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Dokument 52018IE1641

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu „Der Beitrag der ländlichen Gebiete Europas zum Jahr des Kulturerbes 2018 durch die Gewährleistung von Nachhaltigkeit und Zusammenhalt zwischen Stadt und Land“ (Initiativstellungnahme)

EESC 2018/01641

ABl. C 440 vom 6.12.2018, p. 22–27 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

6.12.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 440/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu „Der Beitrag der ländlichen Gebiete Europas zum Jahr des Kulturerbes 2018 durch die Gewährleistung von Nachhaltigkeit und Zusammenhalt zwischen Stadt und Land“

(Initiativstellungnahme)

(2018/C 440/04)

Berichterstatter:

Tom JONES

Beschluss des Plenums

15.2.2018

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

5.9.2018

Verabschiedung auf der Plenartagung

19.9.2018

Plenartagung Nr.

537

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

201/2/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Schlussfolgerungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt vorbehaltlos, dass das Jahr 2018 zum Europäischen Jahr des Kulturerbes ausgerufen wurde, und begrüßt sämtliche Bemühungen von Veranstaltern und Organisatoren auf allen Ebenen, das vielfältige und reiche kulturelle Erbe Europas (1) bekannter zu machen und zu feiern.

1.2.

Der EWSA ruft alle Interessenträger dazu auf, „Kultur“ im weitestmöglichen Sinn zu verstehen und alle Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen.

1.3.

Mit diesem Jahr sollte nicht nur Vergangenes gewürdigt, sondern auch sich entwickelnde, neue und herausfordernde Formen menschlicher Inspiration und Fähigkeiten gefördert werden, die sich oft aus im ländlichen Kulturerbe der einzelnen Länder verankerten Traditionen ergeben.

1.4.

Zwölf Monate sind eine kurze Zeit, aber es steht zu hoffen, dass diese zusätzlichen Anstrengungen und Investitionen den Bürgerinnen und Bürgern ein Anreiz sind, sich auf die Chancen zu konzentrieren, die das kulturelle Erbe in ländlichen Gebieten bietet. Dies sollte sie in die Lage versetzen, im Sinne des Wohlergehens heutiger und künftiger Generationen einen wiederbelebten, ästhetischen, sozialen und wirtschaftlichen Fundus zu schaffen. Zur Halbzeit erhielten über 3 500 Projekte die Kennzeichnung des „Europäischen Jahres des Kulturerbes“, wobei der Anteil der Projekte in ländlichen Gebieten je nach Region variiert.

1.5.

Der EWSA unterstützt die Europäische Allianz für Kunst und Kultur, die im Januar 2018 die Institutionen der EU und die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen hat, innerhalb des mehrjährigen Finanzrahmens (MFR) für die Zeit nach 2020 eine erhebliche Unterstützung sicherzustellen. Er begrüßt außerdem das von der Europäischen Kommission in ihrem Haushaltsentwurf vom Mai 2018 vorgeschlagene Engagement für Kultur sowie ihre Verpflichtungen im Rahmen der neuen Kulturagenda (2).

Empfehlungen

1.6.

Angesichts des ihm innewohnenden künstlerischen Werts und des wirtschaftlichen und sozialen Beitrags zum Wohl aller europäischen Bürgerinnen und Bürger sollte das kulturelle Erbe des ländlichen Raums in all seinem Reichtum und in seiner ganzen Vielfalt offiziell gewürdigt werden (3).

1.7.

Investitionen der öffentlichen Hand sollten für den ländlichen Raum geeignet sein: Bei der Konzipierung neuer Finanzströme sollten diese auch die Unterstützung des laufenden Beitrags der Haushalte und Beschäftigten in der Landwirtschaft sowie für NGO umfassen, die einzelne Künstler sowie Folkloregruppen, lokale Aktionsgemeinschaften oder auch soziale Einrichtungen in der Landwirtschaft (Care Farming) vertreten. Dabei sind die Maßnahmen in vollem Umfang zu berücksichtigen, die zur Verbesserung der Infrastruktur des ländlichen Erbes erforderlich sind.

1.8.

