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Document 62023CJ0296
Judgment of the Court (First Chamber) of 20 June 2024.#Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs eV v dm-drogerie markt GmbH & Co.KG.#Request for a preliminary ruling from the Bundesgerichtshof.#Reference for a preliminary ruling – Approximation of laws – Biocidal products – Regulation (EU) No 528/2012 – Article 72 – Disinfectant containing biocidal products – Advertising restrictions – Concept of ‘any similar indication’ – Purpose of ensuring a high level of protection of both human and animal health and the environment.#Case C-296/23.
Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 20. Juni 2024.
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. gegen dm-drogerie markt GmbH & Co.KG.
Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Biozidprodukte – Verordnung (EU) Nr. 528/2012 – Art. 72 – Desinfektionsmittel, das Biozidprodukte enthält – Beschränkungen für die Werbung – Begriff ‚ähnliche Hinweise‘ – Ziel der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt.
Rechtssache C-296/23.
Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 20. Juni 2024.
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. gegen dm-drogerie markt GmbH & Co.KG.
Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Biozidprodukte – Verordnung (EU) Nr. 528/2012 – Art. 72 – Desinfektionsmittel, das Biozidprodukte enthält – Beschränkungen für die Werbung – Begriff ‚ähnliche Hinweise‘ – Ziel der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt.
Rechtssache C-296/23.
Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section
ECLI identifier: ECLI:EU:C:2024:527
*A9* Bundesgerichtshof, beschluss vom 20/04/2023 (I ZR 108/22)
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
20. Juni 2024 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Biozidprodukte – Verordnung (EU) Nr. 528/2012 – Art. 72 – Desinfektionsmittel, das Biozidprodukte enthält – Beschränkungen für die Werbung – Begriff ‚ähnliche Hinweise‘ – Ziel der Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt“
In der Rechtssache C‑296/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. April 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Mai 2023, in dem Verfahren
Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V.
gegen
dm-drogerie markt GmbH & Co. KG
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb (Berichterstatter) und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– |
der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V., vertreten durch Rechtsanwalt C. Rohnke, |
– |
der dm-drogerie markt GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwälte O. Bludovsky und D. Braunwarth, |
– |
der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte, |
– |
der griechischen Regierung, vertreten durch E. Leftheriotou und A.‑E. Vasilopoulou als Bevollmächtigte, |
– |
der litauischen Regierung, vertreten durch V. Kazlauskaitė-Švenčionienė als Bevollmächtigte, |
– |
der Europäischen Kommission, vertreten durch R. Lindenthal und M. Noll-Ehlers als Bevollmächtigte, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. 2012, L 167, S. 1). |
2 |
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. (im Folgenden: ZBUW) und der dm-drogerie markt GmbH & Co. KG (im Folgenden: dm), eine bundesweit operierende Drogeriemarktkette, wegen der Beschreibung eines Biozidprodukts in deren Werbung. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 |
In den Erwägungsgründen 1, 3, 53 und 61 der Verordnung Nr. 528/2012 heißt es:
…
…
…
|
4 |
Art. 1 („Ziel und Gegenstand“) Abs. 1 der Verordnung sieht vor: „Ziel dieser Verordnung ist es, das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu verbessern. Die Bestimmungen dieser Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt sichergestellt werden soll. Dem Schutz gefährdeter Gruppen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.“ |
5 |
In Art. 3 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung heißt es: „(1) Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck a) ‚Biozidprodukt‘
Eine behandelte Ware mit einer primären Biozidfunktion gilt als Biozidprodukt. …
…“ |
6 |
