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Document 62021TJ0222

Urteil des Gerichts (Neunte Kammer) vom 12. Oktober 2022 (Auszüge).
Shopify Inc. gegen Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum.
Unionsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Unionsbildmarke Shoppi – Ältere Unionswortmarke SHOPIFY – Relatives Eintragungshindernis – Keine Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und Art. 60 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung [EU] 2017/1001) – Keine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke – Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union und Euratom (Brexit).
Rechtssache T-222/21.

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2022:633

 URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

12. Oktober 2022 ( *1 )

„Unionsmarke – Nichtigkeitsverfahren – Unionsbildmarke Shoppi – Ältere Unionswortmarke SHOPIFY – Relatives Eintragungshindernis – Keine Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b und Art. 60 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung [EU] 2017/1001) – Keine erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke – Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union und Euratom (Brexit)“

In der Rechtssache T‑222/21,

Shopify Inc. mit Sitz in Ottawa, Ontario (Kanada), vertreten durch Rechtsanwälte S. Völker und M. Pemsel,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch V. Ruzek als Bevollmächtigten,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO und Streithelfer vor dem Gericht:

Massimo Carlo Alberto Rossi, wohnhaft in Fiano (Italien),

Salvatore Vacante, wohnhaft in Berlin (Deutschland),

Shoppi Ltd mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich),

vertreten durch Rechtsanwältin V. Roth und Rechtsanwalt A. Hogertz,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung der Präsidentin M. J. Costeira, der Richterin M. Kancheva (Berichterstatterin) und des Richters P. Zilgalvis,

Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2022

folgendes

Urteil ( 1 )

[nicht wiedergegeben]

Rechtliche Würdigung

[nicht wiedergegeben]

Zur durch Benutzung erhöhten Kennzeichnungskraft der älteren Marke

[nicht wiedergegeben]

93

Erstens hat die Beschwerdekammer in den Rn. 71 bis 74 der angefochtenen Entscheidung zu den Nachweisen, die das Hoheitsgebiet des Vereinigten Königreichs betreffen, festgestellt, dass das Vereinigte Königreich am 1. Februar 2020 gemäß Art. 50 EUV aus der Union ausgetreten und zu einem Drittstaat geworden sei. Zwar habe das Unionsrecht während eines Übergangszeitraums weiterhin für das Vereinigte Königreich und in seinem Hoheitsgebiet gegolten, jedoch habe dieser Übergangszeitraum gemäß den Art. 126 und 127 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen) am 31. Dezember 2020 geendet. Ab dem 1. Januar 2021 hätten die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Marken nicht mehr für das Vereinigte Königreich und in seinem Hoheitsgebiet gegolten, sofern und soweit ihre Fortgeltung nicht ausdrücklich im Austrittsabkommen geregelt worden sei. Die Beschwerdekammer verwies auch auf Rn. 2 der Mitteilung Nr. 2/20 des Exekutivdirektors des EUIPO vom 10. September 2020 über die Auswirkungen des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union auf bestimmte Aspekte der Praxis des EUIPO.

94

Die Beschwerdekammer schloss daraus, dass das Vereinigte Königreich betreffende Nachweise für die Bekanntheit oder die erhöhte Kennzeichnungskraft den Schutz einer Unionsmarke ab dem 1. Januar 2021 nicht länger begründen oder stützen könnten, und zwar selbst dann nicht, wenn die betreffenden Nachweise aus der Zeit vor dem 1. Januar 2021 stammten. Eine solche Marke müsse nämlich zum Zeitpunkt der Entscheidung „in der Union“ bekannt sein oder eine erhöhte Kennzeichnungskraft besitzen (vgl. auch Rn. 15 der Mitteilung Nr. 2/20 hinsichtlich der Bekanntheit). Die von der Klägerin geltend gemachte erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke im Vereinigten Königreich sei für das bei ihr anhängige Verfahren unerheblich.

95

Die Klägerin führt aus, dass der Zeitpunkt, zu dem die durch Benutzung erhöhte Kennzeichnungskraft zu beurteilen sei, zwar derjenige der Anmeldung der angegriffenen Marke, d. h. der 8. Mai 2017, sei, jedoch sei das Vereinigte Königreich zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied der Union gewesen, so dass die Nachweise für dieses Gebiet hätten berücksichtigt werden müssen. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auch auf das Urteil vom 16. März 2022, Nowhere/EUIPO – Ye (APE TEES) (T‑281/21, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2022:139), verwiesen.

96

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das am 17. Oktober 2019 geschlossene und am 1. Februar 2020 in Kraft getretene Austrittsabkommen einen Übergangszeitraum vom 1. Februar 2020 bis 31. Dezember 2020 (im Folgenden: Übergangszeitraum) vorsieht. Seit Ablauf dieses Übergangszeitraums entfaltet der gemeinhin als „Brexit“ bezeichnete Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union in vollem Umfang Wirkung.

