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Document 61996CJ0085

    Urteil des Gerichtshofes vom 12. Mai 1998.
    María Martínez Sala gegen Freistaat Bayern.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Bayerisches Landessozialgericht - Deutschland.
    Artikel 8a, 48 und 51 EG-Vertrag - Begriff des 'Arbeitnehmers' - Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Erziehungsgeld - Begriff der 'familienleistung' - Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 - Begriff der 'sozialen Vergünstigung' - Erfordernis des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung.
    Rechtssache C-85/96.

    Sammlung der Rechtsprechung 1998 I-02691

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1998:217

    61996J0085

    Urteil des Gerichtshofes vom 12. Mai 1998. - María Martínez Sala gegen Freistaat Bayern. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bayerisches Landessozialgericht - Deutschland. - Artikel 8a, 48 und 51 EG-Vertrag - Begriff des 'Arbeitnehmers' - Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 - Erziehungsgeld - Begriff der 'familienleistung' - Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 - Begriff der 'sozialen Vergünstigung' - Erfordernis des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis oder -berechtigung. - Rechtssache C-85/96.

    Sammlung der Rechtsprechung 1998 Seite I-02691


    Leitsätze
    Entscheidungsgründe
    Kostenentscheidung
    Tenor

    Schlüsselwörter


    1 Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer und -selbständigen - Gemeinschaftsregelung - Sachlicher Geltungsbereich - Erziehungsgeld, das dem Ausgleich von Familienlasten dient und aufgrund objektiver, gesetzlich festgelegter Voraussetzungen gewährt wird - Einbeziehung

    (Verordnung Nr. 1408/71 des Rates, Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h)

    2 Freizuegigkeit - Arbeitnehmer - Gleichbehandlung - Soziale Vergünstigungen - Begriff - Erziehungsgeld, das dem Ausgleich von Familienlasten dient und aufgrund objektiver, gesetzlich festgelegter Voraussetzungen gewährt wird - Einbeziehung

    (Verordnung Nr. 1612/68 des Rates, Artikel 7 Absatz 2)

    3 Freizuegigkeit - Arbeitnehmer - Arbeitnehmerbegriff - Vom jeweiligen Anwendungsbereich abhängige Bedeutung - Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 48 des Vertrages und der Verordnung Nr. 1612/68 - Begriff - Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 - Begriff

    (EG-Vertrag, Artikel 48 und 51; Verordnungen des Rates Nr. 1612/68 und Nr. 1408/71, Artikel 1 Buchstabe a und Artikel 2)

    4 Unionsbürgerschaft - Bestimmungen des Vertrages - Persönlicher Anwendungsbereich - Angehöriger eines Mitgliedstaats, der sich rechtmässig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält - Einbeziehung - Auswirkung - Genuß der Rechte, die mit dem Status eines Unionsbürgers verknüpft sind

    (EG-Vertrag, Artikel 6 und 8 Absatz 2)

    5 Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Gleichbehandlung - Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit - Erziehungsgeld - Anspruchsvoraussetzungen - Nationale Regelung, nach der allein Angehörige anderer Mitgliedstaaten eine Aufenthaltserlaubnis vorlegen müssen - Unzulässigkeit

    (EG-Vertrag, Artikel 6)

    Leitsätze


    6 Eine Leistung wie Erziehungsgeld, die bei Erfuellung bestimmter objektiver Voraussetzungen ohne weiteres unter Ausschluß jedes Ermessens gewährt wird, ohne daß im Einzelfall die persönliche Bedürftigkeit des Empfängers festgestellt werden müsste, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient, fällt als Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts.

    7 Eine Leistung wie Erziehungsgeld, die bei Erfuellung bestimmter objektiver Voraussetzungen ohne weiteres unter Ausschluß jedes Ermessens gewährt wird, ohne daß im Einzelfall die persönliche Bedürftigkeit des Empfängers festgestellt werden müsste, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient, fällt als soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts.

    Der Begriff der sozialen Vergünstigung deckt nämlich alle Vergünstigungen, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern.