Art. 17 („Bereitstellung von Biozidprodukten auf dem Markt“) der Verordnung bestimmt: „(1) Biozidprodukte dürfen nur auf dem Markt bereitgestellt oder verwendet werden, wenn sie gemäß der vorliegenden Verordnung zugelassen wurden. … (5) Bei der Verwendung von Biozidprodukten sind die in der Zulassung genannten Auflagen gemäß Artikel 22 Absatz 1 und die Verpackungs- und Ken[n]zeichnungsvorschriften gemäß Artikel 69 einzuhalten. Zu einer ordnungsgemäßen Verwendung gehört, dass eine Kombination physikalischer, biologischer, chemischer und sonstiger eventuell gebotener Maßnahmen vernünftig angewandt wird, wodurch der Einsatz von Biozidprodukten auf das notwendige Mindestmaß begrenzt wird und geeignete vorbeugende Maßnahmen getroffen werden. Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um der Öffentlichkeit geeignete Informationen über Nutzen und Risiken von Bioziden bereitzustellen sowie über Möglichkeiten zu informieren, den Einsatz von Biozidprodukten zu minimieren. …“ |
7 |
Kapitel XV („Information und Kommunikation“) der Verordnung Nr. 528/2012 enthält in seinem Abschnitt 2 („Informationen über Biozidprodukte“) die Art. 69 bis 73. |
8 |
In Art. 69 („Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung von Biozidprodukten“) heißt es: „(1) Zulassungsinhaber stellen sicher, dass Biozidprodukte im Einklang mit der genehmigten Zusammenfassung der Eigenschaften des Biozidprodukts, insbesondere der Gefahren- und Sicherheitshinweise gemäß Artikel 22 Absatz 2 Buchstabe i und im Einklang mit der Richtlinie 1999/45/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 1999 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Zubereitungen (ABl. 1999, L 200, S. 1)] sowie gegebenenfalls der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (ABl. 2008, L 353, S. 1)] eingestuft, verpackt und gekennzeichnet werden. Außerdem sind Produkte, die mit Lebensmitteln, einschließlich Getränken, oder Futtermitteln verwechselt werden können, so zu verpacken, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Versehens auf ein Minimum beschränkt wird. Biozidprodukte, die der Allgemeinheit zugänglich sind, enthalten Bestandteile, die von ihrem Verzehr abhalten und sie insbesondere für Kinder unattraktiv machen. (2) Zusätzlich zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Zulassungsinhaber sicher, dass das Etikett hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit nicht irreführend ist und keinesfalls Angaben wie‚Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial‘, ‚ungiftig‘, ‚unschädlich‘, ‚natürlich‘, ‚umweltfreundlich‘, ‚tierfreundlich‘ oder ähnliche Hinweise enthält. … …“ |
9 |
Art. 72 („Werbung“) der Verordnung Nr. 528/2012 bestimmt: „(1) Jeder Werbung für Biozidprodukte ist zusätzlich zur Einhaltung der Verordnung [Nr. 1272/2008] folgender Hinweis hinzuzufügen: ‚Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.‘ Diese Sätze müssen sich von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar sein. (2) In der Werbung darf das Wort ‚Biozidprodukte‘ in den vorgeschriebenen Sätzen durch den eindeutigen Verweis auf die beworbene Produktart ersetzt werden. (3) In der Werbung für Biozidprodukte darf das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. Die Werbung für ein Biozidprodukt darf auf keinen Fall die Angaben ‚Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial‘, ‚ungiftig‘, ‚unschädlich‘, ‚natürlich‘, ‚umweltfreundlich‘, ‚tierfreundlich‘ oder ähnliche Hinweise enthalten.“ |
Deutsches Recht
10 |
§ 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 3. Juli 2004 (BGBl. 2004 I S. 1414) in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung sieht ein Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen vor. |
11 |
§ 3a („Rechtsbruch“) dieses Gesetzes bestimmt: „Unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln, und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen.“ |
12 |
§ 8 („Beseitigung und Unterlassung“) Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt: „Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. …“ |
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
13 |
Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht hervor, dass dm ein Desinfektionsmittel mit der Bezeichnung „BioLYTHE“ (im Folgenden: fragliches Produkt) zum Verkauf, auch über das Internet, anbot. Das auf diesem Produkt angebrachte Etikett trug unter der Produktbezeichnung die Angaben „Ökologisches Universal-Breitband Desinfektionsmittel“, „Haut‑, Hände- und Oberflächendesinfektion“, „Wirksam gegen SARS-Corona“ sowie „Hautfreundlich • Bio • ohne Alkohol“. |
