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Document 62018CJ0403

    Urteil des Gerichtshofs (Achte Kammer) vom 17. Oktober 2019.
    Alcogroup und Alcodis gegen Europäische Kommission.
    Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Ethanolmarkt – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Art. 20 Abs. 4 – Nachprüfungsbeschluss – Ablauf der Nachprüfung – Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten – Weigerung, die Untersuchungsmaßnahmen auszusetzen – Nichtigkeitsklage – Zulässigkeit – Vorbereitender Beschluss.
    Rechtssache C-403/18 P.

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2019:870

    URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

    17. Oktober 2019 ( *1 )

    „Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Ethanolmarkt – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Art. 20 Abs. 4 – Nachprüfungsbeschluss – Ablauf der Nachprüfung – Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten – Weigerung, die Untersuchungsmaßnahmen auszusetzen – Nichtigkeitsklage – Zulässigkeit – Vorbereitender Beschluss“

    In der Rechtssache C‑403/18 P

    betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 14. Juni 2018,

    Alcogroup SA,

    Alcodis SA

    mit Sitz in Brüssel (Belgien), vertreten durch P. de Bandt, J. Dewispelaere und J. Probst, avocats,

    Rechtsmittelführerinnen,

    andere Parteien des Verfahrens:

    Europäische Kommission, vertreten durch T. Christoforou, V. Bottka, C. Giolito und F. Jimeno Fernández als Bevollmächtigte,

    Beklagte im ersten Rechtszug,

    Orde van Vlaamse Balies mit Sitz in Brüssel, vertreten durch F. Wijckmans und S. De Keer, advocaten, sowie durch S. Engelen, avocat,

    Ordre des barreaux francophones et germanophone,

    Ordre français des avocats du barreau de Bruxelles

    mit Sitz in Brüssel, vertreten durch T. Bontinck, A. Guillerme und P. Goffinet, avocats,

    Streithelfer im ersten Rechtszug,

    erlässt

    DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

    unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin) sowie der Richter J. Malenovský und F. Biltgen,

    Generalanwalt: P. Pikamäe,

    Kanzler: A. Calot Escobar,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

    folgendes

    Urteil

    1

    Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Alcogroup SA und die Alcodis SA die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 10. April 2018, Alcogroup und Alcodis/Kommission (T‑274/15, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:179), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung zum einen des Beschlusses C(2015) 1769 final der Kommission vom 12. März 2015, gerichtet an Alcogroup sowie an alle Unternehmen, die sie unmittelbar oder mittelbar kontrolliert, darunter Alcodis, in einem Verfahren nach Art. 20 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates (AT.40244 – Bioethanol) (im Folgenden: zweiter Nachprüfungsbeschluss) und zum anderen des Schreibens der Kommission vom 8. Mai 2015, gerichtet an Alcogroup im Rahmen der Untersuchungen AT.40244 – Bioethanol und AT.40054 – Oil and Biofuel Markets (im Folgenden: Schreiben vom 8. Mai 2015) als unzulässig abgewiesen hat.

    I. Rechtlicher Rahmen

    2

    Art. 20 („Nachprüfungsbefugnisse der Kommission“) der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln [101] und [102 AEUV] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) bestimmt in den Abs. 1 bis 4:

    „(1)   Die Kommission kann zur Erfüllung der ihr durch diese Verordnung übertragenen Aufgaben bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle erforderlichen Nachprüfungen vornehmen.

    (4)   Die Unternehmen und Unternehmensvereinigungen sind verpflichtet, die Nachprüfungen zu dulden, die die Kommission durch Entscheidung angeordnet hat. Die Entscheidung bezeichnet den Gegenstand und den Zweck der Nachprüfung, bestimmt den Zeitpunkt des Beginns der Nachprüfung und weist auf die in Artikel 23 und Artikel 24 vorgesehenen Sanktionen sowie auf das Recht hin, vor dem Gerichtshof Klage gegen die Entscheidung zu erheben. …“

    II. Vorgeschichte des Rechtsstreits

    3

    Das Gericht hat den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt in den Rn. 1 bis 27 des angefochtenen Urteils wie folgt festgestellt:

    „1

    Die [Rechtsmittelführerinnen], Alcogroup und ihre Tochtergesellschaft Alcodis, sind in der Herstellung, Verarbeitung und Vermarktung von Ethanol tätig, das zum einen als Zusatzstoff bei der Herstellung fossiler Brennstoffe oder selbst als Brennstoff und zum anderen als traditioneller Inhaltsstoff z. B. in der Erzeugung von Getränken und der Herstellung pharmazeutischer, chemischer und kosmetischer Erzeugnisse verwendet wird.

    Erste Untersuchung und erste Nachprüfung

    2

    Infolge einer im März 2013 eingelegten Beschwerde führte die Europäische Kommission im Mai 2013 in den Räumlichkeiten der Platts (U.K.) Ltd sowie in den Räumlichkeiten einiger anderer Unternehmen, die in den Bereichen Rohöl, raffinierte Erdölerzeugnisse und Biokraftstoffe tätig sind, Nachprüfungen durch. Platts (U.K.) ist ein Unternehmen, das eine Methode zur Bewertung der Ethanolpreise unter der Bezeichnung „market-on-close“ entwickelt hat und der Öffentlichkeit zugänglich macht. Diese Nachprüfungen wurden im Rahmen einer Untersuchung der Kommission durchgeführt, die sowohl die Funktionsweise dieser Methode als auch etwaige auf die Manipulation dieser Methode gerichtete Kollusionen zwischen Unternehmen betraf (im Folgenden: erste Untersuchung). Die Sache wurde unter dem Aktenzeichen AT.40054 – Oil and Biofuel Markets (vormals OCTOPUS) bei der Kommission eingetragen.

    3

    In diesem Zusammenhang erließ die Kommission am 29. September 2014 einen Beschluss, mit dem gegenüber Alcogroup sowie allen Unternehmen, die sie unmittelbar oder mittelbar kontrolliert, darunter Alcodis, eine Nachprüfung gemäß Art. 20 Abs. 4 der [Verordnung Nr. 1/2003] angeordnet wurde. Die Nachprüfung fand in den gemeinsamen Räumlichkeiten der [Rechtsmittelführerinnen] zwischen dem 7. und dem 10. Oktober 2014 statt. 15 Beamte wurden von der Kommission mit der Durchführung dieser Nachprüfung beauftragt und dabei von Vertretern der belgischen Wettbewerbsbehörde unterstützt; die [Rechtsmittelführerinnen] beantragten den Beistand ihrer Rechtsanwälte.

    4

    Nach der ersten Nachprüfung wurden zahlreiche Unterlagen und E‑Mails erstellt und zwischen den [Rechtsmittelführerinnen] und ihren Anwälten im Hinblick auf ihre Verteidigung ausgetauscht. Nach Angaben der [Rechtsmittelführerinnen] trug jeder Schriftwechsel, um klar ersichtlich zu machen, dass diese Unterlagen und diese E‑Mails unter das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte fielen, grundsätzlich in der Überschrift den Vermerk ‚legally privileged‘ (geschützt durch die Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten) oder befand sich in einem Ordner mit der Bezeichnung ‚Legally privileged‘.

    Zweite Untersuchung und zweite Nachprüfung

    5

    Parallel zur ersten Untersuchung leitete die Kommission die Untersuchung AT.40244 – Bioethanol (vormals AQUAVIT) ein, die mögliche Vereinbarungen oder etwaige aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen betreffend die Koordinierung des Verhaltens der im Bereich der Vermarktung von Bioethanol im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) tätigen Unternehmen, die Markt- und Kundenaufteilung sowie den Informationsaustausch betraf (im Folgenden: zweite Untersuchung).

    6

    Im Rahmen der zweiten Untersuchung erließ die Kommission den [zweiten Nachprüfungsbeschluss].

