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Document 52013AE1233

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Schutz von Unternehmen vor irreführenden Vermarktungspraktiken und Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung“ — Überarbeitung der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung — COM(2012) 702 final

ABl. C 271 vom 19.9.2013, p. 61–65 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.9.2013   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 271/61


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Schutz von Unternehmen vor irreführenden Vermarktungspraktiken und Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung“ — Überarbeitung der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung

COM(2012) 702 final

2013/C 271/11

Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ

Die Kommission beschloss am 19. Februar 2013, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Schutz von Unternehmen vor irreführenden Vermarktungspraktiken und Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung Überarbeitung der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung

COM(2012) 702 final.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 29. April 2013 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 490. Plenartagung am 22./23. Mai 2013 (Sitzung vom 22. Mai) mit 129 Stimmen bei 8 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Mitteilung und deren Zielsetzungen, denen besondere Aufmerksamkeit gebührt und über die eingehende Überlegungen anzustellen sind.

1.2

Der EWSA unterstützt die Kommission hinsichtlich der angestrebten strengeren Regulierung mit einem wirksamen Verbot und exemplarischen und abschreckenden Sanktionen für aggressive Vertriebspraktiken von Adressbuchfirmen.

1.3

Angesichts der offensichtlichen Dringlichkeit einer unmittelbaren Positionierung zu dieser Frage sowie der erheblichen wirtschaftlichen Dimension und Auswirkungen dieser Praktiken in ganz Europa hält es der Ausschuss für richtig, dass die Kommission ohne Verzug eine zielgerichtete Legislativmaßnahme für diese Thematik auf der Grundlage einer entsprechenden Folgenabschätzung vorschlägt.

1.4

Nach Ansicht des EWSA sollte zu diesem Zweck eine (gegebenenfalls durch delegierte Rechtsakte umzusetzende) Rahmenverordnung erlassen werden, um eine möglichst einheitliche und wirksame Durchsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

1.5

Aufgrund ihrer Natur sollte die geeignete Rechtsgrundlage nach Ansicht des EWSA nicht auf die Bestimmungen des Vertrages über die Vollendung des Binnenmarktes beschränkt werden, die natürlich dazugehören. Auch darf der Anwendungsbereich nicht auf den grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr eingegrenzt werden.

1.6

Der EWSA weist überdies darauf hin, dass dem transeuropäischen Charakter vieler dieser Praktiken Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, weshalb ein international abgestimmtes Handeln erforderlich ist.

1.7

Dennoch lässt sich das Ziel einer einheitlichen und konsequenten Regelung zum Verbot irreführender Vertriebspraktiken nach Ansicht des Ausschusses am besten durch eine gemeinsame parallele Überarbeitung der beiden Richtlinien 2006/114/EG und 2005/29/EG sowohl für das B2B- als auch das B2C-Segment erreichen, wobei den Besonderheiten des jeweiligen Segments innerhalb eines gemeinsamen Rahmens Rechnung zu tragen ist. Die Kommission sollte die Arbeit daran schon bald aufnehmen.

1.8

Der EWSA ersucht die Kommission, ergänzende Maßnahmen zur besseren Information und Verbreitung, zur besseren Zusammenarbeit zwischen den Behörden, öffentlich-privaten Plattformen und repräsentativen Organisationen der Interessenträger, für Schnellreaktionsmechanismen zur Abstellung solcher Praktiken und für Schadenersatz sowie insbesondere für die sofortige Einrichtung des seit mehr als 30 Jahren angekündigten und immer wieder aufgeschobenen europäischen Rechtsinstruments für Sammelklagen zu entwickeln und umzusetzen.

1.9

Der Ausschuss erklärt sich bereit, mit seinen Mitgliedern zu den künftigen diesbezüglichen Arbeiten beizutragen, und kann dabei deren Erfahrung als besonders qualifizierte Vertreter der drei im Ausschuss vertretenen Interessengruppen der organisierten Zivilgesellschaft einbringen.

