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Document 52009AE1711
Opinion of the European Economic and Social Committee on ‘Social inclusion’ (exploratory opinion)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Soziale Eingliederung“ (Sondierungsstellungnahme)
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Soziale Eingliederung“ (Sondierungsstellungnahme)
ABl. C 128 vom 18.5.2010, p. 10–17
(BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)
18.5.2010 |
DE |
Amtsblatt der Europäischen Union |
C 128/10 |
Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Soziale Eingliederung“
(Sondierungsstellungnahme)
(2010/C 128/03)
Berichterstatterin: Brenda KING
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2008 ersuchte Cecilia Malmström, Ministerin für europäische Angelegenheiten Schwedens, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu dem Thema:
„Soziale Eingliederung“.
Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 15. Oktober 2009 an.
Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 457. Plenartagung am 4./5. November 2009 (Sitzung vom 4. November) mit 130 Stimmen ohne Gegenstimme bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:
1. Schlussfolgerungen und Empfehlungen
1.1. Die Strategie der Europäischen Union für Wachstum und Beschäftigung muss in Zukunft mehr Gewicht auf den sozialen Zusammenhalt legen, so ein neuer Bericht zu diesem Thema, der am 29. September 2009 von der Europäischen Kommission vorgestellt wurde. Der Ausschuss für Sozialschutz stellt darin fest, dass Sozialschutz alleine nicht ausreicht, um Armut und Ausgrenzung vorzubeugen, und ruft daher dazu auf, den Schwerpunkt verstärkt auf Ziele wie die Bekämpfung von Kinderarmut und die Förderung von Maßnahmen zur aktiven Eingliederung zu legen.
In der Regel trifft Ausgrenzung in erster Linie Arme und Geringqualifizierte, MigrantInnen und Angehörige ethnokultureller Minderheiten, Menschen mit Behinderungen, die, die am Rande der Gesellschaft oder in prekären Wohnverhältnissen leben, sowie Obdachlose.
Selbst wenn eine Beschäftigung keine Garantie gegen Ausgrenzung und Armut bietet, ist ein Arbeitsplatz nach wie vor das beste Mittel der sozialen Eingliederung.
1.2. Der schwedische EU-Ratsvorsitz beabsichtigt, den negativen Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf das Wachstum und die Beschäftigung sowohl auf der Ebene der EU als auch der einzelnen Mitgliedstaaten entgegenzuwirken. Des Weiteren will er Prioritäten für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen festlegen, mit denen die Arbeitslosigkeit eingedämmt, die Zahl der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Menschen gesenkt und von Entlassungen der jüngsten Zeit Betroffene wieder in Beschäftigung gebracht werden sollen. Zudem sollen die Grundlagen für die Entstehung neuer dauerhafter und nachhaltiger Arbeitsplätze geschaffen werden.
1.3. In den Schlussfolgerungen des jüngsten G20-Gipfels wird darauf hingewiesen, dass es den Mitgliedstaaten, darunter jenen aus der EU, gelungen sei, dieses Jahr neue Arbeitsplätze zu schaffen sowie bereits vorhandene Arbeitsplätze zu erhalten und somit die Auswirkungen der Krise auf viele Bürgerinnen und Bürger einzudämmen. Bei ihren diesbezüglichen Bemühungen zielten die Mitgliedstaaten insbesondere auf den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Sicherung des Einkommens der Privathaushalte ab.
1.4. Nichtsdestoweniger steht die EU vor dem Problem, dass zahlreiche Menschen im erwerbsfähigen Alter selbst im jüngsten Konjunkturhoch keinen Zugang zu Beschäftigung hatten. Darüber hinaus erzielen manche mit ihrer Erwerbsarbeit kein ausreichendes Einkommen, um sich aus der Armut zu befreien. Daraus folgert, dass die Zahl der vom Arbeitsmarkt Ausgegrenzten trotz der entschlossenen Bemühungen zur Bewältigung der Krise in den letzten 18 Monaten gestiegen ist, wobei die sozialen Auswirkungen der Rezession noch nicht gänzlich absehbar sind.
1.5. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss vertritt die Auffassung, dass es verstärkter Bemühungen zur Umsetzung der vom Rat im Dezember 2008 angenommenen gemeinsamen Grundsätze für eine aktive Eingliederung bedarf, wobei der Schwerpunkt auf die besonders arbeitsmarktfernen Menschen gelegt werden sollte, also die Geringqualifizierten, die einen schlechteren Zugang zu lebenslangem Lernen und Fortbildung haben, Menschen mit Betreuungspflichten (größtenteils Frauen), FrührentnerInnen, Menschen mit Behinderungen, Angehörige von Minderheiten, MigrantInnen und junge Menschen.
1.6. Der EWSA empfiehlt, zur Ermittlung der besten Vorgehensweisen zur Gewährleistung des Übergangs von Bildung/beruflicher Bildung zu Beschäftigung und von Haushaltsarbeit bzw. einer Freiwilligentätigkeit zu bezahlter Arbeit sowie zur Beseitigung struktureller Barrieren, die dem Zugang zum Arbeitsmarkt und der sozialen Integration entgegenstehen, die offene Koordinierungsmethode zu nutzen.
1.7. Der Ausschuss ist sich bewusst, dass Sozialleistungen und Sozialschutz weitgehend aus öffentlichen Geldern finanziert werden und eine Reihe von EU-Mitgliedstaaten aufgrund der derzeitigen Krise Kürzungen bei den Staatsausgaben anstrebt. Er lehnt daher Schritte ab, die zu einer Bedrohung der Solidarität führen würden, auf der der Sozialschutz beruht und die für Europa so nützlich ist; gefragt sind dazu Maßnahmen, die sowohl Schutz bieten als auch den Übergang zu Beschäftigung und den Erhalt von Arbeitsplätzen unterstützen.
1.8. Der EWSA erkennt die Bedeutung des lebenslangen Lernens und der Fortbildung für die Stärkung der Beschäftigungsfähigkeit der Bürgerinnen und Bürger an und weist in diesem Zusammenhang auf die paradoxe Situation hin, dass die Menschen mit der geringsten Qualifikation den schlechtesten Zugang zu lebenslangem Lernen haben. Er empfiehlt daher nachdrücklich, dafür zu sorgen, dass alle tatsächlich Anspruch und Zugang zu Weiterbildung haben.
