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Judgment of the Court (First Chamber) of 11 January 2005.#Stadt Halle and RPL Recyclingpark Lochau GmbH v Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna.#Reference for a preliminary ruling: Oberlandesgericht Naumburg - Germany.#Directive 92/50/EEC - Public service contracts - Award with no public call for tenders - Award of the contract to a semi-public undertaking - Judicial protection - Directive 89/665/EEC.#Case C-26/03.
Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 11. Januar 2005. Stadt Halle und RPL Recyclingpark Lochau GmbH gegen Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna. Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Naumburg - Deutschland. Richtlinie 92/50/EWG - Öffentliche Dienstleistungsaufträge - Vergabe ohne öffentliche Ausschreibung - Vergabe des Auftrags an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen - Gerichtlicher Rechtsschutz - Richtlinie 89/665/EWG. Rechtssache C-26/03.
Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 11. Januar 2005. Stadt Halle und RPL Recyclingpark Lochau GmbH gegen Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna. Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Naumburg - Deutschland. Richtlinie 92/50/EWG - Öffentliche Dienstleistungsaufträge - Vergabe ohne öffentliche Ausschreibung - Vergabe des Auftrags an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen - Gerichtlicher Rechtsschutz - Richtlinie 89/665/EWG. Rechtssache C-26/03.
Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna
(Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Naumburg)
„Richtlinie 92/50/EWG – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Vergabe ohne öffentliche Ausschreibung – Vergabe des Auftrags an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen – Gerichtlicher Rechtsschutz – Richtlinie 89/665/EWG“
Schlussanträge der Generalanwältin C. Stix-Hackl vom 23. September 2004
Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 11. Januar 2005
Leitsätze des Urteils
1. Rechtsangleichung – Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge – Richtlinie 89/665 –
Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ein Nachprüfungsverfahren vorzusehen – Anfechtbare Entscheidungen – Begriff – Entscheidungen
außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens und im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung – Einbeziehung – Zugang zu den
Nachprüfungsverfahren – Voraussetzungen – Verfahren, das ein bestimmtes Stadium erreicht haben muss – Unzulässigkeit
(Richtlinien 89/665 des Rates, Artikel 1 Absatz 1, und 92/50 des Rates)
2. Rechtsangleichung – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge – Richtlinie 92/50 – Geltungsbereich – Öffentlicher
Auftraggeber, der mit einem oder mehreren privaten Unternehmen am Kapital einer Gesellschaft beteiligt ist, die sich rechtlich
von ihm unterscheidet – Vertrag, den der öffentliche Auftraggeber mit der betreffenden Gesellschaft schließt – Einbeziehung
(Richtlinie 92/50 des Rates)
1. Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren
im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Fassung der Richtlinie 92/50 über die Koordinierung der
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, diese in der Fassung der Richtlinie 97/52, ist dahin auszulegen,
dass sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit einer wirksamen und raschen Nachprüfung der Entscheidungen
der öffentlichen Auftraggeber sicherzustellen, auch auf Entscheidungen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens und im
Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung erstreckt, insbesondere auf die Entscheidung über die Frage, ob ein bestimmter Auftrag
in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 in ihrer geänderten Fassung fällt. Diese Nachprüfungsmöglichkeit
steht jedem, der ein Interesse an dem fraglichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein
Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, von dem Zeitpunkt an zur Verfügung, zu dem der Wille des öffentlichen Auftraggebers,
der Rechtswirkungen entfalten kann, geäußert wird. Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Nachprüfungsmöglichkeit nicht davon
abhängig machen, dass das fragliche Vergabeverfahren formal ein bestimmtes Stadium erreicht hat.
(vgl. Randnr. 41, Tenor 1)
2. Beabsichtigt ein öffentlicher Auftraggeber, mit einer Gesellschaft, die sich rechtlich von ihm unterscheidet und an deren
Kapital er mit einem oder mehreren privaten Unternehmen beteiligt ist, einen entgeltlichen Vertrag über Dienstleistungen zu
schließen, die in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge in der Fassung der Richtlinie 97/52 fallen, so sind die in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren
zur Vergabe öffentlicher Aufträge stets anzuwenden, auch wenn es sich um eine mehrheitliche Beteiligung handelt.
(vgl. Randnr. 52, Tenor 2)
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer) 11. Januar 2005(1)
In der Rechtssache C-26/03betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG,eingereicht vom Oberlandesgericht Naumburg (Deutschland) mit
Entscheidung vom 8. Januar 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Januar 2003, in dem Verfahren
Stadt Halle,RPL Recyclingpark Lochau GmbH gegen Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer),
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues, E. Juhász (Berichterstatter), M. Ilešič
und E. Levits,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl, Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,unter Berücksichtigung der Erklärungen
–
der Stadt Halle, vertreten durch Rechtsanwältin U. Jasper,
–
der Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna, vertreten durch Rechtsanwalt K. Heuvels,
–
der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und D. Petrausch als Bevollmächtigte,
–
der österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann als Bevollmächtigten,
–
der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte,
–
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Wiedner als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. September 2004,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen
der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. L 395, S. 33) in der Fassung der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom
18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1), diese
in der Fassung der Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997 (ABl. L 328, S. 1) (im
Folgenden: Richtlinie 89/665). Ferner betrifft das Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung der Artikel 1 Nummer 2 und 13
Absatz 1 der Richtlinie 93/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im
Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor (ABl. L 199, S. 84) in der Fassung
der Richtlinie 98/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Änderung der Richtlinie 93/38 (ABl.