    7

    Am 16. März 2015 beauftragte die Kommission acht Beamte mit der Durchführung der zweiten Nachprüfung in den Räumlichkeiten der [Rechtsmittelführerinnen]. Von diesen Beamten gehörte nur einer zur Gruppe der Inspektoren, die mit der Durchführung der ersten Nachprüfung beauftragt worden waren. Zudem nahmen zwei Bedienstete der belgischen Wettbewerbsbehörde, die der ersten Nachprüfung beigewohnt hatten, auch an der zweiten teil. Schließlich waren die Rechtsanwälte P. B. und L. B. (im Folgenden zusammen: Rechtsbeistände der [Rechtsmittelführerinnen]) bei der zweiten Nachprüfung anwesend.

    8

    Die zweite Nachprüfung fand an vier Tagen statt, nämlich von Dienstag, dem 24. März, bis Freitag, dem 27. März 2015.

    Erster Tag der zweiten Nachprüfung (24. März 2015)

    9

    Die Rechtsbeistände der [Rechtsmittelführerinnen] richteten gleich am ersten Tag der zweiten Nachprüfung einen grundsätzlichen Antrag an die Kommission, die Vertraulichkeit der nach der ersten Nachprüfung erstellten Verteidigungsunterlagen zu wahren.

    10

    Die Parteien sind sich weder einig über die Mittel und Wege, die von den [Rechtsmittelführerinnen] beantragt und von der Kommission grundsätzlich akzeptiert worden seien, um diese Vertraulichkeit zu gewährleisten, noch über den konkreten Ablauf des ersten Tages dieser Nachprüfung.

    11

    Jedenfalls ist unstreitig, dass die Ermittler der Kommission EDV-Nachforschungen anstellten, um die für die Zwecke der zweiten Untersuchung potenziell interessanten Dokumente zu ermitteln. Sie untersuchten die Server, Festplatten und elektronischen Hilfsmittel einiger der Personen, die eine wichtige Rolle bei den [Rechtsmittelführerinnen] spielen. Vor der individuellen Prüfung der Unterlagen kopierten die Ermittler die herausgesuchten Dokumente auf Computer der Kommission vor Ort und verwendeten dabei die Software für digitale Nachforschungen mit der Bezeichnung ‚Nuix‘, die die Indexierung und die Suche anhand spezifischer Schlüsselwöter ermöglicht.

    Zweiter Tag der zweiten Nachprüfung (25. März 2015)

    12

    Am 25. März 2015 begannen die Ermittler mit der individuellen Untersuchung der auf die Computer der Kommission kopierten Dokumente.

    13

    Am Ende dieses Tages speicherten die Ermittler der Kommission eine Liste von 59 Dokumentenserien, die ‚zum Exportieren‘ bestimmt waren, auf einen USB-Stick.

    14

    Es stellte sich heraus, dass fünf E‑Mails aus den 59 Dokumentenserien in ihrem Betreff oder in der Überschrift den Vermerk ‚legally privileged‘ enthielten.

    15

    Bei Durchsicht der Liste der Dokumente, die ‚zum Exportieren‘ auf den USB-Stick bestimmt waren, widersprachen die Rechtsbeistände der [Rechtsmittelführerinnen] der Beschlagnahme dieser E‑Mails samt ihren Anhängen, was von der Kommission akzeptiert wurde. Diese Unterlagen fanden daher nicht Eingang in die Akte der Kommission.

    Dritter Tag der zweiten Nachprüfung (26. März 2015)

    16

    Am dritten Tag der Nachprüfung teilte die Kommission den [Rechtsmittelführerinnen] mit, dass die Software Nuix, sobald ein einziges Dokument den Vermerk ‚zum Exportieren‘ enthalte, standardmäßig sämtliche damit zusammenhängenden Dokumente, die insgesamt als ‚vollständiger Stammbaum‘ eingestuft würden, und nicht nur das zum Exportieren gekennzeichnete einzelne Element übernehme. Dies erkläre, warum die fünf E‑Mails, die durch die Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten ‚potenziell geschützt‘ seien, wie oben in Rn. 14 beschrieben, in der Liste der ‚zum Exportieren‘ bestimmten Dokumente aufgetaucht seien und den Eindruck erweckten, dass alle Dokumente zum Exportieren gekennzeichnet gewesen seien.

    17

    Im Übrigen sortierten die Ermittler Daten mit dem Vermerk ‚legally privileged‘ aus den auf die Computer der Kommission kopierten und anhand von Schlüsselwörtern durchsuchten Dokumenten heraus. Sie stellten diese direkt in einen separaten elektronischen Ordner im Hinblick auf ihre individuelle Prüfung durch einen Ermittler in Anwesenheit eines Rechtsbeistands der [Rechtsmittelführerinnen]. Auf diese Weise wurden 22000 Dokumente mit dem Vermerk ‚legally privileged‘ aussortiert. Bei dieser individuellen Überprüfung achteten die Rechtsbeistände der [Rechtsmittelführerinnen] darauf, die Lesezeile der Software Nuix auszublenden.

    18

    Dem Nachprüfungsprotokoll zu den Dokumenten, für die Vertraulichkeit geltend gemacht wird, ist zu entnehmen, dass ein Dokument am 26. März 2015 versiegelt wurde. Es handelt sich um eine zwischen L., einer von Rechtsanwalt L. B. gegründeten Gesellschaft, und Alcogroup geschlossene Vereinbarung. Die Kommission wollte prüfen, ob Rechtsanwalt L. B. den Status eines unabhängigen Rechtsanwalts im Sinne der Rechtsprechung der Unionsgerichte habe, und die [Rechtsmittelführerinnen] machten den Umstand geltend, dass diese Vereinbarung selbst durch die Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten geschützt sei.

    Vierter und letzter Tag der zweiten Nachprüfung (27. März 2015)

    19

    Die oben in Rn. 17 beschriebene, von der Kommission als zu mühselig angesehene Methode wurde gegen Ende des Vormittags des vierten Nachprüfungstages aufgegeben.

    20

    Schließlich sei der Kommission erlaubt worden, nach Aussortierung der Dokumente, die aus der Zeit nach dem 7. Oktober 2014, dem Datum des Beginns der ersten Nachprüfung, stammten, einen schnellen Blick auf die Dokumente mit dem Betreff ‚legally privileged‘ zu werfen. Im Rahmen dieser Feinabstimmung sei die Kommission damit einverstanden gewesen, eine bestimmte Anzahl von Dokumenten, nachdem die Rechtsbeistände der [Rechtsmittelführerinnen] Erläuterungen hierzu gemacht hätten, nicht einmal summarisch zu prüfen.

    21

    Obwohl die Dokumente, die den Vermerk ‚legally privileged‘ trugen, von der Liste der zu prüfenden Dokumente gestrichen worden waren, fanden die [Rechtsmittelführerinnen] in der von den Ermittlern am 27. März 2015 erstellten Liste der ‚zum Exportieren‘ bestimmten Dokumente ein Dokument, das sie als durch die Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten geschützt erachteten.

    22

    Nachdem die [Rechtsmittelführerinnen] der Beschlagnahme dieses Dokuments widersprochen hatten, erklärten sich die Ermittler bereit, es von der Liste der ‚zum Exportieren‘ bestimmten Dokumente zu streichen.

    Entwicklungen nach der zweiten Nachprüfung

    23

    Mit Schreiben vom 16. April 2015 gab die Kommission in ihrem versiegelten Umschlag die zwischen der von Rechtsanwalt L. B. gegründeten L. und Alcogroup geschlossene Vereinbarung zurück und erklärte, dass dieses Dokument für die Untersuchung nicht relevant sei.

    24

    Die [Rechtsmittelführerinnen] machten mit einem an die Kommission gerichteten Schreiben vom 21. April 2015 geltend, dass die bei der zweiten Nachprüfung erfolgte Einsichtnahme in eine große Zahl von Dokumenten, die im Hinblick auf ihre Verteidigung im Rahmen der ersten Nachprüfung erstellt worden seien, eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren und des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung sowie der Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und des Vertrauensschutzes darstelle. Diese Verstöße hätten sowohl die erste als auch die zweite Untersuchung fehlerhaft werden lassen, so dass die Kommission ‚die sofortige Aussetzung jeder Untersuchungshandlung oder anderen Handlung, die von Kommissionsdienststellen [ihnen] gegenüber … im Rahmen der Verfahren AT.40244 (AQUAVIT) und AT.40054 (OCTOPUS) gesetzt worden wäre‘ hätte bestätigen müssen.