1.9. Der Ausschuss stimmt mit der Europäischen Kommission überein, dass der Koordinierung und Zusammenarbeit auf der nationalen und lokalen Ebene unter Einbindung der einzelstaatlichen Behörden, der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft sowohl im Beschäftigungsbereich als auch im Wohnungswesen, im Gesundheitsbereich und bei der territorialen Integration große Bedeutung zukommt.
2. Einleitung und Hintergrund
2.1. Die europäischen Volkswirtschaften und Gesellschaften sehen sich gegenwärtig einer Reihe von Herausforderungen gegenüber, etwa dem Klimawandel, dem technischen Fortschritt, der Globalisierung und der Bevölkerungsalterung. Die in den letzten Jahrzehnten gestiegene Einbindung in den Arbeitsmarkt ist zwar grundsätzlich positiv zu bewerten, gleichzeitig ist jedoch die Zahl der von Armut Betroffenen, darunter auch erwerbstätige Arme, unverändert hoch geblieben, die Arbeitsmärkte sind weiterhin stark segmentiert und die Zahl der arbeitslosen Haushalte ist nur geringfügig gesunken. Da ein guter Arbeitsplatz noch immer der beste Schutz vor Armut und Ausgrenzung ist, konzentriert sich der EWSA in der vorliegenden Stellungnahme vor allem auf die Zusammenhänge zwischen Beschäftigung und sozialer Eingliederung.
2.2. Die jüngste Herausforderung, die globale Finanzkrise, hat auf die Realwirtschaft durchgeschlagen, wobei sich die Arbeitsmarktsituation infolge der geringeren Nachfrage und der ungünstigeren Finanzierungsmöglichkeiten drastisch verschlechtert hat (1). Die saisonal bereinigte Arbeitslosenquote betrug in der EU-27 im März 2009 8,3 % im Vergleich zu 6,7 % im März 2008. Dies ist eine Trendumkehr bei der Beschäftigung, da die Arbeitslosigkeit in der EU-25 in den letzten Jahren gesunken ist, und zwar von 8,9 % im März 2005 auf 8,4 % im März 2006 und 7,3 % im März 2007. Obwohl sich die Lage in den einzelnen Ländern unterschiedlich darstellt, sind alle EU-Mitgliedstaaten sowie die meisten Branchen von dem schweren Wirtschaftsabschwung betroffen. Am stärksten betroffen sind Spanien, Irland und die baltischen Länder, wobei sich die Arbeitslosigkeit dort verdoppelt bzw. im Baltikum sogar fast verdreifacht hat. Dieser Aufwärtstrend wird voraussichtlich weiter anhalten.
2.3. In fast allen Mitgliedstaaten wurden Programme zur Bekämpfung dieser jüngsten Krise auf den Weg gebracht, die durch eine Entspannung der Finanzsituation und steuerliche Anreize in einem ersten Schritt das Finanzsystem stabilisieren, die negativen sozialen Folgen abfedern und anschließend den Konjunkturmotor wieder zum Laufen bringen sollen. Die einzelnen Mitgliedstaaten setzen bei ihren Maßnahmen zwar ganz unterschiedliche Schwerpunkte, besonderes Augenmerk wird aber in der Regel auf Maßnahmen gelegt, die darauf abzielen, die Menschen in Beschäftigung zu halten, die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu fördern, das Einkommen der Privathaushalte zu stützen, Hypothekennehmer vor Zwangsvollstreckung zu schützen, den Zugang zu Krediten und Darlehen zu verbessern und Investitionen in die Sozial- und Gesundheitsinfrastruktur zu fördern, jeweils im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und einen besseren Zugang zu Dienstleistungen (2). Nichtsdestoweniger ist der schwedische Ratsvorsitz der Auffassung, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise Hand in Hand mit den zur Bewältigung der übrigen Probleme der EU (z.B. demografischer Wandel, Globalisierung) erforderlichen Strukturreformen gehen müssen, da bereits vor der Krise zu viele EU-Bürgerinnen und –Bürger, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung hätten stehen können, trotz der relativ günstigen Wirtschaftslage keinen Zugang zu Beschäftigung hatten.
2.4. Der schwedische EU-Ratsvorsitz will folgende Prioritäten setzen:
2.4.1. gemeinsame Anstrengungen der Mitgliedstaaten zur Bewältigung der Auswirkungen eines raschen Anstiegs der Arbeitslosigkeit infolge der Wirtschaftskrise;
2.4.2. wirksame Reformen zur Stärkung der Mobilität auf dem Arbeitsmarkt, einschließlich Maßnahmen zur Erleichterung der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.
Ziel ist es, die kurzfristigen Auswirkungen der Krise einzudämmen und durch gezielte Maßnahmen zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten das langfristige Ziel einer hohen Beschäftigungsquote mittels einer neuen EU-Strategie für Wachstum und Beschäftigung erreichen.
3. Beschäftigung und soziale Eingliederung
3.1. Förderung sicherer Übergänge
3.1.1. Wechsel und soziale Mobilität sind in Europa seit jeher Teil des Lebens. Die durch die Globalisierung ausgelösten Veränderungen verdeutlichen die Notwendigkeit wirtschaftlicher und sozialer Steuerungssysteme, die Wechsel und soziale Mobilität aktiv unterstützen. Politisches Ziel sollte es sein, Aktivierungs- und Rehabilitationsmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt unter Gewährleistung des erforderlichen Sozialschutzes miteinander zu verknüpfen. Die Fachliteratur spricht von mindestens fünf Übergängen (3): zwischen Bildung/Ausbildung und Beschäftigung; zwischen unterschiedlichen Arbeitsverhältnissen einschließlich selbständiger Erwerbstätigkeit; zwischen bezahlter Arbeit und Arbeit im Haushalt bzw. einer Freiwilligentätigkeit; zwischen Beschäftigung und Arbeitsunfähigkeit; zwischen Beschäftigung und Ruhestand. Das Ziel muss darin bestehen, die Menschen davon zu überzeugen, dass sich Übergänge lohnen, und sie zu ermuntern, sich selbst um einen Arbeitsplatz zu kümmern, und die ihnen dabei gleichzeitig die erforderliche Unterstützung bieten und sie vor einer materiellen Notlage bewahren.
