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Document 62007CJ0550

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 14. September 2010.
Akzo Nobel Chemicals Ltd und Akcros Chemicals Ltd gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel - Wettbewerb - Beweisaufnahme - Nachprüfungsbefugnisse der Kommission - Schutz der Vertraulichkeit von Kommunikation - Beschäftigungsverhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und einem Unternehmen - Austausch von E-Mails.
Rechtssache C-550/07 P.

European Court Reports 2010 I-08301

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:512

Rechtssache C-550/07 P

Akzo Nobel Chemicals Ltd

und

Akcros Chemicals Ltd

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Beweisaufnahme – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Schutz der Vertraulichkeit von Kommunikation – Beschäftigungsverhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und einem Unternehmen – Austausch von E-Mails“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsmittel – Rechtsschutzinteresse – Voraussetzung – Rechtsmittel, das geeignet ist, dem Rechtsmittelführer einen Vorteil zu verschaffen

2.        Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Befugnis, die Vorlage eines Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu fordern – Grenzen – Schutz der Vertraulichkeit einer solchen Kommunikation –Geltungsbereich – Ausschluss der Kommunikation mit unternehmensangehörigen Syndikusanwälten

3.        Unionsrecht – Grundsätze – Gleichbehandlung – Begriff – Grenzen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 20 und 21)

4.        Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Befugnis, die Vorlage eines Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu fordern – Grenzen – Schutz der Vertraulichkeit einer solchen Kommunikation –Geltungsbereich – Ausschluss der Kommunikation mit unternehmensangehörigen Syndikusanwälten

(Verordnung Nr. 1/2003 des Rates)

5.        Unionsrecht – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Geltung für Verfahren, die zu Sanktionen führen können

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48, Abs. 2)

6.        Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Befugnis, die Vorlage eines Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu fordern – Grenzen – Schutz der Vertraulichkeit einer solchen Kommunikation –Geltungsbereich – Ausschluss der Kommunikation mit unternehmensangehörigen Syndikusanwälten

(Art. 101 AEUV und 102 AEUV; Verordnungen Nr. 17 und Nr. 1/2003 des Rates)

7.        Unionsrecht – Unmittelbare Wirkung – Individuelle Rechte – Schutz durch die nationalen Gerichte – Gerichtliche Rechtsbehelfe – Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie

8.        Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Befugnis, die Vorlage eines Schriftwechsels zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu fordern

(Verordnungen Nr. 17, Art. 14 Abs. 6, und Nr. 1/2003, Art. 20 Abs. 6 des Rates)

9.        Europäische Union – Ausschließliche Zuständigkeiten – Für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderliche Bestimmungen – Verfahrensvorschriften auf dem Gebiet des Wettbewerbs – Einbeziehung

(Art. 3 Abs. 1 Buchst. b AEUV, 101 AEUV bis 103 AEUV und 105 AEUV; Verordnungen Nr. 17, Art. 14 und Nr. 1/2003, Art. 20 des Rates)

1.        Das Rechtsschutzinteresse ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung, die unverändert bis zum Erlass der gerichtlichen Sachentscheidung vorliegen muss.

Im Rahmen eines Rechtsmittels besteht das Rechtsschutzinteresse im Übrigen, solange das Rechtsmittel der Partei, die es eingelegt hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann.

Auf dem Gebiet des Wettbewerbs ist das Interesse eines Unternehmens, gegen eine Entscheidung der Kommission vorzugehen, mit der ihm die Rückgabe von Schriftstücken und die Vernichtung etwaiger Kopien wegen Verletzung der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant bei Nachprüfungen verweigert wird, zumindest so lange gegeben, wie die Kommission diese Schriftstücke oder eine Kopie hiervon in Besitz hat. Die etwaige Verletzung der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant tritt bei Nachprüfungen nämlich nicht erst dann ein, wenn sich die Kommission in einer Sachentscheidung auf ein geschütztes Schriftstück stützt, sondern bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Bediensteter der Kommission ein solches Schriftstück beschlagnahmt.

(vgl. Randnrn. 22-23, 25)

2.        Der Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant hängt vom gleichzeitigen Vorliegen zweier Voraussetzungen ab. Der Schriftwechsel mit dem Rechtsanwalt muss zum einen mit der Ausübung des Rechts des Mandanten auf Verteidigung in Zusammenhang stehen und zum anderen muss es sich um einen Schriftwechsel handeln, der von unabhängigen Rechtsanwälten ausgeht, d. h. von Anwälten, die nicht durch einen Dienstvertrag an den Mandanten gebunden sind.

Das Erfordernis der Unabhängigkeit setzt das Fehlen jedes Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten voraus, so dass sich der kraft des Grundsatzes der Vertraulichkeit gewährte Schutz nicht auf den unternehmens- oder konzerninternen Schriftwechsel mit Syndikusanwälten erstreckt.

Der Begriff der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts wird nicht nur positiv, d. h. durch eine Bezugnahme auf die standesrechtlichen Bindungen, sondern auch negativ, d. h. durch das Fehlen eines Dienst- bzw. Beschäftigungsverhältnisses, bestimmt. Ein Syndikusanwalt genießt trotz seiner Zulassung als Rechtsanwalt und der damit einhergehenden standesrechtlichen Bindungen nicht denselben Grad an Unabhängigkeit von seinem Arbeitgeber wie der in einer externen Anwaltskanzlei tätige Rechtsanwalt gegenüber seinen Mandanten. Unter diesen Umständen kann der Syndikusanwalt etwaige Spannungen zwischen seinen Berufspflichten und den Zielen seines Mandanten weniger leicht ausräumen als ein externer Anwalt.

Der Syndikusanwalt, über welche Garantien er bei der Ausübung seines Berufs auch immer verfügt, kann deshalb nicht einem externen Rechtsanwalt gleichgestellt werden, weil er sich in der Situation eines abhängig Beschäftigten befindet, die es naturgemäß nicht zulässt, dass der Syndikusanwalt von seinem Arbeitgeber verfolgte Geschäftsstrategien außer Acht lässt, und die dadurch seine Fähigkeit, in beruflicher Unabhängigkeit zu handeln, in Frage stellt.

Hinzu kommt, dass der Syndikusanwalt im Rahmen seines Arbeitsvertrags zur Erfüllung anderer Aufgaben verpflichtet sein kann, die Auswirkungen auf die Geschäftspolitik des Unternehmens haben und die engen Bindungen des Rechtsanwalts an seinen Arbeitgeber nur verstärken können.

Demnach genießt der Syndikusanwalt aufgrund sowohl seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit als auch der engen Bindungen an seinen Arbeitgeber keine berufliche Unabhängigkeit, die der eines externen Rechtsanwalts vergleichbar ist.

Da sich der Syndikusanwalt in einer Position befindet, die sich von derjenigen eines externen Rechtsanwalts grundlegend unterscheidet, so dass die jeweiligen Situationen nicht vergleichbar sind, ergibt sich daraus, dass diese Berufsangehörigen im Hinblick auf den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant unterschiedlich behandelt werden, kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.

Selbst wenn die Hinzuziehung von bei dem Unternehmen oder Konzern beschäftigten Syndikusanwälten als von dem Recht, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, umfasst anzusehen sein sollte, schließt dies im Fall des Tätigwerdens von Syndikusanwälten die Anwendung bestimmter, die Berufsausübung betreffender Beschränkungen und Modalitäten nicht aus, ohne dass dies als Eingriff in die Verteidigungsrechte anzusehen wäre.

Schließlich läuft der Umstand, dass im Rahmen einer von der Kommission durchgeführten Nachprüfung der Schutz der Kommunikation auf den Schriftwechsel mit externen Rechtsanwälten beschränkt ist, dem Grundsatz der Rechtssicherheit nicht zuwider.

(vgl. Randnrn. 40-41, 44-45, 47-49, 58-59, 95, 106)

3.        Der Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist, ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der in den Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist.

(vgl. Randnrn. 54-55)

4.        Der Gerichtshof hat im Urteil vom 18. Mai 1982, AM & S Europe/Kommission (155/79) in Bezug auf den Grundsatz des Schutzes der Vertraulichkeit in Verfahren der Nachprüfung auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts unterstrichen, dass in diesem Bereich des Unionsrechts den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen und Konzepten hinsichtlich der Wahrung der Vertraulichkeit von u. a. bestimmter Kommunikation zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten Rechnung zu tragen ist. Zu diesem Zweck hat der Gerichtshof verschiedene nationale Rechtsordnungen miteinander verglichen. Er hat auf der Grundlage dieses Vergleichs anerkannt, dass die Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Rechtsanwalt und Mandant nach dem Unionsrecht geschützt werden muss, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

In den Jahren seit der Verkündung des Urteils AM & S Europe/Kommission kann in Bezug auf die Rechtsordnungen der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union keine überwiegende Tendenz zugunsten des Schutzes der Vertraulichkeit der unternehmens- oder konzerninternen Kommunikation mit Syndikusanwälten festgestellt werden. Die Rechtslage in den Mitgliedstaaten der Union hat sich daher nicht in einem Maße entwickelt, das es rechtfertigen würde, eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung in dem Sinne zu rechtfertigen, dass Syndikusanwälten der Schutz der Vertraulichkeit zuerkannt wird.

Durch die Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln wurden zwar die verfahrensrechtlichen Vorschriften des Wettbewerbsrechts der Union in großer Zahl geändert, doch enthalten diese Vorschriften keinen Hinweis darauf, dass sie im Hinblick auf das Rechtsanwaltsgeheimnis eine Gleichstellung von selbständig praktizierenden und angestellten Rechtsanwälten gebieten, da dieser Grundsatz in keiner Weise Gegenstand dieser Verordnung ist, die darauf gerichtet ist, den Umfang der Nachprüfungsbefugnisse der Kommission, insbesondere was die Unterlagen betrifft, die Gegenstand solcher Maßnahmen sein können, zu verstärken. Daher kann auch die sich insbesondere aus dieser Verordnung ergebende Änderung der Verfahrensvorschriften auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts keine Änderung der durch das Urteil AM & S Europe/Kommission begründeten Rechtsprechung rechtfertigen.