14 |
Da die ZBUW der Ansicht war, dass es sich um eine unlautere Werbung handele, weil dm gegen die Marktverhaltensregelungen der Verordnung Nr. 528/2012 verstoße, erhob sie nach erfolgloser Abmahnung von dm beim Landgericht Karlsruhe (Deutschland) eine Klage, mit der sie im Wesentlichen beantragte, dm unter Androhung bestimmter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen, das fragliche Produkt als „ökologisches Universal-Breitband Desinfektionsmittel“ und/oder als „hautfreundlich“ und/oder „bio“ in der Werbung oder auf dem Produktetikett zu bezeichnen oder zu vertreiben. |
15 |
Das Landgericht gab der Klage mit Urteil vom 25. März 2021 statt. |
16 |
Gegen dieses Urteil legte dm Berufung beim Oberlandesgericht Karlsruhe (Deutschland) ein, das es teilweise abänderte. Dieses Gericht stellte zunächst fest, dass es sich bei dem fraglichen Produkt um ein Biozidprodukt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 528/2012 handele und dass die beanstandeten Hinweise auf dem Produktetikett, u. a. die Angabe „hautfreundlich“, unter den Begriff „Werbung“ fielen, wie er in Art. 3 Abs. 1 Buchst. y der Verordnung Nr. 528/2012 definiert und in Art. 72 dieser Verordnung geregelt sei. |
17 |
Den in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 aufgezählten Angaben sei gemein, dass sie die Risiken des Biozidprodukts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich seiner Wirksamkeit mit einer pauschalen Angabe verharmlosten. Unter den Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung fielen daher Hinweise zu den Risiken des Biozidprodukts, die, da sie diese Risiken pauschal verharmlosten, den in dieser Bestimmung beispielhaft genannten Angaben gleichstünden. |
18 |
In diesem Zusammenhang kam das Oberlandesgericht zu dem Schluss, dass die Angabe „hautfreundlich“, die von dm für das betreffende Produkt verwendet worden sei, kein „ähnlicher Hinweis“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 sei. Diese Angabe relativiere nämlich das Risikopotenzial des Produkts, seine Wirkungen oder deren Schädigungseignung weder allgemein (wie „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „unschädlich“, „ungiftig“) noch wenigstens speziell hinsichtlich der Gesundheit von Mensch und Tier oder der Umwelt umfassend in pauschaler Weise. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Karlsruhe beschreibt der Hinweis „hautfreundlich“ – wenn auch insoweit sehr allgemein – die Wirkung des fraglichen Produkts auf ein spezifisches Organ, nämlich auf die Haut des Menschen. |
19 |
Die ZBUW legte gegen dieses Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe beim Bundesgerichtshof (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Revision ein. |
20 |
Das vorlegende Gericht ist zunächst der Ansicht, dass sich allein anhand des Wortlauts von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 die Frage, was unter „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung zu verstehen sei, nicht beantworten lasse. Der Zweck dieser Bestimmung sowie ihr Zusammenspiel mit Art. 72 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung sprächen jedoch für die Auffassung des Oberlandesgerichts Karlsruhe. |
21 |
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 genannten Angaben in der Werbung für Biozidprodukte verboten seien, und zwar unabhängig davon, ob sie hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend seien. Insoweit ist das vorlegende Gericht ebenso wie das Oberlandesgericht Karlsruhe der Ansicht, dass diese Verordnung nicht schlechthin Angaben in der Werbung für Biozidprodukte – unabhängig von ihrem am Irreführungsverbot im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung zu messenden Wahrheitsgehalt – verhindern wolle, die sich mit dem Vorhandensein und gegebenenfalls Ausmaß oder Fehlen bestimmter Gefahren befassten. |
22 |