3.1.2. Besonderes Augenmerk ist dem Übergang zwischen Bildung/Ausbildung und Beschäftigung zu widmen, da viele junge Menschen in Wachstumszeiten überdurchschnittlich aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzt waren und nun besonders stark von den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen sind (4). Obwohl junge Menschen heutzutage über ein höheres Qualifikationsniveau als frühere Generationen verfügen, steigen sie später ins Berufsleben ein, genießen weniger Beschäftigungssicherheit und sind stärker von der Segmentierung der Arbeitsmärkte und von Arbeitslosigkeit betroffen. Der EWSA nimmt mit Zufriedenheit den Schwerpunkt „Sofortige Unterstützung für junge Menschen“ zur Kenntnis, den die Kommission in ihrer Mitteilung „Ein gemeinsames Engagement für Beschäftigung“ (5) setzt, zeigt sich jedoch skeptisch, ob mit der für die Bewertung und Überarbeitung der hochwertigen Weiterbildungsprogramme und Lehrausbildungen vorgeschlagenen Vorgehensweise tatsächlich gewährleistet werden kann, dass diese jeweils auf dem neuesten Stand sind. In seiner Stellungnahme zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen“ (6) hat der EWSA Empfehlungen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vorgelegt. Er weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass MigrantInnen, Angehörige ethnischer Minderheiten, AlleinerzieherInnen und Geringqualifizierte besonders stark von Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt und sozialer Ausgrenzung bedroht sind.
3.1.3. Frauen bekommen die Auswirkungen, die Übergänge zwischen Beschäftigung und Haushaltsarbeit bzw. einer Freiwilligentätigkeit hinsichtlich der Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Formen von Arbeitsverträgen bzw. hinsichtlich des Zeitraums haben, während dessen sie dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, besonders stark zu spüren. Der EWSA empfiehlt daher, verstärkt Maßnahmen zur Sicherstellung der Geschlechtergleichstellung zu ergreifen.
3.2. Konzipierung und Umsetzung integrierter Politiken, maßgeschneiderte Maßnahmen und Verbesserung der Governance
3.2.1. Mit der wachsenden Erfahrung mit Maßnahmen zur Gewährleistung reibungsloser Übergänge kristallisieren sich zunehmend Merkmale „guter Übergangsmaßnahmen“ heraus. Anreizen und Unterstützung kommt entscheidende Bedeutung zu. Begleitend zu den Maßnahmen zur Gewährleistung von Übergängen auf den Arbeitsmärkten müssen insbesondere dann, wenn damit Menschen erreicht werden sollen, die besonders weit weg vom Arbeitsmarkt sind und für die es systematisch weiterer Bemühungen bedarf, Eingliederungsmaßnahmen vorgesehen werden. Der EWSA vertritt die Auffassung (7), dass die Umsetzung umfassender Strategien zur aktiven Eingliederung, also einer ausgewogenen Kombination von Maßnahmen, die auf die Schaffung integrativer Arbeitsmärkte, eines Zugangs zu hochwertigen Dienstleistungen sowie die Sicherung eines angemessenen Mindesteinkommens abzielen, angesichts der derzeitigen Krise noch dringender und notwendiger sind.
3.2.2. Angesichts des erheblichen Prozentsatzes an Menschen im erwerbsfähigen Alter, die einen Zugang zur Beschäftigung finden müssen, begrüßt der EWSA die Empfehlung der Europäischen Kommission (8) für eine stärkere Einbindung und bessere Abstimmung auf der nationalen Ebene. Er ist jedoch auch der Auffassung, dass Maßnahmen auf die Bedürfnisse des Einzelnen zugeschnitten werden müssen. Dies ist deshalb wichtig, weil eine bürgernahe Beratung vor Ort, die wenn schon nicht für Einzelne, so doch zumindest für Gruppen maßgeschneiderte Lösungsvorschläge anbieten kann, eine essentielle Rolle für das Gelingen von Reformen spielt. Solidarwirtschaftlichen Projekten und Organisationen kommt bei Ansätzen zur Förderung von Unterstützungsmaßnahmen, durch die besonders arbeitsmarktferne Menschen wieder in Beschäftigung gebracht und neue Arbeitsplätze für diese geschaffen werden, oftmals eine Vorreiterrolle zu.
3.2.3. Der EWSA empfiehlt in diesem Zusammenhang zudem, den sozialen Dialog durch den zivilen Dialog zu ergänzen. In einigen Mitgliedstaaten gibt es bereits eine solche Form des Dialogs. Auf diese Weise könnten die Organisationen der Zivilgesellschaft ihre Erfahrung und ihr Wissen sowie ihre oftmals engen Beziehungen zu besonders schutzbedürftigen Gruppen wie von Armut betroffenen Menschen, Kindern, jungen Menschen, Familien in prekären Lebenssituationen, Migranten und Angehörigen ethnischer Minderheiten, Menschen mit Behinderungen sowie älteren Menschen als wichtige Komponenten in die Gestaltung der Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Eingliederung in Europa einbringen. Untersuchungen haben ergeben, dass die Qualität und die Professionalität sowie das Wissen und die im Umgang mit benachteiligten Bevölkerungsgruppen erforderlichen Fertigkeiten, über die die in diesen Bereichen tätigen Dienstleister und ihre Institutionen verfügen, maßgebliche Elemente beispielhafter Vorgehensweisen sind.
3.2.4. Der EWSA schließt sich der von der Kommission in ihrer Mitteilung ausgesprochenen Empfehlung (9) an, dass es dringend nötig ist, die Zusammenarbeit von Behörden, öffentlichen und privaten Arbeitsvermittlungen, Sozialdiensten, Einrichtungen für Erwachsenenbildung, Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft zu stärken, um die Chancen benachteiligter Gruppen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Überdies vertritt er die Auffassung, dass die einzelnen angebotenen Dienstleistungen, etwa in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Wohnungswesen, zusammengeführt und miteinander verknüpft werden sollten, da sich dies als ein Schlüsselelement beispielhafter Vorgehensweisen erwiesen hat.
3.3. Lissabon-Strategie
3.3.1. Mit der Lissabon-Strategie schenkt die EU der sozialen Eingliederung in Europa vermehrtes Augenmerk. Die Notwendigkeit, eine integrativere Wirtschaft zu verwirklichen, in der sich Effizienz und Schaffung neuer und besserer Arbeitsplätze unter Gewährleistung eines hohen Sozialschutzniveaus sowie eines stärkeren wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts miteinander vereinbaren lassen, wurde darin als allgemeines Ziel festgeschrieben. Dies ist das Fundament des europäischen Wirtschafts- und Sozialmodells. Im Rahmen ihrer Strategie für den Zeitraum nach 2010 wird die EU ein klares Konzept zur Bewältigung der wichtigsten gesellschaftlichen Herausforderungen einschließlich neuer Instrumente für die Bereiche Beschäftigung und Soziales erarbeiten müssen. Der EWSA erarbeitet derzeit eine Stellungnahme zu der Strategie für den Zeitraum nach Auslaufen der Lissabon-Strategie.
