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Dokument 62021CJ0156

Urteil des Gerichtshofs (Plenum) vom 16. Februar 2022.
Ungarn gegen Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union.
Nichtigkeitsklage – Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 – Allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Europäischen Union – Schutz des Haushalts der Union im Fall von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten – Rechtsgrundlage – Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV – Behauptete Umgehung von Art. 7 EUV und Art. 269 AEUV – Geltend gemachte Verstöße gegen Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 EUV sowie gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen.
Rechtssache C-156/21.

ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2022:97

 URTEIL DES GERICHTSHOFS (Plenum)

16. Februar 2022 ( *1 )

Inhaltsverzeichnis

 

I. Rechtlicher Rahmen

 

A. Verordnung (EG) Nr. 1049/2001

 

B. Geschäftsordnung des Rates

 

C. Leitlinien für die Behandlung von ratsinternen Dokumenten

 

D. Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013

 

E. Haushaltsordnung

 

II. Angefochtene Verordnung

 

III. Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

 

IV. Zum Antrag auf Nichtberücksichtigung bestimmter Passagen der Klageschrift Ungarns und ihrer Anlage A.3

 

A. Vorbringen der Parteien

 

B. Würdigung durch den Gerichtshof

 

V. Zur Klage

 

A. Zum Hauptantrag auf vollständige Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung

 

1. Zum ersten und zum zweiten Klagegrund: Unzuständigkeit der Union für den Erlass der angefochtenen Verordnung

 

a) Vorbringen der Parteien

 

b) Würdigung durch den Gerichtshof

 

1) Zur Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung

 

2) Zur Umgehung von Art. 7 EUV und Art. 269 AEUV

 

2. Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit

 

a) Vorbringen der Parteien

 

b) Würdigung durch den Gerichtshof

 

B. Zu den Hilfsanträgen auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung

 

1. Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung

 

a) Vorbringen der Parteien

 

b) Würdigung durch den Gerichtshof

 

2. Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung

 

a) Vorbringen der Parteien

 

b) Würdigung durch den Gerichtshof

 

3. Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung

 

a) Vorbringen der Parteien

 

b) Würdigung durch den Gerichtshof

 

4. Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung

 

a) Vorbringen der Parteien

 

b) Würdigung durch den Gerichtshof

 

5. Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung

 

a) Vorbringen der Parteien

 

b) Würdigung durch den Gerichtshof

 

6. Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung

 

a) Vorbringen der Parteien

 

b) Würdigung durch den Gerichtshof

 

VI. Kosten

„Nichtigkeitsklage – Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 – Allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Europäischen Union – Schutz des Haushalts der Union im Fall von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten – Rechtsgrundlage – Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV – Behauptete Umgehung von Art. 7 EUV und Art. 269 AEUV – Geltend gemachte Verstöße gegen Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 und Art. 13 Abs. 2 EUV sowie gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Verhältnismäßigkeit und der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen“

In der Rechtssache C‑156/21

betreffend eine Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV, eingereicht am 11. März 2021,

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér und M. M. Tátrai als Bevollmächtigte,

Kläger,

unterstützt durch

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch F. Drexler, R. Crowe, U. Rösslein, T. Lukácsi und A. Pospíšilová Padowska als Bevollmächtigte,

Rat der Europäischen Union, vertreten durch A. de Gregorio Merino, E. Rebasti, A. Tamás und A. Sikora-Kalėda als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich Belgien, vertreten durch C. Pochet, M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,

Königreich Dänemark, zunächst vertreten durch M. Søndahl Wolff und J. Nymann-Lindegren, dann durch M. Søndahl Wolff und V. Pasternak Jørgensen als Bevollmächtigte,

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch J. Möller und R. Kanitz als Bevollmächtigte,

Irland, vertreten durch M. Browne, J. Quaney und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von D. Fennelly, BL,

Königreich Spanien, zunächst vertreten durch J. Rodríguez de la Rúa Puig und S. Centeno Huerta, dann durch J. Rodríguez de la Rúa Puig und A. Gavela Llopis als Bevollmächtigte,

Französische Republik, vertreten durch A.‑L. Desjonquères, A.‑C. Drouant und E. Leclerc als Bevollmächtigte,

Großherzogtum Luxemburg, zunächst vertreten durch A. Germeaux und T. Uri als Bevollmächtigte, dann durch A. Germeaux als Bevollmächtigten,

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,

Republik Finnland, vertreten durch H. Leppo und S. Hartikainen als Bevollmächtigte,

Königreich Schweden, vertreten durch O. Simonsson, J. Lundberg, C. Meyer-Seitz, A. Runeskjöld, H. Shev, M. Salborn Hodgson, H. Eklinder und R. Shahsavan Eriksson als Bevollmächtigte,

Europäische Kommission, vertreten durch D. Calleja Crespo, J.‑P. Keppenne, J. Baquero Cruz und A. Tokár als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Plenum)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev (Berichterstatter), der Kammerpräsidentinnen A. Prechal und K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan, S. Rodin, I. Jarukaitis und N. Jääskinen, der Kammerpräsidentin I. Ziemele, des Kammerpräsidenten J. Passer, der Richter M. Ilešič, J.‑C. Bonichot, M. Safjan, F. Biltgen, P. G. Xuereb und N. Piçarra, der Richterin L. S. Rossi, der Richter A. Kumin, N. Wahl und D. Gratsias, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter M. Gavalec und Z. Csehi,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter, und I. Illéssy, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. und 12. Oktober 2021,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Dezember 2021

folgendes

Urteil

1

Mit seiner Klage begehrt Ungarn die Nichtigerklärung der Verordnung (EU, Euratom) 2020/2092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2020 über eine allgemeine Konditionalitätsregelung zum Schutz des Haushalts der Union (ABl. 2020, L 433 I, S. 1, berichtigt in ABl. 2021, L 373, S. 94, im Folgenden: angefochtene Verordnung), hilfsweise die Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. h, Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 vorletzter und letzter Satz sowie Art. 6 Abs. 3 und 8 dieser Verordnung.

I. Rechtlicher Rahmen

A. Verordnung (EG) Nr. 1049/2001

2

Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) sieht vor:

„Jeder Unionsbürger sowie jede natürliche oder juristische Person mit Wohnsitz oder Sitz in einem Mitgliedstaat hat vorbehaltlich der in dieser Verordnung festgelegten Grundsätze, Bedingungen und Einschränkungen ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe.“

3

In Art. 4 dieser Verordnung heißt es:

„…

(2)   Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(3)   Der Zugang zu einem Dokument, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, wird verweigert, wenn eine Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

Der Zugang zu einem Dokument mit Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des betreffenden Organs wird auch dann, wenn der Beschluss gefasst worden ist, verweigert, wenn die Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(5)   Ein Mitgliedstaat kann das Organ ersuchen, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.

(6)   Wenn nur Teile des angeforderten Dokuments einer der Ausnahmen unterliegen, werden die übrigen Teile des Dokuments freigegeben.

(7)   Die Ausnahmen gemäß den Absätzen 1 bis 3 gelten nur für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist. …“

4

Art. 5 der Verordnung bestimmt:

„Geht einem Mitgliedstaat ein Antrag auf ein in seinem Besitz befindliches Dokument zu, das von einem Organ stammt, so konsultiert der Mitgliedstaat – es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf – das betreffende Organ, um eine Entscheidung zu treffen, die die Verwirklichung der Ziele dieser Verordnung nicht beeinträchtigt.

Der Mitgliedstaat kann den Antrag stattdessen an das Organ weiterleiten.“

B. Geschäftsordnung des Rates

5

Am 1. Dezember 2009 erließ der Rat der Europäischen Union den Beschluss 2009/937/EU zur Annahme seiner Geschäftsordnung (ABl. 2009, L 325, S. 35, berichtigt in ABl. 2010, L 55, S. 83). Art. 6 („Geheimhaltungspflicht und Vorlage von Dokumenten vor Gericht“) dieser Geschäftsordnung (im Folgenden: Geschäftsordnung des Rates) sieht in Abs. 2 vor:

„Der Rat oder der [Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten (AStV)] kann die Vorlage einer Kopie oder eines Auszugs der Ratsdokumente vor Gericht genehmigen, wenn diese nicht gemäß den Bestimmungen über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.“

6

Art. 10 („Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten des Rates“) der Geschäftsordnung des Rates lautet:

„Die besonderen Bestimmungen für den Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten des Rates sind in Anhang II festgelegt.“

7

Anhang II („Sonderbestimmungen für den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Rates“) der Geschäftsordnung des Rates enthält einen Art. 5 („Weiterleitung von Anträgen durch Mitgliedstaaten“), in dem es heißt:

„Leitet ein Mitgliedstaat einen Antrag an den Rat weiter, so wird dieser Antrag gemäß den Artikeln 7 und 8 der [Verordnung Nr. 1049/2001] und den einschlägigen Bestimmungen dieses Anhangs bearbeitet. Wird der Zugang ganz oder teilweise verweigert, so wird dem Antragsteller mitgeteilt, dass ein etwaiger Zweitantrag unmittelbar an den Rat zu richten ist.“

C. Leitlinien für die Behandlung von ratsinternen Dokumenten

8

Mit der Mitteilung 7695/18 vom 10. April 2018 nahm der Rat Leitlinien für die Behandlung von ratsinternen Dokumenten an. Die Nrn. 1, 2, 20 und 21 dieser Leitlinien lauten:

„1.

Dieses Dokument enthält Leitlinien für die Behandlung von nicht als Verschlusssache eingestuften Ratsdokumenten, die nur innerhalb des Rates, an seine Mitglieder, die Kommission, den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und – je nach Themenbereich – bestimmte andere EU‑Organe (z. B. Europäisches Parlament, Gerichtshof, Europäische Zentralbank) und EU‑Einrichtungen (z. B. Ausschuss der Regionen, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss) verteilt werden. Eine zum falschen Zeitpunkt erfolgende Offenlegung dieser Dokumente könnte sich nachteilig auf die Entscheidungsprozesse des Rates auswirken.

2.

Diese Leitlinien haben direkte Auswirkungen auf die Arbeitsweise des Rates und sind infolgedessen von den Mitgliedstaaten als Mitgliedern des Rates gemäß dem Prinzip der loyalen Zusammenarbeit, das für die Beziehungen zwischen den EU‑Organen und den Mitgliedstaaten gilt, zu beachten.

20.

‚LIMITE‘-Dokumente dürfen erst dann veröffentlicht werden, wenn ein entsprechender Beschluss von gehörig befugten Ratsbeamten, von der nationalen Verwaltung eines Mitgliedstaats (siehe Nummer 21) oder gegebenenfalls vom Rat gemäß der [Verordnung Nr. 1049/2001] und der Geschäftsordnung des Rates gefasst wurde.

21.

Bedienstete eines Organs oder einer Einrichtung der EU, die keine Bediensteten des Rates sind, dürfen nicht selbst beschließen, ‚LIMITE‘-Dokumente zu veröffentlichen, ohne zuvor das Generalsekretariat des Rates zu konsultieren. Bedienstete der nationalen Verwaltungen der Mitgliedstaaten konsultieren gemäß Artikel 5 der [Verordnung Nr. 1049/2001] das Generalsekretariat des Rates, bevor sie einen derartigen Beschluss fassen, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument veröffentlicht werden kann.“

D. Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013

9

Art. 2 Nr. 1 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates (ABl. 2013, L 248, S. 1) definiert für die Zwecke dieser Verordnung den Begriff „finanzielle Interessen der Union“ als „Einnahmen, Ausgaben und Vermögensgegenstände, die im Haushaltsplan der Europäischen Union oder in den Haushaltsplänen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen und den von diesen verwalteten und überwachten Haushaltsplänen erfasst sind“.

E. Haushaltsordnung

10

In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 (ABl. 2018, L 193, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung) heißt es:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

7.

‚Haushaltsvollzug‘ die Durchführung von Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verwaltung, Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Haushaltsmitteln nach den in Artikel 62 vorgesehenen Methoden;

42.

‚mitgliedstaatliche Organisation‘ eine Stelle mit Sitz in einem Mitgliedstaat, bei der es sich um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft handelt oder um eine Körperschaft des privaten Rechts, die mit einem öffentlichen Auftrag betraut ist und der von dem Mitgliedstaat angemessene finanzielle Garantien bereitgestellt werden;

59.

‚Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung‘ den Vollzug des Haushaltsplans im Einklang mit den Grundsätzen der Sparsamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Wirksamkeit;

…“

11

Art. 61 („Interessenkonflikt“) der Haushaltsordnung sieht vor:

„(1)   Finanzakteure im Sinne des Kapitels 4 dieses Titels und sonstige Personen, einschließlich nationaler Behörden auf allen Ebenen, die am Haushaltsvollzug durch direkte, indirekte oder geteilte Mittelverwaltung – einschließlich als Vorbereitung hierzu dienender Handlungen –, an der Rechnungsprüfung und Kontrolle mitwirken, müssen jede Handlung unterlassen, durch die eigene Interessen mit denen der Union in Konflikt geraten könnten. Ferner ergreifen sie geeignete Maßnahmen[,] um zu verhindern, dass ein Interessenkonflikt bezüglich der in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Aufgaben entsteht, und um Situationen abzuhelfen, die objektiv als Interessenkonflikt wahrgenommen werden könnten.

(2)   Besteht für einen Angehörigen des Personals einer nationalen Behörde die Gefahr eines Interessenkonflikts, so befasst die betreffende Person ihren Dienstvorgesetzten mit der Angelegenheit. Besteht ein solches Risiko für Bedienstete, auf die das Statut Anwendung findet, so befasst die betreffende Person den zuständigen bevollmächtigten Anweisungsbefugten mit der Angelegenheit. Der zuständige Dienstvorgesetzte oder der bevollmächtigte Anweisungsbefugte bestätigt schriftlich, ob ein Interessenkonflikt vorliegt. Wird festgestellt, dass ein Interessenkonflikt vorliegt, so stellt die Anstellungsbehörde oder die zuständige nationale Behörde sicher, dass die betreffende Person von allen Aufgaben in der Angelegenheit entbunden wird. Der zuständige bevollmächtigte Anweisungsbefugte oder die zuständige nationale Behörde stellt sicher, dass in Einklang mit dem anwendbaren Recht alle weiteren geeigneten Maßnahmen ergriffen werden.

(3)   Für die Zwecke des Absatzes 1 besteht ein Interessenkonflikt, wenn ein Finanzakteur oder eine sonstige Person nach Absatz 1 aus Gründen der familiären oder privaten Verbundenheit, der politischen Übereinstimmung oder der nationalen Zugehörigkeit, des wirtschaftlichen Interesses oder aus anderen Gründen, die auf direkten oder indirekten persönlichen Interessen beruhen, seine bzw. ihre Aufgaben nicht unparteiisch und objektiv wahrnehmen kann.“

12

Art. 62 („Arten des Haushaltsvollzugs“) der Haushaltsordnung bestimmt in Abs. 1 Unterabs. 1:

„(1)   Die Kommission führt den Haushalt nach einer der folgenden Methoden aus:

a)

direkt (‚direkte Mittelverwaltung‘) gemäß den Artikeln 125 bis 153 über ihre Dienststellen, einschließlich ihrer Bediensteten in den Delegationen der Union unter Aufsicht des jeweiligen Delegationsleiters nach Artikel 60 Absatz 2, oder über Exekutivagenturen nach Artikel 69;

b)

in geteilter Mittelverwaltung mit den Mitgliedstaaten (‚geteilte Mittelverwaltung‘) gemäß den Artikeln 63 und 125 bis 129 oder

c)

indirekt (‚indirekte Mittelverwaltung‘) gemäß den Artikeln 125 bis 149 und 154 bis 159, wenn dies im Basisrechtsakt vorgesehen ist oder in den in Artikel 58 Absatz 2 Buchstaben a bis d genannten Fällen, im Wege der Übertragung von Haushaltsvollzugsaufgaben auf

…“

13

Art. 63 („Geteilte Mittelverwaltung mit Mitgliedstaaten“) der Haushaltsordnung bestimmt in den Abs. 2 und 8:

„(2)   Wenn die Mitgliedstaaten Haushaltsvollzugsaufgaben wahrnehmen, ergreifen sie sämtliche zum Schutz der finanziellen Interessen der Union erforderlichen Maßnahmen, einschließlich Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um insbesondere

a)

sicherzustellen, dass die aus dem Haushalt der Union finanzierten Maßnahmen korrekt und wirksam gemäß den geltenden sektorspezifischen Vorschriften umgesetzt werden;

b)

Einrichtungen, die für die Verwaltung und Kontrolle von Mitteln der Union verantwortlich sind, in Einklang mit Absatz 3 zu benennen und diese Einrichtungen zu überwachen;

c)

Unregelmäßigkeiten und Betrug zu verhindern und aufzudecken sowie einschlägige Korrekturmaßnahmen zu ergreifen;

d)

nach Maßgabe dieser Verordnung und sektorspezifischer Vorschriften mit der Kommission, dem [Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF)], dem [Europäischen] Rechnungshof und – im Fall der Mitgliedstaaten, die an der verstärkten Zusammenarbeit gemäß der Verordnung (EU) 2017/1939 des Rates [vom 12. Oktober 2017 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) (ABl. 2017, L 283, S. 1)] teilnehmen – auch mit der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) zusammenzuarbeiten.

Zum Schutz der finanziellen Interessen der Union führen die Mitgliedstaaten unter Achtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und im Einklang mit diesem Artikel und den einschlägigen sektorspezifischen Vorschriften Ex-ante- und Ex-post-Kontrollen durch, gegebenenfalls auch Vor-Ort-Kontrollen anhand repräsentativer und/oder risikogestützter Stichproben von Transaktionen. Außerdem ziehen sie rechtsgrundlos gezahlte Beträge ein und leiten, sofern in dieser Hinsicht erforderlich, rechtliche Schritte ein.

Die Mitgliedstaaten verhängen gegenüber den Empfängern wirksame, abschreckende und verhältnismäßige Strafen, soweit dies in den anwendbaren sektorspezifischen Vorschriften oder in spezifischen Bestimmungen des nationalen Rechts vorgesehen ist.

Als Teil ihrer Risikobewertung und im Einklang mit den sektorspezifischen Vorschriften überwacht die Kommission die in den Mitgliedstaaten eingerichteten Verwaltungs- und Kontrollsysteme. Bei ihrer Prüfungstätigkeit achtet die Kommission den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und berücksichtigt das Ausmaß des bewerteten Risikos im Einklang mit den sektorspezifischen Vorschriften.

(8)   Damit die Mittel der Union unter Einhaltung der geltenden Regeln und Grundsätze verwendet werden, hat die Kommission

a)

die Verfahren für die Rechnungsprüfung und Rechnungsannahme für die benannten Einrichtungen durchzuführen, die gewährleisten, dass die Rechnungslegung vollständig, genau und sachlich richtig ist;

b)

alle Zahlungen, die nicht gemäß dem anwendbaren Recht getätigt wurden, von der Finanzierung aus Mitteln der Union auszuschließen;

c)

Zahlungsfristen zu unterbrechen oder Zahlungen auszusetzen, wenn dies in den sektorspezifischen Vorschriften vorgesehen ist.

Die Kommission beendet gänzlich oder teilweise die Unterbrechung von Zahlungsfristen oder die Aussetzung von Zahlungen, nachdem ein Mitgliedstaat seine Bemerkungen vorgelegt hat und sobald er notwendige Maßnahmen ergriffen hat. In dem in Artikel 74 Absatz 9 genannten jährlichen Tätigkeitsbericht wird über sämtliche Verpflichtungen gemäß diesem Absatz Auskunft gegeben.“

14

Art. 129 („Mitarbeit zum Schutz der finanziellen Interessen der Union“) der Haushaltsordnung sieht vor:

„(1)   Jede Person oder Stelle, die Unionsmittel erhält, wirkt uneingeschränkt am Schutz der finanziellen Interessen der Union mit und gewährt – als eine Voraussetzung für den Empfang der Mittel – die erforderlichen Rechte und den erforderlichen Zugang, die bzw. den der zuständige Anweisungsbefugte, die EUStA bezüglich der an der verstärkten Zusammenarbeit … teilnehmenden Mitgliedstaaten, [das] OLAF, der Rechnungshof sowie gegebenenfalls die zuständigen nationalen Behörden benötigen, um ihre jeweiligen Befugnisse umfassend auszuüben. Im Falle [des] OLAF gehört dazu auch das Recht, Untersuchungen einschließlich Vor-Ort-Kontrollen und Inspektionen gemäß der Verordnung [Nr. 883/2013] durchzuführen.

(2)   Jede Person oder Stelle, die Unionsmittel im Rahmen der direkten und der indirekten Mittelverwaltung erhält, erklärt sich schriftlich bereit, die in Absatz 1 genannten erforderlichen Rechte zu gewähren, und stellt sicher, dass an der Ausführung von Unionsmitteln beteiligte Dritte gleichwertige Rechte gewähren.“

15

In Art. 131 („Aussetzung, Kündigung und Kürzung“) der Haushaltsordnung heißt es:

„(1)   Stellt sich heraus, dass ein Gewährungsverfahren mit Unregelmäßigkeiten behaftet ist oder Betrug vorliegt, so setzt der zuständige Anweisungsbefugte es aus und kann jegliche erforderlichen Maßnahmen, einschließlich der Einstellung des Verfahrens, ergreifen. Der zuständige Anweisungsbefugte setzt das OLAF unverzüglich von Betrugsverdachtsfällen in Kenntnis.

(3)   Der zuständige Anweisungsbefugte kann Zahlungen oder die Umsetzung der rechtlichen Verpflichtung aussetzen, wenn

b)

es erforderlich ist, zu überprüfen, ob mutmaßliche Unregelmäßigkeiten, Betrug oder eine Verletzung von Pflichten tatsächlich vorlagen;

c)

Unregelmäßigkeiten, Betrug oder eine Verletzung von Pflichten die Zuverlässigkeit oder Wirksamkeit der internen Kontrollsysteme einer Person oder Stelle, die Unionsmittel gemäß Artikel 62 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c ausführt, oder die Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Vorgänge infrage stellen.

…“

16

Art. 135 („Schutz der finanziellen Interessen der Union durch Erkennung von Risiken, Ausschluss und Verhängung von finanziellen Sanktionen“) der Haushaltsordnung bestimmt:

„(1)   Zum Schutz der finanziellen Interessen der Union errichtet die Kommission ein Früherkennungs- und Ausschlusssystem und unterhält es.

Dieses System soll Folgendes erleichtern:

a)

die frühzeitige Erkennung von in Absatz 2 aufgeführten Personen oder Stellen, die ein Risiko für die finanziellen Interessen der Union darstellen;

(3)   Die Entscheidung über die Aufnahme von Informationen über eine Früherkennung von Risiken gemäß Absatz 1 Unterabsatz 2 Buchstabe a dieses Artikels, den Ausschluss von in Absatz 2 aufgeführten Personen oder Stellen und/oder die Verhängung einer finanziellen Sanktion gegen einen Empfänger wird vom zuständigen Anweisungsbefugten getroffen. Informationen im Zusammenhang mit solchen Entscheidungen werden in der in Artikel 142 Absatz 1 genannten Datenbank gespeichert. Werden solche Entscheidungen auf der Grundlage von Artikel 136 Absatz 4 getroffen, so müssen die in der Datenbank gespeicherten Angaben die Informationen über die in jenem Absatz genannten Personen enthalten.

(4)   Der Entscheidung über den Ausschluss von in Absatz 2 dieses Artikels aufgeführten Personen oder Stellen oder über die Verhängung finanzieller Sanktionen gegen einen Empfänger wird in den Ausschlusssituationen nach Artikel 136 Absatz 1 eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung oder in den Fällen nach Artikel 136 Absatz 2 eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung oder eine vorläufige rechtliche Bewertung durch das in Artikel 143 genannte Gremium zugrunde gelegt, damit eine zentrale Bewertung solcher Situationen gewährleistet ist. Liegt einer der in Artikel 141 Absatz 1 genannten Fälle vor, so lehnt der zuständige Anweisungsbefugte einen Teilnehmer in einem konkreten Gewährungsverfahren ab.

Unbeschadet des Artikels 136 Absatz 5 kann der zuständige Anweisungsbefugte eine Entscheidung über den Ausschluss eines Teilnehmers oder Empfängers und/oder über die Verhängung einer finanziellen Sanktion gegen einen Empfänger und eine Entscheidung über die Veröffentlichung der diesbezüglichen Informationen auf der Grundlage einer vorläufigen rechtlichen Bewertung gemäß Artikel 136 Absatz 2 nur dann treffen, wenn er zuvor eine Empfehlung des in Artikel 143 genannten Gremiums eingeholt hat.“

II. Angefochtene Verordnung

17

Aus den Bezugsvermerken der angefochtenen Verordnung geht hervor, dass deren Erlass auf den „[AEU‑]Vertrag …, insbesondere auf Artikel 322 Absatz 1 Buchstabe a“, sowie auf den „[EAG‑]Vertrag …, insbesondere auf Artikel 106a“, gestützt wurde.

18

In den Erwägungsgründen 2, 3, 5 bis 10, 12 bis 16, 18 bis 20 und 26 der angefochtenen Verordnung heißt es:

„(2)

Der Europäische Rat hat in seinen Schlussfolgerungen vom 21. Juli 2020 erklärt, dass die finanziellen Interessen der Union im Einklang mit den in den Verträgen verankerten allgemeinen Grundsätzen, und insbesondere im Einklang mit den Werten gemäß Artikel 2 EUV, zu schützen sind. Er hat ferner die Bedeutung unterstrichen, die dem Schutz der finanziellen Interessen der Union zukommt, und die Bedeutung, die der Achtung der Rechtsstaatlichkeit zukommt.

(3)

Die Rechtsstaatlichkeit setzt voraus, dass jedwede öffentliche Gewalt innerhalb des geltenden Rechts im Einklang mit den Werten der Demokratie und der Achtung der Grundrechte, wie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union [(im Folgenden: Charta)] und in anderen anwendbaren Rechtsinstrumenten niedergelegt, unter der Kontrolle unabhängiger und unparteiischer Gerichte ausgeübt wird. Sie setzt insbesondere voraus, dass die Grundsätze der Rechtmäßigkeit [(Urteil vom 29. April 2004, Kommission/CAS Succhi di Frutta, C‑496/99 P, EU:C:2004:236, Rn. 63)], die einen transparenten, rechenschaftspflichtigen, demokratischen und pluralistischen [Gesetzgebungsprozess] voraussetzt, der Rechtssicherheit [(Urteil vom 12. November 1981, Meridionale Industria Salumi u. a., 212/80 bis 217/80, EU:C:1981:270, Rn. 10)], des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt [(Urteil vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, EU:C:1989:337, Rn. 19)], des wirksamen Rechtsschutzes einschließlich des Zugangs zur Justiz durch unabhängige und unparteiische Gerichte [(Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 31, 40 und 41, sowie vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality [Mängel des Justizsystems], C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 63 bis 67)] sowie der Gewaltenteilung [(Urteile vom 22. Dezember 2010, DEB, C‑279/09, EU:C:2010:811, Rn. 58, vom 10. November 2016, Poltorak, C‑452/16 PPU, EU:C:2016:858, Rn. 35, und vom 10. November 2016, Kovalkovas, C‑477/16 PPU, EU:C:2016:861, Rn. 36)] eingehalten werden [(Mitteilung der Kommission mit dem Titel ‚Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips‘, COM(2014) 158 final, Anhang I)].

(5)

Sobald ein Kandidatenland ein Mitgliedstaat wird, tritt es einer rechtlichen Konstruktion bei, die auf der grundlegenden Prämisse beruht, dass jeder Mitgliedstaat mit allen anderen Mitgliedstaaten eine Reihe gemeinsamer Werte teilt – und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen –, auf die sich, wie es in Artikel 2 EUV heißt, die Union gründet. Diese Prämisse impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten bei der Anerkennung dieser Werte und damit bei der Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden [(Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 168)]. Die Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten sollten weiterhin im Einklang mit den gemeinsamen Werten stehen, auf die sich die Union gründet.

(6)

Zwar gibt es keine Hierarchie zwischen den Werten der Union, doch ist die Achtung der Rechtsstaatlichkeit wesentlich für den Schutz der übrigen Grundwerte, auf die sich die Union gründet, wie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Wahrung der Menschenrechte. Die Achtung der Rechtsstaatlichkeit ist untrennbar mit der Achtung der Demokratie und der Grundrechte verbunden. Demokratie und Achtung der Grundrechte sind ohne Achtung der Rechtsstaatlichkeit nicht möglich, was umgekehrt genauso gilt.

(7)

Bei der Ausführung des Haushaltsplans der Union durch die Mitgliedstaaten, einschließlich der Mittel, die über das Aufbauinstrument der Europäischen Union gemäß der Verordnung (EU) 2020/2094 des Rates [vom 14. Dezember 2020 zur Schaffung eines Aufbauinstruments der Europäischen Union zur Unterstützung der Erholung nach der COVID‑19-Krise (ABl. 2020, L 433 I, S. 23)] und über Darlehen und andere Instrumente, die aus dem Haushalt der Union garantiert werden, bereitgestellt werden, ist die Achtung der Rechtsstaatlichkeit – ungeachtet der von den Mitgliedstaaten angewendeten Arten des Haushaltsvollzugs – eine Grundvoraussetzung für die Einhaltung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung, der in Artikel 317 [AEUV] verankert ist.

(8)

Eine wirtschaftliche Haushaltsführung kann von den Mitgliedstaaten nur gewährleistet werden, wenn die Behörden im Einklang mit dem Gesetz handeln, wenn Betrugsfälle, einschließlich Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Korruption, Interessenkonflikte und andere Gesetzesverstöße, wirksam von Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen verfolgt werden und wenn willkürliche oder unrechtmäßige Entscheidungen von Behörden, einschließlich Strafverfolgungsbehörden, einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle durch unabhängige Gerichte und durch den Gerichtshof der Europäischen Union unterworfen werden können.

(9)

Die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Justiz sollten jederzeit garantiert sein, und die Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen sollten in der Lage sein, ihre Aufgaben ordnungsgemäß wahrzunehmen. Die Justiz sowie die Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen sollten mit ausreichenden finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sein und über angemessene Verfahren verfügen, um wirksam und unter uneingeschränkter Wahrung des Rechts auf ein faires Gerichtsverfahren, einschließlich der Wahrung der Verteidigungsrechte, handeln zu können. Rechtskräftige Urteile sollten wirksam umgesetzt werden. Diese Voraussetzungen stellen eine unabdingbare Mindestgarantie gegen unrechtmäßige und willkürliche Entscheidungen von Behörden dar, die den finanziellen Interessen der Union schaden könnten.

(10)

Die Unabhängigkeit der Justiz setzt insbesondere voraus, dass das betreffende Justizorgan sowohl nach den einschlägigen Vorschriften als auch in der Praxis seine richterlichen Funktionen in völliger Autonomie ausüben kann, ohne hierarchischen Zwängen ausgesetzt zu sein oder irgendeiner Stelle untergeordnet zu sein und ohne von irgendeiner Stelle Anordnungen oder Anweisungen zu erhalten, und dass es auf diese Weise vor Interventionen oder Druck von außen geschützt ist, die die Unabhängigkeit des Urteils seiner Mitglieder gefährden und deren Entscheidungen beeinflussen könnten. Die Garantien der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit setzen voraus, dass es Regeln insbesondere für die Zusammensetzung des Justizorgans und die Ernennung, die Amtsdauer und die Gründe für Ablehnung und Abberufung seiner Mitglieder gibt, die es ermöglichen, bei den Rechtsunterworfenen jeden berechtigten Zweifel an der Unempfänglichkeit dieses Organs für äußere Faktoren und an seiner Neutralität in Bezug auf die widerstreitenden Interessen auszuräumen.