L 101, S. 1) (im Folgenden: Richtlinie 93/38).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Stadt Halle (Deutschland) und der RPL Recyclingpark Lochau GmbH (im
Folgenden: RPL Lochau) gegen die Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall‑ und Energieverwertungsanlage TREA Leuna (im Folgenden:
TREA Leuna), in dem es um die Frage geht, ob es den Gemeinschaftsvorschriften entspricht, dass die Stadt Halle einen Dienstleistungsauftrag
im Bereich der Abfallentsorgung ohne öffentliche Ausschreibung an die RPL Lochau vergeben hat, deren Kapital mehrheitlich
von der Stadt Halle und minderheitlich von einer privaten Gesellschaft gehalten wird.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Nach Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 92/50 in der Fassung der Richtlinie 97/52 (im Folgenden: Richtlinie 92/50) gelten
als „öffentliche Dienstleistungsaufträge“ „die zwischen einem Dienstleistungserbringer und einem öffentlichen Auftraggeber
geschlossenen schriftlichen entgeltlichen Verträge“. Nach Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie gelten als „öffentliche Auftraggeber“
„der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser
Körperschaften oder Einrichtungen bestehen“. Nach Artikel 1 Buchstabe c wird „Dienstleistungserbringer“ definiert als „natürliche
oder juristische Personen sowie öffentliche Einrichtungen, die Dienstleistungen anbieten“.
4
Nach Artikel 8 der Richtlinie 92/50 werden „Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen des Anhangs IA sind, … nach den Vorschriften
der Abschnitte III bis VI vergeben“. Diese Vorschriften enthalten im Wesentlichen Bestimmungen über die Ausschreibung und
die Bekanntmachung. Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt, dass „die Auftraggeber [für die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge]
die in Artikel 1 Buchstaben d), e) und f) genannten Verfahren in einer an diese Richtlinie angepassten Form anzuwenden [haben]“.
Die Verfahren, auf die sich diese Vorschrift bezieht, sind das „offene Verfahren“, das „nichtoffene Verfahren“ und das „Verhandlungsverfahren“.
5
Unter die Kategorie 16 des Anhangs IA der Richtlinie fallen „Abfall- und Abwasserbeseitigung; sanitäre und ähnliche Dienstleistungen“.
6
Nach ihrem Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe a gilt die Richtlinie 92/50 für öffentliche Dienstleistungsaufträge, deren geschätzter
Wert ohne Mehrwertsteuer „mindestens 200 000 ECU beträgt“.
7
Die Richtlinie 89/665 soll nach ihrer zweiten und dritten Begründungserwägung aufgrund der Überlegung, dass die Öffnung des
öffentlichen Auftragswesens für den gemeinschaftsweiten Wettbewerb eine beträchtliche Verstärkung der Garantien im Bereich
der Transparenz und der Nichtdiskriminierung voraussetzt, die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften im Bereich des öffentlichen
Auftragswesens durch Möglichkeiten einer wirksamen und raschen Nachprüfung sicherstellen, vor allem dann, wenn Verstöße noch
beseitigt werden können.
8
Zu diesem Zweck bestimmt Artikel 1 Absätze 1 und 3 der Richtlinie 89/665:
„(1) Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich
der Richtlinien … fallenden Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge die Entscheidungen der Vergabebehörden wirksam und
vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der nachstehenden Artikel, insbesondere von Artikel 2 Absatz 7, auf Verstöße gegen
das Gemeinschaftsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die einzelstaatlichen Vorschriften, die dieses
Recht umsetzen, nachgeprüft werden können.
…
(3) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten
festzulegenden Bedingungen zumindest jedem zur Verfügung steht, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen [Auftrag]
hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht. Die Mitgliedstaaten
können insbesondere verlangen, dass derjenige, der ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber
zuvor von dem behaupteten Rechtsverstoß und von der beabsichtigten Nachprüfung unterrichten muss.“
9
Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 lautet:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass für die in Artikel 1 genannten Nachprüfungsverfahren die erforderlichen Befugnisse
vorgesehen werden,
a)
damit so schnell wie möglich im Wege der einstweiligen Verfügung vorläufige Maßnahmen ergriffen werden können, um den behaupteten
Rechtsverstoß zu beseitigen oder weitere Schädigungen der betroffenen Interessen zu verhindern; dazu gehören Maßnahmen, um
das Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags auszusetzen oder die Aussetzung zu veranlassen oder Maßnahmen der Durchführung
jeder sonstigen Entscheidung der öffentlichen Auftraggeber;
b)
damit die Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen, einschließlich der Streichung diskriminierender technischer, wirtschaftlicher
oder finanzieller Spezifikationen in den Ausschreibungsdokumenten, den Verdingungsunterlagen oder in jedem sonstigen sich
auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vorgenommen oder veranlasst werden kann;
c)
damit denjenigen, die durch den Rechtsverstoß geschädigt worden sind, Schadensersatz zuerkannt werden kann.
…“
10
Artikel 1 der Richtlinie 93/38 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie sind:
…
2.
öffentliches Unternehmen: jedes Unternehmen, auf das die staatlichen Behörden aufgrund von Eigentum, finanzieller Beteiligung
oder der für das Unternehmen einschlägigen Vorschriften unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben können.