(vgl. Randnrn. 69-70, 74, 76, 83, 86-87)

5.        Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern, führen können, einen fundamentalen Grundsatz des Unionsrechts dar, der in Art. 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert worden ist.

(vgl. Randnr. 92)

6.        Die Befugnisse, über die die Kommission nach der Verordnung Nr. 17 und nach der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln verfügt, unterscheiden sich vom Umfang der Ermittlungen, die auf nationaler Ebene durchgeführt werden können. Denn beide Verfahrensarten beruhen auf einer Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Wettbewerbsbehörden. Daher können die Vorschriften über den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant nach Maßgabe dieser Zuständigkeitsverteilung und der für sie geltenden Regelungen Unterschiede aufweisen.

Das Wettbewerbsrecht der Union und das nationale Wettbewerbsrecht beurteilen die restriktiven Praktiken unter unterschiedlichen Aspekten. Während die Art. 101 AEUV und 102 AEUV solche Praktiken wegen der Hemmnisse erfassen, die sie für den Handel zwischen Mitgliedstaaten bewirken können, beruhen die innerstaatlichen Wettbewerbsvorschriften auf eigenen Ansätzen und beurteilen die restriktiven Praktiken allein in diesem Rahmen.

Unter diesen Umständen können Unternehmen, deren Geschäftsräume im Rahmen wettbewerbsrechtlicher Ermittlungen durchsucht werden, feststellen, welche Rechte und Pflichten ihnen gegenüber den zuständigen Behörden und nach dem geltenden Recht zustehen, wie beispielsweise bei der Frage nach der Behandlung der Unterlagen, die im Zuge solcher Ermittlungen beschlagnahmt werden können, oder der Frage, ob sie berechtigt sind, sich auf den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation mit den Syndikusanwälten zu berufen oder nicht. Die Unternehmen können sich daher nach Maßgabe der Zuständigkeiten dieser Behörden und ihrer konkreten Befugnisse hinsichtlich der Beschlagnahme von Unterlagen sachgerecht orientieren.

Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet daher nicht, auf diese beiden Verfahrensarten in Bezug auf die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant die gleichen Kriterien anzuwenden.

(vgl. Randnrn. 102-105)

7.        Im Einklang mit dem Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen.

Gegenüber einer Entscheidung, die ein Unionsorgan auf der Grundlage einer auf der Ebene der Union ergangenen Regelung erlassen hat, die zudem keinerlei Verweis auf das nationale Recht enthält, ist eine Berufung auf diesen Grundsatz nicht möglich.

(vgl. Randnrn. 113-114)

8.        Eine unionsweit einheitliche Auslegung und Anwendung des Grundsatzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist unerlässlich, damit die Nachprüfungen der Kommission in Kartellverfahren unter Bedingungen stattfinden können, die die Gleichbehandlung der betreffenden Unternehmen gewährleisten. Wäre dem nicht so, würde durch die Anwendung von Normen oder Grundsätzen des nationalen Rechts, die zu den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gehören, die einheitliche Geltung des Unionsrechts beeinträchtigt. Eine solche einheitliche Auslegung und Anwendung dieser Rechtsordnung kann nicht vom Ort der Nachprüfungen und etwaigen Besonderheiten des nationalen Rechts abhängen.

Bei Nachprüfungen der Kommission als europäischer Kartellbehörde kommt nationales Recht nur insoweit zum Einsatz, als die Behörden der Mitgliedstaaten ihr Amtshilfe leisten, insbesondere wenn es darum geht, Widerstand der betroffenen Unternehmen gemäß Art. 14 Abs. 6 der Verordnung Nr. 17 bzw. Art. 20 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln durch Anwendung unmittelbaren Zwangs zu überwinden. Hingegen bestimmt sich allein nach Unionsrecht, welche Schriftstücke und Unterlagen die Kommission im Rahmen ihrer kartellrechtlichen Durchsuchungen prüfen und kopieren darf.

(vgl. Randnrn. 115, 119)

9.        Die wettbewerbsrechtlichen Verfahrensvorschriften, wie sie in Art. 14 der Verordnung Nr. 17 und in Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln geregelt sind, gehören zu den für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Bestimmungen, deren Erlass in die der Union durch Art. 3 Abs. 1 Buchst. b AEUV übertragene ausschließliche Zuständigkeit fällt.

Nach Art. 103 AEUV ist es Sache der Union, die zweckdienlichen Verordnungen oder Richtlinien zur Verwirklichung der in den Art. 101 AEUV und 102 AEUV niedergelegten Grundsätze betreffend die für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln zu beschließen. Diese Zuständigkeit soll u. a. die Beachtung der in diesen Artikeln genannten Verbote durch die Einführung von Geldbußen und Zwangsgeldern gewährleisten und die Aufgaben der Kommission bei der Anwendung dieser Vorschriften abgrenzen.

In diesem Zusammenhang sieht Art. 105 AEUV vor, dass die Kommission auf die Verwirklichung der in den Art. 101 AEUV und 102 AEUV niedergelegten Grundsätze achtet und die Fälle untersucht, in denen Zuwiderhandlungen vermutet werden.

Gegenüber den Nachprüfungsbefugnissen der Kommission auf dem Gebiet des Wettbewerbs ist eine Berufung auf den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung daher nicht möglich.

(vgl. Randnrn. 116-118, 120)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. September 2010(*)

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Beweisaufnahme – Nachprüfungsbefugnisse der Kommission – Schutz der Vertraulichkeit von Kommunikation – Beschäftigungsverhältnis zwischen einem Rechtsanwalt und einem Unternehmen – Austausch von E-Mails“

In der Rechtssache C‑550/07 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 30. November 2007,

Akzo Nobel Chemicals Ltd mit Sitz in Hersham (Vereinigtes Königreich),

Akcros Chemicals Ltd mit Sitz in Hersham,

Prozessbevollmächtigte: M. Mollica, avocate, dann M. van der Woude, avocat, und C. Swaak, advocaat,

Rechtsmittelführerinnen,

unterstützt durch

Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch V. Jackson und E. Jenkinson als Bevollmächtigte im Beistand von M. Hoskins, Barrister,

Irland, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von M. Collins, SC, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Königreich der Niederlande, vertreten durch C. Wissels, Y. de Vries und M. de Grave als Bevollmächtigte,

Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,

andere Verfahrensbeteiligte:

Europäische Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre und X. Lewis als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

Conseil des barreaux européens mit Sitz in Brüssel (Belgien), vertreten durch J. Flynn, QC,

Algemene Raad van de Nederlandse Orde van Advocaten mit Sitz in Den Haag (Niederlande), vertreten durch O. Brouwer und C. Schillemans, advocaten,

European Company Lawyers Association mit Sitz in Brüssel, vertreten durch M. Dolmans und K. Nordlander, avocats, sowie durch J. Temple Lang, Solicitor,

American Corporate Counsel Association (ACCA) – European Chapter mit Sitz in Paris (Frankreich), vertreten durch G. Berrisch, Rechtsanwalt, beauftragt durch D. Hull, Solicitor,

International Bar Association mit Sitz in London (Vereinigtes Königreich), vertreten durch J. Buhart und I. Michou, avocats,

Streithelfer im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten A. Tizzano, J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.‑C. Bonichot, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) und des Kammerpräsidenten E. Levits sowie der Richter A. Rosas, U. Lõhmus, M. Safjan und D. Šváby,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2010,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 29. April 2010

folgendes

Urteil

1        Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Akzo Nobel Chemicals Ltd (im Folgenden: Akzo) und die Akcros Chemicals Ltd (im Folgenden: Akcros) die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 17. September 2007, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission (T‑125/03 und T‑253/03, im Folgenden: angefochtenes Urteil), insoweit, als das Gericht den Antrag auf Schutz der Vertraulichkeit des Schriftwechsels mit dem internen Rechtsberater von Akzo zurückgewiesen hat.

I –  Unionsrecht

2        Art. 14 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81] und [82] des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), sieht vor:

„1.      Die Kommission kann zur Erfüllung der ihr in Artikel [105 AEUV] und in Vorschriften nach Artikel [103 AEUV] übertragenen Aufgaben bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle erforderlichen Nachprüfungen vornehmen.

Zu diesem Zweck verfügen die beauftragten Bediensteten der Kommission über folgende Befugnisse:

a)      die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen zu prüfen;

b)      Abschriften oder Auszüge aus Büchern und Geschäftsunterlagen anzufertigen;

c)      mündliche Erklärungen an Ort und Stelle anzufordern;

d)      alle Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel der Unternehmen zu betreten.

2.      Die mit der Nachprüfung beauftragten Bediensteten der Kommission üben ihre Befugnisse unter Vorlage eines schriftlichen Prüfungsauftrags aus …

3.      Unternehmen und Unternehmensvereinigungen sind verpflichtet, die Nachprüfungen zu dulden, welche die Kommission in einer Entscheidung angeordnet hat. Die Entscheidung bezeichnet den Gegenstand und den Zweck der Nachprüfung, bestimmt den Zeitpunkt des Beginns der Nachprüfung und weist auf die … Zwangsmaßnahmen sowie auf das Recht hin, vor dem Gerichtshof gegen die Entscheidung Klage zu erheben.