    8 Im Gemeinschaftsrecht gibt es keinen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff, sondern die Bedeutung dieses Begriffes hängt vom jeweiligen Anwendungsbereich ab. So stimmt der in Artikel 48 des Vertrages und in der Verordnung Nr. 1612/68 verwendete Arbeitnehmerbegriff nicht notwendig mit dem überein, der im Bereich von Artikel 51 des Vertrages und der Verordnung Nr. 1408/71 gilt.

    Im Sinne von Artikel 48 des Vertrages und der Verordnung Nr. 1612/68 ist als Arbeitnehmer anzusehen, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.

    Dagegen kommt die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 jeder Person zu, die auch nur gegen ein einziges Risiko bei einem der in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses pflichtversichert oder freiwillig versichert ist.

    9 Ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der sich rechtmässig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, fällt in den persönlichen Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft und kann sich auf die im Vertrag vorgesehenen Rechte berufen, die Artikel 8 Absatz 2 des Vertrages an den Status eines Unionsbürgers knüpft, darunter das in Artikel 6 des Vertrages festgelegte Recht, im sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden.

    10 Das Gemeinschaftsrecht verbietet einem Mitgliedstaat, die Gewährung von Erziehungsgeld an Angehörige anderer Mitgliedstaaten, denen der Aufenthalt in seinem Gebiet erlaubt ist, von der Vorlage einer von der inländischen Verwaltung ausgestellten förmlichen Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, während Inländer lediglich einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat haben müssen.

    Für die Gewährung einer solchen Leistung kann der Aufenthaltserlaubnis nämlich keine konstitutive Bedeutung zukommen, wenn die Aufenthaltserlaubnis hinsichtlich der Anerkennung des Aufenthaltsrechts nur deklaratorische Wirkung und Beweisfunktion hat.

    Entscheidungsgründe


    1 Das Bayerische Landessozialgericht hat mit Beschluß vom 2. Februar 1996, der am 20. März 1996 beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 1, 2, 3 Absatz 1 und 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom 30. Oktober 1989 (ABl. L 331, S. 1) geänderten Fassung sowie nach der Auslegung von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

    2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Martínez Sala (im folgenden: Klägerin) und dem Freistaat Bayern über die Weigerung des Freistaats, ihr für ihr Kind Erziehungsgeld zu gewähren.

    Gemeinschaftsrecht

    3 Die Verordnung Nr. 1612/68 sieht in Artikel 7 Absatz 2 vor, daß der Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen genießt wie die inländischen Arbeitnehmer.

    4 Gemäß Artikel 1 Buchstabe a Ziffer i der Verordnung Nr. 1408/71 bezeichnet der Ausdruck "Arbeitnehmer" für die Anwendung dieser Verordnung jede Person, "die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist". Artikel 2 sieht vor, daß die Verordnung "für Arbeitnehmer und Selbständige [gilt], für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten".

    5 Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet: "Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts anderes vorsehen."

    6 Nach ihrem Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h gilt die Verordnung Nr. 1408/71 "für alle Rechtsvorschriften ... die Familienleistungen [betreffen]". Nach Artikel 1 Buchstabe u Ziffer i sind "$Familienleistungen`: alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h) genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburtsbeihilfen".

    7 In Anhang I Teil I "Arbeitnehmer und/oder Selbständige (Artikel 1 Buchstabe a) Ziffern ii) und iii) der Verordnung)" Buchstabe C ("Deutschland") der Verordnung Nr. 1408/71 heisst es:

    "Ist ein deutscher Träger der zuständige Träger für die Gewährung der Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung, so gilt im Sinne des Artikels 1 Buchstabe a) Ziffer ii) der Verordnung

    a) als Arbeitnehmer, wer für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist oder im Anschluß an diese Versicherung Krankengeld oder entsprechende Leistungen erhält;

    b) als Selbständiger, wer eine Tätigkeit als Selbständiger ausübt und

    - in einer Versicherung der selbständig Erwerbstätigen für den Fall des Alters versicherungs- oder beitragspflichtig ist oder

    - in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist."

    Die deutsche Regelung und das Europäische Fürsorgeabkommen

    8 Das deutsche Erziehungsgeld ist eine beitragsunabhängige Leistung, die zu einem Bündel familienpolitischer Maßnahmen gehört und nach dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub vom 6. Dezember 1985 (BGBl. I S. 2154; nachstehend: BErzGG) gewährt wird.