Im Rahmen der bestehenden Finanzierungskanäle, einschließlich des Programms zur Entwicklung des ländlichen Raums, sollte Kultur zunehmend als Querschnittsthema verstanden und sollten kulturelle Projekte gefördert werden, u. a. auch jene, mit denen Landschaften mit einer großen Biodiversität geschützt, gefördert und verbessert werden. Gute Beispiele sind die Wiederbelebung der Weide- und Almwirtschaft und entlegener Landhäuser in den Pyrenäen, die Weinberge in Santorin und der Schutz gemeinsamer Beweidung in Șeica Mare (Rumänien) sowie das LEADER-Kulturprojekt auf Lesbos (Griechenland) zur Unterstützung der Integration von Migrantinnen und Migranten. Die Agrarumweltpläne sollten weiterhin auf die Bildung landwirtschaftlicher Lebensräume abzielen. Bei der Gestaltung dieser Lebensräume sollten höhere Standards angelegt und traditionellen kulturellen Mustern gefolgt, aber gleichzeitig auch eine moderne Nutzung ermöglicht werden.

1.9.

Für nachhaltige Waldflächen, Wälder und Wasserstraßen sollten unterstützende Maßnahmen ergriffen werden, um sie vor Schädigung und Umweltverschmutzung zu schützen. Es müssen Mittel für die Bewahrung von Schutzgürteln aus Bäumen und Sträuchern bereitgestellt werden, die in der Vergangenheit im ländlichen Raum angelegt wurden (so etwa in Polen nach dem Konzept von Dezydery Chłapowski) und die die Bodenerosion und die CO2-Emissionen reduzieren, den Ertrag steigern helfen und die Landschaft bereichern.

1.10.

Landwirtschaftliche Betriebe, die einen Tag der offenen Tür abhalten oder von Schulen besucht werden, Veranstaltungen, Kunsthandwerks- und andere Messen sowie Kulturfestivals helfen Stadtbewohnerinnen und -bewohnern, mehr Verständnis und Wertschätzung für ländliche Gebiete zu entwickeln. Ebenso wie Maßnahmen, mit denen über kulturelle Projekte Brücken zwischen Menschen aus ländlichen und städtischen Gegenden geschlagen werden, verdienen es derartige Veranstaltungen, mit öffentlichen Geldern gefördert zu werden.

1.11.

Maßnahmen, die neuen Generationen die ländliche Kultur und Tradition mittels einer innovativen modernen Sprache näherbringen, sollten gefördert werden. Der wirtschaftliche und soziale Nutzen sollte gemessen werden, wobei bewährte Verfahren untereinander geteilt und gewürdigt werden sollten. Künstler und weitere kulturschaffende — ggf. auch ortsfremde — Akteure sollten als Inspirationsquellen gefördert werden, um Kommunen dabei zu unterstützen, das Potenzial ihrer lokalen Kulturgüter auszuschöpfen.

1.12.

Dem erheblichen Verlust von handwerklichen Fertigkeiten muss mit verstärkten Investitionen in die Ausbildung begegnet werden, sodass Generationenwechsel auf dem Wissen der Vergangenheit aufbauen und Anreize für Innovation bieten. Schulen in ländlichen Gebieten sollten das in der Besonderheit des ländlichen Raumes liegende Beschäftigungspotential und externe Karrieremöglichkeiten vermitteln. Eine besondere Herausforderung nicht nur für Junglandwirtinnen und -wirte, sondern für alle jungen Menschen im ländlichen Raum, besteht darin, in ihrer Funktion als Bewahrer ihres kulturellen Erbes unternehmerisch tätig zu werden.

1.13.

Das ländliche Kulturerbe sollte unter anderem touristisch nachhaltig gefördert werden, damit die Stadtbewohnerinnen und -bewohner die kulturellen Werte des ländlichen Raums schätzen lernen und sich verstärkt für das Leben auf dem Land und die Arbeit in abgelegeneren Gebieten entscheiden.

1.14.

Die Vermarktung ländlicher Kulturprodukte einschließlich des gastronomischen Erbes sollte gefördert und ihr Status unter Angabe der geografischen Herkunft geschützt werden, um den Bürgerinnen und Bürgern Gewissheit in Bezug auf die Qualität und Rückverfolgbarkeit zu bieten.

1.15.

Freiwilligentätigkeit, Bürgerbeteiligung, soziale Unternehmen und Privatunternehmen im ländlichen Raum sollten dazu ermutigt werden, ihre kulturellen Aktivitäten einschließlich der Förderung der Vielfalt der Sprachen und Dialekte zum Nutzen aller Bürgerinnen und Bürger auszubauen und zu verbreiten. Intelligente ländliche Gemeinschaften sollten den Wert und das Potenzial ihrer lokalen Kulturgüter annehmen und nutzen und die Zusammenarbeit mit ähnlichen Gruppierungen an anderen Orten anstreben, um Vernetzungen zu fördern und umfangreichere touristische Möglichkeiten wirtschaftlich zu nutzen.