Es wird vermutet, dass ein beherrschender Einfluss ausgeübt wird, wenn die staatlichen Behörden unmittelbar oder mittelbar
–
die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzen oder
–
über die Mehrheit der mit den Anteilen des Unternehmens verbundenen Stimmrechte verfügen oder
–
mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen können;
3.
verbundenes Unternehmen: … diejenigen, auf die der Auftraggeber unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss im
Sinne der Nummer 2 ausüben kann …;
…“
11
Artikel 13 der Richtlinie 93/38 sieht vor:
„(1) Diese Richtlinie gilt nicht für Dienstleistungsaufträge,
a)
die ein Auftraggeber an ein mit ihm verbundenes Unternehmen vergibt;
…
sofern mindestens 80 % des von diesem Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Gemeinschaft erzielten durchschnittlichen
Umsatzes im Dienstleistungssektor aus der Erbringung dieser Dienstleistungen für die mit ihm verbundenen Unternehmen stammen.
…“
Nationales Recht
12
Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass die Nachprüfung im Bereich des öffentlichen Auftragswesens im deutschen Recht durch
das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) geregelt wird. Nach § 102 GWB unterliegt die „Vergabe öffentlicher Aufträge“
der Nachprüfung. Der Bieter oder Bewerber hat einen subjektiven Rechtsanspruch auf die Einhaltung der „Bestimmungen über das
Vergabeverfahren“, der es ihm ermöglicht, die Rechte aus § 97 Absatz 7 GWB, „die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer
Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind“, gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber geltend zu machen.
13
Im Vorlagebeschluss wird ausgeführt, dass auf der Grundlage dieser Vorschriften nach Auffassung eines Teils der Rechtsprechung
und der Fachliteratur in Deutschland die Einleitung eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens nur in Betracht komme,
wenn das Ziel des Antragstellers darin liege, dem Auftraggeber ein bestimmtes Verhalten in einem laufenden förmlichen Vergabeverfahren
aufzugeben, was bedeute, dass die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens nicht möglich sei, wenn der öffentliche Auftraggeber
beschlossen habe, keine öffentliche Ausschreibung durchzuführen und nicht förmlich ein Vergabeverfahren einzuleiten. Ein anderer
Teil der Rechtsprechung und der Fachliteratur widerspreche jedoch dieser Ansicht.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
14
Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass die Stadt Halle der RPL Lochau mit Beschluss des Stadtrats vom 12. Dezember 2001
ohne vorherige förmliche Einleitung eines Vergabeverfahrens den Auftrag zur Ausarbeitung eines Vorhabens erteilte, das auf
die Vorbehandlung, Verwertung und Beseitigung ihrer Abfälle gerichtet war. Zugleich beschloss die Stadt Halle, ebenfalls ohne
Ausschreibung, Verhandlungen mit der RPL Lochau über den Abschluss eines Vertrages über die Entsorgung der städtischen Restabfälle
ab 1. Juni 2005 aufzunehmen. Diese Gesellschaft war der Investor für den Bau der thermischen Abfallbeseitigungs- und ‑verwertungsanlage.
15
Die RPL Lochau ist eine 1996 gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Ihr Kapital wird zu 75,1 % von der Stadtwerke
Halle GmbH, an deren Alleingesellschafterin, der Verwaltungsgesellschaft für Versorgungs‑ und Verkehrsbetriebe der Stadt Halle
mbH, die Stadt Halle eine 100%ige Beteiligung hält, und zu 24,9 % von einer privaten Gesellschaft mit beschränkter Haftung
gehalten. Das vorlegende Gericht bezeichnet die RPL Lochau als „Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand“ und stellt
fest, dass man die Aufteilung des Kapitals dieser Gesellschaft erst Ende 2001 im Gesellschaftsvertrag vereinbart habe, als
die Vergabe des fraglichen Vorhabens beabsichtigt worden sei.
16
Das vorlegende Gericht führt außerdem aus, dass Gegenstand der RPL Lochau der Betrieb von Recycling- und Abfallentsorgungsanlagen
sei. Die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung würden mit einfacher Mehrheit oder mit einer Mehrheit von 75 % der Stimmen
gefasst. Die kaufmännische und technische Betriebsführung sei gegenwärtig auf ein drittes Unternehmen übertragen, und die
Stadt Halle sei insbesondere zur Rechnungsprüfung befugt.
17
Nachdem die TREA Leuna, die ebenfalls an der Erbringung der betreffenden Dienstleistungen interessiert war, davon erfahren
hatte, dass der Auftrag außerhalb des in den Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen vorgesehenen Verfahrens
vergeben worden war, wandte sie sich gegen die Entscheidung der Stadt Halle und beantragte bei der Vergabekammer beim Regierungspräsidium
Halle die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens mit dem Ziel, die Stadt Halle zur Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung
zu verpflichten.
18
Die Stadt Halle machte zu ihrer Verteidigung geltend, dass der Nachprüfungsantrag nach dem in den Randnummern 12 und 13 des
vorliegenden Urteils dargestellten nationalen Recht nicht zulässig sei, weil sie als öffentliche Auftraggeberin nicht förmlich
ein Vergabeverfahren eingeleitet habe. Außerdem sei die RPL Lochau eher der Sphäre der Stadt Halle zuzurechnen, da sie von
dieser kontrolliert werde. Es handele sich daher um ein In-House-Geschäft, auf das die Gemeinschaftsvorschriften über das
öffentliche Auftragswesen keine Anwendung fänden.