(12)

Gemäß Artikel 19 EUV, mit dem der in Artikel 2 EUV verankerte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, einen wirksamen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen, darunter auch die Ausführung des Haushaltsplans der Union, zu gewährleisten. Schon das Vorhandensein einer wirksamen, zur Gewährleistung der Einhaltung des Unionsrechts dienenden gerichtlichen Kontrolle ist dem Wesen eines Rechtsstaats inhärent und setzt unabhängige Gerichte voraus [(Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 32 bis 36)]. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist von grundlegender Bedeutung, wie Artikel 47 Unterabsatz 2 der Charta [(Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 40 und 41)] bestätigt. Das gilt insbesondere für die gerichtliche Kontrolle der Gültigkeit der Maßnahmen, Verträge oder anderen Instrumente, die zu öffentlichen Ausgaben oder Verbindlichkeiten führen, unter anderem im Zusammenhang mit Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge, die ebenfalls Gegenstand von Gerichtsverfahren sein können.

(13)

Es besteht daher ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der effizienten Ausführung des Haushaltsplans der Union im Einklang mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung.

(14)

Die Union hat eine Vielzahl von Instrumenten und Verfahren entwickelt, die der Förderung der Rechtsstaatlichkeit und ihrer Anwendung dienen, darunter die finanzielle Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen, der europäische Mechanismus zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und das EU‑Justizbarometer, und die durch Vertragsverletzungsverfahren und das Verfahren nach Artikel 7 EUV eine wirksame Reaktion der Unionsorgane auf Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit ermöglichen. Der in dieser Verordnung vorgesehene Mechanismus ergänzt dieses Instrumentarium, indem er den Haushalt der Union vor Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit schützt, die die wirtschaftliche Haushaltsführung der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen beeinträchtigen.

(15)

Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere jene, die das ordnungsgemäße Funktionieren der Behörden und die wirksame gerichtliche Kontrolle beeinträchtigen, können den finanziellen Interessen der Union schweren Schaden zufügen. Dies gilt für einzelne Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und noch viel mehr für Verstöße, die weit verbreitet sind oder auf wiederholte Handlungen oder Unterlassungen von Behörden oder auf allgemeine Maßnahmen, die diese Behörden ergriffen haben, zurückzuführen sind.

(16)

Die Feststellung von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit bedarf einer gründlichen qualitativen Bewertung seitens der Kommission. Diese Bewertung sollte objektiv, unparteiisch und fair sein und sachdienliche Informationen aus verfügbaren Quellen und von anerkannten Institutionen berücksichtigen, darunter Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union, Berichte des Rechnungshofs, der Jahresbericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit und das jährliche EU‑Justizbarometer der Kommission, Berichte des [OLAF] und gegebenenfalls Informationen der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), sowie Schlussfolgerungen und Empfehlungen einschlägiger internationaler Organisationen und Netze, einschließlich der Einrichtungen des Europarats wie der Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) und der [Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission)], insbesondere deren Verzeichnis der Kriterien zur Bewertung der Rechtsstaatlichkeit (‚Rule of Law Checklist‘)[,] und der Europäischen Netze der obersten Gerichtshöfe und der Räte für das Justizwesen. Die Kommission könnte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte und die Venedig-Kommission konsultieren, falls dies für eine gründliche qualitative Bewertung erforderlich ist.

(18)

Bei der Festsetzung der anzunehmenden Maßnahmen [sollte] der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angewandt werden und dabei sollte insbesondere die Schwere der Umstände, der Zeitraum seit Beginn des einschlägigen Verhaltens, die Dauer und Häufigkeit des Verhaltens, die zugrunde liegende Absicht und das Ausmaß der Mitarbeit des betreffenden Mitgliedstaats bei der Abstellung der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit sowie die Auswirkungen dieser Verstöße auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder auf die finanziellen Interessen der Union berücksichtigt werden.

(19)

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die berechtigten Interessen von Endempfängern und Begünstigten angemessen geschützt werden, wenn Maßnahmen im Falle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit angenommen werden. Zieht die Kommission die Annahme von Maßnahmen in Betracht, so sollte sie dabei deren potenzielle Auswirkungen auf Endempfänger und Begünstigte berücksichtigen. In Anbetracht dessen, dass im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung Zahlungen der Kommission an die Mitgliedstaaten rechtlich unabhängig von Zahlungen nationaler Behörden an die Begünstigten sind, sollte gelten, dass geeignete Maßnahmen im Rahmen dieser Verordnung die Verfügbarkeit von Mitteln für Zahlungen an Begünstigte entsprechend den in den anwendbaren sektorspezifischen Vorschriften und Haushaltsvorschriften vorgesehenen Zahlungsfristen nicht berühren. Die im Rahmen dieser Verordnung angenommenen Beschlüsse und die in dieser Verordnung festgelegten Verpflichtungen gegenüber Endempfängern oder Begünstigten sind Teil des in Bezug auf die Durchführung von Finanzierungen unter geteilter Mittelverwaltung anwendbaren Unionsrechts. Die von den Maßnahmen betroffenen Mitgliedstaaten sollten der Kommission regelmäßig über die Einhaltung ihrer Verpflichtungen gegenüber Endempfängern oder Begünstigten Bericht erstatten. Die Berichterstattung über die Einhaltung der in den anwendbaren sektorspezifischen Vorschriften und Haushaltsvorschriften festgelegten Zahlungsverpflichtungen gegenüber Begünstigten sollte es der Kommission ermöglichen, zu überprüfen, ob die im Rahmen dieser Verordnung angenommenen Beschlüsse in irgendeiner Weise mittelbare oder unmittelbare Auswirkungen auf Zahlungen haben, die nach den geltenden sektorspezifischen Vorschriften und Haushaltsvorschriften zu leisten sind.

Um den Schutz für Endempfänger oder Begünstigte zu verbessern, sollte die Kommission über eine Website oder ein Internetportal Informationen und Leitlinien zur Verfügung stellen, und zwar zusammen mit geeigneten Instrumenten, mit deren Hilfe die Kommission informiert werden kann, falls staatliche Einrichtungen und Mitgliedstaaten gegen ihre rechtmäßige Verpflichtung verstoßen, auch nach der Annahme von Maßnahmen gemäß dieser Verordnung weiterhin Zahlungen zu leisten. Die Kommission sollte diesen Informationen nachgehen und überprüfen, ob die anwendbaren Vorschriften, insbesondere Artikel 69, Artikel 74 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 104 der Verordnung (EU) 2021/1060 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 24. Juni 2021 mit gemeinsamen Bestimmungen für den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus, den Kohäsionsfonds, den Fonds für einen gerechten Übergang und den Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds sowie mit Haushaltsvorschriften für diese Fonds und für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, den Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik (ABl. 2021, L 231, S. 159)] eingehalten wurden. Um sicherzustellen, dass alle von staatlichen Einrichtungen oder Mitgliedstaaten geschuldeten Beträge auch tatsächlich an die Endempfänger oder Begünstigten ausgezahlt werden, sollte die Kommission – falls erforderlich – [die] ausgezahlten Beträge wieder einziehen oder gegebenenfalls eine Finanzkorrektur vornehmen, indem sie die Unterstützung der Union für ein Programm im Einklang mit den anwendbaren sektorspezifischen Vorschriften und Haushaltsvorschriften verringert.

(20)

Im Interesse der Gewährleistung einheitlicher Bedingungen zur Durchführung dieser Verordnung und angesichts der Bedeutung der finanziellen Folgen der aufgrund dieser Verordnung angenommenen Maßnahmen sollten dem Rat, der auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission tätig werden sollte, Durchführungsbefugnisse übertragen werden.

(26)

Das Verfahren zur Annahme und zur Aufhebung der Maßnahmen sollte die Grundsätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten achten und auf der Grundlage eines unparteilichen und evidenzbasierten Ansatzes durchgeführt werden. Sollte der betreffende Mitgliedstaat in Ausnahmefällen der Auffassung sein, dass schwere Verstöße gegen diese Grundsätze vorliegen, kann er den Präsidenten des Europäischen Rates ersuchen, den Europäischen Rat auf dessen nächster Tagung mit der Angelegenheit zu befassen. In diesen Ausnahmefällen sollte keine Entscheidung über die Maßnahmen getroffen werden, bis der Europäische Rat die Angelegenheit erörtert hat. Dieses Verfahren wird in der Regel innerhalb von drei Monaten, nachdem die Kommission dem Rat ihren Vorschlag übermittelt hat, abgeschlossen.“

19

Art. 1 der angefochtenen Verordnung bestimmt:

„In dieser Verordnung sind die Regeln festgelegt, die zum Schutz des Haushalts der Union im Falle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten erforderlich sind.“

20

Art. 2 dieser Verordnung lautet:

„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:

a)

‚Rechtsstaatlichkeit‘ bezeichnet den in Artikel 2 EUV verankerten Wert der Union. Dieser umfasst die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, die transparente, rechenschaftspflichtige, demokratische und pluralistische Gesetzgebungsverfahren voraussetzen, der Rechtssicherheit, des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt, des wirksamen Rechtsschutzes – einschließlich des Zugangs zur Justiz – durch unabhängige und unparteiische Gerichte, auch in Bezug auf Grundrechte, der Gewaltenteilung und der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz. Die Rechtsstaatlichkeit ist so zu verstehen, dass auch die anderen in Artikel 2 EUV verankerten Werte und Grundsätze der Union berücksichtigt werden;

b)

‚staatliche Einrichtung‘ ist jede Behörde auf allen Regierungsebenen, einschließlich nationaler, regionaler und kommunaler Behörden, sowie mitgliedstaatliche Organisationen im Sinne des Artikels 2 Nummer 42 der [Haushaltsordnung].“

21

Art. 3 („Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit“) der angefochtenen Verordnung sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Verordnung kann Folgendes ein Hinweis auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit sein:

a)

die Gefährdung der Unabhängigkeit der Justiz;

b)

das Versäumnis, willkürliche oder rechtswidrige Entscheidungen von Behörden[,] einschließlich Strafverfolgungsbehörden, zu verhüten, zu korrigieren oder zu ahnden, die ihre ordnungsgemäße Arbeit beeinträchtigende Einbehaltung finanzieller und personeller Ressourcen oder das Versäumnis, sicherzustellen, dass keine Interessenkonflikte bestehen;

c)

die Einschränkung der Zugänglichkeit und Wirksamkeit von Rechtsbehelfen, auch mittels restriktiver Verfahrensvorschriften und der Nichtumsetzung von Gerichtsentscheidungen oder der Einschränkung der wirksamen Untersuchung, Verfolgung oder Ahndung von Rechtsverstößen.“

22

Art. 4 („Voraussetzungen für die Annahme von Maßnahmen“) dieser Verordnung lautet:

„(1)   Geeignete Maßnahmen sind zu ergreifen, wenn gemäß Artikel 6 festgestellt wird, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen.

(2)   Für die Zwecke dieser Verordnung betreffen Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einen oder mehrere der folgenden Punkte:

a)

das ordnungsgemäße Arbeiten der Behörden, die den Haushaltsplan der Union ausführen, einschließlich Darlehen und anderer aus dem Haushalt der Union garantierter Instrumente, insbesondere im Zusammenhang mit Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge oder mit Finanzhilfeverfahren;

b)

das ordnungsgemäße Arbeiten der Dienststellen, die die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung durchführen, sowie das ordnungsgemäße Funktionieren wirksamer und transparenter Finanzverwaltungs- und Rechenschaftssysteme;

c)

das ordnungsgemäße Arbeiten von Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen bei der Untersuchung und Verfolgung von Betrug, einschließlich Steuerbetrug, Korruption und anderen Verstößen gegen das Unionsrecht im Zusammenhang mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union oder dem Schutz ihrer finanziellen Interessen;

d)

die wirksame gerichtliche Kontrolle behördlicher Handlungen oder Unterlassungen im Sinne der Buchstaben a, b und c durch unabhängige Gerichte;

e)

die Verhütung und Ahndung von Betrug, einschließlich Steuerbetrug, Korruption und anderer Verstöße gegen das Unionsrecht im Zusammenhang mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union oder dem Schutz ihrer finanziellen Interessen sowie die Verhängung wirksamer und abschreckender Sanktionen gegen Empfänger durch nationale Gerichte oder Verwaltungsbehörden;

f)

die Wiedereinziehung rechtsgrundlos gezahlter Beträge;

g)

die wirksame und rechtzeitige Zusammenarbeit mit [dem] OLAF und, vorbehaltlich der Beteiligung des betroffenen Mitgliedstaats, mit der EUStA bei ihren Ermittlungs- und Strafverfolgungstätigkeiten gemäß den anwendbaren Unionsrechtsakten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit;

h)

andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden, die für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen von Bedeutung sind.“

23

Art. 5 („Maßnahmen zum Schutz des Haushalts der Union“) der angefochtenen Verordnung sieht in den Abs. 1 bis 4 vor:

„(1)   Vorbehaltlich der Erfüllung der Voraussetzungen gemäß Artikel 4 dieser Verordnung können eine oder mehrere der folgenden geeigneten Maßnahmen gemäß dem in Artikel 6 dieser Verordnung festgelegten Verfahren angenommen werden:

a)

wenn die Kommission den Haushaltsplan der Union in direkter oder indirekter Mittelverwaltung gemäß Artikel 62 Absatz 1 Buchstaben a und c der Haushaltsordnung ausführt und es sich bei dem Empfänger um eine staatliche Einrichtung handelt:

i)

eine Aussetzung von Zahlungen oder der Umsetzung der rechtlichen Verpflichtung oder die Kündigung der rechtlichen Verpflichtung gemäß Artikel 131 Absatz 3 der Haushaltsordnung;

ii)

das Verbot des Eingehens neuer rechtlicher Verpflichtungen;

iii)

eine vollständige oder teilweise Aussetzung der Auszahlung von Tranchen oder eine vorzeitige Rückzahlung von aus dem Haushalt der Union garantierten Darlehen;

iv)

eine Aussetzung oder Verringerung des wirtschaftlichen Vorteils im Rahmen eines aus dem Haushalt der Union garantierten Instruments;

v)

das Verbot des Abschlusses neuer Vereinbarungen über Darlehen oder andere Instrumente, die aus dem Haushalt der Union garantiert werden;

b)

wenn die Kommission den Haushalt der Union in geteilter Mittelverwaltung mit den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe b der Haushaltsordnung ausführt:

i)

eine Aussetzung der Genehmigung eines oder mehrerer Programme oder die Änderung der Aussetzung;

ii)

eine Aussetzung von Mittelbindungen;

iii)

eine Reduzierung von Mittelbindungen, einschließlich durch Finanzkorrekturen oder Mittelübertragungen auf andere Ausgabenprogramme;

iv)

eine Reduzierung der Vorfinanzierung;

v)

eine Unterbrechung von Zahlungsfristen;

vi)

eine Aussetzung von Zahlungen.

(2)   Sofern in dem Beschluss zur Annahme der Maßnahmen nichts Anderweitiges bestimmt wird, berührt die Verhängung geeigneter Maßnahmen nicht die Verpflichtungen der staatlichen Einrichtungen gemäß Absatz 1 Buchstabe a oder der Mitgliedstaaten gemäß Absatz 1 Buchstabe b, das von der Maßnahme betroffene Programm oder den von der Maßnahme betroffenen Fonds auszuführen, und insbesondere nicht ihre Verpflichtungen gegenüber Endempfängern oder Begünstigten, einschließlich der Verpflichtung zur Leistung von Zahlungen im Rahmen dieser Verordnung und der anwendbaren sektorspezifischen Vorschriften oder Haushaltsvorschriften. Bei der Ausführung von Unionsmitteln in geteilter Mittelverwaltung erstatten die Mitgliedstaaten, die von gemäß dieser Verordnung angenommenen Maßnahmen betroffen sind, der Kommission alle drei Monate nach Annahme der genannten Maßnahmen darüber Bericht, wie sie diesen Verpflichtungen nachkommen.

Die Kommission überprüft, ob das anwendbare Recht eingehalten wurde, und ergreift erforderlichenfalls alle geeigneten Maßnahmen zum Schutz des Haushalts der Union im Einklang mit den sektorspezifischen Vorschriften und den Haushaltsvorschriften.

(3)   Die getroffenen Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein. Sie werden unter Berücksichtigung der tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder auf die finanziellen Interessen der Union festgelegt. Der Art, der Dauer, der Schwere und dem Umfang der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit wird gebührend Rechnung getragen. Die Maßnahmen sind – soweit möglich – auf die durch die Verstöße beeinträchtigten Handlungen der Union ausgerichtet.

(4)   Die Kommission stellt den Endempfängern oder Begünstigten über eine Website oder ein Internetportal Informationen und Leitlinien zu den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gemäß Absatz 2 zur Verfügung. Ferner stellt die Kommission den Endempfängern oder Begünstigten über dieselbe Website bzw. dasselbe Internetportal geeignete Instrumente zur Verfügung, mit denen sie die Kommission über jegliche Verstöße gegen diese Verpflichtungen, von denen diese Endempfänger oder Begünstigten ihrer Ansicht nach unmittelbar betroffen sind, informieren können. Bei der Anwendung dieses Absatzes wird sichergestellt, dass Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, im Einklang mit den in der Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates [vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (ABl. 2019, L 305, S. 17)] niedergelegten Grundsätzen geschützt werden. Den Informationen, die von Endempfängern oder Begünstigten gemäß diesem Absatz bereitgestellt werden, wird der Nachweis darüber beigefügt, dass der betreffende Endempfänger oder Begünstigte eine offizielle Beschwerde bei der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats eingereicht hat.“

24

Art. 6 („Verfahren“) der angefochtenen Verordnung lautet:

„(1)   Liegen nach Auffassung der Kommission hinreichende Gründe für die Feststellung vor, dass die in Artikel 4 festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, übermittelt sie dem betreffenden Mitgliedstaat eine schriftliche Mitteilung und legt darin die Tatsachen und die spezifischen Gründe dar, auf denen ihre Feststellungen beruhen, es sei denn, sie ist der Auffassung, dass andere in der Gesetzgebung der Union festgelegte Verfahren es ihr ermöglichen würden, den Haushalt der Union wirksamer zu schützen. Die Kommission unterrichtet das Europäische Parlament und den Rat unverzüglich über diese Mitteilung und deren Inhalt.

(2)   Das Europäische Parlament kann die Kommission auf der Grundlage der gemäß Absatz 1 erhaltenen Informationen zu einem strukturierten Dialog über ihre Feststellungen auffordern.

(3)   Bei der Prüfung, ob die in Artikel 4 festgelegten Voraussetzungen erfüllt sind, berücksichtigt die Kommission sachdienliche Informationen aus verfügbaren Quellen, einschließlich Beschlüssen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von Organen der Union sowie von anderen einschlägigen internationalen Organisationen und anderen anerkannten Einrichtungen.

(4)   Die Kommission kann sowohl vor als auch nach der Übermittlung der schriftlichen Mitteilung gemäß Absatz 1 zusätzliche Informationen anfordern, die sie für die Bewertung gemäß Absatz 3 benötigt.

(5)   Der betreffende Mitgliedstaat legt sämtliche erforderlichen Informationen zu den in der Mitteilung gemäß Absatz 1 dargelegten Feststellungen innerhalb einer von der Kommission anzugebenden Frist, die mindestens einen Monat und nicht mehr als drei Monate ab dem Tag der Mitteilung dieser Feststellungen betragen darf, vor und kann zugleich Stellung dazu nehmen. In seiner Stellungnahme kann der Mitgliedstaat die Annahme von Abhilfemaßnahmen vorschlagen, um auf die Feststellungen in der Mitteilung der Kommission zu reagieren.

(6)   Bei der Entscheidung darüber, ob sie einen Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss über geeignete Maßnahmen vorlegt, berücksichtigt die Kommission die von dem betreffenden Mitgliedstaat erhaltenen Informationen und etwaigen Stellungnahmen sowie die Angemessenheit der vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen. Die Kommission nimmt ihre Bewertung binnen einer Regelfrist von einem Monat ab dem Eingang der Informationen vonseiten des betreffenden Mitgliedstaats oder ab dem Eingang seiner Stellungnahmen oder, sofern keine Informationen oder Stellungnahmen eingehen, ab dem Ablauf der gemäß Absatz 5 gesetzten Frist und in jedem Fall binnen einer angemessenen Frist vor.

(7)   Beabsichtigt die Kommission, einen Vorschlag gemäß Absatz 9 zu unterbreiten, so gibt sie dem Mitgliedstaat vor Unterbreitung des Vorschlags die Möglichkeit, innerhalb eines Monats zu den Feststellungen und insbesondere zur Verhältnismäßigkeit der in Aussicht genommenen Maßnahmen Stellung zu nehmen.

(8)   Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der zu verhängenden Maßnahmen trägt die Kommission den Informationen und Vorgaben gemäß Absatz 3 Rechnung.

(9)   Gelangt die Kommission zu der Feststellung, dass die Voraussetzungen des Artikels 4 erfüllt sind und die gegebenenfalls vom Mitgliedstaat gemäß Absatz 5 vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen der in der Mitteilung der Kommission dargelegten Feststellung nicht in angemessener Weise gerecht werden, legt sie dem Rat einen Entwurf für einen Durchführungsbeschluss mit geeigneten Maßnahmen vor, und zwar binnen eines Monats nach Eingang der Stellungnahme des Mitgliedstaats oder, sofern keine Stellungnahme abgegeben wird, unverzüglich und in jedem Fall binnen eines Monats nach Ablauf der gemäß Absatz 7 festgelegten Frist. Die Kommission legt in ihrem Vorschlag die spezifischen Gründe und Beweismittel dar, auf denen ihre Feststellung beruht.

(10)   Der Rat nimmt den in Absatz 9 des vorliegenden Artikels genannten Durchführungsbeschluss binnen eines Monats nach Eingang des Kommissionsvorschlags an. Sollten außergewöhnliche Umstände auftreten, kann der Zeitraum für die Annahme dieses Durchführungsbeschlusses um höchstens zwei Monate verlängert werden. Zur Gewährleistung eines rechtzeitigen Beschlusses macht die Kommission von ihren Rechten nach Artikel 237 AEUV Gebrauch, wenn sie dies für angemessen hält.

(11)   Der Rat kann den Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit ändern und den geänderten Text durch einen Durchführungsbeschluss erlassen.“

25

Art. 7 („Aufhebung von Maßnahmen“) der angefochtenen Verordnung sieht in den Abs. 1 und 2 vor:

„(1)   Der betreffende Mitgliedstaat kann jederzeit neue Abhilfemaßnahmen annehmen und der Kommission eine schriftliche Mitteilung einschließlich Beweismittel vorlegen, um darzulegen, dass die Voraussetzungen gemäß Artikel 4 nicht länger erfüllt sind.

(2)   Die Kommission führt auf Ersuchen des betreffenden Mitgliedstaats oder auf eigene Initiative und spätestens ein Jahr nach der Annahme der Maßnahmen durch den Rat eine Neubewertung der Umstände in dem betreffenden Mitgliedstaat durch, wobei sie alle von dem betreffenden Mitgliedstaat eingereichten Beweismittel sowie die Angemessenheit neuer von dem betreffenden Mitgliedstaat angenommenen Abhilfemaßnahmen berücksichtigt.

Gelangt die Kommission zu der Feststellung, dass die Voraussetzungen gemäß Artikel 4 nicht mehr erfüllt sind, so legt sie dem Rat einen Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss zur Aufhebung der angenommenen Maßnahmen vor.

Gelangt die Kommission zu der Feststellung, dass die Umstände, die zur Annahme der Maßnahmen geführt haben, teilweise behoben wurden, legt sie dem Rat einen Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss zur Anpassung der angenommenen Maßnahmen vor.

Gelangt die Kommission zu der Feststellung, dass die Umstände, die zur Annahme der Maßnahmen geführt haben, nicht behoben wurden, richtet sie einen begründeten Beschluss an den betreffenden Mitgliedstaat und unterrichtet den Rat hiervon.

Übermittelt der betreffende Mitgliedstaat eine schriftliche Mitteilung gemäß Absatz 1, so legt die Kommission innerhalb eines Monats nach Eingang dieser Mitteilung ihren Vorschlag vor oder nimmt ihren Beschluss an. Diese Frist kann in hinreichend begründeten Fällen verlängert werden; in diesem Fall unterrichtet die Kommission den betreffenden Mitgliedstaat unverzüglich über die Gründe für die Verlängerung.

Es gilt gegebenenfalls das Verfahren gemäß Artikel 6 Absätze 3, 4, 5, 6, 9, 10 und 11 entsprechend.“

III. Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

26

Ungarn beantragt,

die angefochtene Verordnung für nichtig zu erklären;

hilfsweise, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. h, Art. 5 Abs. 2 und Abs. 3 vorletzter und letzter Satz sowie Art. 6 Abs. 3 und 8 dieser Verordnung für nichtig zu erklären;

dem Parlament und dem Rat die Kosten aufzuerlegen.

27

Außerdem hat Ungarn gemäß Art. 16 Abs. 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union beantragt, dass die Große Kammer über die vorliegende Rechtssache entscheidet.

28

Das Parlament und der Rat beantragen, die Klage abzuweisen und Ungarn die Kosten aufzuerlegen.

29

Mit Antragsschrift vom 12. Mai 2021 hat das Parlament beantragt, die vorliegende Rechtssache dem beschleunigten Verfahren gemäß Art. 133 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zur Stützung dieses Antrags hat das Parlament geltend gemacht, dass der Erlass der angefochtenen Verordnung eine für seine Zustimmung zur Verordnung (EU, Euratom) 2020/2093 des Rates vom 17. Dezember 2020 zur Festlegung des mehrjährigen Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027 (ABl. 2020, L 433 I, S. 11) wesentliche politische Voraussetzung sei und dass die im Rahmen des Covid‑19-Aufbauplans mit dem Titel „Next Generation EU“ verfügbaren Mittel angesichts der wirtschaftlichen Dringlichkeit den Mitgliedstaaten innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung gestellt werden müssten. Insoweit sei insbesondere darauf hinzuweisen, dass gemäß Art. 3 Abs. 4 der Verordnung 2020/2094 mindestens 60 % der rechtlichen Verpflichtungen spätestens am 31. Dezember 2022 und die gesamten rechtlichen Verpflichtungen spätestens am 31. Dezember 2023 eingegangen werden müssten. Außerdem sei hervorzuheben, dass die Kommission nach dem Inkrafttreten des Beschlusses (EU, Euratom) 2020/2053 des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/EU, Euratom (ABl. 2020, L 424, S. 1) im Sommer 2022 mit der Mittelaufnahme an den Kapitalmärkten beginnen werde, um den vorgenannten Aufbauplan zu finanzieren. Die Aufnahme und die Bereitstellung äußerst umfangreicher Mittel innerhalb kürzester Zeit brächten unweigerlich Risiken für den Unionshaushalt mit sich, der mit der angefochtenen Verordnung geschützt werden solle. Ein solcher Schutz sei wichtig, da die Unfähigkeit, den Haushalt wirksam zu schützen, verhängnisvolle Auswirkungen insbesondere auf die langfristige Solidarität innerhalb der Union haben könnte.

30

Nach Art. 133 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des Klägers oder des Beklagten und nach Anhörung der Gegenpartei, des Berichterstatters und des Generalanwalts entscheiden, eine Rechtssache einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

31

Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 9. Juni 2021 nach Anhörung der Gegenparteien, des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, dem Antrag stattzugeben. Diese Entscheidung ist damit begründet worden, dass die vorliegende Rechtssache für die Unionsrechtsordnung grundlegende Bedeutung hat, insbesondere, soweit sie die Befugnisse der Union betrifft, ihren Haushalt und ihre finanziellen Interessen gegen Beeinträchtigungen zu verteidigen, die sich aus Verletzungen der in Art. 2 EUV genannten Werte ergeben könnten.

32

Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 25. Juni 2021 sind das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Parlaments und des Rates zugelassen worden.

33

Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom selben Tag ist die Republik Polen als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge Ungarns zugelassen worden.

34

Mit Antragsschrift vom 11. Mai 2021 hat der Rat beantragt, diejenigen Passagen der Klageschrift Ungarns und ihrer Anlagen, insbesondere Anlage A.3, die auf das Gutachten Nr. 13593/18 seines Juristischen Dienstes vom 25. Oktober 2018 betreffend den der angefochtenen Verordnung zugrunde liegenden Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten (COM[2018] 324 final) (im Folgenden: Rechtsgutachten Nr. 13593/18) Bezug nehmen oder den Inhalt dieses Gutachtens oder die darin angestellten Erwägungen wiedergeben, nicht zu berücksichtigen. Am 29. Juni 2021 hat der Gerichtshof beschlossen, die Entscheidung über diesen Antrag dem Endurteil vorzubehalten.

35

Am 7. September 2021 hat der Gerichtshof in der Erwägung, dass die vorliegende Rechtssache von außergewöhnlicher Bedeutung ist, nach Anhörung des Generalanwalts entschieden, die Rechtssache gemäß Art. 16 letzter Absatz der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union an das Plenum zu verweisen.

IV. Zum Antrag auf Nichtberücksichtigung bestimmter Passagen der Klageschrift Ungarns und ihrer Anlage A.3

A. Vorbringen der Parteien

36

Zur Stützung seines Antrags, die Rn. 21, 22, 164 und 166 der Klageschrift Ungarns sowie deren Anlage A.3 nicht zu berücksichtigen, soweit sie auf das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 Bezug nehmen, dessen Inhalt wiedergeben oder die darin vorgenommene Analyse widerspiegeln, macht der Rat geltend, dass es sich bei diesem Gutachten um ein internes, nicht als Verschlusssache eingestuftes Dokument mit der Kennzeichnung „LIMITE“ handele. Daher unterliege es der Geheimhaltungspflicht, und seine Vorlage vor Gericht sei nur unter den Voraussetzungen zulässig, die namentlich in Art. 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates sowie in den Nrn. 20 und 21 der Leitlinien für die Behandlung von ratsinternen Dokumenten vorgesehen seien.

37

Nach Art. 6 Abs. 2 dieser Geschäftsordnung könnten nur der Rat oder der AStV die Vorlage einer Kopie oder eines Auszugs der Ratsdokumente vor Gericht genehmigen, sofern diese nicht bereits gemäß den unionsrechtlichen Bestimmungen über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien. Außerdem dürfe nach den Nrn. 20 und 21 der genannten Leitlinien ein „LIMITE“-Dokument erst dann veröffentlicht werden, wenn ein entsprechender Beschluss von einem gehörig befugten Ratsbeamten, von der nationalen Verwaltung eines Mitgliedstaats nach Konsultation des Generalsekretariats des Rates oder gegebenenfalls vom Rat gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 und der Geschäftsordnung des Rates gefasst worden sei.

38

Im vorliegenden Fall habe der Rat jedoch bislang nur die ersten acht Randnummern des Rechtsgutachtens Nr. 13593/18 gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 veröffentlicht und Ungarn keine Genehmigung erteilt, das Gutachten im Rahmen des vorliegenden Gerichtsverfahrens vorzulegen.

39

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts liefe es dem öffentlichen Interesse daran, dass die Organe die in völliger Unabhängigkeit abgegebenen Stellungnahmen ihrer Juristischen Dienste nutzen könnten, zuwider, wenn zugelassen würde, dass solche internen Dokumente in einem Rechtsstreit vor dem Gerichtshof vorgelegt würden, ohne dass ihre Vorlage von dem betreffenden Organ genehmigt oder vom Gerichtshof angeordnet worden wäre.