1.16.

Projekte im Zusammenhang mit dem Europäischen Jahr des Kulturerbes 2018 werden voraussichtlich auch über das Jahr 2018 hinaus fortgeführt werden; dennoch ist es wichtig, unter Berücksichtigung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Faktoren eine klare Bestandsaufnahme und Bewertung quantifizierbarer Investitionen und Ergebnisse durchzuführen. Im Jahr 2017 wurden nach Trilogverhandlungen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat rund 8 Mio. EUR für das Europäische Jahr bereitgestellt. Es wäre angemessen, wenn ein bezifferbarer Anteil dieser Förderung für ländliche Gebiete bereitgestellt würde.

1.17.

Mehr Forschung ist erforderlich, um die Qualität der Vorteile des Kulturerbes und der laufenden kulturellen Aktivitäten für das Wohl der Bürgerinnen und Bürger zu quantifizieren und zu erfassen und um Lösungen für künftige Maßnahmen zu untermauern. Hartnäckige Hüter des Kulturerbes brauchen Unterstützung, um neuen Migrantinnen und Migranten sowie anderen kulturellen Traditionen gegenüber aufgeschlossen zu sein.

1.18.

Im Bereich der für die Besiedlung des ländlichen Raums und die Entwicklung des ländlichen Kulturtourismus so wichtigen Verkehrsanbindung und digitalen Infrastruktur sind dringend Maßnahmen erforderlich.

2.   Einleitung

2.1.

In der vorliegenden Stellungnahme wird der Schwerpunkt insbesondere auf die große Bandbreite positiver Aspekte und Talente der ländlichen Gebiete und ihrer Bewohnerinnen und Bewohner gelegt. Sie wird einen Beitrag zum kulturellen Erbe Europas leisten und dabei helfen, darzulegen, wie diese weit gefasste Definition des Begriffes Kultur dazu beiträgt, die Lebensfähigkeit und den Wohlstand auf dem Lande zu verbessern. Wir unterstützen die gesamteuropäische Charta für das ländliche Erbe zur Förderung einer nachhaltigen Raumplanung (4) sowie die Cork-2.0-Erklärung aus dem Jahr 2016, in der es heißt: „Der Landbewirtschaftung kommt an der Schnittstelle Mensch/Umwelt eine Schlüsselrolle zu. Die Politik muss Anreize für die Erbringung umweltbezogener öffentlicher Güter bieten, einschließlich der Erhaltung des europäischen Natur- und Kulturerbes.“

2.2.

Diese Initiative muss einer „Prüfung der Auswirkungen auf den ländlichen Raum“ unterzogen werden. Der EWSA befürchtet, dass die Informationen über das Europäische Jahr die kleinen Bevölkerungsgruppen in den Dörfern und Kleinstädten nicht früh genug erreichen werden, um noch die Vorbereitungen für eine Würdigung der großen Bandbreite der sie umgebenden Kulturgüter treffen zu können. Mit diesem Jahr sollte nicht nur Vergangenes gewürdigt, sondern auch sich entwickelnde, neue und herausfordernde Formen menschlicher Inspiration und Fähigkeiten gefördert werden, die sich oft aus im ländlichen Kulturerbe der einzelnen Länder verankerten Traditionen ergeben.

2.3.

Die Auflistung bestehender kultureller Aktivitäten und die Lehren aus erfolgreichen Projekten haben einen echten Wert, aber die Feierlichkeiten des Jahres 2018 sollten auch neue, innovative Kulturveranstaltungen umfassen, die auf der Vergangenheit aufbauen und mit denen das kulturelle Erbe an neue Generationen weitergegeben wird, was ländlichen Gebieten neue Chancen eröffnet. Das Programm „Kreatives Europa“ umfasst zwei ländliche Projekte: „Roots and Roads“ [Wurzeln und Wege] und „Food is Culture“ [Nahrung ist Kultur], die, wenn sie erfolgreich sind, einen Beitrag zum Lernen und zur Entwicklung leisten könnten.

2.4.

Obwohl eine genaue Quantifizierung des wirtschaftlichen und sozialen Nutzens kultureller Aktivitäten schwierig ist (über 300 000 Arbeitsplätze stehen im direkten Zusammenhang mit der europäischen Kultur), ist die OECD der Auffassung, dass Kultur als Indikator für Wohlergehen verwendet werden sollte. Es ist wichtig, dass die Organisatoren des Europäischen Jahrs des Kulturerbes 2018 Analysen durchführen, mit denen sich künftige Investitionen der öffentlichen Hand rechtfertigen lassen. Es sollte klar aufgezeigt werden, wie erfolgreich das Jahr ländliche und abgelegene Gebiete erreicht hat und wie künftige europäische und regionale Prioritäten auf bewährten Verfahren wie beispielsweise den Projekten AlpFoodway (5) und Terract (6) aufgebaut werden können.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1.