19
Die Vergabekammer gab dem Antrag der TREA Leuna statt, weil die Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers auch dann der
Nachprüfung zugänglich sein müssten, wenn kein Vergabeverfahren durchgeführt worden sei. Sie stellte ferner fest, dass im
vorliegenden Fall keine Rede von einem In-House-Geschäft sein könne, weil die private Minderheitsbeteiligung die Schwelle
von 10 % überschreite, ab der nach den deutschen Vorschriften über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung eine Minderheit
vorliege, die bestimmte Rechte habe. Zudem sei mit hinreichender Sicherheit zu erwarten, dass die RPL Lochau durch ihre Tätigkeit
für die Stadt Halle nur zu 61,25 % ausgelastet sein werde, so dass sich dieses Unternehmen, um den Rest seiner Kapazitäten
abzusetzen, Aufträge auf dem Markt, auf dem es tätig sei, beschaffen müsse.
20
Auf die Beschwerde der Stadt Halle hin hat das Oberlandesgericht Naumburg das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
a)
Verlangt Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 89/665 von den Mitgliedstaaten die Sicherstellung einer wirksamen und möglichst
raschen Nachprüfungsmöglichkeit der Entscheidung der Vergabebehörde, einen öffentlichen Auftrag nicht in einem Verfahren zu
vergeben, das den Bestimmungen der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge angepasst ist?
b)
Verlangt Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 89/665 von den Mitgliedstaaten auch die Sicherstellung einer wirksamen und
möglichst raschen Nachprüfungsmöglichkeit der Entscheidungen der Vergabebehörden im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung,
insbesondere der Entscheidung der Vorfragen, ob ein bestimmter Beschaffungsvorgang überhaupt in den persönlichen bzw. sachlichen
Anwendungsbereich der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge fällt bzw. ob ausnahmsweise ein Ausschluss des Vergaberechts
vorliegt?
c)
Für den Fall der Bejahung der Vorlagefrage 1a und der Verneinung der Vorlagefrage 1b:
Genügt ein Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Sicherstellung einer wirksamen und möglichst raschen Nachprüfungsmöglichkeit
der Entscheidung der Vergabebehörde, einen öffentlichen Auftrag nicht in einem Verfahren zu vergeben, das den Bestimmungen
der Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Aufträge angepasst ist, wenn der Zugang zum Nachprüfungsverfahren vom Erreichen eines
bestimmten formellen Stadiums des Beschaffungsvorgangs, z. B. vom Beginn mündlicher oder schriftlicher Vertragsverhandlungen
mit einem Dritten, abhängig gemacht wird?
2.
a)
Ausgehend davon, dass ein öffentlicher Auftraggeber, wie etwa eine Gebietskörperschaft, beabsichtigt, mit einer Einrichtung,
die sich formal von ihm unterscheidet – im Folgenden: der Vertragspartner –, einen schriftlichen entgeltlichen Vertrag über
Dienstleistungen zu schließen, der der Richtlinie 92/50 unterfallen würde, und weiter ausgehend davon, dass dieser Vertrag
ausnahmsweise dann kein öffentlicher Dienstleistungsauftrag im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a der Richtlinie 92/50 ist, wenn
der Vertragspartner der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist –
im Folgenden: vergabefreies Eigengeschäft –, möchte der Senat wissen, ob die Einordnung eines solchen Vertrages als vergabefreies
Eigengeschäft stets durch die bloße gesellschaftsrechtliche Beteiligung eines privaten Unternehmens am Vertragspartner ausgeschlossen
ist?
b)
Für den Fall der Verneinung der Vorlagefrage 2a:
Unter welchen Voraussetzungen ist ein Vertragspartner mit einer privaten gesellschaftsrechtlichen Beteiligung – im Folgenden:
Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand – der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers
zuzurechnen?
Hierzu insbesondere:
–
Genügt für eine Zurechnung einer Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers
unter dem Aspekt der Ausgestaltung und Intensität der Kontrolle dessen „Beherrschung“ durch den öffentlichen Auftraggeber,
etwa im Sinne von Artikel 1 Nummer 2 und Artikel 13 Absatz 1 der Richtlinie 93/38, geändert durch die Beitrittsakte 1994 sowie
durch die Richtlinie 98/4?
–
Schließt jedwede rechtlich mögliche Einflussnahme des privaten Mitgesellschafters der Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen
Hand auf die strategischen Zielsetzungen des Vertragspartners und/oder auf die Einzelentscheidungen bei der Leitung des Unternehmens
dessen Zurechnung zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers aus?
–
Genügt für die Zurechnung einer Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers
unter dem Aspekt der Ausgestaltung und Intensität der Kontrolle ein umfassendes Weisungsrecht allein im Hinblick auf die Entscheidungen
zum Vertragsabschluss und zur Leistungserbringung betreffend den konkreten Beschaffungsvorgang?
