Zusammenhang möchte der Ausschuß auf die Möglichkeit der Errichtung eines unabhängigen Sekretariats für den sozialen Dialog aufmerksam machen. Dieses Sekretariat sollte sowohl von der Kommission als auch vom Wirtschafts- und Sozialausschuß autonom sein, um jegliche Interessenkonflikte zu vermeiden. Die Sozialpartner sollten einige Vorschläge für dieses Sekretariat vorlegen. Im Anhang zu der Stellungnahme werden hierzu einige Leitvorstellungen entwickelt.

    3.4.6. Zwischen dem sozialen Dialog und der Kommission besteht eine flexible Dynamik. In der Mitteilung ist davon die Rede, daß die Kommission gemäß dem Abkommen viel stärker dazu verpflichtet ist, den sozialen Dialog zu fördern, und es wird ihr (Ziffer 12) "eine dynamische Rolle bei der Entwicklung des Dialogs" zugewiesen sowie die Aufgabe übertragen, "sich aktiv um die Überwindung möglicher Schwierigkeiten oder Widerstände zu bemühen, die bei einzelnen Partnern auftreten und den Fortgang behindern könnten".

    3.4.6.1. Die Kommission kann den Fortschritt fördern oder einen festgefahrenen sozialen Dialog wieder in Gang bringen. Zumindest im Anfangsstadium kann die Dynamik des sozialen Dialogs von dem Tätigwerden der Kommission abhängen. Mit dem neuen Verfahren sollte auf das potentiell dynamische Element der Kommission, die nach dem Vertrag die Aufgabe hat, den sozialen Dialog zu fördern und die Sozialpartner zu unterstützen, nicht verzichtet werden.

    3.5.

    Anhörung zur Rechtsgrundlage

    3.5.1. Die Kommission stellt fest, daß die zweite Stufe mit einem Schreiben eingeleitet wird, das über den geplanten Vorschlag "und die voraussichtliche Rechtsgrundlage Auskunft gibt". Die Anhörung erstreckt sich also auch auf die Rechtsgrundlage, was bedeutet, daß auch in diesem Stadium noch keine Entscheidung gefallen ist.

    3.5.2. Dies ist insofern wichtig, als der Inhalt, der dem Vorschlag gegeben werden kann, oft von der Rechtsgrundlage abhängt. Falls Einstimmigkeit erforderlich ist, wird der Umfang dessen, worauf sich alle Mitgliedstaaten einigen können, geringer sein. Wird mit qualifizierter Mehrheit beschlossen, so kann der Vorschlag breiter angelegt werden und all das enthalten, was von der Mehrheit befürwortet wird.

    4. Verhandlungen

    4.1.

    Zeitpunkt der Aufnahme von Verhandlungen

    4.1.1. In der Mitteilung der Kommission (Ziffer 29) heisst es, daß die "zum Inhalt eines in Aussicht genommenen Vorschlags gehörten Sozialpartner ... der Kommission auch mitteilen (können), daß sie den Prozeß nach Artikel 4 in Gang setzen wollen (Artikel 3 Absatz 4)". Demnach kann das Verfahren nach Artikel 4 erst im Zuge der zweiten Anhörung eingeleitet werden, d.h. wenn bereits ein Vorschlag der Kommission vorliegt. Dies wird auch durch die Übersicht am Ende der Mitteilung bestätigt.

    4.1.2. Aus Artikel 3 Absatz 4 geht nicht klar hervor, daß mit "dieser Anhörung" die zweite Stufe gemeint ist. Es spricht einiges dafür, daß die Sozialpartner den Prozeß nach Artikel 4 auch nach der ersten Anhörung einleiten können, also bevor der Kommissionsvorschlag vorliegt.

    Für die Sozialpartner könnte dies folgende Vorteile haben:

    - Das Verfahren könnte rascher eingeleitet werden.

    - Sie hätten mehr Verhandlungsspielraum, denn sie wären nicht an einen Vorschlag als Verhandlungsgrundlage gebunden.

    - Es stuende der Kommission nichts im Wege, ihren Vorschlag weiter zu bearbeiten, ggf. in dynamischer Wechselwirkung mit den Verhandlungen.

    4.1.3. Natürlich können die Sozialpartner den sozialen Dialog auch von sich aus aufnehmen, sogar bevor die Kommission Überlegungen über die mögliche Ausrichtung einer Gemeinschaftsaktion im Bereich der Sozialpolitik anstellt und unabhängig von einer Anhörung der Sozialpartner gemäß Artikel 3 des Abkommens über die Sozialpolitik. Der von den Sozialpartnern aus eigenem Antrieb aufgenommene Dialog kann gemäß Artikel 4 des Abkommens zur Herstellung vertraglicher Beziehungen einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen führen.