Ländliche Landschaften, das Mosaik natürlicher geologischer Strukturen und die menschlichen Spuren in Form von Land- und Forstwirtschaft, Seen, Flüssen und Siedlungen sind vermutlich das größte kulturelle Erbe, das es gibt. Von Nationalparks und Natura-2000-Gebieten bis hin zu den grünen städtischen Randgebieten gibt es eine vielgestaltige Schönheit, eine Quelle der Inspiration für Generationen von Künstlern, Musikern, Schriftstellern, Tänzern und für all diejenigen von uns, die in keine dieser Kategorien fallen. In der neuen Kulturagenda der Kommission ist eher wenig zu ländlichen Sichtweisen zu finden. Zu finden ist in ihr allerdings die Aussage, dass „die Restaurierung und die Aufwertung von Kultur- und Naturerbe zum Wachstumspotenzial und zur Nachhaltigkeit bei[tragen]. Durch das integrierte Management von Kultur- und Naturschätzen werden die Leute angeregt, beides zu entdecken und zu erkunden.“ Das Volk der Mayangna in Nicaragua verwendet für die Konzepte „Natur“ und „Kultur“ ein und dasselbe Wort. Das ist ökologische Bürgerschaft.

3.2.

Ländliche Gemeinschaften sind sogar ein Gewinn für das Landschaftsbild. Es sind diejenigen, die land- und forstwirtschaftliche Flächen bewirtschaften, ihre Beschäftigten und die Menschen, die Handwerk treiben — Männer und Frauen, die diese Landschaften geschaffen haben. Generationen von Menschen mit entsprechenden Fertigkeiten, die Land und Wasser erschlossen haben, um Nahrung, Unterkunft und Einkommen zu haben. So hat sich zum Beispiel in Polen im 19. Jahrhundert das Konzept der Schutzgürtel aus Grünflächen und Sträuchern zur Bewahrung der Böden entwickelt, die der heutigen Landschaft ihr Gepräge gaben. Mit Steinen und Ästen grenzten sie ihre Felder ab, errichteten Scheunen und Werkstätten. Generation auf Generation kümmerte sich um ihr aus einheimischen Tierrassen gezüchtetes Vieh, das den landschaftlichen und klimatischen Verhältnissen angepasst war, und bearbeitete die Vegetation. Sie entwickelten lokale Traditionen in Gastronomie und Brauchtum. Wir können auch ein reiches architektonisches Erbe unser Eigen nennen: Herrenhäuser, Burgen, Kirchen, aber auch Bauernhöfe, kleine Mühlen und Geschäfte. Zu sehen sind derartige Gebäude — sorgfältig restauriert — beispielsweise im St. Fagans National Museum of History in Wales. Der Erhalt derartiger historischer Architektur wird häufig von privaten Investoren geleistet, bisweilen mit umfangreicher öffentlicher oder gemeinnütziger Unterstützung. Im Rahmen eines innovativen Projekts im Norden von Wales werden erneuerbare Energien vom Meeresgrund zur Wärmeerzeugung genutzt und dienen damit der Kostensenkung in Plas Newydd, einem Landsitz im Besitz des National Trusts (7). Bei feierlichen Begehungen der Vergangenheit und der Gegenwart sollte auf ein Gleichgewicht zwischen idealistischen Vorstellungen und der Realität menschlicher Mühen und Anstrengungen geachtet werden.

3.3.

Wir begrüßen alle Bemühungen, einschließlich der Bemühungen der European Heritage Alliance, dieses Erbe mit Fingerspitzengefühl zu erhalten. Die Wiederherstellung bedarf auch der Unterstützung durch Planungsbehörden, die ansprechende Nutzungsänderungen von Gebäuden sicherstellen. Im Rahmen des auch mit Mitteln des Erasmus-Programms geförderten REVAB-Projekts werden Weiterbildungsmaßnahmen mit dem Ziel durchgeführt, das Potenzial für eine neue Nutzung nicht mehr benötigter landwirtschaftlicher Gebäude zu erhöhen und damit ihr Verschwinden zu verhindern.

3.4.