…“

II –  Sachverhalt

3        Im angefochtenen Urteil hat das Gericht den maßgebenden Sachverhalt wie folgt zusammengefasst:

„1      Am 10. Februar 2003 erließ die Kommission die Entscheidung C (2003) 559/4 zur Änderung der Entscheidung C (2003) 85/4 der Kommission vom 30. Januar 2003, mit denen insbesondere den Unternehmen Akzo … und Akcros … sowie ihren Tochtergesellschaften aufgegeben wurde, nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 … angeordnete Nachprüfungen zu dulden, mit denen Beweise für etwaige wettbewerbswidrige Praktiken beigebracht werden sollten (im Folgenden insgesamt: Nachprüfungsanordnung).

2      Am 12. und 13. Februar 2003 führten Bedienstete der Kommission mit Unterstützung von Vertretern des Office of Fair Trading (OFT, britische Wettbewerbsbehörde) aufgrund der Nachprüfungsanordnung eine Nachprüfung in den Geschäftsräumen der Klägerinnen in Eccles, Manchester (Vereinigtes Königreich), durch. Hierbei fertigten die Bediensteten der Kommission Kopien einer größeren Anzahl von Schriftstücken an.

3      Bei diesen Maßnahmen wiesen die Vertreter der Klägerinnen die Bediensteten der Kommission darauf hin, dass bestimmte Unterlagen unter den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant fallen könnten (legal professional privilege, LPP; Rechtsanwaltsgeheimnis).

4      Die Bediensteten der Kommission wiesen die Vertreter der Klägerinnen sodann darauf hin, dass sie die betreffenden Unterlagen summarisch durchsehen müssten, um sich ihre eigene Meinung über den möglicherweise erforderlichen Schutz dieser Schriftstücke zu bilden. Nach längerer Erörterung und nachdem die Bediensteten der Kommission und des OFT die Vertreter der Klägerinnen auf die Folgen einer Behinderung der Untersuchungsmaßnahmen hingewiesen hatten, wurde beschlossen, dass der für die Nachprüfung Verantwortliche die betreffenden Unterlagen im Beisein eines Vertreters der Klägerinnen summarisch prüfen solle.

5      Bei der Prüfung der betreffenden Unterlagen entstand Streit über fünf Schriftstücke, die letztlich von der Kommission in zweifacher Weise behandelt wurden.

8      Die dritten streitigen Unterlagen bestehen aus einer Reihe handschriftlicher Notizen des leitenden Geschäftsführers von Akcros …, die nach Darstellung der Klägerinnen bei Gesprächen mit Angestellten gefertigt und für die Abfassung des maschinengeschriebenen Vermerks der Serie A verwendet wurden. Die beiden letzten Unterlagen schließlich sind zwei E-Mails zwischen dem leitenden Geschäftsführer von Akcros … und dem Koordinator von Akzo … für das Wettbewerbsrecht, Herrn S., einem in den Niederlanden zugelassenen Rechtsanwalt, der zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Rechtsabteilung von Akzo … angehörte und mithin im festen Angestelltenverhältnis in diesem Unternehmen stand.

9      Nach Durchsicht der drei letztgenannten Unterlagen gelangte die für die Nachprüfung Verantwortliche nach den Erläuterungen der Klägerinnen zu dem Schluss, dass diese Unterlagen mit Sicherheit nicht durch die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant geschützt seien. Folglich fertigte sie davon eine Kopie an und gab diese zu den Akten, ohne sie in einem versiegelten Umschlag getrennt zu halten. Die Klägerinnen ordneten diese drei Unterlagen in die ‚Serie B‘ ein.

10      Am 17. Februar 2003 übermittelten die Klägerinnen der Kommission ein Schreiben mit den Gründen, weshalb ihres Erachtens die Schriftstücke … der Serie B durch die Vertraulichkeit geschützt sind.

11      Mit Schreiben vom 1. April 2003 teilte die Kommission den Klägerinnen mit, dass deren Argumente im Schreiben vom 17. Februar 2003 sie nicht davon überzeugt hätten, dass die genannten Schriftstücke tatsächlich unter die Vertraulichkeit fielen. Sie wies indessen darauf hin, dass die Klägerinnen die Möglichkeit hätten, zu diesen ersten Schlussfolgerungen binnen einer Frist von zwei Wochen Stellung zu nehmen, nach deren Ablauf sie eine endgültige Entscheidung treffen werde.

14      Am 8. Mai 2003 erließ die Kommission die Entscheidung C (2003) 1533 final, mit der für die streitigen Unterlagen der Antrag auf Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant gemäß Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 abgelehnt wurde (im Folgenden: Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003). In Art. 1 dieser Entscheidung weist die Kommission den Antrag der Klägerinnen zurück, ihnen die Unterlagen … der Serie B zurückzugeben und die Vernichtung sämtlicher im Besitz der Kommission befindlicher Kopien dieser Schriftstücke zu bestätigen. …

18      Am 8. September 2003 hat die Kommission … auf Anordnung des Präsidenten des Gerichts diesem vertraulich eine Kopie der Schriftstücke der Serie B … vorgelegt.“

III –  Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

4        Gegenstand der beiden Klagen, die die Klägerinnen am 11. April und 4. Juli 2003 beim Gericht erhoben hatten, waren erstens ein Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung C (2003) 559/4 der Kommission vom 10. Februar 2003 und, soweit erforderlich, der Entscheidung C (2003) 85/4 der Kommission vom 30. Januar 2003, mit denen Akzo und Akcros sowie ihren Tochtergesellschaften aufgegeben wurde, nach Art. 14 Abs. 3 der Verordnung Nr. 17 angeordnete Nachprüfungen zu dulden (Sache COMP/E-1/38.589), sowie auf Erteilung einer Anordnung an die Kommission, mit der ihr die Rückgabe bestimmter im Rahmen der besagten Nachprüfung beschlagnahmter Schriftstücke aufgegeben und die Verwendung ihres Inhalts untersagt wird (Rechtssache T‑125/03), und zweitens ein Antrag auf Nichtigerklärung der Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003 (Rechtssache T‑253/03).

5        Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage auf Nichtigerklärung der Nachprüfungsanordnung (Rechtssache T‑125/03) als unzulässig und die Klage auf Nichtigerklärung der Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003 (Rechtssache T‑253/03) als unbegründet abgewiesen.

IV –  Anträge der Verfahrensbeteiligten

6        Akzo und Akcros beantragen,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht den Antrag auf Schutz des Anwaltsgeheimnisses für den Verkehr mit dem internen Rechtsberater von Akzo zurückgewiesen hat;

–        die Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003 für nichtig zu erklären, soweit damit die Rückgabe der (zu den Unterlagen der Serie B zählenden) E-Mail-Korrespondenz mit dem internen Rechtsberater von Akzo verweigert wird, und

–        der Kommission die Kosten des Rechtsmittels und die durch die Klage vor dem Gericht entstandenen Kosten aufzuerlegen, soweit sie den mit dem vorliegenden Rechtsmittel geltend gemachten Rechtsmittelgrund betreffen.

7        Der Conseil des barreaux européens, Streithelfer im ersten Rechtszug, beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht es abgelehnt hat, der Kommunikation zwischen Akzo und Herrn S. den Schutz der Vertraulichkeit zugutekommen zu lassen, und die Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003 insoweit für nichtig zu erklären oder, hilfsweise, die Sache, sollte der Gerichtshof der Auffassung sein, dass sie hinsichtlich der Klage nicht entscheidungsreif sei, an das Gericht zurückzuverweisen und

–        der Kommission die ihm im Rechtsmittelverfahren und im Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosten aufzuerlegen, soweit sie die mit dem Rechtsmittel aufgeworfenen Fragen betreffen.

8        Der Algemene Raad van de Nederlandse Orde van Advocaten, Streithelfer im ersten Rechtszug, beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht den von Akzo geltend gemachten Klagegrund des fehlenden Schutzes zweier zwischen dem leitenden Geschäftsführer von Akcros und dem bei Akzo angestellten Rechtsanwalt gewechselter E‑Mails durch den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des Schutzes des Geheimnisses der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant wegen des Beschäftigungsverhältnisses zwischen diesem angestellten Rechtsanwalt und Akzo zurückgewiesen hat;

–        der Kommission die ihm im Verfahren vor dem Gericht und in diesem Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten aufzuerlegen.

9        Die European Company Lawyers Association, Streithelferin im ersten Rechtszug, beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Kommunikationsaustausch zwischen Akcros und dem Mitglied der Rechtsabteilung von Akzo nicht dem Privileg der Vertraulichkeit der Kommunikation unterlag;

–        der Kommission die Erstattung der von ihr verauslagten Kosten aufzuerlegen.

10      Die American Corporate Counsel Association (ACCA) – European Chapter, Streithelferin im ersten Rechtszug, beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit das Gericht den Antrag auf Schutz des Geheimnisses der E-Mail-Korrespondenz mit dem internen Rechtsberater von Akzo (Teil der Unterlagen der Serie B) zurückgewiesen hat;

–        die Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003 für nichtig zu erklären, soweit damit die Rückgabe der Kopie dieser E-Mail-Korrespondenz an die Rechtsmittelführerinnen verweigert wird, oder, hilfsweise, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen und

–        der Kommission die Kosten des Rechtsmittels und des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen, soweit sie den mit dem vorliegenden Rechtsmittel geltend gemachten Rechtsmittelgrund betreffen.

11      Die International Bar Association, Streithelferin im ersten Rechtszug, beantragt,

–        das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit mit ihm den zwischen Akzo und Herrn S. gewechselten E‑Mails der Serie B der Schutz der Vertraulichkeit vorenthalten wird, und

–        der Kommission die der International Bar Association im Rechtsmittelverfahren und im Verfahren vor dem Gericht entstandenen Kosten aufzuerlegen, soweit sie die im Rahmen des Rechtsmittels geprüften Fragen betreffen.