    4.2.

    Verlängerung der Dauer der Verhandlungen

    4.2.1. Artikel 3 Absatz 4 spricht erstmals von den "betroffenen Sozialpartnern" und nicht nur von den "Sozialpartnern". Es ist unklar, was geschieht, wenn eine der Organisationen einer Verhandlungspartei beschließt, die Verhandlungen zu beenden, während andere Organisationen derselben Partei die Dauer der Verhandlungen verlängern wollen.

    4.2.2. Die Kommission betont: "Betroffen sind diejenigen Sozialpartner, die Verhandlungen miteinander vereinbart haben. Der Abschluß einer solchen Vereinbarung ist ausschließlich Sache der verschiedenen Organisationen" (Ziffer 31).

    4.3.

    Tätigkeit der Kommission während der Verhandlungen

    4.3.1. Die Kommission stellt in Ziffer 34 fest, daß dort, wo es den Sozialpartnern nicht möglich ist, zu einer Vereinbarung zu gelangen, "die Kommission unter Berücksichtigung der bereits durchgeführten Arbeiten die Möglichkeit prüfen (wird), ein Rechtsinstrument ... vorzuschlagen" und daß "der Wirtschafts- und Sozialausschuß und das Europäische Parlament... gemäß den im Vertrag festgelegten Verfahren ebenfalls gehört (werden)". In Ziffer 35 heisst es jedoch: "Die Kommission ist der Ansicht, daß das Europäische Parlament..., ohne das Artikel 3 und 4 des Abkommens zugrundeliegende Prinzip der Autonomie der Sozialpartner zu berühren, in allen Phasen des Anhörungsverfahrens oder der etwaigen Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern unterrichtet werden muß."

    4.3.2. Die Kommission hat den Wirtschafts- und Sozialausschuß während des Anhörungsund Verhandlungsprozesses zu unterrichten. Bei einem Fehlschlag der Verhandlungen kann eine Vergeudung von Zeit und Mühe vermieden werden, wenn die Mitglieder des Ausschusses die Argumente und die Gründe für den Fehlschlag kennen. Dies gilt auch für das Europäische Parlament.

    4.3.3. In Ziffer 12 der Mitteilung heisst es: "Die Unterzeichner des Abkommens wiesen der Kommission somit eine dynamische Rolle bei der Entwicklung des Dialogs zu, indem sie ihr insbesondere die Aufgabe übertrugen, sich aktiv um die Überwindung möglicher Schwierigkeiten oder Widerstände zu bemühen, die bei einzelnen Partnern auftreten und den Fortgang behindern könnten."

    4.3.3.1. Vorschläge für Rechtsvorschriften, die von der Kommission während der Verhandlungen vorgelegt werden, können für die Sozialpartner Anreiz sein, zu einer Vereinbarung zu gelangen. Diese Erkenntnis kommt in der Mitteilung in dem Hinweis zum Ausdruck, daß die Kommission einer Verlängerung der neunmonatigen Frist zustimmen muß. Die Kommission wird "beurteilen, ob konkrete Chancen für eine Vereinbarung zwischen beiden Parteien innerhalb der festgelegten Frist bestehen. Somit wird verhindert, daß ausweglose Verhandlungen weitergeführt werden, wodurch schließlich die Regulierungsaufgaben der Kommission behindert würden" (Ziffer 32).

    4.3.3.2. Da der Wirtschafts- und Sozialausschuß und das Europäische Parlament umfassend informiert werden, können sie zu einer raschen rechtlichen Regelung beitragen, falls die Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern fehlschlagen.

    4.4.

    Tätigkeit der Kommission nach Zustandekommen einer Vereinbarung

    4.4.1. Die Kommission beabsichtigt, dem Rat die Annahme eines Beschlusses zu der Vereinbarung in der festgesetzten Form vorzuschlagen (Ziffer 38). Beschließt der Rat, gemäß Artikel 4 Absatz 2 letzter Unterabsatz die Vereinbarung nicht durchzuführen, weil nämlich keine Einstimmigkeit oder qualifizierte Mehrheit zustande kommt, "zieht die Kommission ihren Vorschlag für einen Beschluß zurück und prüft die Möglichkeit, ... einen Vorschlag für ein Rechtsinstrument in dem betreffenden Bereich vorzulegen" (Ziffer 42).