    25

    Mit ihrem [Schreiben] vom 8. Mai 2015 lehnte die Kommission den Antrag auf Aussetzung aller Untersuchungsmaßnahmen gegenüber den [Rechtsmittelführerinnen] in den beiden betreffenden Verfahren ab … Sie bestritt in diesem Schreiben jegliche Verletzung der Rechte der [Rechtsmittelführerinnen] in jedem einzelnen der beiden Verfahren und argumentierte insbesondere, dass die Kennzeichnung der Dokumente nicht zwangsläufig bedeute, dass deren Inhalt zur Kenntnis genommen worden sei, und dass die Behauptungen der [Rechtsmittelführerinnen], das Untersuchungsteam habe die unter das Berufsgeheimnis fallenden Dokumente bewusst ausgewählt und analysiert, völlig unbegründet seien. Nach Ansicht der Kommission gab es daher keinen Grund, die beiden laufenden Untersuchungen auszusetzen.

    26

    27

    Die zweite Untersuchung, die zur zweiten Nachprüfung geführt hat, wurde am 7. April 2017 abgeschlossen.“

    4

    Der relevante Teil des Schreibens vom 8. Mai 2015 hatte folgenden Inhalt:

    „Was die von der Kommission im Rahmen der Sache AT.40244 – Bioethanol ergriffenen Maßnahmen betrifft, erinnere ich Sie daran, dass Sie in keiner Weise behaupten, dass die Kommission im Besitz von Dokumenten sei, die unter die Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten fallen. Ihre Vorwürfe beschränken sich auf die Tatsache, dass die Inspektoren unter den Schutz der Vertraulichkeit fallende Dokumente ‚etikettiert‘ hätten (‚tagged‘) und gelesen haben könnten.

    Doch während der Durchsuchung haben meine Teams Ihnen sowie Ihrem Mandanten und einem von Ihnen herangezogenen Dritten (Herrn Coene) die Vorgehensweise der Inspektoren der Kommission bei der Sammlung von Informationen sowie die Funktionsweise der von der Kommission eingesetzten Suchsoftware erklärt. So ist Ihnen erklärt worden, dass die Kennzeichnung eines Dokuments (wie z. B. eines Anhangs) nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Inspektoren alle Dokumente im Zusammenhang mit diesem Dokument (wie etwa eine E‑Mail mit zahlreichen Anhängen, die möglicherweise unter das Berufsgeheimnis fallen …) gelesen haben. Infolgedessen sind Ihre Behauptungen, das Untersuchungsteam habe bewusst unter das Berufsgeheimnis fallende Dokumente ausgewählt und analysiert, völlig unbegründet.“

    III. Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

    5

    Mit ihrer Klage vor dem Gericht hatten die Rechtsmittelführerinnen beantragt, den zweiten Nachprüfungsbeschluss und das Schreiben vom 8. Mai 2015 für nichtig zu erklären. Sie hatten diese Klage auf einen einzigen, aus zwei Teilen bestehenden Klagegrund gestützt.

    6

    Der erste Teil betraf einen Verstoß gegen das Recht der Rechtsmittelführerinnen auf ein faires Verfahren, das durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie durch Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) geschützt sei, und insbesondere eine Verletzung der Verteidigungsrechte, der Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Verhältnismäßigkeit sowie der Pflicht zur unparteiischen Untersuchung.

    7

    Mit dem zweiten Teil wurde eine Verletzung des in Art. 7 der Charta und in Art. 8 EMRK verankerten Rechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung gerügt.

    8

    Das Gericht hat diese Klage für unzulässig erachtet.

    9

    Zunächst hat das Gericht in den Rn. 57 bis 65 des angefochtenen Urteils die beiden Argumente der Rechtsmittelführerinnen, die der Feststellung der Zulässigkeit der Klage in Bezug auf den zweiten Nachprüfungsbeschluss dienen sollten, zurückgewiesen.

    10

    Hierzu hat das Gericht zum einen in den Rn. 61 bis 63 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts anhand der Rechts- und Sachlage zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen sei und daher im vorliegenden Fall die gegen den Ablauf der mit dem zweiten Nachprüfungsbeschluss angeordneten Nachprüfung erhobenen Rügen für den Antrag auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses unerheblich seien, was auch durch das Urteil vom 18. Juni 2015, Deutsche Bahn u. a./Kommission (C‑583/13 P, EU:C:2015:404), bestätigt werde. Aus diesem Urteil ergebe sich nämlich, dass der nicht ordnungsgemäße Ablauf einer Nachprüfung die Gültigkeit nur der späteren Nachprüfungsbeschlüsse in Frage stellen könne, die auf der Grundlage von Informationen erlassen worden seien, die bei der vorangegangenen Nachprüfung unrechtmäßig gesammelt worden seien.

    11

    Zum anderen hat das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zurückgewiesen, das sich auf die Beanstandung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses richtet, da dieser keine Vorsichtsmaßnahmen vorgesehen habe, um zu verhindern, dass die Kommission vom Inhalt der Unterlagen Kenntnis erlange, die sie erstellt hätten, um ihre Verteidigung im Rahmen der ersten Untersuchung sicherzustellen (im Folgenden: Vorsichtsmaßnahmen). Solche Maßnahmen seien aber wegen des Risikos erforderlich gewesen, dass die Ermittler im Rahmen der zweiten Nachprüfung die mit der ersten Untersuchung zusammenhängenden Verteidigungsunterlagen, deren Gegenstand eng mit dem Gegenstand der zweiten Untersuchung verbunden sei, finden könnten. Hierzu hat das Gericht in Rn. 64 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die von den Rechtsmittelführerinnen behaupteten Verletzungen der Verteidigungsrechte nicht unmittelbar auf dem Fehlen von Vorsichtsmaßnahmen, sondern auf dem Ablauf der Nachprüfung beruhten, der für den Antrag auf Nichtigerklärung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses unerheblich sei. Jedenfalls seien der Kommission bei jeder Nachprüfung Grenzen gesetzt, so dass die Beachtung der von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Rechte auf jeden Fall sichergestellt werden müsse, ohne dass zu diesem Zweck Vorsichtsmaßnahmen erlassen zu werden brauchten. Zudem hätten die Rechtsmittelführerinnen keine konkrete Vorschrift genannt, aus der sich die Rechtspflicht der Kommission ergebe, in einen Nachprüfungsbeschluss spezifische Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz von sich auf eine andere Untersuchung beziehenden Dokumenten aufzunehmen, die unter die Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten fielen. Daraus hat das Gericht in Rn. 65 des angefochtenen Urteils den Schluss gezogen, dass der zweite Nachprüfungsbeschluss nicht die Rechtswirkungen erzeugt habe, die die Rechtsmittelführerinnen im Rahmen ihrer Klage vorgetragen hätten, so dass der ihn betreffende Antrag unzulässig sei.

    12

    In einem zweiten Schritt hat das Gericht die Zulässigkeit der Klage geprüft, soweit sie auf die Nichtigerklärung des Schreibens vom 8. Mai 2015 gerichtet war.

    13

    Zu diesem Zweck hat das Gericht zunächst in den Rn. 79 bis 82 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertreten, dass dieses Schreiben als eine Weigerung anzusehen sei, die Untersuchungsmaßnahmen gegenüber den Rechtsmittelführerinnen endgültig zu unterbrechen, und dass dieses Schreiben als solches die Natur einer vorbereitenden Handlung gehabt habe. Unter Berufung u. a. auf das Urteil vom11. November 1981, IBM/Kommission (60/81, EU:C:1981:264), hat das Gericht die Klage daher für unzulässig erklärt, soweit sie die Weigerung in eben diesem Schreiben betraf, die laufenden Untersuchungen auszusetzen.