    9 Nach § 1 Absatz 1 BErzGG in der Fassung vom 25. Juli 1989 (BGBl. I S. 1550), geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2823), hat Anspruch auf Erziehungsgeld, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, 2. mit einem Kind, für das ihm die Personensorge zusteht, in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.

    10 § 1 Absatz 1a BErzGG bestimmt: "Für den Anspruch eines Ausländers ist Voraussetzung, daß er im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis ist." Das vorlegende Gericht weist darauf hin, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts "im Besitz" einer Aufenthaltsberechtigung nur der sei, dem die förmliche Feststellung des Aufenthaltsrechts durch die Ausländerbehörde bereits bei Beginn des Leistungszeitraums vorliege; die blosse Bestätigung, daß ein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis gestellt worden und der Aufenthalt somit erlaubt sei, genüge nicht für die Annahme, daß der Betreffende im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung im Sinne der genannten Bestimmung sei.

    11 Das Europäische Fürsorgeabkommen des Europarates vom 11. Dezember 1953 ist in Deutschland seit 1956 und in Spanien seit 1983 in Kraft; Artikel 1 dieses Abkommens lautet: "Jeder der Vertragschließenden verpflichtet sich, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge ... zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind."

    12 Artikel 6 Buchstabe a dieses Abkommens bestimmt: "Ein Vertragschließender darf einen Staatsangehörigen eines anderen Vertragschließenden, der in seinem Gebiet erlaubt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nicht allein aus dem Grunde der Hilfsbedürftigkeit rückschaffen."

    Der Ausgangsrechtsstreit

    13 Die am 8. Februar 1956 geborene Klägerin besitzt die spanische Staatsangehörigkeit und wohnt seit Mai 1968 in Deutschland. Dort übte sie von 1976 an mit Unterbrechungen verschiedene Tätigkeiten als Arbeitnehmerin aus, zuletzt 1986 und danach noch einmal vom 12. September 1989 bis zum 24. Oktober 1989. Von da an erhielt sie Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz von der Stadt Nürnberg und dem Landratsamt Nürnberger Land.

    14 Die Klägerin erhielt von den zuständigen Behörden Aufenthaltserlaubnisse ohne grössere Unterbrechungen bis zum 19. Mai 1984. Im Anschluß daran erhielt sie lediglich Bescheinigungen, wonach die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis beantragt sei. Das Bayerische Landessozialgericht weist in seinem Vorlagebeschluß darauf hin, daß das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953 eine Ausweisung der Betroffenen verbiete. Am 19. April 1994 wurde ihr eine Aufenthaltserlaubnis bis zum 18. April 1995 erteilt, die am 20. April 1995 um ein weiteres Jahr verlängert wurde.

    15 Im Januar 1993, also zu der Zeit, zu der sie keine Aufenthaltserlaubnis besaß, beantragte die Klägerin beim Freistaat Bayern Erziehungsgeld für ihr in jenem Monat geborenes Kind.

    16 Mit Bescheid vom 21. Januar 1993 lehnte der Freistaat Bayern diesen Antrag ab, die Klägerin sei weder im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit noch einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis.

    17 Mit Urteil vom 21. März 1994 wies das Sozialgericht Nürnberg die am 13. Juli 1993 gegen diesen Bescheid erhobene Klage mit der Begründung ab, die Klägerin sei nicht im Besitz eines Aufenthaltstitels gewesen.

    18 Am 8. Juni 1994 legte die Klägerin gegen dieses Urteil Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht ein.

    19 Da nicht ausgeschlossen sei, daß sich die Betroffene auf die Verordnungen Nrn. 1408/71 und 1612/68 berufen könnte, um einen Anspruch auf Erziehungsgeld herzuleiten, hat das Bayerische Landessozialgericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

    1. War eine in Deutschland wohnende spanische Staatsangehörige, die mit verschiedenen Unterbrechungen bis 1986 als Arbeitnehmerin beschäftigt war und später, abgesehen von einer kurzen Beschäftigung im Jahre 1989, Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezog, im Jahre 1993 noch Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 oder Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 2 in Verbindung mit Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71?