12      Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie Irland und das Königreich der Niederlande, Streithelfer im Rechtsmittelverfahren, schließen sich den Anträgen von Akzo und Akcros an.

13      Die Kommission beantragt,

–        das Rechtsmittel zurückzuweisen und

–        den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen.

V –  Zum Rechtsmittel

A –  Zum Gegenstand des Rechtsmittels

14      Das Rechtsmittel betrifft ausschließlich einen Teil der Unterlagen der Serie B, nämlich die beiden zwischen dem leitenden Geschäftsführer von Akcros und Herrn S. gewechselten E‑Mails. Der Letztgenannte war zu dem Zeitpunkt, zu dem die Nachprüfungen in den Geschäftsräumen der Rechtsmittelführerinnen im Vereinigten Königreich durchgeführt wurden, in der Rechtsabteilung von Akzo, einer Gesellschaft britischen Rechts, beschäftigt und als Rechtsanwalt in den Niederlanden zugelassen. Die Kommission hat die Kopien dieser E-Mails zu den Akten gegeben.

15      Die Kommission hat von den Rechtsmittelführerinnen unwidersprochen vorgetragen, dass sie sich in ihrer Entscheidung vom 11. November 2009, mit der sie in dem Verfahren, das Anlass zu den im Jahr 2003 in den Geschäftsräumen von Akzo und Akcros durchgeführten Nachprüfungen gegeben hatte (Verfahren COMP/38.589 – Wärmestabilisatoren; SEC[2009] 1559 und SEC[2009] 1560), Geldbußen verhängt habe, nicht auf die beiden streitigen E-Mails gestützt habe. Auch der Behauptung der Kommission, dass es hinsichtlich dieser E-Mails keinen Informationsaustausch mit den nationalen Wettbewerbsbehörden gegeben habe, ist nicht widersprochen worden.

B –  Zum Rechtsschutzinteresse der Rechtsmittelführerinnen

1.     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

16      Die Kommission wirft zunächst die Frage nach dem Rechtsschutzinteresse von Akzo und Akcros auf. Die beiden E-Mails erfüllten nämlich nicht die in den Randnrn. 21 und 23 des Urteils vom 18. Mai 1982, AM & S Europe/Kommission (155/79, Slg. 1982, 1575), genannte erste Voraussetzung für die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant, dass eine Rechtsauskunft im Rahmen der Ausübung der Verteidigungsrechte erbeten und erteilt werde. Die erste E‑Mail sei nur eine Bitte um Anmerkungen zum Entwurf eines an einen Dritten zu sendenden Schreibens. Die zweite E‑Mail enthalte einfache Formulierungsänderungen.

17      Dementsprechend könnten die beiden Schriftstücke jedenfalls nicht als juristische Korrespondenz zwischen Rechtsanwalt und Mandant geschützt sein.

18      Zudem behaupteten die Rechtsmittelführerinnen nicht, dass die streitigen Schriftstücke die in den Randnrn. 21 und 23 des Urteils AM & S Europe/Kommission genannte erste Voraussetzung für die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant erfüllten.

19      Schließlich sei das Rechtsschutzinteresse von Akzo und Akcros spätestens am Tag des Erlasses der Entscheidung vom 11. November 2009, mit der die Kommission Geldbußen gegen sie verhängt habe, erloschen.

20      Akzo und Akcros erwidern, dass das Gericht den Inhalt der beiden E-Mails zu keinem Zeitpunkt untersucht habe. Es habe die Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003 dadurch bestätigt, dass es entschieden habe, dass der Grundsatz der Vertraulichkeit auf die in Rede stehenden Unterlagen deshalb keine Anwendung finden könne, weil sie keine Kommunikation mit einem externen Rechtsanwalt darstellten. Im Übrigen sei mit dieser Entscheidung der Schutz der Vertraulichkeit nicht des Inhalts der in Rede stehenden Schriftstücke wegen, sondern ausschließlich auf der Grundlage des Status des betreffenden Rechtsanwalts ausgeschlossen worden.

21      Sie schließen daraus, dass die Frage, ob die beiden E‑Mails die erste Voraussetzung erfüllten, die für die Gewährung des Schutzes nach dem Grundsatz der Vertraulichkeit erforderlich sei, eine Tatfrage sei, über die noch nicht entschieden worden sei. Diese Frage könne im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden, da dieses auf Rechtsfragen beschränkt sei.

2.     Würdigung durch den Gerichtshof

22      Zu der von der Kommission erhobenen Einrede ist darauf hinzuweisen, dass das Rechtsschutzinteresse eine Zulässigkeitsvoraussetzung ist, die unverändert bis zum Erlass der gerichtlichen Sachentscheidung vorliegen muss (vgl. Urteil vom 17. April 2008, Flaherty u. a./Kommission, C‑373/06 P, C‑379/06 P und C‑382/06 P, Slg. 2008, I‑2649, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23      Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass das Rechtsschutzinteresse besteht, solange das Rechtsmittel der Partei, die es eingelegt hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. Urteile vom 3. April 2003, Parlament/Samper, C‑277/01 P, Slg. 2003, I‑3019, Randnr. 28, und vom 7. Juni 2007, Wunenburger/Kommission, C‑362/05 P, Slg. 2007, I‑4333, Randnr. 42, sowie Beschluss vom 8. April 2008, Saint-Gobain Glass Deutschland/Kommission, C‑503/07 P, Slg. 2008, I‑2217, Randnr. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Im vorliegenden Rechtsmittelverfahren ist das Vorbringen der Kommission, für die beiden zwischen dem leitenden Geschäftsführer von Akcros und Herrn S. gewechselten E‑Mails könne die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant offensichtlich nicht in Anspruch genommen werden, nicht geeignet, das Rechtsschutzinteresse der Rechtsmittelführerinnen zu beeinträchtigen. Diese Argumentation, mit der dargetan werden soll, dass das Gericht zu Recht entschieden habe, dass der Schutz der Vertraulichkeit zwischen Rechtsanwalt und Mandant nicht für die beiden fraglichen E‑Mails in Anspruch genommen werden könne, betrifft nämlich nicht die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit des Rechtsmittels.

25      Zu der von der Kommission vorgetragenen Erwägung, der Erlass der Entscheidung vom 11. November 2009 habe das Interesse der Rechtsmittelführerinnen an der Fortsetzung des vorliegenden Verfahrens entfallen lassen, ist festzustellen, dass sich die Kommission mit der Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003, die Gegenstand des angefochtenen Urteils ist, geweigert hat, dem Antrag der Rechtsmittelführerinnen stattzugeben, der u. a. darauf gerichtet war, ihnen die beiden zwischen dem leitenden Geschäftsführer von Akcros und Herrn S. gewechselten E-Mails zurückzugeben, sowie darauf, dass die Kommission die Vernichtung aller in ihrem Besitz befindlichen Kopien dieser Schriftstücke bestätigt. Die etwaige Verletzung der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant tritt bei Nachprüfungen nicht erst dann ein, wenn sich die Kommission in einer Sachentscheidung auf ein geschütztes Schriftstück stützt, sondern bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Bediensteter der Kommission ein solches Schriftstück beschlagnahmt. Demnach ist das Rechtsschutzinteresse der Rechtsmittelführerinnen zumindest so lange gegeben, wie die Kommission die von der Ablehnungsentscheidung vom 8. Mai 2003 erfassten Schriftstücke oder eine Kopie hiervon in Besitz hat.

26      Unter diesen Umständen ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens ein Rechtsschutzinteresse von Akzo und Akcros gegeben.

C –  Zur Begründetheit

27      Akzo und Akcros stützen ihr Rechtsmittel auf drei Rechtsmittelgründe, von denen der erste als Hauptrüge und der zweite und der dritte als Hilfsrügen geltend gemacht werden.

28      Sämtliche Rechtsmittelgründe sind gegen die Randnrn. 165 bis 180 des angefochtenen Urteils gerichtet. Die Rechtsmittelführerinnen machen im Wesentlichen geltend, dass das Gericht es zu Unrecht abgelehnt habe, den beiden mit Herrn S. gewechselten E-Mails den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant zugutekommen zu lassen.

29      Zum Vorbringen der European Company Lawyers Association, Streithelferin im ersten Rechtszug, und Irlands, Streithelfer vor dem Gerichtshof, die geltend gemacht haben, dass das Gericht durch das angefochtene Urteil das Eigentumsrecht und die Berufsfreiheit verletzt habe, ist festzustellen, dass diese Gründe weder von Akzo noch von Akcros im ersten Rechtszug vorgetragen worden sind. Sie sind daher als unzulässig zurückzuweisen.

1.     Zum ersten Rechtsmittelgrund

30      Akzo und Akcros führen zur Begründung des ersten Rechtsmittelgrundes zwei Argumente an. Erstens habe das Gericht die zweite Voraussetzung des Grundsatzes der Vertraulichkeit, wie sie im Urteil AM & S Europe/Kommission dargelegt sei, in Bezug auf den beruflichen Status des Rechtsanwalts, mit dem die Kommunikation stattgefunden habe, falsch ausgelegt, und zweitens habe es durch diese Auslegung den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt.

31      Die Kommission hält den Rechtsmittelgrund für unbegründet.

a)     Zum ersten Argument

i)     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

32      Akzo und Akcros tragen vor, das Gericht habe in den Randnrn. 166 und 167 des angefochtenen Urteils in Bezug auf die zweite Voraussetzung des Grundsatzes der Vertraulichkeit betreffend den Status des Rechtsanwalts zu Unrecht eine „am Wortlaut haftende und unvollständige“ Auslegung des Urteils AM & S Europe/Kommission vorgenommen. Es hätte diese Voraussetzung „teleologisch“ auslegen und zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass der streitige Schriftwechsel durch den genannten Grundsatz geschützt sei.