3.3.2. In der Lissabon-Strategie wurde hervorgehoben, wie sehr die Schaffung neuer Arbeitsplätze von aktiven beschäftigungspolitischen Maßnahmen, einem förderlichen makroökonomischen Rahmen, Investitionen in Kompetenzen, Forschung und Infrastruktur, einem besseren Regelungsumfeld sowie der Förderung von Unternehmertum und Innovation abhängt. Angesichts der weiteren Verschlechterung der Arbeitsmarktlage in Folge des Wirtschaftsabschwungs und im Hinblick darauf, dass es die Bevölkerung ist, die die Rezession am stärksten zu spüren bekommt, bedarf es jedoch zusätzlicher Maßnahmen. Die Krise wird zu tiefgreifenden Veränderungen der europäischen Arbeitsmärkte führen. Den Arbeitnehmern und Unternehmen müssen daher die notwendigen Mittel an die Hand gegeben werden, damit sie sich erfolgreich den veränderten Gegebenheiten anpassen können, um Arbeitsplätze zu erhalten, die Kompetenzen auf allen Ebenen sowie insbesondere jene von Geringqualifizierten auszubauen, die Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen und die für die Schaffung neuer Arbeitsplätze notwendigen Voraussetzungen zu gewährleisten.
3.4. Konzept des Umgangs mit der Flexicurity in Krisenzeiten (10)
„Flexicurity“ ist eine umfassende Strategie zur Förderung der Flexibilität wie auch der Arbeitsmarktsicherheit sowie zur Unterstützung jener, die sich vorübergehend außerhalb des Arbeitsmarkts befinden; der EWSA vertritt in diesem Zusammenhang folgende Auffassung:
3.4.1. Der „Flexicurity“ kommt in der derzeitigen schwierigen wirtschaftlichen Situation, die von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Armut, einer Segmentierung sowie der dringenden Notwendigkeit geprägt ist, Wachstumsimpulse zu setzen, neue und bessere Arbeitsplätze zu schaffen und den sozialen Zusammenhalt zu stärken, noch größere Bedeutung als bislang zu.
3.4.2. Für die Umsetzung der „Flexicurity“ bedarf es einerseits unterstützender Sozialschutzmaßnahmen und andererseits klarer Beschäftigungsanreize mit einem offenen und qualifizierenden Arbeitsmarkt zur Stützung der übrigen Maßnahmen sowie Maßnahmen zur Beseitigung der strukturellen Hindernisse und zur Förderung der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen einschließlich hochwertiger Arbeitsplätze. Auf diese Weise wird zur Verringerung der sozialen Ausgrenzung und des Armutsrisikos beigetragen, indem gewährleistet wird, dass alle Bürgerinnen und Bürger sowie insbesondere die besonders schutzbedürftigen Gesellschaftsgruppen Zugang zum Arbeitsmarkt haben.
3.4.3. Die im Hinblick auf die Umsetzung der Europäischen Beschäftigungsstrategie festgelegten gemeinsamen Grundsätze der „Flexicurity“ bilden gemeinsam mit umfassenden Strategien zur aktiven Eingliederung der Arbeitsmarktfernsten eine umfassende politische Strategie, mittels derer die Bemühungen zur Bewältigung der beschäftigungsrelevanten Auswirkungen und der sozialen Folgen der Krise sowie die Vorbereitungen auf den Wirtschaftsaufschwung koordiniert werden können.
3.4.4. Der EWSA begrüßt den Beschluss der europäischen Sozialpartner, die Umsetzung der gemeinsamen Grundsätze der „Flexicurity“ zu überwachen und die sich daraus ergebenden Schlüsse zu berücksichtigen. Mit der Erarbeitung einer Stellungnahme zum Thema „Flexicurity“ (11) wird er einen eigenen Beitrag zu diesem Vorhaben leisten. Zudem fordert er die Mitgliedstaaten dazu auf, sich verstärkt um die Umsetzung der gemeinsamen Grundsätze für eine aktive Eingliederung zu bemühen, wobei die diesbezüglichen Fortschritte in regelmäßigen Abständen von der Kommission bewertet werden sollten.
4. Maßnahmen zur Gewährleistung des Sozialschutzes und der sozialen Eingliederung
4.1. Soziale Sicherungssysteme tragen pozentiell zur Stärkung der sozialen Eingliederung bei, da sie einer Nichtteilhabe am Arbeitsmarkt Rechnung tragen, Fördermaßnahmen der öffentlichen Hand vorsehen und durch kollektive Solidarität zur Beseitigung der Faktoren beitragen, die die Fähigkeit von Einzelnen und von „benachteiligten“ Gruppen beeinträchtigen, ein würdiges Leben zu führen. Der Erfolg des europäischen Wohlfahrtsstaates ist insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung von Ungleichheiten gut belegt und spiegelt den zentralen europäischen Wert der in der Grundrechtecharta anerkannten Solidarität wider. Nach Auffassung des Ausschusses besteht die wichtigste Herausforderung im Bereich des Sozialschutzes derzeit darin sicherzustellen, dass die universellen Grundbedürfnisse gedeckt sind, und zwar unabhängig von den Unterschieden, die von Land zu Land in der Praxis bestehen mögen. Zudem müssen sie, wie bereits erläutert, reibungslose Übergänge gewährleisten. Es sollte darauf hingewirkt werden, dass sich Übergänge bezahlt machen und der Zugang zu Beschäftigung für spezifische Problemgruppen am Arbeitsmarkt durch eine Senkung der nicht lohnbezogenen Kosten von Arbeitgebern bei der Personaleinstellung mittels Verringerung des Verwaltungsaufwands bei gleichzeitiger Beibehaltung des Niveaus der nationalen Haushaltseinnahmen erleichtert wird, die Möglichkeiten zur Schaffung neuer Arbeitsplätze insbesondere für Geringqualifizierte ausgelotet werden, Negativanreize für die Aufnahme einer Beschäftigung beseitigt werden, das Steuer- und Sozialleistungssystem einschließlich der Besteuerung von Zweitverdienern verbessert wird, so dass sich Arbeit lohnt, und Arbeitslose dazu ermuntert werden, ein eigenes Unternehmen zu gründen (etwa über Unternehmerschulungen und die Vergabe von Mikrokrediten), wobei der Zugang zu den für die Eingliederung erforderlichen Dienstleistungen sichergestellt werden muss. Für Arbeitsunfähige muss eine entsprechende Einkommensunterstützung gewährleistet sein.