So schließt nach Ansicht des vorlegenden Gerichts Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 erlaubte – insbesondere nicht irreführende – spezifische, auch substantiierte Angaben in der Werbung für Biozidprodukte nicht aus, die sich auf fehlende oder geringe Risiken oder gar günstige Wirkungen dieser Produkte in bestimmter Hinsicht bezögen. Pauschale Angaben hätten allenfalls einen geringen oder keinen Informationswert für Verbraucher. Dagegen lieferten substantiierte spezifische Hinweise dem Verbraucher unter Umständen wertvolle und nützliche Informationen. Ein solches Informationsinteresse der Verbraucher müsse in den von dieser Verordnung bezweckten spezifischen Ausgleich zwischen dem freien Verkehr von Biozidprodukten und dem Streben nach einem hohen Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt einbezogen werden. |
23 |
Das vorlegende Gericht ist daher der Ansicht, dass der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 dahin auszulegen sei, dass sämtliche den beispielhaften Angaben in der Bestimmung gemeinsamen Eigenschaften, also nicht nur deren verharmlosender Gehalt, sondern auch deren Pauschalität, maßgeblich seien. Somit handele es sich bei solchen Hinweisen, die sich nur auf spezifische Aspekte des Biozidprodukts bezögen, ohne denkbare schädliche Nebenwirkungen zu negieren, nicht um „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung. |
24 |
Zu einem Desinfektionsmittel wie dem fraglichen Produkt führt das vorlegende Gericht aus, dass der durchschnittlich informierte und verständige Durchschnittsverbraucher den Hinweis „hautfreundlich“ nur als eine Relativierung ihrer schädlichen Nebenwirkungen verstehe. Somit mache dieser Hinweis die Verbraucher nicht weniger kritisch in Bezug auf den Einsatz des fraglichen Produkts. Dieses Verkehrsverständnis werde durch die Kennzeichnungspflicht gemäß Art. 72 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 528/2012 gestützt. |
25 |
Schließlich ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass die Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 im vorliegenden Fall entscheidungserheblich sei, da die ZBUW ihre Klage auf Unterlassung der Werbung mit der Bezeichnung „hautfreundlich“ für das fragliche Produkt nicht auf einen Verstoß gegen das Irreführungsverbot in Art. 72 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung stützen könne. |
26 |
Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: Sind „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 nur solche in einer Werbung enthaltenen Hinweise, die genauso wie die in dieser Vorschrift ausdrücklich aufgezählten Begriffe die Eigenschaften des Biozids hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit in pauschaler Weise verharmlosen, oder fallen unter „ähnliche Hinweise“ alle Begriffe, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit einen den konkret aufgezählten Begriffen vergleichbaren verharmlosenden, nicht aber zwingend auch einen generalisierenden Gehalt wie diese aufweisen? |
Zur Vorlagefrage
27 |
Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasst, der – wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben – die Risiken eines Biozidprodukts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich seiner Wirksamkeit verharmlost, ohne jedoch allgemeinen Charakter zu haben. |
28 |
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift ihr Wortlaut, der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgten Ziele zu berücksichtigen (Urteil vom 5. März 2024, Défense Active des Amateurs d’Armes u. a., C‑234/21, EU:C:2024:200, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
29 |
Nach dem Wortlaut von Art. 72 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung Nr. 528/2012 darf in der Werbung für Biozidprodukte das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist. In Satz 2 dieses Absatzes wird klargestellt, dass die Werbung für ein Biozidprodukt auf keinen Fall die Angaben „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“, „unschädlich“, „natürlich“, „umweltfreundlich“, „tierfreundlich“ oder ähnliche Hinweise enthalten darf. |
30 |
Was insbesondere den Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 dieser Verordnung betrifft, ist festzustellen, dass die Begriffe „Hinweise“ und „ähnliche“ in Bezug auf die in diesem Satz aufgezählten Angaben verwendet werden, nämlich „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“, „unschädlich“, „natürlich“, „umweltfreundlich“ und „tierfreundlich“. |
31 |