–
Genügt für die Zurechnung einer Beteiligungsgesellschaft der öffentlichen Hand zum Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers
unter dem Aspekt der Tätigkeit im Wesentlichen für den öffentlichen Auftraggeber, dass mindestens 80 % des von diesem Unternehmen
während der letzten drei Jahre in der Gemeinschaft erzielten durchschnittlichen Umsatzes im Dienstleistungssektor aus der
Erbringung dieser Dienstleistungen für den öffentlichen Auftraggeber bzw. für die mit dem öffentlichen Auftraggeber verbundenen
bzw. ihm zuzurechnenden Unternehmen stammen oder – soweit das gemischtwirtschaftliche Unternehmen noch keine dreijährige Geschäftszeit
aufweist – im Wege der Prognose eine Erfüllung dieser 80%-Regel zu erwarten ist?
Zu den Vorlagefragen
21
Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche und kohärente Antwort zu geben, sind die Fragen nach ihrem Inhalt und ihrem
Gegenstand in zwei Gruppen aufzuteilen und zu prüfen.
Zu den Fragen 1a, 1b und 1c
22
Mit dieser ersten Reihe von Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie
89/665 dahin auszulegen ist, dass sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit einer wirksamen und raschen
Nachprüfung der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber sicherzustellen, auch auf Entscheidungen außerhalb eines förmlichen
Vergabeverfahrens und im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung erstreckt, insbesondere auf die Entscheidung über die Frage,
ob ein bestimmter Auftrag in den persönlichen oder sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 fällt, und von welchem
Zeitpunkt an im Rahmen eines Beschaffungsvorgangs die Mitgliedstaaten einem Bieter, Bewerber oder Interessenten den Zugang
zu einem Nachprüfungsverfahren eröffnen müssen.
23
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Richtlinie 92/50 nach ihrer ersten und zweiten Begründungserwägung im Rahmen
der Maßnahmen erlassen wurde, die für die Verwirklichung des Binnenmarktes erforderlich sind, d. h. eines Raumes ohne Binnengrenzen,
in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist. Nach ihrer vierten und ihrer
fünften Begründungserwägung soll die Richtlinie, da sie die Öffnung der öffentlichen Auftragsmärkte im Bereich der Dienstleistungen
unter Bedingungen der Gleichbehandlung und der Transparenz zum Ziel hat, für alle öffentlichen Auftraggeber gelten.
24
Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die Bestimmungen der Richtlinie 92/50 die Voraussetzungen klar erkennen lassen, unter
denen die Anwendung der Vorschriften der Abschnitte III bis VI der Richtlinie durch alle öffentlichen Auftraggeber obligatorisch
ist, wobei die Ausnahmen von der Anwendung dieser Vorschriften in der Richtlinie selbst abschließend aufgeführt sind.
25
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, fällt mit anderen Worten ein Vorgang in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich
der Richtlinie 92/50, so müssen die fraglichen öffentlichen Aufträge daher nach Artikel 8 in Verbindung mit Artikel 11 Absatz
1 der Richtlinie gemäß den Vorschriften der Abschnitte III bis VI der Richtlinie vergeben, d. h. ausgeschrieben und angemessen
bekannt gemacht, werden.
26
Diese Verpflichtung obliegt den öffentlichen Auftraggebern, ohne dass zwischen öffentlichen Aufträgen, die sie vergeben, um
ihre Aufgabe zu erfüllen, den Erfordernissen des Allgemeininteresses nachzukommen, und Aufträgen, die in keinem Zusammenhang
mit dieser Aufgabe stehen, unterschieden wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C‑44/96,
Mannesmann Anlagenbau Austria u. a., Slg. 1998, I‑73, Randnr. 32).
27
Um dem vorlegenden Gericht zu antworten, ist der Begriff „Entscheidungen der Vergabebehörden“ in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie
89/665 zu prüfen. Da der Begriff in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich definiert wird, ist seine Tragweite anhand des Wortlauts
der einschlägigen Vorschriften der Richtlinie und im Hinblick auf das mit ihr verfolgte Ziel eines wirksamen und raschen gerichtlichen
Rechtsschutzes zu bestimmen.
28
Der Wortlaut des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 setzt mit der Wendung „hinsichtlich … der Verfahren“ voraus, dass
jede Entscheidung einer Vergabebehörde, die unter die Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen fällt und
gegen sie verstoßen kann, der in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a und b dieser Richtlinie vorgesehenen gerichtlichen Kontrolle
unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Juni 2002 in der Rechtssache C‑92/00, HI, Slg. 2002, I‑5553, Randnr. 37,
und vom 23. Januar 2003 in der Rechtssache C‑57/01, Makedoniko Metro und Michaniki, Slg. 2003, I‑1091, Randnr. 68). Er bezieht
sich also allgemein auf die Entscheidungen einer Vergabebehörde, ohne sie nach ihrem Inhalt oder dem Zeitpunkt ihres Erlasses
zu unterscheiden.
29
Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 89/665 sieht außerdem die Möglichkeit der Aufhebung rechtswidriger Entscheidungen
der Vergabebehörden im Zusammenhang mit technischen und sonstigen Spezifikationen nicht nur in den Ausschreibungsdokumenten,
sondern auch in jedem sonstigen sich auf das betreffende Vergabeverfahren beziehenden Dokument vor. Diese Bestimmung kann
sich folglich auch auf Dokumente beziehen, die im Vorfeld der Ausschreibung getroffene Entscheidungen enthalten.