2.   Hintergrund und soziale und wirtschaftliche Aspekte des Vorschlags

2.1

Auf dem Gebiet des Geschäftsverkehrs zwischen Unternehmen gibt es Grundregeln, die unbedingt eingehalten werden müssen, damit der Wettbewerb nicht verzerrt wird und der Markt funktionieren kann. Werden diese nicht freiwillig eingehalten, müssen sie verbindlich erlassen und ihre Einhaltung durchgesetzt werden.

2.2

Die Kommission entwirft in dieser Mitteilung eine Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung bestimmter irreführender Vermarktungspraktiken von Werbeunternehmen – insbesondere Praktiken von Adressbuchfirmen.

2.3

Angestrebt wird ein besserer Schutz der Unternehmen, insbesondere der KMU, vor allem im Hinblick auf die Praxis, bei der Unternehmen – ohne dies zu wünschen oder darum gebeten zu haben – aufgefordert werden, scheinbar unentgeltlich Angaben zur Veröffentlichung in Firmenverzeichnissen zu liefern oder zu aktualisieren, um ihnen dann eine jährliche Gebühr in Rechnung zu stellen, die sie weder ausgehandelt noch vereinbart haben.

2.4

Die Kommission hat angekündigt, dass sie nach einer entsprechenden öffentlichen Konsultation die Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung zu stärken beabsichtigt, indem Praktiken wie die Verschleierung des kommerziellen Zwecks einer Werbemitteilung ausdrücklich verboten werden, und zugleich die Durchsetzung der Vorschriften bei Praktiken mit grenzüberschreitendem Bezug verbessern will.

2.5

In der Mitteilung werden ferner erwähnt:

a)

das Fehlen geeigneter Informationskampagnen über diese Praktiken;

b)

fehlende Kenntnis in Bezug auf geeignete Verfahren zur Streitbeilegung, die zudem kaum wirksam, langwierig und kostspielig sind und auch keinen angemessenen und rechtzeitigen Schadenersatz garantieren;

c)

das Fehlen eines zentralen Netzes für die Zusammenarbeit zwischen den Behörden, die für die Bearbeitung der Beschwerden von Gewerbetreibenden zuständig sind.

2.6

Die Kommission geht davon aus, dass sich der durch derartige Praktiken verursachte finanzielle Schaden auf 1 000 bis 5 000 EUR pro Jahr und betroffenes Unternehmen beläuft.

3.   Bemerkungen zum Inhalt der Mitteilung

3.1   Inhaltliche Aspekte

3.1.1

Unter Verweis auf seine frühere diesbezügliche Stellungnahme erkennt der EWSA an, dass kommerzielle Mitteilungen im Allgemeinen und insbesondere die Werbung in all ihren Erscheinungsformen eine sehr wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Rolle spielen, die von der International Advertising Association (IAA) zusammengefasst wurde, wobei insbesondere folgende Aspekte zu nennen sind: Verbreitung von Innovation, Anregung zu Kreativität und Unterhaltung, Wettbewerbsanreize und Erhöhung der Wahlmöglichkeit (1).

3.1.1.1

Einige Werbeunternehmen setzen zwar rechtswidrige Praktiken bei der Bewerbung ihrer Produkte ein und versuchen so Kunden anzulocken, doch sollte die Kommission die Tatsache hervorheben, dass dies – obgleich sich zahlreiche Beschwerden über betrügerische Praktiken auf Unternehmen der Werbebranche beziehen – selbst im speziellen Fall der Adressbuchfirmen nicht bedeutet, dass es sich nicht um ein legitimes und für das Wirtschaftsleben der Unternehmen wichtiges Vorgehen handelt, das von den Firmen in Anspruch genommen wird, um ihre Tätigkeit zu bewerben.

3.1.2

Der EWSA begrüßt den Zweck und den Zeitpunkt der Mitteilung, obgleich sie sich im Wesentlichen mit den Problemen im Zusammenhang mit der Kundenwerbung für Firmenverzeichnisse beschäftigt.

3.1.3

Der Ausschuss stellt fest, dass die Kommission zu Recht den grenzüberschreitenden Charakter dieses Problems hervorhebt und nicht nur eine angemessene Regulierung, sondern auch deren wirksame Durchsetzung sowie die Beobachtung und Überwachung solcher Praktiken und die Verhängung von wirksamen Sanktionen sicherstellen will.