Zum einen ergibt sich aus der Formulierung dieser Angaben, dass diese bereits ihrem Wortlaut nach aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften und der hiermit in Verbindung stehenden Formen der Verwendung gegen das Vorliegen unterschiedlicher von Biozidprodukten ausgehender Risiken für Mensch, Tier und Umwelt sprechen, wie sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit dem ersten Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt. |
32 |
Zum anderen ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 keinen Hinweis darauf enthält, dass das Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte nur auf allgemeine Angaben beschränkt wäre. |
33 |
Aus dem Wortlaut von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 ergibt sich also, dass die Gemeinsamkeit der in dieser Bestimmung aufgezählten Angaben darin besteht, dass sie die Risiken von Biozidprodukten für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlosen oder diese Risiken sogar negieren, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben. |
34 |
Zum Zusammenhang, in den sich Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 einfügt, ist zunächst festzustellen, dass, wie sich aus dem 61. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, ein wesentlicher Teil des mit dieser Verordnung eingeführten Systems insbesondere die wirksame Weitergabe von Informationen über die mit Biozidprodukten verbundenen Risiken ist. Somit muss die Werbung für Biozidprodukte es den Verbrauchern ermöglichen, ausreichende Informationen über die mit der Verwendung dieser Produkte verbundenen Risiken zu erhalten, um diese Risiken nicht zu unterschätzen und beim Kauf solcher Produkte eine sachkundige Auswahl zu treffen. |
35 |
Sodann ist festzustellen, dass Art. 72 Abs. 3 der Verordnung Nr. 528/2012 zusammen mit den in Art. 69 der Verordnung vorgesehenen Vorschriften für die Kennzeichnung von Biozidprodukten zu betrachten ist. Aus Art. 69 Abs. 1 in Verbindung mit dem 53. Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt sich nämlich, dass die Kennzeichnung solcher Produkte den Verbrauchern Informationen über diese liefert, die es ihnen ermöglichen, sachkundige Entscheidungen zu treffen, und die insbesondere die Gefahren- und Sicherheitshinweise gemäß der Richtlinie 1999/45 und der Verordnung Nr. 1272/2008 enthalten. |
36 |
Schließlich formuliert Art. 69 Abs. 2 der Verordnung Nr. 528/2012 mit nur einem Satz das Verbot, wonach das Etikett von Biozidprodukten hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit nicht irreführend sein darf und bestimmt, dass dieses Etikett keinesfalls die darin aufgeführten Angaben enthalten darf, die mit den in Art. 72 Abs. 3 dieser Verordnung aufgeführten, offensichtlich irreführenden Angaben übereinstimmen. |
37 |
Insoweit ist davon auszugehen, dass Art. 72 Abs. 3 der Verordnung Nr. 528/2012 eine allgemeine Regelung für die Werbung für Biozidprodukte schafft, die sich auf die Reaktion der Verbraucher auf die Wahrnehmung der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt stützt und unabhängig von den tatsächlichen Risiken und Eigenschaften dieser Produkte gilt. |
38 |
Die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 genannten Angaben einschließlich der „ähnlichen Hinweise“ stellen Beispiele für Angaben dar, die hinsichtlich dieser Risiken offensichtlich irreführend sind und für die daher das in Art. 72 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte gilt. |
39 |
Daraus folgt für die Erheblichkeit des angeführten allgemeinen Charakters der in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 dieser Verordnung genannten Angaben, dass sowohl ein allgemeiner als auch ein spezifischer Hinweis hinsichtlich der mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken offensichtlich irreführend sein kann, indem er die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlost oder diese Risiken sogar negiert, so dass ein solcher allgemeiner Charakter für die Feststellung, ob ein Hinweis, der sich auf ein Biozidprodukt bezieht, unter den Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 dieser Verordnung fällt, nicht von Belang sein kann. |
40 |
Was das mit der Verordnung Nr. 528/2012 verfolgte Ziel betrifft, soll diese, wie sich aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit dem dritten Erwägungsgrund dieser Verordnung ergibt, das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt verbessern, wobei die Bestimmungen dieser Verordnung auf dem Vorsorgeprinzip beruhen, mit dem der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt sichergestellt werden soll (Urteil vom 14. Oktober 2021, Biofa, C‑29/20, EU:C:2021:843, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