Die Menschen im ländlichen Raum haben ihre eigene Kultur geschaffen, in der sich ihre Arbeit, ihre Freizeit und ihre sozialen Herausforderungen in allen Formen der Kunst, des Sports und generell der Aktivität in der Gemeinschaft widerspiegelt. Ländliche Gebiete sind häufig wichtige Reservoire an Minderheitensprachen und Dialekte in ihrer Vielfalt. Die den Namen von Dörfern, Bauernhöfen und Feldern innewohnende Bedeutung ist wichtig und verdient es, verstanden und respektiert zu werden. Das Vermächtnis, das sie für die Gesellschaft allgemein beinhalten und immer noch weitergeben, ist von großem Wert.

3.5.

Aber auch ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten entwickeln sich, und manchmal verschwinden sie auch. Nicht alle Landschaften sind unberührt. Manche sind gezeichnet von Industrie, Krieg und Plünderung, von Trockenheit, Überschwemmungen und Bränden oder auch der Überbeanspruchung durch übermäßigen und punktuellen Tourismus. Sie alle haben ihre eigene Geschichte und Lehren, die man daraus ziehen kann. Die Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels erfordert ein positives Eingreifen, um Vielfalt und Erfahrungsmöglichkeiten zu bewahren. Die Pflege der Verbindungen zur Vergangenheit fällt in den Bereich der öffentlichen Dienstleistungen. Ohne nachhaltige biologische Vielfalt, eine vernünftige Planung und eine Steuerung des Zugangs verkommen Landschaften. Auch das künstlerische und kulturelle Potenzial schwindet, wenn der Umfang der ländlichen Bevölkerung unter die Grenze der Nachhaltigkeit absinkt.

3.6.

Eurostat stellte 2017 fest, dass mehr als ein Drittel der Europäerinnen und Europäer nicht an kulturellen Aktivitäten teilnehmen. Daher ist die Entwicklung eines ländlichen Kulturtourismus im Zeichen von Gesundheit und Freizeitaktivitäten eine wichtige Brücke zwischen der städtischen und der ländlichen Bevölkerung und wird es auch bleiben. Die Stadt Galway ist ein gutes Beispiel für Kulturpartnerschaften zwischen Stadt und Land, und im Rahmen der Initiative „Kulturhauptstädte Europas“ (z. B.: Plowdiw (Bulgarien) und Matera (Italien), 2019) sollten stets sowohl ländliche als auch städtische kulturelle Kriterien berücksichtigt werden. In Wales führt die Behörde für die Pflege des Kulturerbes (Heritage Statutory Body, CADW) Tage der offenen Tür durch, die Teil eines Projekts in 50 Ländern sind, das den Bürgerinnen und Bürgern dabei helfen soll, die einzelnen Stufen des Wandels nachzuvollziehen, damit sie die Gegenwart besser verstehen — „Um deine Zukunft zu planen, musst du deine Vergangenheit verstehen“.

3.7.

Auch in Griechenland gibt es ein Beispiel für den Austausch von Kenntnissen, nämlich die „Art Farm“ (8), ein geistiges Kind von Sotiris Marinis, der sich die Devise „eine Erfahrung, die wir hier machen können, hilft uns, unser landwirtschaftliches und kulturelles Erbe zu verstehen“ zu eigen gemacht hat und im Dorf Megali Mandinia in Dytiki Mani Holzhäuser und ein Ausbildungszentrum errichtet hat.

3.8.

Der Kulturtourismus im ländlichen Raum bietet bereits jetzt im zunehmenden Maße wirtschaftliche und soziale Ressourcen und eine Grundlage für gemeinsame Investitionen. Die Verantwortung für den Schutz und die Förderung des kulturellen Erbes Europas ist eine nationale, regionale und lokale Zuständigkeit, und es ist von entscheidender Bedeutung, dass die Bevölkerung stolz auf ihr Erbe ist. Die europäischen Institutionen können einen Sinn für gemeinsame europäische Werte fördern sowie Anreize geben und sich für bewährte Verfahren und gemeinsame Erfahrungen (9) einsetzen. Traditionelle, regionale Kochrezepte, Biere und Weine, Kleidung und Musik, wie sie bei der Internationalen Grünen Woche (10) in Berlin gezeigt wurden‚ ziehen Jahr für Jahr Tausende von Besucherinnen und Besuchern aus dem Ausland an und tragen dazu bei, Brücken zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu schlagen. Der direkte Kontakt zwischen Produzenten und Verbrauchern von auf dem Land erzeugten Lebensmitteln und handwerklichen Produkten über Bauernmärkte und den Verkauf über das Internet ist wird immer beliebter, beispielsweise in Form der örtlichen REKO-Lebensmittelgemeinschaften in Finnland.