3.1.4

Der EWSA bedauert, dass der Mitteilung keine angemessene Folgenabschätzung vorausging, die schlagkräftigere Argumente für die vorgeschlagenen Optionen hätte liefern können, deren Kosten und Nutzen nämlich weder genau genannt noch bewertet werden.

3.1.4.1

Zudem kommt die von der Kommission in der Zusammenkunft mit den Interessenträgern am 1. März 2013 vorangekündigte Folgenabschätzung recht spät und ist, obgleich ihre Reichweite und ihr vollständiger Inhalt noch nicht bekannt sind, nicht aussagekräftig genug, um eine fundierte Entscheidung zu treffen.

3.1.5

Überdies hegt der Ausschuss nicht nur unter dem Gesichtspunkt der rein rechtlichen Aspekte, sondern auch im Hinblick auf einen wirksameren und effektiveren Schutz der Unternehmen Zweifel, dass das Kernanliegen der Kommission im Rahmen der angestrebten Überarbeitung der genannten Richtlinie richtig angegangen werden kann.

3.1.5.1

Die hier untersuchten Praktiken beziehen sich nämlich auf kommerzielle Mitteilungen im weiteren Sinne, d.h. nicht auf Werbetätigkeiten, sondern auf aggressive und betrügerische Verkaufspraktiken, die in den viel weiter gefassten Kontext unlauterer oder missbräuchlicher Geschäftspraktiken und sogar des Strafrechts zu stellen sind.

3.1.5.2

Jede Art der Mitteilung, bei der eine Absicht, bestimmte Güter oder Dienstleistungen zu bewerben, weder existiert noch abgeleitet werden kann, und sogar die Mitteilungen im Rahmen einer Geschäftsbeziehung, die nicht auf die Lieferung neuer Güter oder Dienstleistungen abstellen, fallen nämlich nicht unter den Begriff Werbung.

3.1.5.3

Gemäß der Richtlinie 2005/29/EG gilt eine Geschäftspraxis dann als irreführend und unlauter, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich ihrer allgemeinen Präsentation, selbst mit an sich sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher in Bezug auf einen oder mehrere Punkte täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Demnach beschränkt sich die Definition für irreführende Vermarktungspraktiken nicht auf die Werbung für ein Produkt, sondern erstreckt sich potenziell auch auf Fälle, in denen kein Werbezweck zu erkennen ist, und auf Mitteilungen im Rahmen einer Geschäftsbeziehung.

3.1.6

Zudem weist die Kommission in ihrem Grünbuch über Unlautere Handelspraktiken in der B2B-Lieferkette für Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel in Europa  (2) zu Recht auf die Gefahr von Konflikten und Überschneidungen zwischen den zahlreichen EU-Maßnahmen für die gleichen Zielgruppen und mit ähnlichen, nicht aufeinander abgestimmten Bestimmungen hin, was bei der Umsetzung von Rechtsakten durch die Mitgliedstaaten größere Verwirrung stiftet (3).

3.1.7

Der EWSA bedauert, dass die Europäische Kommission bislang noch keine Debatte über die verschiedenen möglichen Optionen eingeleitet und auch noch keine öffentliche Konsultationen dazu durchgeführt hat, sondern vielmehr eine Option gewählt hat, die sich für die Unternehmen und insbesondere die KMU als weniger vorteilhaft erweisen könnte. Da sich die Kommission offenbar schon für eine Option entschieden hat, die sie wie angekündigt im Oktober einschlagen wird, scheint die Vorlage einer Folgenabschätzung mit fünf Optionen relativ sinnlos, wenn die Entscheidung von vornherein feststand.

3.1.8

Angesichts der offenkundigen Dringlichkeit einer unmittelbaren Positionierung zu dieser Frage, die bereits in früheren Studien und Entschließungen des EP zum Ausdruck kam, und in Anbetracht der erheblichen wirtschaftlichen Dimension und Bedeutung dieser Praktiken in Europa (4), hält es der Ausschuss für richtig, dass die Kommission ohne Verzug eine zielgerichtete Legislativmaßnahme für diese Thematik auf der Grundlage einer entsprechenden Wirkungsanalyse auf den Weg bringt. Damit soll insbesondere den Fällen vorgebeugt werden, in denen Unternehmen fortgesetzt der Androhung rechtlicher Schritte im Ausland bei steigenden „Verwaltungsgebühren“ und fast schon als Drohung empfundenen permanenten Anrufen von Schuldeneintreibern ausgesetzt sind.