    14

    Sodann hat das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, das Schreiben vom 8. Mai 2015 sei eine anfechtbare Handlung, weil es sich um einen förmlichen Beschluss handle, mit dem das spezielle gesonderte Verfahren zum Schutz von Dokumenten, die unter die Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten fielen, beendet werde und folglich ihre Rechtsstellung sofort und unwiderruflich beeinträchtigt werde, zurückgewiesen. Hierzu hat das Gericht in den Rn. 87 bis 89 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass dieses Schreiben keinen solchen förmlichen, auch nur stillschweigenden Beschluss über die Ablehnung eines Antrags auf Schutz der Vertraulichkeit darstelle, da sich die Kommission in diesem Schreiben nicht dazu geäußert habe, ob die betreffenden Dokumente unter das Berufsgeheimnis fielen. Das Schreiben vom 8. Mai 2015 habe den Rechtsmittelführerinnen allenfalls bestätigt, dass die Unterlagen von der Kommission nicht gelesen worden seien und dass es daher keinen Verstoß gegen das Unionsrecht gegeben habe. Das Gericht hat im Übrigen darauf hingewiesen, dass die Kommission diese Unterlagen nicht materiell beschlagnahmt und sie nicht in ihre Akte aufgenommen habe, mit Ausnahme eines einzigen Dokuments, das, auch wenn es tatsächlich beschlagnahmt und versiegelt worden sei, den Rechtsmittelführerinnen später zurückgegeben worden sei.

    15

    Schließlich hat das Gericht in den Rn. 91 und 92 des angefochtenen Urteils zum einen darauf hingewiesen, dass die gerichtliche Überprüfung der Bedingungen, unter denen eine Nachprüfung durchgeführt worden sei, grundsätzlich mit einer Nichtigkeitsklage beantragt werde, die gegebenenfalls gegen den von der Kommission gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV erlassenen endgültigen Beschluss erhoben werde. Dies gewährleiste im Übrigen, dass ein effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gegen die Nachprüfungsmaßnahmen der Wettbewerbsbehörden, wie er vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verlangt werde, gegeben sei. Zum anderen hätten die Rechtsmittelführerinnen in einem Fall wie dem hier vorliegenden in Anbetracht des Abschlusses der zweiten Untersuchung und unbeschadet der Möglichkeit, gegebenenfalls eine Klage auf Nichtigerklärung eines etwaigen im Rahmen der ersten Untersuchung erlassenen endgültigen Beschlusses zu erheben, eine Klage wegen außervertraglicher Haftung erheben müssen, wenn sie der Ansicht gewesen seien, dass die Handlungen, mit denen die Kommission von unter die Vertraulichkeit fallenden Dokumenten Kenntnis erlangt habe, rechtswidrig seien und ihnen dadurch ein Schaden entstanden sei, der die Haftung der Union auslösen könne. Diese Möglichkeit hätte auch dann bestanden, wenn die Nachprüfung nicht zu einem endgültigen Beschluss geführt hätte, gegen den eine Nichtigkeitsklage hätte erhoben werden können. Eine solche Schadensersatzklage habe mit dem System der Überprüfung der Gültigkeit von Unionsrechtsakten mit verbindlichen Rechtswirkungen, die geeignet seien, die Interessen des Klägers zu beeinträchtigen, nichts zu tun, könne aber erhoben werden, wenn eine Partei durch ein rechtswidriges Verhalten eines Organs einen Schaden erlitten habe.

    IV. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge

    16

    Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführerinnen, das angefochtene Urteil aufzuheben, ihre Nichtigkeitsklage für zulässig zu erklären, die Rechtssache zur Entscheidung in der Sache an das Gericht zurückzuverweisen und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

    17

    Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen.

    18

    Gemäß Art. 62 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs sind die Parteien am 21. Januar 2019 aufgefordert worden, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob die Rechtsmittelführerinnen noch ein Rechtsschutzinteresse im Rahmen eines Rechtsmittels haben. Insbesondere wurde ihnen aufgegeben, auf die Frage zu antworten, welche Vorteile die Rechtsmittelführerinnen in Anbetracht der von der Kommission am 7. April 2017 beschlossenen Beendigung der zweiten Untersuchung aus der etwaigen Aufhebung des angefochtenen Urteils ziehen könnten.

    19

    Die Parteien haben diese Frage mit Schriftsätzen beantwortet, die am 20. Februar 2019 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen sind.

    V. Zum Rechtsmittel

    A. Zulässigkeit

    1.   Vorbringen der Parteien

    20

    Als Antwort auf die den Parteien vom Gerichtshof gestellte Frage machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, dass die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Nichtigerklärung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses und des Schreibens vom 8. Mai 2015, die darauf folgen könnte, zur Einstellung jeglicher Verfolgungshandlung in der ersten Untersuchung führen könne, den Erlass von Untersuchungs- oder Nachprüfungsmaßnahmen der Kommission sowohl in der ersten als auch in der zweiten Untersuchung rechtswidrig machen würde und es ihnen ermöglichte, den Ersatz des entstandenen Schadens zu verlangen.

    21

    Zum einen mache nämlich die Verletzung der Verteidigungsrechte aufgrund der Tatsache, dass die Kommission in die Dokumente betreffend die erste Untersuchung Einsicht genommen habe, was ermöglicht worden sei, weil im zweiten Nachprüfungsbeschluss keine Vorsichtsmaßnahmen vorgesehen worden seien, die Planung der Verteidigung der Rechtsmittelführerinnen in der ersten Untersuchung faktisch unmöglich. Außerdem müsse die Feststellung der Rechtswidrigkeit und die Nichtigerklärung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses, soweit er ermöglicht habe, dass die Kommission Kenntnis vom Inhalt dieser Dokumente erlangt habe, zur Nichtigerklärung des Schreibens vom 8. Mai 2015 führen, da die Kommission das erste Untersuchungsverfahren, das nicht mehr unparteiisch weitergeführt werden könne, endgültig hätte beenden müssen. Indem sich die Kommission im Übrigen im Schreiben vom 8. Mai 2015 geweigert habe, die Vertraulichkeit der im Rahmen der ersten Untersuchung erstellten Verteidigungsunterlagen anzuerkennen, habe sie den Rechtsmittelführerinnen das Recht genommen, sich im Rahmen dieser Untersuchung umfassend zu verteidigen. Zum anderen hinderte der administrative Abschluss der zweiten Untersuchung nicht an deren etwaigen Wiederaufnahme.

    22

    Die Kommission ist dagegen der Ansicht, dass das Rechtsmittel aufgrund des administrativen Abschlusses der zweiten Untersuchung gegenstandslos geworden sei, da es sich auf den diese Untersuchung betreffenden Teil des angefochtenen Urteils beziehe.

    23

    Insbesondere hätten die Rechtsmittelführerinnen durch diesen Abschluss das von ihnen mit ihrer Klage angestrebte Ergebnis erreicht, soweit diese auf die Nichtigerklärung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses sowie des Schreibens vom 8. Mai 2015 gerichtet gewesen sei, zumindest was die Weigerung der Kommission betreffe, die zweite Untersuchung zu unterbrechen. Obwohl diese Untersuchung nämlich nur einen administrativen Abschluss gefunden habe, sei dieser Abschluss, da kein förmliches Verfahren eröffnet worden sei, praktisch endgültig. In diesem Zusammenhang gebe es keine Möglichkeit, die Untersuchung wieder aufzunehmen, es sei denn, ihr würden neue wichtige Entwicklungen zugetragen. Im Übrigen unterliege eine solche Wiederaufnahme bestimmten Voraussetzungen, insbesondere im Bereich der Begründung, und sie hätte wahrscheinlich eine neue Untersuchung zur Folge, in deren Rahmen die Kommission die bei der abgeschlossenen zweiten Untersuchung geprüften Dokumente nicht verwenden dürfte.