4.2. Der Ausschuss weist nachdrücklich darauf hin, dass es angesichts des gestiegenen Wettbewerbsdrucks infolge der Globalisierung und der Auswirkungen der Wirtschaftskrise nun wichtiger denn je ist, einen ausreichenden sozialen Schutz gegen soziale Risiken einschließlich Arbeitslosigkeit zu gewährleisten, und deutlicher denn je hervorgehoben werden muss, dass der Sozialschutz als soziale Investition zu betrachten ist, die sowohl der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft als auch der sozialen Eingliederung zugute kommt. Reformen dürfen nicht zur Infragestellung des dem Sozialschutz zu Grunde liegenden Leitmotivs der Solidarität führen, mit dem Europa bislang gut gefahren ist. Auf der anderen Seite ist der Wandel wichtig, und soziale Sicherungssysteme dürfen ihm gegenüber nicht starr sein, sondern müssen einer sorgfältig geplanten, langfristigen und gut abgestimmten Sozialreformpolitik folgen, die den erforderlichen Schutz gewährleistet und auf kurze wie auf lange Sicht Übergänge unterstützt.
Aus diesem Grund sollte überlegt werden, wie die einzelnen Bereiche des Sozialschutzes wirksamer für die soziale und wirtschaftliche Eingliederung genutzt werden können. Zu diesem Thema hat der EWSA die nachstehenden Bemerkungen anzubringen:
4.3.1. Berücksichtigung des demografischen Ungleichgewichts und des Wandels der Familien
4.3.1.1. Die in den meisten europäischen Ländern zu erwartende Bevölkerungsalterung wirft eine Reihe von Fragen im Hinblick auf die soziale Eingliederung auf. In vielen Ländern wurden diesbezüglich bereits erste Maßnahmen ergriffen. Das augenscheinlichste Problem, das aber nicht immer effizient gehandhabt wird, ist neben dem Anstieg der Bevölkerung im Rentenalter der wachsende Bedarf an Gesundheits- und Sozialdienstleistungen. Der EWSA begrüßt die Empfehlung der Kommission (9), die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer zu fördern und die Nachfrage und das Arbeitsplatzangebot im Pflegebereich durch die Einführung von Steuerpausen oder anderer Anreize zu stimulieren. Der EWSA ist der Auffassung, dass der Kommissionsvorschlag zum Abbau der Vorruhestandsregelungen einer intensiven Diskussion über Rahmenbedingungen, Reichweite, politische Flankierung etc. bedarf, um nicht erst recht wieder soziale Probleme im Alter zu schaffen. Der EWSA hat hierzu bereits wichtige Beiträge geliefert.
4.3.1.2. Für die demografische Entwicklung bedeutsam ist zudem, dass zahlreiche Maßnahmen, insbesondere die familienpolitischen, nicht wirksam genug sind, um den Menschen die Erfüllung ihres Kinderwunschs zu erlauben (12). In diesem Zusammenhang verweist der Ausschuss die politisch Verantwortlichen insbesondere auf seine Stellungnahme zum Thema Familie und demografische Entwicklung (13). Jedes Land braucht eine Familienpolitik, die die Wünsche der BürgerInnen (einschließlich der Kinder) berücksichtigt, das Familienleben aufwertet, Lösungsansätze für die gravierenden Auswirkungen bietet, die das Auseinanderbrechen der Familie, Gewalt, Armut und soziale Ausgrenzung (insbesondere auf Kinder) haben und dabei der von den BürgerInnen tagtäglich gelebten Realität und ihren Anliegen Rechnung trägt. In jedem europäischen Land sollte daher einer umfassenden Familienpolitik eine hohe Priorität eingeräumt werden, indem Fragen im Zusammenhang mit dem Einkommen, dem Kinderbetreuungsangebot, dem Zugang von Eltern zu hochwertiger Vollzeitbeschäftigung, der Geschlechtergleichstellung, der Bildung, dem Sozial- und Kulturangebot, der Beschäftigung und der Bereitstellung und Planung von Infrastruktur aufeinander abgestimmt werden.
4.3.2. Optimierung der Arbeitslosenversicherung und Förderung der Eingliederung
4.3.2.1. Die Arbeitslosenversicherung ist insbesondere in Zeiten, in denen die Wirtschaftskrise und der Wettbewerbsdruck zu laufenden Umstrukturierungen führen, eine wichtige Sozialleistung, die freigesetzten oder arbeitslos gewordenen Arbeitnehmern Sicherheit bietet. Je nach Höhe können die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung sogar zur Fluidität der Wirtschaft beitragen und die Arbeitsmobilität fördern. In manchen Ländern ist sie jedoch nicht mehr als eine passive Verteilung von Leistungen, die nicht durch ein System zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt (d.h. zur Unterstützung des Übergangs von Arbeitslosigkeit zu Beschäftigung) oder ein auf die Erlangung einer nachhaltigen Beschäftigung ausgerichtetes Weiterbildungsangebot ergänzt werden. Generell gilt, dass Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung eine aktivere Seite erhalten sollten. Zu diesem Zweck könnten sie, wie dies bereits in einer Reihe von Ländern der Fall ist, auf der Grundlage individuell erarbeiteter Pläne für den beruflichen Wiedereinstieg gewährt werden, die Voraussetzung für den Bezug solcher Leistungen wären. Aufgabe der Behörden wäre es dabei, das erforderliche Unterstützungs-, Integrations- und Weiterbildungsangebot bereitzustellen und den Zugang zu weiteren, die Eigenständigkeit fördernden Dienstleistungen zu gewährleisten. Auch der Prävention kommt eine wichtige Rolle zu. In diesem Zusammenhang kommt es darauf an, so früh wie möglich anzusetzen und den Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Kinderarmut sowie auf wirksame Maßnahmen für lebensbegleitendes Lernen zu legen, das verpflichtend wird und bei dem im Verlauf des Berufslebens unter Umständen auch Umschulungen vorzusehen sind.