33      Die Zusammenschau der Randnrn. 21 und 24 des Urteils AM & S Europe/Kommission zeige, dass der Gerichtshof das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses nicht mit fehlender Unabhängigkeit des Rechtsanwalts gleichgesetzt habe.

34      Akzo und Akcros sowie eine Reihe von Streithelfern betonen, dass das Kriterium der anwaltlichen Unabhängigkeit nicht so ausgelegt werden dürfe, dass die Syndikusanwälte ausgeschlossen seien. Ein als Rechtsanwalt zugelassener unternehmensangehöriger Jurist sei nämlich allein aufgrund seiner Berufs- und Standespflichten genauso unabhängig wie ein externer Rechtsanwalt. Außerdem komme den Garantien für die Unabhängigkeit, die ein „advocaat in dienstbetrekking“, d. h. ein in einem Beschäftigungsverhältnis nach niederländischem Recht stehender Rechtsanwalt, genieße, besondere Bedeutung zu.

35      Die im vorliegenden Fall geltenden Berufs- und Standesregeln machten das Beschäftigungsverhältnis mit dem Begriff des unabhängigen Rechtsanwalts vereinbar. Der Vertrag, der Herrn S. an die Gesellschaft binde, bei der er angestellt sei, sehe nämlich vor, dass die Gesellschaft die unabhängige Ausübung der Aufgaben des Rechtsanwalts zu achten und sich jeder Handlung zu enthalten habe, die Einfluss auf diese Aufgabe haben könnte. Aufgrund dieses Vertrags sei Herr S. auch berechtigt, alle ihm durch die niederländische Rechtsanwaltskammer auferlegten beruflichen Verpflichtungen zu erfüllen.

36      Ferner unterliege der angestellte Rechtsanwalt, um den es sich in der vorliegenden Rechtssache handele, einem Verhaltenskodex und der Aufsicht durch die niederländische Rechtsanwaltskammer. Außerdem würden durch Rechtsvorschriften eine Reihe zusätzlicher Garantien festgelegt, die darauf gerichtet seien, etwaige Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Unternehmen und seinem Syndikusanwalt in unparteiischer Weise auszuräumen.

37      Nach Ansicht der Kommission hat das Gericht den Grundsatz der Vertraulichkeit richtig angewandt. Den Randnrn. 24 bis 26 des Urteils AM & S Europe/Kommission sei nämlich zu entnehmen, dass das erforderliche grundlegende Merkmal dafür, dass die Kommunikation mit einem Rechtsanwalt nach diesem Grundsatz geschützt werden könne, darin bestehe, dass der Rechtsanwalt kein Angestellter des Mandanten sei.

38      Hätte der Gerichtshof gewollt, dass der Grundsatz der Vertraulichkeit auch für die Kommunikation mit Rechtsanwälten gelte, die bei demjenigen, der sie um Auskunft ersuche, beschäftigt seien, hätte er daher den Anwendungsbereich der zweiten Voraussetzung, wie sie im Urteil AM & S Europe/Kommission dargelegt sei, nicht begrenzt.

39      Im Urteil AM & S Europe/Kommission habe der Gerichtshof die Rechtsanwälte in eine der beiden folgenden Kategorien eingestuft, nämlich zum einen die abhängig beschäftigten und angestellten Rechtsanwälte und zum anderen die Rechtsanwälte, die nicht durch einen Arbeitsvertrag gebunden seien. Lediglich die von Rechtsanwälten der zweiten Kategorie verfassten Schriftstücke seien als durch den Grundsatz der Vertraulichkeit geschützt angesehen worden.

ii)  Würdigung durch den Gerichtshof

40      Im Urteil AM & S Europe/Kommission hat der Gerichtshof unter Berücksichtigung der damals in den internen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bestehenden gemeinsamen Kriterien und vergleichbaren Voraussetzungen in Randnr. 21 dieses Urteils entschieden, dass die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft geschützt werden muss. Er hat dort jedoch präzisiert, dass die Gewährung dieses Schutzes vom gleichzeitigen Vorliegen zweier Voraussetzungen abhängt.

41      Der Gerichtshof hat insoweit betont, dass der Schriftwechsel mit dem Rechtsanwalt zum einen mit der Ausübung des „Rechts des Mandanten auf Verteidigung“ in Zusammenhang stehen und es sich zum anderen um einen Schriftwechsel handeln muss, der von „unabhängigen Rechtsanwälten“ ausgeht, d. h. von „Anwälten …, die nicht durch einen Dienstvertrag an den Mandanten gebunden sind“.

42      Zu dieser zweiten Voraussetzung hat der Gerichtshof in Randnr. 24 des Urteils AM & S Europe/Kommission ausgeführt, dass die Anforderung, dass der Rechtsanwalt einen unabhängigen Status haben muss, damit der von ihm geführte Schriftwechsel schutzwürdig ist, auf der spezifischen Vorstellung von der Funktion des Anwalts als eines Mitgestalters der Rechtspflege beruht, der in völliger Unabhängigkeit und in deren vorrangigem Interesse dem Mandanten die rechtliche Unterstützung zu gewähren hat, die dieser benötigt. Diesem Schutz stehen auf der anderen Seite die Berufs‑ und Standespflichten gegenüber, die im allgemeinen Interesse festgelegt und kontrolliert werden. Eine solche Konzeption entspricht, wie der Gerichtshof in dieser Randnummer jenes Urteils weiter ausgeführt hat, den gemeinsamen Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten; sie hat auch in der Unionsrechtsordnung ihren Niederschlag gefunden, wie sich aus Art. 19 der Satzung des Gerichtshofs ergibt.

43      Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat der Gerichtshof in Randnr. 27 jenes Urteils geschlossen, dass der Schriftverkehr, dem der Schutz der Vertraulichkeit zugutekommen kann, mit einem „unabhängigen, d. h. nicht durch ein Beschäftigungsverhältnis an seinen Mandanten gebundenen Rechtsanwalt“ stattfinden muss.

44      Demnach setzt das Erfordernis der Unabhängigkeit das Fehlen jedes Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten voraus, so dass sich der kraft des Grundsatzes der Vertraulichkeit gewährte Schutz nicht auf den unternehmens- oder konzerninternen Schriftwechsel mit Syndikusanwälten erstreckt.

45      Wie die Generalanwältin in den Nrn. 60 und 61 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wird nämlich der Begriff der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts nicht nur positiv, d. h. durch eine Bezugnahme auf die standesrechtlichen Bindungen, sondern auch negativ, d. h. durch das Fehlen eines Dienst- bzw. Beschäftigungsverhältnisses, bestimmt. Ein Syndikusanwalt genießt trotz seiner Zulassung als Rechtsanwalt und der damit einhergehenden standesrechtlichen Bindungen nicht denselben Grad an Unabhängigkeit von seinem Arbeitgeber wie der in einer externen Anwaltskanzlei tätige Rechtsanwalt gegenüber seinen Mandanten. Unter diesen Umständen kann der Syndikusanwalt etwaige Spannungen zwischen seinen Berufspflichten und den Zielen seines Mandanten weniger leicht ausräumen als ein externer Anwalt.

46      Was die Berufsregeln betrifft, die die Rechtsmittelführerinnen herangezogen haben, um die Unabhängigkeit von Herrn S. darzutun, ist festzustellen, dass die von Akzo und Akcros genannten Regeln der beruflichen Organisation im niederländischen Recht zwar die Stellung des Syndikusanwalts im Unternehmen stärken können, dass sie aber gleichwohl nicht geeignet sind, eine Unabhängigkeit zu gewährleisten, die mit der eines externen Rechtsanwalts vergleichbar wäre.

47      Ungeachtet der aufgrund von Sondervorschriften des niederländischen Rechts im vorliegenden Fall geltenden Berufsregelung kann der Syndikusanwalt, über welche Garantien er bei der Ausübung seines Berufs auch immer verfügt, nämlich deshalb nicht einem externen Rechtsanwalt gleichgestellt werden, weil er sich in der Situation eines abhängig Beschäftigten befindet, die es naturgemäß nicht zulässt, dass der Syndikusanwalt von seinem Arbeitgeber verfolgte Geschäftsstrategien außer Acht lässt, und die dadurch seine Fähigkeit, in beruflicher Unabhängigkeit zu handeln, in Frage stellt.

48      Hinzu kommt, dass der Syndikusanwalt im Rahmen seines Arbeitsvertrags zur Erfüllung anderer Aufgaben verpflichtet sein kann, etwa, wie im vorliegenden Fall, der des Koordinators für das Wettbewerbsrecht, die Auswirkungen auf die Geschäftspolitik des Unternehmens haben können. Solche Aufgaben können aber die engen Bindungen des Rechtsanwalts an seinen Arbeitgeber nur verstärken.

49      Demnach genießt der Syndikusanwalt aufgrund sowohl seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit als auch der engen Bindungen an seinen Arbeitgeber keine berufliche Unabhängigkeit, die der eines externen Rechtsanwalts vergleichbar ist.

50      Folglich ist dem Gericht bei der Anwendung der zweiten im Urteil AM & S Europe/Kommission genannten Voraussetzung des Grundsatzes der Vertraulichkeit kein Rechtsfehler unterlaufen.

51      Dementsprechend kann dem im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes von Akzo und Akcros vorgetragenen ersten Argument nicht gefolgt werden.

b)     Zum zweiten Argument

i)     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

52      Akzo und Akcros tragen vor, das Gericht habe in Randnr. 174 des angefochtenen Urteils zu Unrecht die Rüge zurückgewiesen, dass die Weigerung, die Kommunikation mit einem Syndikusanwalt gemäß dem Grundsatz der Vertraulichkeit zu schützen, gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoße. Die durch die im vorliegenden Fall geltenden Berufs- und Standespflichten gewährleistete Unabhängigkeit müsse das grundlegende Kriterium für die Ermittlung der Tragweite dieses Grundsatzes sein. Nach diesem Kriterium unterscheide sich die Situation der bei einer Kammer oder einer Anwaltsvereinigung zugelassenen Syndikusanwälte nicht von derjenigen externer Rechtsanwälte.