30
Diese weite Bedeutung des Begriffes der Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes
bestätigt. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 keine Beschränkung in Bezug
auf Art und Inhalt der darin genannten Entscheidungen vorsieht (vgl. Urteil vom 28. Oktober 1999 in der Rechtssache C‑81/98,
Alcatel Austria u. a., Slg. 1999, I‑7671, Randnr. 35). Eine solche Beschränkung lässt sich auch nicht dem Wortlaut von Artikel
2 Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie entnehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil Alcatel Austria u. a., Randnr. 32). Im Übrigen
wäre eine enge Auslegung des Begriffes der nachprüfbaren Entscheidung unvereinbar mit Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie,
wonach die Mitgliedstaaten für jede Entscheidung der öffentlichen Auftraggeber Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorsehen
müssen (vgl. Urteil HI, Randnr. 49).
31
In diesem Geist einer weiten Auslegung des Begriffes der nachprüfbaren Entscheidung hat der Gerichtshof entschieden, dass
die dem Vertragsabschluss vorausgehende Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers darüber, welchem Bieter der Auftrag erteilt
wird, unabhängig von der Möglichkeit, nach dem Vertragsabschluss Schadensersatz zu erlangen, in jedem Fall nachprüfbar sein
muss (vgl. Urteil Alcatel Austria u. a., Randnr. 43).
32
Unter Bezugnahme auf das mit der Richtlinie 92/50 verfolgte Ziel der Beseitigung der Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehr
sowie auf die Ziele, den Wortlaut und die Systematik der Richtlinie 89/665 hat der Gerichtshof ferner entschieden, dass es
möglich sein muss, dass die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über den Widerruf der Ausschreibung eines Dienstleistungsauftrags
Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens nach Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665 ist (vgl. in diesem Sinne Urteil HI,
Randnr. 55).
33
Insoweit kann, wie die Generalanwältin in Nummer 23 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Entscheidung des öffentlichen
Auftraggebers, kein Vergabeverfahren einzuleiten, als Pendant zu seiner Entscheidung, ein solches Verfahren zu beenden, angesehen
werden. Beschließt ein öffentlicher Auftraggeber, kein Vergabeverfahren einzuleiten, weil der Auftrag seiner Auffassung nach
nicht in den Anwendungsbereich der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften fällt, so handelt es sich um die erste Entscheidung,
die gerichtlich überprüfbar ist.
34
Angesichts dieser Rechtsprechung sowie der Ziele, der Systematik und des Wortlauts der Richtlinie 89/665 und um die praktische
Wirksamkeit dieser Richtlinie zu wahren, stellt also jede Maßnahme eines öffentlichen Auftraggebers, die im Zusammenhang mit
einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag getroffen wird, der in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 fällt,
und die Rechtswirkungen entfalten kann, eine nachprüfbare Entscheidung im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665
dar, unabhängig davon, ob diese Maßnahme außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens oder im Rahmen eines solchen Verfahrens
getroffen wurde.
35
Nicht nachprüfbar sind Handlungen, die eine bloße Vorstudie des Marktes darstellen oder die rein vorbereitend sind und sich
im Rahmen der internen Überlegungen des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags
abspielen.
36
Aufgrund dieser Erwägungen kann der Ansicht der Stadt Halle nicht gefolgt werden, dass die Richtlinie 89/665 keinen gerichtlichen
Rechtsschutz außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens verlange und die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers, kein
solches Verfahren einzuleiten, ebenso wenig nachprüfbar sei wie die Entscheidung darüber, ob ein öffentlicher Auftrag in den
Anwendungsbereich der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften fällt.
37
Diese Ansicht hätte nämlich zur Folge, dass die Anwendung der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften je nach Belieben des
jeweiligen öffentlichen Auftraggebers fakultativ wäre, obwohl sie zwingend ist, wenn die darin vorgesehenen Voraussetzungen
erfüllt sind. Eine solche Möglichkeit könnte zu einem ganz beträchtlichen Verstoß eines öffentlichen Auftraggebers gegen das
Gemeinschaftsrecht über das öffentliche Auftragswesen führen. Sie würde den mit der Richtlinie 89/665 angestrebten wirksamen
und raschen gerichtlichen Rechtsschutz erheblich einschränken und die mit der Richtlinie 92/50 verfolgten Ziele, nämlich die
eines freien Dienstleistungsverkehrs und eines offenen, unverfälschten Wettbewerbs in diesem Bereich in allen Mitgliedstaaten,
beeinträchtigen.
38
Was den Zeitpunkt angeht, von dem an die Möglichkeit einer Nachprüfung besteht, so ist er in der Richtlinie 89/665 nicht ausdrücklich
festgelegt. Angesichts des mit dieser Richtlinie verfolgten Zieles eines wirksamen und raschen gerichtlichen Rechtsschutzes
insbesondere auch durch vorläufige Maßnahmen ist jedoch festzustellen, dass Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie es den Mitgliedstaaten
nicht erlaubt, eine solche Möglichkeit davon abhängig zu machen, dass das Vergabeverfahren formal ein bestimmtes Stadium erreicht
hat.