    2. Handelt es sich bei dem Erziehungsgeld nach dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BErzGG) um eine Familienleistung im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71, auf die in Deutschland wohnende spanische Staatsangehörige nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 Anspruch wie Inländer haben?

    3. Ist das nach dem BErzGG zu gewährende Erziehungsgeld eine soziale Vergünstigung im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68?

    4. Steht es im Einklang mit dem Recht der Europäischen Union, wenn das BErzGG für die Gewährung von Erziehungsgeld an Staatsangehörige eines Mitgliedstaats den Besitz einer förmlichen Aufenthaltsgenehmigung verlangt, obwohl diese sich erlaubt in Deutschland aufhalten?

    20 Zunächst sind die zweite und die dritte Frage, anschließend die erste und schließlich die vierte Frage zu beantworten.

    Zur zweiten und zur dritten Frage

    21 Das vorlegende Gericht möchte mit der zweiten und der dritten Frage wissen, ob eine Leistung wie das Erziehungsgeld nach dem BErzGG, die bei Erfuellung bestimmter objektiver Voraussetzungen ohne weiteres unter Ausschluß jedes Ermessens gewährt wird, ohne daß im Einzelfall die persönliche Bedürftigkeit des Empfängers festgestellt werden müsste, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient, als Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 oder als soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt.

    22 Im Urteil vom 10. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-245/94 und C-312/94 (Höver und Zachow, Slg. 1996, I-4895) hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß eine Leistung wie das Erziehungsgeld nach dem BErzGG, die bei Erfuellung bestimmter objektiver Voraussetzungen ohne weiteres unter Ausschluß jedes Ermessens gewährt wird, ohne daß im Einzelfall die persönliche Bedürftigkeit des Empfängers festgestellt werden müsste, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient, einer Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 gleichzustellen ist.

    23 Die deutsche Regierung vertritt die Meinung, der Gerichtshof solle diese Auslegung überdenken, und verweist in ihren schriftlichen Erklärungen auf ihre Erklärungen in der vorgenannten Rechtssache; in der Sitzung hat sie zudem auf ihre Erklärungen in der Rechtssache C-16/96 (Mille-Wilsmann) verwiesen. Diese Rechtssache wurde mit Beschluß vom 14. April 1997 im Register gestrichen, nachdem das Bundessozialgericht seinen Vorlagebeschluß im Anschluß an das Urteil Höver und Zachow aufgehoben hatte.

    24 Da die deutsche Regierung nicht weiter ausgeführt hat, in welchen Punkten und aus welchen Gründen der Gerichtshof von seinem Urteil Höver und Zachow abrücken soll, ist daran festzuhalten, daß eine Leistung wie das Erziehungsgeld nach dem BErzGG, die bei Erfuellung bestimmter objektiver Voraussetzungen ohne weiteres unter Ausschluß jedes Ermessens gewährt wird, ohne daß im Einzelfall die persönliche Bedürftigkeit des Empfängers festgestellt werden müsste, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient, eine Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 darstellt.

    25 Der Begriff der sozialen Vergünstigung, auf den Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 verweist, deckt nach ständiger Rechtsprechung alle Vergünstigungen, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern (Urteil vom 27. März 1985 in der Rechtssache 249/83, Höckx, Slg. 1985, 973, Randnr. 20).

    26 Das streitige Erziehungsgeld ist eine Vergünstigung, die unter anderem Arbeitnehmern zuerkannt wird, die nicht voll erwerbstätig sind. Sie stellt demnach eine soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 dar.

    27 Da die Verordnung Nr. 1612/68 für die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer allgemeine Bedeutung hat, kann Artikel 7 Absatz 2 dieser Verordnung zudem auf soziale Vergünstigungen Anwendung finden, die gleichzeitig in den besonderen Geltungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallen (Urteil vom 10. März 1993 in der Rechtssache C-111/91, Kommission/Luxemburg, Slg. 1993, I-817, Randnr. 21).