53      Nach Ansicht der Kommission ist das Gericht in der genannten Randnummer des angefochtenen Urteils zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass Syndikusanwälte und externe Anwälte sich offensichtlich in einer unterschiedlichen, insbesondere wegen der personellen, funktionalen, strukturellen und hierarchischen Zugehörigkeit der Ersteren zum Unternehmen, bei dem sie beschäftigt seien, nicht vergleichbaren Lage befinden.

ii)  Würdigung durch den Gerichtshof

54      Der Grundsatz der Gleichbehandlung ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der in den Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist.

55      Nach ständiger Rechtsprechung verlangt dieser Grundsatz, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist (vgl. Urteile vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, Slg. 2006, I‑403, Randnr. 95, vom 3. Mai 2007, Advocaten voor de Wereld, C‑303/05, Slg. 2007, I‑3633, Randnr. 56, und vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C‑127/07, Slg. 2008, I‑9895, Randnr. 23).

56      Was die wesentlichen Merkmale der beiden Kategorien von Rechtsanwälten betrifft, nämlich ihren jeweiligen beruflichen Status, geht aus den Randnrn. 45 bis 49 des vorliegenden Urteils hervor, dass ein angestellter Anwalt ungeachtet seiner etwaigen Zulassung als Rechtsanwalt und seiner Bindung an eine Reihe standesrechtlicher Regeln nicht denselben Grad an Unabhängigkeit von seinem Arbeitgeber genießt wie ein in einer externen Anwaltskanzlei tätiger Rechtsanwalt gegenüber seinen Mandanten.

57      Wie die Generalanwältin in Nr. 83 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, wird dieser Unterschied hinsichtlich der Unabhängigkeit nicht allein deswegen unbeachtlich, weil der nationale Gesetzgeber – im vorliegenden Fall der niederländische – versucht hat, externe Rechtsanwälte und Syndikusanwälte gleichzustellen. Denn eine solche Gleichstellung bezieht sich allein auf den formalen Akt der Zulassung eines unternehmensangehörigen Juristen als Rechtsanwalt und auf die standesrechtlichen Bindungen, die für ihn aus einer solchen Anwaltszulassung folgen. Hingegen ändern diese rechtlichen Rahmenbedingungen nichts an der wirtschaftlichen Abhängigkeit und an der persönlichen Identifizierung des in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Anwalts mit seinem Unternehmen.

58      Aus diesen Erwägungen folgt, dass sich der Syndikusanwalt in einer Position befindet, die sich von derjenigen eines externen Rechtsanwalts grundlegend unterscheidet, so dass die jeweiligen Situationen nicht im Sinne der in Randnr. 55 dieses Urteils angeführten Rechtsprechung vergleichbar sind.

59      Das Gericht ist somit zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung festgestellt werden konnte.

60      Dementsprechend kann auch dem im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes vorgetragenen zweiten Argument nicht gefolgt werden.

61      Somit ist dieser Rechtsmittelgrund in vollem Umfang zurückzuweisen.

2.     Zum zweiten Rechtsmittelgrund

62      Für den Fall, dass der Gerichtshof die Auffassung vertreten sollte, das Gericht habe das Urteil AM & S Europe/Kommission zutreffend ausgelegt und der Gerichtshof habe mit diesem im Jahr 1982 verkündeten Urteil die Kommunikation mit Rechtsanwälten, die durch ein Beschäftigungsverhältnis gebunden seien, vom Schutz nach dem Grundsatz der Vertraulichkeit ausschließen wollen, machen Akzo und Akcros hilfsweise einen zweiten Rechtsmittelgrund geltend, zu dessen Begründung sie zwei, jeweils in zwei Teile untergliederte Argumente vortragen.

63      Im Rahmen ihres ersten Arguments stützen sich die Rechtsmittelführerinnen, unterstützt durch eine Reihe von Streithelfern, auf die Entwicklung der nationalen Rechtssysteme auf der einen und die der Unionsrechtsordnung auf der anderen Seite. Mit ihrem zweiten Argument berufen sich Akzo und Akcros zum einen auf die Verteidigungsrechte und zum anderen auf den Grundsatz der Rechtssicherheit.

64      Nach Ansicht der Kommission vermag keines der vorgebrachten Argumente den Rechtsmittelgrund zu stützen.

a)     Zum ersten Teil des ersten Arguments (Entwicklung der nationalen Rechtssysteme)

i)     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

65      Akzo und Akcros machen geltend, dass in Anbetracht der bedeutsamen Entwicklungen „im rechtlichen Umfeld“ seit dem Jahr 1982 das Gericht eine „Neuauslegung“ des Urteils AM & S Europe/Kommission in Bezug auf den Grundsatz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant hätte vornehmen müssen.

66      Das Gericht habe in den Randnrn. 170 und 171 des angefochtenen Urteils eine Ausdehnung des persönlichen Anwendungsbereichs des Grundsatzes der Vertraulichkeit zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, dass der Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation mit unternehmensangehörigen Juristen in den nationalen Rechtsordnungen nicht übereinstimmend und klar anerkannt sei. Trotz des Fehlens einer einheitlichen Tendenz auf nationaler Ebene könnte das Unionsrecht rechtliche Kriterien für den Schutz der Verteidigungsrechte festlegen, die einen höheren Rang als die in einigen nationalen Rechtsordnungen festgelegten hätten.

67      Die Kommission bemerkt, dass die Rechtsmittelführerinnen mit dem geltend gemachten Rechtsmittelgrund im Wesentlichen den Gerichtshof ersuchten, die Rechtsprechung, wie sie sich aus dem Urteil AM & S Europe/Kommission ergebe, zu ändern.

68      Sie stellten nicht die Schlussfolgerung des Gerichts in Frage, wonach es in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten keine mehrheitliche Tendenz dahin gebe, dass die Kommunikation mit Syndikusanwälten gemäß dem Grundsatz der Vertraulichkeit geschützt wäre.

ii)  Würdigung durch den Gerichtshof

69      Der Gerichtshof hat bei seinen Ausführungen im Urteil AM & S Europe/Kommission in Bezug auf den Grundsatz des Schutzes der Vertraulichkeit in Verfahren der Nachprüfung auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts unterstrichen, dass in diesem Bereich des Unionsrechts den den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Grundsätzen und Konzepten hinsichtlich der Wahrung der Vertraulichkeit von u. a. bestimmter Kommunikation zwischen Rechtsanwälten und ihren Mandanten Rechnung zu tragen ist (vgl. Randnr. 18 jenes Urteils). Zu diesem Zweck hat der Gerichtshof verschiedene nationale Rechtsordnungen miteinander verglichen.

70      In den Randnrn. 19 und 20 des Urteils AM & S Europe/Kommission hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Schutz des Schriftverkehrs zwischen Rechtsanwalt und Mandant zwar im Grundsatz anerkannt ist, dass es jedoch Unterschiede hinsichtlich seines Geltungsbereichs und der Kriterien für seine Anwendung in den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften gibt. Der Gerichtshof hat auf der Grundlage dieses Vergleichs allerdings anerkannt, dass die Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Rechtsanwalt und Mandant nach dem Unionsrecht geschützt werden muss, sofern die beiden in Randnr. 21 jenes Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

71      Das Gericht hat in Randnr. 170 des angefochtenen Urteils seinerseits festgestellt, dass zwar die spezielle Anerkennung der Rolle des unternehmensangehörigen Juristen und der Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation mit diesem im Jahr 2004 verhältnismäßig stärker verbreitet sei als zur Zeit der Verkündung des Urteils AM & S Europe/Kommission, dass jedoch einheitliche oder eindeutig mehrheitliche Tendenzen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht erkennbar seien.

72      Darüber hinaus ergibt sich aus Randnr. 171 des angefochtenen Urteils, dass nach einer vom Gericht vorgenommenen rechtsvergleichenden Prüfung noch immer eine große Zahl von Mitgliedstaaten unternehmensangehörige Juristen vom Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant ausschließen. Zudem können in vielen Mitgliedstaaten unternehmensangehörige Juristen nicht als Rechtsanwälte zugelassen werden und somit nicht den Rechtsanwaltstatus erlangen.

73      Insoweit haben Akzo und Akcros selbst eingeräumt, dass in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten keine allgemeine Tendenz hin zu einer Gleichstellung von Syndikusanwälten und selbständig praktizierenden Rechtsanwälten festgestellt werden könne.

74      Daher kann in Bezug auf die Rechtsordnungen der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union keine überwiegende Tendenz zugunsten des Schutzes der Vertraulichkeit der unternehmens- oder konzerninternen Kommunikation mit Syndikusanwälten festgestellt werden.

75      Unter diesen Umständen und entgegen dem, was die Rechtsmittelführerinnen darzutun bestrebt sind, kann die in den Niederlanden bestehende rechtliche Regelung weder als Indikator für eine Tendenz angesehen werden, die unter den Mitgliedstaaten zunehmend Bestätigung findet, noch als ein maßgebender Anhaltspunkt dafür, die Tragweite des Grundsatzes der Vertraulichkeit zu ermitteln.

76      Nach Auffassung des Gerichtshofs hat sich die Rechtslage in den Mitgliedstaaten der Union in den Jahren seit der Verkündung des Urteils AM & S Europe/Kommission nicht in einem Maße entwickelt, das es rechtfertigen würde, eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung in dem Sinne zu rechtfertigen, dass Syndikusanwälten der Schutz der Vertraulichkeit zuerkannt wird.