39
Aufgrund der Überlegung, dass entsprechend der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie die Einhaltung der Gemeinschaftsvorschriften
vor allem dann zu gewährleisten ist, wenn Verstöße noch beseitigt werden können, ist festzustellen, dass die Willensäußerung
des öffentlichen Auftraggebers im Zusammenhang mit einem Auftrag, die auf irgendeine Weise den interessierten Personen zur
Kenntnis gelangt, nachprüfbar ist, wenn sie über das in Randnummer 35 des vorliegenden Urteils genannte Stadium hinausgegangen
ist und Rechtswirkungen entfalten kann. Die Aufnahme konkreter Vertragsverhandlungen mit einem Interessenten stellt eine solche
Willensäußerung dar. Insoweit ist auf die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers zur Transparenz hinzuweisen, die es
ermöglichen soll, die Beachtung der Gemeinschaftsvorschriften zu überprüfen (vgl. Urteil HI, Randnr. 45).
40
Was die Personen angeht, denen ein Nachprüfungsverfahren zugänglich ist, so genügt die Feststellung, dass die Mitgliedstaaten
nach Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 89/665 sicherstellen müssen, dass das Nachprüfungsverfahren zumindest jedem zur Verfügung
steht, der ein Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß
ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Juni 2004 in der Rechtssache C‑212/02,
Kommission/Österreich, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 24). Die formale Bieter‑ oder Bewerbereigenschaft
ist daher nicht erforderlich.
41
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist auf die Fragen 1a, 1b und 1c zu antworten, dass Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie
89/665 dahin auszulegen ist, dass sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit einer wirksamen und raschen
Nachprüfung der Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber sicherzustellen, auch auf Entscheidungen außerhalb eines förmlichen
Vergabeverfahrens und im Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung erstreckt, insbesondere auf die Entscheidung über die Frage,
ob ein bestimmter Auftrag in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 fällt. Diese Nachprüfungsmöglichkeit
steht jedem, der ein Interesse an dem fraglichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein
Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, von dem Zeitpunkt an zur Verfügung, zu dem der Wille des öffentlichen Auftraggebers,
der Rechtswirkungen entfalten kann, geäußert wird. Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Nachprüfungsmöglichkeit nicht davon
abhängig machen, dass das fragliche Vergabeverfahren formal ein bestimmtes Stadium erreicht hat.
Zu den Fragen 2a und 2b
42
Mit dieser zweiten Reihe von Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob
dann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber beabsichtigt, mit einer privatrechtlichen Gesellschaft, die sich rechtlich von ihm
unterscheidet, an deren Kapital er mehrheitlich beteiligt ist und über die er eine bestimmte Kontrolle ausübt, einen entgeltlichen
Vertrag über Dienstleistungen zu schließen, die in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 fallen, dieser Auftraggeber
stets verpflichtet ist, die in dieser Richtlinie vorgesehenen öffentlichen Ausschreibungsverfahren anzuwenden, nur weil ein
privates Unternehmen am Kapital dieser vertragschließenden Gesellschaft, wenn auch minderheitlich, beteiligt ist. Falls diese
Frage verneint wird, möchte das vorlegende Gericht wissen, anhand welcher Kriterien festzustellen ist, dass der öffentliche
Auftraggeber keine solche Verpflichtung hat.
43
Diese Frage bezieht sich darauf, wie es sich in dem besonderen Fall einer so genannten gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft,
die nach privatrechtlichen Vorschriften gegründet wurde und tätig ist, mit der Verpflichtung eines öffentlichen Auftraggebers
verhält, die Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen anzuwenden, wenn die darin vorgesehenen Voraussetzungen
erfüllt sind.
44
Insoweit ist erstens an das Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen zu erinnern, wie es
im Rahmen der Antwort auf die Frage 1 dargestellt worden ist, nämlich den freien Dienstleistungsverkehr und die Öffnung für
einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten. Das schließt die Verpflichtung für jeden öffentlichen Auftraggeber
ein, die einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften anzuwenden, wenn die darin vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.
45
Die Verpflichtung, in einem solchen Fall die Gemeinschaftsvorschriften anzuwenden, wird dadurch bestätigt, dass nach Artikel
1 Buchstabe c der Richtlinie 92/50 der Begriff des Dienstleistungserbringers, d. h. des Bieters im Rahmen der Anwendung dieser
Richtlinie, auch „öffentliche Einrichtungen, die Dienstleistungen anbieten“, umfasst (vgl. Urteil vom 7. Dezember 2000 in
der Rechtssache C‑94/99, ARGE, Slg. 2000, I‑11037, Randnr. 28).
46
Jede Ausnahme von der Geltung dieser Verpflichtung ist folglich eng auszulegen. So hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit
der Anwendung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Vergabebekanntmachung entschieden, dass Artikel 11 Absatz 3 der
Richtlinie 92/50, der ein solches Verfahren vorsieht, als Ausnahme von den Vorschriften, die die Wirksamkeit der durch den
EG-Vertrag im Bereich der öffentlichen Dienstleistungsaufträge eingeräumten Rechte gewährleisten sollen, eng auszulegen ist
und dass die Beweislast dafür, dass die außergewöhnlichen Umstände, die die Ausnahme rechtfertigen, tatsächlich vorliegen,
demjenigen obliegt, der sich auf sie berufen will (vgl. Urteil vom 10. April 2003 in den Rechtssachen C‑20/01 und C‑28/01,
Kommission/Deutschland, Slg. 2003, I‑3609, Randnr. 58).