    2.   Würdigung durch den Gerichtshof

    24

    Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss das Rechtsschutzinteresse eines Rechtsmittelführers im Hinblick auf den Rechtsmittelgegenstand bei Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein. Andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig. Ebenso wie das Rechtsschutzinteresse muss auch der Streitgegenstand bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen – andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt –, was voraussetzt, dass das Rechtsmittel der Partei, die es eingelegt hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (Urteil vom 6. September 2018, Bank Mellat/Rat, C‑430/16 P, EU:C:2018:668, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    25

    Im vorliegenden Fall ist, wie die Kommission selbst einräumt, der im Lauf des Verfahrens vor dem Gericht erfolgte administrative Abschluss der zweiten Untersuchung nicht endgültig, da diese Untersuchung dann wieder aufgenommen werden kann, wenn der Kommission neue wichtige Entwicklungen zugetragen würden.

    26

    Die bloße rechtliche Möglichkeit einer Wiederaufnahme dieser Untersuchung genügt aber für den Nachweis des Rechtsschutzinteresses der Rechtsmittelführerinnen. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die etwaige Nichtigerklärung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses sowie des Schreibens vom 8. Mai 2015, die darauf folgen könnte, hätten wenigstens zur Konsequenz, dass den von der Kommission im Rahmen der zweiten Untersuchung gesetzten vermeintlich rechtswidrigen Untersuchungshandlungen die Rechtsgrundlage entzogen und die Kommission gegebenenfalls verpflichtet würde, eine neue Untersuchung einzuleiten, im Rahmen derer sie die bei der vorangegangenen Untersuchung eingesehenen angeblich vertraulichen Dokumente nicht verwenden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Oktober 2002, Roquette Frères, C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 49, und vom 18. Juni 2015, Deutsche Bahn u. a./Kommission, C‑583/13 P, EU:C:2015:404, Rn. 45).

    27

    Folglich behalten die Rechtsmittelführerinnen ein Rechtsschutzinteresse in Bezug auf das angefochtene Urteil, und ihr Rechtsmittel ist zulässig.

    B. Begründetheit

    1.   Zum ersten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler und Verletzung der Begründungspflicht

    28

    Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund rügen die Rechtsmittelführerinnen eine Reihe von Rechtsfehlern sowie eine Verletzung der Begründungspflicht durch das Gericht bei der Beurteilung der Zulässigkeit der bei ihm anhängigen Klage. Dieser Rechtsmittelgrund besteht aus zwei Teilen.

    a)   Zum ersten Teil, der die Beurteilung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses durch das Gericht betrifft

    1) Vorbringen der Parteien

    29

    Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, den die Rechtsmittelführerinnen auf vier Argumente stützen, betrifft die vom Gericht vorgenommene Beurteilung der Zulässigkeit der Klage, soweit diese auf die Nichtigerklärung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses gerichtet war.

    30

    Im Rahmen des ersten Arguments gehen die Rechtsmittelführerinnen von der Prämisse aus, dass die Inspektoren, wäre der zweite Nachprüfungsbeschluss angemessen begründet worden, d. h., hätte er Vorsichtsmaßnahmen vorgesehen, nicht die Auffassung vertreten hätten, er ermögliche ihnen, die von den Rechtsmittelführerinnen als vertraulich angesehenen Dokumente einzusehen.

    31

    In diesem Zusammenhang habe das Gericht erstens die ihm obliegende Begründungspflicht verletzt, da es nicht auf das Vorbringen eingegangen sei, dass das Versäumnis, im zweiten Nachprüfungsbeschluss Vorsichtsmaßnahmen vorzusehen, auch einen Verstoß gegen die Begründungspflicht, gegen Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003, gegen Art. 47 der Charta und gegen Art. 6 EMRK darstelle. Zweitens habe es in Rn. 64 des angefochtenen Urteils den Antrag der Rechtsmittelführerinnen verfälscht, indem es angenommen habe, dass sie keine konkrete Vorschrift angeführt hätten, aus der sich die behauptete Verpflichtung ergebe, in den zweiten Nachprüfungsbeschluss Vorsichtsmaßnahmen aufzunehmen, obwohl sie eben diese Bestimmungen zu diesem Zweck angeführt hätten. Drittens sei das Gericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Rechtsmittelführerinnen ein erstes Argument geltend gemacht hätten, wonach der rechtswidrige Ablauf einer Nachprüfung geeignet sei, die Gültigkeit des Beschlusses, auf dessen Grundlage diese Nachprüfung durchgeführt worden sei, in Frage zu stellen. In Wirklichkeit hätten sie im Sinne des Urteils vom 18. Juni 2015, Deutsche Bahn u. a./Kommission (C‑583/13 P, EU:C:2015:404), auf die Art und Weise der Durchführung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses nur vorsorglich Bezug genommen und um Aufschluss über die Rechtmäßigkeit des Beschlusses selbst zu geben.

    32

    Mit ihrem zweiten Argument machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, das Gericht habe, indem es in Rn. 64 des angefochtenen Urteils ausgeführt habe, dass die angeblichen Verletzungen der Verteidigungsrechte nicht unmittelbar auf dem Fehlen von Vorsichtsmaßnahmen, sondern auf dem Ablauf der Nachprüfung beruhten und dass der Kommission bei jeder Nachprüfung jedenfalls Grenzen gesetzt seien, die Klage im Rahmen der Prüfung ihrer Zulässigkeit zu Unrecht auf ihre Begründetheit hin beurteilt.

    33

    Mit ihrem dritten Argument bringen die Rechtsmittelführerinnen vor, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 62, 64 und 65 des angefochtenen Urteils festgestellt habe, dass der Begründungsmangel, der darin bestehe, dass der zweite Nachprüfungsbeschluss keine Vorsichtsmaßnahmen enthalte, für den Antrag auf Nichtigerklärung unerheblich sei, dass die behaupteten Verstöße nicht unmittelbar auf dieses Fehlen von Vorsichtsmaßnahmen zurückgingen und dass der zweite Nachprüfungsbeschluss nicht die von ihnen angeführten Rechtswirkungen entfaltet habe.

    34

    In Wirklichkeit seien die erste und die zweite Nachprüfung durch ihren Gegenstand eng miteinander verknüpft, so dass die Kommission beim Erlass des zweiten Nachprüfungsbeschlusses mit einer objektiv erhöhten Gefahr der Verletzung der Verteidigungsrechte bei der Durchführung der Nachprüfung konfrontiert gewesen sei. Unter diesen Umständen hätte die Kommission diese Gefahr insbesondere durch die Einleitung von Vorsichtsmaßnahmen berücksichtigen müssen, um die den Inspektoren übertragenen Befugnisse klar abzustecken. Folglich habe das Fehlen solcher Maßnahmen die behaupteten Unregelmäßigkeiten, die sich die Inspektoren hätten zuschulden kommen lassen, verursacht.

    35

    Außerdem werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, seine Begründungspflicht verletzt zu haben, weil es zum einen keinen Grund angeführt habe, der das Fehlen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen dem Begründungsmangel und der Verletzung der Verteidigungsrechte hätte rechtfertigen können, und zum anderen nicht auf ihr Vorbringen eingegangen sei, dass zwischen den Gegenständen der beiden Nachprüfungen eine Verbindung bestehe, die es gerechtfertigt hätte, dass die Kommission eine konkrete Begründung hätte liefern müssen.

    36

    Im Rahmen des vierten Arguments tragen die Rechtsmittelführerinnen vor, das Gericht habe in Rn. 64 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen, als es festgestellt habe, dass die Beachtung der Verteidigungsrechte in jedem Fall durch die der Kommission bei jeder Nachprüfung gesetzten Grenzen sichergestellt worden sei. In Wahrheit entbinde das Bestehen dieser Grenzen die Kommission nicht davon, ihre Beschlüsse zu begründen. Indem das Gericht auf diese Grenzen lediglich abstrakt Bezug genommen habe, habe es zu Unrecht nicht geprüft, ob die Kommission die Verteidigungsrechte beachtet habe.