77      Der erste Teil des ersten Arguments ist daher zurückzuweisen.

b)              Zum zweiten Teil des ersten Arguments (Entwicklung der Unionsrechtsordnung)

i)     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

78      Akzo und Akcros tragen vor, das Gericht habe in den Randnrn. 172 und 173 des angefochtenen Urteils die Bedeutung der sich insbesondere aus dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1, S. 1) ergebenden Entwicklung der Unionsrechtsordnung verkannt.

79      Die „Modernisierung“ des Kartellverfahrensrechts habe nämlich zu einem steigenden Bedarf an unternehmensinterner Rechtsberatung geführt, deren präventive Funktion bei der Verhinderung von Kartellrechtsverstößen nicht unterschätzt werden dürfe, da sich die angestellten Rechtsanwälte auf intime Kenntnisse der Unternehmen und ihrer Geschäfte stützen könnten.

80      Ferner setze die im Hinblick auf die ordnungsgemäße Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union wünschenswerte Durchführung von Compliance-Programmen voraus, dass die unternehmens- oder konzerninterne Kommunikation mit Syndikusanwälten in vertrauensvoller Atmosphäre stattfinden könne.

81      Nach Ansicht der Kommission weisen die Ausführungen des Gerichts im angefochtenen Urteil zu der von Akzo und Akcros erhobenen Rüge keinen Rechtsfehler auf.

82      Sie unterstreicht, dass die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1/2003 keinerlei Auswirkung auf den Geltungsbereich des Schutzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant hätten.

ii)  Würdigung durch den Gerichtshof

83      Durch die Verordnung Nr. 1/2003 wurden zwar die verfahrensrechtlichen Vorschriften des Wettbewerbsrechts der Union in großer Zahl geändert, es steht aber auch fest, dass diese Vorschriften keinen Hinweis darauf enthalten, dass sie im Hinblick auf das Rechtsanwaltsgeheimnis eine Gleichstellung von selbständig praktizierenden und angestellten Rechtsanwälten gebieten, da dieser Grundsatz in keiner Weise Gegenstand dieser Verordnung ist.

84      Den Bestimmungen von Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 ist nämlich zu entnehmen, dass die Kommission bei Unternehmen alle erforderlichen Nachprüfungen vornehmen und in diesem Zusammenhang die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen, unabhängig davon, in welcher Form sie vorliegen, prüfen sowie Kopien oder Auszüge gleich welcher Art von bzw. aus diesen Büchern und Unterlagen anfertigen oder erlangen kann.

85      Diese Verordnung hat, wie auch Art. 14 Abs. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 17, den Befugnissen der Kommission somit einen weiten Rahmen gesetzt. Wie aus den Erwägungsgründen 25 und 26 der Verordnung Nr. 1/2003 hervorgeht, ist es, da es zunehmend schwieriger wird, Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln aufzudecken, für einen wirksamen Schutz des Wettbewerbs notwendig und liegt im Interesse effizienter Nachprüfungen, dass die Kommission zum Betreten aller Räumlichkeiten befugt ist, in denen sich Geschäftsunterlagen befinden können, einschließlich Privatwohnungen.

86      Somit ist die Verordnung Nr. 1/2003, entgegen dem, was die Rechtsmittelführerinnen nahelegen wollen, nicht darauf gerichtet, eine Gleichstellung von Syndikusanwälten mit externen Anwälten hinsichtlich des Schutzes der Vertraulichkeit der Kommunikation mit ihren Mandanten vorzuschreiben, sondern darauf, den Umfang der Nachprüfungsbefugnisse der Kommission, insbesondere was die Unterlagen betrifft, die Gegenstand solcher Maßnahmen sein können, zu verstärken.

87      Dementsprechend kann auch die sich insbesondere aus der Verordnung Nr. 1/2003 ergebende Änderung der Verfahrensvorschriften auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts keine Änderung der durch das Urteil AM & S Europe/Kommission begründeten Rechtsprechung rechtfertigen.

88      Daher ist auch der zweite Teil des ersten Arguments zurückzuweisen.

89      Folglich ist das erste im Rahmen des zweiten Rechtsmittelgrundes vorgebrachte Argument insgesamt zurückzuweisen.

c)     Zum ersten Teil des zweiten Arguments (Verteidigungsrechte)

i)     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

90      Akzo und Akcros machen geltend, dass durch die vom Gericht in Randnr. 176 des angefochtenen Urteils vorgenommene Auslegung des Geltungsbereichs des Schutzes der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant das Niveau des Schutzes der Verteidigungsrechte der Unternehmen gesenkt werde. Die Inanspruchnahme der Rechtsberatung durch einen Syndikusanwalt wäre nämlich nicht so wertvoll und ihr Nutzen wäre begrenzt, wenn der unternehmens‑ oder konzerninterne Schriftverkehr mit einem solchen Anwalt nicht unter dem Schutz des Anwaltsgeheimnisses stünde.

91      Die Kommission vertritt die Ansicht, entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen seien durch die vom Gericht zugrunde gelegte Auslegung des Anwendungsbereichs des Grundsatzes der Vertraulichkeit die Verteidigungsrechte keineswegs beeinträchtigt.

ii)  Würdigung durch den Gerichtshof

92      Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern, führen können, einen fundamentalen Grundsatz des Unionsrechts dar, der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs wiederholt bekräftigt worden ist (vgl. Urteile vom 2. Oktober 2003, Thyssen Stahl/Kommission, C‑194/99 P, Slg. 2003, I‑10821, Randnr. 30, vom 29. Juni 2006, Showa Denko/Kommission, C‑289/04 P, Slg. 2006, I‑5859, Randnr. 68, und vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, C‑3/06 P, Slg. 2007, I‑1331, Randnr. 68) und in Art. 48 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Union verankert worden ist.

93      Mit ihrer Rüge versuchen die Rechtsmittelführerinnen darzutun, dass die Verteidigungsrechte die Möglichkeit umfassen müssten, sich auf der Grundlage einer freien Wahl eines Rechtsberaters beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, und dass der Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant unabhängig vom beruflichen Status des betreffenden Rechtsanwalts zu diesen Rechten zähle.

94      Hierzu ist festzustellen, dass ein Unternehmen bei Einschaltung seines Syndikusanwalts es nicht mit einem unabhängigen Dritten, sondern mit einer Person zu tun hat, die ungeachtet etwaiger sich aus der Zulassung als Rechtsanwalt ergebender Berufspflichten zu seinen Beschäftigten gehört.

95      Hinzu kommt, dass, selbst wenn die Hinzuziehung von bei dem Unternehmen oder Konzern beschäftigten Syndikusanwälten als von dem Recht, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, umfasst anzusehen sein sollte, dies im Fall des Tätigwerdens von Syndikusanwälten die Anwendung bestimmter, die Berufsausübung betreffender Beschränkungen und Modalitäten nicht ausschließt, ohne dass dies als Eingriff in die Verteidigungsrechte anzusehen wäre. So sind unternehmensangehörige Juristen nicht immer befugt, ihren Arbeitgeber vor sämtlichen nationalen Gerichten zu vertreten, und solche Vorschriften beschränken sehr wohl die Möglichkeiten für potenzielle Mandanten, den für sie am besten geeigneten Rechtsberater zu wählen.

96      Aus diesen Erwägungen geht hervor, dass jeder Rechtssuchende, der sich anwaltlicher Beratung versichern möchte, solche Beschränkungen und Bedingungen hinnehmen muss, mit denen die Ausübung dieses Berufs verbunden ist. Zu diesen Beschränkungen und Bedingungen gehören auch die Modalitäten des Schutzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant.

97      Die Rüge einer Verletzung der Verteidigungsrechte greift daher nicht durch.

d)     Zum zweiten Teil des zweiten Arguments (Grundsatz der Rechtssicherheit)

i)     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

98      Nach Ansicht von Akzo und Akcros laufen die Ausführungen des Gerichts auch auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit hinaus, da Art. 101 AEUV häufig neben den entsprechenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts angewandt werde. Der Schutz der Kommunikation mit den Syndikusanwälten dürfe daher nicht davon abhängen, ob eine Nachprüfung von der Kommission oder von einer nationalen Wettbewerbsbehörde vorgenommen werde.

99      Die Kommission betont, dass sich im Gegenteil für alle Beteiligten dann komplexe und ungewisse Situationen ergäben, wenn der für die von ihr durchgeführten Nachprüfungen geltende Grundsatz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant nicht mehr auf der Ebene der Union, sondern im Rahmen des nationalen Rechts definiert wäre; dies würde dem Grundsatz der Rechtssicherheit zuwiderlaufen, auf den sich Akzo und Akcros beriefen.

ii)  Würdigung durch den Gerichtshof

100    Der Grundsatz der Rechtssicherheit stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der u. a. gebietet, dass eine Regelung, die nachteilige Folgen für Einzelne hat, klar und bestimmt und ihre Anwendung für die Einzelnen voraussehbar sein muss (vgl. Urteile vom 14. April 2005, Belgien/Kommission, C‑110/03, Slg. 2005, I‑2801, Randnr. 30, vom 7. Juni 2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, C‑76/06 P, Slg. 2007, I‑4405, Randnr. 79, und vom 14. Januar 2010, Stadt Papenburg, C‑226/08, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 45).

101    Zu der auf diesen Grundsatz gestützten Rüge ist festzustellen, dass die vom Gericht im angefochtenen Urteil vorgenommene Auslegung, wonach dem unternehmens‑ oder konzerninternen Schriftwechsel mit Syndikusanwälten im Rahmen einer von der Kommission durchgeführten Nachprüfung der Schutz der Kommunikation nicht zugutekommt, nicht zu Rechtsunsicherheit hinsichtlich des Geltungsbereichs dieses Schutzes führt.