4.3.2.2. Übergangs- und Integrationsmaßnahmen sind auch für andere Gruppen wichtig, etwa für Unfallopfer oder krankheitsbedingt Arbeitsunfähige (Übergang von Beschäftigung zu Beschäftigungslosigkeit aufgrund einer Behinderung). In diesem Zusammenhang stellt sich erstens die Frage nach einem Ersatzeinkommen und zweitens nach einem beruflichen Wiedereinstieg bzw. dem Zugang zum Arbeitsmarkt. Über ein Einkommen zu verfügen, ist zwar eine notwendige, aber nicht unbedingt eine hinreichende Grundvoraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Häufig wird der Integration der Betroffenen in das Arbeitsleben trotz diesbezüglicher Rechtsvorschriften nach wie vor zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In der Praxis ist die Beratung und Begleitung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. bei der Wiederaufnahme der Berufstätigkeit oftmals kompliziert und unangemessen. Weder die Bezugsvoraussetzungen noch die Höhe der Entschädigungen dürfen die Betroffenen davon abhalten, funktionale bzw. berufliche Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen oder wieder ihre Berufstätigkeit aufzunehmen. Vielmehr sollten sie den Menschen einen Anreiz geben, dies zu tun. Nichtsdestoweniger sollten bei Reformen, die den Schwerpunkt von passiven hin zu aktiven Maßnahmen verlagern, die in der Europäischen Ordnung der sozialen Sicherheit und den dazugehörigen Protokollen festgelegten Ziele nicht aus den Augen verloren werden. Durch das Konzept der angemessenen Beschäftigung sollte gewährleistet werden, dass Arbeitslose auf Stellen vermittelt werden, bei denen sie ihre Fertigkeiten und Qualifikationen möglichst produktiv und wirksam zum Wohle der gesamten Gesellschaft einsetzen können. Dabei muss gewährleistet sein, dass Menschen, für die Erwerbsarbeit nicht in Frage kommt, eine Einkommensunterstützung erhalten, die ihnen ein Leben in Würde ermöglicht.
5. Förderung des lebenslangen Lernens
5.1. In den einzelnen Mitgliedstaaten gibt es höchst unterschiedliche Systeme und Ebenen für die berufliche und allgemeine Bildung der Erwerbsbevölkerung. Die Tatsache, dass es unter den Unionsbürgern erhebliche Ungleichheiten hinsichtlich der allgemeinen und beruflichen Bildung gibt, wobei Menschen mit einem höheren Bildungsgrad im Verlauf ihres Berufslebens deutlich mehr Weiterbildungsmaßnahmen in Anspruch nehmen als jene mit geringerer Bildung, gehört angesichts der Globalisierung und des gegenwärtigen Wirtschaftsabschwungs zu den zentralen politischen Herausforderungen. Davon ausgehend, dass Arbeitnehmer mit geringerem Bildungsstand stärker von Stellenumschichtungen bzw. von Arbeitslosigkeit bedroht sind, besteht eine der Hauptaufgaben der Politik darin, Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau einen besseren Zugang zu beruflicher und allgemeiner Bildung sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass diese in größerem Ausmaß daran teilnehmen. Der EWSA fordert daher, sämtlichen Bürgerinnen und Bürgern, insbesondere den am stärksten von Ausgrenzung betroffenen Gesellschaftsgruppen, die ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern wollen, einen Anspruch auf Weiterbildung zu geben.
5.2. Die Tatsache, dass der Wandel des sozialen, wirtschaftlichen, politischen und technischen Umfelds die fortwährende Neujustierung der Fertigkeiten bedingt, bedeutet auch, dass die im Rahmen der allgemeinen Bildungssysteme vermittelten Inhalte überprüft werden müssen, und zwar vor allem dann, wenn die berufliche und allgemeine Bildung besser auf die Arbeitsmarkterfordernisse abgestimmt werden sollen. Besonders wichtig ist es daher 1.) allen jungen Menschen eine solide Grundbildung zu vermitteln und 2.) den gegenwärtigen und künftigen Bedarf an Fertigkeiten auf lokaler und/oder nationaler Ebene zu ermitteln, damit den diesbezüglich zwischen und in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Unterschieden Rechnung getragen wird. Der EWSA nimmt die Initiative „Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen“ (14) der Kommission zur Kenntnis und wird dazu detailliert Stellung nehmen.
5.3. Der EWSA schließt sich der Auffassung der Kommission an, wonach es nicht sein darf, dass der Einstieg ins Arbeitsleben mit der Erfahrung von Arbeitslosigkeit beginnt. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, jedem arbeitswilligen und -fähigen Schulabgänger eine Weiterbildung bzw. einen betrieblichen Ausbildungsplatz anzubieten und ihn nachdrücklich dazu anzuhalten, dieses Angebot auch in Anspruch zu nehmen. Weitere Einzelheiten zu den Lösungsvorschlägen des EWSA können in seiner Stellungnahme zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen“ (15) nachgelesen werden.
6. Wohnungspolitik als Faktor der sozialen Eingliederung
6.1. Obdachlosigkeit ist eine der schlimmsten Formen von Ausgrenzung. Zahlreiche EU-Mitgliedstaaten haben internationale Verträge und Übereinkommen ratifiziert, in denen das Recht auf eine angemessene Unterkunft anerkannt und geschützt wird: die Allgemeine Menschenrechtserklärung (Artikel 25), den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Artikel 11), das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Artikel 27), das Übereinkommen über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen (Artikel 14 und 15), die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Artikel 8), die Europäische Sozialcharta (Artikel 15, 16, 19, 23, 30 und 31) sowie die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Artikel 34 Absatz 3).
6.2. In Europa sind 70 Millionen Menschen von der Wohnraumkrise betroffen und leben unter unangemessenen Wohnbedingungen; davon sind etwa 18 Mio. von Zwangsräumung bedroht und 3 Mio. obdachlos. In Folge der globalen Finanzkrise, aufgrund derer ca. 2 Mio. Familien in Europa ihr Zuhause verlieren werden, weil sie ihr Wohndarlehen nicht mehr zurückzahlen können, wird diese Zahl weiter ansteigen (16). Die Mitgliedstaaten müssen diese Frage prioritär behandeln, um die Auswirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger und vor allem die besonders Schutzbedürftigen so gering wie möglich zu halten.