3.9.

Orte, wo man für sich sein kann, Plätze, an denen Vögel zu hören oder zu beobachten sind, Raum, um den Wald zu erfahren — Waldvielfalt und Pflanzen mit medizinischen Anwendungen — all dies fördert die Neugier, den Forschungsdrang und das Wohlbefinden der Bürgerinnen und Bürger. Indem die Palette der Möglichkeiten und Entdeckungen erweitert wird, droht weniger die Gefahr, dass sich das touristische Interesse auf einige wenige gefährdete Gebiete konzentriert, was den auf den zentralen ländlichen Aspekten beruhenden wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Wert, der bereits von intelligenten Dörfern und Gemeinden geschätzt wird, in entlegeneren Gebieten erhöht. In den Gebirgsregionen der Lombardei stärkt das Projekt AttivAree das Zugehörigkeitsgefühl der Menschen, indem das Naturerbe über Kunst gefestigt wird. Das Projekt trägt auch zur Renovierung von Hostels und zur Förderung der Zugänglichkeit in abgelegenen Dörfern wie Lavenone bei (11). Reiseagenturen sollten zu Partnerschaften mit Unternehmern in abgelegenen Gegenden und sozialwirtschaftlichen Unternehmen, die sich für einen nachhaltigen Kulturtourismus einsetzen, ermutigt werden.

3.10.

Die Verbreitung und Darstellung kultureller Informationen mithilfe der Digitaltechnik dient der kreativen Verringerung einer ehemals wachsenden Kluft zwischen Stadt und Land sowie zwischen jungen und älteren Menschen. Projekte wie beispielsweise YOUrALPS (12), die die Jugend wieder an die Berge heranführen, werden begrüßt. Es gibt viele neue Beispiele für innovative Formen der Darstellung kultureller Traditionen, so z. B. das künstlerische Projekt in Åsted in Dänemark und im Dorf Pfyn in der Schweiz. Dabei handelt es sich um Projekte, die aus lokalen Initiativen hervorgegangen sind, die auf lokale Bedürfnisse ausgerichtet sind und die partizipative Verfahren nutzen, die ihrerseits Teil der kulturellen Tradition Europas sind. Öffentliche und private Mittel sollten auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene zur Verfügung stehen, um Investitionen in ähnliche Initiativen zu beschleunigen.

3.11.

Immer weitere Nutzung finden — z. B. an Orten vergangener oder gegenwärtiger Konflikte — auch neue digitale Instrumente zum Wiederaufbau wichtiger historischer Stätten, die aufgegeben oder durch Kriege zerstört wurden. Technik wird genutzt, um Grabsteine und verbleichende Handschriften besser lesen zu können (13). Wir begrüßen die Kommissionspläne für die Strategie #Digital4Culture und gehen davon aus, dass sämtliche relevanten ländlichen Aspekte berücksichtigt werden. Im Rahmen des MEMOLA-Projekts werden beispielsweise 3D-Scans von alten Bewässerungsanlagen zur Schulung mit Blick auf neue Bewässerungsverfahren genutzt.

3.12.

Es ist mehr Forschung erforderlich, um zu verstehen, was für eine Bedeutung kulturelle Tätigkeit für den Menschen hat und welcher gesundheitliche Nutzen — für alle Altersstufen, aber insbesondere für Menschen mit physischen oder psychischen Erkrankungen (14) — mit ihr einhergeht. Gute Forschungsmöglichkeiten werden gegenwärtig im Rahmen bestehender Erasmus-Plus-Programme, wie z. B. des TEMA-Masterstudiengangs, gefördert. Auf der hochrangigen Konferenz „Innovation and Cultural Heritage“ (15) [Innovation und kulturelles Erbe] im Rahmen von „Horizont 2020“ zum Europäischen Jahr des Kulturerbes 2018 wurden weitere Anstrengungen zur Entwicklung von Forschungsarbeiten gefordert, um Prioritäten und bewährte Verfahren zur Förderung kultureller Aktivitäten zu ermitteln.

3.13.