102    Die Befugnisse, über die die Kommission nach der Verordnung Nr. 17 und nach der Verordnung Nr. 1/2003 verfügt, unterscheiden sich nämlich vom Umfang der Ermittlungen, die auf nationaler Ebene durchgeführt werden können. Denn beide Verfahrensarten beruhen auf einer Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den einzelnen Wettbewerbsbehörden. Daher können die Vorschriften über den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant nach Maßgabe dieser Zuständigkeitsverteilung und der für sie geltenden Regelungen Unterschiede aufweisen.

103    Der Gerichtshof hat hierzu entschieden, dass das Wettbewerbsrecht der Union und das nationale Wettbewerbsrecht die restriktiven Praktiken unter unterschiedlichen Aspekten beurteilen. Während die Art. 101 AEUV und 102 AEUV solche Praktiken wegen der Hemmnisse erfassen, die sie für den Handel zwischen Mitgliedstaaten bewirken können, beruhen die innerstaatlichen Wettbewerbsvorschriften auf eigenen Ansätzen und beurteilen die restriktiven Praktiken allein in diesem Rahmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 1992, Asociación Española de Banca Privada u. a., C‑67/91, Slg. 1992, I‑4785, Randnr. 11).

104    Unter diesen Umständen können Unternehmen, deren Geschäftsräume im Rahmen wettbewerbsrechtlicher Ermittlungen durchsucht werden, feststellen, welche Rechte und Pflichten ihnen gegenüber den zuständigen Behörden und nach dem geltenden Recht zustehen, wie beispielsweise bei der Frage nach der Behandlung der Unterlagen, die im Zuge solcher Ermittlungen beschlagnahmt werden können, oder der Frage, ob sie berechtigt sind, sich auf den Schutz der Vertraulichkeit der Kommunikation mit den Syndikusanwälten zu berufen oder nicht. Die Unternehmen können sich daher nach Maßgabe der Zuständigkeiten dieser Behörden und ihrer konkreten Befugnisse hinsichtlich der Beschlagnahme von Unterlagen sachgerecht orientieren.

105    Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet daher nicht, auf diese beiden Verfahrensarten in Bezug auf die Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant die gleichen Kriterien anzuwenden.

106    Folglich läuft der Umstand, dass im Rahmen einer von der Kommission durchgeführten Nachprüfung der Schutz der Kommunikation auf den Schriftwechsel mit externen Rechtsanwälten beschränkt ist, dem von Akzo und Akcros angeführten Grundsatz nicht zuwider.

107    Die auf den Grundsatz der Rechtssicherheit gestützte Rüge ist daher unbegründet.

108    Der zweite Rechtsmittelgrund greift folglich insgesamt nicht durch.

3.     Zum dritten Rechtsmittelgrund

a)     Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

109    Äußerst hilfsweise machen Akzo und Akcros geltend, dass die Ausführungen des Gerichts, in ihrer Gesamtheit gesehen, gegen den Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie und gegen den Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung verstießen.

110    Art. 22 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 bringe den Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie auf dem betreffenden Gebiet zum Ausdruck. Der Unionsgesetzgeber habe ausdrücklich festgelegt, dass die Bevollmächtigten der nationalen Wettbewerbsbehörde ihre Befugnisse selbst dann im Einklang mit ihrem nationalen Recht ausübten, wenn Nachprüfungen auf Ersuchen der Kommission durchgeführt würden, um einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Art. 101 AEUV oder des Art. 102 AEUV festzustellen. Der Gesetzgeber habe keine harmonisierte Definition des Grundsatzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant gegeben, was bedeute, dass die Mitgliedstaaten weiterhin befugt seien, diesen speziellen Aspekt des Schutzes der Verteidigungsrechte festzulegen.

111    Nach Ansicht der Kommission enthält das angefochtene Urteil keinen Verstoß gegen die mit dem dritten Rechtsmittelgrund angesprochenen Grundsätze. Der Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie gelte nämlich in Situationen, in denen die Gerichte und Verwaltungen der Mitgliedstaaten das Unionsrecht durchzuführen hätten, finde jedoch keine Anwendung, wenn es darum gehe, die rechtlichen Grenzen des Handelns der Organe selbst zu ermitteln.

112    Daraus folge, dass das Gericht mit der Festlegung eines in der gesamten Union einheitlichen Geltungsbereichs der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant für Verfahren, die auf die Feststellung eines Verstoßes gegen die Art. 101 AEUV und 102 AEUV gerichtet seien, das Urteil AM & S Europe/Kommission korrekt angewandt habe. Folglich sei auch der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung nicht verletzt.

b)     Würdigung durch den Gerichtshof

113    Im Einklang mit dem Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie ist es mangels einer einschlägigen Unionsregelung Sache des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen und die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 1976, Rewe, 33/76, Slg. 1976, 1989, Randnr. 5, vom 19. Juni 1990, Factortame u. a., C‑213/89, Slg. 1990, I‑2433, Randnr. 19, vom 14. Dezember 1995, Peterbroeck, C‑312/93, Slg. 1995, I‑4599, Randnr. 12, und vom 11. September 2003, Safalero, C‑13/01, Slg. 2003, I‑8679, Randnr. 49).

114    In der vorliegenden Rechtssache hat der Gerichtshof jedoch über die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung zu befinden, die ein Unionsorgan auf der Grundlage einer auf der Ebene der Union ergangenen Regelung erlassen hat, die zudem keinerlei Verweis auf das nationale Recht enthält.

115    Eine unionsweit einheitliche Auslegung und Anwendung des Grundsatzes der Vertraulichkeit der Kommunikation zwischen Rechtsanwalt und Mandant ist unerlässlich, damit die Nachprüfungen der Kommission in Kartellverfahren unter Bedingungen stattfinden können, die die Gleichbehandlung der betreffenden Unternehmen gewährleisten. Wäre dem nicht so, würde durch die Anwendung von Normen oder Grundsätzen des nationalen Rechts, die zu den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gehören, die einheitliche Geltung des Unionsrechts beeinträchtigt. Eine solche einheitliche Auslegung und Anwendung dieser Rechtsordnung kann nicht vom Ort der Nachprüfungen und etwaigen Besonderheiten des nationalen Rechts abhängen.

116    Zum Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung ist darauf hinzuweisen, dass die wettbewerbsrechtlichen Verfahrensvorschriften, wie sie in Art. 14 der Verordnung Nr. 17 und in Art. 20 der Verordnung Nr. 1/2003 geregelt sind, zu den für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlichen Bestimmungen gehören, deren Erlass in die der Union durch Art. 3 Abs. 1 Buchst. b AEUV übertragene ausschließliche Zuständigkeit fällt.

117    Nach Art. 103 AEUV ist es Sache der Union, die zweckdienlichen Verordnungen oder Richtlinien zur Verwirklichung der in den Art. 101 AEUV und 102 AEUV niedergelegten Grundsätze betreffend die für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln zu beschließen. Diese Zuständigkeit soll u. a. die Beachtung der in diesen Artikeln genannten Verbote durch die Einführung von Geldbußen und Zwangsgeldern gewährleisten und die Aufgaben der Kommission bei der Anwendung dieser Vorschriften abgrenzen.

118    In diesem Zusammenhang sieht Art. 105 AEUV vor, dass die Kommission auf die Verwirklichung der in den Art. 101 AEUV und 102 AEUV niedergelegten Grundsätze achtet und die Fälle untersucht, in denen Zuwiderhandlungen vermutet werden.

119    Wie die Generalanwältin in Nr. 172 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, kommt bei Nachprüfungen der Kommission als europäischer Kartellbehörde nationales Recht nur insoweit zum Einsatz, als die Behörden der Mitgliedstaaten ihr Amtshilfe leisten, insbesondere wenn es darum geht, Widerstand der betroffenen Unternehmen gemäß Art. 14 Abs. 6 der Verordnung Nr. 17 bzw. Art. 20 Abs. 6 der Verordnung Nr. 1/2003 durch Anwendung unmittelbaren Zwangs zu überwinden. Hingegen bestimmt sich allein nach Unionsrecht, welche Schriftstücke und Unterlagen die Kommission im Rahmen ihrer kartellrechtlichen Durchsuchungen prüfen und kopieren darf.

120    Folglich ist gegenüber den Befugnissen, mit denen die Kommission in dem fraglichen Bereich ausgestattet ist, weder eine Berufung auf den Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie noch auf den der begrenzten Einzelermächtigung möglich.

121    Daher kann auch der dritte Rechtsmittelgrund keinen Erfolg haben.

122    Nach alledem ist das Rechtsmittel unbegründet.

VI –  Kosten

123    Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Art. 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechende Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung von Akzo und Akcros beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind Letzteren die Kosten aufzuerlegen. Da sie das Rechtsmittel gemeinsam eingelegt haben, haben sie die Kosten als Gesamtschuldnerinnen zu tragen.

124    Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie Irland und das Königreich der Niederlande als Streithelfer im Verfahren vor dem Gerichtshof tragen gemäß Art. 69 § 4 Abs. 1 der Verfahrensordnung jeweils ihre eigenen Kosten.

125    Die übrigen Verfahrensbeteiligten, die das Rechtsmittel unterstützt haben und mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, haben in entsprechender Anwendung von Art. 69 § 4 Abs. 3 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1.      Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2.      Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland sowie Irland und das Königreich der Niederlande tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

3.      Der Conseil des barreaux européens, der Algemene Raad van de Nederlandse Orde van Advocaten, die European Company Lawyers Association, die American Corporate Counsel Association (ACCA) – European Chapter und die International Bar Association tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

4.      Im Übrigen tragen die Akzo Nobel Chemicals Ltd und die Akcros Chemicals Ltd die Kosten gesamtschuldnerisch.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Englisch.

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