40

Soweit der Rat auf gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 gestellte Anträge hin nur teilweise Zugang zum Rechtsgutachten Nr. 13593/18 gewährt habe, liege dies insbesondere an der Gefahr, dass ein Kläger ihn im Rahmen eines Rechtsstreits über die Gültigkeit der angefochtenen Verordnung mit den Argumenten konfrontieren könnte, die sein eigener Juristischer Dienst in diesem Gutachten dargelegt habe, was den Erfordernissen eines fairen Verfahrens und der Waffengleichheit zwischen den Parteien eines Gerichtsverfahrens zuwiderliefe. Diese Gefahr habe sich im Übrigen mit der Erhebung der vorliegenden Klage verwirklicht.

41

Überdies habe Ungarn auf der Grundlage dieser Argumente stets dafürgestimmt, den Zugang der Öffentlichkeit zum Rechtsgutachten Nr. 13593/18 zu verweigern. Hätte dieser Mitgliedstaat gewünscht, dass das Gutachten veröffentlicht werde, hätte er einen entsprechenden Antrag gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 stellen oder eine Genehmigung gemäß der Geschäftsordnung des Rates und den Leitlinien für die Behandlung von ratsinternen Dokumenten beantragen müssen.

42

Würde Ungarn gestattet, das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 in der vorliegenden Rechtssache zu verwenden, obwohl es das hierfür vorgesehene Verfahren nicht eingehalten habe und die Frage keiner wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterzogen worden sei, so würden damit die in der Verordnung Nr. 1049/2001 und der Geschäftsordnung des Rates vorgesehenen Verfahren umgangen. Insoweit sei auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs hinzuweisen, in der den Anträgen der Organe auf Entfernung ihrer internen Dokumente aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten stattgegeben werde, wenn die Organe die Vorlage vor Gericht nicht genehmigt hätten. Daraus folge, dass das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 in der vorliegenden Rechtssache nicht verwendet werden dürfe.

43

Würde die Vorlage des Rechtsgutachtens Nr. 13593/18 im vorliegenden Verfahren zugelassen, wäre der Rat gezwungen, sich vor dem Unionsgericht zu einem Gutachten zu äußern, das für den internen Gebrauch bestimmt und von seinem eigenen Juristischen Dienst bei der Ausarbeitung der angefochtenen Verordnung erstellt worden sei, was den Erfordernissen eines fairen Verfahrens zuwiderliefe und den Rat in seiner Möglichkeit einschränken würde, freie, objektive und vollständige Stellungnahmen zu erhalten.

44

Der Umstand, dass das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 ohne Genehmigung des Rates auf der Website eines Presseorgans verbreitet und damit der Öffentlichkeit bekannt gegeben worden sei, habe nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs keinen Einfluss auf diese Erwägungen. Zudem gehe der Schaden, der dem Rat und den Unionsorganen durch die unbefugte Verwendung dieses Rechtsgutachtens im Rahmen des vorliegenden Verfahrens entstehe, weit über den Schaden hinaus, der durch die Veröffentlichung des Gutachtens in der Presse verursacht worden sei. Würde Ungarn gestattet, sich auf das Gutachten zu stützen, so würde dies nämlich das öffentliche Interesse daran gefährden, dass die Organe die Stellungnahmen ihrer Juristischen Dienste in völliger Unabhängigkeit nutzen könnten, und würde den auf den Schutz dieses Interesses abzielenden Verfahren jede Wirksamkeit nehmen.

45

Ungarn tritt dem Vorbringen des Rates entgegen.

B. Würdigung durch den Gerichtshof

46

Mit seinem Vorbringen macht der Rat im Wesentlichen geltend, Ungarn habe dadurch, dass es in den Rn. 21, 22, 164 und 166 der Klageschrift sowie in deren Anlage A.3 auf das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 Bezug genommen und den Inhalt dieses Gutachtens analysiert habe, erstens gegen Art. 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates verstoßen, zweitens sich über die Nrn. 20 und 21 der Leitlinien für die Behandlung von ratsinternen Dokumenten hinweggesetzt, drittens die Verordnung Nr. 1049/2001 missachtet, viertens das öffentliche Interesse daran verkannt, dass der Rat die in völliger Unabhängigkeit abgegebenen Stellungnahmen seines Juristischen Dienstes nutzen könne, und fünftens den Rat in eine Lage versetzt, die ihn möglicherweise dazu zwinge, sich im Hauptverfahren zu den Analysen seines eigenen Juristischen Dienstes zu äußern, was dem Grundsatz der Waffengleichheit zuwiderlaufe.

47

Zum Vorwurf eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates ist darauf hinzuweisen, dass nach dieser Vorschrift „[d]er Rat oder der AStV … die Vorlage einer Kopie oder eines Auszugs der Ratsdokumente vor Gericht genehmigen [kann], wenn diese nicht … der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden“.

48

Insoweit ist erstens festzustellen, dass die Klageschrift und deren Anlage A.3 auf andere Randnummern des Rechtsgutachtens Nr. 13593/18 als die acht vom Rat gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 veröffentlichten Randnummern Bezug nehmen. Zweitens hat Ungarn beim Rat keine Genehmigung dafür beantragt, eine Kopie dieses Gutachtens oder Auszüge daraus vor Gericht vorzulegen. Drittens hat dieser Mitgliedstaat seiner Klageschrift keine Kopie dieses Gutachtens beigefügt.

49

Folglich ist zu prüfen, ob angesichts dessen, dass Ungarn in seiner Klageschrift und in deren Anlage A.3 Passagen des Rechtsgutachtens Nr. 13593/18 angeführt hat, davon auszugehen ist, dass Ungarn im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates Auszüge aus diesem Gutachten vor Gericht vorgelegt hat.

50

Insoweit ist festzustellen, dass die Rn. 22 und 164 der Klageschrift sowie die Abs. 2 bis 7 und 9 der Anlage A.3 zur Klageschrift eine eigene Argumentation Ungarns enthalten, die diesem Mitgliedstaat zufolge die in diesem Gutachten vorgenommene Analyse widerspiegelt, während die Rn. 21 und 166 der Klageschrift, ebenfalls im Rahmen einer eigenen Argumentation Ungarns, bloße Verweise auf dieses Gutachten enthalten. Solche Argumentationen, die mit der bloßen Geltendmachung von Übereinstimmungen mit dem Rechtsgutachten Nr. 13593/18 sowie mit Verweisen auf dieses Gutachten verknüpft sind, deren Genauigkeit der Rat übrigens in Abrede stellt, können nicht als Auszüge aus dem Gutachten angesehen werden.

51

Dagegen ist davon auszugehen, dass die Anlage A.3 zur Klageschrift, soweit in ihrem Abs. 4 das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 zitiert wird, einen „Auszug“ aus diesem Gutachten im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates enthält. Außerdem stellt die Einreichung eines solchen Auszugs in der Anlage zu einem Verfahrensschriftstück eine „Vorlage vor Gericht“ im Sinne dieser Bestimmung dar.

52

Folglich war Ungarn nach Art. 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates grundsätzlich verpflichtet, die Genehmigung des Rates einzuholen, um dem Gerichtshof den in Anlage A.3 zur Klageschrift enthaltenen Auszug aus dem Rechtsgutachten Nr. 13593/18 vorlegen zu dürfen.

53

Insoweit ergibt sich zwar, wie der Rat ausführt, aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es dem öffentlichen Interesse daran, dass die Organe die in völliger Unabhängigkeit abgegebenen Stellungnahmen ihrer Juristischen Dienste nutzen können, zuwiderliefe, wenn zugelassen würde, dass solche internen Dokumente in einem Rechtsstreit vor dem Gerichtshof vorgelegt werden, ohne dass ihre Vorlage von dem betreffenden Organ genehmigt oder vom Gerichtshof angeordnet worden wäre (Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament, C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438, Rn. 8 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil vom 31. Januar 2020, Slowenien/Kroatien, C‑457/18, EU:C:2020:65, Rn. 66).

54

Durch die ungenehmigte Vorlage eines solchen Rechtsgutachtens konfrontiert der Kläger nämlich, wie der Rat vorträgt, das betreffende Organ in dem Verfahren über die Gültigkeit eines angefochtenen Rechtsakts mit einer Stellungnahme, die sein eigener Juristischer Dienst bei der Ausarbeitung dieses Rechtsakts abgegeben hat. Ließe man zu, dass der Kläger ein von einem Organ erstelltes Rechtsgutachten, dessen Verbreitung von diesem Organ nicht genehmigt wurde, zu den Akten reicht, so stünde dies grundsätzlich im Widerspruch zu den Erfordernissen eines fairen Verfahrens und liefe auf eine Umgehung des mit der Verordnung Nr. 1049/2001 eingeführten Verfahrens hinaus, wonach der Zugang zu einem solchen Dokument beantragt werden muss (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament, C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438, Rn. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Urteil vom 31. Januar 2020, Slowenien/Kroatien, C‑457/18, EU:C:2020:65, Rn. 68).

55

Allerdings ist der Grundsatz der Transparenz zu berücksichtigen, der in Art. 1 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 3 EUV sowie in Art. 15 Abs. 1 und Art. 298 Abs. 1 AEUV verankert ist und es u. a. ermöglicht, eine größere Legitimität, Effizienz und Verantwortung der Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem demokratischen System zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament, C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung). Transparenz trägt außerdem dazu bei, das Vertrauen der Bürger zu stärken, weil sie es ermöglicht, Unterschiede zwischen mehreren Standpunkten offen zu erörtern (Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56

Indessen kann es der Grundsatz der Transparenz nur ausnahmsweise rechtfertigen, ein von einem Organ erstelltes Dokument, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht wurde und ein Rechtsgutachten enthält, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu verbreiten. Deshalb hat der Gerichtshof entschieden, dass die Belassung eines Dokuments, das ein Rechtsgutachten eines Organs enthält, in den Akten einer Rechtssache durch kein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist, wenn dieses Gutachten zum einen kein Gesetzgebungsverfahren betrifft, in dem besondere Transparenz geboten ist, und zum anderen das Interesse an dieser Belassung in den Akten für den betroffenen Mitgliedstaat nur darin besteht, sich im Rahmen eines Rechtsstreits auf das Gutachten berufen zu können. Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, zeigt sich dann nämlich, dass die Vorlage des Gutachtens durch die eigenen Interessen des Klägers an der Untermauerung seiner Argumentation geleitet wird und nicht durch ein wie auch immer geartetes überwiegendes öffentliches Interesse, wie etwa das Interesse, die Öffentlichkeit über das Verfahren zu informieren, das zu dem angefochtenen Rechtsakt geführt hat (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 14. Mai 2019, Ungarn/Parlament, C‑650/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:438, Rn. 18, und Urteil vom 31. Januar 2020, Slowenien/Kroatien, C‑457/18, EU:C:2020:65, Rn. 71).

57

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 im Unterschied zu den Rechtssachen, in denen die in der vorstehenden Randnummer angeführte Rechtsprechung ergangen ist, auf ein Gesetzgebungsverfahren bezieht.

58

In dieser Hinsicht hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Verbreitung von Dokumenten, die eine Stellungnahme des Juristischen Dienstes eines Organs zu Rechtsfragen enthalten, die bei der Diskussion über Gesetzesvorschläge aufgeworfen werden, geeignet ist, die Transparenz und die Offenheit des Gesetzgebungsverfahrens zu erhöhen und das Recht der europäischen Bürger, die Informationen zu überprüfen, auf deren Grundlage ein Gesetzgebungsakt ergangen ist, zu stärken. Daraus hat der Gerichtshof geschlossen, dass in Bezug auf die Stellungnahmen des Juristischen Dienstes des Rates zu einem Gesetzgebungsverfahren kein generelles Bedürfnis der vertraulichen Behandlung besteht und dass die Verordnung Nr. 1049/2001 grundsätzlich eine Verpflichtung zur Verbreitung dieser Stellungnahmen aufstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 67 und 68).

59

Gerade Transparenz in dieser Hinsicht trägt nämlich dadurch, dass sie es ermöglicht, Unterschiede zwischen mehreren Standpunkten offen zu erörtern, dazu bei, die Zweifel der Bürger nicht nur an der Rechtmäßigkeit eines einzelnen Gesetzgebungsakts, sondern auch an der Legitimität des Gesetzgebungsverfahrens insgesamt zu verringern (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 59). Auch trägt sie, wie es im zweiten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1049/2001 heißt, zur Stärkung der Grundsätze der Demokratie und der Achtung der Grundrechte bei, die in Art. 6 EUV und in der Charta verankert sind.

60

Diese Transparenz schließt jedoch nicht aus, dass die Verbreitung eines spezifischen Rechtsgutachtens, das im Zusammenhang mit einem bestimmten Gesetzgebungsverfahren erstellt wurde, aber besonders sensibel oder von besonders großer Tragweite ist, die über den Rahmen dieses Gesetzgebungsverfahrens hinausgeht, zum Schutz der Rechtsberatung verweigert werden kann; in einem solchen Fall muss das betreffende Organ die Verweigerung substantiiert begründen (Urteil vom 1. Juli 2008, Schweden und Turco/Rat, C‑39/05 P und C‑52/05 P, EU:C:2008:374, Rn. 69).

61

Im vorliegenden Fall hat der Rat indessen, wie der Generalanwalt in den Nrn. 70 bis 72 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht dargetan, dass das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 besonders sensibel oder von besonders großer Tragweite wäre, die über den Rahmen des damit zusammenhängenden Gesetzgebungsverfahrens hinausginge.

62

Folglich war Ungarn weder durch Art. 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Rates noch durch die in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung gehindert, dieses Rechtsgutachten in seiner Klageschrift ganz oder teilweise offenzulegen.

63

Diese Feststellung wird nicht dadurch entkräftet, dass Ungarn ein eigenes Interesse daran hat, dass die streitigen Passagen seiner Klageschrift und ihrer Anlage A.3 vom Gerichtshof berücksichtigt werden. Da die Berücksichtigung dieser Passagen nämlich auch dazu beitragen kann, die Zweifel der Bürger nicht nur an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnung, sondern auch an der Legitimität des Gesetzgebungsverfahrens insgesamt zu verringern, dient sie jedenfalls dem in den Rn. 58 und 59 des vorliegenden Urteils genannten überwiegenden öffentlichen Interesse.

64

Folglich ist der Antrag des Rates, die Passagen der Klageschrift Ungarns und ihrer Anlagen, insbesondere der Anlage A.3, nicht zu berücksichtigen, soweit darin auf das Rechtsgutachten Nr. 13593/18 Bezug genommen, dessen Inhalt wiedergegeben oder die darin vorgenommene Analyse widergespiegelt wird, als unbegründet zurückzuweisen, ohne dass über die Rügen, dass gegen die Nrn. 20 und 21 der Leitlinien für die Behandlung von ratsinternen Dokumenten, gegen die Verordnung Nr. 1049/2001 und gegen den Grundsatz der Waffengleichheit verstoßen worden sei, separat entschieden werden müsste. Diese Rügen können nämlich in Anbetracht der in den Rn. 55 bis 63 des vorliegenden Urteils vorgenommenen Würdigungen keinesfalls durchgreifen.

V. Zur Klage

65

Mit seiner Klage beantragt Ungarn, unterstützt durch die Republik Polen, in erster Linie die Nichtigerklärung der gesamten angefochtenen Verordnung und hilfsweise die Nichtigerklärung eines Teils von ihr, nämlich von Art. 4 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 Buchst. h, Art. 5 Abs. 2, Art. 5 Abs. 3 Satz 3, Art. 5 Abs. 3 Satz 4 sowie Art. 6 Abs. 3 und 8.

A. Zum Hauptantrag auf vollständige Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung

66

Zur Stützung seines Hauptantrags auf vollständige Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung macht Ungarn drei Klagegründe geltend. Als Erstes sind die ersten beiden Klagegründe gemeinsam zu prüfen, mit denen im Wesentlichen gerügt wird, die Union sei für den Erlass der angefochtenen Verordnung nicht zuständig.

1.   Zum ersten und zum zweiten Klagegrund: Unzuständigkeit der Union für den Erlass der angefochtenen Verordnung

a)   Vorbringen der Parteien

67

Mit dem ersten Klagegrund macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend, es gebe für die angefochtene Verordnung keine Rechtsgrundlage. Nach Art. 322 Abs. 1 Buchst. a und b AEUV sei der Unionsgesetzgeber befugt, „Haushaltsvorschriften, in denen insbesondere die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sowie die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung im Einzelnen geregelt werden“, und „Vorschriften, die die Kontrolle der Verantwortung der Finanzakteure und insbesondere der Anweisungsbefugten und der Rechnungsführer regeln“, zu erlassen. Außerdem lege der Rat nach Art. 322 Abs. 2 AEUV die Einzelheiten und das Verfahren fest, nach denen die Haushaltseinnahmen, die in der Regelung über die Eigenmittel der Union vorgesehen seien, der Kommission zur Verfügung gestellt würden, sowie die Maßnahmen, die zu treffen seien, um die erforderlichen Kassenmittel bereitzustellen.

68

Diese Bestimmungen hätten bereits ganz oder teilweise als Rechtsgrundlage für zahlreiche Rechtsakte gedient, die tatsächlich mit dem Jahreshaushaltsplan der Union oder ihrem mehrjährigen Finanzrahmen in Zusammenhang stünden, wie etwa die Haushaltsordnung, die Verordnung (EU) 2020/558 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2020 zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1301/2013 und (EU) Nr. 1303/2013 im Hinblick auf spezifische Maßnahmen zur Einführung einer außerordentlichen Flexibilität beim Einsatz der europäischen Struktur- und Investitionsfonds als Reaktion auf den COVID‑19-Ausbruch (ABl. 2020, L 130, S. 1), die die Anwendung eines außerordentlichen Kofinanzierungssatzes im Rahmen der Struktur- und Investitionsfonds erlaube, oder die Verordnung (EU) 2020/2221 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Dezember 2020 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 in Bezug auf zusätzliche Mittel und Durchführungsbestimmungen zur Unterstützung der Krisenbewältigung im Zusammenhang mit der COVID‑19-Pandemie und ihrer sozialen Folgen und der Vorbereitung einer grünen, digitalen und stabilen Erholung der Wirtschaft (ABl. 2020, L 437, S. 30), die Durchführungsbestimmungen festlege, um die Behebung der pandemiebedingten Schäden zu erleichtern, und ausnahmsweise zusätzliche Mittel vorsehe, um den sozialen Zusammenhalt und die Erholung der Wirtschaft zu fördern.

69

So lege die Haushaltsordnung in ihrem ersten Teil allgemein und vollständig die Grundsätze und die Verfahren für die Aufstellung und die Ausführung des Haushaltsplans der Union sowie für die Kontrolle ihrer Mittel fest. Bei diesen Grundsätzen und Verfahren handele es sich um „Haushaltsvorschriften“ im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV, in denen die Aufstellung und die Ausführung des Haushaltsplans im Einzelnen geregelt würden. Gleiches gelte für die Verordnungen 2020/558 und 2020/2221, deren Vorschriften tatsächlich und unmittelbar mit dem Unionshaushalt, dem mehrjährigen Finanzrahmen und den aus verschiedenen Unionsfonds gewährten Hilfsleistungen zusammenhingen.

70

Dagegen könnten die wesentlichen Elemente der Bestimmungen der angefochtenen Verordnung, wie etwa die Definition des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ oder die möglichen Formen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, objektiv nicht als Haushaltsvorschriften im Sinne der fraglichen Bestimmung angesehen werden, in denen die Ausführung des Haushaltsplans im Einzelnen geregelt würde. Die Ungeeignetheit von Art. 322 Abs. 1 AEUV als Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung ergebe sich insbesondere aus dem Vergleich der in dieser Verordnung und in der Haushaltsordnung jeweils enthaltenen Vorschriften über Interessenkonflikte.

71

Insoweit ergebe sich aus Art. 61 der Haushaltsordnung, dass die Verpflichtung, Interessenkonflikte zu vermeiden, für alle Arten der Verwaltung von Unionsmitteln gelte, so auch für mitgliedstaatliche Behörden bei der Verwaltung dieser Mittel, so dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, in dieser Hinsicht angemessene Vorschriften zu erlassen. Zu diesem Zweck enthalte die Haushaltsordnung geeignete Verfahrensregeln, mit denen sich Interessenkonflikte beenden ließen.

72

Aus Art. 3 Buchst. b der angefochtenen Verordnung gehe indessen hervor, dass das Versäumnis, sicherzustellen, dass keine Interessenkonflikte bestehen, ein Hinweis auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit sein könne, obwohl diese Verordnung keinerlei Verfahrensvorschriften enthalte, aus denen sich ergäbe, welche Maßnahmen die Mitgliedstaaten ergreifen könnten, um Interessenkonflikten vorzubeugen oder ihnen abzuhelfen. Diese Bestimmung erlaube es also, gegenüber den Mitgliedstaaten Maßnahmen auf der Grundlage nicht näher bestimmter Erwartungen zu treffen, die über die Anforderungen der Haushaltsordnung hinausgingen.

73

Allgemeiner betrachtet könnten die Bestimmungen der angefochtenen Verordnung nicht als Haushaltsvorschriften angesehen werden, die ein Verfahren für die Ausführung des Haushaltsplans der Union festlegten. Gegenstand dieser Verordnung sei nämlich nach ihrem Art. 1, die Regeln festzulegen, die zum Schutz des Haushalts der Union im Fall von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten erforderlich seien. Zu diesem Zweck werde in Art. 2 der Verordnung der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ definiert, und in Art. 3 der Verordnung würden beispielhaft Fälle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit dargelegt. Die wesentlichen Elemente der angefochtenen Verordnung seien somit die Definition des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ und die Bestimmung der möglichen Formen der Verletzung der Rechtsstaatlichkeit.

74

Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV ermächtige die Union jedoch nicht, die Fälle zu definieren, in denen die Rechtsstaatlichkeit verletzt sei, und nicht einmal, die Tatbestandsmerkmale des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ festzulegen. Somit stelle diese Bestimmung keine Rechtsgrundlage dar, die es erlaubte, Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu prüfen oder festzustellen oder die Rechtsfolgen solcher Verstöße festzulegen, da solche Regeln objektiv nicht als Haushaltsvorschriften angesehen werden könnten, in denen die Ausführung des Haushaltsplans im Einzelnen geregelt würde.

75

Der bloße Umstand, dass die in der angefochtenen Verordnung festgelegten materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften einen Bezug zum Unionshaushalt aufwiesen, reiche nicht aus, um sie als „Haushaltsvorschriften“ im Sinne von Art. 322 Abs. 1 AEUV einzustufen. Eine Auslegung des Begriffs „Haushaltsvorschriften“, die so weit ginge, dass sie die Bestimmungen der angefochtenen Verordnung umfasste, hätte zur Folge, dass dieser Begriff auf nahezu das gesamte Unionsrecht sowie auf sehr weite Teile der Rechtssysteme der Mitgliedstaaten erstreckt würde, da es schwierig sei, eine Bestimmung zu finden, bei der sich nicht wenigstens eine mittelbare Auswirkung auf eine Haushaltsressource der Union feststellen lasse.

76

Die Ungeeignetheit der Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung ergebe sich auch daraus, dass Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung keine Haushaltsvorschriften enthalte, die das Verfahren für die Ausführung des Haushaltsplans der Union regelten. Die Verpflichtung, ein bestimmtes Programm weiter durchzuführen, nachdem Unregelmäßigkeiten, Verstöße oder Mängel mit Auswirkung auf die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union festgestellt worden seien, falle nämlich nicht unter die Kontroll- und Wirtschaftsprüfungspflichten, die den Mitgliedstaaten nach Art. 317 AEUV bei der Ausführung des Haushaltsplans oblägen, und ergebe sich auch nicht aus den in Art. 322 AEUV vorgesehenen Haushaltsvorschriften, in denen die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sowie die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung im Einzelnen geregelt würden, um die Einhaltung der Haushaltsgrundsätze, insbesondere der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung, zu gewährleisten.

77

Solche Haushaltsvorschriften verpflichteten die Mitgliedstaaten nicht, ein bestimmtes Programm weiter durchzuführen, nachdem derartige Unregelmäßigkeiten, Verstöße oder Mängel festgestellt worden seien. Vielmehr gestatte Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV den Erlass von Haushaltsvorschriften – etwa in Bezug auf die Aussetzung der Zahlungen für ein bestimmtes Programm –, die speziell dazu bestimmt seien, zu garantieren, dass der Mitgliedstaat die im maßgeblichen Haushaltsrecht festgelegten Bedingungen erfülle, um den Schutz der finanziellen Interessen der Union und die tatsächliche Verwirklichung der im Rahmen des betreffenden Programms verfolgten Ziele zu gewährleisten.

78

Es liefe der Logik des Haushaltsrechts zuwider, wenn Haushaltsvorschriften der Union einen Mitgliedstaat verpflichten könnten, ein Programm auch dann weiter durchzuführen, wenn die Kommission Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung dieses Programms festgestellt habe, die die finanziellen Interessen der Union und den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung beeinträchtigten oder die Verwirklichung der angestrebten Ziele gefährdeten.

79

Daraus folge, dass das mit der Auferlegung einer solchen Verpflichtung verfolgte Ziel nicht etwa darin bestehe, den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, sondern darin, einen Mitgliedstaat im Fall eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit mit einer Sanktion zu belegen, was mit der gewählten Rechtsgrundlage unvereinbar sei. Außerdem beschränke die Verpflichtung eines Mitgliedstaats, Programme, bei deren Festlegung er nur über einen begrenzten Handlungsspielraum verfüge, vollständig aus seinem eigenen Haushalt zu finanzieren, sein Recht auf Nutzung seiner eigenen Haushaltsmittel und stelle ein Erfordernis auf, das nicht den Haushalt der Union, sondern den des betreffenden Mitgliedstaats belaste.

80

Mit seinem zweiten Klagegrund macht Ungarn geltend, die angefochtene Verordnung verstoße erstens gegen Art. 7 EUV, zweitens gegen Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 EUV sowie drittens gegen Art. 13 Abs. 2 EUV und Art. 269 AEUV.

81

Als Erstes trägt Ungarn vor, Art. 7 EUV sei der einzige Artikel, auf dessen Grundlage die Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat festgestellt werden könne. Die angefochtene Verordnung führe in einem bestimmten Bereich ein Parallelverfahren ein, das dem gleichen Zweck diene wie das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren, was ein Verstoß gegen diese Bestimmung sei.

82

Erstens sähen die Verträge nämlich nicht vor, dass Art. 7 EUV durch Gesetzgebungsakte umgesetzt werden könne, die die Feststellung einer Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte und die Festlegung der Rechtsfolgen einer solchen Verletzung beträfen.

83

Zweitens impliziere das in der angefochtenen Verordnung vorgesehene Verfahren, dass der Gerichtshof für die Kontrolle der vom Rat auf der Grundlage dieser Verordnung erlassenen Beschlüsse und damit für die Beurteilung des von einem Mitgliedstaat begangenen Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zuständig sei, und zwar selbst dann, wenn die nationale Regelung oder Praxis, die diesem Verstoß zugrunde liege, nicht unter das Unionsrecht falle und der Gerichtshof daher nicht befugt sei, sie zu prüfen. Die angefochtene Verordnung dehne somit unter Verstoß gegen die Verträge und insbesondere unter Umgehung der in Art. 269 AEUV vorgesehenen Beschränkungen die Zuständigkeiten nicht nur des Rates und der Kommission, sondern auch des Gerichtshofs aus.

84

Drittens verleihe nach der Systematik der Verträge allein Art. 7 EUV den Unionsorganen die Befugnis, Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten zu prüfen, festzustellen und gegebenenfalls zu ahnden.

85

In ähnlicher Weise wie diese Bestimmung sehe die angefochtene Verordnung vor, dass sich die Kommission, bevor sie dem Rat ihren Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss unterbreite, zu drei Aspekten äußern müsse und dass der Rat daraufhin durch drei aufeinanderfolgende Beschlüsse zu jedem dieser Aspekte Stellung nehmen müsse. So müsse die Kommission zunächst gemäß den Art. 3 und 4 dieser Verordnung einen Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit feststellen. Sodann sei im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung zu ermitteln, ob dieser Verstoß einen hinreichend engen Zusammenhang mit dem Unionshaushalt oder dem Schutz der finanziellen Interessen der Union aufweise. Schließlich sei zu prüfen, ob gemäß Art. 5 der Verordnung ein Beschluss zur Festlegung der für notwendig erachteten Maßnahmen zum Schutz des Haushalts der Union zu erlassen sei.

86

Von diesen drei Beschlüssen berührten der erste und der dritte den Anwendungsbereich von Art. 7 EUV. Die in Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 der angefochtenen Verordnung vorgesehene Feststellung eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit stimme nämlich im Wesentlichen mit der Feststellung überein, die der Rat und der Europäische Rat gemäß Art. 7 Abs. 1 und 2 EUV zu treffen hätten, während der Erlass von Maßnahmen nach Art. 5 dieser Verordnung eine Option sei, die parallel zu der in Art. 7 Abs. 3 EUV vorgesehenen Option bestehe, bestimmte Rechte des betreffenden Mitgliedstaats auszusetzen; diese Aussetzung könne sich nämlich auch auf die dem betreffenden Mitgliedstaat zustehenden Haushaltsmittel beziehen.

87

Die Tatsache, dass die Maßnahmen, die nach der angefochtenen Verordnung getroffen werden könnten, mit der Verletzung eines der in Art. 2 EUV genannten Werte zusammenhingen, werde durch Art. 5 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 8 dieser Verordnung bestätigt, wonach bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen die Art, die Dauer, die Schwere und der Umfang des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit sowie die maßgeblichen Quellen gebührend zu berücksichtigen seien. Daher seien sowohl die Kommission als auch der Rat verpflichtet, gründlich zu prüfen, ob und in welchem Umfang ein solcher Verstoß vorliege, wobei diese Prüfung nur auf der Grundlage von Art. 7 EUV erfolgen könne.

88

Ungarn führt mit Unterstützung der Republik Polen weiter aus, dass Art. 7 EUV ein Sanktionsverfahren verfassungsrechtlicher Art gegen einen bestimmten Mitgliedstaat vorsehe. Die Mitgliedstaaten als verfassungsgebende Gewalt hätten dieses Verfahren im EU‑Vertrag wegen der politischen Dimension der davon erfassten Bereiche – die nicht zwangsläufig in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen, wie etwa im Fall von Bereichen, die die Arbeitsweise der Behörden und der Organe der Mitgliedstaaten beträfen – abschließend geregelt.

89

Die Tatsache, dass bei einem Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ausschließlich das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren in Betracht komme, werde durch die Rn. 18 und 24 des Gutachtens Nr. 10296/14 des Juristischen Dienstes des Rates vom 27. Mai 2014 bestätigt, in dem geprüft werde, ob die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Ein neuer Rahmen [der Union] zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips“ mit den Verträgen vereinbar sei. In der angefochtenen Verordnung werde zwar mühsam versucht, einen Zusammenhang zwischen der Prüfung etwaiger Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Ausführung des Haushaltsplans der Union herzustellen, doch bestehe das wahre Ziel dieser Verordnung, wie sich aus der Begründung des Vorschlags der Kommission ergebe, der zum Erlass der Verordnung geführt habe, darin, die Beachtung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu prüfen und Sanktionen anzuwenden, wenn festgestellt werde, dass ein Mitgliedstaat diese Grundsätze missachte.

90

Als Zweites vertritt Ungarn die Auffassung, die angefochtene Verordnung verstoße gegen die in Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 EUV niedergelegten Grundsätze der Zuständigkeitsverteilung und der begrenzten Einzelermächtigung, da sie es den Unionsorganen erlaube, nationale Sachverhalte und Einrichtungen zu überprüfen, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen. Aus dieser Verordnung gehe nämlich nicht klar hervor, dass die Prüfung von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die Bereiche beschränkt wäre, die in die Zuständigkeit der Union fielen. Einige der in ihren Art. 3 und 4 dargelegten Situationen könnten sich im Übrigen auf Verstöße beziehen, die nicht auf diese Bereiche beschränkt seien.