97

Nach Art. 127 des Austrittsabkommens gilt, sofern nichts anderes bestimmt ist, das Unionsrecht während des Übergangszeitraums im Gebiet des Vereinigten Königreichs fort (Urteil vom 23. September 2020, Bauer Radio/EUIPO – Weinstein [MUSIKISS], T‑421/18, EU:T:2020:433, Rn. 32). Umgekehrt gelten, wie die Beschwerdekammer ausgeführt hat, die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Marken ab dem 1. Januar 2021 nicht mehr für das Vereinigte Königreich und in seinem Hoheitsgebiet, sofern und soweit ihre Fortgeltung nicht ausdrücklich im Austrittsabkommen geregelt ist.

98

Im vorliegenden Fall steht fest, dass der Anmeldezeitpunkt der angegriffenen Marke der 8. Mai 2017 ist und somit vor dem Ablauf des Übergangszeitraums liegt und dass der Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung der 18. Februar 2021 ist und somit nach dem Ablauf des Übergangszeitraums liegt. Eine derartige Sachlage unterscheidet sich deutlich von dem Fall, dass der Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung vor dem Ablauf dieses Übergangszeitraums liegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Indo European Foods/EUIPO – Chakari [Abresham Super Basmati Selaa Grade One World’s Best Rice], T‑342/20, Rechtsmittel anhängig, EU:T:2021:651, Rn. 22).

99

Nach der Rechtsprechung des Gerichts muss der Inhaber eines älteren gewerblichen Schutzrechts, insbesondere einer älteren Marke, im Rahmen eines Nichtigkeitsverfahrens nachweisen, dass er die Benutzung der streitigen Unionsmarke nicht nur am Anmelde- oder Prioritätstag dieser Marke untersagen kann, sondern auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des EUIPO über den Antrag auf Nichtigerklärung (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Juni 2021, Style & Taste/EUIPO – The Polo/Lauren Company [Darstellung eines Polospielers], T‑169/19, EU:T:2021:318, Rn. 29 und 30). Dies gilt erst recht im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens (Urteil vom 14. Februar 2019, Beko/EUIPO – Acer [ALTUS], T‑162/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:87, Rn. 41 bis 43).

100

Daraus folgt im Wesentlichen, dass die Nachweise für eine durch Benutzung der älteren Marke im Vereinigten Königreich erhöhte Kennzeichnungskraft für den Antrag auf Nichtigerklärung der angegriffenen Marke nur dann relevant sind, wenn die Benutzung zum Zeitpunkt, zu dem das EUIPO über den Antrag auf Nichtigerklärung entscheidet, noch geltend gemacht werden kann.

101

Im vorliegenden Fall liegt der Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung, der 18. Februar 2021, jedoch nach Ablauf des Übergangszeitraums.

102

Daher war die Beschwerdekammer verpflichtet, die Benutzung der älteren Marke im Vereinigten Königreich, die den Streithelfern zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung nicht mehr entgegengehalten werden konnte, nicht zu berücksichtigen und die entsprechenden Nachweise zurückzuweisen.

103

Außerdem ist mit dem EUIPO festzustellen, dass in Anbetracht des in Art. 1 Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 niedergelegten fundamentalen Grundsatzes der Territorialität der Rechte des geistigen Eigentums nach Ablauf des Übergangszeitraums im Vereinigten Königreich zwischen der angegriffenen Marke und der älteren Marke, die in diesem Gebiet nicht mehr geschützt sind, kein Konflikt auftreten kann. Zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung gehörte das Publikum im Vereinigten Königreich nicht mehr zu den maßgeblichen Verkehrskreisen der Union.

104

Schließlich ist es zwar zutreffend, dass für die Beurteilung der erhöhten Kennzeichnungskraft der älteren Marke der Anmeldezeitpunkt der angegriffenen Marke maßgeblich ist (vgl. Urteil vom 15. Oktober 2020, athlon custom sportswear, T‑349/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:488, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung), jedoch ändert dies nichts daran, dass es bei dem Erfordernis des Fortbestands oder Fortdauerns des älteren Rechts zum Zeitpunkt der Entscheidung des EUIPO über den Antrag auf Nichtigerklärung um die einer solchen materiell‑rechtlichen Würdigung vorausgehende Frage geht, ob dieses Recht geltend gemacht werden kann.

[nicht wiedergegeben]

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Shopify Inc. trägt die Kosten.

 

Costeira

Kancheva

Zilgalvis

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Oktober 2022.

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

( 1 ) Es werden nur die Randnummern des Urteils wiedergegeben, deren Veröffentlichung das Gericht für zweckdienlich erachtet.

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