Initiativen, die von gemeinnützigen und philanthropischen Einrichtungen unterstützt werden, haben — häufig über Sozialunternehmen, die die Entwicklung ländlicher Gebiete nachhaltig fördern — erheblich zum Erhalt von Naturlandschaften und zur Förderung von Aktivitäten beigetragen. Die finnische Kulturstiftung unterstützt die Erforschung von Maßnahmen, mit denen verhindert werden soll, dass landwirtschaftliche Rückstände die Wasserqualität in der Ostsee beeinträchtigen. Sie arbeitet mit Landwirten zusammen, die davon überzeugt sind, dass eine größere biologische Vielfalt gleichbedeutend mit einem größeren landschaftlichen Reichtum ist. Auch andere gemeinnützige Initiativen werden befürwortet, wie z. B. die Kulturerbestiftung der walisischen Schulen (Wales Schools‘ Cultural Heritage Trust), die kulturelle Wettbewerbe zwischen Schulen fördert, an denen sich junge Menschen beteiligen, die sich für eine kulturelle Aktivität entscheiden, um sie dann auszuüben (16). Ein Beispiel, das jungen Menschen die Möglichkeit gibt, ihr kulturelles Erbe näher kennenzulernen, ist eine Schule in Piscu (17) (Rumänien), die sowohl auf die Weitergabe des kulturellen Erbes an ihre Schülerinnen und Schüler als auch auf die Veranstaltung von Workshops und Konferenzen ausgerichtet ist. Selbst lud der EWSA im März 2018 Schülerinnen und Schüler aus Schulen in ganz Europa ein, um ihre kulturellen Prioritäten unter dem Motto „Your Europe, Your Say!“ (18) zu diskutieren. Diese kamen zu dem Schluss: „Ich möchte in einem Europa leben, das alle Formen von Kultur wertschätzt und schützt […] wir sind gegen Elitedenken und möchten Kultur einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen […] aber auch die Gelegenheit haben, Eigenes zu schaffen.“ In dem süditalienischen Dorf Siffoni drehten rund 300 Studentinnen und Studenten Filme und Videos, mit denen sie ihre Region bekannt machen wollen.

3.14.

Investitionen der öffentlichen Hand sollten für den ländlichen Raum geeignet sein: Bei der Konzipierung neuer Finanzströme sollten diese auch die Unterstützung des laufenden Beitrags der Haushalte und Beschäftigten in der Landwirtschaft sowie für NGO umfassen, die einzelne Künstler sowie Folkloregruppen, lokale Aktionsgemeinschaften oder auch soziale Einrichtungen in der Landwirtschaft (Care Farming) vertreten. Dabei sind die Maßnahmen in vollem Umfang zu berücksichtigen, die zur Verbesserung der Infrastruktur des ländlichen Erbes erforderlich sind.

3.15.

Es bestehen die Möglichkeiten größerer thematischer und geografischer Verknüpfungen und seitens der Kulturtouristinnen und -touristen auch die entsprechende Nachfrage. Gemeinschaftliche Projekte mit einer gemeinsamen Vermarktung und Projekte mit gemeinsamem Zugang werden gern gesehen. Landwirtschaftsausstellungen in Dörfern und Kleinstädten sowie nationale Veranstaltungen wie beispielsweise die Royal Welsh Show in Builth Wells (19) mit rund 240 000 Besuchern und das Literaturfestival in Hay-on-Wye, durch das schätzungsweise 21 Mio. GBP in einen kleinen ländlichen Raum gespült werden, sind wirtschaftlich und gesellschaftlich enorm wichtig. Tage der offenen Tür in landwirtschaftlichen Betrieben, Messen, Kulturfestivals, wie das internationale Musikfestival Llangollen Eisteddfod, Konzerte, Prozessionen, wie z. B. in Veurne in Belgien, Schmalspurdampflokomotiven, Nordic Walking und traditionelle Tanzgruppen, sie alle leisten einen enormen Beitrag zur Erhaltung und Förderung des kulturellen Erbes im ländlichen Raum. Der sich über viele Generationen erstreckende Beitrag, den Freiwillige zu diesen Veranstaltungen geleistet haben, ist ein eigener wichtiger Teil unseres kulturellen Erbes. Die Arbeit des Europäischen Freiwilligenzentrums (CEV) und nationaler und regionaler gemeinnütziger Organisationen, die sich für die Förderung hochwertiger kultureller Freiwilligentätigkeit einsetzen, wird begrüßt, und sie alle werden ermutigt, in ihren wertvollen Anstrengungen fortzufahren, zu denen auch die Durchführung von Gesundheitsschutz- und Sicherheitsschulungen gehört, um Freiwilligen und Touristen gleichermaßen ein sicheres und unterhaltsames Erlebnis zu bieten.