91

Gemäß den genannten Grundsätzen der Zuständigkeitsverteilung und der begrenzten Einzelermächtigung sei eine solche Prüfung, die über die Zuständigkeitsbereiche der Union hinausgehe, jedoch allein für die Zwecke einer primärrechtlichen Bestimmung wie Art. 7 EUV und nach dem darin festgelegten Verfahren zulässig. Die angefochtene Verordnung könne hingegen nicht auf eine solche primärrechtliche Bestimmung gestützt werden, so dass davon auszugehen sei, dass mit dieser Verordnung eine Abweichung von der in den Verträgen verankerten allgemeinen Regelung der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten eingeführt werde. Zudem komme das in der angefochtenen Verordnung vorgesehene Verfahren auch dann in Betracht, wenn die behaupteten Verstöße weder schwerwiegend noch anhaltend seien, wohingegen das in Art. 7 Abs. 1 und 2 EUV vorgesehene Verfahren nur Situationen betreffe, die von einer offenkundigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte bzw. einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung dieser Werte zeugten.

92

Ungarn trägt mit Unterstützung der Republik Polen schließlich vor, dass die in Anwendung der angefochtenen Verordnung durchgeführte Prüfung zwar in bestimmter Hinsicht einen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts oder dem Schutz der finanziellen Interessen der Union aufweisen könne, dies jedoch nicht bedeute, dass die untersuchten Situationen allein aufgrund dieses Zusammenhangs zwangsläufig als in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallend anzusehen seien. Die Untersuchung der Frage, ob ein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit vorliege, erfolge in der ersten Phase der Prüfung, während der Zusammenhang mit dem Unionshaushalt erst am Ende der zweiten Phase festgestellt werden könne. Die angefochtene Verordnung lasse es folglich zu, dass in Situationen, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen, festgestellt werde, dass ein Mitgliedstaat gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe.

93

Als Drittes trägt Ungarn vor, die angefochtene Verordnung verletze das in Art. 7 und Art. 13 Abs. 2 EUV sowie Art. 269 AEUV verankerte institutionelle Gleichgewicht sowie die Rechte, die sich für den betroffenen Mitgliedstaat aus der erstgenannten Bestimmung ergäben.

94

Insoweit gewähre die angefochtene Verordnung im Gegensatz zu Art. 7 EUV allein der Kommission das Initiativrecht für die Feststellung eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit. Für die Abstimmung im Rat verlange sie eine andere Mehrheit als die in Art. 7 EUV vorgesehene. Außerdem müsse das Parlament nach dieser Verordnung lediglich unterrichtet werden, während ihm nach Art. 7 Abs. 1 und 2 EUV ein Zustimmungsrecht zustehe; dem Europäischen Rat wiederum werde überhaupt keine Kompetenz zugewiesen. Da ein Beschluss des Rates, der Maßnahmen nach der angefochtenen Verordnung vorsehe, mit qualifizierter Mehrheit erlassen werde, sei die Verfahrensposition des betroffenen Mitgliedstaats geschwächt, insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass im Rahmen von Art. 7 Abs. 2 und 3 EUV der Erlass von Maßnahmen nach dieser Bestimmung einen einstimmig gefassten Beschluss des Europäischen Rates voraussetze.

95

Die angefochtene Verordnung entspreche somit der Absicht des Unionsgesetzgebers, die in der Begründung des Vorschlags der Kommission, der zum Erlass dieser Verordnung geführt habe, zum Ausdruck komme, nämlich einen „leichteren“, „schnelleren“ und „effizienteren“ Weg zur Feststellung und Ahndung von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu schaffen. Hierbei übertrage diese Verordnung abweichend von Art. 7 EUV dem Rat, der Kommission und dem Gerichtshof neue Zuständigkeiten, die es dem Gerichtshof insbesondere ermöglichten, unter Verstoß gegen Art. 269 AEUV die materielle Rechtmäßigkeit von Beschlüssen zu prüfen, mit denen Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festgestellt würden. Die Verordnung laufe folglich dem ausdrücklichen Willen der Mitgliedstaaten als Verfasser der Verträge zuwider, bei Klagen gegen einen nach Art. 7 EUV erlassenen Rechtsakt des Europäischen Rates oder des Rates die Zuständigkeit des Gerichtshofs auf Verfahrensfragen zu beschränken.

96

Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission, treten diesem Vorbringen entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

97

Mit seinen ersten beiden Klagegründen macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen im Wesentlichen zum einen geltend, dass weder Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV noch irgendeine andere Bestimmung des AEU‑Vertrags eine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Verordnung, insbesondere ihrer Art. 2 bis 4 sowie ihres Art. 5 Abs. 2, darstellen könne. Zum anderen umgehe das mit dieser Verordnung eingeführte Verfahren das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren, obwohl dieses zum Schutz der in Art. 2 EUV genannten Werte ausschließlich anwendbar sei, und untergrabe die in Art. 269 AEUV geregelte Einschränkung der Zuständigkeiten des Gerichtshofs.

1) Zur Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung

98

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV das Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Verordnungen nach Anhörung des Rechnungshofs „die Haushaltsvorschriften, in denen insbesondere die Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplans sowie die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung im Einzelnen geregelt werden“, erlassen.

99

Solche Haushaltsvorschriften sind dazu bestimmt, sämtliche von Titel II („Finanzvorschriften“) des Sechsten Teils („Institutionelle Bestimmungen und Finanzvorschriften“) des AEU‑Vertrags erfassten Aspekte, die mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union zusammenhängen, und damit diese Ausführung im weiten Sinne zu regeln.

100

Abgesehen davon, dass Art. 322 AEUV zu Kapitel 5 („Gemeinsame Bestimmungen“) dieses Titels II gehört, ist nämlich auch festzustellen, dass Art. 310 Abs. 2 und 3 AEUV, der sich im einleitenden Teil des Titels II befindet, Art. 315 Abs. 1 und 2 und Art. 316 Abs. 1 und 2 AEUV, die zu Kapitel 3 („Der Jahreshaushaltsplan der Union“) dieses Titels gehören, sowie Art. 317 AEUV, der in Kapitel 4 („Ausführung des Haushaltsplans und Entlastung“) dieses Titels steht, Verweise auf diese Bestimmung enthalten.

101

Die Art. 310 und 315 bis 317 AEUV weisen aber allesamt einen Bezug zur Ausführung des Haushaltsplans der Union auf.

102

So bestimmt Art. 310 AEUV in Abs. 1, dass alle Einnahmen und Ausgaben der Union für jedes Haushaltsjahr veranschlagt und in den Haushaltsplan eingesetzt werden, und sieht in Abs. 3 vor, dass die Ausführung der in den Haushaltsplan eingesetzten Ausgaben den Erlass eines verbindlichen Rechtsakts der Union voraussetzt, mit dem die Maßnahme der Union und die Ausführung der entsprechenden Ausgabe entsprechend der Verordnung nach Art. 322 AEUV eine Rechtsgrundlage erhalten, soweit nicht diese Verordnung Ausnahmen vorsieht. Außerdem verlangt Art. 310 Abs. 5 AEUV, dass der Haushaltsplan entsprechend dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung ausgeführt wird und dass die Mitgliedstaaten mit der Union zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die in den Haushaltsplan eingesetzten Mittel nach diesem Grundsatz verwendet werden.

103

Art. 315 AEUV sieht in seinem Abs. 1 vor, dass, wenn zu Beginn eines Haushaltsjahres der Haushaltsplan noch nicht endgültig erlassen ist, nach der gemäß Art. 322 AEUV festgelegten Haushaltsordnung für jedes Kapitel monatliche Ausgaben bis zur Höhe eines Zwölftels der im betreffenden Kapitel des Haushaltsplans des vorangegangenen Haushaltsjahres eingesetzten Mittel vorgenommen werden können, die jedoch ein Zwölftel der Mittelansätze des gleichen Kapitels des Haushaltsplanentwurfs nicht überschreiten dürfen. Art. 316 AEUV betrifft die Übertragung von Mitteln, die bis zum Ende der Durchführungszeit eines Haushaltsplans nicht verbraucht worden sind, auf das nächste Haushaltsjahr.

104

Art. 317 AEUV bestimmt namentlich, dass die Kommission den Haushaltsplan zusammen mit den Mitgliedstaaten gemäß der nach Art. 322 AEUV festgelegten Haushaltsordnung in eigener Verantwortung und im Rahmen der zugewiesenen Mittel entsprechend dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung ausführt. Er verlangt außerdem, dass die Mitgliedstaaten mit der Kommission zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Mittel nach diesem Grundsatz verwendet werden, und stellt klar, dass eine gemäß Art. 322 AEUV festgelegte Haushaltsordnung die Kontroll- und Wirtschaftsprüfungspflichten der Mitgliedstaaten bei der Ausführung des Haushaltsplans sowie die damit verbundenen Verantwortlichkeiten regelt.

105

Daraus folgt, dass die in Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV – betrachtet im Licht der in Rn. 101 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen – vorgesehenen Haushaltsvorschriften, in denen „insbesondere“ die Ausführung des Haushaltsplans sowie die Rechnungslegung und Rechnungsprüfung „im Einzelnen“ geregelt werden, nicht nur Vorschriften umfassen, die die Art und Weise regeln, wie die in den Haushaltsplan eingesetzten Ausgaben als solche getätigt werden, sondern insbesondere auch Vorschriften zur Festlegung sowohl der Kontroll- und Wirtschaftsprüfungspflichten, die den Mitgliedstaaten obliegen, wenn die Kommission den Haushaltsplan zusammen mit ihnen ausführt, als auch der damit verbundenen Verantwortlichkeiten. Insbesondere ist klar ersichtlich, dass mit diesen Haushaltsvorschriften nicht zuletzt sichergestellt werden soll, dass bei der Ausführung des Haushaltsplans der Union der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung beachtet wird, und zwar auch von den Mitgliedstaaten.

106

Im Licht dieser Erwägungen ist im vorliegenden Fall zu prüfen, ob Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV die geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass der angefochtenen Verordnung darstellen konnte.

107

Nach ständiger Rechtsprechung muss die Wahl der Rechtsgrundlage eines Unionsrechtsakts auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören (Urteile vom 3. Dezember 2019, Tschechische Republik/Parlament und Rat, C‑482/17, EU:C:2019:1035, Rn. 31, vom 8. Dezember 2020, Ungarn/Parlament und Rat, C‑620/18, EU:C:2020:1001, Rn. 38, sowie vom 8. Dezember 2020, Polen/Parlament und Rat, C‑626/18, EU:C:2020:1000, Rn. 43).

108

Auch kann zur Bestimmung der richtigen Rechtsgrundlage der rechtliche Zusammenhang, in den sich eine neue Regelung einfügt, berücksichtigt werden, insbesondere soweit dieser Zusammenhang Aufschluss über das Ziel dieser Regelung zu geben vermag (Urteile vom 3. Dezember 2019, Tschechische Republik/Parlament und Rat, C‑482/17, EU:C:2019:1035, Rn. 32, vom 8. Dezember 2020, Ungarn/Parlament und Rat, C‑620/18, EU:C:2020:1001, Rn. 39, sowie vom 8. Dezember 2020, Polen/Parlament und Rat, C‑626/18, EU:C:2020:1000, Rn. 44).

109

Im vorliegenden Fall macht Ungarn hinsichtlich der als Erstes zu prüfenden Frage, ob die angefochtene Verordnung in Anbetracht ihrer Zielsetzung auf Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Rechtsgrundlage beruhen kann, mit Unterstützung der Republik Polen geltend, diese Verordnung ziele letztlich darauf ab, sowohl der Kommission und dem Rat zu gestatten, die Einhaltung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit durch die Mitgliedstaaten zu prüfen, als auch für den Fall der Feststellung von Verstößen gegen diese Grundsätze die Anwendung von Sanktionen mittels des Unionshaushalts zu erlauben. Dieses Ziel ergebe sich auch aus der Begründung des Vorschlags der Kommission, der zum Erlass der angefochtenen Verordnung geführt habe.

110

Insoweit ist erstens festzustellen, dass in der angefochtenen Verordnung gemäß ihrem Art. 1 „die Regeln festgelegt [sind], die zum Schutz des Haushalts der Union im Falle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten erforderlich sind“. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass die angefochtene Verordnung darauf abzielt, den Unionshaushalt vor Beeinträchtigungen zu schützen, die sich daraus ergeben können, dass in einem Mitgliedstaat gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen wird.

111

Zweitens ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung von Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung, dass das Verfahren, das für die Annahme „geeigneter Maßnahmen“ zum Schutz des Unionshaushalts vorgesehen ist, von der Kommission nur dann eingeleitet werden kann, wenn ihrer Auffassung nach hinreichende Gründe nicht nur für die Feststellung vorliegen, dass in einem Mitgliedstaat gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen wird, sondern vor allem auch für die Feststellung, dass diese Verstöße die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen.

112

Ferner geht aus Art. 5 Abs. 1 und 3 dieser Verordnung hervor, dass diese geeigneten Maßnahmen im Wesentlichen darin bestehen, dass Zahlungen, die Umsetzung rechtlicher Verpflichtungen, die Auszahlung von Tranchen, ein wirtschaftlicher Vorteil im Rahmen eines garantierten Instruments oder die Genehmigung von Programmen oder Verpflichtungen ausgesetzt werden, dass rechtliche Verpflichtungen gekündigt werden, dass das Eingehen neuer rechtlicher Verpflichtungen oder der Abschluss neuer Vereinbarungen verboten werden, dass garantierte Darlehen vorzeitig zurückgezahlt werden müssen, dass ein wirtschaftlicher Vorteil im Rahmen eines garantierten Instruments verringert wird, dass Mittelbindungen oder Vorfinanzierungen reduziert werden oder dass Zahlungsfristen unterbrochen werden. Die Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein, d. h. sich auf das beschränken, was unter Berücksichtigung der tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die Führung des Unionshaushalts oder auf die finanziellen Interessen der Union unbedingt erforderlich ist.

113

Nach Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 der angefochtenen Verordnung schlägt die Kommission dem Rat die Aufhebung der angenommenen Maßnahmen vor, wenn die Voraussetzungen gemäß Art. 4 dieser Verordnung nicht mehr erfüllt sind, also insbesondere dann, wenn eine Beeinträchtigung oder ernsthafte drohende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts oder des Schutzes der finanziellen Interessen der Union nicht mehr besteht. Wie der Generalanwalt in Nr. 185 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, müssen die Maßnahmen demnach aufgehoben werden, sobald keine Auswirkung auf den Haushaltsvollzug mehr besteht, selbst wenn die festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit möglicherweise fortdauern.

114

Die Tatsache, dass sich die Arten der in Betracht kommenden Maßnahmen, die Kriterien für deren Auswahl und Umfang sowie die Voraussetzungen für die Annahme und die Aufhebung der Maßnahmen allesamt danach richten, ob eine Beeinträchtigung oder ernsthaft drohende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts oder des Schutzes der finanziellen Interessen der Union vorliegt, stützt die Feststellung, dass die angefochtene Verordnung den Zweck verfolgt, den Unionshaushalt in seinem Vollzug zu schützen.

115

Im Übrigen ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung bei einer Betrachtung im Licht von Abs. 4 dieses Artikels sowie des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung, dass diese Bestimmung nicht etwa, wie Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend macht, darauf abzielt, einen Mitgliedstaat wegen Verstoßes gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit mit einer Sanktion zu belegen, sondern darauf, die berechtigten Interessen von Endempfängern und Begünstigten zu wahren, wenn nach dieser Verordnung geeignete Maßnahmen gegenüber einem Mitgliedstaat getroffen werden. Diese Bestimmung regelt somit die Folgen solcher Maßnahmen gegenüber Dritten. Mithin vermag sie nicht die Behauptung zu stützen, dass die angefochtene Verordnung nicht darauf abziele, den Unionshaushalt zu schützen, sondern darauf, in einem Mitgliedstaat begangene Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit als solche zu ahnden.

116

Drittens bestätigen, wie der Generalanwalt in Nr. 130 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Erwägungsgründe der angefochtenen Verordnung den mit dieser Verordnung verfolgten Zweck, wie er sich aus ihrem Art. 1 ergibt, nämlich den Schutz des Unionshaushalts. In den Erwägungsgründen 2 und 7 bis 9 der Verordnung wird nämlich insbesondere Folgendes ausgeführt: Der Europäische Rat habe erklärt, dass die finanziellen Interessen der Union im Einklang mit den in Art. 2 EUV genannten Werten zu schützen seien; bei der Ausführung des Haushaltsplans der Union durch die Mitgliedstaaten sei die Achtung der Rechtsstaatlichkeit eine Grundvoraussetzung für die Einhaltung des in Art. 317 AEUV verankerten Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung; eine wirtschaftliche Haushaltsführung könne von den Mitgliedstaaten nur gewährleistet werden, wenn die Behörden im Einklang mit dem Gesetz handelten, Gesetzesverstöße wirksam verfolgt würden und willkürliche oder unrechtmäßige Entscheidungen von Behörden einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle unterworfen werden könnten; die Unabhängigkeit und die Unparteilichkeit der Justiz sowie der Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen stellten eine unabdingbare Mindestgarantie gegen unrechtmäßige und willkürliche Entscheidungen von Behörden dar, die den finanziellen Interessen der Union schaden könnten. Dem 13. Erwägungsgrund zufolge besteht daher in diesem Kontext „ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Achtung der Rechtsstaatlichkeit und der effizienten Ausführung des Haushaltsplans der Union im Einklang mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung“, und im 15. Erwägungsgrund wird ausgeführt, dass „Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere jene, die das ordnungsgemäße Funktionieren der Behörden und die wirksame gerichtliche Kontrolle beeinträchtigen, … den finanziellen Interessen der Union schweren Schaden zufügen [können]“.

117

Im 14. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung heißt es zwar, dass der in dieser Verordnung vorgesehene Mechanismus die Instrumente, die der Förderung der Rechtsstaatlichkeit und ihrer Anwendung dienen, „ergänzt“, doch wird klargestellt, dass dieser Mechanismus zu dieser Förderung beiträgt, „indem er den Haushalt der Union vor Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit schützt, die die wirtschaftliche Haushaltsführung der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen beeinträchtigen“.

118

Viertens hat die Kommission in der Begründung ihres Vorschlags, der zum Erlass der angefochtenen Verordnung geführt hat, zwar darauf hingewiesen, dass die Union aufgefordert worden sei, Maßnahmen zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit, d. h. Maßnahmen, die die Achtung des Rechtsstaatsprinzips gewährleisten, zu ergreifen. In derselben Begründung hat die Kommission ihren Vorschlag jedoch mit der Notwendigkeit gerechtfertigt, „die finanziellen Interessen der Union vor einem finanziellen Schaden zu schützen, der in einem Mitgliedstaat durch generelle Mängel in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip verursacht wird“.

119

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, dass das Ziel der angefochtenen Verordnung entgegen dem, was Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend macht, darin besteht, den Unionshaushalt vor Beeinträchtigungen zu schützen, die sich hinreichend unmittelbar aus in einem Mitgliedstaat begangenen Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ergeben, und nicht etwa darin, derartige Verstöße als solche zu ahnden.

120

Dieses Ziel steht im Einklang mit dem insbesondere in Art. 310 Abs. 5 AEUV statuierten Erfordernis, wonach der Haushaltsplan der Union entsprechend dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung auszuführen ist. Dieses Erfordernis gilt für sämtliche in Titel II des Sechsten Teils des AEU‑Vertrags enthaltenen Bestimmungen, die die Ausführung des Haushaltsplans der Union betreffen, und somit auch für Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV.

121

Was die als Zweites zu prüfende Frage betrifft, ob die angefochtene Verordnung ihrem Inhalt nach auf Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Rechtsgrundlage beruhen kann, macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen im Wesentlichen geltend, dies könne insbesondere bei den Art. 2 bis 4 und bei Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung nicht der Fall sein. Erstens erlaube es Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV weder den Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ noch den Begriff „Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit“ zu definieren. Zweitens sei der Zusammenhang zwischen Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und dem Unionshaushalt zu lose. Wenn man einen solchen Zusammenhang bejahe, könnten letztlich jeder Bereich des Unionsrechts sowie wichtige Aspekte der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten mit dem Unionshaushalt in Verbindung gebracht werden. Drittens betreffe Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung weder den Haushaltsplan der Union noch dessen Ausführung, sondern die Haushalte der Mitgliedstaaten. Viertens erlaubten die Art. 2 bis 4 dieser Verordnung den Unionsorganen, nationale Sachverhalte und Einrichtungen zu untersuchen, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen.

122

Hierzu ist erstens festzustellen, dass sich die Parteien des Verfahrens darüber einig sind, dass ein „Konditionalitätsmechanismus“, der den Erhalt von Mitteln aus dem Unionshaushalt von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig macht, unter den Begriff „Haushaltsvorschriften“ im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV fallen kann.

123

Während Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen die Auffassung vertritt, dass eine solche Voraussetzung in engem Zusammenhang entweder mit einem der Ziele eines bestimmten Programms oder einer bestimmten Maßnahme der Union oder mit der wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts stehen müsse, sind das Parlament und der Rat – unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission – hingegen der Ansicht, dass ein solcher Mechanismus auch den Charakter einer „horizontalen Konditionalität“ haben könne, nämlich dahin gehend, dass die fragliche Voraussetzung mit dem in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit zusammenhängen könne, der in allen Tätigkeitsbereichen der Union zu achten sei.

124

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich die Union nach Art. 2 EUV auf Werte gründet, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, darunter die Rechtsstaatlichkeit, und dass gemäß Art. 49 EUV die Achtung dieser Werte für den Beitritt jedes europäischen Staates, der Mitglied der Union werden möchte, eine Vorbedingung darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 160 und 161 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

125

Wie nämlich im fünften Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung ausgeführt wird, tritt ein Kandidatenland, wenn es ein Mitgliedstaat wird, einer rechtlichen Konstruktion bei, die auf der grundlegenden Prämisse beruht, dass jeder Mitgliedstaat die in Art. 2 EUV genannten gemeinsamen Werte, auf die sich die Union gründet, mit allen anderen Mitgliedstaaten teilt und anerkennt, dass sie sie mit ihm teilen. Diese Prämisse gehört zu den besonderen und wesentlichen Merkmalen des Unionsrechts, die mit dessen Eigenart zusammenhängen und sich aus der Autonomie ergeben, die das Unionsrecht gegenüber den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und dem Völkerrecht genießt. Sie impliziert und rechtfertigt die Existenz gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten in die Anerkennung dieser Werte und damit in die Beachtung des Unionsrechts, mit dem sie umgesetzt werden (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/13 [Beitritt der Union zur EMRK] vom 18. Dezember 2014, EU:C:2014:2454, Rn. 166 bis 168, sowie Urteile vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses, C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 30, und vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 62). Im genannten Erwägungsgrund heißt es außerdem, dass die Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten weiterhin im Einklang mit den gemeinsamen Werten stehen sollten, auf die sich die Union gründet.

126

Daraus folgt, dass die Achtung der in Art. 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat eine Voraussetzung für den Genuss aller Rechte ist, die sich aus der Anwendung der Verträge auf diesen Mitgliedstaat ergeben (Urteile vom 20. April 2021, Repubblika, C‑896/19, EU:C:2021:311, Rn. 63, vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 162, sowie vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 162). Die Achtung dieser Werte kann nämlich nicht auf eine Verpflichtung reduziert werden, der ein Beitrittskandidat im Hinblick auf seinen Beitritt zur Union unterläge und der er danach wieder entsagen könnte.

127

Die in Art. 2 EUV genannten Werte wurden von den Mitgliedstaaten festgelegt und sind ihnen gemeinsam. Sie geben der Union als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge. Somit muss die Union auch in der Lage sein, diese Werte im Rahmen der ihr durch die Verträge übertragenen Aufgaben zu verteidigen.

128

Daraus folgt, dass der Wert der Rechtsstaatlichkeit, der der Union und den Mitgliedstaaten gemeinsam ist und zu den elementaren Grundlagen der Union und ihrer Rechtsordnung gehört, im Einklang mit dem in Art. 5 Abs. 2 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung sowie dem in Art. 7 AEUV vorgesehenen Grundsatz der Kohärenz der Unionspolitik als Basis für einen Konditionalitätsmechanismus dienen kann, der vom Begriff „Haushaltsvorschriften“ im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV gedeckt ist.

129

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Unionshaushalt eines der wichtigsten Instrumente ist, mit denen in den Politiken und Maßnahmen der Union der in Art. 2 EUV genannte Grundsatz der Solidarität konkretisiert werden kann, der seinerseits einer der tragenden Grundsätze des Unionsrechts ist (vgl. entsprechend Urteil vom 15. Juli 2021, Deutschland/Polen, C‑848/19 P, EU:C:2021:598, Rn. 38). Soweit dieser Grundsatz mittels des Unionshaushalts umgesetzt wird, basiert dies auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten in die verantwortungsvolle Verwendung der in diesen Haushalt eingeflossenen gemeinsamen Mittel. Dieses gegenseitige Vertrauen beruht seinerseits, wie in Rn. 125 des vorliegenden Urteils ausgeführt, auf der Zusage jedes einzelnen Mitgliedstaats, seinen Verpflichtungen aus dem Unionsrecht nachzukommen und – wie es im Übrigen der fünfte Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung besagt – die in Art. 2 EUV genannten Werte, zu denen der Wert der Rechtsstaatlichkeit zählt, dauerhaft zu achten.

130

Außerdem besteht, wie es im 13. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung heißt, ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Achtung des Wertes der Rechtsstaatlichkeit einerseits und der effizienten, im Einklang mit dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung erfolgenden Ausführung des Haushaltsplans der Union sowie dem Schutz der finanziellen Interessen der Union andererseits.

131

Die Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und die finanziellen Interessen der Union können nämlich durch in einem Mitgliedstaat begangene Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit schwer beeinträchtigt werden, da solche Verstöße u. a. zur Folge haben können, dass keine Gewähr dafür besteht, dass vom Unionshaushalt gedeckte Ausgaben allen unionsrechtlich vorgesehenen Finanzierungsbedingungen genügen und damit den Zielen entsprechen, die die Union verfolgt, wenn sie solche Ausgaben finanziert.

132

Insbesondere kann die Einhaltung dieser Bedingungen und Ziele als Elemente des Unionsrechts nicht in vollem Umfang gewährleistet werden, wenn es an einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle fehlt, die darauf ausgerichtet ist, für die Einhaltung des Unionsrechts zu sorgen. Das Bestehen einer solchen Kontrolle durch unabhängige Gerichte, sowohl in den Mitgliedstaaten und als auch auf Unionsebene, ist ein wesentliches Merkmal von Rechtsstaatlichkeit (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 219 und 222).

133

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass entgegen dem, was Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen vorträgt, ein Konditionalitätsmechanismus auch dann unter den Begriff „Haushaltsvorschriften“ im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV fallen kann, wenn er für den Erhalt von Mitteln aus dem Unionshaushalt eine horizontale Konditionalität einführt, die darauf abstellt, dass ein Mitgliedstaat den in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit achtet, und die sich auf die Ausführung des Haushaltsplans der Union bezieht.

134

Ein ebensolcher Mechanismus der horizontalen Konditionalität wird durch Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung eingeführt, soweit darin vorgesehen ist, dass geeignete Maßnahmen zu ergreifen sind, wenn festgestellt wird, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen.

135

Aus Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung ergibt sich nämlich, dass in dieser Vorschrift die in Betracht kommenden „geeigneten Maßnahmen“ abschließend aufgezählt werden. Diese sind in Rn. 112 des vorliegenden Urteils zusammengefasst worden und beziehen sich tatsächlich allesamt auf die Ausführung des Haushaltsplans der Union.

136

Was die in Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung genannte Voraussetzung anbelangt, dass „Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit“ vorliegen, bestimmt Art. 2 Buchst. a dieser Verordnung, dass der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ im Sinne dieser Verordnung den „in Artikel 2 EUV verankerten Wert der Union“ bezeichnet. Weiter heißt es, dass dieser Begriff die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, der Rechtssicherheit, des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt, des wirksamen Rechtsschutzes, der Gewaltenteilung sowie der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz umfasst. In derselben Bestimmung wird aber auch hervorgehoben, dass der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“, wie er für die Zwecke der Anwendung dieser Verordnung definiert ist, „so zu verstehen [ist], dass auch die anderen in Artikel 2 EUV verankerten Werte und Grundsätze der Union berücksichtigt werden“. Daraus folgt, dass die Achtung dieser Werte und Grundsätze insofern, als diese zur Definition des in Art. 2 EUV genannten Wertes der „Rechtsstaatlichkeit“ beitragen oder, wie sich aus Satz 2 dieses Artikels ergibt, eng mit einer Gesellschaft verbunden sind, die die Rechtsstaatlichkeit achtet, im Rahmen eines Mechanismus der horizontalen Konditionalität wie des mit der angefochtenen Verordnung eingeführten verlangt werden kann.

137

Was Art. 3 der angefochtenen Verordnung anbelangt, in dem Fälle angeführt werden, die ein Hinweis auf Verstöße gegen diese Grundsätze sein können, darunter das Versäumnis, sicherzustellen, dass keine Interessenkonflikte bestehen, so zielt diese Bestimmung, wie der Generalanwalt in den Nrn. 152 und 280 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, darauf ab, die Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern.

138

Aus Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung wiederum geht hervor, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nur dann unter den in Abs. 1 dieses Artikels vorgesehenen Mechanismus der horizontalen Konditionalität fallen können, wenn sie die in den Buchst. a bis h dieses Abs. 2 aufgeführten Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden betreffen, soweit sie für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind.

139

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 2 Buchst. a, Art. 3, Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung grundlegende Bestandteile des in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Mechanismus der horizontalen Konditionalität sind, da sie die zu seiner Durchführung erforderlichen Definitionen enthalten, seinen Anwendungsbereich präzisieren und die Maßnahmen vorsehen, zu denen er führen kann. Diese Bestimmungen sind somit fester Bestandteil dieses Mechanismus und fallen folglich unter den Begriff „Haushaltsvorschriften“ im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV.

140

Zweitens wird diese Feststellung nicht durch das von der Republik Polen unterstützte Vorbringen Ungarns entkräftet, dass die Art. 2 bis 4 der angefochtenen Verordnung den Unionsorganen erlaubten, Situationen in den Mitgliedstaaten zu prüfen, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen.

141

Wie in Rn. 111 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ergibt sich nämlich aus einer Gesamtbetrachtung von Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung, dass das Verfahren, das für die Annahme „geeigneter Maßnahmen“ zum Schutz des Unionshaushalts vorgesehen ist, von der Kommission nur dann eingeleitet werden kann, wenn ihrer Auffassung nach hinreichende Gründe nicht nur für die Feststellung vorliegen, dass in einem Mitgliedstaat gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen worden ist, sondern vor allem auch für die Feststellung, dass diese Verstöße die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen.

142

Außerdem geht, wie in Rn. 138 des vorliegenden Urteils festgestellt, aus Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung hervor, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nur dann unter den in Abs. 1 dieses Artikels vorgesehenen Mechanismus der horizontalen Konditionalität fallen können, wenn sie die in den Buchst. a bis h dieses Abs. 2 aufgeführten Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden betreffen, soweit sie für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind.