    4.4.2. Dieses Rechtsinstrument bedarf immer noch der Einstimmigkeit oder Mehrheit. Um die erforderliche Einstimmigkeit oder Mehrheit zu erreichen, hat die Kommission zwei Möglichkeiten, wobei sie allerdings sehr behutsam vorgehen muß:

    1. Die Kommission nimmt die Sache selbst in die Hand und legt einen neuen Vorschlag vor oder

    2. sie erläutert den Verhandlungsparteien das Problem und bittet sie, eventuell Änderungen in ihrer Vereinbarung vorzunehmen.

    Dabei muß ganz klar sein, daß Änderungen der Kommission an der Vereinbarung ohne die vorherige Zustimmung der Verhandlungsparteien nicht akzeptabel sind.

    4.4.3. Weigert sich der Rat, einen Beschluß zu fassen, sollten der Wirtschafts- und Sozialausschuß und das Europäische Parlament um Stellungnahme gebeten werden.

    5. Durchführung

    5.1.

    Verfahren und Gepflogenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten

    5.1.1. "Sollten die Verhandlungen zu einer Vereinbarung führen..., so ist diese nur für die entsprechenden Mitglieder verbindlich und berührt diese nur in Übereinstimmung mit der für sie geltenden Praxis in ihrem Land" (Ziffer 37).

    5.1.2. Es gibt zumindest drei Möglichkeiten:

    a)

    Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, entsprechende (eigenständige) Verfahren und Gepflogenheiten für die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen zu entwickeln. Hierzu bedarf es wohl formaler Mechanismen, mit denen eine Verbindung der einzelstaatlichen Bestimmungen mit den in den Vereinbarungen enthaltenen Normen hergestellt wird. Die Erfahrungen mit der Durchführung von Gemeinschaftsinstrumenten, wie z.B. Richtlinien, geben Anhaltspunkte für die Beurteilung, ob die Mitgliedstaaten dieser Verpflichtung nachgekommen sind.

    b)

    Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, neue Verfahren und Gepflogenheiten zur Durchführung der Vereinbarungen zu entwickeln. Soweit jedoch Mechanismen bestehen, die die einzelstaatlichen Bestimmungen mit den in den Vereinbarungen enthaltenen Normen koppeln, sind diese anzuwenden.

    c)

    In Anbetracht der Urheber der Normen (Organisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Gemeinschaftsebene) können die Verfahren und Gepflogenheiten des jeweiligen Mitgliedstaates aus Mechanismen bestehen, die die gemeinschaftlichen Vereinbarungen mit den tarifvertraglichen Vereinbarungen in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpfen. Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, derartige Mechanismen einzuführen; dort, wo solche Mechanismen aber bereits bestehen oder von den Sozialpartnern innerhalb des Mitgliedstaates geschaffen werden könnten, um der neuen Entwicklung auf Gemeinschaftsebene gerecht zu werden, dürfen einzelstaatliche Rechtsvorschriften diese Mechanismen jedoch nicht beeinträchtigen.

    5.1.3. Durch diese Möglichkeit, die "auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen" an die "jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner" zu koppeln, wird freilich die Bedeutung der Worte "und der Mitgliedstaaten" nicht geschmälert. Hierin dürfte die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in bezug auf die Durchführung gemeinschaftlicher Rechtsakte durch tarifvertragliche Vereinbarungen, die nun Gegenstand von Artikel 2 Absatz 4 des Abkommens ist, ihren Niedersschlag finden. Wie bereits in Ziffer 1.3.7 ausgeführt, wurde in dieser Rechtsprechung betont, daß Tarifverträge für folgende Personengruppen gelten müssen:

    (i) für alle Beschäftigten, deren Gewerkschaften und Arbeitgeber ein Mandat für die Verhandlungen auf europäischer Ebene erteilt haben oder

    (ii) im Zuge einer "Allgemeinverbindlichkeitserklärung" (Erga-Omnes-Verfahren) für alle Beschäftigten des betroffenen Bereichs.

    Andernfalls bedarf es einer zusätzlichen Sicherheit in Form einer staatlichen Garantie (gewöhnlich eines Gesetzes). Entsprechend diesem Grundsatz und im Gegensatz zur Auffassung der Kommission kann die Durchführung sektoraler oder sektorübergreifender Vereinbarungen die Ausdehnung ihrer Anwendung auf alle Arbeitnehmer bedingen.

    5.2.