3.16.

Es besteht jedoch ein zunehmender Mangel an qualifizierten Handwerkern, die ihr Wissen weitergeben können und die einer neuen Generation zeigen können, wie dieses vielfältige Erbe geschützt und entwickelt werden kann. Im Rahmen der von Frankreich ausgehenden JEMA-Initiative (20) wird regelmäßig die Arbeit von Handwerkern und die Notwendigkeit der Schulung neuer Generationen gefördert. Diesen Bedarf zu decken ist eine gute Gelegenheit, Generationen durch und für kulturelle Zwecke zusammenzubringen. Im Rahmen bestehender europäischer, nationaler und regionaler Programme sind die praktische Ausbildung und die Anerkennung der erworbenen Kompetenzen von zentraler Bedeutung. Der Schwerpunkt sollte nicht nur auf die vorhandenen handwerklichen und ökologischen Fähigkeiten gelegt werden, sondern auch auf die Weitergabe von Wissen, die Entwicklung neuer Techniken und das kulturelle Unternehmertum. Künstlerinnen und Künstler, aber auch andere Menschen benötigen Unterstützung, damit sie mit lokalen Schulen in ländlichen und städtischen Gebieten zusammenarbeiten und integrativ über Generationen und ethnische Gruppen hinweg kulturelle Ideen entwickeln können.

3.17.

Das kulturelle Erbe des ländlichen Raums ist auch eine Frage der partizipativen Demokratie. Es gibt eine starke europäische Tradition der gemeinschaftlichen Solidarität und des Kampfs gegen Isolation und Benachteiligung durch Gemeinschaftsaktionen, die häufig in kultureller Form stattfinden. Der Aufbau einer lokalen nachhaltigen Leitung und die Verwirklichung lokaler Prioritäten durch die LEADER-Methode sowie von der örtlichen Bevölkerung betriebene lokale Entwicklung (CLLD) sind Teil des Vermächtnisses organisierter zivilgesellschaftlicher Gruppen und Bewegungen. Soziale und kulturelle Aktivitäten helfen dabei, Menschen in geografischen Gebieten mit wenigen öffentlichen und privaten Dienstleistungen zusammenzubringen. Die Tradition, dass Freiwillige tätig werden — manchmal die letzte Möglichkeit des Handelns — erhält empfindliche, verletzliche Landschaften, in denen Menschen überleben können. Eine öffentliche Unterstützung dieser Tätigkeit ist lebensnotwendig.

Brüssel, den 19. September 2018

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Luca JAHIER


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Neue Kulturagenda (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(2)  https://ec.europa.eu/culture/news/new-european-agenda-culture_de

(3)  Konferenz des EWSA vom 20./21. Juni 2016.

(4)  Entschließung Nr. 2 der für Raumordnung und -planung zuständigen Konferenz der europäischen Minister der Mitgliedstaaten des Europarats (CEMAT) zur gesamteuropäischen Charta für das ländliche Erbe: Förderung einer nachhaltigen Raumplanung — „Das ländliche Erbe als ein Faktor des territorialen Zusammenhalts“, angenommen auf der 15. Konferenz der CEMAT, Moskau, Russische Föderation, 9. Juli 2010.

(5)  http://www.alpine-space.eu/projects/alpfoodway/en/home

(6)  http://www.terract.eu/fr/

(7)  https://www.bangor.ac.uk/studentlife/studentnews/gift-s-marine-renewable-visit-to-plas-newydd-18421

(8)  https://www.facebook.com/agroktima.artfarm/

(9)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Neue Kulturagenda (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(10)  https://www.gruenewoche.de/

(11)  Projekt AttivAree in der Lombardei.

(12)  http://www.alpine-space.eu/projects/youralps/en/home

(13)  Projekt von Andrew Skerrett, das in der Anhörung der Studiengruppe am 24. Juli 2018 in Cardiff vorgestellt wurde.

(14)  Innovation Trust — positive Ergebnisse im Bereich Projekttage Gartenbau.

(15)  https://ec.europa.eu/info/events/innovation-and-cultural-heritage-2018-mar-20_de

(16)  Primärschule Darren Park in Ferndale unter https://jamesprotheroe.wordpress.com/

(17)  http://piscu.ro/piscu-school/#

(18)  https://www.eesc.europa.eu/de/node/52237

(19)  http://www.rwas.wales/royal-welsh-show/

(20)  Journées Européennes des Métiers d’Art [europäische Tage des Kunsthandwerks] https://www.journeesdesmetiersdart.fr/


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