3.1.8.1

Darüber hinaus sind nicht nur KMU, sondern auch Angehörige der freien Berufe, NGOs, Bibliotheken und private Bildungseinrichtungen und sogar einige Behörden Opfer dieser Praktiken geworden. Aus diesem Grund müssen sie gegebenenfalls in den Anwendungsbereich aufgenommen werden, indem der Begriff des Gewerbetreibenden auf all jene ausgeweitet wird, die potenziell Ziel dieser Praktiken sind und nicht durch andere Rechtsinstrumente geschützt werden.

3.1.9

Nach Auffassung des EWSA wäre der kohärenteste Ansatz jedoch gewesen, das Konzept der unlauteren Geschäftspraktiken (in Form irreführender und aggressiver Praktiken) und die schwarze Liste im Anhang der Richtlinie 2005/29/EG auf alle Geschäftsbeziehungen zwischen Gewerbetreibenden auszudehnen.

3.1.10

Die Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie hätte auch den positiven Effekt einer besseren Harmonisierung, wobei den Mitgliedstaaten keine neuen Gesetzesvorschriften oder Rechtsakte zur Umsetzung der Richtlinie erlassen, sondern zur korrekten Anwendung des EU-Rechts lediglich den Anwendungsbereich ihrer bereits existierenden nationalen Rechtsvorschriften über unlautere Geschäftspraktiken ausweiten müssten (5).

3.1.11

Überdies wird die bloße Änderung der Richtlinie 2006/114/EG in der von der Kommission vorgeschlagenen unpräzisen Art und Weise nicht den Schutz für KMU in den in der Mitteilung genannten Fällen gewährleisten. Abgesehen von der Tatsache, dass diese Fälle aggressive und nicht irreführende Praktiken im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG sind, ergeben sie sich aus bereits zuvor bestehenden Geschäftsbeziehungen und können daher nicht in den für die Werbung geltenden Rahmen gestellt werden.

3.1.12

Unbeschadet der Ausführungen in Punkt 3.1.8 vertritt der EWSA daher in diesem Zusammenhang die Ansicht, dass die Kommission in der nahen Zukunft einen horizontalen Ansatz in Erwägung ziehen sollte, der für mehr Kohärenz zwischen den einzelnen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts, des geistigen Eigentums und des gewerblichen Rechtsschutzes sorgen und so bei allen Geschäftspraktiken einen einheitlichen Schutz gewährleisten würde, und zwar sowohl auf dem Einzelhandelsmarkt als auch allgemein in allen Vertragsbeziehungen zwischen Gewerbetreibenden gemäß der Entschließung des Europäischen Parlaments für „Mehr Effizienz und Fairness auf dem Einzelhandelsmarkt“.

3.1.13

Der EWSA betont daher die Notwendigkeit einer besseren Koordinierung zwischen der GD JUST, der GD COMP, der GD MARKT und der GD ENTR im Hinblick auf die Maßnahmen, die in diesem Bereich und in Form künftiger politischer und legislativer Vorschläge im Rahmen der Prioritäten des Small Business Act zu ergreifen sind.

3.1.14

Ungeachtet dessen und für den Fall, dass die Kommission sich für eine andere Option entscheidet, betont der EWSA, dass der Begriff der schädlichsten irreführenden Vermarktungspraktiken konkret definiert und inhaltlich präzisiert werden muss, damit klar wird, bei welchen Geschäftspraktiken ihrer Ansicht nach ein stärkerer Schutz notwendig ist als bei anderen.