    Die Erklärung

    5.2.1. In der Mitteilung (Ziffer 37) wird kategorisch festgestellt, daß der erste Durchführungsmodus von Artikel 4 Absatz 2 an die Erklärung zu dieser Bestimmung gebunden ist (). In dieser mit dem Abkommen verknüpften Erklärung heisst es, daß diese Methode der Durchführung von Vereinbarungen auf EG-Ebene "weder eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, diese Vereinbarungen unmittelbar anzuwenden oder diesbezuegliche Umsetzungsregeln zu erarbeiten, noch eine Verpflichtung beinhaltet, zur Erleichterung ihrer Anwendung die geltenden innerstaatlichen Vorschriften zu ändern".

    5.2.1.1. Die Kommission stellt fest, daß die betreffende Erklärung des Abkommens einmalig und aus diesem Grunde integrierender Bestandteil des Vertrags ist.

    5.2.1.2. Diesbezueglich wäre zu betonen, daß solche Erklärungen von der rechtlichen Substanz her Schwächen aufweisen. Zweifel an der von der Kommission in der Mitteilung vertretenen Auffassung drängen sich insofern auf, als eine Erklärung normalerweise nicht Bestandteil des eigentlichen Vertrags ist. Im Gegensatz zu der Feststellung in der Mitteilung ist die Erklärung der in Artikel 4 Absatz 2 enthaltenen Bestimmung untergeordnet, wo deutlich von der Durchführung der Vereinbarungen die Rede ist. Aus diesem Grunde teilt der Ausschuß den Standpunkt der Kommission nicht.

    5.2.2. Auch wenn die Verpflichtung, gesetzgeberische Maßnahmen zur Durchführung der Vereinbarungen zu ergreifen, verneint wird, so muß doch zumindest vermieden werden, daß die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen durch Rechtsvorschriften negativ beeinflusst wird.

    5.3.

    Entscheidung des Rates und Vereinbarung

    5.3.1. Die Kommission behält sich "als Hüterin der Verträge" das Recht vor, bei der Vorbereitung von Vorschlägen für Beschlüsse des Rates verschiedene Kriterien zu berücksichtigen oder zu beschließen, dem Rat keinen Vorschlag für einen Beschluß zur Durchführung einer Vereinbarung vorzulegen (Ziffer 39). In dem Abkommen ist allerdings von keinem der in der Mitteilung erwähnten Kriterien die Rede.

    5.3.2. Artikel 4 Absatz 2 sieht für auf Gemeinschaftsebene getroffene Vereinbarungen zwei alternative Durchführungsmechanismen vor, unter denen aber obligatorisch zu wählen ist. Es steht nicht fest, daß die Kommission die Anwendung des zweiten Verfahrensmodus verweigern kann, wenn dies von den Sozialpartnern gefordert wird. Der Rat ist zu einer solchen Verweigerung befugt, was sich aus der Tatsache ergibt, daß er den Vorschlag, wie in Ziffer 42 der Mitteilung eingeräumt, ablehnen kann. Für die Kommission gilt das nicht. Der Ausschuß empfiehlt hierzu die Anwendung des in Ziffer 4.4 dieser Stellungnahme erwähnten Verfahrens.

    5.3.3. Der Beschluß des Rates "sollte sich darauf beschränken, die Bestimmungen der zwischen den betreffenden Sozialpartnern geschlossenen tarifvertraglichen Vereinbarung verbindlich zu machen" (Ziffer 41). Hier erhebt sich die Frage, an welche Form von verbindlichem Gemeinschaftsinstrument gedacht ist: Entscheidung, Richtlinie oder Verordnung? Die Schwierigkeiten ergeben sich dadurch, daß der Begriff "decision" in Artikel 4 Absatz 2 in der dänischen, deutschen und niederländischen Übersetzung durch einen anderen Begriff wiedergegeben wurde, als er für ein gemeinschaftliches Rechtsinstrument üblich ist.

    5.3.4. Der Ausschuß betont, daß mit dem in Artikel 4 Absatz 2 erwähnten "Beschluß" ein rechtsverbindliches Instrument im Sinne von Artikel 189 gemeint ist. Das heisst, daß als Rechtsinstrument nur eine Verordnung, eine Richtlinie oder eine Entscheidung in Frage kommt.

    5.3.5. Nach Ansicht des Ausschusses müssen die Sozialpartner das von ihnen bevorzugte verbindliche Rechtsinstrument wählen.