    37

    Die Kommission tritt dieser Argumentation entgegen.

    2) Würdigung durch den Gerichtshof

    38

    Mit dem ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes und den vier Argumenten, auf die sie ihn stützen und die zusammen zu prüfen sind, bringen die Rechtsmittelführerinnen im Wesentlichen vor, das Gericht habe mehrere Rechtsfehler begangen und seine Begründungspflicht sowie die Verteidigungsrechte verletzt, als es den Klagegrund einer mangelhaften Begründung des zweiten Nachprüfungsbeschlusses, da er Vorsichtsmaßnahmen hätte enthalten müssen, als unzulässig angesehen habe.

    39

    Insbesondere habe es das Gericht zunächst versäumt, auf den Klagegrund der Rechtsmittelführerinnen einzugehen, mit dem ein Begründungsmangel des zweiten Nachprüfungsbeschlusses gerügt worden sei, da dieser keine Vorsichtsmaßnahmen vorgesehen habe.

    40

    Hierzu ist festzustellen, dass dieses Vorbringen auf einer Verwechslung zwischen der Prüfung, die das Gericht im ersten Rechtszug im Rahmen der Beurteilung der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage vorzunehmen hat, und der inhaltlichen Prüfung dieser Klage beruht.

    41

    Das Gericht hat seine Prüfung der Klage nämlich auf das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen beschränkt, mit dem die Zulässigkeit der Klage dargetan werden sollte. Im Rahmen dieser Prüfung hat das Gericht insbesondere geprüft, ob die Argumente, auf die sich diese Klage stützte, geeignet waren, die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Rechtsakte in Frage zu stellen.

    42

    Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen hat das Gericht somit zu Recht davon abgesehen, die Stichhaltigkeit der Argumente zu prüfen, denen zufolge das Fehlen von Vorsichtsmaßnahmen im zweiten Nachprüfungsbeschluss einen Verstoß gegen die Verpflichtung aus Art. 20 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1/2003, gegen Art. 47 der Charta und gegen Art. 6 EMRK darstelle.

    43

    Sodann geht das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, das Gericht habe zu Unrecht die Klage in der Sache geprüft, weil es in Rn. 64 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertreten habe, dass die behaupteten Verletzungen der Verteidigungsrechte nicht unmittelbar auf dem Fehlen von Vorsichtsmaßnahmen, sondern auf dem Ablauf der Nachprüfung beruhten, auf ein Fehlverständnis dieser Randnummer zurück.

    44

    In dieser Randnummer hat das Gericht nämlich nicht die Begründetheit der Argumente, die dem Nachweis solcher Verstöße dienen sollten, geprüft, sondern sich im Rahmen seiner Beurteilung der Zulässigkeit der Klage auf den Standpunkt beschränkt, dass jedenfalls kein Kausalzusammenhang zwischen diesen Verstößen – ihr Vorliegen unterstellt – und der Rechtmäßigkeit des zweiten Nachprüfungsbeschlusses bestehe.

    45

    Wie aber das Gericht in Rn. 61 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt hat, ist die Rechtmäßigkeit eines Rechtsakts der Union anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen (Urteil vom 11. Mai 2017, Schweden/Kommission, C‑562/14 P, EU:C:2017:356, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung), so dass Handlungen nach seinem Erlass seine Gültigkeit nicht beeinflussen können (Urteile vom 8. November 1983, IAZ International Belgium u. a./Kommission, 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, EU:C:1983:310, Rn. 16, sowie vom 17. Oktober 1989, Dow Benelux/Kommission, 85/87, EU:C:1989:379, Rn. 49, und Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. September 2004, Kommission/Akzo und Akcros, C‑7/04 P[R], EU:C:2004:566, Rn. 46).

    46

    Da die Inspektoren der Kommission die im vorliegenden Fall behaupteten Verstöße möglicherweise erst im Rahmen der zweiten Nachprüfung und somit nach dem Erlass des zweiten Nachprüfungsbeschlusses hätten begehen können, hätten sie folglich keinesfalls die Rechtmäßigkeit des zweiten Nachprüfungsbeschlusses beeinträchtigen können.

    47

    Außerdem gehen die Rechtsmittelführerinnen davon aus, dass im vorliegenden Fall Vorsichtsmaßnahmen im Hinblick auf die erhöhte Gefahr hätten getroffen werden müssen, dass die Inspektoren bei der zweiten Nachprüfung Kenntnis von vertraulichen Unterlagen betreffend die erste Nachprüfung erlangen würden, weil die Untersuchungen, in deren Rahmen diese Nachprüfungen durchgeführt worden seien, ähnliche Gegenstände hätten.

    48

    Dieses Argument beruht im Wesentlichen auf der Prämisse, dass ein zweiter Nachprüfungsbeschluss besondere Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf den Schutz der Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten im Hinblick auf den Ablauf der Nachprüfung vorsehen müsse, wenn dieser eine erste Nachprüfung vorausgegangen sei und diese beiden Nachprüfungen im Rahmen von Untersuchungen mit ähnlichen Gegenständen durchgeführt würden. Unter diesen Umständen stellten nämlich nur solche Vorsichtsmaßnahmen sicher, dass die Inspektoren der Kommission nicht der Ansicht seien, dass dieser Beschluss ihnen die Einsicht in Dokumente erlaube, die dem Schutz der Vertraulichkeit zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten unterlägen.

    49

    Diese Prämisse ist jedoch offensichtlich falsch.

    50

    Das Recht auf Schutz der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten gehört nämlich zu den Verteidigungsrechten, die schon im Stadium der Voruntersuchung zu beachten sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Mai 1982, AM & S Europe/Kommission, 155/79, EU:C:1982:157, Rn. 18 bis 23, vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission, 46/87 und 227/88, EU:C:1989:337, Rn. 16, sowie vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission u. a., C‑550/07 P, EU:C:2010:512, Rn. 40 und 41). Folglich ist dieses Recht von der Kommission und ihren Inspektoren grundsätzlich unabhängig vom Umfang des ihnen durch den Nachprüfungsbeschluss erteilten Auftrags zu beachten.

    51

    Somit hätten die Inspektoren entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen aus der Tatsache, dass der zweite Nachprüfungsbeschluss keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen in Bezug auf die nach der ersten Nachprüfung erstellten, vermeintlich vertraulichen Dokumente enthielt, jedenfalls nicht den Schluss ziehen dürfen, dass sie ermächtigt seien, die Vertraulichkeit dieser Dokumente zu missachten.

    52

    Schließlich genügt zu den Argumenten, die sich gegen die Erwägungen in Rn. 64 des angefochtenen Urteils richten, wonach jedenfalls zum einen der Kommission bei jeder Nachprüfung Grenzen gesetzt seien, so dass die Beachtung der von den Rechtsmittelführerinnen geltend gemachten Rechte auf jeden Fall sichergestellt sein müsse, und zum anderen die Rechtsmittelführerinnen keine konkrete Vorschrift genannt hätten, nach der die Kommission rechtlich verpflichtet gewesen wäre, in den zweiten Nachprüfungsbeschluss konkrete Vorsichtsmaßnahmen aufzunehmen, die Feststellung, dass diese Erwägungen nicht tragenden Charakter haben und diese Argumente daher, selbst wenn sie begründet wären, nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen könnten und somit als ins Leere gehend zurückzuweisen sind.

    53

    Nach ständiger Rechtsprechung bleiben nämlich, wenn einer der vom Gericht genannten Gründe den Tenor des Urteils trägt, mögliche Fehler einer in dem betreffenden Urteil ebenfalls angeführten weiteren Begründung für diesen Tenor jedenfalls ohne Wirkung, so dass der Rechtsmittelgrund, mit dem sie geltend gemacht werden, nicht durchgreift und damit zurückzuweisen ist (vgl. u. a. Urteile vom 29. April 2004, Kommission/CAS Succhi di Frutta, C‑496/99 P, EU:C:2004:236, Rn. 68, und vom 15. Mai 2019, CJ/ECDC, C‑170/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:410, Rn. 56).