3.1.15

Der EWSA würde es zudem begrüßen, wenn die Kommission genauere Angaben zu den Fällen machte, die auf die „schwarze Liste“ gesetzt werden sollen. Er spricht sich uneingeschränkt ein solches Verzeichnis gänzlich untersagter Praktiken aus, das so präzise und so vollständig wie möglich sein sollte. Die Kommission kann sich bei der Aufstellung dieser Liste auf die Antworten auf ihren Fragebogen und die Äußerungen der Interessenträger in der Sitzung vom 1. März 2013 stützen, die ausreichend Material bieten (6).

3.1.16

Der EWSA würde es in diesem Zusammenhang auch begrüßen, wenn die Kommission die Erarbeitung einer grauen Liste von Praktiken erwöge, die unter bestimmten konkreten Umständen, die fallweise von einem Gericht zu entscheiden wären, für rechtswidrig erklärt werden könnten.

3.1.17

Weiterhin vertritt der Ausschuss die Auffassung, dass es über bloße Listen hinaus notwendig ist, die Begriffe irreführende Werbung oder unzulässige vergleichende Werbung umfassender zu definieren und zu präzisieren, um diese Praktiken in einem weitgefassten Rechtsrahmen systematisch anzugehen und sicherzustellen, dass neue unlautere Praktiken von den überarbeiteten Rechtsvorschriften erfasst werden.

3.1.18

Der Ausschuss ist unbeschadet der Ausführungen in Ziffer 3.1.8 der Ansicht, dass der rechtliche Rahmen der Richtlinie 2005/29/EG zu gegebener Zeit ausgeweitet werden muss, um insbesondere bestimmte Klein- und Kleinstunternehmen unter strengen, genau festgelegten Bedingungen Verbrauchern hinsichtlich ihres Schutzes gleichzustellen bzw. den Verbraucherschutz auf diese Unternehmen auszuweiten, sofern ihre Situation vergleichbar ist. Dies ist in den Rechtssystemen einiger Mitgliedstaaten bereits der Fall und eine berechtigte Forderung der repräsentativen Verbände und Organisationen dieser Unternehmen (7).

3.1.19

Der EWSA vertritt nämlich die Ansicht, dass es sich um ein und dieselbe Sachlage handelt und es von großem Nutzen wäre, parallel zu der hier untersuchten Richtlinie 2006/114/EG auch die Richtlinie 2005/29/EG im Einklang mit der jüngsten Bewertung dieser Richtlinie (8) zu überarbeiten, da beide zusammenhängen und einander ergänzen (9).

3.1.20

Die Art und Weise dieser Praktiken und des Vorgehens der rechtswidrig handelnden Unternehmen zeigt die Notwendigkeit eines kollektiven Rechtsinstruments in Form einer Sammelklage auf, mit der diesen Praktiken wirksam begegnet und den Gewerbetreibenden bei diesbezüglichen Rechtsstreitigkeiten ein besserer Schutz geboten werden kann, um die Praktiken einerseits abzustellen (10) und andererseits einen angemessenen Schadenersatz zu gewährleisten.

3.2   Formale Aspekte

3.2.1

Nach Auffassung des EWSA sollte die Kommission bereits jetzt klarstellen, welche Rechtsgrundlage sie für die künftigen Legislativmaßnahmen heranzuziehen beabsichtigt und ob diese lediglich die Vollendung des Binnenmarktes oder auch andere Bereiche betreffen.

3.2.2

Ebenso vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass eine Verordnung sich am besten als Rechtsinstrument für diesen Zweck eignet, da sie eine größere Rechtssicherheit und eine wirksamere Harmonisierung bietet.

4.   Analyse der Methodik

4.1

Im Hinblick auf den vorgeschlagenen Zeitrahmen begrüßt der EWSA die von der Kommission vorgeschlagenen Etappen und insbesondere die sofortige Einrichtung eines Ad-hoc-Netzes von Behörden zur verstärkten Durchsetzung der Richtlinie über irreführende und vergleichende Werbung und zwecks Informationsaustauschs.

4.2

Er befürwortet auch die Einrichtung eines Verfahrens der Zusammenarbeit bei der Durchsetzung der Rechtsvorschriften nach dem Vorbild des Verfahrens der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden. Damit eingeführt werden die Verpflichtung für Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Unterstützung auf diesem Gebiet, Maßnahmen zur Ermittlung der zuständigen Durchsetzungsbehörden, unbeschadet der Möglichkeit, öffentlich-private Plattformen einzusetzen, wie das zum Beispiel in den Niederlanden der Fall ist, und der Ausweitung der Zusammenarbeit auf die repräsentativen Organisationen der Interessenträger.