    5.3.6. Gemäß der Mitteilung sind die Sozialpartner bei ihren autonomen Verhandlungen "in keiner Weise verpflichtet, dem Inhalt des bei der Kommission in Ausarbeitung befindlichen Vorschlags zu folgen, oder sich auf etwaige Änderungen zu beschränken, wobei als vereinbart gilt, daß nur die vom Vorschlag der Kommission betroffenen Bereiche Gegenstand einer Gemeinschaftsaktion sein können" (Ziffer 31). Die Sozialpartner können jedoch unabhängig von der Kommission von sich aus den sozialen Dialog auf Gemeinschaftsebene aufnehmen und ausbauen. Auch können sie Vereinbarungen unabhängig von irgendeinem Kommissionsvorschlag oder Anhörungsverfahren schließen (siehe oben Ziffer 4.1.3).

    5.3.7. Gemäß Artikel 4 Absatz 2 sind "auf Gemeinschaftsebene geschlossene Vereinbarungen", auch solche, die im Wege des autonomen sozialen Dialogs erzielt wurden, auf eine der beiden angegebenen Weisen durchzuführen. Ratsbeschlüsse kommen jedoch nur für Vereinbarungen "in den durch Artikel 2 erfassten Bereichen" in Frage. Bei der ersten der beiden alternativen Durchführungsmethoden, unter denen obligatorisch zu wählen ist ("Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten"), ist der Anwendungsbereich der Vereinbarung nicht so begrenzt.

    5.3.8. Die Sozialpolitik der Gemeinschaft kann durch Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane (wie z.B. Entscheidungen des Rates) verkörpert werden, neuerdings aber auch das Ergebnis des sozialen Dialogs in Form von auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen sein. Der mögliche Anwendungsbereich jeder dieser Vereinbarungen deckt sich nicht mit demjenigen von Rechtsakten, die durch Artikel 2 eingeschränkt werden.

    5.3.8.1. Es dürfte keinen Grund geben, weshalb die Sozialpartner sich auf den Bereich der für die Rechtsetzung geeigneten Vorschläge beschränken sollten. Sie können eigenständig Vereinbarungen über "das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht sowie das Aussperrungsrecht", die nach Artikel 2 Absatz 6 nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gesetzgebungsorgane der Gemeinschaft fallen, schließen. Artikel 2 Absatz 6 besagt ausdrücklich, daß Artikel 2 nicht für diese Bereiche gilt, besagt aber nicht, daß die "auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen", die durchgeführt werden sollen (Artikel 4 Absatz 2), sich nicht auf diese Bereiche erstrecken dürfen.

    5.3.9. Vereinbarungen können ohne die unmittelbare Beteiligung der Gemeinschaftsinstitutionen geschlossen werden und unterliegen keiner ausdrücklichen Einschränkung, weder hinsichtlich des Inhalts noch eines etwa erforderlichen mehrheitlichen oder einstimmigen Abstimmungsergebnisses. Es entstehen zwei Gruppen von Gemeinschaftskompetenzen: erstens, die neuen in dem Abkommen vorgesehenen Kompetenzen, die auf die von den Gemeinschaftsinstitutionen erlassenen Maßnahmen anwendbar sind; daneben aber eine zweite Gruppe andersartiger, den Sozialpartnern eingeräumter Kompetenzen, die mit der Verpflichtung verknüpft sind, "die auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen" durchzuführen. Letztere dürften daher in den Bereich des Gemeinschaftsrechts fallen.

    Geschehen zu Brüssel am 24. November 1994.

    Der Präsident

    des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Carlos FERRER

    () In der Rechtssache Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen das Königreich von Dänemark (Rechtssache 143/83 (1985) ECR 427) vertrat der Europäische Gerichtshof die Auffassung, daß "die Mitgliedstaaten es in erster Linie den Sozialpartnern überlassen (können), den Grundsatz des gleichen Entgelts zu verwirklichen" (Absatz 8). Der Gerichtshof bekräftigte diesen Grundsatz bei einer zweiten Rechtssache Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen die Italienische Republik (Rechtssache 235/84 (1986) ECR 2291), in der es um die Umsetzung der Richtlinie des Rates 77/187 ging.

    () Anmerkung des Übersetzers: Im englischen Text der Mitteilung werden in Ziffer 37 Buchstabe a die Worte "is subject to the ... declaration" (wörtlich: "unterliegt" der Erklärung") gebraucht, während es in der deutschen Fassung lediglich heisst "wurde eine Erklärung beigefügt"; die Bemerkungen unter Ziffer 5.2 gehen offensichtlich von der englischen Fassung aus.

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