143

Diese Bedeutung kann indessen vermutet werden, wenn es um die Tätigkeit der von Art. 4 Abs. 2 Buchst. a und b der angefochtenen Verordnung erfassten Behörden geht, die den Haushaltsplan der Union ausführen bzw. die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung durchführen. Was die Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen anbelangt, so wird ihr ordnungsgemäßes Arbeiten von Buchst. c dieses Absatzes nur insoweit erfasst, als es Verstöße gegen das Unionsrecht betrifft, die im Zusammenhang mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union oder dem Schutz ihrer finanziellen Interessen stehen. Gleiches gilt für die Verhütung und Ahndung der in Buchst. e genannten Verstöße gegen das Unionsrecht durch nationale Gerichte oder Verwaltungsbehörden. Die gerichtliche Kontrolle im Sinne von Buchst. d ist nur insoweit erfasst, als sie das in den Buchst. a bis c genannte Verhalten der Behörden betrifft. Die in Buchst. f vorgesehene Wiedereinziehung rechtsgrundlos gezahlter Beträge bezieht sich nur auf Beträge, die aus dem Unionshaushalt stammen, was auch bei der in Buchst. g genannten Zusammenarbeit mit dem OLAF und der EUStA der Fall ist. Schließlich bezieht sich Buchst. h ausdrücklich auf andere Umstände und Verhaltensweisen von Behörden, die für die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder den Schutz ihrer finanziellen Interessen von Bedeutung sind.

144

Daraus folgt, dass entgegen dem, was Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend macht, zum einen die angefochtene Verordnung den Unionsorganen eine Prüfung von Situationen in den Mitgliedstaaten nur insoweit erlaubt, als diese für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind, und zum anderen geeignete Maßnahmen nach dieser Verordnung nur dann ergriffen werden können, wenn festgestellt wird, dass in solchen Situationen ein Verstoß gegen einen der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, der diese wirtschaftliche Haushaltsführung oder den Schutz dieser finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht.

145

Diese Situationen, die für die Ausführung des Haushaltsplans der Union von Bedeutung sind, fallen aber nicht nur in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, sondern können, wie in Rn. 133 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, auch von Haushaltsvorschriften im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV erfasst sein, die einen Mechanismus der horizontalen Konditionalität bilden, wonach es darauf ankommt, dass ein Mitgliedstaat den Wert der Rechtsstaatlichkeit achtet.

146

Drittens wird entgegen dem von der Republik Polen unterstützten Vorbringen Ungarns dadurch, dass ein Mechanismus der horizontalen Konditionalität, der die in Rn. 133 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien erfüllt – die dahin gehen, dass ein Mitgliedstaat den in Art. 2 EUV genannten Wert der Rechtsstaatlichkeit achten muss, und sich auf die Ausführung des Haushaltsplans der Union beziehen –, unter den Begriff „Haushaltsvorschriften, in denen insbesondere die … Ausführung des Haushaltsplans … im Einzelnen geregelt [wird]“ im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV fallen kann, die Bedeutung dieses Begriffs nicht über das für die ordnungsgemäße Ausführung des Haushaltsplans der Union Erforderliche hinaus ausgedehnt.

147

Art. 4 der angefochtenen Verordnung beschränkt nämlich in Abs. 2 den Anwendungsbereich des mit dieser Verordnung eingeführten Konditionalitätsmechanismus auf Umstände und Verhaltensweisen von Behörden, die mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union zusammenhängen, und schreibt in Abs. 1 vor, dass geeignete Maßnahmen nur erlassen werden, wenn Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit vorliegen, die die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. Nach der letztgenannten Voraussetzung muss also ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen diesen Verstößen und einer solchen Beeinträchtigung bzw. ernsthaft drohenden Beeinträchtigung festgestellt werden.

148

Insoweit ist hervorzuheben, dass bei der Anwendung von Art. 4 Abs. 1 und 2 der angefochtenen Verordnung die in Art. 6 Abs. 1 bis 9 dieser Verordnung festgelegten verfahrensrechtlichen Anforderungen zu erfüllen sind, die, wie im 26. Erwägungsgrund der Verordnung ausgeführt wird, die Kommission dazu verpflichten, bei der Prüfung, ob die Annahme geeigneter Maßnahmen gerechtfertigt ist, einen evidenzbasierten Ansatz zu verfolgen und die Grundsätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen zu beachten.

149

Was speziell die Feststellung und die Bewertung von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit anbelangt, heißt es im 16. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung, dass diese Bewertung objektiv, unparteiisch und fair sein muss. Überdies unterliegt die Einhaltung all dieser Verpflichtungen einer umfassenden gerichtlichen Kontrolle durch den Gerichtshof.

150

Was viertens die Frage betrifft, ob Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung auf Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Rechtsgrundlage beruhen kann, so ist in Rn. 115 des vorliegenden Urteils festgestellt worden, dass mit der erstgenannten Bestimmung das Ziel verfolgt wird, die berechtigten Interessen von Endempfängern und Begünstigten zu wahren, wenn nach dieser Verordnung geeignete Maßnahmen gegenüber einem Mitgliedstaat getroffen werden. Daraus folgt, dass es in dieser Bestimmung um rechtliche und finanzielle Auswirkungen geht, die mit Maßnahmen zum Schutz des Haushalts der Union im Sinne dieses Art. 5 zusammenhängen, die sich ihrerseits, wie in den Rn. 112 und 135 des vorliegenden Urteils ausgeführt, auf die Ausführung des Haushaltsplans der Union beziehen.

151

Außerdem sind, wie in Rn. 99 des vorliegenden Urteils festgestellt, die Haushaltsvorschriften im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV, in denen „insbesondere“ die Ausführung des Haushaltsplans „im Einzelnen“ geregelt wird, dazu bestimmt, sämtliche von Titel II des Sechsten Teils des AEU‑Vertrags erfassten Aspekte, die mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union zusammenhängen, und damit diese Ausführung im weiten Sinne zu regeln.

152

Eine Bestimmung, in der es, wie in Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung, um rechtliche und finanzielle Auswirkungen geht, die mit Maßnahmen zum Schutz des Haushalts der Union im Sinne dieses Art. 5 zusammenhängen, bei denen es sich um Maßnahmen betreffend die Ausführung des Haushaltsplans der Union handelt, ist aber so zu verstehen, dass sie sich selbst auf diese Ausführung bezieht und somit dazu beiträgt, die Ausführung des Haushaltsplans im Einzelnen zu regeln.

153

Nach alledem ist das von der Republik Polen unterstützte Vorbringen Ungarns, dass es für die angefochtene Verordnung keine Rechtsgrundlage gebe, da sie keine Haushaltsvorschriften im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV enthalte, zurückzuweisen.

154

Indessen ist noch zu prüfen, ob der Unionsgesetzgeber, wie Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen im Wesentlichen geltend macht, Haushaltsvorschriften wie die in der angefochtenen Verordnung vorgesehenen deshalb nicht erlassen darf, weil damit Art. 7 EUV und Art. 269 AEUV umgangen werden.

2) Zur Umgehung von Art. 7 EUV und Art. 269 AEUV

155

Als Erstes macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen im Wesentlichen geltend, allein das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren verleihe den Unionsorganen die Zuständigkeit, in einem Mitgliedstaat begangene Verstöße gegen die in Art. 2 EUV genannten Werte zu prüfen, festzustellen und gegebenenfalls zu ahnden. Diese Zuständigkeit umfasse nämlich Bereiche, die nicht dem Unionsrecht unterlägen, wie etwa die Arbeitsweise der Behörden und der Organe der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten als Verfasser der Verträge hätten sämtliche Aspekte des fraglichen Verfahrens im EU‑Vertrag geregelt. Da die Verträge keine Übertragung einer Gesetzgebungsbefugnis in Bezug auf Art. 7 EUV vorsähen, sei der Unionsgesetzgeber weder nach dieser noch nach irgendeiner anderen Bestimmung der Verträge befugt, ein Verfahren einzuführen, das parallel zu dem nach Art. 7 EUV bestehe, die Feststellung des Verstoßes gegen die in Art. 2 EUV genannten Werte betreffe und die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen festlege.

156

Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass die in Art. 2 EUV genannten grundlegenden Werte der Union, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte umfassen, und zwar in einer Gesellschaft, die sich u. a. durch Nichtdiskriminierung, Gerechtigkeit, Solidarität und Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.

157

In der Präambel der Charta heißt es u. a., dass die Union auf den Grundsätzen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit beruht und die in der Charta aufgeführten Rechte, Freiheiten und Grundsätze anerkennt. In den Art. 6, 10 bis 13, 15, 16, 20, 21 und 23 der Charta wird die Tragweite der in Art. 2 EUV genannten Werte der Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Wahrung der Menschenrechte, Nichtdiskriminierung und Gleichheit von Frauen und Männern präzisiert. Art. 47 der Charta und Art. 19 EUV gewährleisten in Bezug auf den Schutz der durch das Unionsrecht garantierten Rechte und Freiheiten insbesondere das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und das Recht auf Zugang zu einem zuvor durch Gesetz errichteten unabhängigen und unparteiischen Gericht.

158

Im Übrigen präzisieren die Art. 8 und 10 sowie Art. 19 Abs. 1, Art. 153 Abs. 1 Buchst. i und Art. 157 Abs. 1 AEUV die Tragweite der Werte der Gleichheit, der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit von Frauen und Männern und gestatten dem Unionsgesetzgeber, sekundärrechtliche Vorschriften zur Umsetzung dieser Werte zu erlassen.

159

Aus den beiden vorstehenden Randnummern ergibt sich, dass entgegen dem, was Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend macht, über das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren hinaus zahlreiche weitere Bestimmungen der Verträge, die oftmals durch verschiedene Sekundärrechtsakte konkretisiert werden, den Unionsorganen die Befugnis verleihen, in einem Mitgliedstaat begangene Verstöße gegen die in Art. 2 EUV genannten Werte zu prüfen, festzustellen und gegebenenfalls ahnden zu lassen.

160

Was speziell den Wert der Rechtsstaatlichkeit betrifft, so werden bestimmte Aspekte davon durch Art. 19 EUV geschützt, wie Ungarn im Übrigen einräumt. Gleiches gilt für die zu Titel VI („Justizielle Rechte“) gehörenden Art. 47 bis 50 der Charta, die das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht, die Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte, die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen sowie das Recht gewährleisten, wegen derselben Straftat nicht zweimal verfolgt oder bestraft zu werden.

161

Konkreter hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 19 EUV, mit dem der in Art. 2 EUV genannte Wert der Rechtsstaatlichkeit konkretisiert wird, gemäß Abs. 1 Unterabs. 2 von den Mitgliedstaaten verlangt, dass sie ein System von Rechtsbehelfen und Verfahren vorsehen, das den Einzelnen die Wahrung ihres Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A.B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 108 und 109 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Die Einhaltung dieses Erfordernisses kann vom Gerichtshof kontrolliert werden, insbesondere im Rahmen einer von der Kommission nach Art. 258 AEUV erhobenen Vertragsverletzungsklage (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit des Obersten Gerichts], C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 58 und 59, sowie vom 5. November 2019, Kommission/Polen [Unabhängigkeit der ordentlichen Gerichte], C‑192/18, EU:C:2019:924, Rn. 106 und 107).

162

Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV bei einer Auslegung im Licht von Art. 47 der Charta den Mitgliedstaaten eine klare und präzise Ergebnispflicht auferlegt, die in Bezug auf die Unabhängigkeit, die die zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts berufenen Gerichte aufweisen müssen, unbedingt ist, so dass ein nationales Gericht verpflichtet ist, jede Bestimmung des nationalen Rechts, die gegen Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstößt, unangewendet zu lassen, gegebenenfalls, nachdem im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens eine Auslegung dieser Bestimmung durch den Gerichtshof erwirkt wurde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A.B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 142 bis 146).

163

Somit ergibt sich aus den Erwägungen in den Rn. 159 bis 162 des vorliegenden Urteils, dass das Vorbringen Ungarns, der Wert der Rechtsstaatlichkeit könne von der Union allein im Rahmen des in Art. 7 EUV vorgesehenen Verfahrens geschützt werden, zurückzuweisen ist.

164

Was zweitens das von der Republik Polen unterstützte Vorbringen Ungarns anbelangt, dass allein Art. 7 EUV den Unionsorganen gestatte, die Achtung der Rechtsstaatlichkeit durch die Mitgliedstaaten in Bereichen zu kontrollieren, die nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen, darunter die Arbeitsweise der Behörden und der Organe der Mitgliedstaaten, so genügt der Hinweis, dass die angefochtene Verordnung weder die Kommission noch den Rat ermächtigt, eine solche Kontrolle vorzunehmen, ohne dass ein Verhalten einer mitgliedstaatlichen Behörde oder ein einer solchen Behörde zurechenbarer Sachverhalt vorliegt, das bzw. der sich auf die Ausführung des Haushaltsplans der Union bezieht und damit in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.

165

Denn wie in den Rn. 141 bis 145 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, erlaubt zum einen die angefochtene Verordnung den Unionsorganen eine Prüfung von Situationen in den Mitgliedstaaten nur insoweit, als diese für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind, und zum anderen können geeignete Maßnahmen nach dieser Verordnung nur dann ergriffen werden, wenn festgestellt wird, dass in solchen Situationen ein Verstoß gegen einen der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, der diese wirtschaftliche Haushaltsführung oder den Schutz dieser finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht.

166

Was das als Zweites zu prüfende Vorbringen anbelangt, die angefochtene Verordnung bewirke eine Umgehung des in Art. 7 EUV vorgesehenen Verfahrens und eine Erweiterung der in Art. 269 AEUV festgelegten Zuständigkeiten des Gerichtshofs, so macht Ungarn, unterstützt durch die Republik Polen, im Wesentlichen geltend, dass das mit dieser Verordnung eingeführte Verfahren in bestimmten Fällen das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren konkretisiere und somit ein Parallelverfahren einführe, das es ermögliche, nach einer eingehenden Prüfung Verstöße der Mitgliedstaaten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festzustellen. Die angefochtene Verordnung erlaube es, aus solchen Verstößen rechtliche Konsequenzen zu ziehen, die mit den in Art. 7 EUV vorgesehenen übereinstimmten, obwohl weder diese noch irgendeine andere Bestimmung der Verträge den Unionsgesetzgeber hierzu ermächtige. Damit verletze diese Verordnung das in Art. 7 EUV, Art. 13 Abs. 2 EUV und Art. 269 AEUV verankerte institutionelle Gleichgewicht, indem sie dem Rat, der Kommission und dem Gerichtshof neue Kompetenzen verleihe.

167

Hierzu ist erstens festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber nicht, ohne gegen Art. 7 EUV zu verstoßen, ein Verfahren einführen kann, das parallel zu dem in dieser Bestimmung vorgesehenen Verfahren besteht und im Wesentlichen denselben Gegenstand hat, dasselbe Ziel verfolgt und das Ergreifen identischer Maßnahmen ermöglicht, dabei aber das Tätigwerden anderer Organe oder andere materielle und verfahrensrechtliche Voraussetzungen als die in dieser Bestimmung genannten vorsieht.

168

Jedoch steht es dem Unionsgesetzgeber, wenn er über eine entsprechende Rechtsgrundlage verfügt, frei, in einem Sekundärrechtsakt andere Verfahren bezüglich der in Art. 2 EUV genannten Werte, darunter die Rechtsstaatlichkeit, einzuführen, sofern sich diese Verfahren sowohl nach ihrem Zweck als auch nach ihrem Gegenstand von dem in Art. 7 EUV vorgesehenen Verfahren unterscheiden (vgl. entsprechend Urteil vom 7. Februar 1979, Frankreich/Kommission, 15/76 und 16/76, EU:C:1979:29, Rn. 26, Beschluss vom 11. Juli 1996, An Taisce und WWF UK/Kommission, C‑325/94 P, EU:C:1996:293, Rn. 25, sowie Urteil vom 11. Januar 2001, Griechenland/Kommission, C‑247/98, EU:C:2001:4, Rn. 13).

169

Im vorliegenden Fall ergibt sich, was die jeweiligen Ziele des Verfahrens nach Art. 7 EUV und des in der angefochtenen Verordnung vorgesehenen Verfahrens betrifft, aus Art. 7 Abs. 2 bis 4 EUV, dass das in diesem Artikel vorgesehene Verfahren dem Rat insbesondere gestattet, wenn der Europäische Rat schwerwiegende und anhaltende Verletzungen der in Art. 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat festgestellt hat, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Verträge auf diesen Mitgliedstaat herleiten, einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat, und dass der Rat zu einem späteren Zeitpunkt beschließen kann, die von ihm getroffenen Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, wenn in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen geführt hat, Änderungen eingetreten sind.

170

Das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren soll es dem Rat somit ermöglichen, schwerwiegende und anhaltende Verletzungen der in Art. 2 EUV genannten Werte zu ahnden, und zwar insbesondere mit dem Ziel, den betreffenden Mitgliedstaat dazu anzuhalten, diese Verletzungen abzustellen.

171

Demgegenüber ergibt sich, wie aus den Rn. 110 bis 120 des vorliegenden Urteils hervorgeht, aus der Art der Maßnahmen, die nach der angefochtenen Verordnung ergriffen werden können, sowie aus den Voraussetzungen für die Annahme und die Aufhebung dieser Maßnahmen, dass das mit dieser Verordnung eingeführte Verfahren darauf abzielt, im Einklang mit dem in Art. 310 Abs. 5 und Art. 317 Abs. 1 AEUV verankerten Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung den Unionshaushalt zu schützen, wenn in einem Mitgliedstaat gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen wird. Es ist hingegen nicht Sinn und Zweck dieses Verfahrens, mittels des Unionshaushalts Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu ahnden.

172

Daraus folgt, dass das in der angefochtenen Verordnung vorgesehene Verfahren ein anderes Ziel verfolgt als das Verfahren nach Art. 7 EUV.

173

Was den jeweiligen Gegenstand der beiden Verfahren anbelangt, ist festzustellen, dass der Anwendungsbereich des in Art. 7 EUV vorgesehenen Verfahrens sämtliche in Art. 2 EUV genannten Werte umfasst, während der des mit der angefochtenen Verordnung eingeführten Verfahrens nur einen dieser Werte umfasst, nämlich die Rechtsstaatlichkeit.

174

Zudem kann nach Art. 7 EUV jede schwerwiegende und anhaltende Verletzung eines in Art. 2 EUV genannten Wertes verfolgt werden, während die angefochtene Verordnung die Prüfung von Verstößen gegen die in ihrem Art. 2 Buchst. a genannten Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nur insoweit erlaubt, als hinreichende Gründe für die Feststellung vorliegen, dass sie Auswirkungen auf den Haushalt haben.

175

Zu den Voraussetzungen für die Einleitung der beiden Verfahren ist festzustellen, dass das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren nach Abs. 1 dieser Vorschrift eingeleitet werden kann, wenn die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht. Insoweit steht das Initiativrecht einem Drittel der Mitgliedstaaten, dem Parlament oder der Kommission zu. Die erforderliche Schwelle ist anfänglich die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der fraglichen Werte und sodann, wenn es darum geht, nach Art. 7 Abs. 2 und 3 EUV bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Verträge auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten, eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung dieser Werte durch diesen Mitgliedstaat. Dagegen kann das mit der angefochtenen Verordnung eingeführte Verfahren allein von der Kommission eingeleitet werden, wenn hinreichende Gründe nicht nur für die Feststellung vorliegen, dass Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat begangen worden sind, sondern auch und vor allem für die Feststellung, dass diese Verstöße die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen.

176

Im Übrigen besteht die einzige materielle Voraussetzung für den Erlass von Maßnahmen nach Art. 7 EUV darin, dass der Europäische Rat feststellt, dass eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte durch einen Mitgliedstaat vorliegt. Dagegen dürfen, wie in Rn. 147 des vorliegenden Urteils ausgeführt, gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 der angefochtenen Verordnung Maßnahmen nach dieser Verordnung nur getroffen werden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Zum einen muss festgestellt werden, dass ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat zumindest einen der Umstände oder eine der Verhaltensweisen von Behörden betrifft, die von Abs. 2 erfasst werden, soweit sie für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind. Zum anderen muss auch nachgewiesen werden, dass die fraglichen Verstöße diese wirtschaftliche Haushaltsführung oder diese finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigen oder ernsthaft zu beeinträchtigen drohen. Nach dieser Voraussetzung muss also ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen diesen Verstößen und einer solchen Beeinträchtigung bzw. ernsthaft drohenden Beeinträchtigung festgestellt werden.

177

Was die Art der Maßnahmen angeht, die auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 3 EUV erlassen werden können, so bestehen diese in der Aussetzung „bestimmte[r] Rechte …, die sich aus der Anwendung der Verträge auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten, einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat“. Die Maßnahmen können sich demnach auf jedes Recht beziehen, das sich aus der Anwendung der Verträge auf den betroffenen Mitgliedstaat herleitet. Dagegen sind die Maßnahmen, die nach der angefochtenen Verordnung erlassen werden können, auf die in deren Art. 5 Abs. 1 aufgezählten und in Rn. 112 des vorliegenden Urteils zusammengefassten Maßnahmen beschränkt, die allesamt haushaltsrechtlicher Natur sind.

178

Schließlich sieht Art. 7 EUV die Abänderung und die Aufhebung der getroffenen Maßnahmen nur vor, wenn in der Lage, die zur Verhängung dieser Maßnahmen geführt hat, Änderungen eingetreten sind. Dagegen sind nach Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 der angefochtenen Verordnung die Aufhebung und die Abänderung der getroffenen Maßnahmen an die in Art. 4 dieser Verordnung genannten Voraussetzungen für die Annahme von Maßnahmen geknüpft. Folglich können die Maßnahmen nicht nur dann aufgehoben oder abgeändert werden, wenn die Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im betreffenden Mitgliedstaat zumindest teilweise abgestellt werden, sondern vor allem auch dann, wenn die Verstöße zwar fortdauern, sich aber nicht mehr auf den Unionshaushalt auswirken. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn sie nicht mehr zumindest einen der in Art. 4 Abs. 2 genannten Umstände oder eine der dort genannten Verhaltensweisen von Behörden betreffen, wenn diese Umstände oder Verhaltensweisen für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union nicht mehr von Bedeutung sind, wenn der Verstoß diese wirtschaftliche Haushaltsführung oder diese finanziellen Interessen nicht mehr beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht oder wenn der Zusammenhang zwischen dem Verstoß gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und einer solchen Beeinträchtigung bzw. ernsthaft drohenden Beeinträchtigung nicht mehr hinreichend unmittelbar besteht.

179

Nach alledem ist festzustellen, dass das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren und das mit der angefochtenen Verordnung eingeführte Verfahren unterschiedliche Ziele verfolgen und jeweils einen eigenen, klar abgegrenzten Gegenstand haben.

180

Folglich kann entgegen dem, was Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend macht, nicht angenommen werden, dass mit der angefochtenen Verordnung ein Parallelverfahren eingeführt wird, mit dem Art. 7 EUV umgangen wird.

181

Was zweitens das von der Republik Polen unterstützte Vorbringen Ungarns anbelangt, dass die angefochtene Verordnung das in Art. 7 EUV und Art. 13 Abs. 2 EUV verankerte institutionelle Gleichgewicht verletze, so ist zum einen in den beiden vorstehenden Randnummern festgestellt worden, dass das in Art. 7 EUV vorgesehene Verfahren und das mit der angefochtenen Verordnung eingeführte Verfahren unterschiedliche Ziele verfolgen und jeweils einen eigenen, klar abgegrenzten Gegenstand haben, so dass nicht angenommen werden kann, dass mit der angefochtenen Verordnung ein Parallelverfahren eingeführt wird, mit dem diese Bestimmung umgangen wird.

182

Unter diesen Umständen kann Ungarn, unterstützt durch die Republik Polen, nicht mit Erfolg geltend machen, dass die angefochtene Verordnung das in Art. 7 EUV verankerte institutionelle Gleichgewicht verletze.

183

Was zum anderen die Anforderungen von Art. 13 Abs. 2 EUV betrifft, wonach „[j]edes Organ … nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen [handelt], die in den Verträgen festgelegt sind“, so geht aus Art. 6 der angefochtenen Verordnung hervor, dass die Kommission das Verfahren führt und der Rat gegebenenfalls auf Vorschlag der Kommission einen Durchführungsbeschluss mit geeigneten Maßnahmen erlässt. Dem Europäischen Rat wird in Art. 6 wohlgemerkt, ungeachtet seiner Erwähnung im 26. Erwägungsgrund dieser Verordnung, im Rahmen des mit der Verordnung eingeführten Verfahrens keinerlei Rolle zugewiesen.

184

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Kommission nach Art. 317 Abs. 1 AEUV den Haushaltsplan der Union zusammen mit den Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung entsprechend dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung ausführt, so dass ihre Rolle in dem mit der angefochtenen Verordnung eingeführten Verfahren mit den ihr durch diese Bestimmung zugewiesenen Aufgaben im Einklang steht.

185

Sodann kann, wie der Rat zu Recht geltend gemacht hat, dessen Tätigwerden auf Art. 322 Abs. 1 Buchst. a und Art. 291 Abs. 2 AEUV gestützt werden, so dass es nicht die der Kommission nach Art. 317 Abs. 1 AEUV übertragene Zuständigkeit verletzt.

186

Zum einen sind nämlich, wie in Rn. 99 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, die Haushaltsvorschriften im Sinne von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV, in denen „insbesondere … die Ausführung des Haushaltsplans … im Einzelnen“ geregelt wird, dazu bestimmt, sämtliche von Titel II des Sechsten Teils des AEU‑Vertrags erfassten Aspekte, die mit der Ausführung des Haushaltsplans der Union zusammenhängen, und damit diese Ausführung im weiten Sinne zu regeln.

187

Der mit der angefochtenen Verordnung eingeführte Mechanismus der horizontalen Konditionalität entspricht somit einer Konzeption des Haushaltsvollzugs, die über jene hinausgeht, die in Art. 2 Nr. 7 der Haushaltsordnung als „Durchführung von Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Verwaltung, Überwachung, Kontrolle und Prüfung von Haushaltsmitteln“ definiert wird und gemäß Art. 317 Abs. 1 AEUV den Aufgaben zuzuordnen ist, die der Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten obliegen.

188

Zum anderen gestattet Art. 291 Abs. 2 AEUV, dem Rat in entsprechend begründeten Sonderfällen Durchführungsbefugnisse zu übertragen, wenn es einheitlicher Bedingungen für die Durchführung von verbindlichen Rechtsakten der Union bedarf. Insoweit geht aus Art. 6 Abs. 9 bis 11 der angefochtenen Verordnung hervor, dass es sich bei den Maßnahmen, die der Rat nach dieser Verordnung ergreifen kann, um Durchführungsbeschlüsse handelt, wobei im 20. Erwägungsgrund dieser Verordnung klargestellt wird, dass diese Durchführungsbefugnisse dem Rat im Interesse der Gewährleistung einheitlicher Bedingungen zur Durchführung dieser Verordnung und angesichts der Bedeutung der finanziellen Folgen solcher Maßnahmen übertragen werden.

189

Diese Erwägungen genügen für die Feststellung, dass die zugunsten des Rates erfolgte Übertragung einer Befugnis zum Erlass der in Art. 5 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung genannten geeigneten Maßnahmen gebührend begründet ist.

190

Schließlich steht der Umstand, dass dem Europäischen Rat im Rahmen des in Art. 6 der angefochtenen Verordnung geregelten Verfahrens keine Zuständigkeit zugewiesen ist, im Einklang mit den ihm durch Art. 15 Abs. 1 EUV zugewiesenen Aufgaben. Nach dieser Bestimmung gibt der Europäische Rat der Union die für ihre Entwicklung erforderlichen Impulse und legt die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten hierfür fest, ohne gesetzgeberisch tätig zu werden.

191

Zwar sieht der 26. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung vor, dass der Europäische Rat auf Ersuchen des Mitgliedstaats, gegen den sich das nach Art. 6 dieser Verordnung geführte Verfahren richtet, die Frage erörtern kann, ob in diesem Verfahren die Grundsätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen beachtet werden, doch ist festzustellen, dass ein solches ausnahmsweise erfolgendes Tätigwerden des Europäischen Rates weder in Art. 6 noch in irgendeiner anderen Bestimmung dieser Verordnung vorgesehen ist. Unter diesen Umständen kann in Anbetracht dessen, dass die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts nicht verbindlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Dezember 2019, Puppinck u. a./Kommission, C‑418/18 P, EU:C:2019:1113, Rn. 76 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), dieser 26. Erwägungsgrund weder herangezogen werden, um von den Bestimmungen der angefochtenen Verordnung abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut widerspricht.

192

Soweit Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen drittens geltend macht, der Gerichtshof werde im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle eines vom Rat nach Art. 6 Abs. 10 der angefochtenen Verordnung erlassenen Beschlusses zu prüfen haben, ob ein Mitgliedstaat gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe, wobei die ihm auf diese Weise übertragene Zuständigkeit aber gegen Art. 13 Abs. 2 EUV und Art. 269 AEUV verstoße, so ist darauf hinzuweisen, dass der letztgenannte Artikel gemäß seinem Wortlaut nur die Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines nach Art. 7 EUV erlassenen Rechtsakts des Europäischen Rates oder des Rates betrifft.

193

Unter diesen Umständen und in Anbetracht der Feststellungen in den Rn. 179 und 180 des vorliegenden Urteils fällt die Rechtmäßigkeitskontrolle, die dem Gerichtshof – insbesondere im Rahmen einer auf der Grundlage von Art. 263 AEUV erhobenen Nichtigkeitsklage – in Bezug auf nach Art. 6 Abs. 10 der angefochtenen Verordnung ergangene Beschlüsse des Rates obliegen kann, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 269 AEUV und unterliegt daher nicht den dort vorgesehenen Sonderregeln.

194

Folglich verleiht die angefochtene Verordnung dem Gerichtshof keinerlei neue Zuständigkeit.

195

Schließlich ist in Rn. 165 des vorliegenden Urteils festgestellt worden, dass zum einen die angefochtene Verordnung den Unionsorganen eine Prüfung von Situationen in den Mitgliedstaaten nur insoweit erlaubt, als diese für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind, und zum anderen geeignete Maßnahmen nach dieser Verordnung nur dann ergriffen werden können, wenn festgestellt wird, dass in solchen Situationen ein Verstoß gegen einen der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, der diese wirtschaftliche Haushaltsführung oder den Schutz dieser finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht.

196

Da sich solche Situationen aber auf die Ausführung des Haushaltsplans der Union beziehen und damit in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallen, kann Ungarn, unterstützt durch die Republik Polen, nicht geltend machen, dass der Gerichtshof für die Überprüfung der Beurteilungen des Rates, die in nach Art. 6 Abs. 10 der angefochtenen Verordnung ergangenen Beschlüssen dargelegt werden, nicht zuständig sei.

197

Folglich ist das von der Republik Polen unterstützte Vorbringen Ungarns, dass Art. 7 EUV und Art. 269 AEUV umgangen würden, als unbegründet zurückzuweisen.

198

Nach alledem sind die ersten beiden Klagegründe als unbegründet zurückzuweisen.

2.   Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit

a)   Vorbringen der Parteien

199

Mit dem dritten Klagegrund macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend, die angefochtene Verordnung verstoße gegen die als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts anerkannten Grundsätze der Rechtssicherheit und der Normenklarheit, da die in dieser Verordnung enthaltenen Begriffe, auf deren Grundlage festgestellt werden könne, dass ein Mitgliedstaat gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe, in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich definiert würden. So wie der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ in Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung definiert sei, lasse er erhebliche konzeptuelle Unsicherheiten und schwerwiegende Unstimmigkeiten zutage treten, die die Auslegung der Werte der Union gefährden und zu einer Anwendung dieser Verordnung führen könnten, die diesen Werten zuwiderlaufe.