4.3

Der Ausschuss regt daher an, ähnlich wie beim Verbraucherschutz (11) und bei der Streitbeilegung ein europäisches Netz zur Unterstützung der KMU für die Beilegung grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten einzurichten, um Gewerbetreibende, die Opfer betrügerischer Praktiken geworden sind, an die am besten geeigneten rechtlichen Mechanismen zu verweisen.

4.4

Der Ausschuss ist zudem der Ansicht, dass Schulungs- und Informationsmaßnahmen sowie der Austausch bewährter Verfahren für alle Gewerbetreibenden eingeleitet werden sollten, um sie vor den einschlägigen Gefahren zu warnen.

4.5

Überdies hält es der Ausschuss - auch in Anbetracht der Tatsache, dass die meisten betrügerischen Praktiken im digitalen Umfeld angesiedelt sind - für notwendig, einen stärkeren und angemesseneren Ansatz für den Schutz der KMU zu fördern, auch unter Berücksichtigung der Praktiken der Zwischenhändler im Internet und der Vertragsbeziehungen, die sich aus Online-Plattformen wie Ebay oder spezifischen Plattformen für den Geschäftsverkehr zwischen Gewerbetreibenden ergeben.

4.6

Darüber hinaus wird die Kommission die internationale Dimension dieser Praktiken im Rahmen ihrer Vertretung bei der OECD berücksichtigen müssen (12). Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten mit der OECD über die Ausweitung ihrer Leitlinien für den Schutz der Verbraucher vor grenzüberschreitenden betrügerischen und irreführenden Handelspraktiken auch auf den B2B-Bereich diskutieren.

Der EWSA schlägt vor, dass EUROPOL ein Forschungsprojekt über betrügerische Machenschaften in der Massenvermarktung in der EU auflegt; untersucht werden sollten der Umfang des finanziellen Schadens und die Zahl der Opfer, die Rolle der wichtigsten grenzüberschreitenden Akteure und die eventuelle Investition von Gewinnen in andere illegale Unternehmungen.

4.7

Abschließend weist der Ausschuss auf die Notwendigkeit hin, dass die Kommission die für die praktische Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen unverzichtbare Mittelausstattung vorsieht.

4.8

Im Hinblick auf künftige Arbeiten erklärt der Ausschuss ausdrücklich seine Bereitschaft, mit seinen Mitgliedern zu den diesbezüglichen Tätigkeiten beizutragen, und kann dabei deren Erfahrung als besonders qualifizierte Vertreter der drei im Ausschuss vertretenen Interessengruppen der organisierten Zivilgesellschaft einbringen.

Brüssel, den 22. Mai 2013

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  ABl. C 351 vom 15.11.2012, S. 6.

(2)  COM(2013) 37 final.

(3)  Hier wird unter anderem auf die Probleme im Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG verwiesen, die u.a. das Europäische Parlament eingeräumt hat (vgl. „Misleading practices of „directory companies“ in the context of current and future internal market legislation aimed at the protection of consumers and SMEs“ (IP/A/IMCO/ST/2010-058/LOT4/C1/SC6).

(4)  Vgl. die vor der niederländischen Plattform FraudeHelpdesk.nl gelieferten Angaben.

(5)  Darüber hinaus hatte das Europäische Parlament bereits in seiner Entschließung zu unlauteren Geschäftspraktiken und irreführender Werbung mit Besorgnis festgestellt, dass einige Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG die im Anhang zu dieser Richtlinie enthaltene schwarze Liste aufgeschnürt haben, was größere Verwirrung bei Verbrauchern und Unternehmen stiftete.