    54

    Nach alledem hat das Gericht zu Recht ausgeschlossen, dass das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen geeignet ist, die Rechtmäßigkeit des zweiten Nachprüfungsbeschlusses in Frage zu stellen, und in Rn. 65 des angefochtenen Urteils die Klage zu Recht insoweit als unzulässig angesehen, als sie auf die Nichtigerklärung dieses Beschlusses gerichtet war.

    55

    Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist somit zurückzuweisen.

    b)   Zum zweiten Teil, der die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage durch das Gericht betrifft, soweit diese auf die Nichtigerklärung des Schreibens vom 8. Mai 2015 gerichtet war

    1) Vorbringen der Parteien

    56

    Der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, der sich auf zwei Argumente stützt, betrifft die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage durch das Gericht, soweit diese auf die Nichtigerklärung des Schreibens vom 8. Mai 2015 gerichtet war.

    57

    Mit ihrem ersten Argument werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, den Wortlaut dieses Schreibens verfälscht zu haben. Während nämlich dieses Schreiben nach Rn. 80 des angefochtenen Urteils nur eine vorbereitende Handlung für den Erlass des endgültigen Beschlusses der Kommission sei, mit dem die Untersuchung abgeschlossen werde, enthalte es in Wirklichkeit die endgültige Stellungnahme der Kommission zur Nichtvertraulichkeit der fraglichen Dokumente. Dieses Schreiben stelle daher einen Beschluss dar, der gegenüber den Rechtsmittelführerinnen verbindliche Rechtswirkungen erzeuge. Außerdem habe das Gericht in Rn. 87 des angefochtenen Urteils die Tatsachen verfälscht, als es davon ausgegangen sei, dass sich die Kommission in diesem Schreiben „nicht dazu geäußert [habe], ob die betreffenden Dokumente unter das Berufsgeheimnis [fielen], und [dass] das Schreiben vom 8. Mai 2015 den [Rechtsmittelführerinnen] allenfalls bestätig[e], dass die Dokumente von der Kommission nicht gelesen [worden seien]“. In Wirklichkeit gehe aus diesem Schreiben klar hervor, dass die Kommission nicht bestreite, dass sie in die gekennzeichneten Aktenstücke Einsicht genommen habe.

    58

    Im Übrigen habe das Schreiben vom 8. Mai 2015 den Rechtsmittelführerinnen einen nicht wiedergutzumachenden Schaden verursacht. Zum einen habe nämlich der Umstand, dass die Kommission vom Inhalt der betreffenden Dokumente Kenntnis erlangt habe, sicherlich in gewisser Weise die erste Untersuchung beeinflussen können, und zum anderen hätte nur die Unterbrechung dieser Untersuchung die Ausweitung dieses Schadens verhindern können, da in dem ganz besonderen Kontext des vorliegenden Falles gerade die Verletzung der Verteidigungsrechte im Lauf der zweiten Nachprüfung geeignet gewesen wäre, die Möglichkeit der wirksamen Verteidigung, die den Rechtsmittelführerinnen zur Verfügung stehen müsse, zu vereiteln.

    59

    Mit ihrem zweiten Argument machen die Rechtsmittelführerinnen geltend, das Gericht habe in den Rn. 86 bis 89 des angefochtenen Urteils zu Unrecht zwischen der vorliegenden Situation und derjenigen unterschieden, zu der das Urteil vom 17. September 2007, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission (T‑125/03 und T‑253/03, EU:T:2007:287), ergangen sei, und sei zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass die Kommission, da die mutmaßlich vertraulichen Unterlagen nicht tatsächlich beschlagnahmt worden seien und nicht in die Akte aufgenommen worden seien, keinen stillschweigenden Beschluss über die Ablehnung des Antrags auf Schutz der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten erlassen habe.

    60

    In Wirklichkeit sei bereits die Unterscheidung, die auf der Beschlagnahme oder dem Fehlen einer Beschlagnahme von Dokumenten beruhe, künstlich und würde es der Kommission ermöglichen, durch Vermeidung des Kopierens von Verteidigungsunterlagen, die ihre Inspektoren jedoch eingesehen hätten, zu verhindern, dass ihr Beschluss angefochten werden könne. Sodann habe das Gericht in Rn. 87 des angefochtenen Urteils die Tatsachen verfälscht, als es festgestellt habe, dass das Schreiben vom 8. Mai 2015 bestätige, dass die Verteidigungsunterlagen der Rechtsmittelführerinnen nicht von diesen Inspektoren gelesen worden seien. In ihrer Verteidigung vor dem Gericht habe die Kommission jedoch eingeräumt, dass Verteidigungsunterlagen der Rechtsmittelführerinnen, die sie für nicht durch das Berufsgeheimnis geschützt gehalten habe, von ihren Inspektoren hätten gelesen werden können, und sie habe die Auffassung vertreten, dass Letztere eine summarische Prüfung von Dokumenten, die möglicherweise geschützt seien, hätten vornehmen dürfen. Schließlich sei dieses Schreiben ein stillschweigender Beschluss, mit dem ein spezielles gesondertes, den Schutz der Verteidigungsrechte betreffendes Verfahren beendet werde. Insoweit sei die Frage irrelevant, ob die Kommission die Unterlagen auch kopiert und/oder in ihre Akte aufgenommen habe. Im vorliegenden Fall habe der stillschweigende Beschluss der Kommission jedenfalls konkrete Formen angenommen, als Verteidigungsdokumente in den Suchbestand einbezogen, eingesehen und teilweise als für die Untersuchung relevant ausgewählt worden seien, auch wenn diese anschließend von der Liste der zum Exportieren bestimmten Dokumente gestrichen worden seien.

    61

    Die Kommission tritt dieser Argumentation entgegen.

    2) Würdigung durch den Gerichtshof

    62

    Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes machen die Rechtsmittelführerinnen im Wesentlichen eine Verfälschung des Schreibens vom 8. Mai 2015 sowie einen Rechtsfehler geltend, indem das Gericht dieses Schreiben zu Unrecht als vorbereitende Handlung und nicht als einen endgültigen Beschluss der Kommission eingestuft habe, mit dem ein Antrag auf Schutz der Vertraulichkeit des Schriftwechsels zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten abgelehnt worden sei.

    63

    Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof, wenn das Gericht die Tatsachen festgestellt oder gewürdigt hat, gemäß Art. 256 AEUV lediglich zur Kontrolle ihrer rechtlichen Qualifizierung und der daraus gezogenen rechtlichen Konsequenzen befugt. Die Würdigung der Tatsachen ist, sofern die dem Gericht vorgelegten Beweise nicht verfälscht werden, daher keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegt (vgl. u. a. Urteil vom 20. September 2018, Spanien/Kommission, C‑114/17 P, EU:C:2018:753, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    64

    Eine solche Verfälschung kann zwar in der Auslegung eines Dokuments entgegen seinem Inhalt bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2013, Frankreich/Kommission, C‑601/11 P, EU:C:2013:465, Rn. 106), muss aber offensichtlich aus der Akte hervorgehen und setzt voraus, dass das Gericht die Grenzen einer vernünftigen Beurteilung dieser Beweise offensichtlich überschritten hat. Insoweit genügt es nicht, darzutun, dass ein Dokument anders ausgelegt werden könnte als durch das Gericht (Urteil vom 29. Oktober 2015, Kommission/ANKO, C‑78/14 P, EU:C:2015:732, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    65

    Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Schreiben vom 8. Mai 2015, dass die Kommission davon ausging, dass „die Kennzeichnung eines Dokuments (z. B. eines Anhangs) nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Inspektoren alle Dokumente in Zusammenhang mit diesem Dokument gelesen hätten“, darunter Dokumente, „die möglicherweise unter das Berufsgeheimnis fallen“. Obwohl die Kommission nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat, dass ihre Inspektoren mutmaßlich vertrauliche Dokumente hätten lesen können, hat sie jedoch somit entgegen den Behauptungen der Rechtsmittelführerinnen nicht eingeräumt, dass diese sie tatsächlich, wenn auch nur flüchtig, gelesen hätten. Dagegen hat die Kommission ausdrücklich ausgeschlossen, dass die Kennzeichnung eines Dokuments zwangsläufig bedeute, dass es gelesen worden sei.