200

Als Erstes führt Ungarn aus, Rechtsstaatlichkeit sei ein Ideal oder allenfalls ein Orientierungspunkt, das bzw. der niemals vollständig erreicht werde. Ob die Rechtsstaatlichkeit gewahrt werde, sei daher im Wege einer relativen Betrachtung zu beurteilen, zumal kein Staat von sich behaupten könne, sie perfekt umzusetzen. Dieses Ideal, das die moderne Demokratie kennzeichne, habe sich auf komplexem Wege über Jahrhunderte hinweg entwickelt und sei schließlich, wie sich aus der Studie Nr. 512/2009 der Venedig-Kommission vom 28. März 2011 mit dem Titel „Bericht über die Rechtsstaatlichkeit“ ergebe, in eine komplexe Auffassung gemündet, die sich einer präzisen Definition entziehe und deren Gehalt sich ständig fortentwickele.

201

Diese Auffassung von Rechtsstaatlichkeit ergebe sich auch aus der Studie Nr. 711/2013 der Venedig-Kommission vom 18. März 2016, in der eine „Liste von Kriterien für Rechtsstaatlichkeit“ aufgestellt worden sei. Auf diese Studie werde übrigens im 16. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung Bezug genommen. Ihren Nrn. 12 und 18 zufolge definierten die wesentlichen Elemente des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ diesen Begriff nicht, sondern seien selbst nur theoretische Kategorien und Grundsätze, die ihrerseits in mehrere andere Grundsätze unterteilt werden könnten. Außerdem ergebe sich aus den Nrn. 29 und 30 dieser Studie, dass die in ihr dargelegten Kriterien für Rechtsstaatlichkeit nicht abschließend seien und nicht in Regeln umgewandelt werden könnten.

202

In diesem Zusammenhang weist Ungarn darauf hin, dass die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV die nationale Identität der Mitgliedstaaten achte, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck komme. Der mit der angefochtenen Verordnung geschaffene Mechanismus stehe jedoch nicht im Einklang mit dieser grundlegenden Garantie, da das damit eingeführte Verfahren gestatte, die Rechtsvorschriften oder die Gepflogenheiten eines Mitgliedstaats auch dann zu prüfen, wenn sie nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fielen.

203

Die dem Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ anhaftenden konzeptuellen Unsicherheiten würden noch dadurch verstärkt, dass die Vertreter der Kommission mehrfach angegeben hätten, dass die Feststellungen im Jahresbericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit bei der Anwendung der angefochtenen Verordnung herangezogen würden, wobei diese Verordnung aber keine Bezugnahme auf diesen Bericht enthalte. Im Übrigen habe die Kommission in diesem Bericht die Anwendung der Erfordernisse der Rechtsstaatlichkeit in Bereichen geprüft, die weder den in der angefochtenen Verordnung im Zusammenhang mit den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit verwendeten Begriffen noch der Liste der Kriterien für Rechtsstaatlichkeit entsprächen, die die Venedig-Kommission in ihrer in Rn. 201 des vorliegenden Urteils genannten Studie herausgearbeitet habe.

204

Das Verständnis der Kommission von den wesentlichen Merkmalen der Rechtsstaatlichkeit unterscheide sich sowohl von dem der Venedig-Kommission als auch von dem, das den in der angefochtenen Verordnung verwendeten Begriffen zugrunde liege, so dass die Anwendung dieser Verordnung durch die Kommission derart unvorhersehbar werden könne, dass sie mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der selbst einen Aspekt der Rechtsstaatlichkeit darstelle, unvereinbar sei.

205

Als Zweites vertritt Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen die Auffassung, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung vergeblich versucht habe, die wesentlichen Merkmale des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ zu verdeutlichen. Diese Bestimmung beschränke sich nämlich darauf, parallele Elemente aus Art. 2 EUV zu übernehmen, die ebenso abstrakt seien, wie etwa die Achtung der Grundrechte, das Diskriminierungsverbot oder den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, die in den Verträgen auch gesondert gewährleistet würden. Dies bestätige, dass die in Art. 2 EUV genannten Werte eine Richtschnur für die politische Zusammenarbeit innerhalb der Union seien, aber keinen eigenen rechtlichen Gehalt hätten. Indem der Unionsgesetzgeber den Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ in einer sektorspezifischen Regelung definiere und damit zulasse, dass in anderen Sekundärrechtsakten ein anderes Verständnis dieses Begriffs zugrunde gelegt werde, untergrabe er dessen Auslegung als gemeinsamen Wert der Union, wie er von der Gemeinschaft der Mitgliedstaaten nach Art. 2 EUV definiert werde.

206

Außerdem enthalte die angefochtene Verordnung, nachdem sie in ihrem Art. 2 Buchst. a den Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ definiert habe, in ihrem Art. 3 Beispiele für „Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit“, die aber in Wirklichkeit kaum etwas mit der Definition dieses Begriffs zu tun hätten. Desgleichen sei das Verhältnis zwischen Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung, der die Umstände und Verhaltensweisen bestimme, auf die sich die Verstöße gegen diese Grundsätze beziehen müssten, einerseits sowie den Begriffen „Rechtsstaatlichkeit“ und „Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit“ andererseits nicht klar erkennbar. Durch eine kombinierte Prüfung der in Art. 3 der angefochtenen Verordnung beispielhaft angeführten Fälle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Definition des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ in Art. 2 Buchst. a dieser Verordnung lasse sich daher nicht ausschließen, dass Sanktionen in Bezug auf Situationen verhängt würden, die nicht mit der ordnungsgemäßen Verwaltung der Mittel des Unionshaushalts zusammenhingen.

207

Soweit Behörden ein Verhalten an den Tag legten, das auf dem Boden des Rechts stehe, nicht willkürlich sei und gerichtlich angefochten werden könne, entspreche dies den wesentlichen Merkmalen der Rechtsstaatlichkeit. Dagegen wiesen die in Art. 3 Buchst. b der angefochtenen Verordnung genannten Fälle wie „das Versäumnis, die … Einbehaltung finanzieller und personeller Ressourcen [zu verhindern, die die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden beeinträchtigt]“, „das Versäumnis, sicherzustellen, dass keine Interessenkonflikte bestehen“, oder auch „das Versäumnis, … rechtswidrige Entscheidungen … zu verhüten“, nur einen entfernten und indirekten Zusammenhang mit dem Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ auf, was dazu führe, dass zwischen Zweck und Inhalt dieser Norm keine Verbindung bestehe. Hätte der Unionsgesetzgeber solche Mängel, die im Wesentlichen administrativer Art seien, ahnden wollen, weil sie den Unionshaushalt beeinträchtigten, so wäre ihm dies ohne Rückgriff auf diesen Begriff möglich gewesen.

208

Als Drittes führt Ungarn aus, dass aus einer vom Parlament im Jahr 2015 erstellten Studie mit dem Titel „The General Principles of EU Administrative Procedural Law“ (Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts der Europäischen Union) hervorgehe, dass der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ derart allgemein sei, dass sein genauer Gehalt nur anhand seiner wesentlichen Merkmale bestimmt werden könne, darunter der Grundsatz der Rechtssicherheit, der verlange, dass Rechtsvorschriften in ihren Wirkungen klar, genau und vorhersehbar seien, damit die Betroffenen in Situationen und Rechtsverhältnissen, die der Rechtsordnung der Union unterlägen, eine Orientierungsmöglichkeit hätten. Diese Anforderungen müssten also auch dann erfüllt sein, wenn ein Sanktionsmechanismus für Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit geschaffen werde.

209

Neben der Abweichung zwischen dem Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ und den „Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit“ würden in Art. 3 und Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung jedoch Ausdrücke verwendet, die nicht genau genug definiert seien, um vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festgestellt werden könne. Dies gelte für die „ordnungsgemäße Arbeit [der Behörden]“, die „wirksame gerichtliche Kontrolle [der Behörden] durch unabhängige Gerichte“, die „wirksame und rechtzeitige Zusammenarbeit mit [dem] OLAF“ und „andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden, die … von Bedeutung sind“. Damit werde der Kommission und dem Rat ein Ermessen eingeräumt, das so weit reiche, dass es mit einem Verfahren, das zu Sanktionen führen könne, unvereinbar sei.

210

Nach ständiger Rechtsprechung der Unionsgerichte müssten die Rechtsakte der Union eindeutig und ihre Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar sein, wobei dieses Gebot im Fall einer Regelung, die zu finanziellen Konsequenzen führen könne, in besonderem Maße gelten müsse, damit die Betroffenen in der Lage seien, den Umfang der ihnen durch diese Regelung auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen. Dieses Gebot erstrecke sich auf die Vorhersehbarkeit der in Sanktionsverfahren verwendeten Beweismittel und Methoden.

211

Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbiete es zwar nicht, dass das Gesetz eine Frage allgemein und abstrakt regele, und es sei dann Sache der Gerichte, das Gesetz im Zuge seiner Anwendung auszulegen. Angesichts der Verpflichtung, die nationale Identität der Mitgliedstaaten zu „schützen“, müsse es jedoch möglich sein, die Rechtsstaatlichkeit und die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich zu beurteilen, zumal die Unionsorgane unterschiedliche rechtliche Gegebenheiten nicht immer einheitlich beurteilten. Ein grundlegendes Element der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit bestehe aber darin, dass das Recht so formuliert sein müsse, dass gleichartige Sachverhalte gleichbehandelt würden. Wegen der begrifflichen Unschärfen der angefochtenen Verordnung und der Unmöglichkeit, den Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ genau zu definieren, erfülle die Verordnung diese Grundvoraussetzung einer einheitlichen Rechtsanwendung nicht.

212

Als Beispiel sei darauf hinzuweisen, dass es die Kommission in ihren Jahresberichten über die Rechtsstaatlichkeit nicht als übergriffig angesehen habe, dass die Staatsanwaltschaft in bestimmten Mitgliedstaaten Weisungen seitens der Exekutive erhalten könne, obwohl der Gerichtshof insoweit in Rechtssachen, in denen es um die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegangen sei, erhebliche Bedenken geäußert habe. Daher sei es schwierig, festzustellen, ob in einem solchen Fall das Erfordernis des ordnungsgemäßen Arbeitens der Strafverfolgungsbehörden erfüllt sei. Hinsichtlich des erforderlichen Umfangs der Zusammenarbeit mit dem OLAF sei zunächst fraglich, ob er anhand der auf der Grundlage der Empfehlungen des OLAF eingeleiteten Verfolgungsmaßnahmen ermessen werden könne. Ferner sei unklar, ob, um der angefochtenen Verordnung nachzukommen, ein Prozentsatz von Verfolgungsmaßnahmen auf der Grundlage dieser Empfehlungen festzusetzen sei, und schließlich sei ungewiss, ob, um diese Schwelle zu erreichen, die Möglichkeit bestehen sollte, der Staatsanwaltschaft in Einzelfällen Weisungen zu erteilen, obwohl die Existenz solcher Weisungen möglicherweise Zweifel an der Unparteilichkeit und der Rechtmäßigkeit der Verfolgungsmaßnahmen sowie an der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft aufkommen ließe. Auch sei zu bedenken, dass eine Untergrenze für Verurteilungen, die auf der Grundlage solcher Empfehlungen erfolgten, die Unabhängigkeit der Justiz in Frage stellen würde. Angesichts dieser Ungewissheiten sei zu befürchten, dass ein Widerspruch zwischen den von der Kommission im Rahmen des mit der angefochtenen Verordnung eingeführten Mechanismus geprüften Voraussetzungen einerseits und den vom Gerichtshof und den nationalen Verfassungsbestimmungen aufgestellten grundlegenden Anforderungen andererseits auftreten könne.

213

Als Viertes macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend, dass bestimmte Vorschriften der angefochtenen Verordnung gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstießen, was dazu führen müsse, dass die gesamte Verordnung für nichtig erklärt werde.

214

Erstens gestatte Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung dadurch, dass er den Erlass von Maßnahmen erlaube, sobald eine Beeinträchtigung des Unionshaushalts „drohe“, die Verhängung von Sanktionen in ungewissen oder nicht erwiesenen Situationen. Ohne konkrete Beeinträchtigung des Haushalts sei die Verhängung von Sanktionen willkürlich und verstoße gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, da es der Kommission dann unmöglich sei, die Voraussetzungen für die Annahme von Maßnahmen objektiv, sachlich und tatsachenbasiert festzustellen. In einer solchen Situation seien die einzigen objektiven Kriterien, anhand deren sich die Annahme von Maßnahmen rechtfertigen ließe, die Schwere und die Art des Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit, was jedoch mit der Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung unvereinbar wäre.

215

Zweitens sei es mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wonach eine Norm, die den Erlass von Sanktionen erlaube, die Verhaltensweisen, die Gegenstand von Sanktionen sein könnten, genau und erschöpfend aufzählen müsse, nicht vereinbar, dass Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung in Buchst. h über die in den Buchst. a bis g genannten Fälle hinaus die Annahme von Maßnahmen in Bezug auf „andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden“ gestatte, die nicht näher definiert seien. Im Vergleich zum Regelungsgehalt von Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung sei dieser Buchst. h lediglich insofern spezifischer, als der beanstandete Umstand bzw. das beanstandete Verhalten „Behörden“ zurechenbar sein müsse; er enthalte aber im Gegensatz zu anderen Bestimmungen der angefochtenen Verordnung keine näheren Angaben zur Art dieser „Behörden“. Daher könne dieser Begriff jede Gruppe von Personen erfassen, die offiziell für einen bestimmten Tätigkeitsbereich zuständig seien, denn nach ständiger Rechtsprechung werde der Begriff „Behörde“ in den verschiedenen Unionsrechtsakten in einem weiten Sinn verstanden.

216

Außerdem gehe aus dem Vergleich zwischen der deutschen, der englischen und der französischen Sprachfassung der angefochtenen Verordnung nicht eindeutig hervor, ob in der Wendung „andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden“, „other situations or conduct of authorities“ bzw. „autres situations ou comportements des autorités“ das Wort „Umstände“ mit dem Wort „Behörden“ zusammenhänge oder nicht. Zwar erscheine der Ausdruck „Umstände von Behörden“, „situations of authorities“ bzw. „situations des autorités“ auf den ersten Blick sinnlos, doch verbinde die ungarische Sprachfassung dieser Bestimmung das Wort „Umstand“ mit dem Wort „Behörden“, so dass diese Bestimmung dem Erfordernis der Normenklarheit nicht genüge.

217

Daraus sei zu schließen, dass Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung der in den Buchst. a bis g dieser Bestimmung enthaltenen Aufzählung ihren Sinn nehme, indem er sie zu einer nicht abschließenden Aufzählung mache, die mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit unvereinbar sei.

218

Drittens verstoße Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung dadurch, dass er lediglich vorsehe, dass bei den zu ergreifenden Maßnahmen der Art, der Dauer, der Schwere und dem Umfang der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit Rechnung zu tragen sei, ohne Art und Umfang dieser Maßnahmen genau zu definieren, ebenfalls gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit. Diese Vorschrift lege nämlich kein konkretes Kriterium fest, anhand dessen sich beurteilen ließe, ob eine Maßnahme gerechtfertigt, notwendig oder verhältnismäßig sei, und bestimme auch nicht die Art des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die als Grundlage für die Bestimmung von Art und Umfang einer Sanktionsmaßnahme dienen könnte.

219

Viertens ist Ungarn der Ansicht, dass Art. 5 Abs. 3 letzter Satz der angefochtenen Verordnung, soweit er bestimme, dass die zu erlassenden Maßnahmen „soweit möglich“ auf die durch die Verstöße beeinträchtigten Handlungen der Union ausgerichtet sein müssten, nicht gewährleisten könne, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem festgestellten Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und dem Erlass von Maßnahmen zum Schutz des Unionshaushalts bestehe. Somit ermögliche diese Bestimmung den Erlass von Maßnahmen im Zusammenhang mit einem Unionsprogramm, zu dem der festgestellte Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit keinerlei echte Verbindung aufweise, was nicht nur gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sondern auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße. Dies bestätige auch, dass die angefochtene Verordnung kein Instrument zum Schutz des Unionshaushalts sei, sondern ein zur Verhängung von Sanktionen in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit bestimmtes Instrument, das von Art. 322 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Rechtsgrundlage nicht gedeckt sei.

220

Fünftens lege Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung, soweit er es der Kommission erlaube, bei den verschiedenen Schritten der ihr obliegenden Prüfung „sachdienliche Informationen aus verfügbaren Quellen, einschließlich Beschlüssen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von Organen der Union sowie von anderen einschlägigen internationalen Organisationen und anderen anerkannten Einrichtungen“, zu berücksichtigen, nicht hinreichend genau die insoweit zulässigen Informationsquellen fest, da aus ihm nicht hervorgehe, auf welcher Grundlage die Kommission zu prüfen und zu beurteilen habe, ob ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit vorliege oder drohe.

221

Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission, treten diesem Vorbringen entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

222

Mit dem dritten Klagegrund macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen im Wesentlichen erstens geltend, dass der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ aufgrund der Verpflichtung, die nationale Identität eines jeden Mitgliedstaats zu achten, keiner präzisen Definition zugänglich sei und nicht einheitlich ausgelegt werden könne. Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung beziehe parallele Werte aus Art. 2 EUV ein, die ebenso abstrakt seien und in den Verträgen auch gesondert gewährleistet würden, was bestätige, dass diese Werte politischer und nicht rechtlicher Natur seien. Außerdem untergrabe der Unionsgesetzgeber dadurch, dass er den Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ in einer sektorspezifischen Regelung definiere, die Auslegung dieses Begriffs als gemeinsamen Wert der Union. Zweitens sei das Verhältnis zwischen Art. 2 Buchst. a, Art. 3 und Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung nicht klar erkennbar, und durch die kombinierte Anwendung dieser Vorschriften lasse sich nicht ausschließen, dass Sanktionen in Bezug auf Situationen verhängt würden, die nicht mit der ordnungsgemäßen Verwaltung der Mittel des Unionshaushalts oder dem Schutz der finanziellen Interessen der Union zusammenhingen. Desgleichen wiesen die in Art. 3 Buchst. b dieser Verordnung verwendeten Begriffe nur einen entfernten Zusammenhang mit dem Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ auf, was dazu führe, dass zwischen Zweck und Inhalt dieser Norm keine Verbindung bestehe. Drittens würden in Art. 3 und Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung Ausdrücke verwendet, die zu ungenau seien, um vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festgestellt werden könne. Daher verfügten die Kommission und der Rat im Rahmen eines Verfahrens, das zu Sanktionen führen könne, über einen allzu weiten Wertungsspielraum. Viertens werde mit dem in Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung verwendeten Ausdruck „drohen“ eine Vermutung begründet, mit der sich in rechtlicher Hinsicht kein Zusammenhang zwischen der Rechtsstaatlichkeit und einer Beeinträchtigung des Unionshaushalts oder der finanziellen Interessen der Union nachweisen lasse. Diese Vermutung ermögliche es also, Sanktionen in Fällen zu verhängen, in denen eine solche Beeinträchtigung nicht nachgewiesen worden sei. Überdies sei Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung unklar formuliert, und die in diesem Abs. 2 enthaltene Liste sei nicht abschließend, obwohl sie als Grundlage für den Erlass von Sanktionen diene. Fünftens lege Art. 5 Abs. 3 Satz 3 dieser Verordnung Art und Umfang der möglichen Maßnahmen nicht hinreichend klar fest. Sechstens unterbreche die Wendung „soweit möglich“ in Satz 4 dieser Bestimmung den Zusammenhang zwischen dem festgestellten Verstoß und dem Erlass der Schutzmaßnahmen, und siebtens lege Art. 6 Abs. 3 und 8 der Verordnung die Informationsquellen, auf die sich die Kommission stützen könne, nicht hinreichend genau fest.

223

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gebietet der Grundsatz der Rechtssicherheit, dass Rechtsvorschriften – vor allem dann, wenn sie nachteilige Folgen haben können – klar und bestimmt sowie in ihrer Anwendung für den Einzelnen vorhersehbar sind. Insbesondere verlangt dieser Grundsatz, dass eine Regelung es den Betroffenen ermöglicht, den Umfang der ihnen damit auferlegten Verpflichtungen genau zu erkennen, und dass die Betroffenen ihre Rechte und Pflichten eindeutig erkennen und sich darauf einstellen können (Urteil vom 29. April 2021, Banco de Portugal u. a., C‑504/19, EU:C:2021:335, Rn. 51 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

224

Diese Erfordernisse sind jedoch weder dahin zu verstehen, dass sie den Unionsgesetzgeber darin hindern, im Rahmen einer von ihm erlassenen Norm einen abstrakten Rechtsbegriff zu verwenden, noch dahin, dass sie gebieten, dass in einer solchen abstrakten Norm die verschiedenen konkreten Fälle genannt werden, auf die sie angewandt werden kann, sofern der Gesetzgeber nicht alle diese Fälle im Voraus bestimmen kann (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Juli 2017, Marco Tronchetti Provera u. a., C‑206/16, EU:C:2017:572, Rn. 39 und 40).

225

Folglich verletzt die Tatsache, dass ein Gesetzgebungsakt den Behörden, die mit seiner Durchführung betraut sind, ein Ermessen verleiht, als solche nicht das Erfordernis der Vorhersehbarkeit, sofern der Umfang dieses Ermessens und die Modalitäten seiner Ausübung im Hinblick auf das in Rede stehende legitime Ziel hinreichend deutlich festgelegt sind, um angemessenen Schutz vor Willkür zu bieten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Juni 2010, Lafarge/Kommission, C‑413/08 P, EU:C:2010:346, Rn. 94, sowie vom 18. Juli 2013, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 57).

226

Anhand dieser Erwägungen sind die Argumente zu prüfen, die Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen zur Stützung seines Klagegrundes eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit anführt. Als Erstes sind die Argumente zu prüfen, mit denen Folgendes geltend gemacht wird: dass der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ keiner präzisen Definition zugänglich sei und aufgrund der Verpflichtung, die nationale Identität eines jeden Mitgliedstaats zu „schützen“, nicht einheitlich ausgelegt werden könne; dass der in Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung definierte Begriff der Rechtsstaatlichkeit andere, in Art. 2 EUV genannte Werte einbeziehe, die allesamt politischer und nicht rechtlicher Natur seien; und dass Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung die Auslegung des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ als gemeinsamen Wert der Union untergrabe.

227

Hierzu ist erstens festzustellen, dass Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung nicht darauf abzielt, diesen Begriff abschließend zu definieren, sondern sich darauf beschränkt, allein für die Zwecke dieser Verordnung mehrere Grundsätze zu nennen, die von diesem Begriff erfasst und nach Auffassung des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf den Zweck dieser Verordnung, nämlich den Schutz des Unionshaushalts, besonders relevant sind.

228

Zweitens bezeichnet der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ im Sinne von Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung, wie in Rn. 136 des vorliegenden Urteils ausgeführt, „den in Artikel 2 EUV verankerten Wert der Union“, und er umfasst die in diesem Art. 2 Buchst. a der Verordnung genannten Grundsätze. Daraus folgt, dass diese Bestimmung die Auslegung des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ als gemeinsamen Wert der Union, wie sie sich aus Art. 2 EUV ergibt, nicht untergräbt.

229

Drittens gehen die in Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung genannten Grundsätze entgegen dem, was Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend macht, nicht über die Grenzen des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ hinaus. Insbesondere wird der Schutz der Grundrechte nur zur Veranschaulichung der Erfordernisse des Grundsatzes des wirksamen Rechtsschutzes angeführt, der auch in Art. 19 EUV garantiert wird und bezüglich dessen Ungarn selbst anerkennt, dass er Teil dieses Begriffs ist. Gleiches gilt für die Erwähnung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung. Zwar werden in Art. 2 EUV die Rechtsstaatlichkeit als den Mitgliedstaaten gemeinsamer Wert und der Grundsatz der Nichtdiskriminierung separat genannt, doch ist nicht vorstellbar, dass ein Mitgliedstaat, dessen Gesellschaft sich durch Diskriminierung auszeichnet, die Achtung der Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieses gemeinsamen Wertes gewährleistet.

230

Diese Feststellung wird dadurch bestätigt, dass die Venedig-Kommission in der in Rn. 201 des vorliegenden Urteils erwähnten Studie, auf die im 16. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung Bezug genommen wird, u. a. ausgeführt hat, dass der Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ ein System verlange, in dem die Rechtslage klar bestimmt und vorhersehbar sei und jede Person das Recht habe, von den Entscheidungsträgern würdig, gleichberechtigt und rational im Einklang mit dem geltenden Recht behandelt zu werden und deren Entscheidungen in fairen Verfahren vor unabhängigen und unparteiischen Gerichten anfechten zu können. Genau diese Merkmale finden sich in Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung wieder.

231

Viertens ist die Pflicht zur Achtung der Rechtsstaatlichkeit, deren Verletzung vom Mechanismus der horizontalen Konditionalität gemäß Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung, betrachtet im Licht der in Art. 2 Buchst. a dieser Verordnung genannten Grundsätze, erfasst sein kann, eine spezifische Ausprägung der Anforderungen, die sich für die Mitgliedstaaten gemäß Art. 2 EUV aus ihrer Zugehörigkeit zur Union ergeben. Bei dieser Pflicht handelt es sich nämlich um eine Ergebnispflicht, die sich, wie in den Rn. 124 bis 127 des vorliegenden Urteils ausgeführt, unmittelbar aus den Verpflichtungen ergibt, die die Mitgliedstaaten untereinander und gegenüber der Union eingegangen sind.

232

Insoweit ist daran zu erinnern, dass Art. 2 EUV keine bloße Aufzählung politischer Leitlinien oder Absichten darstellt, sondern Werte enthält, die, wie in Rn. 127 des vorliegenden Urteils ausgeführt, der Union als Rechtsgemeinschaft schlechthin ihr Gepräge geben, wobei sich diese Werte in Grundsätzen niederschlagen, die rechtlich verbindliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten beinhalten.

233

Auch wenn die Union, wie es in Art. 4 Abs. 2 EUV heißt, die nationale Identität der Mitgliedstaaten achtet, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck kommt, so dass die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit über einen gewissen Gestaltungsspielraum verfügen, folgt daraus keineswegs, dass die genannte Ergebnispflicht von einem Mitgliedstaat zum anderen variieren kann.

234

Wenngleich die Mitgliedstaaten unterschiedliche nationale Identitäten haben, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck kommen und von der Union geachtet werden, schließen sie sich nämlich einem Verständnis von „Rechtsstaatlichkeit“ an, das sie im Sinne eines ihren eigenen Verfassungstraditionen gemeinsamen Wertes teilen und zu dessen dauerhafter Beachtung sie sich verpflichtet haben.

235

Ungeachtet des Umstands, dass die Kommission und der Rat ihre Prüfungen unter gebührender Berücksichtigung der besonderen Umstände und Zusammenhänge jedes nach der angefochtenen Verordnung durchgeführten Verfahrens und insbesondere unter Beachtung der Besonderheiten der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats und des ihm bei der Umsetzung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zustehenden Gestaltungsspielraums vorzunehmen haben, ist dieses Erfordernis daher keineswegs unvereinbar mit der Anwendung einheitlicher Beurteilungskriterien.

236

Ferner trifft es zwar zu, dass in Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung die dort genannten Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nicht detailliert dargelegt werden, doch wird im dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung darauf hingewiesen, dass die in dieser Bestimmung genannten Grundsätze der Rechtmäßigkeit, der Rechtssicherheit, des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt, des wirksamen Rechtsschutzes und der Gewaltenteilung Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung des Gerichtshofs sind. Gleiches gilt für die ebenfalls dort genannten Grundsätze der Gleichheit vor dem Gesetz und der Nichtdiskriminierung, wie sich insbesondere aus den Rn. 94 und 98 des Urteils vom 3. Juni 2021, Ungarn/Parlament (C‑650/18, EU:C:2021:426), sowie aus den Rn. 57 und 58 des Urteils vom 2. September 2021, État belge (Aufenthaltsrecht im Fall von häuslicher Gewalt) (C‑930/19, EU:C:2021:657), ergibt.

237

Diese Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, wie sie auf der Grundlage der Unionsverträge in der Rechtsprechung des Gerichtshofs entwickelt worden sind, werden somit in der Unionsrechtsordnung anerkannt und präzisiert und gehen auf gemeinsame Werte zurück, die auch von den Mitgliedstaaten in ihren eigenen Rechtsordnungen anerkannt und angewandt werden.

238

Außerdem werden in den Erwägungsgründen 8 bis 10 und 12 der angefochtenen Verordnung die wichtigsten Anforderungen genannt, die sich aus diesen Grundsätzen ergeben. Insbesondere geben diese Erwägungsgründe Aufschluss über die in Art. 3 dieser Verordnung angeführten Fälle, in denen ein Hinweis auf Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gesehen werden kann, sowie über die in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung beschriebenen Umstände und Verhaltensweisen, auf die sich solche Verstöße beziehen müssen, um die Annahme geeigneter Maßnahmen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung rechtfertigen zu können.

239

Im Übrigen unterliegen die Beurteilungen der Kommission und des Rates den Verfahrensanforderungen, die in Art. 6 Abs. 1 bis 9 der angefochtenen Verordnung festgelegt sind. Diese Anforderungen implizieren, wie es im 26. Erwägungsgrund dieser Verordnung heißt, insbesondere, dass die Kommission bei der Durchführung von Verfahren nach dieser Bestimmung einen evidenzbasierten Ansatz verfolgen und die Grundsätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen beachten muss. Was die Feststellung und die Bewertung von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit betrifft, so sind diese Anforderungen im Licht des 16. Erwägungsgrundes der Verordnung zu verstehen, wonach diese Bewertung objektiv, unparteiisch und fair sein muss.

240

Unter diesen Umständen kann Ungarn weder geltend machen, dass die Mitgliedstaaten nicht in der Lage seien, den Wesensgehalt jedes der in Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung genannten Grundsätze sowie die aus ihnen folgenden Erfordernisse hinreichend genau zu bestimmen, noch, dass diese Grundsätze lediglich politischer Natur seien und die Kontrolle ihrer Einhaltung nicht Gegenstand einer rein rechtlichen Beurteilung sein könne.

241

Als Zweites macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend, dass das Verhältnis zwischen Art. 2 Buchst. a, Art. 3 und Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung nicht klar erkennbar sei, dass sich durch die kombinierte Anwendung dieser Vorschriften nicht ausschließen lasse, dass Sanktionen in Bezug auf Situationen verhängt würden, die nicht mit der ordnungsgemäßen Verwaltung der Mittel des Unionshaushalts zusammenhingen, und dass die in Art. 3 Buchst. b dieser Verordnung verwendeten Begriffe nur einen entfernten Zusammenhang mit dem Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ aufwiesen.

242

Insoweit ist zunächst daran zu erinnern, dass in den Rn. 136 bis 138 und 147 des vorliegenden Urteils Folgendes festgestellt worden ist: dass Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Verordnung diesen Begriff allein für die Zwecke dieser Verordnung dahin gehend definiert, dass er die Grundsätze der Rechtmäßigkeit, der Rechtssicherheit, des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt, des wirksamen Rechtsschutzes, der Gewaltenteilung, der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz umfasst; dass Art. 3 dieser Verordnung dadurch, dass er Fälle anführt, die ein Hinweis auf Verstöße gegen diese Grundsätze sein können, darauf abzielt, die Anwendung dieser Verordnung zu erleichtern; und dass Art. 4 der Verordnung in seinem Abs. 2 den Anwendungsbereich des in seinem Abs. 1 vorgesehenen Mechanismus der horizontalen Konditionalität festlegt, der verlangt, dass die Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit die in den Buchst. a bis h dieses Abs. 2 aufgeführten Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden betreffen, soweit sie für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind.