41 |
In diesem Zusammenhang ergibt sich aus Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 dieser Verordnung, dass die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen, um der Öffentlichkeit geeignete Informationen über Nutzen und Risiken von Bioziden bereitzustellen sowie über Möglichkeiten zu informieren, den Einsatz von Biozidprodukten zu minimieren. |
42 |
Der Unionsgesetzgeber wollte somit den freien Verkehr von Biozidprodukten und ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt in einen spezifischen Ausgleich bringen (Urteil vom 19. Januar 2023, CIHEF u. a., C‑147/21, EU:C:2023:31, Rn. 64). |
43 |
Zu diesem Zweck wollte der Unionsgesetzgeber mit Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 die Formulierung der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken in der Werbung für diese Erzeugnisse eingehend und umfassend regeln, da dieser Artikel einen obligatorischen Hinweis vorsieht, ausdrücklich bestimmte Angaben verbietet und ganz allgemein darauf abzielt, jede hinsichtlich der Risiken solcher Erzeugnisse irreführende Werbeaussage zu verbieten (Urteil vom 19. Januar 2023, CIHEF u. a., C‑147/21, EU:C:2023:31, Rn. 63). |
44 |
Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass, wie sich aus Rn. 33 des vorliegenden Urteils ergibt, Hinweise, die die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit weder verharmlosen noch ausschließen, grundsätzlich nicht unter das in Art. 72 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte fallen. |
45 |
Dagegen kann es nicht erlaubt sein, Werbeaussagen für Biozidprodukte zu verwenden, die sich auf das Fehlen von Risiken oder ein geringes Risiko oder auf bestimmte positive Wirkungen dieser Produkte beziehen, um diese Risiken zu verharmlosen oder sie sogar zu negieren. Wie die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen ausgeführt hat, können solche Angaben eine übermäßige, nachlässige oder fehlerhafte Verwendung dieser Produkte fördern, was dem Ziel zuwiderläuft, ihren Einsatz zu minimieren. |
46 |
Im vorliegenden Fall genügt in Bezug auf die in der Werbung für das betreffende Biozidprodukt verwendete Angabe „hautfreundlich“ der Hinweis, dass eine solche Angabe, die auf den ersten Blick eine positive Konnotation hat und die Erwähnung jeglicher Risiken vermeidet, geeignet ist, die schädlichen Nebenwirkungen dieses Produkts zu relativieren, oder, wie die griechische Regierung und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen vortragen, anzudeuten, dass dieses Produkt für die Haut sogar von Nutzen sein könnte. Eine solche Angabe ist irreführend im Sinne von Art. 72 Abs. 3 der Verordnung Nr. 528/2012, so dass das Verbot ihrer Verwendung in der Werbung für dieses Produkt gerechtfertigt ist. |
47 |
Diese Auslegung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich der in Art. 72 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung Nr. 528/2012 vorgesehene obligatorische Hinweis von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar darauf hinweisen muss, dass Biozidprodukte vorsichtig zu verwenden und vor Gebrauch stets das Etikett und die Produktinformationen zu lesen sind. Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt hat, könnte die Lektüre des Etiketts sogar die Aufmerksamkeit der Verbraucher von anderen Informationen auf dem Etikett ablenken. |
48 |
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 dahin auszulegen ist, dass der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasst, der – wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben – diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben. |
Kosten
49 |
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten |
ist dahin auszulegen, dass |
der Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasst, der – wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben – diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben. |
Arabadjiev von Danwitz Xuereb Kumin Ziemele Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. Juni 2024. Der Kanzler A. Calot Escobar Der Kammerpräsident A. Arabadjiev |
( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.