    28 Auf die zweite und die dritte Frage ist daher zu antworten, daß eine Leistung wie das Erziehungsgeld nach dem BErzGG, die bei Erfuellung bestimmter objektiver Voraussetzungen ohne weiteres unter Ausschluß jedes Ermessens gewährt wird, ohne daß im Einzelfall die persönliche Bedürftigkeit des Empfängers festgestellt werden müsste, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient, als Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung Nr. 1408/71 und als soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1612/68 in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt.

    Zur ersten Frage

    29 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat wohnt, wo er als Arbeitnehmer beschäftigt war und wo er anschließend Sozialhilfe bezog, die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 oder der Verordnung Nr. 1408/71 zukommt.

    30 Zunächst ist daran zu erinnern, daß nach dem BErzGG die Gewährung von Erziehungsgeld insbesondere voraussetzt, daß der Betroffene keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Diese Voraussetzung schränkt den Kreis der Personen ein, die Erziehungsgeld erhalten und gleichzeitig als Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts qualifiziert werden können.

    31 Sodann ist darauf hinzuweisen, daß es im Gemeinschaftsrecht keinen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff gibt, sondern daß die Bedeutung dieses Begriffes vom jeweiligen Anwendungsbereich abhängt. So stimmt der in Artikel 48 EG-Vertrag und in der Verordnung Nr. 1612/68 verwendete Arbeitnehmerbegriff nicht notwendig mit dem überein, der im Bereich von Artikel 51 EG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1408/71 gilt.

    Die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Artikels 48 des Vertrages und der Verordnung Nr. 1612/68

    32 Im Rahmen des Artikels 48 des Vertrages und der Verordnung Nr. 1612/68 ist als Arbeitnehmer anzusehen, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verliert der Betroffene grundsätzlich die Arbeitnehmereigenschaft, wobei jedoch zum einen diese Eigenschaft nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestimmte Folgewirkungen haben kann und zum anderen derjenige, der tatsächlich eine Arbeit sucht, ebenfalls als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist (vgl. Urteile vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 66/85, Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Randnr. 17, vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Randnrn. 31 bis 36, und vom 26. Februar 1991 in der Rechtssache C-292/89, Antonissen, Slg. 1991, I-745, Randnrn. 12 und 13).

    33 Wenn zudem ein Arbeitnehmer, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt gewesen ist und dort verbleibt, nachdem ihm eine Altersrente bewilligt worden ist, so verlieren seine Verwandten in absteigender Linie den sich aus Artikel 7 der Verordnung Nr. 1612/68 ergebenden Anspruch auf Gleichbehandlung im Hinblick auf eine in den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehene Sozialleistung, wenn sie das 21. Lebensjahr vollendet haben, ihnen von ihm kein Unterhalt mehr gewährt wird und sie nicht die Arbeitnehmereigenschaft haben (Urteil vom 18. Juni 1987 in der Rechtssache 316/85, Lebon, Slg. 1987, 2811).

    34 Im vorliegenden Fall kann der Gerichtshof mangels ausreichender Angaben des vorlegenden Gerichts nicht feststellen, ob nach den dargelegten Kriterien eine Person in der Lage der Klägerin Arbeitnehmer im Sinne des Artikels 48 des Vertrages und der Verordnung Nr. 1612/68 ist, etwa weil sie auf Arbeitssuche ist. Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, dies zu prüfen.

    Die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71

    35 Nach ihrem Artikel 2 gilt die Verordnung Nr. 1408/71 für Arbeitnehmer und Selbständige, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige.

    36 Somit besitzt eine Person die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71, sofern sie auch nur gegen ein einziges Risiko bei einem der in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses pflichtversichert oder freiwillig versichert ist (vgl. Urteile vom 31. Mai 1979 in der Rechtssache 182/78, Pierik II, Slg. 1979, 1977, Randnrn. 4 und 7, und vom 9. Juli 1987 in den Rechtssachen 82/86 und 103/86, Laborero und Sabato, Slg. 1987, 3401, Randnr. 17).

    37 Die Kommission vertritt daher die Meinung, daß die Klägerin allein deshalb als Arbeitnehmerin im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen sei, weil sie in Deutschland in der Rentenversicherung pflichtversichert gewesen sei oder weil die Sozialhilfebehörde sie und ihre Kinder krankenversichert und die entsprechenden Beiträge übernommen habe.