(6)  Einige Beispiele werden im Folgenden genannt:

a)

Praktiken im Rahmen von Online-Transaktionen, bei denen die Informationen über die Transaktion nicht für alle Beteiligten in der gleichen Weise zur Verfügung gestellt werden, was zur Diskriminierung bestimmter Beteiligter führt.

b)

Praktiken im Rahmen von Online-Auktionen und -Verkäufen (Ebay). Es hat sich herausgestellt, dass sich in diesen Fällen eine Anmeldung als Verbraucher manchmal auszahlt, da diesem mehr Garantien geboten werden.

c)

Praktiken im Zusammenhang mit der Präsentation vermeintlich zertifizierter Produkte, die über keinerlei Zertifizierung verfügen;

d)

Praktiken, bei denen Anbieter den Gewerbetreibenden ihre Zugehörigkeit zu einer öffentlichen Behörde vorspiegeln und sie zum Kauf einer bestimmten Dienstleistung oder eines bestimmten Produkts nötigen, weil diese der vermeintlichen Erfüllung bestimmter Steuer- oder Sicherheitsvorschriften dienen.

e)

Praktiken des grenzüberschreitenden Verkaufs von Waren, bei denen der Käufer erst hinterher informiert wird, dass der Kundendienst nur im Herkunftsland des Produkts garantiert werden kann.

f)

Praktiken, bei der vergleichende Internetseiten im Wesentlichen dazu verwendet werden, den Gewerbetreibenden zum Kauf eines bestimmten Produkts zu veranlassen, das als für sein Profil besonders geeignet dargestellt wird. In der Praxis geben einige dieser Vergleichstools (insbesondere in der Finanzbranche) keinerlei Informationen darüber an, um was für eine Internetseite es sich handelt und wie sie sich finanziert.

g)

Praktiken der Schleichwerbung im digitalen Kontext, bei denen insbesondere über Antworten, die Verbraucher/Gewerbetreibende (im Normalfall Mitarbeiter des Anbieters oder von diesem bezahlte Personen) in sozialen Netzwerken posten, um Gewerbetreibende zur Entscheidung für diesen Anbieter zu veranlassen.

h)

Praktiken unter Verwendung von veralteten oder sogar überhaupt nicht existenten Tests.

i)

Praktiken, die die stillschweigende Zustimmung des Gewerbetreibenden zum Erwerb eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Dienstleistung implizieren.

(7)  Diese Lösung entspricht der Option 5 in der derzeit erarbeiteten Folgenabschätzung.

(8)  COM(2013) 138 final vom 14.3.2013.

(9)  Als Beispiel für die Aufeinanderabstimmung der Richtlinien 2006/114/EG und 2005/29/EG sei Österreich angeführt, wo die beiden Richtlinien dadurch miteinander in Einklang gebracht wurden, dass während der Umsetzung in nationales Recht der Begriff Verbraucher durch Adressaten der Vermarktungspraktiken ersetzt wurde, wodurch klar gewährleistet werden konnte, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2005/29/EG auch für Geschäftsbeziehungen zwischen Gewerbetreibenden gelten (vgl. IP/A/IMCO/ST/2010-04, PE 440.288, bereits in Fußnote 3 zitiert).

(10)  Aus diesem Grund sollte dieses künftige Rechtsinstrument unbedingt auf die Liste im Anhang I zur Richtlinie 2005/29/EG gesetzt werden.

(11)  http://ec.europa.eu/consumers/ecc/contact_en.htm

(12)  Die internationale Dimension wird von der International Mass-Marketing Fraud Working Group (IMMFWG) aufgezeigt, einem unabhängigen Netzwerk, in dem Durchsetzungs- und Regulierungsbehörden und Verbraucherschutzorganisationen aus sieben Ländern (Australien, Belgien, Kanada, den Niederlanden, Nigeria, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten) sowie Europol zusammengeschlossen sind. Es bemüht sich um die Erleichterung des internationalen Austauschs von Informationen und Erkenntnissen, die Koordinierung der grenzüberschreitenden Maßnahmen zur Ermittlung, Unterbindung und Vorbeugung von betrügerischen Machenschaften in der Massenvermarktung, die Schärfung des öffentlichen Bewusstseins sowie die Aufklärung der Öffentlichkeit über internationale Konzepte im Bereich von betrügerischen Machenschaften in der Massenvermarktung.

Vgl. „Mass-marketing fraud: a threat assessment“, IMMFWG, Juni 2010.


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