    66

    Daher ist festzustellen, dass das Gericht, als es in Rn. 87 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis kam, dass „sich die Kommission in dem Schreiben vom 8. Mai 2015 nicht dazu geäußert [habe], ob die betreffenden Dokumente unter das Berufsgeheimnis [fielen]“, und dass dieses Schreiben allenfalls „den [Rechtsmittelführerinnen] bestätig[e], dass die Dokumente von der Kommission nicht gelesen [worden seien]“, dieses Schreiben nicht in einer Weise ausgelegt hat, die seinem Inhalt offensichtlich zuwiderliefe, und es daher auch nicht verfälscht hat.

    67

    Daraus folgt, dass das Gericht in Rn. 90 des angefochtenen Urteils zu Recht zwischen der vorliegenden Rechtssache und der Rechtssache unterschieden hat, in der das Urteil des Gerichts vom 17. September 2007, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission (T‑125/03 und T‑253/03, EU:T:2007:287), ergangen ist und in der die Kommission zur Vertraulichkeit von Dokumenten durch eine stillschweigende Entscheidung Stellung bezogen hatte, die sich in der Beschlagnahme dieser Dokumente konkretisiert hatte, und damit förmlich einen Antrag auf Schutz der Vertraulichkeit dieser Dokumente zurückgewiesen hatte.

    68

    Da das Gericht im vorliegenden Fall zu Recht festgestellt hat, dass das Schreiben vom 8. Mai 2015 weder zur Vertraulichkeit der fraglichen Dokumente Stellung bezogen noch bestätigt habe, dass die Inspektoren der Kommission bei der zweiten Nachprüfung mutmaßlich vertrauliche Dokumente gelesen hätten, kann dieses Schreiben keinen förmlichen Beschluss über die Ablehnung eines Antrags auf Schutz der Vertraulichkeit und erst recht keinen Beschluss darstellen, der einen stillschweigenden Beschluss über die Ablehnung eines solchen Antrags bestätigt.

    69

    Folglich hat das Gericht keinen Rechtsfehler begangen, als es in den Rn. 80 und 81 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, dass das Schreiben vom 8. Mai 2015 als eine Weigerung anzusehen sei, die Untersuchungsmaßnahmen gegenüber den Rechtsmittelführerinnen, die den Charakter von vorbereitenden Handlungen hätten, endgültig zu unterbrechen.

    70

    Unter diesen Umständen ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und damit der erste Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

    2.   Zweiter Rechtsmittelgrund: Verletzung des Rechts auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz

    a)   Vorbringen der Parteien

    71

    Im Rahmen ihres zweiten Rechtsmittelgrundes werfen die Rechtsmittelführerinnen dem Gericht vor, in den Rn. 91 und 92 des angefochtenen Urteils die gerichtliche Kontrolle vermeintlich rechtswidriger Verhaltensweisen der Kommission bei der Durchführung einer Nachprüfung allein auf die Klagen beschränkt zu haben, die sich auf die Nichtigerklärung eines etwaigen, später von der Kommission erlassenen endgültigen Beschlusses und auf die Auslösung der außervertraglichen Haftung der Union richteten. Dadurch habe das Gericht das durch Art. 6 EMRK und Art. 47 der Charta gewährleistete Recht der Rechtsmittelführerinnen auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz verletzt, da diese beiden Klagen nicht geeignet seien, den Rechtsmittelführerinnen einen ausreichenden gerichtlichen Rechtsschutz zu garantieren.

    72

    Zum einen machen die Rechtsmittelführerinnen unter Bezugnahme auf das Urteil des EGMR vom 21. Dezember 2010, Société Canal Plus u. a./Frankreich (CE:ECHR:2010:1221JUD002940808), in Bezug auf die Nichtigkeitsklage geltend, dass, wenn die Kommission keinen endgültigen Beschluss erlasse, ihnen die Möglichkeit verwehrt bliebe, gegen diese Verhaltensweisen vorzugehen, obwohl in einem bestimmten Stadium des Verfahrens begangene Unregelmäßigkeiten in einem späteren Stadium des Verfahrens nicht immer geheilt werden könnten. Würde dagegen ein endgültiger Beschluss erlassen, ließen sich durch eine Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses die nicht wiedergutzumachenden Folgen der Verwendung vertraulicher Informationen in den von den Inspektoren der Kommission eingesehenen Dokumenten nicht vermeiden. Zum anderen sei auch eine auf die außervertragliche Haftung gestützte Klage, die es nicht ermögliche, die Rechtsgrundlage für die mutmaßlich rechtswidrigen Verhaltensweisen der Kommission rückwirkend zu beseitigen, unwirksam, um den Schutz der Rechte der Rechtsmittelführerinnen zu gewährleisten.

    73

    Dies gelte erst recht, da nach Art. 52 Abs. 4 und Art. 53 der Charta der durch das Unionsrecht gewährleistete Rechtsschutz zumindest jenem Rechtsschutz gleichwertig sein müsse, der durch die nationalen Verfassungsüberlieferungen gewährleistet werde. Die Cour constitutionnelle (Verfassungsgerichtshof, Belgien) habe aber unter Berufung auf diese Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Auffassung vertreten, dass die gerichtliche Überprüfung der Nachprüfungsmaßnahmen im Fall der Feststellung einer Unregelmäßigkeit ermöglichen müsse, entweder vollendete Tatsachen zu verhindern oder, wenn sie bereits eingetreten seien, den Betroffenen eine „angemessene Wiedergutmachung“ zu gewähren.

    74

    Die Kommission tritt dieser Argumentation entgegen.

    b)   Würdigung durch den Gerichtshof

    75

    Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung des Rechts der Rechtsmittelführerinnen auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz, wie er durch Art. 47 der Charta und durch Art. 6 EMRK garantiert wird, geltend gemacht. Die Rechtsmittelführerinnen werfen dem Gericht vor, die gerichtliche Kontrolle der vermeintlich rechtswidrigen Verhaltensweisen der Kommission bei einer Nachprüfung nur auf die Klagen beschränkt zu haben, die sich auf die Auslösung der außervertraglichen Haftung der Union und auf die Nichtigerklärung eines etwaigen, später von der Kommission erlassenen endgültigen Beschlusses, mit dem die Verletzung der Wettbewerbsregeln der Union festgestellt werde, richteten.

    76

    Im vorliegenden Fall werden zum einen die Erwägungen in den Rn. 91 und 92 des angefochtenen Urteils, die von den Rechtsmittelführerinnen beanstandet werden, mit den Worten „Dem sei hinzugefügt, dass“ eingeleitet. Zum anderen hat das Gericht gerade in den Rn. 82 und 90 des angefochtenen Urteils die Prüfung der von den Rechtsmittelführerinnen vorgebrachten Argumente, wie sie in den Rn. 68 und 69 bzw. 83 des genannten Urteils wiedergegeben sind, abgeschlossen.

    77

    Folglich enthalten die Rn. 91 und 92 des angefochtenen Urteils nicht tragende Gründe.

    78

    Daher ist der zweite Rechtsmittelgrund in Anbetracht der in Rn. 53 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung als ins Leere gehend zurückzuweisen.

    79

    Nach alledem ist das Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen.

    Kosten

    80

    Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

    81

    Da die Rechtsmittelführerinnen mit ihren Rechtsmittelgründen unterlegen sind, sind ihnen gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Da sie ihr Rechtsmittel gemeinsam eingelegt haben, haben sie die Kosten als Gesamtschuldnerinnen zu tragen.

     

    Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

     

    1.

    Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

     

    2.

    Die Alcogroup SA und die Alcodis SA tragen die Kosten.

     

    Unterschriften


    ( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

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