47
Im Sinne einer mit den Gemeinschaftsvorschriften bezweckten Öffnung des öffentlichen Auftragswesens für einen möglichst umfassenden
Wettbewerb hat der Gerichtshof in Bezug auf die Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1) entschieden, dass diese Richtlinie anwendbar ist, wenn
ein öffentlicher Auftraggeber beabsichtigt, mit einer Einrichtung, die sich rechtlich von ihm unterscheidet, einen entgeltlichen
Vertrag zu schließen, ob diese Einrichtung nun selbst ein öffentlicher Auftraggeber ist oder nicht (vgl. Urteil vom 18. November
1999 in der Rechtssache C‑107/98, Teckal, Slg. 1999, I‑8121, Randnrn. 50 und 51). Der Vertragspartner in dieser Rechtssache
war ein aus mehreren öffentlichen Auftraggebern bestehendes Konsortium, an dem auch der betreffende öffentliche Auftraggeber
beteiligt war.
48
Eine öffentliche Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber ist, hat die Möglichkeit, ihre im allgemeinen Interesse liegenden
Aufgaben mit ihren eigenen administrativen, technischen und sonstigen Mitteln zu erfüllen, ohne gezwungen zu sein, sich an
externe Einrichtungen zu wenden, die nicht zu ihren Dienststellen gehören. In einem solchen Fall kann von einem entgeltlichen
Vertrag mit einer Einrichtung, die sich rechtlich von dem öffentlichen Auftraggeber unterscheidet, nicht die Rede sein. Die
Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen sind daher nicht anwendbar.
49
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist es nicht ausgeschlossen, dass es weitere Umstände gibt, unter denen eine Ausschreibung
nicht obligatorisch ist, auch wenn der Vertragspartner eine Einrichtung ist, die sich vom öffentlichen Auftraggeber rechtlich
unterscheidet. Das gilt dann, wenn die öffentliche Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber ist, über die fragliche Einrichtung
eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über ihre eigenen Dienststellen und diese Einrichtung ihre Tätigkeit im Wesentlichen mit
der oder den öffentlichen Stellen verrichtet, die ihre Anteile innehaben (vgl. in diesem Sinne Urteil Teckal, Randnr. 50).
Es ist daran zu erinnern, dass in dem vorgenannten Fall die Einrichtung zu 100 % von öffentlichen Stellen gehalten wurde.
Dagegen schließt die – auch nur minderheitliche – Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an
der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall aus, dass der öffentliche Auftraggeber
über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen.
50
Insoweit ist zunächst festzustellen, dass die Beziehung zwischen einer öffentlichen Stelle, die ein öffentlicher Auftraggeber
ist, und ihren Dienststellen durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen
Interesse liegenden Zielen zusammenhängen. Die Anlage von privatem Kapital in einem Unternehmen beruht dagegen auf Überlegungen,
die mit privaten Interessen zusammenhängen, und verfolgt andersartige Ziele.
51
Zweitens würde die Vergabe eines öffentlichen Auftrags an ein gemischtwirtschaftliches Unternehmen ohne Ausschreibung das
Ziel eines freien und unverfälschten Wettbewerbs und den in der Richtlinie 92/50 genannten Grundsatz der Gleichbehandlung
der Interessenten beeinträchtigen, insbesondere weil ein solches Verfahren einem am Kapital dieses Unternehmens beteiligten
privaten Unternehmen einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten verschaffen würde.
52
Auf die Fragen 2a und 2b ist daher zu antworten, dass, wenn ein öffentlicher Auftraggeber beabsichtigt, mit einer Gesellschaft,
die sich rechtlich von ihm unterscheidet und an deren Kapital er mit einem oder mehreren privaten Unternehmen beteiligt ist,
einen entgeltlichen Vertrag über Dienstleistungen zu schließen, die in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50
fallen, die in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge stets anzuwenden sind.
53
In Anbetracht dieser Antwort brauchen die übrigen Fragen des nationalen Gerichts nicht mehr beantwortet zu werden.
Kosten
54
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen
Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von
Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1.
Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften
für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der Fassung der
Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge,
diese in der Fassung der Richtlinie 97/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1997, ist dahin auszulegen,
dass sich die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Möglichkeit einer wirksamen und raschen Nachprüfung der Entscheidungen
der öffentlichen Auftraggeber sicherzustellen, auch auf Entscheidungen außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens und im
Vorfeld einer förmlichen Ausschreibung erstreckt, insbesondere auf die Entscheidung über die Frage, ob ein bestimmter Auftrag
in den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 in ihrer geänderten Fassung fällt. Diese Nachprüfungsmöglichkeit
steht jedem, der ein Interesse an dem fraglichen Auftrag hat oder hatte und dem durch einen behaupteten Rechtsverstoß ein
Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht, von dem Zeitpunkt an zur Verfügung, zu dem der Wille des öffentlichen Auftraggebers,
der Rechtswirkungen entfalten kann, geäußert wird. Die Mitgliedstaaten dürfen daher die Nachprüfungsmöglichkeit nicht davon
abhängig machen, dass das fragliche Vergabeverfahren formal ein bestimmtes Stadium erreicht hat.
2.
Beabsichtigt ein öffentlicher Auftraggeber, mit einer Gesellschaft, die sich rechtlich von ihm unterscheidet und an deren
Kapital er mit einem oder mehreren privaten Unternehmen beteiligt ist, einen entgeltlichen Vertrag über Dienstleistungen zu
schließen, die in den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 in der Fassung der Richtlinie 97/52 fallen, so sind
die in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge stets anzuwenden.