6.3. Der Verlust des Zuhauses führt zu einer der sozialen Eingliederung gegenläufigen Entwicklung einschließlich eines absehbaren Anstiegs der Nachfrage nach leistbarem angemessenem Wohnraum, einer Verschlechterung des Kündigungsschutzes bei Mietverträgen, eines größeren Risikos der Zwangsvollstreckung von Hypotheken sowie einer Zunahme drohender Zwangsräumungen. Betroffen sind junge und ältere Menschen, Arme und MigrantInnen ebenso wie Familien mit einem Durchschnittseinkommen. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, in Wohnungsfragen insbesondere im Hinblick auf die einzelnen sozial schwachen Gruppen für Gleichstellung Sorge zu tragen und ein System zur Vermeidung von Zwangsräumungen zu schaffen.
Der Ausschuss begrüßt zudem, dass die offene Koordinierungsmethode als Rahmen für den Austausch beispielhafter Vorgehensweisen angewandt wird und die Themen Obdachlosigkeit und Ausgrenzung vom Wohnungsmarkt als Schwerpunkte für die offene Methode der Koordinierung in den Bereichen Sozialschutz und soziale Eingliederung (OKM Soziales) für 2009 festgelegt wurde. Er empfiehlt, diese Vorgehensweise durch eine Stärkung der vorhandenen EU-Finanzinstrumente auf folgende Bereiche auszuweiten:
6.4.1. Programme zur Bereitstellung leistbaren und angemessenen Wohnraums;
6.4.2. Programme zur Unterstützung von alternativen Wohnmodellen und Pilotprojekten für neue Formen des sozialen Wohnbaus, bei denen die Aspekte der Solidarität zwischen den Generationen, der Multikulturalität und der sozialen Ausgrenzung berücksichtigt und die in Zusammenarbeit mit den lokalen Gebietskörperschaften, der Zivilgesellschaft und den Sozialträgern durchgeführt werden.
6.5. Der EWSA schließt sich der Auffassung des Rates und der Kommission (17) an, wonach der Zugang zu Finanzdienstleistungen eine Grundvoraussetzung für die Gewährleistung eines nachhaltigen Zugangs zum Wohnungsmarkt ist und Personen, die von Zwangsräumung bzw. Zwangsvollstreckung bedroht sind, entsprechende Unterstützung und Beratung gewährt werden muss.
7. Territoriale Maßnahmen als Faktoren der sozialen Eingliederung
7.1. Maßnahmen zur Bereitstellung von Wohnraum müssen auf Maßnahmen für territoriale Einheiten oder geografische Gebiete abgestimmt und durch diese ergänzt werden. Bei sämtlichen auf soziale Eingliederung abzielenden Maßnahmen wird deutlich, dass es benachteiligte Regionen bzw. Gegenden gibt. Vielfach sind diese Benachteiligungen auf die mangelnde Infrastruktur zurückzuführen, was dazu führt, dass nur eine geringe Zahl von Dienstleistungen, eine bescheidene öffentliche Infrastruktur und andere Einrichtungen und wenig Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, was zu einer Verschlechterung des ökologischen und sozialen Umfelds führen kann. In neueren Untersuchungen wird der lokalen Ebene ein hoher Stellenwert eingeräumt und aufgezeigt, wie Probleme und Unzulänglichkeiten einander überlagern, so dass Gegenden entstehen, deren Bevölkerung sich aus sozial Schwachen zusammensetzt und die zugleich selbst aus den vorgenannten und weiteren Gründen als schwach zu bezeichnen sind. Mangelnde Investitionen der lokalen bzw. nationalen Ebene oder aus dem Ausland in diese Gebiete verschlimmern die Lage zusätzlich.
7.2. Ein politisches Ziel muss demnach darin bestehen, Ungleichheiten zwischen den einzelnen Gebieten bzw. Regionen auszugleichen und sicherzustellen, dass besonders benachteiligte Gebiete ausreichend versorgt werden. In dieser Hinsicht kommt lokalen Initiativen eine entscheidende Rolle zu, etwa jenen, die sich um die soziale Aufwertung heruntergekommener und verarmter Örtlichkeiten und Wohngebiete kümmern. Dabei geht es nicht nur um Infrastrukturinvestitionen, sondern auch um intensive Bemühungen zum Wiederaufbau der sozialen Infrastruktur für die einzelnen Gesellschaftsgruppen und des sozialen Kapitals dieser Gebiete.
7.3. Beschäftigung spielt eine besonders wichtige Rolle für die Überwindung gebietsbezogener Nachteile. Das Arbeitsplatzangebot vor Ort trägt zu einer Verringerung der Armut und zur Stärkung der sozialen Eingliederung bei und gibt denen, die am Rande der Gesellschaft leben, ihre Selbstachtung, ihr Selbstvertrauen und die Ressourcen für ein selbstbestimmtes Leben zurück. Darüber hinaus trägt es zur Vergrößerung der auf lokaler Ebene verfügbaren finanziellen und anderen Mittel bei. Der Zugang zu Dienstleistungen ist wiederum eine Grundvoraussetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort. Die Beteiligung der örtlichen Bevölkerung an diesen und ähnlichen Initiativen — wie z.B. an der Gründung von Mikrounternehmen, die von der örtlichen Bevölkerung betrieben werden — ist sehr wichtig.
7.4. Der EWSA ist davon überzeugt, dass neben diesen klassischen Bereichen der sozialen Eingliederungspolitik auch in einem weiteren, neuen Politikbereich oder Aufgabenfeld Maßnahmen ergriffen werden müssen. Dieser Bereich muss auf die Schaffung einer aktiven, integrativen Gesellschaft abzielen. Teilweise bestehen erhebliche Überschneidungen mit den Strukturen für bestimmte Politikfelder (z.B. Bereitstellung von Wohnraum, Unterstützung für Geringqualifizierte), doch ist dies auch eine Aufgabe, die speziell darauf zugeschnittener Maßnahmen bedarf, die also eine eigene Politik verlangt.
7.5. Des Weiteren begrüßt der EWSA den Vorschlag der Kommission (18), die Bereitstellung von Finanzmitteln durch Nutzung des neuen EU-Mikrofinanzierungsinstruments für Beschäftigung zu gewährleisten und zu beschleunigen, um die Entwicklung von Kleinstunternehmen und der Solidarwirtschaft zu unterstützen. Er ist der Auffassung, dass territorialen Maßnahmen unter Einbeziehung der Mitgliedstaaten, der Sozialpartner, der zuständigen lokalen Behörden und lokaler Gruppen einschließlich der Solidarwirtschaft Priorität eingeräumt werden sollte.