    38 Auch die französische Regierung hat, in der Sitzung, vorgetragen, daß die Klägerin des Ausgangsverfahrens als Arbeitnehmerin im Sinne des Gemeinschaftsrechts im Bereich der sozialen Sicherheit angesehen werden könne, da sie auf die eine oder andere Weise einem deutschen Rentensystem angeschlossen gewesen sei und es vielleicht noch immer sei.

    39 Die deutsche Regierung weist jedoch darauf hin, daß nach dem Wortlaut des Anhangs I Teil I Buchstabe C ("Deutschland") der Verordnung Nr. 1408/71 im Bereich der Familienleistungen, zu denen das in Rede stehende Erziehungsgeld gehöre, Arbeitnehmer nur sein könne, wer für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert sei oder im Anschluß an diese Versicherung Krankengeld oder entsprechende Leistungen erhalte.

    40 In der Sitzung hat die Kommission ausserdem vorgetragen, daß die These, wonach die Versicherung gegen ein einziges der in der Verordnung Nr. 1408/71 genannten Risiken ausreiche, um einer Person die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne dieser Verordnung zu verleihen, im Urteil vom 30. Januar 1997 in den Rechtssachen C-4/95 und C-5/95 (Stöber und Piosa Pereira, Slg. 1997, I-511) in Frage gestellt worden sei.

    41 In Randnummer 36 des Urteils Stöber und Piosa Pereira hat der Gerichtshof insoweit ausgeführt, daß nichts die Mitgliedstaaten daran hindert, die Gewährung von Familienleistungen auf Personen zu beschränken, die einer durch ein besonderes Versicherungssystem, in jenem Fall dem Altersrentensystem für Selbständige, gebildeten Solidargemeinschaft angehören.

    42 Somit kann gemäß Anhang I Teil I Buchstabe C ("Deutschland"), auf den Artikel 1 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 verweist, für die Gewährung von Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 der Verordnung Nr. 1408/71 als Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a Ziffer ii dieser Verordnung nur angesehen werden, wer für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert ist oder im Anschluß an diese Versicherung Krankengeld oder entsprechende Leistungen erhält (Urteil vom 12. Juni 1997 in der Rechtssache C-266/95, Merino García, Slg. 1997, I-3279).

    43 Wie aus dem Wortlaut dieser Bestimmung eindeutig hervorgeht, hat Anhang I Teil I Buchstabe C den Arbeitnehmerbegriff im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a Ziffer ii der Verordnung Nr. 1408/71 allein für die Gewährung von Familienleistungen gemäß Titel III Kapitel 7 dieser Verordnung präzisiert oder eingeschränkt.

    44 Da der Fall einer Person wie der Klägerin von keiner Bestimmung des Titels III Kapitel 7 erfasst wird, kann die in Anhang I Teil I Buchstabe C vorgesehene Einschränkung auf sie nicht angewandt werden, so daß ihre Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 allein anhand Artikel 1 Buchstabe a Ziffer ii dieser Verordnung zu bestimmen ist. Diese Person kann daher nur dann in den Genuß von Rechten gelangen, die an diese Eigenschaft anknüpfen, wenn feststeht, daß sie bei einem der in Artikel 1 Buchstabe a der Verordnung Nr. 1408/71 genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit, und sei es auch nur gegen ein einziges Risiko, pflichtversichert oder freiwillig versichert ist.

    45 Da die Angaben des vorlegenden Gerichts nicht ausreichen, um dem Gerichtshof die Berücksichtigung aller im Ausgangsverfahren eventuell maßgebender Umstände zu ermöglichen, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob eine Person wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens in den persönlichen Anwendungsbereich des Artikels 48 des Vertrages und der Verordnung Nr. 1612/68 oder der Verordnung Nr. 1408/71 fällt.

    Zur vierten Frage

    46 Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Gemeinschaftsrecht es einem Mitgliedstaat verbietet, die Gewährung von Erziehungsgeld an Angehörige anderer Mitgliedstaaten von der Vorlage einer förmlichen Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen.

    47 Dieser Frage liegt die Annahme zugrunde, daß sich die Klägerin erlaubt in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhält.