243

Aus alledem folgt, dass Art. 2 Buchst. a, Art. 3 und Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung untereinander Verbindungen aufweisen, die im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit hinreichend klar sind.

244

Sodann bringt die kombinierte Anwendung dieser Vorschriften entgegen dem, was Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend macht, keineswegs die Gefahr mit sich, dass Situationen, die nicht mit der ordnungsgemäßen Verwaltung der Mittel des Unionshaushalts zusammenhängen, Gegenstand von Maßnahmen nach Art. 4 der angefochtenen Verordnung sein können. Denn wie in Rn. 147 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, beschränkt dieser Artikel in seinem Abs. 2 den Anwendungsbereich des Mechanismus der horizontalen Konditionalität auf Umstände und Verhaltensweisen von mitgliedstaatlichen Behörden, die für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind, und verlangt in seinem Abs. 1, dass in allen Fällen ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit einerseits und Beeinträchtigungen oder ernsthaft drohenden Beeinträchtigungen dieser wirtschaftlichen Haushaltsführung oder des Schutzes dieser finanziellen Interessen andererseits festgestellt wird.

245

Schließlich kann dem von der Republik Polen unterstützten Vorbringen Ungarns, dass die in Art. 3 Buchst. b der angefochtenen Verordnung enthaltenen Wendungen „das Versäumnis, die … Einbehaltung finanzieller und personeller Ressourcen [zu verhindern, die die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden beeinträchtigt]“, „das Versäumnis, sicherzustellen, dass keine Interessenkonflikte bestehen“, oder auch „das Versäumnis, … rechtswidrige Entscheidungen … zu verhüten“, nur einen entfernten und indirekten Zusammenhang mit dem Begriff „Rechtsstaatlichkeit“ aufwiesen, nicht gefolgt werden. Denn wie sich aus den Erwägungsgründen 9 und 10 dieser Verordnung ergibt, können diese Situationen zu einem Verstoß gegen den Grundsatz des Verbots der willkürlichen Ausübung von Hoheitsgewalt oder gegen den Grundsatz des wirksamen Rechtsschutzes führen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Mai 2021, Asociaţia Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 210 bis 214, sowie vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 195 bis 213).

246

Als Drittes macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend, die angefochtene Verordnung stehe insofern nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit, als in ihrem Art. 3 und in ihrem Art. 4 Abs. 2 Formulierungen verwendet würden, die – wie etwa „die … ordnungsgemäße Arbeit [der Behörden]“, „die wirksame gerichtliche Kontrolle [der Behörden] durch unabhängige Gerichte“, „die wirksame und rechtzeitige Zusammenarbeit mit [dem] OLAF“ oder „andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden, die … von Bedeutung sind“ – zu ungenau seien, um vorhersehen zu können, unter welchen Umständen ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit festgestellt werden könne, sowie insofern, als sie der Kommission und dem Rat in dieser Hinsicht einen übermäßig weiten Beurteilungsspielraum gewähre.

247

Außerdem macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen speziell in Bezug auf Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung geltend, dass diese Bestimmung den Anforderungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit nicht gerecht werde. Eine Norm, die eine Sanktion vorsehe, müsse nämlich genau und abschließend das Verhalten definieren, dessen Ahndung beabsichtigt werde. Diesem Erfordernis genüge die fragliche Bestimmung nicht, da sie ohne nähere Definition vorsehe, dass „andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden“ die Annahme von Maßnahmen rechtfertigen könnten. Auch lasse der Wortlaut dieser Bestimmung nicht erkennen, ob der Begriff „Umstände“ mit dem Begriff „Behörden“ zusammenhänge oder nicht. Im Übrigen führe die fehlende Präzisierung des Begriffs „Behörden“ zu Rechtsunsicherheit.

248

Insoweit ist erstens in Bezug auf die „ordnungsgemäße Arbeit“ der Behörden, einschließlich Strafverfolgungsbehörden, die den Haushaltsplan der Union ausführen, der Dienststellen, die die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung durchführen, sowie der Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen, die in Art. 3 Buchst. b und Art. 4 Abs. 2 Buchst. a bis c der angefochtenen Verordnung genannt werden, festzustellen, dass aus den Erwägungsgründen 8 und 9 dieser Verordnung hervorgeht, dass sich dieser Ausdruck auf die Fähigkeit dieser Behörden bezieht, ihre Aufgaben, die für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung sind, korrekt, wirksam und effizient zu erfüllen.

249

Zweitens wird der in Art. 4 Abs. 2 Buchst. d der angefochtenen Verordnung verwendete Begriff der „durch unabhängige Gerichte“ erfolgenden „wirksamen gerichtlichen Kontrolle“ von Handlungen oder Unterlassungen der Behörden, die den Haushaltsplan der Union ausführen, der Dienststellen, die die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung durchführen, oder der Ermittlungs- und Strafverfolgungsinstanzen nicht nur in den Erwägungsgründen 8 bis 10 und 12 dieser Verordnung präzisiert, sondern ist auch, wie in den Rn. 132, 161 und 162 des vorliegenden Urteils dargelegt, Gegenstand einer umfangreichen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 19 EUV und Art. 47 der Charta.

250

Drittens ist zur „wirksamen und rechtzeitigen Zusammenarbeit mit [dem] OLAF“ festzustellen, dass sich das Erfordernis einer solchen Zusammenarbeit aus dem Haushaltsrecht der Union ergibt. Art. 63 Abs. 2 Buchst. d der Haushaltsordnung verpflichtet die Mitgliedstaaten nämlich, bei der Wahrnehmung von Haushaltsvollzugsaufgaben sämtliche zum Schutz der finanziellen Interessen der Union erforderlichen Maßnahmen, einschließlich Rechts- und Verwaltungsvorschriften, zu ergreifen; insbesondere müssen die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Haushaltsordnung und sektorspezifischer Vorschriften mit dem OLAF zusammenarbeiten.

251

Dieses Erfordernis der Zusammenarbeit ist u. a. in Art. 129 der Haushaltsordnung näher geregelt und umfasst die Verpflichtung, dem OLAF die Rechte und den Zugang zu gewähren, die bzw. den es benötigt, um seine Befugnisse umfassend auszuüben; hierzu gehört das Recht, Untersuchungen einschließlich Vor-Ort-Kontrollen und Inspektionen gemäß der Verordnung Nr. 883/2013 durchzuführen. Außerdem ergibt sich aus Art. 131 Abs. 1 der Haushaltsordnung, dass, wenn in einem Gewährungsverfahren Betrug vorzuliegen scheint, die zuständige Person das OLAF unverzüglich in Kenntnis setzen muss. Weitere Details zur erforderlichen Zusammenarbeit können Art. 57, Art. 91 Abs. 2, Art. 132 Abs. 2, Art. 187 Abs. 3 Buchst. b Ziff. ii und Art. 220 Abs. 5 Buchst. c der Haushaltsordnung sowie der Verordnung Nr. 883/2013 entnommen werden.

252

Viertens ist der in Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung verwendete Ausdruck „andere Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden“ im Licht von Art. 4 Abs. 2 Buchst. a bis g und Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung auszulegen.

253

Insoweit ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung von Art. 4 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung, dass geeignete Maßnahmen zu ergreifen sind, wenn festgestellt wird, dass ein Verstoß gegen einen der in Art. 2 Buchst. a dieser Verordnung genannten Grundsätze begangen wurde, der eine Situation, die einer mitgliedstaatlichen Behörde zuzurechnen ist, oder ein Verhalten einer solchen Behörde betrifft, soweit diese Situation bzw. dieses Verhalten für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union von Bedeutung ist und der fragliche Verstoß diese wirtschaftliche Haushaltsführung oder diese finanziellen Interessen hinreichend unmittelbar beeinträchtigt oder ernsthaft zu beeinträchtigen droht.

254

Die Anwendung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung in Verbindung mit deren Art. 4 Abs. 1 wird aber nicht nur durch alle in der vorstehenden Randnummer dargelegten Kriterien eingegrenzt, sondern unterliegt auch den in Rn. 239 des vorliegenden Urteils genannten verfahrensrechtlichen Anforderungen.

255

Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die in Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung genannten „anderen Umstände oder Verhaltensweisen von Behörden“ dadurch, dass sie abstrakt und allgemein definiert sind, zur Folge haben, dass die in diesem Abs. 2 enthaltene Aufzählung der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nicht abschließend ist.

256

Des Weiteren enthält Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung, soweit er in seinen Buchst. a bis g auf bestimmte Behörden – etwa die „Behörden, die den Haushaltsplan der Union ausführen“, die „Dienststellen, die die Finanzkontrolle, die Überwachung und die Rechnungsprüfung durchführen“ oder auch die „Verwaltungsbehörden“ – Bezug nimmt, Hinweise zu den Behörden, auf die sich Buchst. h bezieht.

257

Zudem kann aus der Definition des Begriffs „staatliche Einrichtung“ in Art. 2 Buchst. b der angefochtenen Verordnung abgeleitet werden, dass Behörden auf allen Regierungsebenen erfasst sind, einschließlich nationaler, regionaler und kommunaler Behörden, sowie öffentlich-rechtliche Körperschaften oder sogar Körperschaften des privaten Rechts, die mit einem öffentlichen Auftrag betraut sind und denen von dem Mitgliedstaat angemessene finanzielle Garantien bereitgestellt werden. Dies wird durch die Erwägungsgründe 3, 8, 9, 15 und 19 dieser Verordnung sowie durch deren Art. 3 Buchst. b bestätigt, die sich ausschließlich auf „Behörden“, „Strafverfolgungsbehörden“ und „nationale Behörden“ beziehen.

258

Schließlich bezieht sich der Begriff „Umstände“, wie in Rn. 164 des vorliegenden Urteils ausgeführt, auf Sachverhalte, die einer solchen Behörde zuzurechnen sind.

259

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen kann Ungarn nicht geltend machen, dass die beanstandeten Wendungen in Art. 3 und Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung es einem Mitgliedstaat nicht ermöglichten, ihre Tragweite oder ihren Sinn mit hinreichender Sicherheit zu bestimmen, um vorhersehen zu können, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit im Sinne dieser Verordnung festgestellt werden kann.

260

Fünftens sind im Licht der vorstehenden Erwägungen, denen zufolge die in Rn. 246 des vorliegenden Urteils genannten Formulierungen als solche den Erfordernissen des Grundsatzes der Rechtssicherheit genügen, sowie in Anbetracht der in den Rn. 171 und 239 des vorliegenden Urteils angeführten Gründe die von der Republik Polen unterstützten Einwände Ungarns, die dahin gehen, dass der Kommission und dem Rat durch diese Formulierungen ein zu weiter Beurteilungsspielraum gewährt werde, als unbegründet zurückzuweisen.

261

Als Viertes macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend, der Ausdruck „drohen“ in Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung verstoße gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, da er es ermögliche, in ungewissen oder nicht erwiesenen Situationen willkürliche Sanktionen zu verhängen. Mit diesem Ausdruck werde nämlich eine Vermutung begründet, weil sich in rechtlicher Hinsicht kein Zusammenhang zwischen der Rechtsstaatlichkeit und einer Beeinträchtigung des Unionshaushalts oder des Schutzes der finanziellen Interessen der Union nachweisen lasse und weil es unmöglich sei, die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Vorschrift objektiv, sachlich und tatsachenbasiert festzustellen.

262

Hierzu ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 311 seiner Schlussanträge festzustellen, dass es mit den Erfordernissen einer wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts und mit dem Schutz der finanziellen Interessen der Union unvereinbar wäre, die Annahme geeigneter Maßnahmen auf Fälle zu beschränken, in denen eine Beeinträchtigung dieser wirtschaftlichen Haushaltsführung oder dieser finanziellen Interessen bereits nachweislich eingetreten ist. Diese Beschränkung würde nämlich im Ergebnis bedeuten, dass die Annahme geeigneter Maßnahmen auch dann ausgeschlossen wäre, wenn Beeinträchtigungen zwar noch nicht nachweislich eingetreten, aber bei vernünftiger Betrachtung bereits absehbar sind, weil ihr Eintritt sehr wahrscheinlich ist. Daher liefe diese Beschränkung dem Ziel der angefochtenen Verordnung zuwider, das, wie in Rn. 119 des vorliegenden Urteils festgestellt, darin besteht, den Unionshaushalt vor Beeinträchtigungen zu schützen, die sich aus in einem Mitgliedstaat begangenen Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit ergeben können.

263

Was die Begriffe „Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung“ und „Schutz der finanziellen Interessen der Union“ anbelangt, so wird Ersterer auch in Art. 317 Abs. 1 AEUV verwendet und in Art. 2 Nr. 59 der Haushaltsordnung dahin gehend definiert, dass darunter der Vollzug des Haushaltsplans im Einklang mit den Grundsätzen der Sparsamkeit, der Wirtschaftlichkeit und der Wirksamkeit zu verstehen ist, während Letzterer auch Gegenstand von Art. 325 AEUV ist und nach Art. 63 Abs. 2 der Haushaltsordnung u. a. sämtliche Maßnahmen, einschließlich Rechts- und Verwaltungsvorschriften, umfasst, die darauf abzielen, Unregelmäßigkeiten und Betrug beim Haushaltsvollzug zu verhindern und aufzudecken sowie einschlägige Korrekturmaßnahmen zu ergreifen.

264

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass Art. 2 Nr. 1 der Verordnung Nr. 883/2013 die „finanziellen Interessen der Union“ als „Einnahmen, Ausgaben und Vermögensgegenstände, die im Haushaltsplan der Europäischen Union oder in den Haushaltsplänen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen und den von diesen verwalteten und überwachten Haushaltsplänen erfasst sind“, definiert. Außerdem sieht Art. 135 Abs. 1, 3 und 4 der Haushaltsordnung vor, dass die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Union ein Früherkennungs- und Ausschlusssystem errichtet und unterhält.

265

Der Gerichtshof hat im Übrigen entschieden, dass der Begriff „finanzielle Interessen der Union“ im Sinne von Art. 325 Abs. 1 AEUV nicht nur die dem Unionshaushalt zur Verfügung gestellten Einnahmen, sondern auch die von diesem Haushalt gedeckten Ausgaben umfasst (Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 183). Dieser Begriff ist also nicht nur im Kontext der von dieser Bestimmung erfassten Maßnahmen zur Bekämpfung von Unregelmäßigkeiten und Betrügereien relevant, sondern auch für die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts, da der Schutz der finanziellen Interessen der Union auch dazu beiträgt.

266

Die Verhinderung von Beeinträchtigungen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung ist folglich ein neben den Korrekturmaßnahmen bezüglich solcher Beeinträchtigungen bestehender Aspekt, der sowohl im Begriff der „Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung“ als auch in dem des „Schutzes der finanziellen Interessen der Union“ enthalten ist, so dass davon auszugehen ist, dass es sich dabei um eine dauerhaft und horizontal geltende Anforderung des Haushaltsrechts der Union handelt.

267

Im Übrigen verlangt diese Bestimmung, dass die festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder die finanziellen Interessen der Union „ernsthaft“ zu beeinträchtigen drohen, was bedeutet, dass nachgewiesen werden muss, dass sich dieses Risiko im Zusammenhang mit Umständen oder Verhaltensweisen von Behörden im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung mit hoher Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird, wobei geeignete Maßnahmen wohlgemerkt nur dann ergriffen werden können, wenn ein hinreichend unmittelbarer Zusammenhang, d. h. ein tatsächlicher Zusammenhang, zwischen einem Verstoß gegen einen der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und diesem ernsthaften Risiko festgestellt wird. Darüber hinaus sind beim Erlass dieser Maßnahmen auch die zuletzt in Rn. 239 des vorliegenden Urteils genannten Verfahrensanforderungen zu beachten.

268

Folglich ist das von der Republik Polen unterstützte Vorbringen Ungarns, dass der Ausdruck „drohen“ in Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung die Verhängung willkürlicher Sanktionen in ungewissen oder nicht erwiesenen Situationen erlaube, als unbegründet zurückzuweisen.

269

Als Fünftes ist zu dem Vorbringen, Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung lege Art und Umfang der nach Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung möglichen Maßnahmen zum Schutz des Haushalts der Union nicht hinreichend klar fest, erstens daran zu erinnern, dass in Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung die verschiedenen in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen abschließend aufgezählt werden, wie in Rn. 135 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist.

270

Zweitens ergibt sich die Tatsache, dass die Annahme einer dieser Schutzmaßnahmen gerechtfertigt und erforderlich ist, daraus, dass die in Art. 4 der angefochtenen Verordnung genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

271

Drittens bestimmt Art. 5 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 dieser Verordnung hinsichtlich der Kriterien, anhand deren zu ermitteln ist, welche Maßnahmen in einer bestimmten Situation in welchem Umfang zu ergreifen sind, dass die getroffenen Maßnahmen verhältnismäßig sein müssen, dass sie unter Berücksichtigung der tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder auf die finanziellen Interessen der Union festgelegt werden und dass der Art, der Dauer, der Schwere und dem Umfang der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gebührend Rechnung getragen wird. Daraus folgt, dass die Maßnahmen strikt im Verhältnis zur Auswirkung der festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf den Unionshaushalt oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union stehen müssen.

272

Demnach ist das Vorbringen, Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung lege Art und Umfang der in Betracht kommenden geeigneten Maßnahmen nicht hinreichend fest, als unbegründet zurückzuweisen.

273

Als Sechstes ist hinsichtlich des von der Republik Polen unterstützten Vorbringen Ungarns, dass der Ausdruck „soweit möglich“ in Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße, weil er den Zusammenhang zwischen dem festgestellten Verstoß und den erlassenen Schutzmaßnahmen unterbreche, was die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahmen in Frage stelle und den Maßnahmen Sanktionscharakter verleihe, zunächst darauf hinzuweisen, dass dieser Ausdruck nicht dazu ermächtigt, die nach Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung in Betracht kommenden Maßnahmen dahin gehend anzupassen, dass sie – im Sinne des Übermaßes wie des Untermaßes – außer Verhältnis zur Auswirkung des festgestellten Verstoßes auf den Unionshaushalt oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union stehen.

274

Wie in Rn. 271 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ergibt sich nämlich aus Art. 5 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 dieser Verordnung, dass die getroffenen Maßnahmen strikt im Verhältnis zur Auswirkung der festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf den Unionshaushalt oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union stehen müssen, und zwar unabhängig davon, ob sich die Maßnahmen tatsächlich auf die von diesen Verstößen betroffenen Handlungen der Union ausrichten lassen oder nicht.

275

Ferner erlaubt der Ausdruck „soweit möglich“ den Erlass von Maßnahmen in Bezug auf andere Handlungen der Union als diejenigen, die von einem solchen Verstoß betroffen sind, nur dann, wenn eine Ausrichtung auf diese Handlungen nicht, nicht mehr oder nur in einem Maße möglich ist, das nicht ausreicht, um das in Art. 1 der angefochtenen Verordnung genannte Ziel des Schutzes des Unionshaushalts in seiner Gesamtheit zu gewährleisten, so dass sich die Maßnahmen als erforderlich erweisen, um dieses Ziel zu erreichen.

276

Die getroffenen Maßnahmen können also nur hilfs- und folglich ausnahmsweise in Fällen, die die Kommission ordnungsgemäß nachweisen muss, auf andere Handlungen der Union als die von den fraglichen Verstößen betroffenen ausgerichtet sein.

277

Folglich gewährt Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung der Kommission und dem Rat nur dann ein Ermessen hinsichtlich der Wahl der Handlung, auf die sich die zu erlassende Maßnahme bezieht, wenn sich dies als unerlässlich erweist, um den Schutz des Unionshaushalts in seiner Gesamtheit zu gewährleisten. Überdies ist die Kommission nach Art. 6 Abs. 7 und 8 dieser Verordnung verpflichtet, u. a. die Verhältnismäßigkeit der in Betracht gezogenen Maßnahmen zu prüfen und dem betroffenen Mitgliedstaat die Möglichkeit zu geben, zu diesen Maßnahmen und insbesondere zu ihrer Verhältnismäßigkeit Stellung zu nehmen, wobei diese Anforderungen, wie zuletzt in Rn. 239 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nach Maßgabe des 26. Erwägungsgrundes dieser Verordnung zu verstehen sind.

278

Daraus folgt, dass der Ausdruck „soweit möglich“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung den Zusammenhang zwischen dem festgestellten Verstoß gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und der sich daraus ergebenden Beeinträchtigung bzw. ernsthaft drohenden Beeinträchtigung des Unionshaushalts oder des Schutzes der finanziellen Interessen der Union nicht unterbricht, da er die Ausrichtung auf eine andere Handlung der Union als die von diesem Verstoß betroffene nur dann zulässt, wenn das Ziel dieser Verordnung, den Schutz des Unionshaushalts in seiner Gesamtheit zu gewährleisten, nicht anders erreicht werden kann. Ferner folgt daraus, dass die angefochtene Verordnung für die Wahrnehmung dieser Möglichkeit strenge Verfahrensanforderungen vorsieht und dass der fragliche Ausdruck die Kommission und den Rat nicht von ihrer Verpflichtung entbindet, strikt auf die Verhältnismäßigkeit der erlassenen Maßnahmen im Hinblick auf die Auswirkungen des festgestellten Verstoßes auf den Unionshaushalt zu achten.

279

Demnach bedeutet die genannte Bestimmung nicht, dass Maßnahmen zum Schutz des Unionshaushalts den Charakter von Maßnahmen zur Ahndung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit als solche annehmen könnten, so dass das Vorbringen, der Ausdruck „soweit möglich“ in Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung unterbreche den Zusammenhang zwischen einem festgestellten Verstoß und den erlassenen Maßnahmen, was gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße, als unbegründet zurückzuweisen ist.

280

Soweit als Siebtes vorgebracht wird, Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung lege die Informationsquellen, auf die sich die Kommission stützen könne, nicht hinreichend genau fest, da er nicht bestimme, auf welcher Grundlage die Kommission das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu prüfen und zu beurteilen habe, so ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission nach dieser Vorschrift bei der Prüfung, ob die in Art. 4 dieser Verordnung festgelegten Voraussetzungen erfüllt und die zu verhängenden Maßnahmen verhältnismäßig sind, sachdienliche Informationen aus verfügbaren Quellen, einschließlich Beschlüssen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von Organen der Union sowie von anderen einschlägigen internationalen Organisationen und anderen anerkannten Einrichtungen, berücksichtigt.

281

Insoweit ist es nach Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung Sache der Kommission, nachzuweisen, dass die in Art. 4 dieser Verordnung genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

282

Außerdem ist die Kommission nach Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung verpflichtet, in einer schriftlichen Mitteilung an den betreffenden Mitgliedstaat die Tatsachen und die spezifischen Gründe darzulegen, auf denen ihre Feststellungen beruhen, denen zufolge hinreichende Gründe für die Annahme bestehen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.

283

Daraus folgt, dass die Kommission verpflichtet ist, den Sachverhalt nach Maßgabe der in Art. 4 der angefochtenen Verordnung festgelegten Voraussetzungen sorgfältig zu würdigen. Gleiches gilt gemäß Art. 6 Abs. 7 bis 9 dieser Verordnung in Bezug auf das in Art. 5 Abs. 3 der Verordnung aufgestellte Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen.

284

In den Erwägungsgründen 16 und 26 der angefochtenen Verordnung heißt es im Übrigen, dass die Kommission eine gründliche qualitative Bewertung vorzunehmen hat, die objektiv, unparteiisch und fair sein, im Einklang mit den Grundsätzen der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen stehen sowie auf der Grundlage eines unparteilichen und evidenzbasierten Ansatzes durchgeführt werden muss.

285

Daraus folgt, dass sich die Kommission vergewissern muss, dass die von ihr herangezogenen Informationen relevant und ihre Quellen zuverlässig sind, wobei sie der Kontrolle der Unionsgerichte unterliegt. Insbesondere verleihen die fraglichen Bestimmungen weder den in ihnen genannten noch den im 16. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung angeführten Informationsquellen einen spezifischen oder absoluten Beweiswert und schreiben ihnen auch keine bestimmten Rechtswirkungen zu, so dass sie die Kommission nicht von ihrer Pflicht entbinden, eine sorgfältige Sachverhaltsprüfung vorzunehmen, die den in der vorstehenden Randnummer genannten Anforderungen voll und ganz genügt.

286

Insoweit wird im 16. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung erläutert, dass die sachdienlichen Informationen aus verfügbaren Quellen und von anerkannten Institutionen namentlich Folgendes umfassen: die Urteile des Gerichtshofs, die Berichte des Rechnungshofs, den Jahresbericht der Kommission über die Rechtsstaatlichkeit und das jährliche EU-Justizbarometer der Kommission, die Berichte des OLAF, der EUStA und der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte sowie die Schlussfolgerungen und Empfehlungen einschlägiger internationaler Organisationen und Netze, einschließlich der Einrichtungen des Europarats wie der GRECO und der Venedig-Kommission – insbesondere deren Verzeichnis der Kriterien zur Bewertung der Rechtsstaatlichkeit („Rule of Law Checklist“) – und der Europäischen Netze der obersten Gerichtshöfe und der Räte für das Justizwesen.

287

Die Kommission bleibt somit für die von ihr verwendeten Informationen und für die Zuverlässigkeit ihrer Quellen verantwortlich. Im Übrigen hat der betroffene Mitgliedstaat die Möglichkeit, im Lauf des in Art. 6 Abs. 1 bis 9 der angefochtenen Verordnung vorgesehenen Verfahrens zu den Informationen Stellung zu nehmen, die die Kommission zu verwenden beabsichtigt, um die Annahme geeigneter Maßnahmen vorzuschlagen. Er kann folglich den Beweiswert jedes einzelnen der herangezogenen Beweismittel in Frage stellen, und die Richtigkeit der Würdigungen der Kommission kann jedenfalls im Rahmen einer Klage gegen einen nach der angefochtenen Verordnung ergangenen Beschluss des Rates der unionsgerichtlichen Kontrolle unterliegen.

288

Insbesondere muss die Kommission dem betroffenen Mitgliedstaat ab der Einleitung des Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung und in regelmäßigen Abständen während dieses Verfahrens die sachdienlichen Informationen aus verfügbaren Quellen, auf die sie den dem Rat zu unterbreitenden Vorschlag für einen Durchführungsbeschluss über geeignete Maßnahmen zu stützen beabsichtigt, genau mitteilen.

289

Folglich ist der dritte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

290

Nach alledem ist der Hauptantrag auf vollständige Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung zurückzuweisen.

B. Zu den Hilfsanträgen auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnung

1.   Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung

a)   Vorbringen der Parteien

291

Mit dem vierten Klagegrund, der zur Stützung des Hilfsantrags auf Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung geltend gemacht wird, bringt Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen im Wesentlichen vor, dass diese Bestimmung unverhältnismäßig sei und gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Normenklarheit verstoße, wie im Rahmen des dritten Klagegrundes dargelegt worden sei, da sie die Annahme von Maßnahmen zum Schutz des Unionshaushalts nicht nur dann zulasse, wenn dieser Haushalt oder der Schutz der finanziellen Interessen der Union hinreichend unmittelbar beeinträchtigt werde, sondern auch dann, wenn eine solche Beeinträchtigung lediglich ernsthaft drohe.

292

Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission, machen in erster Linie die Unzulässigkeit des vierten Klagegrundes geltend und treten diesem Vorbringen hilfsweise in der Sache entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

293

Nach ständiger Rechtsprechung ist die teilweise Nichtigerklärung eines Unionsrechtsakts nur möglich, soweit sich die Teile, deren Nichtigerklärung beantragt wird, vom Rest des Rechtsakts trennen lassen. Dieses Erfordernis ist nicht erfüllt, wenn die teilweise Nichtigerklärung eines Rechtsakts zur Folge hätte, dass der Wesensgehalt dieses Aktes verändert würde, was anhand eines objektiven und nicht eines subjektiven, vom politischen Willen des Organs, das den fraglichen Rechtsakt erlassen hat, abhängigen Kriteriums zu beurteilen ist (Urteil vom 6. Dezember 2012, Kommission/Verhuizingen Coppens, C‑441/11 P, EU:C:2012:778, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

294

Das Parlament und der Rat machen insoweit zu Recht geltend, dass die Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung zur Folge hätte, dass der Wesensgehalt dieser Verordnung verändert würde, da diese Bestimmung die Voraussetzungen festlegt, die für die Annahme der in Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung genannten Maßnahmen erfüllt sein müssen, und insofern das Herzstück des mit dieser Verordnung eingeführten Mechanismus der horizontalen Konditionalität darstellt. Ohne die Bestimmung, deren Nichtigerklärung beantragt wird, würde die angefochtene Verordnung nämlich nicht mehr dem in ihrem Art. 1 genannten Ziel gerecht, „die Regeln [festzulegen], die zum Schutz des Haushalts der Union im Falle von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten erforderlich sind“.

295

Daraus folgt, dass der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 1 der angefochtenen Verordnung als unzulässig zurückzuweisen ist, so dass die Stichhaltigkeit des vierten Klagegrundes, der zur Stützung dieses Antrags geltend gemacht wird, nicht geprüft zu werden braucht.

2.   Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung

a)   Vorbringen der Parteien

296

Mit dem fünften Klagegrund, der zur Stützung des Hilfsantrags auf Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung geltend gemacht wird, bringt Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen vor, diese Bestimmung verstoße gegen das Erfordernis, dass eine Sanktionsnorm die Verhaltensweisen und Sachverhalte, die sie unterbinden solle, genau definieren müsse. Das Fehlen einer genauen und abschließenden Aufzählung der Sachverhalte, die von dem mit der angefochtenen Verordnung eingeführten Mechanismus der horizontalen Konditionalität betroffen seien, verstoße daher gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit sowie gegen Art. 7 EUV.

297

Als Erstes weist Ungarn darauf hin, dass der Juristische Dienst des Rates in seinem Rechtsgutachten Nr. 13593/18 ausgeführt habe, dass eine Bestimmung, die einen Konditionalitätsmechanismus vorsehe, die für den Erhalt einer Finanzierung zu erfüllenden Voraussetzungen genau angeben müsse, wobei diese Voraussetzungen in hinreichendem Maße mit dem Ziel der Finanzierung zusammenhängen müssten, so dass die Finanzierung, wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt seien, mit einer wirtschaftlichen Haushaltsführung unvereinbar werde. Folglich könne die angefochtene Verordnung, da sie die Fälle, in denen der mit ihr eingeführte Konditionalitätsmechanismus eingesetzt werden könne, nicht abschließend aufzähle, nicht gewährleisten, dass ein hinreichend unmittelbarer Zusammenhang mit dem Schutz des Unionshaushalts und der finanziellen Interessen der Union bestehe.

298

Als Zweites leitet Ungarn aus der „äußerst allgemeinen“ Formulierung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung ab, dass ein Verstoß gegen die Erfordernisse der Klarheit, der Bestimmtheit und der Vorhersehbarkeit und damit gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit vorliege, da diese Bestimmung die Fälle, in denen geeignete Maßnahmen nach dieser Verordnung ergriffen werden könnten, nicht genau und abschließend aufzähle. Die Bestimmung sei nämlich, insbesondere bei Betrachtung ihrer verschiedenen Sprachfassungen, vage, mehrdeutig, schrankenlos und für eine einheitliche Auslegung und Anwendung ungeeignet. Daraus ergebe sich die ernste Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen.