8. Umgang mit der Vielfalt und Integration von Zuwanderern
8.1. Kulturelle Vielfalt gilt allgemein als kennzeichnendes Merkmal Europas, wobei jedoch die Leitungsebene in den europäischen Gesellschaften nicht immer multikulturell ist. Nach Auffassung des EWSA muss der Umgang der europäischen Gesellschaften mit Minderheiten (z.B. den Roma (19)) und MigrantInnen ebenfalls Aufgabe einer Politik der sozialen Eingliederung sein. Es gibt mehrere Möglichkeiten, dies zu untersuchen und in diesem Bereich Verbesserungen zu erzielen.
8.2. Der Ausschuss ist der Ansicht, dass es eine Verbindung aus „Pluralismus“ und „Gleichheit“ als Voraussetzungen für die soziale Eingliederung zu prüfen gilt. Für die Aufnahmegesellschaft, die Angehörigen von Minderheiten und MigrantInnen kann es schwer sein, die Kultur und Werte des anderen kennen- und schätzenzulernen. Der EWSA empfiehlt eine Reihe grundlegender Maßnahmen: Seitens des Aufnahmelandes muss herausgearbeitet werden, welchen Beitrag die MigrantInnen leisten und welche Faktoren zu Diskriminierung, Benachteiligung und Marginalisierung führen. Die Angehörigen von Minderheiten und MigrantInnen müssen Bereitschaft zur Anpassung an die Normen und Traditionen des Aufnahmelandes zeigen, ohne dabei ihre Identität und kulturellen Wurzeln zu verleugnen. Weitere Ausführungen dazu macht der EWSA in seiner Stellungnahme zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen“ (15).
8.3. Die Rolle des interkulturellen Dialogs muss ebenfalls hervorgehoben werden, und zwar entweder als Teil des zivilen Dialogs oder als eigenständiger Bereich. Politische Zielsetzungen dieser Art von Aktivitäten sind u.a.:
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Entwicklung von Vorgehensweisen für die Stärkung des Vertrauens in eine gemeinsame Zukunft und in die zivilen Werte, wie Fairness, Toleranz, Respekt von Freiheit und Demokratie, Geschlechtergleichstellung, Solidarität und soziale Verantwortung, wodurch ein Gefühl der Zugehörigkeit und der wechselseitigen Anerkennung geweckt wird; |
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Stärkung der sozialen Eingliederung durch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Integration von MigrantInnen; |
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Überprüfung sämtlicher politischer Maßnahmen auf „ihre Angemessenheit hinsichtlich ihrer kulturellen Dimension“, einschließlich Stigmatisierung und Diskriminierung. |
Brüssel, den 4. November 2009
Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses
Mario SEPI
(1) Siehe Ziffer 2.1 der EWSA-Stellungnahme vom 11.6.2009 zu den „Ergebnissen des Beschäftigungsgipfels“, Berichterstatter: Wolfgang Greif (ABl. C 306 vom 16.12.2009, S. 70).
(2) „Updated joint assessment by the Social Protection Committee and the European Comission of the social impact of the economic crisis and of policy responses“ http://ec.europa.eu/social/keyDocuments.jsp?type=3&policyArea=750&subCategory=758&country=0&year=0&advSearchKey=&mode=advancedSubmit&langId=en (Anm.d. Übers.: liegt nur auf Englisch vor). Eine komplett überarbeitete Fassung wird im November 2009 veröffentlicht.
(3) Schmid, G.: Wege in eine neue Vollbeschäftigung. Übergangsarbeitsmärkte und aktivierende Arbeitsmarktpolitik; Campus Verlag, Frankfurt, 2002.
(4) http://ec.europa.eu/youth/news/news1389_en.htm.
(5) Siehe „Ein gemeinsames Engagement für Beschäftigung“, KOM(2009) 257 endg., S.8.
(6) Siehe Ziffer 5 der EWSA-Stellungnahme vom 12.7.2007 zum Thema „Beschäftigung für vorrangige Bevölkerungsgruppen (Lissabon-Strategie)“, Berichterstatter: Wolfgang Greif (ABl. C 256 vom 27.10.2007).
(7) Siehe: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= OJ:L:2008:307:0011:0014:DE:PDF.
(8) Siehe „Ein gemeinsames Engagement für Beschäftigung“, KOM(2009) 257 endg., Seite 13.
(9) Siehe „Ein gemeinsames Engagement für Beschäftigung“, KOM(2009) 257 endg., Seite 9.
(10) Siehe Entwurf der Schlussfolgerungen des Rates „Flexicurity in Krisenzeiten“, SOC 374 ECOFIN 407, 10388/09.
(11) Siehe EWSA-Stellungnahme vom 1.10.2009 zu den „Einsatzmöglichkeiten der Flexicurity für die Umstrukturierung im Zuge der globalen Entwicklung“, Berichterstatter: Valerio Salvatore, Ko-Berichterstatter: Enrique Calvet Chambon (ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 1).
(12) Siehe EWSA-Stellungnahme vom 30.9.2009 zum Thema „Arbeit und Armut: die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes“, Berichterstatterin: Nicole Prud'homme (ABl. C 318 vom 23.12.2009, S. 52).
(13) Siehe die EWSA-Stellungnahme vom 14.3.2007 zum Thema „Die Familie und die demografische Entwicklung“, Berichterstatter: Stéphane Buffetaut (ABl. C 161 vom 13.7.2007, S. 66).
(14) „Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen - Arbeitsmarkt- und Qualifikationserfordernisse antizipieren und miteinander in Einklang bringen“ (KOM(2008) 868 endg.).
(15) Siehe Fußnote 6.
(16) Siehe http://www.habitants.org/noticias/inhabitants_of_europe/european_platform_on_the_right_to_housing_2009.
(17) Siehe den Gemeinsamen Bericht der Kommission und des Rates über Sozialschutz und soziale Eingliederung 2009, 7309/09, Ziffer 2 Absatz 8.
(18) Siehe die Mitteilung der Kommission „Ein gemeinsames Engagement für Beschäftigung“, KOM(2009) 257 endg., S. 11.
(19) Siehe die EWSA-Stellungnahme zum Thema „Integration von Minderheiten - Roma“, Berichterstatterin Anne-Marie Sigmund, Mitberichterstatterin Madi Sharma (ABl. C 27 vom 3.2.2009, S. 88).