    48 Nach dem BErzGG hat Anspruch auf Erziehungsgeld, wer einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat und die übrigen materiellen Voraussetzungen für die Gewährung dieser Leistung erfuellt.

    49 Der Angehörige eines anderen Mitgliedstaats, der sich erlaubt in Deutschland aufhält, erfuellt die erstgenannte Voraussetzung. Er befindet sich insoweit in der gleichen Lage wie ein Deutscher, der sich in Deutschland aufhält.

    50 Nach dem BErzGG setzt jedoch anders als bei Deutschen der Anspruch "eines Ausländers", demnach auch eines Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, auf die streitige Leistung voraus, daß dieser eine bestimmte Art von Aufenthaltstitel besitzt. Unstreitig genügt die blosse Bestätigung, daß ein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis gestellt worden sei, nicht, auch wenn durch eine solche Bestätigung bescheinigt wird, daß der Aufenthalt rechtmässig ist.

    51 Das vorlegende Gericht weist ferner darauf hin, daß die "blosse verwaltungstechnische Verzögerung [der Erteilung solcher Aufenthaltserlaubnisse] zu materiellen Rechtseinbussen bei EU-Bürgern führen" könne.

    52 Das Gemeinschaftsrecht verbietet zwar einem Mitgliedstaat nicht, von den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die sich rechtmässig in seinem Hoheitsgebiet aufhalten, zu verlangen, daß sie ständig ein Dokument bei sich tragen, das ihr Aufenthaltsrecht bescheinigt, soweit die Inländer eine entsprechende Verpflichtung hinsichtlich ihres Personalausweises trifft (vgl. Urteile vom 27. April 1989 in der Rechtssache 321/87, Kommission/Belgien, Slg. 1989, 997, Randnr. 12, und vom 30. April 1998 in der Rechtssache C-24/97, Kommission/Deutschland, Slg. 1998, I-0000, Randnr. 13); dies gilt jedoch nicht notwendig auch für den Fall, daß ein Mitgliedstaat den Anspruch der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auf Erziehungsgeld davon abhängig macht, daß sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind, die von der Verwaltung auszustellen ist.

    53 Hinsichtlich der Anerkennung des Aufenthaltsrechts kann die Aufenthaltserlaubnis nämlich nur deklaratorische Wirkung und Beweisfunktion haben (vgl. Urteil vom 8. April 1976 in der Rechtssache 48/75, Royer, Slg. 1976, 497, Randnr. 50). Aus den Akten ergibt sich jedoch, daß der Aufenthaltserlaubnis für die Gewährung der streitigen Leistung konstitutive Bedeutung zukommt.

    54 Verlangt demnach ein Mitgliedstaat von dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der eine Leistung wie das streitige Erziehungsgeld erhalten möchte, die Vorlage eines von seiner eigenen Verwaltung ausgestellten Dokuments mit konstitutiver Wirkung, während Inländer kein derartiges Dokument benötigen, so läuft dies auf eine Ungleichbehandlung hinaus.

    55 Im Anwendungsbereich des Vertrages stellt eine solche Ungleichbehandlung, wenn sie nicht gerechtfertigt ist, eine nach Artikel 6 EG-Vertrag verbotene Diskriminierung dar.

    56 Die deutsche Regierung hat in der Sitzung zwar eingeräumt, daß die vom BErzGG aufgestellte Voraussetzung eine Ungleichbehandlung im Sinne von Artikel 6 des Vertrages darstelle, sie hat jedoch geltend gemacht, der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens falle weder in den sachlichen noch in den persönlichen Anwendungsbereich des Vertrages, so daß sich die Klägerin nicht auf diese Bestimmung berufen könne.

    57 Was den sachlichen Anwendungsbereich angeht, so ist auf die Antworten auf die erste, die zweite und die dritte Frage zu verweisen, wonach das im Ausgangsverfahren streitige Erziehungsgeld zweifelsfrei in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt.

    58 Sollte in bezug auf den persönlichen Anwendungsbereich das vorlegende Gericht anhand der in der Antwort auf die erste Vorlagefrage genannten Kriterien zu der Auffassung gelangen, daß die Klägerin Arbeitnehmerin im Sinne des Artikels 48 des Vertrages und der Verordnung Nr. 1612/68 oder im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 ist, wäre die streitige Ungleichbehandlung mit den Artikeln 48 und 51 des Vertrages unvereinbar.