299

Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission, treten diesem Vorbringen entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

300

Erstens ergibt sich aus den Rn. 244 und 253 des vorliegenden Urteils, dass Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung entgegen dem Vorbringen Ungarns keineswegs von dem Erfordernis abweicht, wonach stets ein hinreichend unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem Verstoß gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und einer Beeinträchtigung oder ernsthaft drohenden Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts oder des Schutzes der finanziellen Interessen der Union bestehen muss.

301

Überdies geht aus den Rn. 255 und 259 des vorliegenden Urteils hervor, dass diese Bestimmung zum einen nicht zur Folge hat, dass die Aufzählung von Umständen und Verhaltensweisen von Behörden, auf die sich die in Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit beziehen, nicht abschließend ist, und dass sie zum anderen hinreichend genau ist, um dem Grundsatz der Rechtssicherheit zu genügen.

302

Was zweitens das Vorbringen zum Zweck der angefochtenen Verordnung und zur behaupteten Umgehung des Verfahrens nach Art. 7 EUV betrifft, so genügt es, auf die in den Rn. 98 bis 196 des vorliegenden Urteils vorgenommene Analyse zu verweisen.

303

Was drittens die Behauptungen anbelangt, mit denen gerügt wird, Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung sei unklar formuliert und in sich widersprüchlich, so genügt der Verweis auf die in den Rn. 252 bis 258 des vorliegenden Urteils vorgenommene Analyse.

304

Folglich ist der fünfte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen, so dass der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 4 Abs. 2 Buchst. h der angefochtenen Verordnung zurückzuweisen ist.

3.   Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung

a)   Vorbringen der Parteien

305

Mit dem sechsten Klagegrund, der zur Stützung des Hilfsantrags auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung geltend gemacht wird, bringt Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen vor, dass diese Bestimmung unter Verstoß gegen die Rechtsgrundlage dieser Verordnung und gegen die unionsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Defizite den Haushalten der betroffenen Mitgliedstaaten Belastungen auferlege, da sie vorsehe, dass, wenn geeignete Maßnahmen gegenüber einem Mitgliedstaat ergriffen würden, dieser nicht von seiner Verpflichtung befreit sei, die Finanzierung der betroffenen Programme gegenüber den Endbegünstigten fortzusetzen.

306

In diesem Zusammenhang weist Ungarn darauf hin, dass die Hilfsleistungen der Union, die im durch die Verordnung 2020/2093 festgelegten mehrjährigen Finanzrahmen 2021‑2027 sowie in der Verordnung 2020/2094 vorgesehen seien, im Rahmen von Verwaltungsprogrammen gezahlt würden, die hauptsächlich oder sogar ausschließlich nach den Prioritäten der Union konzipiert seien. Würden diese Hilfsleistungen durch nach der angefochtenen Verordnung erlassene Maßnahmen ganz oder teilweise ausgesetzt, wäre der betroffene Mitgliedstaat gemäß der fraglichen Bestimmung gezwungen, diese Programme vollständig zu finanzieren.

307

Damit beschränke Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung das Recht dieses Mitgliedstaats, seinen eigenen Haushalt zu nutzen, mache die Planung seiner Wirtschaftspolitik unvorhersehbar und zwinge ihn unter Umständen dazu, gegen die unionsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Defizite zu verstoßen. Dies könne zu weiteren Strafen und zu einer strukturellen Verschuldung des betreffenden Mitgliedstaats führen, insbesondere wenn dieser mit einem geringen Haushalt ausgestattet sei, was einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen darstelle.

308

Im Übrigen stelle Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung die Geeignetheit der für diese Verordnung gewählten Rechtsgrundlage in Frage, da diese Bestimmung Anforderungen festlege, die nicht für den Unionshaushalt, sondern für die Haushalte der betroffenen Mitgliedstaaten gälten, was bestätige, dass die Maßnahmen zum Schutz des Unionshaushalts, die nach dieser Verordnung ergriffen werden könnten, darauf abzielten, diese Mitgliedstaaten wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zu sanktionieren.

309

Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission, treten diesem Vorbringen entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

310

Mit dem sechsten Klagegrund macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen im Wesentlichen geltend, dass Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung den Haushalten der betroffenen Mitgliedstaaten Belastungen auferlege, was mit der Rechtsgrundlage dieser Verordnung unvereinbar sei, gegen die unionsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Defizite verstoße und den Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen verletze.

311

Insoweit ist erstens die Rüge, dass Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung mit der Rechtsgrundlage dieser Verordnung unvereinbar sei, aus den bereits in den Rn. 150 bis 152 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen zurückzuweisen.

312

Zweitens ist hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen die unionsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Defizite festzustellen, dass Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung lediglich klarstellt, dass der Erlass von Maßnahmen nach dieser Verordnung die bereits bestehenden Verpflichtungen der öffentlichen Einrichtungen und der Mitgliedstaaten, die sich u. a. aus den „anwendbaren sektorspezifischen Vorschriften oder Haushaltsvorschriften“ ergeben, unberührt lässt und dass solche Maßnahmen die öffentlichen Einrichtungen und die Mitgliedstaaten insbesondere nicht dazu berechtigen können, sich von diesen Verpflichtungen zu lösen. Daraus folgt, dass diese Bestimmung den Mitgliedstaaten keine neue Verpflichtung auferlegt.

313

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 324 und 325 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, hat Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung zwar zur Folge, dass die Mitgliedstaaten die Kosten tragen müssen, die sich aus den gemäß dieser Verordnung auferlegten Maßnahmen ergeben, doch lässt diese Folge die den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer unionsrechtlichen Verpflichtungen zustehende Möglichkeit unberührt, die Mittel zu bestimmen, mit denen sie die in den Verträgen festgelegten Ziele in Bezug auf öffentliche Defizite erreichen.

314

Somit unterscheidet sich die Auswirkung, die diese Bestimmung auf die Haushalte der betroffenen Mitgliedstaaten haben kann, nicht von der Auswirkung, die sich aus anderen unionsrechtlichen Verpflichtungen ergeben kann.

315

Außerdem dürfen die Mitgliedstaaten zwar bei der Aufstellung ihrer Haushaltspläne die Finanzierungen aus dem Unionshaushalt, auf die sie Anspruch haben, berücksichtigen, sofern die Voraussetzungen für den Erhalt dieser Finanzierungen erfüllt zu sein scheinen, doch kann sich ein Mitgliedstaat, wenn in der Folge festgestellt wird, dass diese Voraussetzungen nicht erfüllt waren oder nicht mehr erfüllt sind, so dass die betreffenden Finanzierungen nicht ausgezahlt werden oder Gegenstand einer finanziellen Berichtigung sind, nicht auf seine Verpflichtungen in Bezug auf öffentliche Defizite berufen, um der Anwendung dieser Voraussetzungen zu entgehen. Folglich kann ein Mitgliedstaat auch nicht geltend machen, dass die Anwendung dieser Voraussetzungen die Planung seiner Wirtschaftspolitik unvorhersehbar mache.

316

Was drittens den behaupteten Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen anbelangt, ergibt sich aus Art. 5 Abs. 3 der angefochtenen Verordnung, dass die nach dieser Verordnung getroffenen geeigneten Maßnahmen strikt im Verhältnis zu den Auswirkungen der festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder auf den Schutz der finanziellen Interessen der Union stehen müssen; dieses Erfordernis der Verhältnismäßigkeit gilt in gleicher Weise gegenüber jedem Mitgliedstaat. Außerdem ist die Kommission nach Art. 6 Abs. 7 und 8 dieser Verordnung verpflichtet, u. a. die Verhältnismäßigkeit der zu verhängenden Maßnahmen zu prüfen und jedem betroffenen Mitgliedstaat die Möglichkeit zu geben, zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen, insbesondere zu deren Verhältnismäßigkeit, Stellung zu nehmen. Da diese Bestimmung nach Maßgabe des 26. Erwägungsgrundes der Verordnung zu verstehen ist, muss die Kommission bei ihrer Prüfung einen evidenzbasierten Ansatz verfolgen sowie die Grundsätze der Objektivität, der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen beachten.

317

Diese verschiedenen Erfordernisse bedeuten, dass jede Situation, die Gegenstand eines nach der angefochtenen Verordnung durchgeführten Verfahrens ist, sowie die geeigneten Maßnahmen, die diese Situation gegebenenfalls erfordert, objektiv, sorgfältig und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit geprüft werden müssen, um einerseits den Unionshaushalt und die finanziellen Interessen der Union wirksam vor den Auswirkungen von Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu schützen, andererseits aber auch den Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen zu wahren. Unter diesen Umständen entbehrt das Vorbringen Ungarns, dass die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung einen Verstoß gegen diesen Grundsatz darstelle, der Grundlage.

318

Nach alledem ist der sechste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen, so dass der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 2 der angefochtenen Verordnung zurückzuweisen ist.

4.   Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung

a)   Vorbringen der Parteien

319

Mit dem siebten Klagegrund, der zur Stützung des Hilfsantrags auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung geltend gemacht wird, bringt Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen vor, dass die in dieser Bestimmung vorgesehenen Kriterien für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen, die gegenüber einem Mitgliedstaat erlassen werden könnten, in keinem Zusammenhang mit dem Haushalt der Union oder mit deren finanziellen Interessen stünden und darauf ausgerichtet seien, Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu ahnden.

320

Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung sei bei der Festlegung der zu treffenden Maßnahmen der Art, der Dauer, der Schwere und dem Umfang der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gebührend Rechnung zu tragen. Im 18. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung heiße es, dass bei der zu diesem Zweck erfolgenden Prüfung der Verhältnismäßigkeit die Schwere der Umstände, der Zeitraum seit Beginn des einschlägigen Verhaltens, die Dauer und Häufigkeit des Verhaltens, die zugrunde liegende Absicht und das Ausmaß der Mitarbeit des betreffenden Mitgliedstaats bei der Abstellung der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit sowie die Auswirkungen dieser Verstöße auf die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder auf die finanziellen Interessen der Union zu berücksichtigen seien.

321

Diese Kriterien stellten den Zusammenhang zwischen dem festgestellten Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und den konkreten Auswirkungen dieses Verstoßes auf die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union in Frage, was gegen die Rechtsgrundlage der angefochtenen Verordnung sowie gegen Art. 7 EUV verstoße.

322

Erstens ergebe sich aus Art. 5 Abs. 3 der angefochtenen Verordnung in Verbindung mit deren 18. Erwägungsgrund, dass die Kommission und der Rat die Absicht des „Urhebers des Verstoßes“ zu berücksichtigen hätten. Insoweit werde der Urheber des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in der Verordnung nicht definiert, da sich die in den Art. 3 und 4 der Verordnung genannten Fälle auf Umstände und Verhaltensweisen bezögen, die entweder dem betreffenden Mitgliedstaat in seiner Gesamtheit oder bestimmten Organen dieses Mitgliedstaats zuzurechnen seien. Letztere seien aber nicht in der Lage, einen Willensakt auszuüben, so dass unklar bleibe, auf welche Weise die Absicht, eine Handlung zu „begehen“, bei der Festlegung der geeigneten Maßnahmen zu berücksichtigen sei.

323

Außerdem wirke sich die Berücksichtigung einer solchen Absicht zwangsläufig auf die Art der Maßnahme aus. Wenn die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme, und sei es nur teilweise, anhand der Absicht bestimmt werde, die mit dem der Maßnahme zugrunde liegenden Verstoß verbunden sei, so verleihe dies der Maßnahme Strafcharakter, und die Maßnahme ziele somit nicht darauf ab, der Beeinträchtigung des Unionshaushalts oder des Schutzes der finanziellen Interessen der Union abzuhelfen. Diese Berücksichtigung der Absicht sei also ein klarer Hinweis darauf, dass das vorrangige Ziel und der hauptsächliche Gegenstand der angefochtenen Verordnung nicht mit deren Rechtsgrundlage vereinbar seien.

324

Zweitens werde diese Feststellung dadurch bestätigt, dass Dauer und Schwere des Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit sowie das Ausmaß der Mitarbeit des betreffenden Mitgliedstaats bei der Abstellung des Verstoßes berücksichtigt würden, da auch diese Kriterien nichts mit den Auswirkungen auf die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder auf den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu tun hätten.

325

Drittens ergebe sich aus einer systematischen Auslegung der angefochtenen Verordnung, dass angesichts dessen, dass die Pflicht der Organe, die tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder auf die finanziellen Interessen der Union zu berücksichtigen, bereits im zweiten Satz von Art. 5 Abs. 3 der angefochtenen Verordnung vorgesehen sei, mit dem dritten Satz dieser Vorschrift anderen Formen von Auswirkungen Rechnung getragen werden solle.

326

Daraus folge zunächst, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung nicht dem Erfordernis genüge, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den getroffenen Maßnahmen und dem Schutz des Unionshaushalts oder der finanziellen Interessen der Union bestehe. Des Weiteren setze die Berücksichtigung der in dieser Bestimmung genannten Kriterien voraus, dass der Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit von der Kommission und dem Rat eingehend geprüft werde, was nur im Rahmen des Verfahrens nach Art. 7 EUV geschehen könne. Schließlich führe die Anwendung dieser Bestimmung dazu, dass die getroffenen Maßnahmen Sanktionscharakter hätten, obwohl Sanktionen gegen einen Mitgliedstaat nur auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 3 EUV verhängt werden könnten.

327

Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission, treten diesem Vorbringen entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

328

Mit dem siebten Klagegrund macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen im Wesentlichen geltend, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung, betrachtet im Licht deren 18. Erwägungsgrundes, mit der Rechtsgrundlage dieser Verordnung unvereinbar sei und sowohl gegen Art. 7 EUV als auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoße, da die in dieser Bestimmung genannten Kriterien für die Annahme geeigneter Maßnahmen in Bezug auf den Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit keinen Zusammenhang mit dem Unionshaushalt oder dem Schutz der finanziellen Interessen der Union aufwiesen.

329

Insoweit ergibt sich, wie in Rn. 271 des vorliegenden Urteils ausgeführt, aus Art. 5 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 der angefochtenen Verordnung, dass die getroffenen Maßnahmen strikt im Verhältnis zur Auswirkung der festgestellten Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf den Unionshaushalt oder die finanziellen Interessen der Union stehen müssen.

330

Im ersten Satz dieser Bestimmung heißt es nämlich, dass die getroffenen Maßnahmen „verhältnismäßig“ sein müssen, im zweiten Satz, dass sie „unter Berücksichtigung der tatsächlichen oder potenziellen Auswirkungen“ der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die wirtschaftliche Führung des Haushalts der Union oder auf die finanziellen Interessen der Union festgelegt werden, und im dritten Satz, dass der Art, der Dauer, der Schwere und dem Umfang der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit „gebührend Rechnung getragen“ wird.

331

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 177 und 178 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ergibt sich aus der Reihenfolge dieser Sätze sowie aus den darin verwendeten Formulierungen, dass die Verhältnismäßigkeit der zu ergreifenden Maßnahmen maßgebend durch das Kriterium der „Auswirkungen“ der Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit auf die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder den Schutz der finanziellen Interessen der Union gewährleistet wird. Was die Kriterien der Art, der Dauer, der Schwere und des Umfangs dieser Verstöße anbelangt, so kann ihnen nur „gebührend Rechnung getragen“ werden, um das Ausmaß dieser Auswirkungen zu bestimmen, das in Abhängigkeit von den Merkmalen der festgestellten Verstöße, wie sie durch die Anwendung dieser Kriterien zutage treten, variieren kann.

332

Es trifft zu, dass im 18. Erwägungsgrund der angefochtenen Verordnung zwar dieselben Kriterien wie in Art. 5 Abs. 3 Sätze 2 und 3 dieser Verordnung genannt werden, aber in einer anderen Reihenfolge. Jedoch darf dieser Erwägungsgrund nicht zu einer Auslegung dieser Vorschrift führen, die mit ihrem Wortlaut und ihrer Struktur unvereinbar wäre, da die Erwägungsgründe eines Unionsrechtsakts nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs – wie in Rn. 191 des vorliegenden Urteils angeführt – rechtlich nicht verbindlich sind und somit nicht herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen oder um diese Bestimmungen in einem Sinn auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht. Soweit in diesem Erwägungsgrund außerdem von der „Absicht … des betreffenden Mitgliedstaats“ die Rede ist, bezieht sich dies nicht auf die Absicht, gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit zu verstoßen, sondern auf die Absicht bezüglich der „Abstellung der [festgestellten] Verstöße“. Diese Absicht kann aber, ebenso wie das ebenfalls in diesem Erwägungsgrund erwähnte „Ausmaß der Mitarbeit“, die der betreffende Mitgliedstaat insoweit leistet, u. a. für die Bestimmung von Dauer und Umfang eines Verstoßes im Sinne der in Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der Verordnung genannten Kriterien relevant sein und folglich – entsprechend den Ausführungen in der vorstehenden Randnummer – maßgeblich sein, um die Auswirkungen dieses Verstoßes auf die wirtschaftliche Führung des Unionshaushalts oder auf die finanziellen Interessen der Union zu ermessen.

333

Daraus folgt, dass die in Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung genannten Kriterien entgegen dem von der Republik Polen unterstützten Vorbringen Ungarns zwar voraussetzen, dass die Kommission und der Rat die Merkmale des betreffenden Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gründlich prüfen, aber gleichwohl einen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts und dem Schutz der finanziellen Interessen der Union aufweisen, so dass nicht angenommen werden kann, dass sie den nach dieser Verordnung ergriffenen geeigneten Maßnahmen den Charakter von Sanktionen verleihen, die an Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit als solche anknüpfen.

334

Unter diesen Umständen ist der siebte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen, so dass der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 3 Satz 3 der angefochtenen Verordnung zurückzuweisen ist.

5.   Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung

a)   Vorbringen der Parteien

335

Mit dem achten Klagegrund, der zur Stützung des Hilfsantrags auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung geltend gemacht wird, bringt Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen vor, diese Bestimmung verstoße gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit, soweit sie vorsehe, dass die ergriffenen Maßnahmen nur „soweit möglich“ auf die durch die Verstöße beeinträchtigten Handlungen der Union ausgerichtet sein müssten.

336

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung folge nämlich, dass die Maßnahmen auch auf Handlungen der Union ausgerichtet sein könnten, die durch den Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nicht beeinträchtigt würden, so dass solche Maßnahmen ergriffen werden könnten, ohne dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem solchen Verstoß und einer bestimmten von diesen Maßnahmen erfassten Handlung der Union hergestellt werde. Nach dem Grundsatz der Rechtssicherheit sei es jedoch strikt erforderlich, dass die Anwendung von Vorschriften, die zu finanziellen Konsequenzen führen könnten, eindeutig und vorhersehbar sei, was nicht der Fall sei, wenn zwischen Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und nach der angefochtenen Verordnung ergriffenen Maßnahmen kein tatsächlicher Zusammenhang bestehe.

337

Das Fehlen eines tatsächlichen Zusammenhangs stelle außerdem einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar, denn selbst wenn man annähme, dass das Ziel der angefochtenen Verordnung darin bestehe, für den Fall eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat die zum Schutz des Unionshaushalts erforderlichen Regeln festzulegen, ginge Art. 5 Abs. 3 Satz 4 dieser Verordnung über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sei, da er den Erlass von Maßnahmen in Bezug auf Unionsprogramme gestatte, die von einem solchen Verstoß nicht betroffen seien.

338

Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission, treten diesem Vorbringen entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

339

Mit dem achten Klagegrund macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen geltend, Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung verstoße gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit, soweit er durch die Verwendung des Ausdrucks „soweit möglich“ eine Ausrichtung auf Handlungen und Programme gestatte, die keinen Bezug zu einem festgestellten Verstoß gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit aufwiesen.

340

Insoweit ist zum einen hinsichtlich des behaupteten Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit darauf hinzuweisen, dass dieser Grundsatz, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt, dass die Handlungen der Unionsorgane zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung verfolgten legitimen Ziele geeignet sind und nicht über die Grenzen dessen hinausgehen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die dadurch bedingten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (Urteil vom 6. September 2017, Slowakei und Ungarn/Rat, C‑643/15 und C‑647/15, EU:C:2017:631, Rn. 206 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

341

Im vorliegenden Fall genügt der Hinweis darauf, dass in den Rn. 273 bis 279 des vorliegenden Urteils Folgendes festgestellt worden ist: Der Ausdruck „soweit möglich“ in Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung ermächtigt nicht dazu, die nach Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung in Betracht kommenden Maßnahmen dahin gehend anzupassen, dass sie – im Sinne des Übermaßes wie des Untermaßes – außer Verhältnis zur Auswirkung des festgestellten Verstoßes auf den Unionshaushalt stehen; die angefochtene Verordnung zielt darauf ab, den Unionshaushalt in seiner Gesamtheit zu schützen; der fragliche Ausdruck erlaubt die Ausrichtung auf andere Handlungen der Union als diejenigen, die von einem solchen Verstoß betroffen sind, nur ausnahmsweise, nämlich dann, wenn eine Ausrichtung auf letztere Handlungen nicht, nicht mehr oder nur in einem Maße möglich ist, das nicht ausreicht, um das Ziel dieser Verordnung, nämlich den Schutz des Unionshaushalts in seiner Gesamtheit, zu erreichen, so dass sich diese Vorgehensweise zur Erreichung dieses Ziels als unerlässlich erweist.

342

Daraus folgt, dass das Vorbringen, Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung gehe durch die Verwendung des Ausdrucks „soweit möglich“ über das hinaus, was zur Erreichung des genannten Ziels erforderlich sei, als unbegründet zurückzuweisen ist.

343

Was zum anderen den behaupteten Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit betrifft, ergibt sich zunächst aus den Feststellungen in den Rn. 269 bis 272 des vorliegenden Urteils, dass die Art der Maßnahmen, die nach der angefochtenen Verordnung erlassen werden können, in deren Art. 5 Abs. 1 festgelegt ist und dass der Umfang der Maßnahmen gemäß Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung strikt nach Maßgabe der Auswirkungen des festgestellten Verstoßes auf den Unionshaushalt bestimmt wird.

344

Des Weiteren ist in den Rn. 273 bis 279 des vorliegenden Urteils festgestellt worden, dass der Ausdruck „soweit möglich“ in Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung den Zusammenhang zwischen einem Verstoß gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit und der Beeinträchtigung bzw. ernsthaft drohenden Beeinträchtigung des Unionshaushalts oder des Schutzes der finanziellen Interessen der Union nicht unterbricht. Außerdem wird es durch die Verwendung dieses Ausdrucks ermöglicht, ausnahmsweise und in strikt auf das Unerlässliche beschränktem Umfang Maßnahmen zum Schutz des Unionshaushalts auf andere Handlungen als die vom Verstoß gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit betroffenen anzuwenden, wenn das Ziel dieser Verordnung, den Schutz dieses Haushalts in seiner Gesamtheit und die finanziellen Interessen der Union zu schützen, nicht anders erreicht werden kann. Art. 6 der angefochtenen Verordnung grenzt diese Möglichkeit durch strenge Verfahrensanforderungen ein und befreit die Kommission und den Rat nicht von ihrer Pflicht, strikt das Erfordernis zu beachten, dass die ergriffenen Maßnahmen im Verhältnis zu den Auswirkungen des festgestellten Verstoßes auf den Unionshaushalt bzw. auf den Schutz der finanziellen Interessen der Union stehen.

345

Da die angefochtene Verordnung Art und Umfang der in Betracht kommenden Maßnahmen festlegt, da sie außerdem der Kommission und dem Rat die Befugnis zur Ausrichtung auf andere Handlungen als die vom Verstoß gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit betroffenen nur insoweit einräumt, als sie erforderlich ist, um den Schutz des Unionshaushalts in seiner Gesamtheit und den Schutz der finanziellen Interessen der Union zu gewährleisten, und da diese Befugnis im Übrigen, insbesondere durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, streng begrenzt ist, kann nicht angenommen werden, dass Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Rechtssicherheit verstößt.

346

Folglich ist der achte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen, so dass der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 5 Abs. 3 Satz 4 der angefochtenen Verordnung zurückzuweisen ist.

6.   Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung

a)   Vorbringen der Parteien

347

Mit dem neunten Klagegrund, der zur Stützung des Hilfsantrags auf Nichtigerklärung von Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung geltend gemacht wird, bringt Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen vor, Art. 6 Abs. 3 der angefochtenen Verordnung verstoße gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, soweit er der Kommission gestatte, bei der Prüfung der in Art. 4 dieser Verordnung genannten Voraussetzungen „sachdienliche Informationen aus verfügbaren Quellen, einschließlich Beschlüssen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen von Organen der Union sowie von anderen einschlägigen internationalen Organisationen und anderen anerkannten Einrichtungen“, zu berücksichtigen. Gleiches gelte für Art. 6 Abs. 8 dieser Verordnung, der hinsichtlich der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der zu verhängenden Maßnahmen auf Art. 6 Abs. 3 verweise.

348

Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung bestimme die relevanten Informationsquellen, von denen in dieser Bestimmung die Rede sei, nicht hinreichend genau, da daraus nicht hervorgehe, auf welcher Grundlage die Kommission zu beurteilen habe, ob ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit vorliege.

349

Insbesondere sei es in Anbetracht des Ausdrucks „sachdienliche Informationen aus verfügbaren Quellen“ in Art. 6 Abs. 3 der angefochtenen Verordnung nicht ausgeschlossen, dass die Kommission ihre Beurteilung auf die individuelle Meinung bestimmter Personen oder Organisationen stütze, deren Objektivität nicht erwiesen sei, oder dass sie auf die mangelnde Umsetzung von Empfehlungen abstelle, die rechtlich unverbindlich seien und von unionsexternen internationalen Organisationen stammten. Solche Empfehlungen unterschiedlicher Art könnten nicht als verlässliche Indikatoren einer allgemeinen Unzulänglichkeit im Bereich der Rechtsstaatlichkeit angesehen werden.

350

In Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung werde auch nicht angegeben, auf welche Weise die Kommission diese Quellen auszuwerten habe. Angesichts des weiten Ermessens, das ihr durch diese Bestimmungen eingeräumt werde, könne jedes von ihr verwendete unverbindliche Dokument als Beweismittel für einen Verstoß dienen, selbst wenn es willkürlich ausgewählt worden sei.

351

Das Parlament und der Rat, unterstützt durch das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission, treten diesem Vorbringen entgegen.

b)   Würdigung durch den Gerichtshof

352

Mit dem neunten Klagegrund macht Ungarn mit Unterstützung der Republik Polen zunächst geltend, dass Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung in Anbetracht seines unbestimmten Wortlauts nicht dem Erfordernis genüge, das sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergebe. Ferner werde es der Kommission mit dieser Bestimmung gestattet, ihre Beurteilung auf Meinungen, deren Objektivität nicht gewährleistet sei, und auf unverbindliche, unionsexterne Empfehlungen zu stützen. Schließlich sei in dieser Bestimmung nicht festgelegt, auf welche Weise die Kommission die herangezogenen Informationen auszuwerten und ihre Relevanz im Hinblick auf das Ziel der angefochtenen Verordnung zu beurteilen habe.

353

Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, dass die angefochtene Verordnung entgegen dem Vorbringen Ungarns nicht darauf abzielt, Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit als solche zu ahnden, sondern, wie in den Rn. 98 bis 152 des vorliegenden Urteils festgestellt, den Schutz des Unionshaushalts gewährleisten soll, so dass das Vorbringen, dass diese Verordnung den für Sanktionsmaßnahmen geltenden Anforderungen genügen müsse, jedenfalls keinen Erfolg haben kann.

354

Was zweitens die Frage betrifft, ob Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung es der Kommission erlaubt, ihre Beurteilung auf Meinungen, deren Objektivität als zweifelhaft angesehen werden könnte, und auf unverbindliche, unionsexterne Empfehlungen zu stützen, so ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in dieser Bestimmung nicht von „Meinungen“, sondern von „Beschlüssen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen“ sowie von „Vorgaben“ die Rede ist.

355

Jedenfalls hat Ungarn nichts Konkretes vorgetragen, was die Objektivität der im 16. Erwägungsgrund dieser Verordnung genannten Organe und Einrichtungen in Frage stellen könnte, so dass kein Grund für den Verdacht besteht, dass diese Organe und Einrichtungen Meinungen von zweifelhafter Objektivität verbreiten könnten.

356

Des Weiteren verlangt Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung, dass die Kommission bei der Prüfung der in Art. 4 dieser Verordnung genannten Voraussetzungen und der Verhältnismäßigkeit der zu ergreifenden geeigneten Maßnahmen die zu diesem Zweck „sachdienlichen“ Informationen berücksichtigt, was notwendigerweise voraussetzt, dass diese Informationen einen Bezug zu den in Art. 2 Buchst. a dieser Verordnung genannten Grundsätzen aufweisen, die der in Art. 2 EUV verankerte, den Mitgliedstaaten gemeinsame Wert der Rechtsstaatlichkeit umfasst.

357

Was schließlich die Unverbindlichkeit der Empfehlungen anbelangt, die von der Kommission berücksichtigt werden können, so ist in Rn. 285 des vorliegenden Urteils festgestellt worden, dass Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung weder den dort genannten noch den im 16. Erwägungsgrund dieser Verordnung angeführten Informationsquellen einen spezifischen oder absoluten Beweiswert verleiht und ihnen auch keine bestimmten Rechtswirkungen zuschreibt, so dass diese Bestimmung die Kommission nicht von ihrer Pflicht entbindet, eine sorgfältige Sachverhaltsprüfung vorzunehmen, die den in Rn. 284 des vorliegenden Urteils genannten Anforderungen voll und ganz genügt.

358

Außerdem kann der betreffende Mitgliedstaat, da sich die Kommission, wie in Rn. 287 des vorliegenden Urteils ausgeführt, von der Relevanz der von ihr verwendeten Informationen und von der Zuverlässigkeit ihrer Quellen überzeugen muss, im Lauf des in Art. 6 Abs. 1 bis 9 der angefochtenen Verordnung vorgesehenen Verfahrens zu diesen Informationen Stellung nehmen und folglich den Beweiswert jedes einzelnen der von der Kommission herangezogenen Beweismittel in Frage stellen, und die Richtigkeit der Würdigungen der Kommission kann gegebenenfalls von den Unionsgerichten kontrolliert werden.

359

Was drittens das Vorbringen betrifft, dass Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung weder bestimme, auf welche Weise die Kommission die herangezogenen Informationen auszuwerten habe, noch, wie sie anhand dieser Informationen die Schwere eines Verstoßes gegen einen Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit sowie dessen Bezug zum Schutz der wirtschaftlichen Führung des Unionshaushalts oder der finanziellen Interessen der Union zu beurteilen habe, so ist in den Rn. 357 und 358 des vorliegenden Urteils darauf hingewiesen worden, dass die Kommission verpflichtet ist, den Sachverhalt sorgfältig zu würdigen und das in Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung garantierte Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der nach der Verordnung ergriffenen Maßnahmen zu beachten, wobei die Gültigkeit eines vom Rat auf der Grundlage der Verordnung erlassenen Beschlusses von den Unionsgerichten kontrolliert werden kann.

360

Folglich ist der neunte Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen, so dass der Antrag auf Nichtigerklärung von Art. 6 Abs. 3 und 8 der angefochtenen Verordnung zurückzuweisen ist.

361

Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

VI. Kosten

362

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

363

Da das Parlament und der Rat beantragt haben, Ungarn die Kosten aufzuerlegen, und dieser Mitgliedstaat mit seinem Vorbringen unterlegen ist, ist zu entscheiden, dass er die Kosten dieser Organe trägt.

364

Gemäß Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung tragen das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Kommission als Streithelfer ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Plenum) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Ungarn trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten des Europäischen Parlaments und des Rates der Europäischen Union.

 

3.

Das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, das Königreich Spanien, die Französische Republik, das Großherzogtum Luxemburg, das Königreich der Niederlande, die Republik Polen, die Republik Finnland, das Königreich Schweden und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.

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