    59 Für den Fall, daß die Klägerin nicht als Arbeitnehmerin anzusehen ist, trägt die Kommission vor, daß ihr jedenfalls seit dem 1. November 1993, dem Tag des Inkrafttretens des Vertrages über die Europäische Union, ein Aufenthaltsrecht aus Artikel 8a EG-Vertrag zustehe; dieser Artikel lautet: "Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten." Nach Artikel 8 Absatz 1 EG-Vertrag ist Unionsbürger, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt.

    60 In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens braucht jedoch nicht geprüft zu werden, ob die Betroffene ein neues Aufenthaltsrecht im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats aus Artikel 8a des Vertrages herleiten kann, da sie sich dort bereits erlaubterweise aufhielt, obwohl sie kein Aufenthaltspapier erhalten hatte.

    61 Als Angehörige eines Mitgliedstaats, die sich rechtmässig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, fällt die Klägerin in den persönlichen Anwendungsbereich der Vertragsbestimmungen über die Unionsbürgerschaft.

    62 Artikel 8 Absatz 2 des Vertrages knüpft an den Status eines Unionsbürgers die im Vertrag vorgesehenen Pflichten und Rechte, darunter das in Artikel 6 des Vertrages festgelegte Recht, im sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden.

    63 Folglich kann sich ein Unionsbürger, der sich wie die Klägerin rechtmässig im Gebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, in allen vom sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts erfassten Fällen auf Artikel 6 des Vertrages berufen, und zwar auch in dem Fall, daß dieser Staat die Gewährung einer Leistung, die jeder Person zusteht, die sich rechtmässig in diesem Staat aufhält, verzögert oder verweigert, weil diese Person nicht über ein Dokument verfügt, das Angehörige dieses Staates nicht benötigen und dessen Ausstellung von der Verwaltung dieses Staates verzögert oder verweigert werden kann.

    64 Die fragliche Ungleichbehandlung fällt somit in den Anwendungsbereich des Vertrages und kann nicht als gerechtfertigt angesehen werden. Es handelt sich nämlich um eine Diskriminierung der Klägerin unmittelbar aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Dem Gerichtshof ist nichts vorgetragen worden, was eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen würde.

    65 Auf die vierte Frage ist daher zu antworten, daß das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat verbietet, die Gewährung von Erziehungsgeld an Angehörige anderer Mitgliedstaaten, denen der Aufenthalt in seinem Gebiet erlaubt ist, von der Vorlage einer von der inländischen Verwaltung ausgestellten förmlichen Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, während Inländer lediglich einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat haben müssen.

    Kostenentscheidung


    Kosten

    66 Die Auslagen der deutschen, der spanischen und der französischen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

    Tenor


    Aus diesen Gründen

    hat

    DER GERICHTSHOF

    auf die ihm vom Bayerischen Landessozialgericht mit Beschluß vom 2. Februar 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

    1. Eine Leistung wie das Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz, die bei Erfuellung bestimmter objektiver Voraussetzungen ohne weiteres unter Ausschluß jedes Ermessens gewährt wird, ohne daß im Einzelfall die persönliche Bedürftigkeit des Empfängers festgestellt werden müsste, und die dem Ausgleich von Familienlasten dient, fällt als Familienleistung im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 geänderten und aktualisierten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 3427/89 des Rates vom 30. Oktober 1989 geänderten Fassung sowie als soziale Vergünstigung im Sinne von Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft in den sachlichen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts.

    2. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob eine Person wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens in den persönlichen Anwendungsbereich des Artikels 48 EG-Vertrag und der Verordnung Nr. 1612/68 oder der Verordnung Nr. 1408/71 fällt.

    3. Das Gemeinschaftsrecht verbietet einem Mitgliedstaat, die Gewährung von Erziehungsgeld an Angehörige anderer Mitgliedstaaten, denen der Aufenthalt in seinem Gebiet erlaubt ist, von der Vorlage einer von der inländischen Verwaltung ausgestellten förmlichen Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, während Inländer lediglich einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat haben müssen.

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